2 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Europe Direct soll Ihnen helfen, Antworten auf Ihre Fragen zur Europäischen Union zu finden. Gebührenfreie Telefonnummer (*): 00 800 6 7 8 9 10 11 (*) Einige Mobilfunkanbieter gewähren keinen Zugang zu 00 800-Nummern oder berechnen eine Gebüh. Zahlreiche weitere Informationen zur Europäischen Union sind verfügbar über Internet, Server Europa (http://europa.eu). Katalogisierungsdaten befinden sich am Ende der Veröffentlichung. Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2011 ISBN 978-92-79-19358-3 doi: 10.2779/38609 © Europäische Union, 2011 Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Dieses Dokument gibt die Meinung der Dienststellen der Kommission wieder und ist nicht verbindlich. Europäische Kommission, Januar 2011 Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Foto: istockphoto Einen wesentlichen Beitrag zum Zustandekommen des vorliegenden Dokuments leisteten Sachverständige der Mitgliedstaaten und wichtige Interessengruppen mit Diskussionen und Beiträgen im Rahmen der Arbeitsgruppe „Mündungsgebiete und Häfen“ der Europäischen Kommission. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten LEITFADEN FÜR DIE UMSETZUNG DER VOGELSCHUTZ- UND DER HABITAT-RICHTLINIE IN MÜNDUNGSGEBIETEN (ÄSTUAREN) UND KÜSTENGEBIETEN unter besonderer Berücksichtigung von Hafenentwicklungs- und Baggermaßnahmen Januar 2011 3 4 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten INHALTSVERZEICHNIS ZUSAMMENFASSUNG .......................................................................................5 1 POLITISCHER HINTERGRUND......................................................................9 1.1 Mündungs- und Küstengebiete und das Naturschutzrecht der EU ....................... 9 1.2 Die integrierte Meerespolitik und die europäische Hafenpolitik............................. 12 2 DIE PROBLEMATIK ........................................................................................14 2.1 Belastungen von Mündungs- und Küstengebieten................................................ 14 2.2 Hauptprobleme des Hafensektors bei der Durchführung der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie ................................................................................................... 16 2.3 Der Klimawandel - ein besonderes Problem in Mündungs- und Küstengebieten . 17 3 LEITLINIEN......................................................................................................19 3.1 Erhaltungsziele für dynamische Umgebungen ..................................................... 19 3.1.1 Verstehen und Bewirtschaften von Mündungs- und Küstengebieten als komplexe und dynamische Ökosysteme ..................................................... 19 3.1.2 Schutz von Lebensräumen und Arten von gemeinschaftlichem Interesse . 21 3.1.3 Festlegung von Erhaltungszielen für Mündungs- und Küstenlebensräume 23 3.2 Integrierte Planung................................................................................................ 25 3.2.1 Bewirtschaftungspläne ................................................................................ 25 3.2.2 Raumplanung .............................................................................................. 26 3.2.3 Die Vorteile von Partnerschaften und öffentlicher Beteiligung .................... 29 3.3 Projektentwicklung und Unterhaltungsmaßnahmen.............................................. 30 3.3.1 Integrierte Projekte und Arbeiten mit der Natur ........................................... 30 3.3.2 Durchführung einer angemessenen Verträglichkeitsprüfung und Bewältigung „voraussichtlicher erheblicher Auswirkungen“ ............................................. 31 3.3.3 Beziehung zwischen strategischen Umweltprüfungen, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Verträglichkeitsprüfungen................ 32 3.3.4 Ausgleichsmaßnahmen und Follow-up ....................................................... 34 3.3.5 Bagger- und Unterhaltungsarbeiten ............................................................ 35 3.4 Umgang mit Unsicherheiten: Adaptives Management .......................................... 38 ANHÄNGE............................................................................................................40 GLOSSAR ............................................................................................................48 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten ZUSAMMENFASSUNG Das vorliegende Dokument enthält sektorspezifische Leitlinien für die Durchführung der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie in Mündungsgebieten (Ästuarien) und Küstengebieten. Einen besonderen Beitrag zum Zustandekommen dieses Leitfadens leisteten Vertreter der Mitgliedstaaten, von Interessengruppen und im Umweltschutz tätigen Nichtregierungsorganisationen (NRO), die in einer speziell diesem Thema gewidmeten Arbeitsgruppe an einschlägigen Diskussionen mitwirkten. Der Leitfaden geht auf ein entsprechendes Ersuchen des Sektors Häfen und Seeverkehrsdienstleistungen zurück. Häfen, insbesondere in Westeuropa, befinden sich oft in oder in der Nähe von Mündungsgebieten, bei denen es sich um dynamische und hochproduktive Ökosysteme handelt, die in vielen Fällen als Natura 2000-Gebiete ausgewiesen sind. Mündungsgebiete bieten den erforderlichen Schutz und geeignete Bedingungen für den seewärtigen Zugang zum Hafen. Für den Welthandel und seine Entwicklung sind Häfen von strategischer Bedeutung; sie müssen in regelmäßigen Zeitabständen ausgebaut werden. Die Anwendung und Auslegung von Umweltschutzgesetzen einschließlich der EU-Richtlinien zum Naturschutz stellen den Hafensektor, der zuvor nur wenige Umweltschutzbestimmungen beachten musste, vor neue Herausforderungen; dies hatte in den vergangenen Jahren mitunter Verzögerungen von Hafenausbauprojekten zur Folge. Häfen spielen eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung und benötigen Rechtssicherheit für neue Ausbauprojekte. Die Europäische Kommission empfiehlt in der von ihr erarbeiteten europäischen Hafenpolitik die Überprüfung rechtlicher Hindernisse, die solchen Projekten im Wege stehen können („beschleunigtes Verfahren“). Der vorliegende Leitfaden enthält eine Reihe von Empfehlungen und bewährten Praktiken, mit denen die Entwicklung und Verwaltung von Häfen in oder in der Nähe von Natura 2000-Gebieten verbessert werden können. Einige Schlüsselempfehlungen: • Entwicklungspläne oder -projekte sollten stets auf Strategien basieren, die für beide Seiten Vorteile bringen, um nach dem Ansatz der „Zusammenarbeit mit der Natur“ sowohl die Natura 2000-Erhaltungsziele als auch sozioökonomische Ziele zu verwirklichen. • Maßnahmen zur Schadensvorbeugung bzw. -vermeidung sollte immer der Vorzug vor Ausgleichsmaßnahmen gegeben werden. • Es sollten stets Vorprüfungen zur Beurteilung der potenziellen Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf Natura 2000-Gebiete durchgeführt werden. Diese Prüfungen sind notwendig, um festzustellen zu können, ob ein Plan oder ein Projekt ein Natura 2000Gebiet wahrscheinlich erheblich beeinträchtigen wird und ob eine „Prüfung auf Verträglichkeit“ nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie durchgeführt werden muss. • Es wird stets eine eingehende und frühzeitige Konsultation von Beteiligten empfohlen, um zu vermeiden, dass während des Prozesses der Projektgenehmigung Einwände erhoben werden. • Die Unterhaltung von Häfen und Hafenzufahrten sollte Bestandteil integrierter Bewirtschaftungspläne für die gesamte Wasserstraße bzw. das betroffene Natura 2000Gebiet sein. Investitionsbaggerungen sollten als Teil nachhaltiger Ausbaggerungs- und Sedimentmanagementregelungen geplant werden. 5 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 6 • Für den Fall, dass hinsichtlich der Auswirkungen eines Plans oder Projekts bzw. der damit zusammenhängenden Schadensbegrenzungs- oder Ausgleichsmaßnahmen noch geringfügige wissenschaftliche Unsicherheiten bestehen, sollten vorab als Teil des Plans oder Projekts ein validiertes Verfahren für die Überwachung (Monitoring) der tatsächlichen Auswirkungen sowie Rahmenvorschriften für die Anpassung der Schadensbegrenzungs- und Ausgleichsmaßnahmen an die tatsächlichen Auswirkungen festgelegt werden. Einleitung Mündungs- und Küstengebiete zählen zu den produktivsten Ökosystemen der Welt und sind sowohl aus ökologischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht besonders wertvoll. Sie sind von immenser Bedeutung für frei lebende Tiere, vor allem für Zug- und Brutvögel, und aufgrund ihres Reichtums an natürlichen Ressourcen (sie sind unter anderem Laichgründe für wirtschaftlich wichtige Fischarten) von hohem ökonomischem Wert. Sie erbringen ferner eine Vielzahl von Ökosystemdienstleistungen, denn sie stabilisieren u. a. die Küsten, regulieren den Nährstoffhaushalt, binden CO2, entziehen verunreinigtem Wasser Schadstoffe und liefern Nahrungsmittel- und Energieressourcen (Millenium-Ökosystemstudie, 2005). Daher sind diese Gebiete mit ihrem breiten Spektrum an wirtschaftlichen Vorteilen für viele Branchen von Interesse, unter anderem für die Fischerei, die Industrie, die sich hier mit komplexen Anlagen ansiedelt, und für den Dienstleistungssektor, z. B. in den Bereichen Fremdenverkehr, Erholung und Freizeit. Viele Mündungsgebiete sind zudem ideale Standorte für Häfen, Anlegestellen und Schiffswerften, da sie Schiffen den notwendigen Schutz bieten und über große Flussläufe die weitere Erschließung des Binnenlands ermöglichen. Mündungs- und Küstengebiete gehören jedoch auch zu den dynamischsten und komplexesten Ökosystemen der Welt. Sie setzen sich aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Lebensräumen zu einem Mosaik zusammen, das einem ständigen Wandel unterliegt. Typische Habitate für Mündungsgebiete sind unter anderem Sandbänke, vegetationsfreie Schlick- und Sandflächen, Salzmarschen und entlang der Küste Sanddünen, Strandseen, große flache Meeresarme und –buchten, Riffe, kleine Inseln und Kleinstinseln, sandige Strände sowie Felsküsten. Die meisten dieser Lebensraumtypen (LRT) fallen unter die Schutzbestimmungen der Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen („Habitat-Richtlinie“). Watvögel sind auf ihrem Zug von den Brut- zu den Überwinterungsplätzen auf Mündungs- und Küstengebiete angewiesen. Außerdem brüten hier zahlreiche Vogelarten. Daher gelten für viele Mündungs- und Küstengebiete zusätzlich die Bestimmungen der Richtlinie 2009/147/EG über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten („Vogelschutz-Richtlinie“). Im Laufe ihrer langen Geschichte haben sich viele europäische Häfen zu logistischen Knotenpunkten für den Umschlag von Gütern aus der ganzen Welt entwickelt, und als solche nehmen sie heute mehr denn je eine zentrale Stellung ein. Der Umfang des Seeverkehrs und die Nachfrage nach Seeverkehrsdienstleistungen haben in den vergangenen 30 Jahren deutlich zugenommen; dieser Trend dürfte sich in Zukunft noch weiter fortsetzen. Die Europäische Kommission unterstützt dieses Verkehrsnetz mit ihrer Hafenpolitik und durch Förderung der „Autobahnen des Meeres“ und des Kurzstreckenseeverkehrs. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten In ihrer Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik1 stellt die Europäische Kommission fest, dass es an den etwa 100 000 km langen europäischen Küsten über 1 200 Handelshäfen gibt. Sie sind Drehscheiben für Verkehrverlagerungen und lebenswichtig für den internationalen Handel, den Europa zu 90 % über seine Häfen abwickelt. Im Sinne der allgemeinen EU-Verkehrspolitik2 werden in diesen Häfen 40 % der im Binnenhandel anfallenden Tonnenkilometer geleistet. Die Europäische Kommission hat dies in ihrer Mitteilung „Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union“ gewürdigt und betont, dass Europa dank seiner Seehäfen und seiner Schifffahrt vom rapiden Wachstum des internationalen Handels profitieren und eine führende Rolle in der Weltwirtschaft spielen kann3. Seehäfen, insbesondere solche, die mit Mündungsgebieten verbunden sind oder tief im Inland in einem Flussmündungstrichter liegen und über eine Anbindung an schiffbare Binnenwasserstraßen und Eisenbahnstrecken verfügen, können außerdem eine wichtige Rolle für die Verringerung von CO2-Emissionen spielen; andererseits sie sind aber auch von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Es wird zwangsläufig Situationen geben, in denen sich Maßnahmen zur Erweiterung und Unterhaltung von Häfen und Fahrrinnen und Natura 2000- Ausweisungen überschneiden und mitunter nicht in Einklang zu bringen sind. Die Vogelschutz- und die Habitat-Richtlinie schließen die Möglichkeit eines weiteren Ausbaus und der Nutzung von Mündungs- und Küstengebieten in oder in der Umgebung von Natura 2000-Gebieten nicht von vorne herein aus. Vielmehr sehen diese Richtlinien ein schrittweises Vorgehen vor, um sicherzustellen, dass derartige Maßnahmen dem Schutz von Arten und Lebensräumen von europäischer Bedeutung, für die die jeweiligen Gebiete ausgewiesen wurden, nicht zuwiderlaufen. Für den Fall, dass es sich um Projekte von überwiegendem öffentlichen Interesse handelt und es keine Alternativlösungen gibt, sieht die Habitat-Richtlinie vor, dass nachteilige Entwicklungen in Kauf genommen werden können, sofern durch Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen die Wahrung der globalen Kohärenz des Natura 2000-Netzes sichergestellt ist. Die Belastungen der Mündungs- und Küstengebiete führten zu einer Neuorientierung hin zu einer stärker integrierten und effizienteren Raumplanung. Zusammen mit dem frühzeitigen Dialog mit Beteiligten hat sich dieser Richtungswechsel in den vergangenen Jahren für die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der EU-Umweltschutzgesetzgebung (einschließlich Naturschutz sowie Schutz von Gewässern und der Meeresumwelt), mit der europäischen Hafenpolitik und der europäischen integrierten Meerespolitik als wirksam erwiesen. Zweck dieses Dokuments Die Europäische Kommission hat bereits mehrere Leitfäden herausgegeben, um die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie zum Schutz von Natura 2000-Gebieten zu unterstützen und auch um Bürgerinnen und Bürgern und anderen interessierten Kreisen zu helfen, die maßgeblichen wichtigsten Bestimmungen dieser Richtlinien besser zu verstehen (siehe Anhang 1). Die Anwendung der EUNaturschutzvorschriften auf die Hafenentwicklung und die Bewirtschaftung von Mündungsund Küstengebieten muss jedoch, insbesondere in Anbetracht ihrer Bedeutung als Zufahrtsrouten für Seeschiffe, genauer geklärt und erläutert werden, auch unter Zukunftsgesichtspunkten. 