Medizin | In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 Stellenwert der In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs Dr. Thomas Muley und Prof. Dr. Felix JF Herth, Thoraxklinik, Universitätsklinikum Heidelberg fotolia/SZ-Designs Hauptursache des Lungenkarzinoms ist mit über 80 % das inhalative Rauchen. Seit vielen Jahren ist Lungenkrebs eine der am häufigsten diagnostizierten bösartigen Erkrankungen des Menschen. Weltweit gibt es jährlich ca. 1,4 Millionen Neuerkrankungen. Im Jahr 2016 werden schätzungsweise über 50.000 Menschen in Deutschland diese Diagnose neu erhalten. Lungenkrebs ist sowohl bei Männern als auch bei Frauen eine der führenden krebsbedingten Todesursachen. Mit einer 5-JahresÜberlebensrate von unter 20 % hat Lungenkrebs eine der schlechtesten Prognosen.1 Gezielte therapeutische Ansätze, basierend auf der Analyse spezifischer Biomarker sowie der Einsatz hochsensitiver diagnostischer Verfahren sollen helfen, die Prognose von Lungenkrebspatienten zu verbessern. Wichtigste Säule für die Erkennung, Beurteilung und Behandlung von Lungenkrebs sind verschiedene bildgebende Verfahren. Darüber hinaus kann die In-vitroDiagnostik (Gewebediagnostik, molekulare Verfahren, Serummarker), insbesondere bei der Therapieauswahl, der Prognose und der Verlaufskontrolle, klinisch relevante Fragestellungen abdecken. Der Beitrag beschreibt den derzeitigen Stellenwert der In-vitro-Diagnostik beim Lungenkarzinom und zeigt mögliche zukünftige Potenziale auf. 4 Die Mehrzahl der Lungentumoren entwickelt sich aus den Zellen der Schleimhaut, die die Bronchien auskleidet. Hauptursache des Lungenkarzinoms ist mit über 80 % das inhalative Rauchen. Das Erkrankungsrisiko steigt mit der Dauer des Rauchens und der Anzahl der konsumierten Zigaretten. Für Aktivraucher ist das Lungenkrebsrisiko im Vergleich zu Nichtrauchern etwa 20-fach erhöht. Weitere Ursachen stellen das Passivrauchen und der Kontakt mit berufsbedingten Karzinogenen (z. B. Asbest, Quarzstäube, Arsen, Chromate, Nickel, aromatische Kohlenwasserstoffe) sowie mit Umweltschadstoffen (z. B. Dieselruß, Feinstäube, Radon) dar. Eine bessere Kenntnis der genetischen Prädisposition könnte in Zukunft Risikopatienten identifizieren.2 Problematische Früherkennung Lungenkarzinome verursachen in frühen Stadien selten Beschwerden und werden dann meist zufällig bei radiologischen Routineuntersuchungen entdeckt. In der Regel führen erst unspezifische Symptome wie anhaltender Husten, Atemnot, Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust zur Abklärung. Dann aller- dings besteht meist eine bereits fortgeschrittene Krebserkrankung. Derzeit sind fast 70 % der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung inoperabel und können lediglich in palliativen Therapieansätzen behandelt werden. Klassische serologische Tumormarker wie CEA, CYFRA 21-1, NSE, ProGRP oder SCC* sind für Screening oder Früherkennung des Lungenkarzinoms aktuell keine Alternative – aufgrund ihrer mangelnden Organspezifität und infolge unzureichender diagnostischer Effizienz (Sensitivität, Spezifität) bei geringer Prävalenz des Lungenkarzinoms in der Allgemeinbevölkerung. Dagegen wird derzeit geprüft, ob die sogenannte Niedrigdosis („low dose“) Computertomographie ein Verfahren darstellt, welches eine frühe Detektion in Hochrisikogruppen (z. B. Raucher) zulässt. Erste US-amerikanische Studien3 weisen darauf hin, Bestätigungsstudien werden in diesem Jahr publiziert. Diagnose und Differentialdiagnose Goldstandard für Diagnose und Differentialdiagnose aber auch für