6.4 Hämodynamik: Physik des Kreislaufs

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6.4 Hämodynamik: Physik des Kreislaufs
riolen) bei einer Erhöhung von Ptm mit einer Kontraktion.
Auf zellulärer Ebene kommt es dabei durch die Öffnung
von mechanosensitiven Kationenkanälen zu einer Depolarisation, die ihrerseits einen Einstrom von Ca2 + -Ionen
über spannungsgesteuerte Ca2 + -Kanäle auslöst. Die daraus resultierende aktive, myogene Tonusentwicklung
verringert den Gefäßradius sogar unter seinen Ausgangswert. Damit wird die tangentiale Wandspannung wieder
in die Nähe ihres Anfangswerts zurückgeführt
(▶ Abb. 6.8).
Das Gefäßsystem
Der Wandaufbau der Blutgefäße entspricht ihrer Funktion:
im Hochdrucksystem dickwandig mit ausgeprägter Gefäßmuskelschicht, im Niederdrucksystem besonders dehnbar.
Durch die zunehmende Aufteilung des Gefäßbaums
nehmen der Gesamtgefäßquerschnitt und die Gesamtoberfläche der Gefäßwände zu und erreichen in den Venolen und kleinen Venen der Mikrozirkulation ihr Maximum.
Wachstumsvorgänge im Gefäßsystem können durch
Angiogenese, Vaskulogenese und Arteriogenese erfolgen.
Dabei spielen endothelspezifische Wachstumsfaktoren eine
große Rolle.
Die 3 Schichten der Gefäßwand erfüllen spezifische
Funktionen:
● Das Endothel fungiert als regulierbare Barriere für die
Passage von Molekülen, regelt die Adhäsion von Zellen,
initiiert die Angiogenese und reguliert die lokale Gerinnung und Gefäßmuskeltonus.
● Die glatte Gefäßmuskulatur bestimmt über den Phosphorylierungsgrad der leichten Kette des Myosins die Gefäßweite und erzeugt den myogenen Basaltonus.
● Die Adventitia trägt über Vasa vasorum zur Blutversorgung der Gefäßwand bei.
6.4 Hämodynamik: Physik des
Kreislaufs
6.4.1 Druck, Stromstärke und
Widerstand
Für die Strömung des Blutes durch das Gefäßsystem gelten die allgemeinen Strömungsgesetze der Physik. Das
vom Herzen ausgeworfene Blut fließt infolge der arteriovenösen Druckdifferenz durch den peripheren Widerstand ab und wird entsprechend den regionalen Strömungswiderständen auf die Organe verteilt.
Nach dem Ohm-Gesetz
ð6:4Þ
nimmt das Stromzeitvolumen (Stromstärke) linear mit
der treibenden Druckdifferenz ΔP zu und mit dem Strö-
Die Gefäßinnervation (Vasomotoren) ist in den großen Gefäßen der terminalen Strombahn am dichtesten. Sie bewirken meist eine sympathisch-adrenerg vermittelte Vasokonstriktion und bestimmen den Ruhetonus und damit die
Durchblutungsreserve der Gefäße.
Der transmurale Druck (= Differenz zwischen intra- und
extravasalem Druck), der Innenradius des Gefäßes und seine Wanddicke erzeugen die tangentiale Wandspannung
und bestimmen den passiven Dehnungszustand eines Gefäßes. Die passive Dehnbarkeit entspricht dem Verhältnis
aus Volumenänderung zu Änderung des transmuralen
Drucks und wird als Compliance bezeichnet; ihr Kehrwert
ist der Volumenelastizitätskoeffizient. Die Compliance des
venösen Systems ist 200-mal größer als die des arteriellen
Systems.
Terminale Arterien und Arteriolen reagieren auf passive
Dehnung mit einer myogenen Kontraktion (Bayliss-Effekt);
diese Reaktion ist die Grundlage der Autoregulation der
Durchblutung, die in Niere, Gehirn und Darm besonders
ausgeprägt ist.
6
mungswiderstand R ab. Der bei der Strömung zu überwindende Widerstand entsteht durch Reibung der strömenden Flüssigkeit mit der Gefäßwand sowie durch die
innere Reibung der strömenden Flüssigkeit selbst.
Die Tätigkeit des linken Ventrikels, der in Ruhe etwa
60–80-mal pro Minute ein Schlagvolumen von etwa 70–
80 ml und damit ein Herzzeitvolumen (HZV) von etwa
5,6 l/min (3,4 l/min pro m2 Körperoberfläche) auswirft,
erzeugt in der Aorta einen Druck (Pa) von im Mittel etwa
100 mmHg (= 13,3 kPa), durch den der Strömungswiderstand des Gefäßsystems des Körperkreislaufs (totaler peripherer Widerstand, TPR) überwunden wird. Das Blut
kehrt unter einem sehr niedrigen Druck (zentralvenöser
Druck Pv) von etwa 2–4 mmHg (0,3–0,5 kPa) in den rechten Vorhof zurück. Die für den Körperkreislauf entscheidende Druckdifferenz zwischen Aorta und rechtem Vorhof beträgt somit etwa 97 mmHg (ca. 12,9 kPa). Für den
großen Kreislauf gilt demnach
223
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M
●
Zusammenfassung Kap. 6.3
∆P
Q_ ¼
R
Diese als Bayliss-Effekt bezeichnete myogene Antwort
von Widerstandsgefäßen findet nur in einem mittleren
Dehnungsbereich statt und ist nicht in allen Organgebieten gleich ausgeprägt. Die Vasa afferentia der Niere und
die arteriellen Gefäße des Gehirns und des Darms zeigen
auf Änderung der transmuralen Druckdifferenz eine besonders deutliche myogene Reaktion. Sie ermöglicht die
sog. Autoregulation der Durchblutung in diesen Organen und ist u. a. auch für die lokale Durchblutungsregulation bei Änderungen der Körperlage (S. 252) von Bedeutung.
HZV ¼
Pa –Pv
TPR
ð6:5Þ
Für den totalen peripheren Widerstand ergibt sich ein
Wert von etwa 17,3 mmHg · l−1 · min (2,3 kPa · l−1 · min).