1 KOM(2007) 616 endgültig. KOM(2006) 314 endgültig. 3 KOM(2007) 575 endgültig. 2 7 8 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Der vorliegende Leitfaden soll die in Artikel 6 der Habitat-Richtlinie enthaltenen Schutzbestimmungen für Natura 2000-Gebiete unter besonderer Berücksichtigung von Mündungs- und Küstengebieten erläutern. Im Mittelpunkt steht die Präzisierung, Erläuterung und genauere Beschreibung der EU-Naturschutzvorschriften für Natura 2000-Gebiete, die in Mündungs- und Küstengebiete liegen und von Fahrrinnen und Küstengebieten durchzogen werden, wobei mit dem Hafenbetrieb verbundenen Aktivitäten wie Baggerarbeiten und Industrietätigkeiten (z. B. Schiffswerften) besonders berücksichtigt werden. Andere Umweltschutz-Richtlinien wie die Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG), die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (2008/56/EG), die Richtlinie 2001/42/EG über strategische Umweltprüfungen (SUP) und die Richtlinie 85/337/EWG über Umweltverträglichkeitsprüfungen fallen nicht in den Geltungsbereich dieses Leitfadens und werden deshalb nicht im Einzelnen erwähnt. Fragen im Zusammenhang mit der Urbanisierung, der Landwirtschaft und sonstiger Entwicklungen in den genannten Gebieten oder mit Belastungen durch die Binnenschifffahrt werden in diesem Leitfaden nicht behandelt, sind jedoch in Bewirtschaftungsplänen für Natura 2000-Gebiete in Mündungsgebieten, beim integrierten Küstenzonenmanagement (IKZM) sowie bei der Beurteilung der kumulativen Auswirkungen verschiedener Aktivitäten zu berücksichtigen. Von besonderem Nutzen für den vorliegenden Leitfaden waren die Diskussionen in einer von den Generaldirektionen Umwelt (GD ENV) und Energie und Verkehr (GD TREN) der Europäischen Kommission eingerichteten speziellen Arbeitsgruppe für Mündungsgebiete, Küstengebiete und Häfen. Dieser Arbeitsgruppe gehörten Vertreter von Interessengruppen unterschiedlicher Sektoren an; sie kamen zwischen 2007 und 2009 zu sechs Sitzungen zusammen. Neben dem Leitfaden wurde auch ein Begleitdokument mit technischem und wissenschaftlichem Hintergrundmaterial erarbeitet. Dieses Begleitdokument enthält allgemeine Informationen zum Untersuchungsansatz, zu den Literaturquellen und zu den Ergebnissen des Informationsaustausches zwischen der Arbeitsgruppe und dem mit der Gesamtkoordinierung beauftragten Beratungsunternehmen. Es kann von der öffentlichen Website CIRCA unter folgender Adresse heruntergeladen werden: http://circa.europa.eu/Public/irc/env/estuary/home. Der Leitfaden hält sich streng an den Text der relevanten Richtlinien und die im Umweltrecht und den Vorschriften der EU für Hafentätigkeiten festgeschriebenen, allgemeineren Grundsätze. Die Leitlinien haben keinen Legislativcharakter; sie führen keine neuen Vorschriften ein, sondern liefern zusätzliche Klarstellungen und bauen auf bereits vorhandenen Leitfäden auf. Sie reflektieren die Meinung der Kommissionsdienststellen über die Umsetzung der Richtlinien in Mündungs- und Küstengebieten. Der Leitfaden ist nicht rechtsverbindlich. Es wird darauf hingewiesen, dass die Auslegung der EU-Rechtsvorschriften ausschließlich dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten ist. Der Leitfaden basiert auf der geltenden Rechtsprechung und kann erforderlichenfalls angepasst werden, um künftigen neuen Urteilen des Gerichtshofs Rechnung zu tragen. Ziel des Leitfadens ist es, die Erfordernisse der Hafenentwicklung mit den Erfordernissen des Umweltschutzes in Einklang zu bringen. Er richtet sich an folgende Zielgruppen und Nutzer: zuständige Behörden auf lokaler, regionaler, nationaler oder föderaler Ebene, Hafenbehörden und Wasserstraßenverwaltungen, Betreiber, Wirtschaftssektoren, auf Nassbaggerungen spezialisierte Unternehmen und ihre Verbände, Erbringer von Seeschifffahrtsdienstleistungen, im Umweltschutz tätige NRO, Naturschutzvereine und Bewirtschafter von Natura 2000-Gebieten. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 1. POLITISCHER HINTERGRUND 1.1. Mündungs- und Küstengebiete und das Naturschutzrecht der EU In Anbetracht des rapiden weltweiten Verlustes an biologischer Vielfalt ist die Europäische Union 2001 auf dem Europäischen Gipfel in Göteborg übereingekommen, „dem Rückgang der biologischen Vielfalt in der EU bis 2010 Einhalt zu gebieten“4 und „Habitate und natürliche Systeme wiederherzustellen“5. Diese Verpflichtung ist nunmehr fester Bestandteil aller Bereiche der EU-Politik. Einer der vier Tätigkeitsschwerpunkte des Sechsten Umweltaktionsprogramms (6. UAP)6, das den Rahmen für die EU-Umweltpolitik im Zeitraum 2002 – 2012 absteckt, wurde dem Themenkreis „Natur und biologische Vielfalt“ gewidmet. In Übereinstimmung mit dem EU-Vertrag wird über das 6. UAP auch die umfassende Einbeziehung der Erfordernisse des Umweltschutzes, einschließlich der Erfordernisse für die Erhaltung der biologischen Vielfalt, in alle Politiken und Aktionen der Union gefördert. Die „Vogelschutz“- und die „Habitat“-Richtlinie bilden zusammen die Eckpfeiler der EU-Politik für die Erhaltung der biologischen Vielfalt. Sie machen es den EU-Mitgliedstaaten möglich, innerhalb eines einheitlichen soliden rechtlichen Rahmens zusammenzuarbeiten, um die wertvollsten Arten und Lebensräume in Europa in ihrem gesamten natürlichen Verbreitungsgebiet EU-weit und unabhängig von politischen Grenzen oder Verwaltungsgrenzen zu schützen. Nach diesen beiden Richtlinien sind die Mitgliedstaaten gehalten, besondere terrestrische Gebiete und Meeresgebiete auszuweisen, die zusammen das Natura 2000-Netz ergeben. Dieses Netz besteht aus Schutzgebieten für Vogelarten und besonderen Schutzgebieten für Lebensräume und andere Arten mit Erhaltungswert für die EU. Ziel des Natura 2000-Netzes ist es, das langfristige Überleben der am stärksten bedrohten Arten und Lebensräume in Europa zu sichern. Weitere Bestimmungen der Richtlinien beinhalten unter anderem eine strenge Regelung für den Artenschutz sowie Überwachungs- und Berichtsverfahren. Artikel 6 der Habitat-Richtlinie ist für die Bewirtschaftung und nachhaltige Nutzung der Schutzgebiete des Natura 2000-Netzes von entscheidender Bedeutung. Im Interesse der Integration enthält dieser Artikel eine Reihe von Verfahrensvorschriften, mit denen gewährleistet werden soll, dass wirtschaftliche Entwicklung und Naturschutz Hand in Hand gehen. Die Zuständigkeit für die Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht und die Einführung geeigneter Mechanismen für die praktische Anwendung der Bestimmungen liegt bei den Mitgliedstaaten. 4 Schlussfolgerungen des Rates, Europäischer Rat von Göteborg, 15. und 16. Juni 2001. KOM(2001) 264 endgültig. 6 Beschluss Nr. 1600/2002/EG, ABl. L 242 vom 10.9.2002, S. 1. 5 9 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 10 Artikel 6 der Habitat-Richtlinie sieht drei Arten von Maßnahmen vor: 1. Positive Erhaltungsmaßnahmen für die besonderen Schutzgebiete gemäß Artikel 6 Absatz 1, die z. B. Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen7; 2. Schutzmaßnahmen für alle Gebiete gemäß Artikel 6 Absatz 2, um die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume (sowie erhebliche Störungen von Arten) zu vermeiden, und gemäß Artikel 6 Absatz 3, um die Auswirkungen von Plänen und Projekten zu prüfen; 3. Verfahrensvorschriften, einschließlich Ausnahmeregelung und Ausgleichsmaßnahmen, gemäß Artikel 6 Absatz 4 über die Genehmigung von Plänen oder Projekten, die sich voraussichtlich nachteilig auf Natura 2000-Gebiete auswirken. Artikel 6 der „Habitat“-Richtlinie 92/43/EWG 1. Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen oder natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen. 2. Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken können. 3. Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird (...). 4. Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. (...) Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit (...) geltend gemacht werden. Küsten- und Mündungslebensräume, die nach der Habitat-Richtlinie geschützt sind, erstrecken sich EU-weit über eine Fläche von insgesamt mehr als 45 000 km2 (siehe Tabelle 1, nur Meeres- und Gezeitenzone, ohne Dünen und sonstige zugehörige Süßwasserfeuchtgebiete). Diese geschützten Lebensräume dienen auch als Rastplätze für Vögel und Seehunde, als Laichplätze für Fische und als Futterplätze für Säugetiere; zudem kommen hier bestimmte Pflanzenarten vor. Mündungs- und Küstenökosysteme können auch weitere geschützte Lebensräume von gemeinschaftlicher Bedeutung wie z. B. Graudünen (LRT 2130) einschließen. 7 Für Schutzgebiete gelten die Bestimmungen in Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutz-Richtlinie, die ebenfalls positive Maßnahmen vorsieht. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Tabelle 1: Fläche der Küsten- und Mündungslebensräume, die nach den EUNaturschutzrecht geschützt sind (Quelle: Natura 2000-Datenbank, Stand: November 2009) Küsten- und Mündungslebensräume des Natura 2000Netzes, die für den vorliegenden Leitfaden relevant sind Ästuarien (Mündungsgebiete) – Lebensraumtyp: 1130 (306 Gebiete) Lagunen des Küstenraums (Strandseen)*– Lebensraumtyp: 1150 (644 Gebiete) Große flache Meeresarme und –buchten – Lebensraumtyp: 1160 (373 Gebiete) Sandbänke mit nur schwacher ständiger Überspülung durch Meerwasser – Lebensraumtyp: 1110 (517 Gebiete) Vegetationsfreie Schlick- und Sandflächen – Lebensraumtyp: 1140 (422 Gebiete) Insgesamt Gesamtfläche im Gebiet der EU-27 (2009) 643 704,44 ha 503 263,71 ha 1 250 743,52 ha 2 436 613,35 ha 809 204,53 ha 5 643 529,55 ha Die folgenden EU-Umweltschutzrichtlinien über Umweltverträglichkeitsprüfungen sind auch für Entwicklungspläne und –projekte, die Mündungs- und Küstengebiete berühren, unmittelbar relevant (siehe Ziffer 3.3.3): - Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (nach der Abkürzung „SUP“ für „strategische Umweltprüfung“ allgemein auch als SUP-Richtlinie bezeichnet)8. Zweck der SUP-Richtlinie ist es sicherzustellen, dass die Auswirkungen bestimmter Pläne und Programme auf die Umwelt ermittelt, geprüft und bei der Ausarbeitung dieser Pläne und Programme vor ihrer Annahme berücksichtigt werden. - Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten. Geändert 1997 (durch die Richtlinie 97/11/EG), 2003 (durch die Richtlinie 2003/35/EG) und 2009 (durch die Richtlinie 2009/31/EG) – (nach der Abkürzung „UVP“ für „Umweltverträglichkeitsprüfung“ allgemein als UVP-Richtlinie bezeichnet)9. Während die SUP für öffentliche Pläne und Programme gilt, ist die UVP für öffentliche und private Einzelprojekte vorgeschrieben. Mündungs- und Küstengewässer sind auch im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG (WRRL) von Interesse. Die WRRL enthält die Rahmenbedingungen für den Schutz sämtlicher Oberflächengewässer (Flüsse, Seen, Übergangs- und Küstengewässer) und des Grundwassers in der EU; ihr Ziel ist die Verwirklichung eines guten ökologischen Zustands (bzw. eines guten ökologischen Potenzials bei erheblich veränderten Gewässern) sowie eines guten chemischen Zustands bis 2015. Gewässer in Mündungs- und Küstengebieten zählen zu den Übergangs- oder Küstengewässern. Nach der WRRL sollte ihre Verschlechterung vermieden und der Zustand dieser aquatischen Ökosysteme geschützt und verbessert werden. In Mündungs- und Küstenökosystemen kommt es häufig zu geografischen Überschneidungen von Natura 2000Gebieten und WRRL-Gewässern. Hauptziel sowohl der WRRL als auch der NaturschutzRichtlinien ist zwar der Schutz von Ökosystemen, doch sind ihre Vorgaben, Maßnahmen und Instrumente jedoch nicht völlig komplementär. Wenn für bestimmte Gebiete sowohl die Naturschutz-Richtlinien als auch die WRRL gelten, ist daher den Synergien besondere Aufmerksamkeit zu widmen. 8 9 ABl. L 197 vom 21.7.2001, S. 30 – 37 (siehe http://ec.europa.eu/environment/eia/home.htm). Abl. L 156 vom 25.6.2003, S. 17; ABl. L 140 vom 5.6.2009, S. 114 (siehe http://ec.europa.eu/environment/eia/home.htm). 11 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 12 Für die Wasserrahmenrichtlinie wurde eine gemeinsame Durchführungsstrategie entwickelt, um die Herausforderungen durch ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen zu meistern; hierzu wurden mehrere Leitfäden verfasst (siehe Anhang 1). In diesem Zusammenhang ist auf Artikel 4 Absatz 2 der WRRL hinzuweisen, nach dem die Schutzziele der HabitatRichtlinie einzuhalten sind, wenn sie über die Anforderungen der WRRL hinausgehen. Dies gilt auch im umgekehrten Fall. Ausführliche Informationen und Leitlinien zur Umsetzung der WRRL können auf folgender Website abgerufen werden: http://ec.europa.eu/environment/water/water-framework/index_en.html. Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL, 2008/56/EG) ist umfassender und bezieht auch Ökosystemdienstleistungen in Meeresgebieten ein. Sie gibt den Rahmen für den Schutz und die Wiederherstellung von Meeresökosystemen vor. Nach dieser Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um bis 2020 einen guten Umweltzustand des Meeresmilieus zu erreichen bzw. zu erhalten. Der geografische Anwendungsbereich der MSRL überschneidet sich, was die Küstengewässer anbelangt, mit dem der WRRL. Der in der MSRL definierte Umweltzustand betrifft letztere nur insoweit, als bestimmte, von der WRRL nicht erfasste Aspekte des ökologischen Zustands des Meeresmilieus (z. B. Abfälle, Lärm, Wale) in der WRRL nicht bereits erfasst sind. Auf Übergangsgewässer wie Mündungsgebiete findet die MSRL jedoch keine Anwendung. Die beiden neueren Richtlinien ergänzen die Naturschutz-Richtlinien insofern, als sie einen besonderen Schwerpunkt auf die Rolle der Ökosysteme legen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei Mündungsgebieten um äußerst dynamische Ökosysteme: Sie sind täglichen und jahreszeitlichen Veränderungen sowie hydromorphologischen Entwicklungen unterworfen. Auch die Biodiversitätsparameter und typischen Arten dieser Gebiete unterliegen Schwankungen im Zeitverlauf. Obwohl die Erhaltung der biologischen Vielfalt von gemeinsamem Interesse ist, fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, dass die morphologischen Entwicklungen zwar alle Lebensräume betreffen, einige davon jedoch auch verschwinden oder sich wesentlich verändern können. Vor allem für Mündungsgebiete ist es wichtig, dass diese Dynamik erkannt wird. 1.2. Die integrierte Meerespolitik und die europäische Hafenpolitik Die Kommission hat in ihrer Mitteilung über eine integrierte Meerespolitik10 die wirtschaftliche Bedeutung der europäischen Küste hervorgehoben. Etwa 40 % des BIP und der Bevölkerung in der EU entfallen auf die Küstengebiete. Schiffbau und Seeverkehr, Häfen und Fischerei stehen im Mittelpunkt der maritimen Tätigkeiten; aber auch Offshore-Energie sowie Küsten- und Meerestourismus erwirtschaften Erträge in beträchtlicher Höhe. Die europäische Meerespolitik sieht vor, dass der Kapazitätenausbau von Häfen und Küstenfahrrinnen mit dem Wachstum des europäischen Binnenhandels und des internationalen Handels Schritt halten und im Einklang mit verwandten Zielen der EU-Politik insbesondere für den Umweltschutz und die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit erfolgen muss. Mit der Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik11 soll auf ein leistungsfähiges Hafensystem in der EU hingewirkt werden, das den künftigen Herausforderungen des europäischen Verkehrsbedarfs gewachsen ist. Eines der Ziele des in dieser Mitteilung 10 11 Europäische Kommission, 2007, Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union, KOM(2007) 575 endgültig. Europäische Kommission, 2007, Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik, KOM(2007) 616 endgültig, 18.10.2007. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten vorgesehenen Aktionsplans ist die Verbesserung der Aufnahmekapazität der Häfen, um die Voraussetzungen für eine Zunahme des Seeverkehrs und der Binnenschifffahrt zu schaffen. In Europa gibt es über 1 200 Handelshäfen; sie sind die Drehscheiben für Verkehrverlagerungen und von größter wirtschaftlicher Bedeutung, da Europa 90 % seines internationalen Handels über die Häfen abwickelt. Obwohl diese Zahlen konjunkturbedingten Schwankungen unterliegen, ist langfristig von weiterem Wachstum auszugehen; gegenüber anderen Verkehrsträgern (hauptsächlich Straßen-, aber auch Schienenverkehr) hat die Schifffahrt den Vorteil eines niedrigen CO2-Ausstoßes. In der Konsultationsphase, die der Annahme der Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik vorausging, wurden Fragen des Umweltschutzes durch Häfen angesprochen. Interessenvertreter der Hafenwirtschaft äußerten sich besorgt über die Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Auswirkungen der Vogelschutz- und Habitat-Richtlinien auf ihre Tätigkeiten. Festzustellen ist aber auch, dass die Häfen zunehmend auf nachhaltigere Entwicklung setzen, um Zustimmung zu ihren Ausbauprojekten zu erreichen. Häfen und Schifffahrtsstraßen befinden sich oft in Mündungs- und Küstengebieten, die umweltgefährdete Gebiete von hohem ökologischen Wert einschließen. Für viele Mitgliedstaaten erweist es sich als schwierig, das Erfordernis der Ausweisung von Natura 2000-Gebieten in Mündungs- und Küstengebieten und die Notwendigkeit, die Aufnahmekapazität von Häfen zu verbessern, um dem Beförderungsbedarf in Europa gerecht zu werden, miteinander in Einklang zu bringen; diese Situation hat zu lokalen Streitigkeiten sowie mehreren Entscheidungen und Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union geführt. Um Hilfestellung bei der Lösung dieser schwierigen Aufgabe zu geben, haben einige Mitgliedstaaten bereits Konzepte entwickelt, um die Hafenentwicklung mit den Bestimmungen der Habitat-Richtlinie in Einklang zu bringen. In ihrer Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik hat die Kommission die Schwierigkeit anerkannt, die Anforderungen hinsichtlich der Hafeninfrastruktur und die Umweltschutzrichtlinien miteinander in Einklang zu bringen. Deshalb sind die Dienststellen der Kommission dem Ersuchen der Hafenwirtschaft nachgekommen und haben einen Leitfaden zur Auslegung der beiden Naturschutz-Richtlinien entwickelt. Dies ist der politische Hintergrund des vorliegenden Leitfadens, der dazu beitragen soll, die Notwendigkeit der Hafenentwicklung und die Verpflichtung zur Einhaltung der EU-Umweltvorschriften miteinander zu vereinbaren. 13 14 Leitlinien der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 2. DIE PROBLEMATIK 2.1. Belastungen von Mündungs- und Küstengebieten Zu den Aktivitäten des Menschen in Mündungs- und Küstengebiete gehören Schifffahrt, Baggerarbeiten, Gesteins- und Sandgewinnung, Fischerei, Aquakultur, Industrie (einschließlich Öl- und Gasgewinnung, Betrieb von Windenergieanlagen), Einleitung von Schlamm und Abwasser, Wasserentnahme (z. B. für Kraftwerke und Industrieanlagen), Bau von Sicherungsanlagen (wie Küsten- und Hochwasserschutz), Freizeitaktivitäten wie Vogelbeobachtung und Jagd, Urbanisierung, Verlegung von Kabeln, Rohren und Tunneln, Militär- und Forschungsaktivitäten. Alle diese Tätigkeiten können einzeln oder kombiniert die für Mündungs- und Küstengebiete festgelegten Naturschutzziele potenziell erheblich beeinträchtigen. Im Folgenden werden die Auswirkungen beschrieben, die mit Wasserstraßen und Häfen in unmittelbarem Zusammenhang stehen. 1. Baggerarbeiten Ausbaggerungen, Unterhaltungsbaggerungen und die Umlagerung von Baggergut wirken sich auf die hydrodynamischen und geomorphologischen Bedingungen im Mündungsgebiet aus: Die natürliche Sedimentation in Mündungsgebieten hängt von den hydraulischen Kräften im Flussbecken und vom Sedimentaufkommen ab. Sedimente werden entweder durch Erosion im Flusseinzugsgebiet oder aus dem Meeresmilieu oder durch eine Kombination dieser beiden Quellen eingetragen. An einem bestimmten Punkt ist eine Art Gleichgewicht erreicht; darüber hinaus lagern sich Sedimente nicht mehr im Mündungsgebiet ab, sondern werden von dort abgegeben. Alle Faktoren, die die hydrodynamischen und/oder geomorphologischen Bedingungen beeinflussen, können dieses Gleichgewicht und den Sedimentfluss verändern und der Verlagerung von Lebensräumen Vorschub leisten, die in Mündungs-- und Küstenökosystemen vorkommen (z. B. Schlickwatt oder Sandbänke). Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen Ausbaggerungsarbeiten, da sie den Trend zur Mündungsaufschüttung umkehren und das Gleichgewicht im Mündungsgebiet stören können. Durch die Ausbaggerung des Mündungsgebiets wird ein weiteres Vordringen des Salzkeils flussaufwärts ermöglicht; die Wellentätigkeit wird verstärkt und Tidenhub, Tidenströmung, das Aufkommen suspendierter Sedimente und die Sedimentablagerung werden beeinflusst. Zudem können die hydrodynamischen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Erosion und Ablagerung sowie den Transport von Sedimenten außerhalb des ausgebaggerten Bereichs sekundäre geomorphologische Veränderungen einschließlich einer potenziellen Erosion von Schlickwatt und Salzmarschen nach sich ziehen. Als Unterhaltungsbaggerungen werden regelmäßige oder kontinuierliche Baggerarbeiten zur Erhaltung der schiffbaren Fahrrinnentiefe in einem Mündungsgebiet oder an der offenen Küste bezeichnet. Unterhaltungs- und Investitionsbaggerungen können ähnliche Auswirkungen haben. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass Investitionsbaggerungen den größeren Eingriff darstellen, während Baggerarbeiten zur Unterhaltung in kleineren Schritten erfolgen und verhindern sollen, dass sich der ursprüngliche Zustand wieder einstellt. Dies bedeutet jedoch auch, dass kontinuierlich Probleme auftreten, die gelöst werden müssen, wenn für Lebensräume und Arten ein Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten günstiger Erhaltungszustand bewahrt werden soll. Mögliche Ansatzpunkte sind die Anpassung der Baggerverfahren und der Einsatz von Techniken der Sedimentzufuhr, die aber nicht universell anwendbar sind. Unter Umständen kommt auch eine nutzbringende Wiederverwendung von Baggergut z. B. zur Strandaufschüttung in Betracht, wobei jedoch darauf zu achten ist, dass keine bedeutenden sublitoralen Gemeinschaften zugeschüttet werden. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine sorgfältige Prüfung der hydrodynamischen Wirkungen in Mündungs- und Küstengewässern ist. Die umsichtige Planung der Baggerarbeiten und der Umlagerung von Baggergut ist ein integraler Bestandteil von Sedimentmanagementplänen. 2. Unterhaltungsarbeiten Auch andere Unterhaltungsarbeiten als Unterhaltungsbaggerungen wie Wartung, Austausch oder Installation von Schifffahrtszeichen, Pfählen, Leuchten, Seeverkehrssteuerungssystemen und Bojen; Erweiterung von Hellingen und Molen; Instandhaltung von Uferschutzwerk, Flutschutzanlagen und Buhnen können die für Mündungs- und Küstengebiete festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigen. 3. Aktivitäten der Handelsschifffahrt Die Aktivitäten der Handelsschifffahrt im Hafen lassen sich in zwei große Kategorien unterteilen: Betrieb und Bewegung von Schiffen sowie Güterumschlag. Der Schiffsverkehr in Mündungs-- und Küstengewässern kann die Merkmale eines Lebensraums durch die Erzeugung von Wellen und die von Schiffsschrauben ausgelöste Trübung der Wassersäule potenziell nachteilig beeinflussen. Schiffsbewegungen können entweder schädliche Auswirkungen haben, wenn sie z. B. die litorale Erosion von Mündungsgebieten und/oder die Aufwirbelung von Sedimenten auslösen, oder auch vorteilhafte, wenn sie beispielsweise für die Belüftung der Wassersäule sorgen. Von Schiffen ausgehender Lärm (über und unter Wasser) kann geschützte Meerestiere stören. Durch das Ankern von Schiffen (außerhalb der Anlegestellen) können Tiere und Pflanzen auf dem Meeresgrund (Muschelbänke, Weichkorallen, Seegrasbestände usw.) gestört oder zerstört werden. Schiffsemissionen in die Luft, die Entsorgung von Abfällen und die Behandlung von Ballastwasser können nahe gelegenen Küstenhabitaten schaden. Beim Umschlag von Trockenmassengut können Staubemissionen und Luftverschmutzung (Stickstoff, Schwefel) entstehen. Für den Umschlag von Flüssigmassenfrachtgut sind unter Umständen Rohrleitungen erforderlich, die das Risiko von Leckagen und Emissionen sowie des Auslaufens von Flüssigkeit mit sich bringen. Beträchtliche Umweltschäden können auch durch Fracht verursacht werden, die versehentlich in die Meeresumwelt gelangt. Die Verbreitung invasiver gebietsfremder Arten, die im Ballastwasser oder auf andere Weise auf Schiffen eingeführt werden, kann sich ebenfalls nachteilig auf Schutzgebiete auswirken. Schiffsbewegungen bergen nicht zuletzt ein Katastrophenrisiko in sich (durch auslaufendes Öl oder auslaufende Fracht). Die einzelnen Aspekte der Handelsschifffahrt (Abfallentsorgung, Ballastwassermanagement, Luftverschmutzung usw.) unterliegen nationalen oder internationalen Vorschriften und Bestimmungen (z. B. Ballastwasser-Übereinkommen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) und MARPOL-Protokolle Anlagen 1 – 6). Die Hafenbehörden haben mit der Einführung eines Umweltindexes auf freiwilliger Basis zusätzlich die Initiative zur Förderung einer „grünen Schifffahrt“ ergriffen. Dieser Index bewertet im Wesentlichen die Luftverschmutzung durch Seeschiffe. 15 16 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 4. Hafenausbau durch Neulandgewinnung und Flächennutzung Auch der Hafen selbst kann sich insofern auf das Natura 2000-Netz auswirken, als der Bau von neuer Infrastruktur (Abfertigungsgebäuden, Schienen, Rohrleitungen, Straßen, neuen Industrieanlagen und großen Flächen für Logistikunternehmen) mit Eingriffen in nahe gelegene Natura 2000-Gebiete verbunden sein kann. In bestimmten Fällen reicht der vorhandene Platz nicht aus, so dass eventuell für den Bedarf der Häfen Neuland gewonnen werden muss. Eine land- oder meerseitige Landgewinnung in Natura 2000-Gebieten erfordert zumeist ökologische Ausgleichsmaßnahmen. 5. Industriekomplexe Zum Hafen gehören häufig Industriekomplexe wie Raffinerien, Kraftwerke, Knotenpunkte für Trocken- und Flüssigmassenfrachtgut und Containerterminals. Zusammengenommen können die Auswirkungen des Betriebs solcher Industrieanlagen, der Schifffahrt und des Verkehrs Umweltschäden in nahe gelegenen Natura 2000-Gebieten verursachen. Aspekte des Umweltschutzes wie Luftqualität, Lärm und Abfall sind in spezifischen Rechtsvorschriften und durch Politiken geregelt, die jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Leitfadens sind. Der Einsatz der besten verfügbaren Techniken ist oft verbindlich vorgeschrieben und kann an sich schon eine Verringerung der ökologischen Belastung von Schutzgebieten bewirken. 2.2 Hauptprobleme des Hafensektors bei der Umsetzung der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie Für die Entwicklung des Hafensektors ist es von zentraler Bedeutung, neue Projekte frühzeitig und sicher planen zu können. In den vergangenen Jahren mussten bei verschiedenen europäischen Häfen die vorgesehenen Termine für die Erweiterung der Terminals verschoben werden. Die Organisation europäischer Seehäfen (European Sea Ports Organisation; ESPO) sieht für diese Verzögerungen mehrere unterschiedliche Ursachen, die von internen strategischen Entscheidungen der Häfen selbst über Einwände aus Umweltschutzgründen, Untersuchungen der Auswirkungen auf die Marktanteile, Finanzierungsprobleme bis hin zu Gerichtsverfahren usw. reichen (ESPO, 2007). Bereits 2007 hat die ESPO ihren Verhaltenskodex zur Umsetzung der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie herausgegeben (Code of Practice on the Birds and Habitats Directives, ESPO, 2007); er enthält Empfehlungen für Hafenbehörden, die sich mit den rechtlichen Auswirkungen der Bestimmungen der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie im weiteren Umkreis ihres Hafenentwicklungsgebiets auseinandersetzen müssen. Im letzten Kapitel dieses Verhaltenskodex sind Punkte aufgelistet, zu denen die Europäische Kommission um Klarstellung ersucht wurde. Im Folgenden sind einige der Fragen aufgeführt, die sich aus der Sicht einer Hafenbehörde bei der Entwicklung und dem Betrieb von Häfen in der Nähe eines Mündungs-- oder Küstenschutzgebiets oder in einem solchen Schutzgebiet stellen. Mit Ausnahme der Kostenaufteilung zwischen den relevanten Beteiligten werden die meisten dieser Fragen im vorliegenden Leitfaden behandelt. 