BAUKULTURFÜHRER 28 WALDHAUS Mehlmeisel 28 HERAUSGEBERIN: NICOLETTE BAUMEISTER · BÜRO WILHELM. VERLAG With English Summary WALDHAUS MEHLMEISEL Bauzeit: 04/2004 – 06/2005 Architekten: Peter Kuchenreuther, Marktredwitz und Martin Schinner, Nürnberg Bauherr: Gemeinde Mehlmeisel Die Waldkathedrale Wenn frühmorgens Tau verdunstet und am Nachmittag Nebel aufkommt, sich durch dichte Baumkronen nur noch Zwielicht wagt, erscheinen die dunklen Wälder des Fichtelgebirges noch düsterer, bizarre Felsformationen noch etwas extravaganter, und der Wanderer fühlt sich von Kobolden, Faunen und anderen Waldgeistern begleitet. In solch mystisch-unwirklicher Stimmung wird das Waldhaus Mehlmeisel zum Refugium. Obwohl ganz aus Holz gebaut, als ob es dem vieltausendstämmigen Fichtenwald entnommen wäre, ist das Gebäude gleichzeitig Burg und Tempel, letzte Zufluchtsstätte und himmelwärts gerichtete Inszenierung, Diesseitsfestigkeit und Entrückung zugleich. Eine Kathedrale zur Verherrlichung, zur Feier des Waldes, seiner Flora und Fauna, aber auch der Geschichte und der Geologie der Region. Diese wird nicht ganz zufällig und eingedenk großer Poeten wie Jean Paul oder Joseph Freiherr von Eichendorff, die in ihren Gedichten die hiesigen Höhenrücken besangen, auch „Zauberwelt Fichtelgebirge“ genannt. Ein Waldmuseum entsteht Im Alltag fungiert das Waldhaus als Teil des Freizeit- und Fremdenverkehrszentrums „Bayreuther Haus“. Auf einer Anhöhe nördlich der Gemeinde Mehlmeisel, gut 810 Meter hoch, wird im Winter wie im Sommer vieles offeriert, was das Touristenherz begehrt: Skilift, Langlaufloipen, Rodelbahn, Rad- und Wanderwege, ein großer Spielplatz, Kneippanlage und Teiche, Rot- und Schwarzwildgehege und mit dem 40 Meter hohen Klausenturm eine Aussichtsplattform, die einen beeindruckenden Blick zu den höchsten Bergen des Fichtelgebirges, aber auch in die Frankenalb und in den Oberpfälzer Wald bietet. 1981 hatten die Bürger von Mehlmeisel auf einer Waldlichtung – direkt im Anschluss an das Freigehege – ein kleines „Waldmuseum“ fertig gestellt. Ebenfalls eine Holzkonstruktion, aber in horizontaler Blockbauweise. Da es für den großen Besucheransturm und auch für neue technisch-didaktische Möglichkeiten zu beengt war, entschloss man sich, zur Jahrtausendwende ein neues Waldhaus zu bauen. 4 5 Im Rahmen der grenzüberschreitenden Initiative Euregio Egrensis konnte ein Spiegelprojekt im tschechischen Wintersportzentrum Boží Dar verwirklicht werden. In Mehlmeisel, der Partnerstadt von Boží Dar, entstand nach einem kleinen Architektenwettbewerb neben dem alten Waldmuseum, das nun als begehbares Archiv dient, ein Waldinformationszentrum. Der Grundstein wurde am 17. Mai 2004 gelegt, bereits ein halbes Jahr später wurde Richtfest gefeiert, und am 22. Juli 2005 konnte das neue Waldhaus Mehlmeisel eröffnet werden. Regionaltypische Architektur Peter Kuchenreuther und Martin Schinner, die Architekten des neuen Gebäudes, legten großen Wert darauf, das Waldhaus in seine Umgebung einzubinden – in Material, Konstruktion und Erscheinung. „Ein Haus im Wald – ein Haus für den Wald – ein Haus aus dem Wald“, sagt Kuchenreuther dazu. Den Auftakt bildet ein gestalteter Freiraum mit Weiher, gestapelten Holzscheiten und phantastisch geformten Granitbrocken, der Waldkante und Gebäude in Beziehung setzt. Zwischen altem und neuem Waldhaus wurde ein weiterer Freiraum geschaffen, der allen möglichen Aktivitäten – etwa der Wildbeobachtung – dienen kann. Der insgesamt 55 Meter lange Neubau ist dreigeteilt: das Hauptgebäude mit der Ausstellung, ein Werkhof mit Terrasse sowie ein gedeckter Unterstand, in dem auch witterungsbeständige Gegenstände gelagert werden können. Der Querschnitt offenbart eine weitere Dreiteilung, eine moderne Variation des Basilika-Grundrisses: Das Waldhaus ist in ein aufwärts strebendes Hauptschiff und in zwei niedrige Nebenschiffe gegliedert. Östlich des Hauptschiffes befindet sich ein Laubengang, mit dem das Gebäude mit behindertengerechten Rampen erschlossen wird. Um eine Analogie zum Wald herzustellen, verwendeten die Architekten für den Laubengang kräftige Holzstämme. Im westlichen Nebenschiff liegen die Nebenräume: Stuhllager, Sanitärräume, Medien- und Haustechnikraum sowie, von außen durch eine Glastür sichtbar, der Raum für die Heizung. Geheizt wird im Waldhaus nicht mit Öl oder Erdgas, sondern mit Holzpellets. Eine große Schautafel erläutert diese Form der Heizung näher. 8 9 Traditionelle Bauweise Im bis zu 8,50 Meter hohen Hauptschiff befindet sich der große Ausstellungsraum. Dieser steht wie die gesamte Anlage in der im Fichtelgebirge weit verbreiteten Tradition des Einfirsthofes. Das Dach hat die ortstypische Neigung von 53 Grad, die vom nahen Bauernhof am „Grassemann“ abgeleitet wurde. Während für das Hauptschiff eine vertikale Verschalung aus unbehandelten, sägerauen Douglasiebrettern verwendet wurde, zeigen die Nebenräume einen Witterungsschutz aus Holzschindeln mit Nut und Feder. Mit solchen Schindeln wurden im Mittelalter in der Region die Dächer gedeckt, dann aber – der Beginn des Erzbergbaus im Fichtelgebirge reicht bis in die frühe Neuzeit – verwendete man Blechdeckungen. So hat die Titanzinkblech-Deckung im neuen Waldhaus nicht nur die Aufgabe, eine ruhige homogene Fläche herzustellen und damit die Baukörper optisch zu verbinden, sondern auch an frühere Bauweisen dieser Landschaft zu erinnern. Die Verschalung, zur Eröffnung noch im gelb-orangen Farbton des frischen Holzes leuchtend, wird binnen kurzem Patina ansetzen, silbrig-grau schimmern und sich langsam der Farbe der Dacheindeckung nähern. So wird es nicht lange dauern, bis das Waldhaus in seiner Anmutung den traditionellen Häusern in der Region ähnelt. Wildgehege Bestand Wildgehege WC H Medienraum WC D WC Beh. Putz Kaminecke Lager / Archiv Stuhllager / Hausanschluß Seminarraum Ausstellung Kasse Pelletsheizung Pelletslager Werkraum Werkhof Unterstand Foyer Büro Laubengang Grundriss 10 11 12 13 Die Struktur des Gebäudes Im Fichtelgebirge herrschen strenge Winter, selbst in ersten Maitagen sind Schneeränder auf den Höhen des Schneeberges oder des Ochsenkopfes nichts Besonderes. Das Tragwerk für das Waldhaus wurde deswegen so berechnet, dass es auch den statischen Erfordernissen von großen Schneelasten entspricht. Die primäre Tragstruktur, aufgebaut auf eine als Fundament dienende Betonplatte, bildet eine Konstruktion aus Drei-Gelenkträgern, die aus Brettschichtholz bestehen. Für das sekundäre Tragwerk der Wände dagegen verwendeten die Architekten eine moderne Holz-Ständerbauweise, die auch nötige Freiräume für Vitrinen und Schautafeln schafft. Regionaltypisch sollte das Waldhaus nicht nur in den erwähnten Kriterien sein, es sollte auch von regionalen Handwerkern gebaut werden können. Auf Präzision, dennoch unprätentiöse Einfachheit in der Ausführung und in den Details wurde deshalb großer Wert gelegt. Der eingestellte Raum mit Büro und Teeküche zum Beispiel ist ein Musterbeispiel an robuster Einfach- und Bescheidenheit, seine Funktion erfüllt er dennoch exzellent. Über zwei Tresen können bei Bedarf Ausstellungsraum und Freiraum gastronomisch versorgt werden. Weil dieser eingestellte Raum darüber hinaus auch eine Einschnürung bewirkt, teilt er optisch das Hauptschiff in Ausstellungs- und Seminar- beziehungsweise Vortragsraum. Belichtet wird er, wie das ganze Gebäude, durch den glasgedeckten First mit natürlichem Licht. 