Die analoge Berechnung für den Lungenkreislauf (S. 259)
ergibt bei enem mittleren Druck in der Pulmonalarterie
von etwa 15 mmHg (2,0 kPa) und im linken Vorhof von
etwa 5 mmHg (0,7 kPa) einen Gesamtwiderstand von
etwa 1,8 mmHg · l−1 · min (0,24 kPa · l−1 · min). Der linke
Ventrikel fördert also das gleiche Blutvolumen pro Zeit
wie der rechte Ventrikel, aber gegen einen rund 10-mal
höheren Strömungswiderstand und daher auch mit wesentlich höherem Arbeitsaufwand; dem entspricht auch
seine größere Muskelmasse.
6.4.2 Arterieller Blutdruck
Der Druck in der Aorta zeigt entsprechend der zeitlichen
Abfolge von Systole und Diastole des linken Ventrikels
deutliche Pulsationen (▶ Abb. 6.9). Dem steilen Druckanstieg bei Auswurf des Schlagvolumens folgt nach Überschreiten eines Druckmaximums (systolischer Blutdruck
PS) die Inzisur, die durch eine Strömungsumkehr unmit-
6
Abb. 6.9 Schematische Darstellung des arteriellen Druckpulses.
a Definition des arteriellen Mitteldrucks (violette Flächen über
der Mitteldrucklinie gleich groß wie die darunter), des
systolischen und des diastolischen Blutdrucks.
b Erhöhung des Schlagvolumens führt überwiegend zur
Steigerung des systolischen Blutdrucks (Pfeil).
c Erhöhung des totalen peripheren Widerstandes steigert
überwiegend den diastolischen Blutdruck (Pfeil).
224
telbar vor dem Schluss der Aortenklappe verursacht wird.
Nach einem zweiten kleinen Druckanstieg (Dikrotie), der
durch die Reflexion der Druckwelle in der Kreislaufperipherie verursacht wird, fällt der Druck infolge des Abströmens des Blutes aus dem arteriellen Windkessel bis auf
ein Minimum (diastolischer Blutdruck PD) ab. Die Amplitude des Druckpulses (= systolischer Bludruck–diastolischer Blutdruck) beträgt beim gesunden Erwachsenen
in körperlicher Ruhe etwa 40 mmHg = 5,4 kPa (PS ca. 120,
PD ca. 80 mmHg). Der über die Zeit gemittelte Druck (arterieller Mitteldruck) liegt, wie ▶ Abb. 6.9 zeigt, nicht genau in der Mitte zwischen PS und PD, sondern ist wegen
der Asymmetrie des Druckpulses etwas niedriger.
Der Druck in der Aorta hängt von der Größe des
Schlagvolumens und des totalen peripheren Widerstandes ab. Eine Steigerung des Schlagvolumens führt zu
einer Zunahme der Druckamplitude und damit des systolischen Drucks bei annähernd gleichbleibendem diastolischem Druck, während eine Steigerung des peripheren
Widerstandes den systolischen und diastolischen Druck
gleichermaßen erhöht (▶ Abb. 6.9). Form und Amplitude
des Druckpulses in der Aorta werden außerdem wesentlich von der Dehnbarkeit des arteriellen Gefäßsystems
beeinflusst. Aorta und große Arterien wirken während
der Ventrikelsystole wie ein Windkessel (▶ Abb. 6.10), indem sie die durch das Herz erzeugten Druckschwankungen dämpfen. Je steifer daher die Arterien, desto größer
ist die Blutdruckamplitude. Da sich die Dehnbarkeit der
Arterien nicht akut ändert, kann die Blutdruckamplitude
Abb. 6.10 Windkesselwirkung der Aorta. Der ansteigende
Druck während der Austreibung des Schlagvolumens führt zu
passiver (hier übertrieben gezeichneter) Dehnung der Aorta
(links). Das dabei gespeicherte Volumen fließt nach Schluss der
Aortenklappe weiter in die Kreislaufperipherie (rechts). Die
Windkesselwirkung erstreckt sich über die gesamte Aorta und
die großen Arterien, nicht nur (wie hier gezeichnet) über den
Aortenbogen.
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Das Kreislaufsystem
6.4 Hämodynamik: Physik des Kreislaufs
als ein qualitatives Maß des Schlagvolumens des Ventrikels gelten. Bei vermindertem Herzschlagvolumen findet
man daher auch eine verminderte Blutdruckamplitude,
z. B. nach einem Blutvolumenverlust.
Indirekte Methode
b
●
Mit der klinisch üblichen, indirekten Methode wird der
Blutdruck nicht in der Aorta, sondern in einer großen Leitungsarterie (A. brachialis, A. femoralis) gemessen
(▶ Abb. 6.11). Eine um den Oberarm (Oberschenkel) gelegte Manschette wird aufgeblasen, bis der Manschettendruck M sicher über dem erwarteten systolischen Druck
liegt (Verschwinden des Radialis-Pulses), und dann langsam (2–4 mmHg/s) wieder abgelassen. Liegt der Manschettendruck zwischen PS und PD, so hört man bei der
gleichzeitigen Auskultation der Brachial-Arterie distal der
Manschette charakteristische Klopfgeräusche (sog.
Korotkoff-Geräusche). Diese enstehen, weil nur während
der arteriellen Druckspitzen Blut in die peripheren Gefäße einströmen kann und deshalb eine turbulente Strömung entsteht. Unterschreitet der Manschettendruck
den diastolischen Druck, so verschwinden die Geräusche
oder werden merklich leiser (sofern man nicht durch zu
festes Andrücken des Stethoskops das Gefäß komprimiert). Aus Gründen, die weiter unten (Orthostase)
(S. 252) besprochen werden, sollte dabei der Messort
etwa in Herzhöhe liegen; wenn man am Oberschenkel
misst, sollte der Patient daher liegen.
Die ambulante 24-h-Blutdruckmessung spielt für die
klinische Diagnostik der arteriellen Hypertonie eine große Rolle, denn wie viele andere physiologische Größen
(S. 597) unterliegt auch der arterielle Blutdruck einer
zirkadianen Rhythmik (▶ Abb. 6.12a). Dabei sinkt der
Blutdruck nachts deutlich ab. In der Frühphase der Entwicklung einer Hypertonie ist insbesondere diese
Nachtabsenkung abgeschwächt oder fehlt ganz
(▶ Abb. 6.12b).
