WS 2016/17 - Vorlesungsreihe Basiswissen Kinder

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WS 2016/17 - Vorlesungsreihe Basiswissen Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Entwicklungspsychopathologie
Frühe Kindheitstraumata, sex. Missbrauch,
Vernachlässigung, Misshandlung und ihre Folgen
12.1.2017
Prof. Jörg M. Fegert
Überblick
• Formen der Kindesmisshandlung
• Was ist ein Trauma?
• Posttraumatische Belastungsstörung &
Traumafolgestörungen
• Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch
und Recht
• Intervention & Traumatherapie
90 % aller Misshandlungsfälle werden nicht innerhalb von
Institutionen wahrgenommen
18
Millionen
Kinder von
sexuellem
Missbrauch
in Europa
derzeit
betroffen
Prävalenz sexueller Missbrauch in der europäischen Region: 9,6%
Mädchen 13,4 %, Jungen 5,7%
WHO Vergleich
Häufigkeiten und Konfidenzintervalle
Erziehungseinstellungen
• Bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe mittels
random route Verfahren: vom 20.01.2016 bis zum
16.03.2016
• Erfassung in ganz Deutschland (>14 Jahre)
• 2524 vollständige Datensätze erhoben
Plener, Rodens, Fegert, 2016
Das hat noch keinem Kind geschadet….
"Das hat noch keinem Kind geschadet..."
Tracht Prügel
gesamt 1,8 4,1
w 1,3 3
m 2,5
Ohrfeige
gesamt
82
9,5
86,2
5,4
15,3
8,3
w
5,9
m
Klaps auf Hintern
12,1
76,8
14,9
19,7
12,8
11
19,5
17,4
gesamt
10
14,2
27,3
26,2
20
stimme voll zu
30
32,2
13,6
30,4
0
51,6
26,8
23,8
m
61,8
20
26,8
w
57,2
40
stimme etwas zu
35,3
14,9
50
60
bin etwas dagegen
28,4
70
80
90
100
bin stark dagegen
Plener, Rodens, Fegert, 2016
Welche körperlichen Strafen sind in der
Erziehung von Kindern angebracht?
Körperliche Strafe
M (%)
W (%)
Gesamt (%)
X2; p
Klaps auf Hintern
558 (48,7)
569 (41,3)
1127 (44,7)
X2: 14,13; p<,001
Leichte Ohrfeige
258 (22,35)
172 (12,5)
430 (17,0)
X2: 44,79; p<,001
Schallende Ohrfeige
38 (3,3)
13 (0,9)
51 (2,0)
X2: 17,4; p<,001
Tracht Prügel mit Bluterguss
1 (0,1)
1 (0,1)
2 (0,1)
X2: 0,02; p=0,70
Mit Stock kräftig auf Po
7 (0,6)
4 (0,3)
11 (0,4)
X2: 1,49; p=0,18
Treten
0
0
0
Würgen
0
0
0
0 (0)
5 (0,2)
X2: 6,03; p=0,02
9 (0,7)
24 (1,0)
X2: 2,87; p=0,07
815 (59,1)
1393 (55,2)
X2: 18,80; p<,001
Schläge
mit
Gegenständen 5 (0,4)
(wie Gürtel, Bambusrohr)
Andere körperliche Bestrafung
Ablehnung
15 (1,3)
körperlicher 578 (50,5)
Bestrafung
Plener, Rodens, Fegert, 2016
Wann sind körperliche Stafen gerechtfertigt?
70
60
50
40
30
*
*
20
gesamt
eigene Kinder
10
0
*
keine eigenen Kinder
*= p<0,05
Plener, Rodens, Fegert, 2016
Selbst erlebte Erziehungsmethoden
19,1
20,2
23,1
Nichts davon
11,9
13,2
13,5
Niederbrüllen
15,3
17,4
16,7
Nicht mehr mit Ihnen reden
16,2
Taschengeldkürzung
30,5
30,6
40,6
Ausgehverbot
17,2
Fernsehverbot
47,8
47,1
44,7
3,5
3,4
1,5
Andere körperliche Bestrafung
Schläge mit Gegenständen (wie Gürtel,
Bambusrohr)
2,9
ab 61 Jahre
8,1
6,8
31-60 Jahre
0
0,3
0,2
Würgen
14-30 Jahre
0,8
1,4
2,5
Treten
Mit Stock kräftig auf Po
2,7
6,5
14,6
4,2
3,8
1,9
Tracht Prügel mit Bluterguss
Schallende Ohrfeige
10,4
24,5
19,6
Leichte Ohrfeige
43,2
30,8
Klaps auf Hintern
Plener, Rodens, Fegert, 2016
57,3
52,9
52,1
0
10
20
30
40
50
60
70,4
60,9
70
80
Überblick
• Formen der Kindesmisshandlung
• Was ist ein Trauma?