1. Inwiefern könnten ein proaktiver Ansatz und integrierte Planung eine größere Rechtssicherheit bewirken? 2. Wie kann durch eine breit angelegte Anhörung der Öffentlichkeit und die Beteiligung von Interessengruppen an der Projektplanung frühzeitig Einvernehmen zwischen allen Beteiligten erreicht werden? Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 3. Wie können die Kosten auf alle relevanten Beteiligte aufgeteilt werden, die aus der Integration von sozioökonomischen Entwicklungszielen und Naturschutzzielen in Natura 2000-Gebieten Nutzen ziehen können? 4. Wie lassen sich Ausgleichsauflagen durch Auswirkungen systematisch durchgeführte Schadensbegrenzung vermeiden? zur Vorbeugung nachteiliger effiziente Maßnahmen zur 5. Wie kann die Zusammenarbeit von Projektträgern, Umweltschutzgremien und NRO verbessert werden, um flexible Ansätze und für alle Beteiligten vorteilhafte Lösungen zu fördern? Eine weitere wichtige Frage für die Betreiber von Häfen und Wasserstraßen betrifft die Durchführung von Unterhaltungsarbeiten wie Baggerungen in oder in der Nähe von Natura 2000-Gebieten. Während für die Anwendung von Artikel 6 der Habitat-Richtlinie bei neuen Plänen und Projekten bereits eingehende Leitlinien vorliegen, wurden laufende Arbeiten bisher eher vernachlässigt. Dem wird mit den Empfehlungen in Ziffer 3.3.5 nunmehr abgeholfen. Für die Träger von Hafenentwicklungsprojekten ist es auch wichtig zu wissen, wie detailliert sie die potenziellen Auswirkungen neuer Pläne oder Projekte prüfen müssen, um die Vorschriften der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie einzuhalten. Dabei sind Leitlinien für den Umgang mit Unsicherheiten von Bedeutung. Die ESPO hat eine Checkliste erstellt, die als Anleitung für eine Selbstprüfung hierbei wertvolle Dienste leistet (siehe Anhang 3). 2.3 Klimawandel: Ein besonderes Problem in Mündungs- und Küstengebieten Küsten- und Überschwemmungsgebiete gehören zu den von Klimaänderungen am stärksten betroffenen Gebieten, da sich hier der Anstieg des Meeresspiegels in Verbindung mit den erhöhten Risiken von Stürmen, Starkregen und Sturmfluten unmittelbar bemerkbar macht und zu weiträumigen Schäden in bebauten Gebieten und an der Infrastruktur führt. Maßnahmen zum Schutz vor Überschwemmungen wie Deichbau, Landgewinnung und andere Formen des Küstenschutzes können Ursache für die so genannte „Küstenknappheit“ („coastal squeeze“) sein; mit diesem Ausdruck wird das Phänomen bezeichnet, dass immer weniger Raum für natürliche Küstenprozesse zur Verfügung steht, die Erosionskräften entgegenwirken und Veränderungen wie den Meeresspiegelanstieg auffangen können. Küstenknappheit tritt insbesondere in niedrig gelegenen Gezeitenzonen auf, deren natürliche Fähigkeit zur Anpassung an Veränderungen der Meeresspiegelhöhe, an Stürme und Gezeiten durch die Errichtung von starren Barrieren wie Straßen, Deichen, Gebäuden, Hafen- und Industrieinfrastruktur beeinträchtigt wird. In Mündungs- und Küstengebieten sollten innovative Maßnahmen zur Verhütung von Küstenknappheit ergriffen werden. Natürliche Knappheit mit ähnlichen Folgen tritt auf, wenn die Küste auf ansteigendes Gelände trifft und diese Erhöhung erodierten Lebensräumen die Möglichkeit zur Verlagerung nimmt. 17 18 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Abbildung 1: Küstenknappheit entsteht, wenn eine Verlagerung von Lebensräumen (ausgelöst durch den Anstieg des Meeresspiegels) durch Hochwasserschutzmaßnahmen verhindert wird (Environment Agency, UK, 2005) Der Klimawandel hat gravierende Folgen für die natürliche Umwelt in Europa sowie für nahezu alle Bereiche von Gesellschaft und Wirtschaft. Der Meeresspiegelanstieg reduziert die Schutzwirkung von Wellenbrechern und Kaimauern; aber auch Phasen von Niederschlagsknappheit in den Flusseinzugsgebieten können die Menge des abfließenden Süßwassers reduzieren und die Sedimentation im Mündungsgebiet verstärken. In trockenen Sommern sinken die Wasserstände der Flüsse, so dass das Erreichen von Binnenhäfen über Binnenwasserstraßen beeinträchtigt sein kann. Es ist klar, dass der durch den Klimawandel hervorgerufene Anstieg des Meeresspiegels die Merkmale der Gezeiten beeinflussen und zu einer Zunahme des Tidehubs und in der Folge zu höheren Strömungsgeschwindigkeiten führen wird. Dies kann den „Tidal-Pumping“-Effekt zusätzlich verstärken und möglicherweise die weitere Reduzierung wertvoller Flachwassergebiete und die unerwünschte Ablagerung von Sedimenten bedeuten, was wiederum den Verlust an biologischer Vielfalt nach sich zieht und nicht zuletzt die Notwendigkeit von Baggerungen erhöht. Das größte Problem des ansteigenden Meeresspiegels ist aber der potenzielle Sedimentmangel, der verhindert, dass Schlick- und Sandwatt mit dem Anstieg des Meeresspiegels Schritt halten können. Dies dürfte zur Ausdehnung sublitoraler Lebensräume führen. Für eine sehr begrenzte Zahl europäischer Häfen kann die Sedimentablagerung in sublitoralen Zonen Nachteile bringen; die Möglichkeit eines Sedimentaustrags und einer verstärkten Erosion aufgrund von fehlender Fläche für den Rollover-Prozess stellt jedoch das größere Problem dar. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 3. LEITLINIEN Mit den vorliegenden Leitlinien sollen nationalen zuständigen Behörden, Hafen- und Wasserstraßenverwaltungen, Betreibern und im Umweltschutz tätigen NRO praktische Empfehlungen für die Umsetzung der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie in Mündungsund Küstengebieten unter besonderer Berücksichtigung von Hafenentwicklungs- und Baggermaßnahmen gegeben werden. Im Wesentlichen werden die folgenden Aspekte behandelt: Erhaltungsziele für dynamische Umgebungen, integrierte Planung, neue Entwicklungen und Anpassungsstrategien. Ziel dieser Leitlinien ist es, effizientere Planungsund Entwicklungsansätze und die Anwendung „beschleunigter Verfahren“ bei Hafenausbauprojekten in Übereinstimmung mit der Mitteilung „Strategische Ziele und Empfehlungen für die Seeverkehrspolitik der EU bis 2018“ (KOM(2009) 8 endgültig) zu fördern. Die Praxis hat gezeigt, dass eine frühzeitige Zusammenarbeit von Interessengruppen und Beteiligten in vielen Fällen Voraussetzung für eine erfolgreiche Planung und die Vermeidung von Verzögerungen ist. Mündungs- und Küstengebiete sind äußerst komplexe und dynamische Umgebungen, in denen die Interessen einer Vielzahl von Sektoren zusammentreffen. In der Regel haben diese Gebiete für den Naturschutz, für Gesellschaft und Wirtschaft größte Bedeutung. Dies macht zwar das Planungsverfahren bei Entwicklungsprojekten zu einem komplizierten Prozess, der aber dennoch auf ausgewogene, kostenwirksame, zügige und integrierte Weise angewickelt werden kann. Hauptsächlich geht es darum, allen beteiligten Parteien ihre rechtlichen Verpflichtungen bewusst zu machen und ein Grundverständnis der Funktionsweise von Mündungsgebieten als Ökosysteme zu vermitteln. 3.1. Erhaltungsziele für dynamische Umgebungen 3.1.1. Verstehen und Bewirten von Mündungs- und Küstengebieten als komplexe und dynamische Ökosysteme Vor der Festlegung von Erhaltungszielen für dynamische Umgebungen wie Mündungs- und Küstengebiete muss zunächst klar sein, wie diese komplexen Ökosysteme funktionieren, wie ihre „morphologische“ Entwicklung verläuft und wie sie durch vom Menschen verursachte Belastungen und Klimaänderungen beeinflusst werden können. Das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen (physikalischen, chemischen, biologischen und hydromorphologischen) Komponenten der Mündungs-- und Küstenökosysteme ist hochkomplex und äußerst anfällig für Aktivitäten des Menschen wie hafenbezogene Tätigkeiten, Landwirtschaft und Maßnahmen zum Hochwasserschutz. Sowohl die ökologischen als auch die wirtschaftlichen Werte dieser Ökosysteme müssen erhalten werden, um den gesellschaftlichen Erfordernissen gerecht zu werden. Ein Ökosystem-Ansatz, wie er in der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie12 in Grundzügen beschrieben wird, eignet sich gut für die Bewirtschaftung komplexer Systeme wie Mündungs- 12 Richtlinie 2008/56/EG (Amtsblatt der Europäischen Union vom 25.6.2008); Allgemeine Bestimmungen, Artikel 1 Absatz 3: „Im Rahmen der Meeresstrategien wird ein Ökosystem-Ansatz für die Steuerung menschlichen Handelns angewandt, der gewährleistet, dass die Gesamtbelastung durch diese Tätigkeiten auf ein Maß beschränkt bleibt, das mit der Erreichung eines guten Umweltzustands vereinbar ist, und dass die Fähigkeit der Meeresökosysteme, auf vom Menschen verursachte Veränderungen zu reagieren, nicht beeinträchtigt wird, und der gleichzeitig die nachhaltige Nutzung von Gütern und 19 20 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten und Küstengebiete. Hierbei wird ein Ökosystem als ökologische Einheit mit typischer Struktur, typischen Prozessen und typischen Funktionen definiert, die in Wechselwirkung mit ihrem Umfeld stehen. Im Vergleich zum Ansatz für Lebensräume/Gewässer wird beim Ökosystem-Ansatz für die Analyse eine höhere räumliche Ebene herangezogen. Der Klimawandel wirkt sich potenziell auf die biologische Vielfalt und die Hydromorphologie in Mündungs- und Küstengebieten sowie auf Tätigkeiten des Menschen wie die Entwicklung und den Betrieb von Häfen aus. Leitlinien für Planung und Entscheidungsfindung auf Basis des Verständnisses von Ökosystemen • Die physikalischen Prozesse und die morphologische Entwicklung der spezifischen Mündungs- und Küstengebiete sollten eingehend untersucht werden. Die zuständigen Behörden sollten die Naturschutzziele für diese Ökosysteme auf der Grundlage des besten verfügbaren, wissenschaftlich fundierten Wissens über diese Elemente festlegen. • Vor der Bestimmung von Erhaltungszielen für Mündungs- und Küstengebiete, die als Natura 2000-Gebiete ausgewiesen sind, sollten Vorkommen, geografische Verbreitung und tatsächlicher Erhaltungszustand aller nach Maßgabe der Naturschutzrichtlinien geschützten Lebensräume und Arten sowie die potenziellen Gefahren, denen sie ausgesetzt sein könnten, detailliert ermittelt werden. • Integrierte Bewirtschaftungspläne für Mündungsgebiete sollten als wichtiges Instrument für die Erhaltung und den Schutz von kritischen Prozessen, Gebieten und Arten erstellt und umgesetzt werden, wobei gleichzeitig den Belangen einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung Rechnung zu tragen ist. Nach Möglichkeit sollten diese Pläne in den Bewirtschaftungsplan für das gesamte Flusseinzugsgebiet integriert werden. • Bei der Erstellung integrierter Bewirtschaftungspläne für Natura 2000-Gebiete sollten die Ziele des Naturschutzes wie auch die der sozioökonomischen Entwicklung berücksichtigt werden. Hierfür sollte ein Ökosystem-Ansatz gewählt werden, der die nachhaltige Nutzung von Gütern und Dienstleistungen bei vollständiger Einhaltung der für das Gebiet festgelegten Erhaltungsziele ermöglicht. • Mit der Veränderung eines Mündungs- oder eines Küstengebiets gehen auch Veränderungen des Vorkommens von Arten und Habitaten einher. Deshalb sollte bei den Zielen und Maßnahmen zur Erhaltung von Natura 2000-Gebieten auch den systemspezifischen dynamischen Bedingungen und Entwicklungstrends Rechnung getragen werden. Ferner ist zu unterscheiden zwischen natürlichen Entwicklungen und den Folgen menschlichen Handelns wie insbesondere der Entstehung von Küstenknappheit und den mit der Fahrrinnenvertiefung verbundenen morphologischen Veränderungen. Unsicherheiten oder Wissenslücken in Bezug auf physikalische, morphologische oder biologische Prozesse sollten durch zusätzliche Forschungen so weit wie möglich ausgeräumt bzw. geschlossen werden; falls dennoch Unsicherheiten verbleiben, sollten anpassungsfähige Überwachungsprogramme vorgesehen werden. Neue Erkenntnisse und wissenschaftliche Informationen sollten in den Bewirtschaftungsplan einfließen und, wenn nötig, zu einer entsprechenden Anpassung der Bewirtschaftungs- und Überwachungsmaßnahmen führen. Dienstleistungen des Meeres heute und durch die künftigen Generationen ermöglicht.“ Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Potenzielle Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sollten bei der Festlegung von Erhaltungszielen ebenfalls in Betracht gezogen werden. Hierbei sind insbesondere regionale Ungleichgewichte beim Sedimentvorkommen zu beachten. Sedimentmangel kann eine weitere Erosion z. B. von Sümpfen, Wattenmeeren (LRT 1100, 1130 und 1140), Sandbänken, Stränden und Dünen, nach sich ziehen. Proaktive strategische Ansätze des Küstenmanagements sollten ausgearbeitet und dabei sollte vorrangig auf die Erhöhung der Küstensicherheit und der Elastizität des Ökosystems sowie die Erhaltung eines ausgewogenen Sedimentgleichgewichts in den Küsten- und Mündungssystemen hingewirkt werden. Wenn möglich, sollte proaktiv die Ausweitung von Naturräumen, anstatt eine Katastrophenabwehr oder die Bewältigung von Klimaauswirkungen angestrebt werden. Eine wichtige Anpassungsmaßnahme ist die Schaffung von Verbreitungskorridoren für Arten. Wenn Veränderungen im Sedimentaufkommen zum Verlust wichtiger Lebensräume wie Flachwassergebiete führen, sollten angepasste Sedimentmanagementpläne als Instrument zur Verwirklichung der Erhaltungsziele in Erwägung gezogen werden. 