14 15 Wald und Natur als Erlebnis Die Holzbinder wurden hell lasiert. Zusammen mit den weiß gestrichenen Wänden bilden sie einen neutral-homogenen Hintergrund für die Exponate. Um seiner Aufgabe als Umweltbildungszentrum erwachsener Besuchergruppen, aber auch für Schulen und Kindergärten gerecht zu werden, wurde für das Waldhaus ein Multi-Media-Konzept entwickelt. Der geologische Aufbau und die Gesteinsarten, die Stoffkreisläufe und Lebewesen im Wald, die Holzwirtschaft und heute teilweise schon ausgestorbene Berufe, eine Reihe von Themen und Aspekten der einzigartigen Landschaft Fichtelgebirge werden berührt und erläutert. Damit die dargebotenen Informationen kein staubtrockenes, bald wieder vergessenes Buchwissen bleiben, vermitteln Schaumikroskope, Akustikglocken, Duftorgeln, Tastmulden, Filme und ein putziges, aber sorgfältig ausgestattetes Wald-Diorama vielfältige sinnliche Eindrücke. Der Wald lebt – auch und gerade im Waldhaus Mehlmeisel. Austritte, mal raumhohe, mal querformatige Fenster zwischen Vitrinen und Exponaten bieten immer wieder Gelegenheit, die gewonnenen Erkenntnisse mittels eines gerahmten Blickes in den Wald zu überprüfen. 16 17 Das Gebäude als Exponat Die Architektur des Waldhauses mit ihren abwechslungsreichen Verknüpfungen und Verschränkungen zwischen innen und außen, zwischen Natur und Kultur ist selbst Ausstellungsstück. Wie sich heimisches Holz ver- und mit Raffinesse aufwerten lässt, demonstriert das Gebäude in der basilikaähnlichen Form und im Inhalt, der sich nicht nur auf die Exponate beschränken lässt. Sei es das elegante Mobiliar aus MDF-Platten, sei es der Bodenbelag aus Eichenlamellenparkett, sei es der riesige Kamin aus blauem Kösseine-Granit, der das Waldhaus bei Bedarf mit einem offenen Feuer zusätzlich erwärmt. Das Konzept und die Ausführung des Waldhauses sind in sich stimmig, das Gebäude ist der Aufgabe angemessen, ansprechend und originell. Und: Diese Waldkathedrale wird von den Bürgern von Mehlmeisel und von den Touristen angenommen. Kein Wunder, dass bereits ein Förderverein mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, „dieses architektonische Schmuckstück als Plattform für mannigfaltige Aktivitäten im gesamten Gebiet der Euregio Egrensis zu entwickeln und zu nutzen“. 18 19 The Waldhaus Mehlmeisel After a small, architectural competition, a new forest information centre was built next to the old, existing forest museum on a hill north of the community of Mehlmeisel in the Fichtelgebirge (Germany’s Fichtel Mountains), 810m above sea level. The foundation stone was laid on 17 May 2004, and the new Waldhaus Mehlmeisel was opened on 22 July 2005. Peter Kuchenreuther and Martin Schinner, the architects of the new building, took great care to integrate the Waldhaus into its environment in terms of its material, its construction, and its appearance. As Kuchenreuther describes: ‘A house in the forest – a house for the forest – a house from the forest’. The first impression is formed by a carefully designed open space featuring a pond, log piles, and impressively shaped granite blocks that create a connection between the house