• Posttraumatische Belastungsstörung &
Traumafolgestörungen
• Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch
• Intervention & Traumatherapie
Was ist ein Trauma?
Traumatisches Lebensereignis
Extreme physiologische
Erregung
Flucht
Freeze
Fight
Traumasymptome
| 14
Reaktionen auf traumatischen Stress
LeDoux, Scientific American,
1994
Bei einer Traumatisierung laufen parallel zwei
unterschiedliche physiologische Prozesse ab
Übererregungs-Kontinuum
 Fight oder Flight
• Alarmzustand Wachsamkeit
• Angst/Schrecken
• Adrenalin System wird aktiviert
– Erregung
• Serotonerge System verändert
sich – Impulsivität, Affektivität,
Aggressivität
Dissoziatives-Kontinuum
 Freeze – ohnmächtige / passive
Reaktion
• Gefühlslosigkeit / Nachgiebigkeit
• Dissoziation
• Opioid System wird Aktiviert
Euphorie, Betäubung
• Veränderung der Sinnes,,Körperwahrnehmung (Ort, Zeit,
etc.)
Physiologisch
• Blutdruck  (Pulsrate  )
• Atmung 
• Muskeltonus 
• Schmerzwahrnehmung 
Physiologisch
• Pulsrate  Blutdruck 
• Atmung 
• Muskeltonus 
• Schmerzwahrnehmung 
Traumatischer Stress &
Gedächtnisbildung
Definition Traumatisches Ereignis (A-Kriterium)
– Person erlebte oder war Zeuge einer lebensbedrohlichen
traumatischen Situation
– Subjektiv: intensive Angst, Hilflosigkeit, Entsetzen
– Alarmreaktion (bei Kindern desorganisiertes oder agitiertes
Verhalten)
Traumatische Ereignisse:
– Unfall, Krieg, Folter, (sexueller) Missbrauch, körperliche
Angriffe, Naturkatastrophen, aber auch emotionale Traumata
(ständige Entwertung)
Traumatischer Stress & Gedächtnisbildung
Pathologische Repräsentation der
Traumaerinnerung
Keine chronologische Reihenfolge
Fragmentierte Erinnerung
Schwierigkeiten, das Erlebte in
Worte zu fassen
Erinnerung ist losgelöst von Raum
und Zeit
Intrusionen
Wiederkehrende belastende Erinnerungen in Bildern, Gedanken und
Träumen
mit allen sensorischen Details
Gefühl der akuten Bedrohung im Hier und Jetzt
Überblick
• Formen der Kindesmisshandlung
• Was ist ein Trauma?
• Posttraumatische Belastungsstörung &
Traumafolgestörungen
• Neurobiologische Prozesse
• Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch
• Intervention & Traumatherapie
Traumafolgestörungen
Psychotrauma
Akute
Belastungsreaktion
Anpassungsstörungen
Posttraumatische
Belastungsstörung
Komplexe Störungen
Akute Belastungsreaktion (F43.0)
Folge einer extremen psychischen Belastung,
keine geeignete Bewältigungsstrategie
Vorübergehend, Stunden bis max. Tage, in seltenen Fällen
Wochen.
Symptome in der Akutphase unterscheiden sich von denen der
anschließenden Verarbeitungsphase.
– Akutphase: wie betäubt mit Bewusstseinseinengung,
Wahrnehmungsstörung, Desorientiertheit , außerdem
kommen dissoziative Symptome vor, Ebenso starke
emotionale Schwankungen. Zusätzlich gibt es vegetativen
Reaktion, wie Schwitzen, Herzrasen oder Übelkeit.
– Verarbeitungsphase eher Wiedererleben Intrusionen, der
Ereignisse, in Form von Albträumen oder auch als sich
aufdrängende Erinnerungen, Flashbacks.
Hat zunächst keinen Krankheitswert, sondern ist eine normale
Reaktion der menschlichen Psyche auf eine außergewöhnliche
Erfahrung.