Die dargestellte indirekte Methode wird nach ihrem
Beschreiber Riva-Rocci benannt; daher werden im klinischen Sprachgebrauch die Angaben des systolischen
und diastolischen Drucks meist mit „RR“ abgekürzt (typische Eintragung im Krankenblatt: „RR 120/80“).
Direkte Methoden
6
Abb. 6.11 Indirekte Blutdruckmessung nach Riva-Rocci. Geräusche entstehen, wenn der Manschettendruck M den systolischen Blutdruck (PS) unterschreitet (b), und werden wieder
leiser oder verschwinden, wenn der diastolische Blutdruck (PD)
unterschritten wird (d).
Präziser als diese indirekte sind die direkten Methoden,
bei denen eine Kanüle in eine Arterie eingestochen und
mit einem Druckmessgerät verbunden oder ein sog. Kathetertipmanometer in das Gefäß eingeführt wird. Diese
invasiven Verfahren sind jedoch besonderen Situationen
(z. B. Intensivmedizin, Herzkatheteruntersuchung) vorbehalten.
225
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6.4.3 Blutdruckmessung
Abb. 6.12 Ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung. Dargestellt sind zwei typische 24-Stunden-Blutdruckprofile einer Person mit
normalem systolischen (PS) und diastolischen (PD) arteriellen Blutdruck (a) und einer Person im Frühstadium einer Hypertonie (sog.
„borderline“ Hypertonie; b). Der Verlust des zirkadianen Rhythmus und damit der Nachtabsenkung des Blutdrucks geht häufig der
Entwicklung eines dauerhaft erhöhten arteriellen Blutdrucks voraus.
6
6.4.4 Zentralvenöser Druck
Als zentralvenöser Druck (ZVD) wird der im rechten Vorhof herrschende Blutdruck bezeichnet; er ist dem Druck
in den großen herznahen Venen (V. cava superior und V.
cava inferior) praktisch gleich. Die Höhe des zentralvenösen Drucks hängt vor allem vom Füllungsvolumen des
venösen Systems ab, d. h. von der Größe des Blutvolumens.
Übermäßige Transfusion führt zu einer Zunahme, Blutvolumenverlust zu einer Abnahme des zentralvenösen
Drucks. Die kontinuierliche Beobachtung des Drucks in
den zentralen Venen, z. B. über einen Katheter in der V.
cava thoracalis, ermöglicht daher eine indirekte Überwachung des Blutvolumens. Ein erhöhter Füllungszustand
der großen Halsvenen kann auch auf das Vorliegen einer
Herzinsuffizienz hinweisen, bei der es typischerweise zu
einer Zunahme des Blutvolumens infolge einer renalen
Flüssigkeitsretention kommt.
Der zentralvenöse Druck zeigt wegen der rhythmischen Tätigkeit
des Herzens (▶ Abb. 6.31) und der Atmung charakteristische
Schwankungen. Bei der Inspiration fällt der Druck im Thorax und
damit auch im rechten Vorhof; umgekehrt erhöht sich der Druck
im Thorax und im rechten Vorhof bei der Exspiration. Diese atemabhängigen Druckschwankungen werden bei forcierter Atmung
(gegen erhöhten Atemwiderstand) deutlicher. Daher schwellen die
großen sichtbaren Halsvenen beim Oboisten im Orchester ebenso
wie beim schreienden Säugling sichtbar an.
226
ßend auf die verschiedenen Organe. In körperlicher Ruhe
(▶ Abb. 6.13 links) entfallen die größten Anteile des Herzzeitvolumens auf Leber- und Darmkreislauf (20–25 %),
Niere (20 %) und Skelettmuskel (15–20 %). Diese Verteilung verändert sich bei körperlicher Arbeit (▶ Abb. 6.13
rechts), weil der Strömungswiderstand in der arbeitenden Muskulatur (S. 256) stark abfällt, in anderen Organen
dagegen u. U. sogar zunimmt.
▶ Widerstände der einzelnen Organkreisläufe. Diese
hängen von dem Verzweigungsgrad des jeweiligen arteriellen und venösen Gefäßbaums und von dem dort vorliegenden Tonus der glatten Gefäßmuskulatur ab. Nach
den Kirchhoff-Regeln addieren sich für hintereinander
geschaltete Gefäßabschnitte die Einzelwiderstände, für
parallel geschaltete Gefäßabschnitte die Leitwerte (Kehrwerte der Widerstände). Der Gesamtwiderstand eines
Gefäßbaums lässt sich daher ermitteln, wenn man die
Einzelwiderstände aller Gefäßsegmente kennt.
In jedem einzelnen Gefäßabschnitt mit dem Radius r
und der Länge l errechnet sich der Strömungswiderstand
R, der durch die innere Reibung (Viskosität η) der strömenden Flüssigkeit entsteht, nach
R¼
8
l
4
r
ð6:6Þ
Durch Kombination mit dem Ohm-Gesetz(= ΔP/R) ergibt
sich das Hagen-Poiseuille-Gesetz:
4
6.4.5 Strömungswiderstand
1 r
Q_ ¼ ∆P 8 l
Der linke Ventrikel wirft das Herzzeitvolumen gegen den
totalen peripheren Widerstand aus. Entsprechend den
recht unterschiedlichen regionalen Strömungswiderständen verteilt sich das ausgeworfene Volumen anschlie-
Die wesentliche Aussage dieser Gleichung ist, dass bei
einer gegebenen Druckdifferenz ΔP die Höhe der Durchblutung vor allem vom Gefäßradius (r4) bestimmt wird.
ð6:7Þ
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Das Kreislaufsystem
Abb. 6.13 Verteilung des Herzzeitvolumens (HZV) in Ruhe
und bei körperlicher Arbeit auf die verschiedenen Organe. Die
Flächen der Pfeile entsprechen dem prozentualen Anteil der
Organdurchblutung am gesamten HZV. Die Fläche „Lunge“
macht deutlich, dass das HZV bei Arbeit natürlich viel größer ist
als in Ruhe. Der Löwenanteil des HZV fließt nun durch die
arbeitende Skelettmuskulatur, und auch die Herz-(Koronar-)
und Hautdurchblutung sind angestiegen, während die Nierenund Darmdurchblutung abgesunken sind (▶ Abb. 6.35).