Staging, Therapiewahl Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 | In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs | Medizin und Verlaufskontrolle des Lungenkarzinoms sind die bildgebenden Verfahren RöntgenThorax, Computertomografie (CT), Positronenemissionstomografie (PET), Magnetresonanztomografie (MRT) und Sonografie, ergänzt durch histo- und molekularpathologische Untersuchungen (Abb. 1, 2).4,5 Die feingewebliche Einordung des Tumors liegt in der Verantwortung des Pathologen. Sie erfolgt in der Regel anhand von Gewebeproben, die bronchoskopisch, z. B. durch Zangenbiopsie, Kryobiopsie, Feinnadelbiopsie oder aber unter CT-gesteuerter perkutaner Nadelbiopsie gewonnen werden. Folgende Fragen sind zu klären: OEnthält die eingesandte Gewebeprobe Tumorzellen? Wenn ja: Sind diese gutoder bösartig? OWelche Krebsart liegt vor? OWelchen Differenzierungsgrad hat der Tumor (sogenanntes „Grading“)? OWelche Hinweise auf die Wachstumsgeschwindigkeit ergeben sich? OTragen die Krebszellen Merkmale, beispielsweise genetische Veränderungen oder Bindungsstellen für Wachstumsfaktoren und Hormone? Um möglichst sparsam mit den geringen Geweberessourcen umzugehen, können immunohistochemische Doppelfärbungen mit spezifischen Antikörpern zur Erhebung oder Bestätigung der histologischen Diagnose durchgeführt werden.6,7 Die histologische Typisierung folgt den Kriterien der WHO/IARC (Tab. 1). Zielmoleküle für die Differentialdiagnose sind: OMarker des Adeno-CA: Thyroid Transcription Factor (TTF)-1, Cytokeratin (CK) 7, Napsin A OMarker des Plattenepithel-CA: CK5/6, p40, p63 ONeuroendokrine Differenzierung: CD56, Synaptophysin, Chromogranin A, (NSE) OProliferationsmarker: Ki67 Empfindliche molekulare Techniken („Next Generation Sequencing“-Verfahren, Mikro- Verdacht auf Lungenkarzinom CT Thorax/ Oberbauch Bronchoskopie Keine Fernmetastasen, potenziell respektabel und operabel? ja ja Pleuraerguss? Konservative Therapie, ggf. Pleurodese ja nein nein Thorakoskopie nein nein PET-CT Konservative Therapie Zytologie positiv? ja ja Pleurakarzinose? Fernmetastasen? nein Vd. auf kontralateralen Lymphknotenbefall? ja Endobronchialer oder endoösophagealer Ultraschall mit Feinnadelbiopsie, Mediastinoskopie oder VATS nein Stadium IIIA3 oder IIIA4 ja N2-Status prätherapeutisch positiv? nein N3 positiv? nein Therapie gemäß Algorithmus NSCLC Stadium IIIA ja Therapie gemäß Algorithmus NSCLC Stadium IIIB Therapie gemäß Algorithmus NSCLC Stadium I/II bzw. bei postoperativ vorliegendem Stadium IIIA1 oder IIIA2 gemäß Algorithmus NSCLC Stadium IIIA Abb. 1: Empfohlener diagnostischer Ablauf beim Lungenkarzinom nach S3-Leitlinie array-basierte Genexpressionsanalysen, PCR-basierte Techniken, Analysen epigenetischer DNA-Veränderungen) erlauben neuerdings die molekulare Analyse von asservierten Gewebeproben und von zirkulierenden freien Nukleinsäuren (DNA, RNA) oder Tumorzellen im Blut. Die Validität für einen Routineeinsatz im diagnostischen Repertoire muss sich in den nächsten Jahren zeigen. Mangels Organspezifität gibt es keine zirkulierenden klassischen Tumormarker, die eine lokale Eingrenzung des Tumorgesche- hens auf die Lunge erlauben. Ihr Stellenwert in der Primärdiagnostik ist daher begrenzt.8 Dennoch können Tumormarkerpanel aus CYFRA 21-1, CEA, SCC, NSE und proGRP in Verbindung mit bildgebenden und histologischen Verfahren die Primärdiagnostik unterstützen, z. B. bei der ODifferenzierung zwischen maligner und benigner Lungenerkrankung9 OTypisierung zwischen kleinzelligem (SCLC) und nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC). Hier