Anpassungsstörung (F43.2)
Diagnosekriterien für Anpassungsstörungen
A. Identifizierbare psychosoziale Belastung, von einem nicht
außergewöhnlichen oder katastrophalem Ausmaß; Beginn der
Symptome innerhalb eines Monats.
B. Symptome und Verhaltensstörungen, wie sie bei affektiven
Störungen (F3) (außer Wahngedanken und Halluzinationen), bei
der neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen (F4)
oder Störungen des Sozialverhaltens (F91) vorkommen können.
Die Kriterien einer einzelnen Störung werden aber nicht erfüllt.
Die Symptome können in Art und Schwere variieren.
C. Die Symptome dauern nicht länger als sechs Monate nach
Ende der Belastung oder ihrer Folgen an, außer bei der
längeren depressiven Reaktion (F43.21).
Diagnosekriterien PTSD (ICD-10: F43.1)
A. Die Betroffenen sind einem kurz oder lang dauernden Ereignis
oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder
mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das nahezu bei
jedem tief greifende Verzweiflung auslösen würde.
B.
Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der
Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen
(Flashbacks), lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume
oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln
oder mit ihr in Zusammenhang stehen.
C.
Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang
stehen, werden tatsächlich oder möglichst vermieden. Dieses
Verhalten bestand nicht vor dem belastenden Erlebnis.
ICD 10 Kriterien PTSD
D. Entweder 1. oder 2.
Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige
wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern.
2. Anhaltende Symptome einer erhöhten
psychischen Sensitivität und Erregung (nicht
1.
vorhanden vor der Belastung) mit zwei der folgenden Merkmale:
a.
b.
c.
d.
e.
Ein- und Durchschlafstörungen
Reizbarkeit oder Wutausbrüche
Konzentrationsschwierigkeiten
Hypervigilanz
erhöhte Schreckhaftigkeit
E. Die Kriterien B, C und D. treten innerhalb von sechs Monaten
nach dem Belastungsereignis oder nach Ende einer
Belastungsperiode auf. (In einigen speziellen Fällen kann ein
späterer Beginn berücksichtigt werden, dies sollte aber gesondert
angegeben werden).
Traumatypologie nach L. Terr (1991)
Typ – I - Trauma
› Einzelnes, unerwartetes, traumatisches
Erlebnis von kurzer Dauer.
› z.B. Verkehrsunfälle, Opfer/Zeuge von
Gewalttaten, Naturkatastrophen.
› Öffentlich, besprechbar
Symptome:
Meist klare sehr lebendige
Wiedererinnerungen
Vollbild der PTSD
Hauptemotion = Angst
Eher gute Behandlungsprognose
Typ – II - Trauma
› Serie miteinander verknüpfter
Ereignisse oder lang andauernde,
sich wiederholende traumatische
Erlebnisse.
› Körperliche sexuelle Misshandlungen
in der Kindheit, überdauernde
zwischen-menschliche
Gewalterfahrungen.
Nicht öffentlich
Symptome:
› Nur diffuse Wiedererinnerungen,
starke Dissoziationstendenz,
Bindungsstörungen
 Hohe Komorbidität, komplexe
PTSD
Sekundäremotionen (z.B. Scham,
Ekel)
Schwerer zu behandeln
Traumafolgestörungen
KindheitsTraumata
akute
Belastungsstörung
PTBS
Bindungsstörungen
Normale
Entwicklung
(Resilienz)
Depression
Suizidalität
+ Risikoverhalten
Substanzmissbrauch
Körperl. Erkrankungen
Fergusson et al. 1996, J Am Acad Child Adolesc Psychiatry.35:1365-74
Felitti et al. 1998, Am J Prev Med. 14:245-258
Houck et al. 2010, J Ped. Psychol, 35:473-483
Irish, Kobayashi & Delahanty 2010, J Ped Psychol 35:450-461
Oswald, Heil, & Goldbeck, J Ped Psychol. 2010, 35:462-72
Pears & Capaldi 2001, Child Abuse and Neglect 25:1439-61
u.v.m.