Damit erhält die Regulierung des Gefäßradius durch die
glatte Muskulatur eine dominierende Bedeutung für die
Regulation der Durchblutung. Erst in zweiter Linie hängt
die Durchblutung von der Viskosität des Blutes ab.
▶ Verteilung des Strömungswiderstandes. Der größte
Teil des peripheren Widerstandes ist in den präkapillären
Arteriolen und kleinen Arterien lokalisiert (▶ Abb. 6.14),
die daher auch als Widerstandsgefäße bezeichnet werden. Der Anteil insbesondere der venösen Gefäße am
totalen peripheren Widerstand des Kreislaufsystems ist
dagegen vergleichsweise gering.
Die Größe der Durchblutung in den verschiedenen Organen und ihre Verteilung innerhalb eines Gewebes werden somit weitgehend durch Veränderung des Arteriolendurchmessers reguliert. Die Durchblutungsregulation
erfolgt im Wesentlichen über eine Regulation des Muskeltonus kleiner Arterien und Arteriolen.
▶ Intravasales Druckprofil. Da die Stromstärke in allen
hintereinandergeschalteten Abschnitten des Gefäßsystems gleich (Kontinuitätsprinzip), der Strömungswiderstand aber verschieden ist, muss sich nach dem Ohm-Gesetz auch eine typische Verteilung der intravasalen Drücke im Kreislaufsystem ergeben (▶ Abb. 6.14). Erwartungsgemäß findet in den großen Leitungsarterien nur
Abb. 6.14 Die Verteilung des Blutdrucks in den verschiedenen
Abschnitten des Gefäßsystems (rote Kurve) ist ein Spiegelbild
des jeweiligen Anteils am gesamten Strömungswiderstand.
Der größte Druckabfall findet sich in den Gefäßabschnitten mit
dem höchsten Teilwiderstand.
6
ein relativ geringer, in den kleinsten Arterien und Arteriolen jedoch ein sehr großer Druckabfall statt. Während
in kleinen Arterien von etwa 100 µm Innendurchmesser
ein Druck von etwa 70–80 mmHg (9–10 kPa) herrscht,
sinkt er in den Kapillaren auf ungefähr 20–25 mmHg
(2,5–3 kPa). Für das gesamte venöse System steht dementsprechend nur noch ein sehr geringer treibender
Druck zur Verfügung.
Diese Druckverteilung ist allerdings eine Vereinfachung, da infolge
lokaler Unterschiede im Strömungswiderstand innerhalb eines Gefäßgebietes der intravasale Druck in den einzelnen Kapillaren sehr
unterschiedlich ist. Darüber hinaus gibt es in einigen Organen typische Abweichungen von der Druckverteilung in ▶ Abb. 6.14. So ist
beispielsweise der Druckabfall in den großen Arterien, die das Gehirn versorgen, deutlich größer (etwa 35 % des gesamten arteriovenösen Druckgefälles) als in den großen Arterien anderer Organe.
▶ Änderungen der Gefäßweite. Steigt der transmurale
Druck Ptm, so nimmt der Radius dehnbarer Gefäße bei
ausschließlich passivem Verhalten zu und der Strömungswiderstand dementsprechend ab (▶ Abb. 6.15a) – der Widerstand verhält sich somit dem transmuralen Druck entgegengesetzt. Bei aktivem Verhalten der Gefäßmuskulatur (myogene Antwort, s. Bayliss-Effekt) (S. 223) sind die
Widerstandsänderungen hingegen – nach Abschluss des
vorübergehenden Einstellungsvorgangs – gleichsinnig
wie die Druckänderungen, d. h. bei Druckzunahme resultiert eine Widerstandszunahme (▶ Abb. 6.15b).
Daher wird auch die Durchblutung Q eines Organs davon bestimmt, ob sich die durchströmten Widerstandsgefäße passiv oder (mehr oder weniger) aktiv verhalten.
227
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6.4 Hämodynamik: Physik des Kreislaufs
Abb. 6.15 Wirkung des transmuralen Drucks auf Gefäßradius
und Strömungswiderstand. Eine Erhöhung des transmuralen
Drucks bewirkt bei rein passivem Dehnungsverhalten eines
Gefäßes eine Abnahme (a), bei aktiver myogener Antwort der
Gefäßmuskulatur eine Zunahme des Strömungswiderstandes
(b).
6
Abb. 6.16 Druck-Stromstärke-Beziehung für ein starres Rohrsystem, passiv dehnbare Gefäßsysteme und verschieden stark
autoregulierende Gefäßsysteme, die sich durch die Grenzen des
Autoregulationsbereichs und das Ausmaß der Konstanterhaltung der Durchblutung unterscheiden.
Bei rein druckpassivem Verhalten der Widerstandsgefäße
steigt die Durchblutung überproportional an, wenn die
arteriovenöse Druckdifferenz erhöht wird (orange Kurve,
▶ Abb. 6.16). Dieses Verhalten findet sich typischerweise
in der Lunge. Im Gegensatz dazu ändert sich die Durchblutung von Niere, Gehirn und intestinalem Gefäßsystem,
in denen die myogene Gefäßantwort ausgeprägt ist, bei
Änderungen der arteriovenösen Druckdifferenz zumindest in einem begrenzten Druckbereich nur wenig (blaue
Kurven, ▶ Abb. 6.16). Diese Unabhängigkeit der lokalen
Durchblutung von der treibenden Druckdifferenz wird
als Autoregulation bezeichnet. Der Druckbereich, in dem
die Autoregulation stattfindet, liegt imGehirn etwa zwischen 50 und 120 mmHg (6,5–16 kPa) und in der Niere
zwischen 60 und 180 mmHg (8–24 kPa; Autoregulation
der Nierendurchblutung, s. Abb. 10.10) (S. 388). Außerhalb dieser Druckbereiche verhalten sich die Gefäße auch
dieser Organe druckpassiv.