wird in jüngerer Zeit ProGRP als vielversprechender Marker für SCLC diskutiert.9–11 5 Medizin | In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 Bildgebung – unverzichtbar für die Erkennung, Beurteilung und Behandlung von Lungenkrebs. Abb. 2: Darstellung von Lungenkarzinomen mit bildgebenden Verfahren (Quelle: Thoraxklinik Heidelberg). (A) Röntgenbild mit Verdacht auf Tumor rechts, (B) CT mit Tumor im linken unteren Lungenlappen mit (C) korrespondierendem PET, (D) Tumor endobronchial. Stadieneinteilung Nach der Diagnose „Lungenkarzinom“ erfolgt anhand der Tumorgröße und dem lokalen Infiltrationsverhalten (T), der Lymphknotenbeteiligung (N) und eventueller Fernmetastasen (M) die Einteilung in ein Tumorstadium (TNM-Stadium). Das Stadium ist der aussagekäftigste prognostische Faktor für den Patienten und leitet das weitere therapeutische Vorgehen. Subtyp Varianten Plattenepithelkarzinom papillär klarzellig kleinzellig basaloid Adenokarzinom azinär papillär lepidisch (Unterformen: nicht-muzinös, muzinös, gemischt-muzinös) solides mit Schleimbildung Großzelliges Karzinom großzelliges neuroendokrines Karzinom basaloides Karzinom Adenosquamöses Karzinom Kleinzelliges Karzinom Karzinoidtumor Therapieselektion und -steuerung In der klinischen Routine werden im Rahmen der Primärdiagnostik (s. o.) kleinzellige (SCLC) und nicht-kleinzellige Lungenkarzinome (NSCLC) unterschieden, was auch die Therapieselektion steuert. SCLC: In der Behandlung des rasch wachsenden und frühzeitig metastasierenden SCLC ist eine Operation meist nicht zielführend. Hier stehen die primäre Chemound Strahlentherapie, simultan oder sequenziell im Mittelpunkt. Obwohl auch für das SCLC in jüngster Zeit zahlreiche genetische Veränderungen im Tumor als potenzielle Zielstrukturen beschrieben wurden,13,14 gibt es für diese Tumorentität noch keine zielgerichteten Therapien. Ein längerfristiges Überleben stellt trotz aller Anstrengungen eine Rarität dar, die meisten Patienten versterben innerhalb von zwei Jahren. typisches atypisches Tab. 1: Histologische Subtypen des Lungenkarzinoms 6 Die serologischen Tumormarker steigen mit zunehmendem TNM-Stadium generell an. Die Ergebnisse mehrerer Studien lassen allerdings nur die Aussage zu, dass hohe Markerwerte in der Regel auf späte Stadien hinweisen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind deshalb klassische Biomarker zum Stadiieren nicht hilfreich.12 NSCLC: Im frühen Stadium (Ia–IIIa) des NSCLC ist das Behandlungsziel die vollständige operative Enfernung des Tumors. In gewissen Stadien lässt sich mittels adjuvanter Chemotherapie ein längerfristiger Heilungserfolg erzielen. Hierfür könnte die Selektion von Patienten mit erhöhtem Rezidivrisiko (ca. 30–60 %) hilfreich sein. Für Tumormarker, wie z. B. CEA und ­CYFRA 21-1, wurde ein diesbezüglicher Nutzen für die Therapiestratifizierung beschrieben (Abb. 3).15-17 Diese einfach zu bestimmenden Parameter können gegenüber den alleinigen stadienbasierten Modellen einen deutlichen Vorteil bei der postoperativen Risikoklassifizierung liefern. Gewebebasierte Ansätze zur therapierelevanten Abschätzung eines Rezidivrisikos, z. B. Genexpressionsanalysen im Tumor, haben zu einer Vielzahl unterschiedlicher „Gensignaturen“ geführt, von denen sich jedoch bisher keine in der täglichen Routine etablieren konnte.18–21 Limitationen liegen in den hohen technischen, analytischen und bioinformatischen Anforderungen dieser Verfahren. Im fortgeschrittenen Tumorstadium (IIIa/b) erfolgt ohne Vorliegen von Metastasen