(Adipositas, Herz-Kreislauf,…)
Transgenerationale
Weitergabe (Opfer => Täter)
Misshandlung und psychische Gesundheit
Teicher, Am J Psychiatr, 2006
Konsequenzen: Psychische Erkrankungen
• Systematischer Review: 124 Studien
Emotionale
Misshandlung
OR
Vernachlässigung
OR
Depression
3,06
Depression
2,11
Angststörungen
3,21
Angststörungen
1,82
Essstörungen
2,56
Essstörungen
2,99
Drogenkonsum
1,41
Drogenkonsum
1,36
Suizidversuche
3,37
Suizidversuche
1,95
STD und
riskantes sex.
Verhalten
1,75
STD und
riskantes sex.
Verhalten
1,57
Norman et al., 2012
Konsequenzen: körperliche Erkrankung
Gesundheitsprobleme
AORs
95 %
Raucher
2,2
1,7 – 2,9
Adipositas (BMI ≥ 35)
1,6
1,2 – 2,1
Sexuelle, übertragbare Krankheiten in der 2,5
1,9 – 3,2
Vergangenheit
Ischämische Herzerkrankungen
2,2
1,3 -3,7
Irgendeine onkologische Erkrankung
1,9
1,3 – 2,7
Schlaganfall
2,4
1,3 – 4,3
Chronische Bronchitis oder Emphysem
3,9
2,6 – 5,8
Diabetes
1,6
1,0 – 2,5
Je eine Skelettfraktur
1,6
1,3 – 2,0
Hepatitis oder Ikterus
2,4
1,8 – 3,3
Fellitti et al., 1998
Volkswirtschaflicher Schaden
Deutschlandweite jährliche Folgekosten von Vernachlässigung,
Missbrauch und Misshandlung im Kindesalter:
11-30 Milliarden Euro
Habetha et al., 2012
Eine Kommune kann ihr Geld im Kinderschutz
„gut anlegen“
Jährliche gesamtwirtschaftliche
Traumafolgekosten
•
•
Tangible Kosten der Traumatisierung:
Gesundheitskosten, Kosten der Kinder- und Jugendhilfe,
Ausbildungsförderung, Wertschöpfungsverlust etc.:
335.421€
Bei 1,6 Mio. Betroffenen: 6.708€ Traumafolgekosten pro Fall und Jahr
Jährliche Kosten für die deutsche Gesellschaft durch Folgen von
Kindesmisshandlung/-missbrauch und Vernachlässigung
11 Mrd. €
Oder 134,54€ trägt jeder Bundesbürger jährlich.
Habetha S., Bleich S., Weidenhammer J., Fegert J.M.: A prevalence-based approach to societal costs occurring
in consequence of child abuse and neglect. Child and Adolescent Psychiatry and Mental Health 2012, 6:35
doi:10.1186/1753-2000-6-35
CANMANAGE: Missbrauchstypen
0
10
20
körperliche Misshandlung
N = 145
häusliche Gewalt
N = 136
Vernachlässigung
N = 120
emotionale Misshandlung
N = 101
sexueller Missbrauch
Prozent
30
40
50
60
N = 69
mehrere Formen von Missbrauch bei N = 175 (87%)
70
80
CANMANAGE: Missbrauchsfolgen II
0
5
Prozent
15
20
25
10
30
35
Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1)
N=45
N=35
Hyperkinetsche Störungen (F90 inkl. F90.1)
N=33
Ausscheidungsstörungen (F98)
Störung des Sozialverhaltens (F91)
N=30
N=17
Angst (F40, F93)
Affektive Störungen (F32, F34)
N=12
sonstige emotionale Störungen (F93.8)
N=10
Anpassungsstörungen (F43.2)
N=7
Tic (F95)
N=7
Zwang (F42)
Bindungsstörungen (F94)
40
N=2
N=1
komorbide Störung bei N = 50 (37,9%)
CANMANAGE: Missbrauchsfolgen I
34%
Resilient
mit psychischen
Auffälligkeiten
66%
etwa 1 Drittel bleibt resilient (N=69)
Überblick
• Formen der Kindesmisshandlung
• Was ist ein Trauma?