and the forest’s edge. Another open space was established between the old and the new forest house, inviting various activities such as wildlife observation. The new building, with a total length of 55 m, is divided into three parts: the main building that features a large room for exhibitions and seminars or presentations; the outdoor workshop space with terrace; and the covered veranda. The cross section reveals another tripartite division – a modern variation of the basilica ground plan. The Waldhaus is divided into an ascending central nave and two lower side aisles. The whole building is lit by natural light coming through the glass-covered roof ridge. East of the central nave runs a pergola, from where the building can be accessed via ramps to suit the needs of the disabled. In order to create an analogy to the forest, the architects used sturdy timber trunks for the pergola. The western aisle holds the side rooms: a store room for chairs, sanitary facilities, a room for media equipment and the building’s technical centre, as well as the heater. As an environmental education centre for adult, school and kindergarten groups, the Waldhaus Mehlmeisel presents information about the different types of rock and the geological structure of the forest, its material cycle and its animals. Tourists and residents of Mehlmeisel have embraced this “forest cathedral” with equal enthusiasm. 20 21 BAUDATEN Planungsbeginn: Juli 2003 Baubeginn: April 2004 Eröffnung: Juli 2005 Gesamtnutzfläche: 498 m 2 Hauptnutzfläche: 278 m 2 Baukosten: 968.000,- Euro Peter Kuchenreuther, Martin Schinner WALDHAUS MEHLMEISEL DAS PLANUNGSTEAM Architekten: Peter Kuchenreuther, Architekt BDA Markt 14, 95615 Marktredwitz www.kuchenreuther-architekt.de Martin Schinner, Architekt Volker–Coiter–Straße 13 90482 Nürnberg Freianlagenplanung: Gisela Fanck, Hof Statik: Manfred Schinner, Mehlmeisel Elektroplanung: Klaus Walther, Kirchenpingarten Heizung/Lüftung/Sanitär: Wolfgang Graß, Marktredwitz Ausstellungskonzeption: Büro OPUS, Bayreuth Kunst am Bau: Wolfgang Stefan, Selb BAUHERR Gemeinde Mehlmeisel Rathausplatz, 95694 Mehlmeisel www.mehlmeisel.de STANDORT Waldhausstraße 100 95694 Mehlmeisel 22 BETEILIGTE FIRMEN Baumeister: Bauer, Erbendorf Zimmerer: Reichenberger, Fichtelberg Flaschner: Fleischer, Neuhaus am Rennweg Fliesen: Parakenings, Kulmain Estrich: Warkuß, Marktredwitz Schreiner: Meier, Bischofsgrün Parkett: Grüner, Tanna Verglasung: O. Lux, Roth Maler: Sirtl, Waldershof Trockenbau: Acus – Tro, Marktleuthen Elektro: Fischer, Bayreuth Sanitär: Lutz, Thurnau Ausstellung: Fa. Hüttinger, Schwaig / Nbg. ÖFFNUNGSZEITEN April bis Oktober: Di.-So. 10-17 Uhr November bis März: Sa./So./Feiertage 10-16 Uhr Gruppen jederzeit auf Voranmeldung 24.12./31.12./01.01. geschlossen www.waldhaus-mehlmeisel.de IMPRESSUM Herausgeberin: Nicolette Baumeister, Büro Baumeister Architektur, Medien & Kommunikation Karlstraße 55, 80333 München www.buero-baumeister.de Grafisches Konzept & Gestaltung: Büro Wilhelm. Kommunikation und Gestaltung, www.buerowilhelm.de Fotografien: Feig Fotodesign, Hohenberg/Eger www.feigfotodesign.de Text: Enrico Santifaller, Frankfurt/Main Redaktion: Nicolette Baumeister, München Assistenz: Katrin Helena Schobert Übersetzung: Lisa Curtis-Wendlandt, Berlin/Melbourne BÜRO WILHELM. VERLAG Koch–Schmidt–Wilhelm GbR Lederergasse 5, 92224 Amberg www.buerowilhelm.de/verlag ISBN 3-936721-78-5 1. Auflage 06/2006 © BÜRO WILHELM. VERLAG 23 BÜRO WILHELM. VERLAG ISBN 3-936721-78-5 3,00 E