eine Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie, im metastasierten Stadium oft eine alleinige Chemotherapie. Die Therapiesteuerung inoperabler Patienten wird meist durch die Ergebnisse der Histo- und Molekularpathologie definiert.22 Insbesondere beim Vorliegen eines Adenokarzinoms (Untergruppe des NSCLC) sind zusätzliche Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 | In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs | Medizin fotolia/Stefan Redel fotolia/bildlove Weitere Ursachen für Lungenkrebs: Umweltschadstoffe und berufsbedingter Kontakt mit Karzinogenen. molekulare Analysen am Tumorgewebe sinnvoll. Hierbei kommen neben der Standard-Sequenzierung nach Sanger und der Fluoreszenz In-situ-Hybridisierung (FISH) zunehmend Next-Generation-Sequencing (NGS)-Verfahren zum Einsatz, was die gleichzeitige Mutationsanalyse mehrerer Gene ermöglicht. Überlebenswahrscheinlichkeit (%) Da für zahlreiche Treibermutationen (EGFR, EML4-ALK, ROS1, BRAF, cMET, usw.) bereits selektive Wirkstoffe existieren, können die molekularpathologischen Ergebnisse direkt zu zielgerichteten Therapien („Targeted Therapy“, „Precision Medicine“) füh- Zeit (Monate) Abb. 3: Überlebenswahrscheinlichkeit operierter p-Stadium I-II NSCLC-Patienten in Abhängigkeit vom Tumormarkerindex (TMI) basierend auf prätherapeutischen CYFRA 21-1- und CEA-Werten.15 Erhöhte Werte eignen sich zur Empfehlung einer adjuvanten Chemotherapie. TMI ≤ 0,54 (n = 71, schwarze Linie) TMI > 0,54 (n = 174, graue Linie) ren.22,23 Das Cancer-Genome-Atlas-Projekt (TCGA) (www.TCGA.gov) hat durch die Sequenzierung aller wichtigen Tumorentitäten und Subhistologien einen wesentlichen Beitrag geliefert, der die Diagnostik und Therapie auch von Lungenkrebs zukünftig schneller voranbringen wird.13,14,24–26 Auch neuere Ansätze in Richtung Immuntherapie des Lungenkarzinoms mittels sogenannter „Checkpoint-Inhibitoren“ erfordern die Immunhistochemie. Parameter sind hierbei das „Programmed Death 1“ (PD1)-Protein oder die „PD-L1“ (Ligand 1)Antigenexpression im Tumorgewebe. Aktuell wird diskutiert, ab welchem Grad der Gewebeexpression eine Therapie erfolgversprechend erscheint. Die Anwendung erfolgt derzeit im Rahmen klinischer Studien. Aktuelle Entwicklungen bedienen sich im Rahmen der Therapieselektion des Nachweises spezifischer Mutationen durch sogenannte „Liquid Biopsy“ (besser: "Liquid Profiling") im Blut**. Diese Methode ist derzeit noch in der Entwicklung, bietet jedoch langfristig die Perspektive, herkömmliche Gewebeanalysen in definierten Bereichen der molekularen Tumorcharakterisierung zu ersetzen. Prognose Wie oben erwähnt ist das TNM-Stadium des Tumors der Prognoseparameter mit der höchsten Aussagekraft. Neben klinischen Faktoren wurde eine Vielzahl prognostisch relevanter Biomarker unterschiedlicher Substanzklassen beschrieben.27,28 Univariant sowie multivariant angelegte Studien weisen darauf hin, dass auch klassische Tumormarker zur Prognose des Tumorleidens herangezogen werden können.29 OB ei Patienten mit NSCLC haben das mehreren Studien für CYFRA 21-1, CEA oder deren Kombination gezeigt. Beispielsweise war in einer internationalen Multicenter-Studie die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bei normalen prätherapeutischen CYFRA 21-1-Konzentrationen signifikant besser als bei erhöhten Werten.30 Auch erhöhtes NSE zeigt eine ungünstige Prognose an, vor allem bei Patienten mit nachgewiesener Fernmetastasierung.30 OB ei SCLC-Patienten sind die Höhe der NSE- oder ProGRP-Spiegel sowie die Aktivität der LDH mitverantwortlich für