• Posttraumatische Belastungsstörung &
Traumafolgestörungen
• Kindesmisshandlung und
Kindesmissbrauch und ärztliches Handeln
• Intervention & Traumatherapie
VERBUNDPROJEKT
MEINE KINDHEIT – DEINE KINDHEIT
(TRANS-GEN)
Studie zur transgenerationalen Weitergabe von Missbrauchs-,
Vernachlässigungs- und Misshandlungserfahrungen
Förderzeitraum: Juni 2013 – März 2017
Gefördert durch:
Teilnehmende Mütter zum ersten Messzeitpunkt
N = 533
Alter der Mütter:
Range von 18 bis 44 Jahre, MD=32
Herkunftsland:
84% der Mütter und 85% der Väter aus
Deutschland
Familienstand:
98% verheiratet oder in Partnerschaft
lebend
Bildungsstand:
68,8 % Gymnasiumabschluss
22,9% Realschulabschluss
8,1% Hauptschulabschluss
0,2% kein Abschluss
Schwangerschaft:
54% erste Schwangerschaft
30,4% gesundheitliche Probleme
Prävalenz von Missbrauchserfahrungen in der
eigenen Kindheit
Emotionale Vernachlässigung
Körperliche Vernachlässigung
Emotionaler Misshandlung
Körperlicher Misshandlung
Sexueller Missbrauch
0,0%
6,4%
4,5%
5,3%
3,0%
1,1%
28,3%
49,0%
9,4%
15,0%
9,4%
3,2%
3,6%
16,1%
4,5%
1,9%
3,8%
1,7%
2,8%
5,8%
50,0%
17,4%
13,0%
Gesamt - repräsentative Erhebung in Deutschland
(Häuser et al., 2001)
wenig
moderat
schwer
10,1%
Gesamt Belastet
12,0%
10,3%
10,0%
20,0%
30,0%
40,0%
50,0%
60,0%
Warum sind Akteure des
Gesundheitssystems wichtige
Zugangswege?
• Leistungen von fast allen Frauen rund um Geburt
angenommen
• Bei jungen Eltern sind Hebammen und
niedergelassene Ärzte hoch akzeptiert
• Ärztliche Leistungen und Hebammenhilfe frühzeitig in
Anspruch genommen
Renner et al., 2010
Handlungsfelder
Liebhardt et al., 2013
• Ca. 53% unsicher im professionellen Umgang mit sex.
Missbrauch
„In welchen Bereichen fühlen Sie sich
unsicher?“
Anzahl und %-Anteil der
Gesamtstichprobe
Anzahl und %-Anteil aller med.-therap.
Berufe
Anzahl und %-Anteil aller päd. Berufe
in der Gesprächsführung mit
Erziehungsberechtigten
689 (64%)
275 (53%)
414 (75%)
im Umgang mit rechtlichen Vorschriften
670 (62%)
369 (71%)
301 (55%)
bei der Informationsweitergabe an weitere
Institutionen (z. B. Jugendamt, Polizei,
Staatsanwaltschaft)
654 (61%)
353 (68%)
301 (55%)
in der Gesprächsführung mit dem betroffenem
Kind/Jugendlichen
623 (58%)
249 (48%)
374 (68%)
im Erkennen von Auffälligkeiten und
Hinweiszeichen
532 (50%)
209 (40%)
323 (59%)
bei der Dokumentation des Sachverhalts
389 (36%)
207 (40%)
182 (33%)
bei der Informationsweitergabe an die
Einrichtungsleitung
278 (26%)
165 (32%)
113 (21%)
Bereiche
Liebhardt et al., 2013
Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG)
Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von
Kindern und Jugendlichen
Ziele:
- Frühe Hilfen und verlässliche Netzwerke schon für
werdende Eltern
- Nachhaltige Stärkung des Einsatzes von
Familienhebammen und der Netzwerke "Frühe Hilfen"
- Ausschluss einschlägig Vorbestrafter von Tätigkeiten in
der Kinder- und Jugendhilfe
- Verhinderung des "Jugendamts-Hopping"
- Befugnisnorm für Berufsgeheimnisträger zur
Informationsweitergabe an das Jugendamt
- Regelung zum Hausbesuch
 zahlreiche Änderungen im SGB VIII
Das Bundeskinderschutzgesetz
Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG):
•
•
§ 1 Kinderschutz und staatliche Mitverantwortung
§ 2 Information der Eltern über Unterstützungsangebote in
Fragen der Kindesentwicklung (durch Jugendhilfe)
• § 3 Rahmenbedingungen für verbindliche
Netzwerkstrukturen im Kinderschutz
• § 4 Beratung und Übermittlung von Informationen durch
Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung
 Abgestuftes Vorgehen bei Anhaltspunkten für eine
Kindeswohlgefährdung
Sind Akteure des Gesundheitswesen
gute Kooperationspartner?