3.1.2. Schutz von Lebensräumen und Arten von gemeinschaftlichem Interesse Mündungsgebiete an der nordöstlichen Atlantikküste sind den Gezeiten ausgesetzt. Im Gegensatz zu „großen flachen Meeresarmen und –buchten“ unterliegen Flussmündungen ins Meer in der Regel einem deutlichen Süßwassereinfluss. Durch die Vermischung von Süß- und Meerwasser und die schwächere Strömung im Schutz des Mündungsgebiets kommt es zur Ablagerung von feinen Sedimenten und in der Folge oft zur Entstehung ausgedehnter Sand- und Schlickwattflächen. Charakteristisch für Mündungsökosysteme sind sublitorale und litorale Lebensräume (Schlickwatt) einschließlich Salzsümpfen (landseitig). Die Mündungen von Flüssen in die Ostsee, in das Mittelmeer und das Schwarze Meer gelten als Mündungssubtypen mit Brackwasser und nahezu ohne Tide. Mündungs- und Küstengebiete sind dynamische Systeme, in denen zeitgleich mehrere Lebensraumtypen und Habitate von Arten vorkommen. Sandbänke (LRT 111013), vegetationsfreies Schlick-, Sand- und Mischwatt (LRT 1140), Riffe (LRT 1170) sowie Salzsümpfe und -wiesen (LRT 1310 bis 1330) sind weitere mögliche Komponenten des Lebensraumtyps 1130 (Ästuarien). Durch diese Gebiete verlaufen zudem Korridore für Wanderarten (wie Fische), und viele Vogelarten haben hier ihre Rastplätze. In einigen Fällen sind Mündungs- und Küstengebiete auch mit Lagunen des Küstenraums (Strandseen) (LRT 1150*) oder flachen großen Meeresarmen und –buchten (LRT 1160) verbunden. In allen geografischen Bereichen können auch Fahrrinnen und/oder Schifffahrtsstraßen integraler Bestandteil des Lebensraumtyps „Mündungsgebiete“ sein; sie beeinflussen die hydrologische Funktionsweise von Mündungs- und nahe gelegenen Küstengebieten, unter anderem die Wasserzirkulation und die Sedimentablagerung. Ein Mündungsgebiet ist generell als komplexes Gefüge unterschiedlicher Lebensräume zu verstehen. Angrenzende Küstenzonen sollten in die Überlegungen zur Festlegung von Erhaltungszielen für Mündungs- und Küstengebiete einbezogen werden. Nähere Informationen über die Definition von Lebensräumen sind dem Auslegungsleitfaden der Europäischen Union zu Lebensräumen (Interpretation Manual of European Union Habitats) 13 Lebensraumtyp gemäß Habitat-Richtlinie. 21 22 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten zu entnehmen. Die Kapitel zu bestimmten Lebensräumen (z. B. Meereslebensraumtypen 1110, 1170 und 1180) in diesem Leitfaden wurden 2007 überarbeitet. Ferner liegen mehrere einzelstaatliche Leitfäden vor. Die Mitgliedstaaten gehen jedoch bei dem Lebensraumtyp 1130 „Ästuarien“ jeweils von unterschiedlichen Definitionen und/oder Auslegungen aus. Die biologischen Bedingungen innerhalb von Mündungs- und Küstengebieten werden von mehreren Schlüsselparametern bestimmt. Das Vorhandensein bzw. das Fehlen von Arten (Angiospermen, benthischer wirbelloser Fauna, Fischfauna, Vögeln und Säugetieren usw.) hängt vom Verhalten des Systems und seiner ökologischen Nahrungskette ab. Eine Rolle spielen hierbei physikalische Parameter wie Trübung und Salzgehalt des Wassers. Deutliche Veränderungen der physikalischen Elemente in Mündungs- und Küstengebieten, wie sie mit Ausbauprojekten für Häfen und Wasserstraßen einhergehen, können möglicherweise den Fortbestand bestimmter Arten in der Nahrungskette gefährden. Für einige aquatische Lebensräume, die unter die Habitat-Richtlinie fallen, tragen die den guten Umweltzustand ausmachenden chemischen, biologischen und hydromorphologischen Elemente gemäß der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) bereits zur Verwirklichung der Ziele der Naturschutzrichtlinien bei. Einige der für Lebensräume des Anhangs 1 typischen Arten dienen als Indikatoren für die Beurteilung des ökologischen Zustands gemäß der WRRL (Angiospermen, benthische Fauna, Fische). Der Erhaltungszustand von Arten und Lebensräumen, die unter die Schutzbestimmungen der Naturschutzrichtlinien fallen, hängt unter Umständen nicht allein von der in der WRRL definierten guten ökologischen Qualität von Gewässern ab, auch wenn diese zweifellos von großer Bedeutung ist. Für den lokalen Erhaltungszustand von Arten können auch andere spezifische Elemente maßgeblich sein, die von Fall zu Fall bestimmt werden müssen. Zusätzlich zu den in der WRRL vorgesehenen Maßnahmen, die nach der Vogelschutz- oder der Habitat-Richtlinie jedoch möglicherweise vorgeschrieben sind, kommen z. B. die Einrichtung ruhiger Rastplätze für Seehunde oder von Futterplätzen in litoralen Lebensräumen für Otter oder Vögel bei Ebbe oder auch die Schaffung geeigneter Nistplätze für Vögel in Betracht. Das Hauptaugenmerk sollte hierbei auf der Wahl eines für alle Seiten vorteilhaften Ansatzes sowie auf der frühzeitigen Abstimmung von Zielen und Maßnahmen sowohl nach der WRRL als auch nach den Natura 2000-Vorschriften liegen. Leitlinien für die Ausweisung von Natura 2000-Gebieten und deren Einbeziehung in die WRRL Ein Mündungs- oder Küstengebiet bildet mit den angrenzenden terrestrischen und sublitoralen Lebensraumtypen eine ökologische Einheit. Die verschiedenen Lebensraumtypen sollten im Hinblick auf den Naturschutz nicht isoliert betrachtet werden, und ihr Zusammenwirken sollte bei der Abgrenzung des Schutzgebiets berücksichtigt werden. Fahrrinnen und/oder Schifffahrtsstraßen sind nach wie vor ein integraler Bestandteil ausgewiesener Natura 2000-Gebiete und sollten in die Bewirtschaftungspläne einbezogen werden. Die Mitgliedstaaten und die lokalen Behörden sollten sich bei der Festlegung von Erhaltungszielen und bei der Durchführung und Überwachung von Maßnahmen im Rahmen der Naturschutzrichtlinien und der WRRL abstimmen. Nach Möglichkeit sollten integrierte WRRL- und Natura 2000-Bewirtschaftungspläne erstellt werden. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 3.1.3. Festlegung von Erhaltungszielen für Mündungs- und Küstenlebensräume Die Erarbeitung von Erhaltungszielen für Mündungs- und Küstengebiete stellt eine echte Herausforderung dar, weil es sich um äußerst komplexe und dynamische Ökosysteme handelt. Die endgültige Zuständigkeit für die Bestimmung adäquater Erhaltungsziele, Prioritäten und Instrumente, die den jeweiligen nationalen, regionalen und lokalen Gegebenheiten angepasst sind, liegt immer bei den Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang können folgende Fragen auftreten: - Wie werden Erhaltungsziele auf nationaler/lokaler Ebene festgelegt? - Wie können Natura 2000-Bewirtschaftungspläne auf der Grundlage eines ÖkosystemAnsatzes erstellt werden und gleichzeitig der Quantifizierung von Erhaltungszielen und der Festlegung von Maßnahmen zur Erhaltung von Lebensräumen und Arten dienen? - Wie lassen sich sozioökonomische Ziele in die Erhaltungsziele und die Bewirtschaftungspläne für Natura 2000-Gebiete integrieren? Erhaltungsziele und -maßnahmen müssen sowohl landesweit als auch für die einzelnen Schutzgebiete festgelegt werden. In Artikel 2 Absatz 1 der Habitat-Richtlinie wird als Ziel dieser Richtlinie ein Beitrag zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im gesamten „europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat“ genannt. Gemäß Artikel 4 Absatz 4 der Habitat-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten gehalten, Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als besondere Schutzgebiete auszuweisen und „dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumtyps des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 sowie danach fest(zulegen), inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind“. Artikel 6 Absatz 1 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Erhaltungsmaßnahmen für die einzelnen besonderen Schutzgebiete festlegen. Die Erhaltungsziele für diese Gebiete sollten sich an den in Artikel 4 Absatz 4 genannten Prioritäten orientieren. Diese geben Hilfestellung für die Festlegung spezifischer gebietsbezogener Erhaltungsmaßnahmen. Die Erhaltungsziele für den gesamten Mitgliedstaat und die Ziele für die einzelnen Schutzgebiete ergänzen sich, da Natura 2000 als Netz konzipiert ist, in dem jedes Element eine zur Wahrung der globalen Kohärenz des Systems spezielle Funktion wahrnimmt. Für ein Schutzgebiet festgelegte Erhaltungsziele tragen demnach auch zur Verwirklichung der landesweit geltenden Erhaltungsziele bei. Artikel 2 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie schreibt im Hinblick auf die Festlegung der spezifischen Erhaltungsmaßnahmen für die einzelnen Schutzgebiete vor, „den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen“. Hierbei darf jedoch das Gesamtziel des Natura 2000Netzes nicht gefährdet werden, das darin besteht, „den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet“ zu gewährleisten. Alle Schutzgebiete leisten einen spezifischen Beitrag zur Verwirklichung dieses Ziels, wobei die einzelnen Beiträge aller Gebiete nicht unbedingt gleichwertig sein müssen. Für die besonderen Schutzgebiete sind drei Maßnahmenarten vorgegeben: proaktive Erhaltungsmaßnahmen gemäß Artikel 6 Absatz 1, Vermeidungsmaßnahmen gemäß Artikel 6 23 24 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Absatz 2, die die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume verhindern sollen, sowie spezifische Maßnahmen zur Prüfung und Genehmigung neuer Pläne und Projekte gemäß Artikel 6 Absätze 3 und 4. Bei den Erhaltungszielen für ein bestimmtes Gebiet sind all diese Vorgaben einzuhalten. Die nach Artikel 4 der Vogelschutz-Richtlinie geforderten besonderen Schutzmaßnahmen entsprechen den Maßnahmen für besondere Schutzgebiete gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Habitat-Richtlinie. Die Bestimmungen in Artikel 6 Absätze 2, 3 und 4 gelten auch für Schutzgebiete im Sinne der Vogelschutz-Richtlinie. Leitlinien für die Festlegung von Erhaltungszielen Ist ein Gebiet aufgrund des in Artikel 4 Absatz 2 der Habitat-Richtlinie genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich – spätestens aber binnen sechs Jahren - als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumtyps des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 sowie danach fest, inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind. (Artikel 4 Absatz 4 der Habitat-Richtlinie) Bei der Erarbeitung von Erhaltungszielen sollten die nationalen zuständigen Behörden die Dynamik von Mündungs- und Küstengewässern und die jeweiligen natürlichen Fluktuationen der geschützten Arten und Lebensraumtypen berücksichtigen. Ferner sollte den morphologischen, chemischen und biologischen Prozessen in vollem Umfang Rechnung getragen werden. Die ökologischen Funktionen von Mündungs- und Küstengewässern wie auch die hydrologischen Funktionen, die Aufgabe als Laichplatz und Aufzuchtgebiet sowie als saisonaler Lebensraum für Wanderarten sollten anerkannt werden. Bei der Festlegung von Erhaltungszielen und –maßnahmen für ein Natura 2000Schutzgebiet sollten die Bewertung des lokalen Erhaltungszustands geschützter Lebensräume und Arten, die relative Bedeutung des Gebiets für die Kohärenz des Natura 2000-Netzes sowie für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands dieser Lebensräume und Arten zugrunde gelegt werden. Sie sollten zudem widerspiegeln, inwieweit das Gebiet von Schädigung oder Zerstörung bedroht ist. Die Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf das Gebiet als solches sind im Lichte der für dieses Gebiet vorgegebenen Erhaltungsziele zu prüfen (Artikel 6 Absatz 3). Der Erhaltungszustand zum Zeitpunkt der Ausweisung des Gebiets sollte als Bezugswert bei der Beurteilung der Verschlechterung zugrunde gelegt werden (Artikel 6 Absatz 2). Hierbei sind auch Verbesserungen durch Wiederherstellungsmaßnahmen oder sonstige Verbesserungen, z. B. Zunahme des Vogelbestands als Folge von Belastungen in anderen Gebieten oder der Klimaänderungen, sowie durch natürliche Ereignisse oder den Klimawandel hervorgerufene Verluste zu berücksichtigen. Der Standard-Datenbogen für das Gebiet dient hierbei als wichtiges Bezugsdokument. Hafen- und Wasserstraßenverwaltungen sollten frühzeitig an den Verfahren für die Entwicklung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen für Natura 2000-Gebiete, die in der Nähe von Häfen liegen oder über Wasserstraßen mit diesen verbunden sind, beteiligt werden. Bei der Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen für ein bestimmtes Gebiet sollten wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Erfordernisse sowie regionale und lokale Merkmale wie die aktuelle Situation in den Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Häfen und die voraussichtlichen weiteren wirtschaftlichen Entwicklungen berücksichtigt werden, ohne den Beitrag des jeweiligen Gebiets zur Verwirklichung des für das Natura 2000-Netz vorgegebenen Gesamtziels und die globale Kohärenz des Natura 2000-Netzes zu gefährden. Erhaltungsziele sollten nicht statisch sein; vielmehr müssen sie der tatsächlichen Veränderung des Erhaltungszustands von Arten und Lebensräumen und der Entwicklung weiterer ökologischer Faktoren in einer komplexen und dynamischen Umgebung angepasst werden. Für die Überwachung der kurz- und langfristigen Entwicklung, unter anderem der morphologischen Dynamik und der Zirkulation/Umverteilung der Sedimente, sollten entsprechende Verfahren eingeführt werden. Anhand der festgestellten Trends können die Erhaltungsziele und Bewirtschaftungsmaßnahmen überarbeitet werden (unter Anwendung der Grundsätze der anpassungsfähigen Bewirtschaftung). 