Bei vielen Organen zeigt die Druck-Stromstärke-Beziehung einen
charakteristischen Schnittpunkt mit der Abszisse (▶ Abb. 6.16). Die
Durchblutung fällt auf Null, obwohl noch eine Druckdifferenz zwischen Arterie und Vene besteht. Die Ursache dieses Phänomens ist
nicht ganz geklärt. Sowohl ein Kollaps von Widerstandsgefäßen bei
niedrigem Innendruck („kritischer Verschlussdruck“) als auch die
Fließeigenschaften des Blutes (s. u., Viskosität des Blutes) sind zur
Erklärung herangezogen worden. Besonders groß ist diese Druckdifferenz im intrarenalen Gefäßbett. Vermutlich ist dies vor allem
die Folge des hohen Gewebedrucks im renalen Interstitium
(S. 388), der durch die feste Nierenkapsel aufrechterhalten wird.
▶ Widerstands- und Druckverteilung. Konstriktion
oder Dilatation der Widerstandsgefäße führt nicht nur zu
einer Veränderung des Gesamtwiderstandes und damit
der Durchblutung, sondern auch zu einer veränderten
228
Abb. 6.17 Druckverteilung im Gefäßsystem im Normalzustand sowie bei maximaler Dilatation bzw. Konstriktion. Bei
maximaler Dilatation der Arteriolen wird der größte Druckabfall
nach distal verschoben, bei Konstriktion nach proximal. Damit
steigt bzw. fällt der Kapillardruck.
Druckverteilung im Gefäßsystem (▶ Abb. 6.17). Bei Dilatation der Arteriolen steigt der Druck in allen distal davon
gelegenen Gefäßabschnitten an; umgekehrt sinkt bei
einer Konstriktion der Arteriolen der Druck in allen distal
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Das Kreislaufsystem
davon gelegenen Gefäßabschnitten. Daher reguliert der
Arteriolentonus nicht allein die Größe der Organdurchblutung, sondern auch die Höhe des Drucks in den Kapillaren.
Trotz der überragenden Bedeutung der Arteriolen für
den Gesamtwiderstand des Gefäßsystems ist auch der
Widerstand der größeren Leitungsarterien, vor allem
bei einer Durchblutungszunahme, nicht zu vernachlässigen. Bei maximaler Arteriolendilatation kann somit der
normalerweise nur geringe Widerstandsanteil der großen Leitungsarterien oder auch der Venen eine Durchblutungssteigerung begrenzen. Dies ist besonders dann
wichtig, wenn wie etwa bei einer krankhaften Verengung
(Stenose) der Leitungsarterien deren Widerstand noch
zunimmt. Es kommt dann zu einer Einschränkung der
Durchblutungsreserve, d. h. bei gesteigerter Beanspruchung des betroffenen Organs kann die Durchblutung
nicht angemessen erhöht werden. Einschränkung der
Funktion und plötzliche Schmerzen im betroffenen Organ
sind die typischen Folgen dieser Situation, die bei Koronararterienstenose oder Stenose einer großen Extremitätenarterie auftreten können.
▶ Fließverhalten des Blutes. Das Hagen-Poiseuille-Gesetz (siehe Gl. (6.6)) ist nur für sog. Newtonsche Flüssigkeiten gültig, deren Viskosität η eine konstante Materialeigenschaft ist und nur von der Temperatur abhängt. Für
solche Flüssigkeiten, z. B. für Wasser, gilt das Newton-Gesetz:
τ ¼ηγ
ð6:8Þ
Hier besteht eine lineare Beziehung zwischen der auf die
strömende Flüssigkeit einwirkenden Schubspannung τ
und
dem
daraus
resultierenden
Schergrad
γ
(▶ Abb. 6.18).
▶ Blutviskosität. Das Blut ist jedoch eine nicht homogene Suspension von Zellen in Plasma, deren Viskosität
von der Größe der einwirkenden Schubspannung abhängt; man spricht daher von der sog. apparenten oder
scheinbaren Viskosität (ηapp). Diese beträgt bei hohen
Schubspannungen (schneller Strömung) etwa 3,5 mPa · s
und nimmt mit abnehmender Schubspannung, d. h. bei
verlangsamter Strömung, deutlich zu (▶ Abb. 6.19). Im
Gegensatz dazu ist das Plasma eine Newtonsche Flüssigkeit mit einer Viskosität von etwa 1,2 mPa · s. Bei der Beschreibung des rheologischen Verhaltens (Fließverhalten)
des Blutes wird oft auch die relative Viskosität angegeben, d. h. der Quotient aus der scheinbaren Blutviskosität
und der Plasmaviskosität.
Ursachen für das Fließverhalten des Blutes sind Deformierung und Orientierung der Erythrozyten in schneller
Strömung sowie die Bildung von vernetzten Erythrozytenaggregaten (Geldrollen, Rouleaux) bei langsamer
Strömung (▶ Abb. 6.19). Bei extrem niedriger Schubspannung steigt die scheinbare Viskosität gegen Unendlich an;
6
Abb. 6.18 Definition der Schubspannung und des Schergrades in der ebenen Strömung (oben) bzw. der Röhrenströmung (unten). Das Ausmaß der relativen Verschiebung der
gedachten Flüssigkeitslamellen hängt nach Newtons Gesetz von
dem Zähigkeitskoeffizienten der Flüssigkeit, d. h. ihrer Viskosität
ab. In der Röhrenströmung entsteht ein Geschwindigkeitsprofil,
weil die Reibungsfläche zwischen zwei benachbarten Flüssigkeitslamellen nicht wie in der ebenen Strömung überall gleich
groß ist, sondern zur Rohrachse hin kleiner wird.
das bei höheren Schubspannungen dünnflüssige Blut
wird nun zu einem gelartigen Festkörper.