• Befragung der NZFH Projektleiter
• Akteure des Gesundheitswesens haben
besten Zugang zu Hochrisikofamilien:
• Gynäkologen, Pädiater, Geburtskliniken
Renner, 2010
§ 4 KKG: Befugnisnorm
•
§ 4 Abs. 2 KKG:
•
Anspruch auf Beratung durch „insoweit erfahrene
Fachkraft“ bzgl. Gefährdungseinschätzung für
Berufsgeheimnisträger
unter Angabe pseudonymisierter Daten!
•
Aber was geschieht um 02.00h Samstag nachts in der
pädiatrischen Notaufnahme?
OPS 1-945: Diagnostik bei Verdacht auf
Gefährdung von Kindeswohl und
Kindergesundheit
• standardisierte und multiprofessionelle (somatische,
psychologische und psychosoziale) Diagnostik bei
Verdacht auf Kindesmisshandlung, -missbrauch und vernachlässigung sowie bei MünchhausenStellvertreter-Syndrom
• Mindestmerkmale: Multiprofessionelles Team (Ärzte,
Sozialarbeiter, Psychologen, Fachkräfte für
Gesundheits- und Kinderkrankenpflege) unter Leitung
eines Facharztes […]
OPS 1-945: Diagnostik bei Verdacht auf
Gefährdung von Kindeswohl und
Kindergesundheit
•
•
Mindestmerkmale: Mehrdimensionale Diagnostik von jeweils
mindestens 30 Minuten in mindestens 3 Disziplinen […] bzw.
solchen mit Expertise für Kinderschutz und/oder für Patienten
des Kindes- und Jugendalters […]
durch die oben genannten Berufsgruppen alle folgenden
Leistungen erbracht:
–
–
–
Ausführliche ärztliche oder psychologische diagnostische Gespräche
Verhaltens- und Interaktionsbeobachtung
Strukturierte Befunderhebung und Befunddokumentation unter
Verwendung spezifischer Anamnese- und Befundbögen
•
Durchführung von mindestens einer Fallbesprechung mit
mindestens 3 Fachdisziplinen zusammen mit einer Fachkraft
für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege mit
Dokumentation
•
Ggf. Kontaktaufnahme mit der Jugendhilfe
Was macht Kooperation so schwierig?
• Unterschiedliche Professionen und Zugänge erschweren
gemeinsame Haltung
• Mangelnde Ressourcen auf beiden Seiten
• Familiensysteme halten Kontakte oft nicht aufrecht
• Kommunikation verläuft oft in Triaden (Familie, JA, Medizin,
Institutionen).
• Komplexe Symptomatik (Betroffene und Familiensysteme)
• Häufig vergleichsweise geringer Behandlungswunsch,
Wunsch nach Hilfen
Überblick
• Formen der Kindesmisshandlung
• Was ist ein Trauma?
• Posttraumatische Belastungsstörung &
Traumafolgestörungen
• Kindesmisshandlung und
Kindesmissbrauch und Recht
• Intervention & Traumatherapie
KINDESWOHLGEFÄHRDUNG
Definition BGH in Zivilsachen: Prognosefrage
Kindeswohlgefährdung wird definiert als …
„eine gegenwärtige, in einem solchen Maße
vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren
Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit
ziemlicher Sicherheit voraussagen lässt“
Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 14.
Juli 1956 (BGH FamRZ 1956, S. 350).
Problem: Statistische Prognose
(Riskochecklisten) vs. Individualprognose im
Einzelfall
Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz
(KKG): § 4 Beratung und Übermittlung von Informationen
durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung
(1)Werden
1. Ärztinnen oder Ärzten, Hebammen oder Entbindungspflegern
oder Angehörigen eines anderen Heilberufes, der für die
Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine
staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
2. Berufspsychologinnen oder -psychologen mit staatlich anerkannter
wissenschaftlicher Abschlussprüfung,
3. Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberaterinnen oder -beratern sowie
4. Beraterinnen oder Beratern für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von
einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts
anerkannt ist,
5. Mitgliedern oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den
§§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,
6. staatlich anerkannten Sozialarbeiterinnen oder -arbeitern oder staatlich
anerkannten Sozialpädagoginnen oder -pädagogen oder
7. Lehrerinnen oder Lehrern an öffentlichen und an staatlich anerkannten privaten
Schulen
Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz
(KKG): § 4 Beratung und Übermittlung von Informationen
durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung
… in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige
Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder
eines Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind oder
Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten die
Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den
Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von
Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des
Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.
Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz
(KKG): § 4 Beratung und Übermittlung von Informationen
durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung
(2) Die Personen nach Absatz 1 haben zur Einschätzung der
Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen
Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit
erfahrene Fachkraft. Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser
Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln; vor
einer Übermittlung der Daten sind diese zu
pseudonymisieren.
Überblick
• Formen der Kindesmisshandlung
• Was ist ein Trauma?
• Posttraumatische Belastungsstörung &
Traumafolgestörungen
• Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch
und Recht
• Intervention & Traumatherapie
Grundsätze der Psychotherapie traumatisierter
Patienten (nach Butollo 1998)
INTEGRATION
Annahme des
Traumas, der Veränderung
KONFRONTATION
Erlebnisaktivierung:
kognitive Verarbeitung
und emotionale Bewältigung
SICHERHEIT, STABILISIERUNG
Symptomerkennung, Ressourcenaktivierung, Stressbewältigung,
Vermeidungsverhalten reduzieren
Primat des Kinderschutzes
Eine Retraumatisierung muss ausgeschlossen werden!
• anhaltende Misshandlung, Vernachlässigung oder sex. Missbrauch
• vermeidbare Exposition mit Schlüsselreizen (z.B. Bedrohungen
durch den Täter)
Problembereiche: Loyalitätskonflikt & Umgangsrecht
⇒ Sicherheit vor Psychotherapie!
Alternative Behandlungsansätze
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– Kognitiv-behaviorale Therapie TF-KVT
– EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
– Narrative Expositionstherapie
Color your body
Narrative Expostionstherapie (NET)
Schauer, Neuner, Elbert, 2005
Lifeline als Traumalandkarte
Seil als Symbol für das
Leben
Blumen als Symbole für
gute Ereignisse
Steine als Symbole für
schlechte Ereignisse
EMDR
Eye Movement Desensitization and Reprocessing
(nach Francine Shapiro)
„Eine EMDR-Sitzung ist vergleichbar mit einer Zugreise: Die
Patientinnen und Patienten fahren noch einmal an dem
Geschehen vorbei – aber aus sicherer Distanz und in Begleitung
ihrer Therapeutinnen bzw. Therapeuten. Im weiteren Verlauf der
Sitzung verblasst die belastende Erinnerung Stück für Stück und
die Symptome des Traumas werden aufgelöst.“
(www.emdria.de)
Fazit
alle hormonellen Systeme sind aktiv:
• Dysregulation in der HPA Achse, mit Hypocortisolismus und
=> lebenslang anfällig für Stress
• Erhöhung von Noradrenalin im Synaptischen Spalt =>
Hyperarousal, Flashbacks, hohe Herzfrequenz
• Verringerte Rezeptorbindung von Serotonin=> Flashbacks
• Veränderte Gehirnstrukturen
Komplexität der Belastung bei geflohenen
Kindern und Jugendlichen
Ursprungsland:
Flucht:
Traumatisierung,
Trennungen,
Verlusterlebnisse
Beziehungsabbrüche,
Verlust des
biographischen
Kontinuums,
Traumatisierung
während der
Flucht
Gastland:
Irritation durch
fremde Kultur,
Wechsel des
Aufenthaltsortes,
Beziehungsabbrüche,
Spracherwerb,
Schule/ Ausbildung,
Diskriminierung,
unklarer
Aufenthaltsstatus,
Sorge um Familie,
materielle Sorgen
Zukunft?
Häufig multiple Traumata in der Vergangenheit, hohe Belastung
in der Gegenwart und eine ungewisse Zukunft
Fegert et al., 2015; Recht Jugend Bildungswesen
Hebebrand et al., 2016; European Child Adolescent Psychiatry
Versorgungsmodell:
Traumapädagogik + Traumatherapie
Resiliente Kinder und
Jugendliche
Trauma
S
C
R
E
E
N
I
N
G
Traumapädagogik
Frgl.
Therapiebedarf
Outcome
Evaluation
Klinische
Diagnostik
Traumatherapie
Workbook
Text
UNICEF-Tag am 25. März 2017
DGKJP-Kongress
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/
Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm
Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Jörg M. Fegert
Steinhövelstr. 5
89075 Ulm
www.uniklinik-ulm.de/kjpp
www.deutsche-traumastiftung.de
www.comcan.de
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