3.2. Integrierte Planung 3.2.1. Bewirtschaftungspläne Für Natura 2000-Gebiete werden in der Habitat-Richtlinie Bewirtschaftungspläne empfohlen, jedoch nicht verbindlich vorgeschrieben. Diese Pläne dürften eine geeignete Lösung für die Wiedergabe transparenter Erhaltungsziele und die Entwicklung von Maßnahmen zur Erhaltung oder Steigerung der Naturwerte in Einklang mit den Systemprozessen sein. Ein Bewirtschaftungsplan bietet die Möglichkeit, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Sicherheitsaspekte und Zugänglichkeit mit Naturschutzzielen zu vereinbaren. In einem solchen Plan lassen sich wiederkehrende, regelmäßige Unterhaltungsmaßnahmen und Erhaltungsziele miteinander verbinden. Bewirtschaftungspläne sind auch ein geeignetes Instrument für die Vereinbarung regelmäßiger Routinearbeiten wie Unterhaltungsbaggerungen mit dem Umweltschutz und für die Einbeziehung von Hafenbehörden und anderen Interessenträgern in die Bewirtschaftung von Natura 2000-Gebieten. Wenn Unterhaltungsmaßnahmen in direktem Zusammenhang mit der Bewirtschaftung des Gebiets berücksichtigt werden und in einen Natura 2000-Bewirtschaftungsplan integriert sind, wird bei ihrer Planung darauf geachtet, dass sie voraussichtlich keine nachteiligen Auswirkungen auf das Gebiet als solches haben bzw. die für das Gebiet festgelegten Erhaltungsziele nicht gefährden. In diesem Fall können die Maßnahmen ohne Prüfung auf Verträglichkeit nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie genehmigt werden. Die Integration von strategischen Hafenplänen, Bewirtschaftungsplänen für Flusseinzugsgebiete gemäß der WRRL und Natura 2000-Bewirtschaftungsplänen kann einen Abbau des Verwaltungsaufwands und eine Verringerung von Verzögerungen und Rechtsunsicherheit bewirken. 25 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 26 Leitlinien für Natura 2000-Bewirtschaftungspläne Für Natura 2000-Gebiete sollten integrierte Bewirtschaftungspläne erstellt werden, vor allem für Gebiete, die von Hafenaktivitäten oder sonstigen industriellen Tätigkeiten betroffen sind. Hafen- und Wasserstraßenverwaltungen sollten aktiv an der Erstellung von Bewirtschaftungsplänen für Natura 2000-Gebiete in der Nähe von Häfen und zugehörigen Wasserstraßen beteiligt werden. Strategische Hafenpläne, Bewirtschaftungspläne für Flusseinzugsgebiete gemäß der WRRL und Natura 2000-Bewirtschaftungspläne sollten koordiniert und nach Möglichkeit zusammengefasst werden, um aus einem potenziell für alle Beteiligten vorteilhaften Vorgehen optimal Nutzen ziehen zu können („Win-Win-Situation“). Regelmäßige Unterhaltungsarbeiten, die für den reibungslosen Ablauf des Hafenbetriebs und des Einlaufs der Schiffe ausgeführt werden müssen, sollten in die Bewirtschaftungspläne einbezogen und so geplant werden, dass sie die für das jeweilige Gebiet geltenden Erhaltungsziele nicht beeinträchtigen. 3.2.2. Raumplanung Raumplanung und integrierte Bewirtschaftung auf der Grundlage vorausschauender und proaktiver Ansätze können die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen in den Gebieten unterstützen und mehr Rechtssicherheit für Hafenentwicklungsprojekte schaffen. Integrierte Planung ist eine Möglichkeit, Synergieeffekte und Komplementarität zu erreichen; sie ist ein Instrument zur Förderung der sozialen Verantwortung und der nachhaltigen Entwicklung. Integrierte Planung sollte dabei helfen, Unstimmigkeiten, Konflikte und letztlich Wettbewerb um den verfügbaren Raum zu vermeiden. Die Beseitigung von Reibungspunkten im Vorfeld spart Zeit und beugt „Verfahrensstreitigkeiten“ vor. In ihrer Empfehlung 2002/413/EG zur Umsetzung einer Strategie für ein integriertes Management der Küstengebiete ebnet die Europäische Kommission den Weg für eine bessere strategische Planung. Sie empfiehlt die „Umsetzung eines ökologisch nachhaltigen, wirtschaftlich ausgewogenen, sozial verträglichen und behutsam auf schutzwürdige kulturelle Belange achtenden Küstenzonenmanagements, das die Integrität dieser wichtigen Ressource aufrechterhält und gleichzeitig den traditionellen lokalen Tätigkeiten und Gepflogenheiten, die keine Bedrohung für empfindliche natürliche Lebensräume und den Erhaltungsstand der wild lebenden Tier- und Pflanzenarten darstellen, Rechnung trägt“. (Janssen, 2005) Bei dem im Rahmen des IKZM vorgeschlagenen strategischen Ansatz wird der Schutz der Küstenumwelt (auf der Grundlage eines Ökosystem-Ansatzes zur Gewährleistung ihrer Integrität und ihres Funktionierens) betont; gleichzeitig werden aber auch die Gefahren anerkannt, die den Küstengebieten infolge des Klimawandels oder nachhaltig ungünstiger Bedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung und die Beschäftigungslage drohen. In der IKZM-Empfehlung wird eine Reihe von grundsätzlichen Vorgehensweisen vorgeschlagen, unter anderem den „Einsatz einer Kombination von Instrumenten, die die Kohärenz zwischen den sektoralen politischen Zielen sowie zwischen Planung und Bewirtschaftung steigern können“. In die gleiche Richtung zielt die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie 2008/56/EG, nach der die Mitgliedstaaten gehalten sind, bis 2016 Maßnahmenprogramme aufzulegen, die unter anderem die „Steuerung der räumlichen und zeitlichen Verteilung: Managementmaßnahmen Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten die beeinflussen, wo und wann eine Tätigkeit erfolgen darf“ (Anhang VI) beinhalten können“. Damit schafft sie die Regelungsbasis für eine Raumplanung für Meeresgewässer auf der Grundlage der MSRL. Integrierte Raumplanung bietet die Möglichkeit, Probleme und nachteilige Umweltauswirkungen zu antizipieren und potenzielle Konflikte und Verzögerungen bei der Projektentwicklung zu vermeiden. Die Klärung raumbezogener Probleme begünstigt insofern die Zustimmung zu einzelnen Projekten, als sich Projektträger und Genehmigungsbehörde im Entscheidungsfindungsprozess anhand einer Vorprüfung oder einer Verträglichkeitsprüfung auf der räumlichen Ebene auf diese Rahmenpläne stützen können. Raumplanung und integrierte Planung bilden keinen Widerspruch zu den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen beschleunigten Verfahren14, da im Vorfeld getroffene Klarstellungen die Lösung späterer Probleme erleichtern können. Eine bessere Planung erfordert zusätzliche Zeit, zahlt sich aber aus, weil Konflikte während der Genehmigungsverfahren vermieden werden können; schließlich trägt sie auch dazu bei, „Unsicherheiten“ zu beseitigen und Gründe für Verzögerungen auszuräumen. Die Relevanz von Flächennutzungsplänen und sektorbezogenen Plänen einschließlich Risikomanagementplänen für Hochwasser ist offensichtlich. Einige Pläne haben direkte rechtliche Auswirkungen auf die Flächennutzung, andere hingegen nur indirekte. Regionale oder geografisch übergeordnete Raumordnungspläne werden z. B. oft nicht unmittelbar umgesetzt, sondern dienen als Grundlage für detailliertere Planungen oder als Rahmen für die Genehmigung von Entwicklungsprojekten, die dann direkte rechtliche Auswirkungen hat. In integrierten strategischen Plänen sollen die grundlegenden Bedingungen für die Durchführung integrierter Projekte vorab festgelegt werden. Diese Pläne sollten strategischen Umweltprüfungen und Verträglichkeitsprüfungen nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie unterzogen werden. Die Flächennutzungsplanung ist ein ganzheitlicher Prozess, in dem verschiedene Nutzungsansprüche beurteilt werden. Bei Verträglichkeitsprüfungen nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie werden die potenziellen Auswirkungen des jeweiligen Plans auf Natura 2000-Gebiete kritisch geprüft und potenzielle Änderungen der politischen Strategie oder der Vorschläge zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen auf Natura 2000-Gebiete ermittelt. Ein wesentlicher Vorteil der Verträglichkeitsprüfung in der Planungsphase besteht darin, dass Entscheidungen zum Inhalt des Plans getroffen werden müssen, wodurch mögliche erhebliche negative Auswirkungen auf Natura 2000-Gebiete und somit auch mögliche Konflikte und Verzögerungen bei der Projektdurchführung verhindert werden können. In diesem Sinne stellen die Bestimmungen des Artikels 6 nicht nur rechtliche Vorschriften dar, sondern auch ein wertvolles Instrument für strategische Planungen. Die Resilienz von Mündungs- und Küstenökosystemen kann durch proaktive Naturentwicklungsmaßnahmen erhöht werden. Diese Maßnahmen können auch auf Flächen durchgeführt werden, die sich im Besitz von Hafen- oder Wasserstraßenverwaltungen befinden und für den künftigen Ausbau von Häfen oder Wasserstraßen bestimmt sind, zurzeit aber hierfür noch nicht benötigt werden, oder auf Flächen anderer Parteien (Staat, Naturschutzorganisationen oder Privatpersonen). Integrierte Bewirtschaftungspläne für Natura 2000-Mündungsgebiete geben einen Rahmen für die Bewirtschaftungs- und Schutzmaßnahmen in diesen Gebieten vor. 14 Europäische Kommission, 2009, Strategische Ziele und Empfehlungen für die Seeverkehrspolitik der EU bis 2018, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, S. 13. 27 28 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Schließlich muss auch hervorgehoben werden, dass die Beteiligung von Öffentlichkeit und NRO auf der Basis eines partizipatorischen Ansatzes eine grundlegende Voraussetzung für ein erfolgreiches Planungsverfahren ist. Transparenz und ein qualitativer Ansatz dürften helfen, die Bevölkerung zu beteiligen und sie in die Lage zu versetzen, sich auf der Grundlage umfassender Informationen ein Urteil zu bilden, auch wenn sich auf diese Weise das Risiko von Streitigkeiten nicht unbedingt vermeiden lässt. Leitlinien für die Raumplanung Der Flächennutzungsplanung sollte eine fundierte und gut begründete Wissensbasis mit allen benötigten Informationen sowohl zu den Naturschutzzielen als auch zu den mit dem Hafenausbau und der hafenbezogenen Entwicklung verfolgten Zielen zugrunde liegen. Die wirtschaftliche Notwendigkeit zusätzlicher Schifffahrts- und Hafenkapazitäten ist eine zentrale Frage und sollte durch mittel-/langfristige strategische Planungen klar belegt werden; auch sollte die Nutzung der vorhandenen Kapazitäten optimiert werden (unter anderem durch eine bessere Koordinierung der Infrastruktur und der Kapazitäten zwischen den verschiedenen europäischen Häfen). Die Raumplanung sollte auf der geeigneten Ebene stattfinden (zuständige nationale, regionale oder lokale Behörden, Hafenbehörden usw.). Die strategische Umweltprüfung integrierter Raumordnungspläne sollte so weit wie möglich auf eine Antizipierung von Problemen und nachteiligen Umweltauswirkungen und auf die Vermeidung potenzieller Konflikte und Verzögerungen bei der Projektentwicklung ausgerichtet sein. Zur besseren Integration von Naturschutz- und Hafenpolitiken sollten sich die strategischen Pläne auf die am besten geeignete ökologische Einheit beziehen (Mündungsgebiet, Flusseinzugsgebiet usw.). Bei der Raumplanung sollte klar nach der strategischen Ebene und der Projektebene unterschieden werden. Die Beurteilung strategischer Pläne lässt sich durch den Verzicht auf die Betrachtung ausschließlich projektbezogener Details straffen. Bei der Erstellung integrierter Raumordnungspläne sollte es darum gehen, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen Zielen und Naturschutzzielen herzustellen. Die Pläne sollten als Instrumente verstanden werden, wirtschaftliche Ziele und Ziele zur Erhaltung der biologischen Vielfalt zu vereinbaren und zu integrieren. Die für die Bestimmung und Bewirtschaftung von Natura 2000-Gebieten verantwortlichen nationalen, regionalen und lokalen zuständigen Behörden sollten eng mit den für Fragen der Raumplanung zuständigen Behörden zusammenarbeiten. Alle relevanten Beteiligten einschließlich Hafen- und Wasserstraßenverwaltungen, Terminalbetreiber, im Umweltschutz tätiger NRO und sonstiger öffentlicher Interessenträger sollten frühzeitig in die Planung einbezogen werden, um gesellschaftliche und wirtschaftliche Belange mit den für Natura 2000-Gebiete oder für die weitere Umgebung dieser Gebiete geltenden Naturschutzzielen zu vereinbaren. Hafenbehörden und Verwaltungen von Wasserstraßen sollten in alle relevanten Planungen (einschließlich Erstellung von Natura 2000-Bewirtschaftungsplänen) eingebunden werden, da strategische Planungen dabei helfen können, Investitionen abzustimmen, grenzübergreifende Probleme zu lösen, verträglichere Alternativlösungen und gegebenenfalls zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses zu ermitteln sowie eine proaktive Naturentwicklung zu fördern. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Enthalten ein strategischer Plan oder ein strategisches Programm nicht genügend Details für eine umfassende Verträglichkeitsprüfung nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie, sollte der für die strategische Umweltprüfung erstellte Umweltbericht für die Verträglichkeitsprüfung des Projekts und, wenn nötig, für die Ausnahmeverfahren gemäß Artikel 6 Absatz 4 der Habitat-Richtlinie verwendet werden. In diesem Fall sollten bei der strategischen Umweltprüfung bereits Projekte benannt werden, die voraussichtlich erhebliche negative Auswirkungen auf Natura 2000-Gebiete haben und während des Genehmigungsprozesses für das Projekt einer Verträglichkeitsprüfung nach Artikel 6 Absatz 3 unterzogen werden müssen. Kumulative Auswirkungen von Projekten sollten am besten bereits während der Erstellung von Raumordnungsplänen ermittelt und beurteilt werden. Hafen- und Wasserstraßenverwaltungen sollten eine effiziente Flächennutzung durch die Optimierung der Raumzuweisung für Aktivitäten der Hafenindustrie und der Nutzung verschiedener Verkehrsträger wie See-, Binnenschiffs- und Schienenverkehr anstreben. Hafen- und Wasserstraßenverwaltungen sollten die Möglichkeit proaktiver Naturentwicklungsmaßnahmen zur Verbesserung der Flexibilität von Ökosystemen in Mündungsgebieten in Betracht ziehen. Die Schaffung temporärer Naturräume sollte auf Flächen in Erwägung gezogen werden, die für eine spätere Hafenerweiterung bestimmt sind. Die Bewirtschaftung und der Schutz dieser Flächen sollten dann in die integrierten Bewirtschaftungspläne einbezogen werden. 3.2.3. Die Vorteile von Partnerschaften und öffentlicher Beteiligung Leitlinien für die Beteiligung der Öffentlichkeit Träger neuer Projekte sollten die Auswirkungen der Projektdurchführung im Vorfeld prüfen und sich mit den zuständigen Naturschutzbehörden beraten, um zu klären, ob das Vorhaben voraussichtlich erhebliche negative Auswirkungen auf ein Natura 2000-Gebiet als solches oder auf die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele haben wird. Die Planungsbehörden sollten mit der Konsultation der zuständigen Behörden und NRO in einer frühen Phase des Planungsprozesses beginnen. In Anbetracht der Komplexität des Umweltschutz- und Raumplanungsrechts wird empfohlen, strukturierte Konsultations- und Kommunikationsverfahren für die Mitwirkung der diversen zuständigen Behörden, Interessengruppen und NRO einzurichten. Die für die Bereiche Verkehr und Umwelt zuständigen Verwaltungen sollten regelmäßig miteinander kommunizieren und kooperieren, um einen effizienten Ablauf sowohl während der Planung als auch während der Durchführung des Projekts zu gewährleisten. Hafen- und Wasserstraßenverwaltungen, Betreiber oder Nutzer sowie im Umweltschutz tätige NRO sollten in die Durchführung eingebunden werden, auch bei Projekten von grenzübergreifender Bedeutung. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen Pläne und Projekte, die sich grenzüberschreitend auswirken werden. Benachbarte Länder sollten zu einem frühen Zeitpunkt des Planungsprozesses Informationen austauschen und zusammenarbeiten. 29 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 30 3.3. Projektentwicklung und Unterhaltungsmaßnahmen Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass die EU-Naturschutzrichtlinien zu restriktiv seien. Diese Auslegung geht von der Annahme aus, dass umweltpolitische Ziele in jedem Fall Vorrang vor wirtschaftspolitischen Zielen hätten. Ein solcher Ansatz steht im Widerspruch zu den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung, die auf ein Gleichgewicht zwischen Umweltschutzvorteilen und den Anforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft ausgerichtet sind (siehe Artikel 2 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie). Eine frühzeitige integrierte Planung und die Entwicklung integrierter Projekte sind von entscheidender Bedeutung, da sie Zustimmung und Mitwirkung begünstigen und den Weg zu „Win-Win“-Lösungen ebnen. Bei Projekten im Bereich Wasserstraßen und Häfen sollten der im transeuropäischen Verkehrsnetz der EU (TEN-V) festgelegte Status oder andere nationale Prioritäten herangezogen werden, um den Anspruch auf Anerkennung des überwiegenden öffentlichen Interesses zu begründen. Die Habitat-Richtlinie schreibt jedoch auch bei einem Plan oder Projekt, der/das aufgrund von zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses genehmigt wird, eine Rechtfertigung dieser Gründe vor. Alternativlösungen mit weniger nachteiligen Auswirkungen bzw. ohne nachteilige Auswirkungen sind stets im Vorfeld eingehend zu prüfen; ein Plan oder Projekt mit erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf ein Natura 2000-Gebiet kann nur genehmigt werden, wenn es keine solchen Alternativlösungen gibt. Genehmigungsverfahren können zu Rechtsunsicherheit führen, da Genehmigungen überprüft, aktualisiert und unter Umständen auch zurückgezogen werden müssen. Die korrekte Anwendung der Bestimmungen der Habitat-Richtlinie und die Einbeziehung von Naturschutzzielen zu einem sehr frühen Zeitpunkt des Planungsverfahrens schafft Sicherheit. Die folgenden Leitlinien enthalten Empfehlungen für die Planung integrierter Projekte, die korrekte Durchführung der Verträglichkeitsprüfungen und die Klärung von Fragen zu den „erheblichen Auswirkungen“, die Umsetzung des anpassungsfähigen Managements und die Prüfung von Ausgleichsmaßnahmen, die als letzter Ausweg erforderlich werden könnten. 3.3.1. Integrierte Projekte und Arbeiten mit der Natur 2008 veröffentlichte die weltweit tätige Vereinigung des Hafen- und Wasserstraßenbaus (Permanent International Association of Navigation Congresses; PIANC)15 ein Positionspapier mit dem Titel „Working with Nature“. Sie ruft in ihrem Papier zu einer neuen Herangehensweise an Projekte zur Schifffahrtsentwicklung auf, die auf für alle Seiten vorteilhafte Lösungen ausgerichtet ist („Win-Win-Situation“). Sie plädiert für einen proaktiven integrierten Ansatz, der sich darauf konzentriert: - die Projektziele in Zusammenschau mit den Eigenschaften des Ökosystems zu erreichen, anstatt nur die Umweltauswirkungen eines bereits festgelegten Projektes abzuschätzen; - Win-win-Lösungen mit gemeinschaftlichem Nutzen zu finden, anstatt einfach den erwarteten ökologischen Schaden zu minimieren. - „Working with Nature“ betrachtet somit die Projektziele zuerst aus der Sicht des natürlichen Systems und nicht allein aus der Sicht der technischen Planung. Dieser 15 http://www.pianc.org. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Ansatz muss bereits sehr früh in die Projektplanung einfließen, wo noch ausreichend Flexibilität möglich ist. Ein proaktiver Ansatz wie das „Arbeiten mit der Natur“ sollte nicht nur auf der Projektebene, sondern auch bei Strategieplänen und -programmen angewandt werden (siehe integrierte Planung). Werden Umweltfragen allerdings erst berücksichtigt, wenn sich die Projektplanung schon in einem fortgeschrittenen Stadium befindet, wird die Prüfung der Umweltverträglichkeit zu einer reinen Formsache degradiert, die nur eine Minderung und Begrenzung möglicher Schäden zum Ziel hat. „Working with Nature“ bedeutet mehr als das bloße Vermeiden oder Minimieren von Umweltauswirkungen in vorgefertigten Projektentwürfen. Vielmehr werden für das Erreichen der Projektziele solche Wege gesucht, bei denen mit den Prozessen der Natur gearbeitet wird und die Umwelt geschützt, wiederhergestellt oder verbessert wird. Für die Erprobung eines ähnlichen Ansatzes entschieden sich die Träger von Hochwasserschutzprojekten in den Niederlanden; im Rahmen des Interreg-Projekts „SAND“ wurde dieser Ansatz fortentwickelt. Unter der Bezeichnung „Integrierte Planung“ wurden hierbei mehrere Pläne gebündelt, so dass der Nutzen für alle maximiert und das gemeinsame Ziel kostenwirksam und effizient umgesetzt werden konnte. Dieser allgemeine Ansatz ist dringend zu empfehlen, da er dem Prinzip entspricht, Umweltschäden vorrangig an der Quelle zu vermeiden oder zu begrenzen. Er befindet sich in Übereinstimmung mit der Habitat-Richtlinie. Dennoch muss die Verträglichkeitsprüfung (gemäß Artikel 6 Absatz 3) durchgeführt werden, wenn erhebliche Auswirkungen auf ein Natura 2000-Gebiet nicht ausgeschlossen werden können. Grundsätzlich sind Maßnahmen zur Vorbeugung bzw. Vermeidung Ausgleichsmaßnahmen vorzuziehen. Leitlinien für das Arbeiten mit der Natur Die Projektplanung sollte nach Möglichkeit auf Win-Win-Strategien aufbauen, um sowohl die Naturschutzziele des Natura 2000-Netzes als auch sozioökonomische Ziele zu verwirklichen. Die Projekte sollten nach dem Ansatz des „Arbeitens mit der Natur“ geplant werden. Dabei sind die relevanten Natura 2000-Naturschutzziele zusammen mit den technischen Projektzielen bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Projektplanung und -entwicklung zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollte Maßnahmen zur Vorbeugung bzw. Vermeidung stets der Vorzug vor Ausgleichsmaßnahmen gegeben werden. 3.3.2. Durchführung einer „angemessenen Verträglichkeitsprüfung“ und Bewältigung „voraussichtlicher erheblicher Auswirkungen“ Die Europäische Kommission hat bereits Leitfäden herausgebracht, um den Mitgliedstaaten und Betreibern beim Verständnis und bei der Anwendung von Artikel 6 der Habitat-Richtlinie Hilfestellung zu geben (siehe Anhang 1). In den vorliegenden Leitlinien werden Empfehlungen für Vorhaben unterbreitet, die Wasserstraßen und Häfen betreffen. Ökologie und biologische Vielfalt hängen von den lokalen Gegebenheiten (Variabilität und Komplexität abiotischer und biotischer Faktoren) und von der räumlichen und zeitlichen Entwicklung ab. Die Ausdrücke „angemessen“ und „erheblich“ sind keine normativen Konzepte, und bei den Prüfungen sind jeweils die Bedingungen vor Ort zu berücksichtigen (Einzelfallprüfung). Stojanovic et al. (2006) haben darauf hingewiesen, „dass jeder Hafen hinsichtlich seiner Geografie, Hydrografie und seines Handelsprofils einzigartig ist und die 31 32 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Anwendung einer Standardstrategie im Rahmen des Umweltmanagements deshalb gegebenenfalls trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten nicht die richtige Lösung sein kann“. Das Gleiche gilt für die Bewirtschaftung von Mündungsgebieten, da sich die Merkmale von Ökosystemen unter anderem nach der geografischen Lage des Ästuars richten. Deshalb ist immer eine standortspezifische Analyse notwendig. Eine „angemessene“ Prüfung beurteilt die Verträglichkeit im Hinblick auf alle lokalen Faktoren und Erhaltungsziele. Zudem muss sie sich auf die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse stützen. 3.3.3. Beziehung zwischen strategischen Umweltverträglichkeitsprüfungen und Verträglichkeitsprüfungen Umweltprüfungen, Die Verfahren für strategische Umweltprüfungen (SUP), Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) und angemessene Verträglichkeitsprüfungen, denen Pläne oder Projekte mit Auswirkungen auf Natura 2000-Gebiete gemäß der Habitat-Richtlinie unterzogen werden müssen, weisen in vielen Punkten Ähnlichkeiten auf. Dennoch handelt es sich nicht um die gleichen Verfahren; es gibt auch wichtige Unterschiede. Eine SUP kann daher kein Ersatz für eine UVP sein oder anstelle einer angemessenen Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden, da keines dieser Verfahren Vorrang vor den jeweils anderen hat. Es ist jedoch möglich, die Verfahren parallel anzuwenden oder Informationen für die angemessene Verträglichkeitsprüfung auch für die SUP/UVP zu nutzen; in diesem Fall sollte aber aus dem Umweltbericht der SUP bzw. der Umweltdokumentation auf der Grundlage der UVP klar hervorgehen, welche Teile der angemessenen Verträglichkeitsprüfung zuzuordnen sind, oder es sollte ein gesonderter Bericht erstellt werden, um die Ergebnisse der angemessenen Verträglichkeitsprüfung von denen der allgemeinen UVP oder SUP trennen zu können. Zu den Hauptunterschieden zwischen den SUP/UVP und den angemessenen Verträglichkeitsprüfungen nach der Habitat-Richtlinie gehört nicht nur, dass jeweils unterschiedliche Aspekte der natürlichen Umgebung gemessen und unterschiedliche Kriterien für die Einstufung als „signifikant“ angelegt werden, sondern auch die Art und Weise der Weiterverfolgung des Prüfergebnisses. Bei der SUP und der UVP geht es überwiegend um verfahrenstechnische Anforderungen und nicht um verbindliche Umweltstandards; mit der Habitat-Richtlinie wird hingegen ein Umweltstandard eingeführt, nämlich das für ein Natura 2000-Gebiet festgelegte Erhaltungsziel und die Notwendigkeit, das Gebiet als solches zu bewahren, so dass die Prüfung auf Verträglichkeit wesentliche Verpflichtungen betrifft. Mit anderen Worten: Wenn die angemessene Verträglichkeitsprüfung ergibt, dass nachteilige Auswirkungen des Plans oder Projekts auf ein Natura 2000-Gebiet als solches nicht ausgeschlossen werden können, kann die zuständige Behörde ihre Zustimmung zu dem Plan bzw. Projekt in der vorliegenden Form nicht erteilen; es sei denn, sie beruft sich in Ausnahmefällen auf die besondere Regelung für Pläne oder Projekte, für die es keine weniger schädlichen Alternativlösungen gibt und bei denen davon ausgegangen wird, dass sie im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen. Demgegenüber sollen die Planungsbehörden durch die SUP/UVP umfassend Klarheit über die ökologischen Auswirkungen des vorgeschlagenen Plans/Projekts erlangen, um sie bei ihrer endgültigen Entscheidung berücksichtigen zu können. Die genannten Erwägungen sind in der Tabelle im Anhang 4 zusammengefasst. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Leitlinien für Prüfungen Die Bedeutung der Auswirkungen eines Plans oder Projekts hängt in hohem Maße von den Merkmalen des jeweiligen Gebiets und den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen ab (die im Standard-Datenbogen, in den Rechtsvorschriften über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, in Erhaltungsprioritäten, im Bewirtschaftungsplan usw. enthalten sind). Wenn ein Erweiterungsprojekt für einen Hafen oder eine zugehörige Wasserstraße vorgeschlagen wird, ist zunächst eine Vorprüfung vorzunehmen. Zeigt das Ergebnis, dass das Projekt voraussichtlich keine erheblichen Auswirkungen auf Natura 2000Gebiete haben wird, kann die zuständige Behörde die Verpflichtung zur Durchführung einer angemessenen Prüfung auf Verträglichkeit der Projektauswirkungen im Hinblick auf die für das Gebiet geltenden Erhaltungsziele gemäß Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie aufheben. Die Beurteilung des Risikos wesentlicher Auswirkungen muss auf der Grundlage wissenschaftlicher Kriterien und im Lichte z. B. der besonderen ökologischen Gegebenheiten des von einem Plan oder Projekt betroffenen Gebiets erfolgen. Hierbei sind Faktoren wie Ausmaß, Größenordnung, Komplexität, Wahrscheinlichkeit, Dauer, Häufigkeit sowie die potenzielle Reversibilität der Auswirkungen zu berücksichtigen. Diese Beurteilung ist Aufgabe der zuständigen Behörden. Wenn aufgrund objektiver Informationen nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Projekt entweder für sich genommen oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten erhebliche Auswirkungen auf ein Natura 2000-Gebiet haben wird, muss eine ordnungsgemäße Verträglichkeitsprüfung gemäß Artikel 6 Absatz 3 durchgeführt werden. Wenn eine eingehende angemessene Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde und im Zuge dieser Prüfung alle relevanten Daten zusammengetragen wurden und unter der Voraussetzung, dass die Maßnahmen reversibel sind, sollten verbleibende geringfügige Unsicherheiten jedoch nicht zum Anlass genommen werden, Projekte zu behindern oder auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Hierüber ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden. Falls zu bestimmten Mechanismen komplexer Mündungs- oder Küstenökosysteme noch Unklarheit herrscht, sollten die Träger von Entwicklungsprojekten für Häfen und Wasserstraßen prüfen, um welche Unwägbarkeiten es sich bei den verbliebenen Fragen handelt, und entsprechende zielgerichtete Überwachungs- und Anpassungsstrategien erarbeiten. Bei Überwachungsmaßnahmen sollte darauf geachtet werden, dass etwaige unerwartete Entwicklungen zu einem Zeitpunkt erkannt werden können, zu dem noch Gegenmaßnahmen möglich sind. Eine Prüfung