Bei künstlich hergestellten Suspensionen ist dieses Fließverhalten
vielfach erwünscht. So sollen Dispersionsfarben während des Streichens (hohe Schubspannungen) möglichst dünnflüssig sein, aber
dann, wenn man sie in Ruhe lässt (niedrige Schubspannungen),
zähflüssig werden und nicht spontan wieder ablaufen. Beim Ketchup ist es weniger erwünscht als überraschend, wenn aus der umgedrehten Flasche spontan nichts herausläuft (Festkörperverhalten
bei geringer Schubspannung), nach dem Faustschlag auf den Flaschenboden (hohe Schubspannung) sich aber unerwünscht viel in
Bewegung setzt.
Die Viskosität des Blutes ist ferner von dem Durchmesser des durchströmten Gefäßes abhängig (FåhraeusLindqvist-Effekt, ▶ Abb. 6.20). Dies ist eine Folge der sog.
Axialmigration, d. h. der Eigenschaft deformierbarer Erythrozyten, sich in einem durchströmten Gefäß in Richtung auf die Gefäßmitte zu bewegen. Dieser Effekt wird
erst in Blutgefäßen mit Durchmessern von weniger als
etwa 300 µm deutlich. Daher ist die effektive Viskosität
des Blutes im Gefäßsystem der Mikrozirkulation geringer
(etwa nur halb so groß!) wie in den großen Leitungsarterien oder -venen.
Von großer, auch klinischer Bedeutung ist die starke
Abhängigkeit der scheinbaren Blutviskosität vom Hämatokrit (▶ Abb. 6.19). Dementsprechend ist der periphere
229
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6.4 Hämodynamik: Physik des Kreislaufs
Abb. 6.19 Die scheinbare Viskosität des Blutes steigt mit abnehmender Schubspannung und mit zunehmendem Hämatokrit
deutlich an. Hier dargestellt ist die relative Viskosität, d. h. der Quotient aus der scheinbaren Viskosität des Blutes und der des Plasmas.
Die wesentlichen Ursachen dieses Fließverhaltens sind die Aggregation von Erythrozyten bei niedrigen Schubspannungen und ihre
Deformierung bei hohen Schubspannungen.
6
der vom Herzen zu überwindende periphere Widerstand
zunimmt; siehe auch mittel- und langfristige Blutdruckregulation, Kap. 6.6.2 (S. 242).
Bei Abweichungen vom normalen Hämatokrit ändern
sich das Herzzeitvolumen (wegen der Viskositätsänderung) und die O2-Kapazität des Blutes (wegen der veränderten Hämoglobinkonzentration) gegensinnig. Daher ergibt sich für die globale O2-Transportleistung (HZV × arterielle O2-Konzentration) ein Hämatokritoptimum, das
leicht unter dem normalen Hämatokrit des Blutes liegt
(▶ Abb. 6.21).
Abb. 6.20 Fåhraeus-Lindqvist-Effekt. Als solcher wird die Abnahme der Viskosität des Blutes mit sinkendem Gefäßdurchmesser bezeichnet. Ursache ist die Axialmigration der
Erythrozyten. In Gefäßen mit Durchmessern < 10 µm wird
allerdings bald die Verformbarkeitsgrenze der Erythrozyten
erreicht, und die Viskosität steigt wieder stark an. Dargestellt ist
auf der Ordinate die relative Viskosität, d. h. der Quotient aus
scheinbarer Viskosität des Blutes und Plasmaviskosität.
Widerstand bei Anämie erniedrigt und bei Polyzythämie
erhöht. Beides bedeutet eine Mehrbelastung für das Herz,
weil im einen Fall das Herzzeitvolumen wegen der verminderten Nachlast (S. 178) bei gleichzeitig reduziertem
Sauerstoffgehalt des Blutes deutlich steigt, im anderen
230
Bei einem nicht trainierten Menschen führt deshalb – normale Leistungsfähigkeit des Herzens vorausgesetzt – eher eine künstliche
Blutverdünnung bei konstantem Blutvolumen (isovolämische
Hämodilution) als eine Transfusion von Erythrozytenkonzentrat zu
einer Steigerung der Organdurchblutung. Für einen trainierten
Sportler andererseits kann eine Hämatokriterhöhung – etwa durch
ein (erlaubtes) Höhentraining oder die (unerlaubte) Verwendung
von Erythropoetin (S. 695) – leistungssteigernd wirken, weil das gut
trainierte Sportlerherz den durch die Bluteindickung erhöhten peripheren Widerstand verkraften kann.
▶ Strömungsformen. Das Hagen-Poiseuille-Gesetz (Gl.
(6.7)) besagt, dass der Strömungswiderstand linear von
der Blutviskosität abhängig ist. Dies trifft nur dann zu,
wenn die Strömung laminar ist, was im Gefäßsystem unter physiologischen Bedingungen auch tatsächlich weitgehend der Fall ist.
Bei turbulenter Strömung entstehen dagegen zusätzliche Energieverluste durch die Trägheit der Flüssigkeit,
weil Flüssigkeitsbewegungen nicht allein in Stromrich-
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Das Kreislaufsystem
Abb. 6.21 Einfluss des Hämatokrits auf den O2-Transport. Die
mit dem Herzzeitvolumen durch das gesamte Gefäßsystem
transportierte O2-Menge nimmt bei hohem Hämatokrit wegen
der Steigerung der scheinbaren Blutviskosität und bei niedrigem Hämatokrit wegen der Verminderung der O2-Konzentration im Blut deutlich ab. Die maximale O2-Transportleistung
(Hämatokritoptimum) liegt leicht unterhalb des normalen
Hämatokritwertes.