die Prognose.9,31,32 Verlaufskontrolle Eine potenzielle Hauptindikation für den Einsatz der klassischen Tumormarker liegt in der Verlaufs- und Therapiekontrolle. Die Erfassung der Tumormarkerkinetik erlaubt eine objektive Einschätzung der therapeutischen Effektivität. Das posttherapeutische Monitoring kann auf eine Änderung des Tumorverhaltens hinweisen und der 7 Medizin | In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 Früherkennung eines Rezidivs dienen. Die Longitudinal-Beurteilung des Konzentrationsverlaufs serieller Markerbestimmungen ist ferner als differentialdiagnostisches Kriterium bei symptomatischen Patienten mit pathologischen Tumormarkerwerten indiziert (Abb. 4–6). Abhängig von der Primärhistologie empfiehlt sich Ofür SCLC: NSE vermutlich in Kombination mit ProGRP und CEA Ofür NSCLC: Cytokeratinmarker (z. B. CYFRA 21-1, SCC) und CEA. Abb. 4: Serielle CEA- und CYFRA 21-1-Analysen bei einem Patienten mit Adenokarzinom im rechten Oberlappen. Nach kurativer Lobektomie und mediastinaler Lymphknotendissektion (pT2N0M0/R0) fallen die Markerwerte in den Normbereich ab. Ca. 100 Tage nach Operation steigt CYFRA 21-1 im Gegensatz zu CEA wieder an, um ein Plattenepithelkarzinom als Zweittumor im linken Oberlappen anzuzeigen. Nach atypischer Segmentresektion und Lymphknotendissektion (pT1N1M0/ R0) fällt CYFRA 21-1 in Richtung Normbereich ab (Quelle: Thoraxklinik Heidelberg) Leider gibt es es zum Thema Verlaufskontrolle wenige systematische Untersuchungen. Erste Ergebnisse einer internationalen prospektiven Multicenterstudie zu ProGRP als Monitoring-Marker beim SCLC erscheinen vielversprechend.32 Eine weitere internationale Multicenterstudie setzt sich mit der Wertigkeit eines serologischen Multimarkerpanels in der Verlaufskontrolle des NSCLC auseinander. Hier ist mit ersten Ergebnissen frühstens 2017 zu rechnen. Grundsätzlich gilt: Zur korrekten Interpretation der Markerbewegungen bedarf es valider Kenntnisse über die Eliminationshalbwertszeit (1–8 Tage) und die Interassay-Varianz (bis 10 %) sowie die individuelle biologische Varianz. Bei Chemo-/ Radiotherapie ist die Freisetzung der Marker durch Zellnekrose, die zur kurzzeitigen Bildung sogenannter "Spikes" Anlass geben können, zu beachten Die Chemotherapie kann die Markersynthese aber auch ohne gleichzeitige Reduktion der Tumormasse unterdrücken.10 Fazit Abb. 5: Verlaufskontrolle eines mit Chemo- und Radiotherapie behandelten Patienten mit inoperablem Adenokarzinom (T4N3M1). Trotz partieller Remission steigen die CYFRA 21-1-Konzentrationen stetig und zeigen 60 Tage vor dem klinischen Befund die Progression an. Bemerkenswerterweise fallen die CEA-Werte kontinuierlich ab, sie weisen somit auf eine Tumorzellensubpopulation hin, die sensitiv auf die Chemo- bzw. Radiotherapie reagiert. PR= Partielle Remisson, NC = No Change (keine Änderung ggü. Vorbefund), PD = Progression, M = Metastase, Pfeile = Beginn eines Therapiezyklus, Dreiecke = Zeitpunkte der Bewertung (Quelle: Thoraxklinik Heidelberg) 8 Die In-vitro-Diagnostik hat im diagnostischen und therapeutischen Konzept des Lungenkarzinoms einen festen Stellenwert. Die Immunhistochemie steht zusammen mit der morphologischen Beurteilung im Zentrum der pathologischen Differenzial- Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 | In-vitro-Diagnostik beim Lungenkrebs | Medizin Literatur Abb. 6: Serielle NSE-Bestimmungen bei einem Patienten (männlich, 61 Jahre) mit SCLC, Oat-cell-Subtyp, im Stadium T4N2M1 (Metastase im Schädelknochen) unter Chemotherapie. Prätherapeutisch erhöhtes NSE