Abb. 6.22 Änderung des Druckpulses im Verlauf der großen
Leitungsarterien. Die Zunahme der Druckamplitude ist Folge
des Anstiegs des systolischen (PS) und der (geringeren)
Abnahme des diastolischen Drucks (PD). Der arterielle Mitteldruck, der sich annäherungsweise aus PD + ⅓ (PS – PD) errechnet,
fällt entlang dieser Leitungsarterien nur wenig ab.
tung, sondern auch quer zu ihr erfolgen und daher ständige Beschleunigung bzw. Abbremsung von Flüssigkeitselementen stattfindet. Turbulenz tritt normalerweise nur
kurzfristig (während der Austreibung des Schlagvolumens) im Anfangsteil des Aortenbogens auf, kann aber
auch in weiteren Anteilen des arteriellen Systems entstehen, wenn, etwa bei hohem Herzzeitvolumen und stark
erniedrigter Blutviskosität (z. B. bei Anämie), sehr hohe
Strömungsgeschwindigkeiten auftreten. Unter solchen
Bedingungen, ebenso wie bei pathologischen Gefäßveränderungen (Stenosen), macht sich die turbulente Strömung gelegentlich durch mit dem Stethoskop hörbare
Strömungsgeräusche bemerkbar.
pulsatorische Druckschwankungen, die bei maximaler
Vasodilatation deutlicher werden. Die vom linken Ventrikel erzeugte Druckwelle läuft mit einer Geschwindigkeit
von etwa 3–5 m/s in der Aorta und von etwa 5–10 m/s in
den großen Leitungsarterien, aber nur von etwa 1–2 m/s
in den Venen über das Gefäßsystem. Diese Geschwindigkeiten der Druckpulswelle sind deutlich höher als die
in den gleichen Gefäßen herrschenden Strömungsgeschwindigkeiten des Blutes (▶ Abb. 6.23). Durch Betasten (Palpation) einer Arterie (z. B. der A. radialis) kann
man Form und Amplitude des sich über das Arteriensystem ausbreitenden Druckpulses untersuchen.
6.4.6 Pulsation von Druck und
Strömung im Gefäßsystem
Die Form des Druckpulses in der Aorta (▶ Abb. 6.9), der
sich als Druckwelle auch in die peripheren Gefäße fortpflanzt, ändert sich wegen der nach distal abnehmenden
Dehnbarkeit der Gefäßwände und wegen der Überlagerung mit reflektierten Druckwellen, die aus der Kreislaufperipherie zurückkehren (▶ Abb. 6.22). In den großen
muskulären Arterien (A. femoralis, A. subclavia etc.)
nimmt die Druckpulsamplitude zunächst zu, wird dann
aber in noch weiter peripheren Arterien zunehmend gedämpft. In den Kapillaren finden sich nur relativ geringe
6
Anhand der sog. Pulsqualitäten lässt sich neben der absoluten
Höhe des Innendrucks auch die Geschwindigkeit des Druckanstiegs
sowie die Druckamplitude und damit indirekt das Schlagvolumen
und die Dehnbarkeit des arteriellen Windkessels qualitativ bewerten. Diese einfache Untersuchungsmethode ist auch an anderen
peripheren Arterien, z. B. bei Verdacht auf das Vorliegen einer
durchblutungsmindernden Gefäßstenose, aufschlussreich.
Die diskontinuierliche Fördertätigkeit des Herzens erzeugt im Gefäßsystem auch eine pulsierende Strömung,
die infolge der Windkesselfunktion elastischer Gefäße
von zentral nach peripher zunehmend gedämpft wird
(▶ Abb. 6.23). Schon in den peripheren Arterien fällt die
„diastolische“ Stromgeschwindigkeit daher nicht mehr
auf Null, und in den Kapillaren ist die Strömung praktisch
231
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6.4 Hämodynamik: Physik des Kreislaufs
Abb. 6.23 Strompulse im arteriellen System. Die am Eingang des arteriellen Systems noch pulsierende Strömung nimmt mit
zunehmender Entfernung von der Aortenklappe immer mehr kontinuierlichen Charakter an. In den Kapillaren ist der Strompuls fast
völlig gedämpft.
6
kontinuierlich. Der linke Ventrikel muss in der Austreibungsphase nicht das gesamte Blutvolumen, sondern nur
das Schlagvolumen und den Inhalt des Anfangsteils der
Aorta von einer Geschwindigkeit von nahe Null auf einen
Spitzenwert von etwa 1,5 m/s beschleunigen.
Die Abschwächung der Druck- und Strompulse in den
peripheren Abschnitten des Gefäßsystems wird von der
Höhe des Strömungswiderstandes bestimmt. Bei hoher
Durchblutung und niedrigem Widerstand können Druckbzw. Strompulse beispielsweise in den Fingerspitzen
Zusammenfassung Kap. 6.4
Hämodynamik: Physik des Kreislaufs
Für die Strömung des Blutes durch das Gefäßsystem gelten
die allgemeinen Strömungsgesetze der Physik. Das vom
Herzen ausgeworfene Blut (Herzzeitvolumen; etwa
3,4 l/min pro m2 Körperoberfläche) fließt infolge der
arteriovenösen Druckdifferenz (etwa 97 mmHg = 12,9
kPa) durch den totalen peripheren Widerstand (etwa
17,3 mmHg · l−1 · min = 2,3 kPa · l−1 · min) ab und wird entsprechend den regionalen Strömungswiderständen auf die
Organe verteilt.
Druck und Strömung im Arteriensystem zeigen charakteristische Pulsationen, deren Form und Amplitude von
der Dehnbarkeit (Windkesselwirkung) der Gefäße, der Gefäßarchitektur (Verzweigungen, Änderung des Gefäßdurchmessers) und von Überlagerungen (Reflexionen) bestimmt werden. Die Inzisur zeigt den Schluss der Aortenklappe an. Das Druckmaximum entspricht dem systolischen Blutdruck, das Druckminimum dem diastolischen
Blutdruck, die Differenz zwischen systolischem und diastolischem Blutdruck der Blutdruckamplitude. Die Blutdruckamplitude nimmt in den peripheren Gefäßen zunächst zu,
wird dann aber stark gedämpft, sodass in den Kapillaren
232
deutlich subjektiv wahrnehmbar sein. In den größeren
Venen überlagert sich der durch den linken Ventrikel erzeugte, schon stark abgeschwächte Strompuls mit den
Druckschwankungen, die als Folge der rhythmischen Ansaugung des Blutes in den Thorax durch die Atmung und
durch die Pumptätigkeit des rechten Herzens erzeugt
werden. Daher ist die Form venöser Strompulse von denjenigen im Arteriensystem sehr verschieden (vgl. Aortendruck und zentralvenösen Druck in ▶ Abb. 6.31).
M
●
nur sehr geringe Druckwankungen auftreten. Die Blutströmung ändert in der thorakalen Aorta während der Diastole
noch die Richtung; diese pulsierende Strömung wird aber
ebenfalls rasch gedämpft. Die Geschwindigkeit der Druckpulswelle ist wesentlich höher als die Strömungsgeschwindigkeit.
Die Blutdruckmessung kann indirekt über eine Manschette (Korotkoff-Geräusche) oder direkt (Katheter) erfolgen. Die 24-h-Blutdruckmessung spielt bei der Diagnostik
der arteriellen Hypertonie eine große Rolle.
Der zentralvenöse Druck (etwa 3 mmHg = 0,4 kPa)
hängt vor allem vom Füllungsvolumen des Niederdrucksystems ab; er ist bei Blutverlust erniedrigt und bei Herzinsuffizienz erhöht.
Der Strömungswiderstand beruht auf der inneren Reibung des durch die Gefäße strömenden Blutes sowie der
Reibung des Blutes mit der Gefäßwand. Aus dem Verhältnis
von treibender Druckdifferenz zu Strömungswiderstand ergibt sich die Stromstärke (Durchblutung). Nach dem
Hagen-Poiseuille-Gesetz ist der Strömungswiderstand umgekehrt proportional zur 4. Potenz des Gefäßradius. Daher
entsteht der größte Teil des gesamten Widerstandes in
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Das Kreislaufsystem
6.5 Stofftransport in Austauschgefäßen
6.5 Stofftransport in
Austauschgefäßen
6.5.1 Grundlagen des Stofftransportes
Der Stoffaustausch durch die Wand der Blutgefäße dient
der Versorgung der Organzellen mit Stoffwechselsubstraten und dem Abtransport von Stoffwechselendprodukten,
aber auch der Verteilung von Wirkstoffen, sowohl körpereigenen (z. B. den Hormonen) als auch zugeführten (z. B.
Medikamenten), zwischen intra- und extravasalem
Raum. Der größte Teil des Stoffaustauschs erfolgt in den
Kapillaren und postkapillären Venolen (Austauschsystem, ▶ Abb. 6.1) wegen der dort sehr großen Austauschfläche, die sich durch die starke Verzweigung (S. 218) ergibt (▶ Abb. 6.3). Für gut lipidlösliche Stoffe, wie etwa die
Atemgase CO2 und O2, ist die Gefäßwand kein Hindernis,
sodass solche Stoffe auch durch die Wand der Arteriolen
ins Gewebe diffundieren können. Die entscheidenden
Austauschvorgänge durch die Gefäßwand sind überwiegend passiv.
Wenn die Weite der Widerstandsgefäße mit steigendem
Druck zunimmt, steigt die Durchblutung überproportional
an (druckpassives Verhalten). Nimmt dagegen die Gefäßweite infolge einer ausgeprägten myogenen Antwort mit
steigendem Druck ab, kann die lokale Durchblutung unabhängig von der treibenden Druckdifferenz werden (Autoregulation).
konzentration im Interstitium (co) die Stoffkonzentration
im Gefäß (ci) exponentiell über die Gefäßlänge ab
(▶ Abb. 6.24).
● Ist die Durchlässigkeit der Gefäßwand für einen Stoff
hoch, so kann bis zum Kapillarende ein Austauschäquilibrium erreicht werden (cv = co). In diesem Fall wird
die maximal austauschbare Stoffmenge vom „Nachschub“, d. h. von der Durchblutung begrenzt, man
nennt den Transport solcher Stoffe daher perfusionsoder durchblutungslimitiert (Kurve 3 und 4 in
6
Austauschvorgänge über einen aktiven Transport, die an Epithelien
(z. B. der Darmschleimhaut oder der Nierentubuli) eine große Rolle
spielen, erfolgen auch am Endothel. Sie sind jedoch für den Stoffaustausch durch die Gefäßwand nur dort wesentlich, wo, wie im
Gehirn, wegen besonders ausgeprägter Undurchlässigkeit der Gefäßwand (Blut-Hirn-Schranke) (S. 949) der passive Transport stark
behindert ist.
Der Transport von Wasser und allen gelösten Stoffen
durch die Gefäßwand als auch innerhalb des interstitiellen Raumes erfolgt durch Diffusion. Die dabei pro Zeiteinheit transportierte Stoffmenge errechnet sich nach dem
Fickʼschen Diffusionsgesetz:
dn
ci –co
¼DA
x
dt
ð6:9Þ
Dabei ist dn/dt die Zahl der pro Zeiteinheit diffundierenden Moleküle, D der Diffusionskoeffizient des gelösten
Stoffes, (ci–co) die Konzentrationsdifferenz zwischen der
Innenseite (i) und der Außenseite (o) der Gefäßwand, x
deren Dicke und A die Größe der Austauschfläche.
Diffundiert ein bestimmter Stoff aus einem Blutgefäß
in das umgebende Gewebe, so fällt bei gegebener Stoff-
Abb. 6.24 Diffusion eines Stoffes aus einer Kapillare. Die
Konzentration des Stoffes innerhalb der Kapillare (ci) nimmt in
deren Längsrichtung ab. Ist die Gefäßwand nur wenig für den
Stoff durchlässig, so wird dessen Konzentration am venösen
Ende (cv) sich kaum von der am arteriellen (ca) unterscheiden
(Diffusionslimitierung; Kurve 1). Je höher die Wanddurchlässigkeit ist (Kurven 2–4), desto schneller sinkt die Innenkonzentration auf die Konzentration im umgebenden
Interstitium (co) ab. Bei hoher Durchlässigkeit der Wand wird
ein Austauschäquilibrium erreicht (Kurven 3 und 4); der
Stofftransport ist dann nur noch durchblutungslimitiert.
233
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den Arteriolen (Widerstandsgefäße), die deshalb die wesentlichen Regulatoren für Durchblutung und Kapillardruck
sind. Der Strömungswiderstand und damit die Durchblutung sind auch von der scheinbaren Viskosität des Blutes
abhängig, die infolge des ungewöhnlichen rheologischen
Verhaltens nicht konstant, sondern strömungsabhängig ist
und mit zunehmender Strömungsgeschwindigkeit sinkt.
Die scheinbare Viskosität nimmt mit abnehmendem Gefäßdurchmesser ab (Fåhraeus-Lindqvist-Effekt).
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