fällt in den Normbereich ab. Noch in der Remissionsphase von ca. 300 Tagen steigt NSE mit einer Vorwarnzeit von ca. 50 Tagen vor klinischer Feststellung des Rezidives wieder an. PR = Partielle Remisson, CR = Komplette Remission, NC = No Change, PD =Progression, Pfeile 1–6 = Beginn der Therapiezyklen, Dreiecke = Zeitpunkte der Bewertung (Quelle Thoraxklinik Heidelberg) diagnose. Sanger-Sequenzierung und FISHAnalysen sind wichtige Größen in der molekularen Gewebe-Subtypisierung und dienen der Stratifizierung für zielgerichtete Therapieansätze. NGS- und HochdurchsatzVerfahren ersetzen zunehmend klassische molekulare Analysen im pathologischen Labor, sind aktuell jedoch noch vorwiegend in spezialisierten Zentren und im Rahmen von Studien anzutreffen. Der Einsatz klassischer Tumormarker in der klinischen Routine wird von Klinikern kontrovers diskutiert. Es ist unbestritten, dass Tumormarkerstimmungen nur dann sinnvoll sind, wenn aus dem Ergebnis Konsequenzen für Diagnostik oder Therapie abgeleitet werden können. Tumormarker können – als Einzelparameter oder als erweitertes Markerpanel – für folgende Anwendungsgebiete eine preisgünstige Alternative oder unterstützende Maßnahme darstellen: OUnterstützung der Bildgebung und Pathologie in der primären Diagnostik ORisikostratifizierung operierter NSCLCFrühstadien für eine adjuvante Chemotherapie OPerioperative Markeranalysen und serielle Analysen in der Nachsorge OVerlaufskontrolle des SCLC unter Chemo-/Radiotherapie anhand serieller NSE-/proGRP-Bestimmungen OVerlaufskontrolle inoperabler NSCLCPatienten unter Chemo-/Radiotherapie anhand serieller Analysen mit CYFRA 21-1, CEA (und SCC). * C EA: Carcinoembryonales Antigen CYFRA 21-1: Cytokeratinfragment NSE: Neuronspezifische Enolase SCC: Squamous cell carcinoma Antigen Pro-GRP: Pro-Gastrin-Releasing-Peptid **s . Artikel Laßmann, Werner „Flüssigbiopsie in der Molekularpathologie“ auf S. 10 in diesem Heft. 1EER Cancer Statistics Review (http://seer.cancer.gov/ CRS/1975_2012) 2Poirier JG et al: Genet Epidemiol (2015); 39: 197–206 3Pinsky PF et al: Cancer (2013); 119: 3976–3983 4Muley T et al: Transl Lung Cancer Res (2012); 1(2): 111–121 5Warth A, et al: Recent Results Cancer Res. (2015); 199: 71–84 6Warth A et al: Histopathology (2012); 61: 1017–1025 7Muley T et al: Transl Lung Cancer Res (2012); 1: 111–121 8Molina et al: Am J Respir Crit Care Med (2015); Oct 14. [Epub ahead of print] 9Holdenrieder S: Diagnostik im Dialog (2013); 42: 13–16 10Ebert W, Muley T. In: Drings, Dienemann, Wannenmacher (Eds.) Management des Lungenkarzinoms. Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New-York 2003, S. 136-146 11Korse CM et al: Clin Chim Acta (2015); 438: 388–395 12Ebert W et al: Tumordiagn Ther (1993); 14: 91–99 13Peifer M et al: Nat Genet (2012); 44: 1104–1110 14George J et al: Nature (2015); 524: 47–53 15Muley T et al: Lung Cancer (2008); 60: 408–415 16Muley T et al: Anticancer Res (2003); 23 (5B): 4085–4093 17Muley T et al: JTO 2015: S382 (Abstr. Mini 32.09) 18Roepman P et al: Clin Cancer Res. (2009), 15: 284–290 19Raponi M et al: Cancer Res (2006); 66: 7466–7472 20Beer DG et al: Nat Med (2002); 8: 816–824 21Bhattacharjee A et al: Proc Natl Acad Sci USA (2001); 98: 13790–13795 22Warth A et al: Eur Respir J (2014); 43(3): 872–883 23Morgensztern D. et al: J Thorac Oncol (2015); 10 (Suppl 1): S1–S63 24Hammerman PS et al: Nature (2012); 489: 521–525 25The Cancer Genome Atlas Research Network: Nature (2014); 511: 543–550 26Seidel D. et al: Sci Transl Med. 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