kann zu dem Ergebnis führen, dass von einem Plan oder Projekt keine nachteiligen Auswirkungen zu erwarten sind, weil die vorhersehbaren Auswirkungen bestimmte Schwellenwerte nicht übersteigen; in einem solchen Fall ist es wichtig, die Auswirkungen zu überwachen. Die Schwellenwerte sollten stets anhand von wissenschaftlichen Kriterien festgelegt werden. Für eine angemessene Verträglichkeitsprüfung sollten Angaben zu allen Merkmalen des Projekts oder Plans zusammengestellt werden, die Auswirkungen auf das betreffende Gebiet haben können, zu dem gesamten betroffenen Verbreitungsgebiet oder Raum, zu den Merkmalen anderer Projekte oder Pläne, deren Auswirkungen zu denen des vorgeschlagenen Projekts oder Plans hinzukommen können, zu etwaigen geplanten oder bestehenden Naturschutzinitiativen, die sich voraussichtlich künftig auf den Zustand des Gebiets auswirken werden, zu der Beziehung (z. B. ausgedrückt in der Entfernung usw.) zwischen dem Projekt oder Plan und dem Natura 2000- 33 34 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Gebiet sowie zu den Anforderungen der Genehmigungsbehörde oder –stelle (z. B. Durchführung einer UVP/SUP). Die Informationen zu dem geschützten Gebiet sollten Folgendes umfassen: die für das Natura 2000-Gebiet aufgestellten Erhaltungsziele; den Erhaltungszustand und weitere Schlüsselmerkmale von Lebensräumen des Anhangs I oder Arten des Anhangs II, die in dem Gebiet vorkommen; die physikalischen und chemischen Merkmale des Gebiets, das von dem Projekt betroffen sein kann; die Dynamik der Lebensräume, der Arten und ihrer Ökologie; Aspekte des Gebiets, die empfindlich gegenüber Veränderungen sind; wichtige strukturelle und funktionelle Beziehungen, die das Gebiet als solches ausmachen und erhalten; sonstige für die Erhaltung des Gebiets relevante Aspekte, unter anderem voraussichtliche künftige natürliche Veränderungen und Umfang der Gegenmaßnahmen, die erforderlich sind, um die für das Gebiet geltenden Erhaltungsziele zu erreichen. Maßnahmen zur Beseitigung oder Verringerung wesentlicher Auswirkungen (Maßnahmen zur Schadensbegrenzung) sollten während der Projektplanung festgelegt werden. Wenn nötig, können im Zuge der angemessenen Verträglichkeitsprüfung Ergänzungen vorgenommen werden (Überprüfung der Planung, zusätzliche Maßnahmen zur Schadensbegrenzung). Auf diese Weise könnte schließlich erreicht werden, dass das Projekt keine nachteiligen Auswirkungen auf das Gebiet als solches haben wird. 3.3.4. Ausgleichsmaßnahmen und Follow-up Wichtiger Hinweis: Die Kommission hat spezielle Leitlinien zur Anwendung der Bestimmungen des Artikels 6 Absatz 4 der Habitat-Richtlinie herausgegeben, die in Verbindung mit dem folgenden Abschnitt gelesen werden sollten (Angaben zur Fundstelle: siehe Anhang 1). Leitlinien für Ausgleichsmaßnahmen Wenn nachteilige Entwicklungen in Kauf genommen werden sollen, weil es keine Alternativlösungen gibt und weil es im Interesse der Fortführung des Projekts liegt, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den Verlust bzw. Schaden für das jeweilige Gebiet in vollem Umfang auszugleichen. Diese Maßnahmen sollten exakt auf die Art der voraussichtlichen Auswirkungen abgestimmt und schwerpunktmäßig auf die Kohärenz des Natura 2000-Netzes und die besonderen vor Ort betroffenen Elemente ausgerichtet werden. Deshalb müssen die Maßnahmen den strukturellen und funktionellen Aspekten des Gebiets als solches, den Lebensraumtypen und Arten, die dort vorkommen und die von den Auswirkungen betroffen sind, sowie dem Beitrag dieser Elemente zur globalen Kohärenz des Natura 2000-Netzes Rechnung tragen. Ausgleichsmaßnahmen zum Schutz der Gesamtkohärenz des Natura 2000-Netzes müssen machbar und praktisch durchführbar sein. Der voraussichtliche Zeitplan und etwaige zur Leistungsverbesserung notwendige Unterhaltungsmaßnahmen sollten so früh wie möglich festgelegt werden. Sobald Einigung über die Ausgleichsmaßnahmen erzielt wurde, die Genehmigungen erteilt wurden und ein Überwachungsprogramm erstellt wurde, dürften unvorhergesehene Unsicherheiten den Kern eines Plans oder Projekts grundsätzlich nicht gravierend beeinträchtigen. Wenn jedoch solche möglichen neuen Unsicherheiten auftreten, sollten zielgerichtete Untersuchungen und, wenn nötig, umfassende Überwachungs- und Anpassungs- bzw. Berichtigungsmaßnahmen ergriffen werden. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten „Verluste“ der wichtigsten Lebensräume und Arten sollten auf der Grundlage des aktuellen Wissensstands und des Urteils von Sachverständigen quantifiziert werden. Für die Planung von Ausgleichsmaßnahmen müssen die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse herangezogen werden; diese Maßnahmen sollten auf die Erfüllung der ökologischen Funktionen abzielen, die zur Unterstützung der betroffenen Arten und Lebensräume erforderlich sind. Das Verhältnis zwischen Umweltschäden und von den Ausgleichsmaßnahmen zu erwartendem Umweltnutzen ist zu ermitteln: Es ist allgemein anerkannt, dass dieses Verhältnis generell deutlich über 1:1 liegen sollte. Ausgleichsmaßnahmen mit einem Verhältnis von 1:1 oder darunter sollten nur in Betracht gezogen werden, wenn nachgewiesen ist, dass sie in Bezug auf die Wiederherstellung einer guten Struktur und Funktion kurzfristig eine Wirksamkeit von 100 % entfalten werden. Bei der Auswahl angemessener Ausgleichsgebiete sollten folgende Überlegungen angestellt werden: (a) Ausgleich innerhalb des Natura 2000-Gebiets, falls die zur Gewährleistung der ökologischen Kohärenz und der Funktionen des Netzes erforderlichen Elemente im Gebiet vorhanden sind; (b) Ausgleich außerhalb des Natura 2000-Gebiets, falls der gleiche Beitrag zum Umweltnetz erzielt werden kann. Bei dem neuen Standort kann es sich um eine andere als Natura 2000-Gebiet ausgewiesene Fläche handeln oder um ein nicht ausgewiesenes Gebiet. Dieses ist dann in das Natura 2000-Netz aufzunehmen. Die Ausgleichsmaßnahmen müssen die Kontinuität der ökologischen Prozesse gewährleisten, die für die Aufrechterhaltung der globalen Kohärenz des Natura 2000Netzes entscheidend sind. Sie sollten zum Zeitpunkt des Eintretens der negativen Auswirkungen in dem betreffenden Gebiet „wirksam“ sein. Hierbei kommt es entscheidend auf eine frühzeitige Umsetzung an. Um möglichen Zwischenverlusten entgegenzuwirken, kann die Anwendung spezifischer Maßnahmen zur Schadensbegrenzung erforderlich sein. Alle für die Ausgleichsmaßnahmen notwendigen technischen, rechtlichen und finanziellen Vorkehrungen sollten vor Beginn der Durchführung des Plans oder Projekts abgeschlossen sein, um etwaige unvorhergesehene Verzögerungen, die die Wirksamkeit der Maßnahmen beeinträchtigen können, zu vermeiden. Finanzierung, Überwachung und Berichterstattung: Ausgleichsmaßnahmen schließen die Schaffung einer soliden rechtlichen und finanziellen Grundlage im Voraus ein, um die Durchführung, den Schutz, die Überwachung und die Unterhaltung langfristig gewährleisten zu können. 3.3.5. Bagger- und Unterhaltungsarbeiten Wenn Häfen in oder in der Nähe von Mündungsgebieten liegen, führt der Schiffszugang in der Regel durch ausgewiesene Natura 2000-Gebiete. In den meisten Häfen muss die Befahrbarkeit der Wasserstraßen und Fahrrinnen durch Baggerungen sichergestellt werden. Deshalb kann es zu Konflikten mit der Verpflichtung zum Schutz der Unversehrtheit eines Natura 2000-Gebiets kommen. Dennoch können Unterhaltungsarbeiten wie kontinuierliche oder regelmäßige Unterhaltungsbaggerungen normalerweise ausgeführt werden, ohne die Unversehrtheit von Natura 2000-Gebieten oder die für diese Gebiete festgelegten Erhaltungsziele zu beeinträchtigen. Es gibt Möglichkeiten, Baggergut in einer für das Mündungsgebiet nützlichen Weise einzusetzen. Wenn geeignete Strategien zur Sedimentablagerung zum Zuge kommen (und 35 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 36 z. B. eine Umlagerung in einen Teil des Mündungsgebiets mit Sedimentmangel erfolgt), können Baggerungen den Erhaltungszustand von Mündungsgebieten sogar verbessern. Wie neuere Erkenntnisse und bewährte Praktiken zeigen, kann eine wohlüberlegte Umlagerung die Wiederherstellung wertvoller morphologischer Strukturen in Mündungsgebieten mit spürbaren ökologischen Vorteilen unterstützen. Die Entwicklung innovativer Baggerungskonzepte kann in Verbindung mit konsequenten Überwachungsprogrammen zur Verwirklichung sowohl von Zielen der Schifffahrt als auch von Erhaltungszielen für Natura 2000-Gebiete beitragen. Als angemessene Lösung für die Nachhaltigkeit von Unterhaltungsbaggerungen wird das Konzept für nachhaltige Baggerungen und nachhaltiges Sedimentmanagement bevorzugt. Derartige Ansätze helfen dabei, Probleme, Konflikte und Verzögerungen zu vermeiden und potenzielle positive Auswirkungen auf den Erhaltungszustand von Mündungs- und Küstengebieten nach Möglichkeit zu maximieren. Die Anwendung nachhaltiger Verfahren für Baggerungen und Sedimentmanagement bringt eine weitere Begrenzung der potenziellen Auswirkungen von Unterhaltungsarbeiten in den Fahrrinnen. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass die vorgeschriebene Prüfung nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie entfallen kann. Nachhaltige Strategien für Baggerungen sollten der zuständigen Behörde die Hintergrundinformationen liefern, die sie für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit möglicher nachteiliger Auswirkungen auf ein Natura 2000-Gebiet benötigt. Als wiederkehrende Tätigkeit können Unterhaltungsbaggerungen und die Umlagerung von Sedimenten im Rahmen eines nachhaltigen Baggerungs- und Sedimentmanagementplans sowohl zur Verwirklichung der Ziele der Schifffahrt als auch zur Unterstützung der Verwirklichung der Natura 2000-Erhaltungsziele beitragen. Die folgenden sechs Schritte sind für die Entwicklung und Durchführung von nachhaltigen Baggerungs- und Sedimentmanagementplänen wichtig: - Erlangung des Verständnisses der physikalischen Bedingungen des jeweiligen Gebiets (Morphologie, Hydrologie, Salinität usw.); - Sammlung der benötigten Informationen über das Baggerungsvorhaben zur Beurteilung der Umweltauswirkungen im Einzelnen; - Prüfung der Auswirkungen der Baggerung auf die natürliche Umgebung (kurz- und langfristige Auswirkungen auf die morphologischen und hydrodynamischen Bedingungen im Mündungsgebiet, auf empfindliche Lebensräume und Arten); - Auswahl der optimalen Verfahren; Beschreibung aller Lösungsoptionen zur Begrenzung nachteiliger Auswirkungen und, als letzten Ausweg, Prüfung möglicher Ausgleichsmaßnahmen, die ergriffen werden, wenn nicht alle wesentlichen nachteiligen Auswirkungen durch Maßnahmen zur Schadensbegrenzung verhindert werden können; - Durchführung eines Programms zur Überwachung der Fortschritte bei der Umsetzung der Naturschutzziele; - Gewährleistung der Einbindung der beteiligten Akteure in den gesamten Prozess, um Beschwerden und Verzögerungen des Verfahrens zu vermeiden. Die Prüfung von Baggerungsarbeiten und die Ablagerung von Baggergut in Meeresgebieten sind in internationalen Übereinkommen geregelt, unter anderem der Londoner Konvention, OSPAR, HELCOM, der Barcelona- und der Bukarest-Konvention. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Leitlinien für Investitionsbaggerungen Investitionsbaggerungen sollten als Bestandteil von Programmen für nachhaltige Baggerungen und für Sedimentmanagement geplant werden. Können wesentliche Auswirkungen auf ein Natura 2000-Gebiet, auch im Zusammenwirken mit anderen Vorhaben, nicht ausgeschlossen werden, müssen die Pläne oder Projekte einer Verträglichkeitsprüfung gemäß Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie unterzogen werden. Die Umsetzung intelligenter Baggerungs- und Umlagerungsstrategien sollte darauf ausgerichtet sein, nachteilige Auswirkungen zu vermeiden und nach Möglichkeit wertvolle morphologische Strukturen wiederherzustellen oder aufzubauen, um auf diese Weise ökologischen Nutzen zu schaffen („Arbeiten mit der Natur“). Bei den Strategien für Baggerungen und Sedimentumlagerung sollte die Maximierung möglicher positiver Auswirkungen dieser Strategien angestrebt werden. Sie sollten durch wirksame Überwachungsprogramme gestützt werden. Leitlinien für regelmäßige Unterhaltungsarbeiten einschließlich Unterhaltungsbaggerungen Bei der Planung und Durchführung regelmäßiger Unterhaltungsarbeiten sollte darauf geachtet werden, dass keine nachteiligen Auswirkungen auf Natura 2000-Gebiete als solche oder auf die für diese Gebiete festgelegten Erhaltungsziele eintreten. Nach Möglichkeit sollten die potenziellen positiven Auswirkungen auf den Erhaltungszustand von Mündungs- und Küstengebieten durch die Umsetzung von Strategien für nachhaltiges Sedimentmanagement maximiert werden. Regelmäßige Unterhaltungsarbeiten sollten gegebenenfalls in integrierte Natura 2000-Bewirtschaftungspläne, vergleichbare Managementpläne oder Bewirtschaftungspläne für Flusseinzugsgebiete integriert werden, um die strukturierte Beurteilung und Überprüfung im Gesamtkontext der Erhaltung der Schutzgebiete sicherzustellen. Unterhaltungsarbeiten in oder in der Nähe eines Natura 2000-Gebiets sollten für jedes Mündungsund Küstengebiet speziell geplant und durch ein Überwachungsprogramm gestützt werden, das die Feststellung und frühzeitige Berichtigung unvorhersehbarer nachteiliger Auswirkungen auf die Erhaltungsziele ermöglicht. Wenn diese Unterhaltungsarbeiten insbesondere im Hinblick auf die regelmäßige Ausführung, die Art oder die Umstände ihrer Ausführung als einheitliche Maßnahme betrachtet werden können, vor allem wenn sie wie im Falle regelmäßiger Baggerungen für die Erhaltung einer bestimmten Fahrrinnentiefe notwendig sind, können sie für die Zwecke der Habitat-Richtlinie wie ein einziges Projekt behandelt werden. In diesem Fall kann bei einem Projekt, das vor Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie genehmigt wurde, auf die Vorprüfung der Auswirkungen auf das betreffende Gebiet verzichtet werden. Dessen ungeachtet gilt in einem Natura 2000-Gebiet bei Unterhaltungsarbeiten gemäß Artikel 6 Absatz 2 der Habitat-Richtlinie eine allgemeine Schutzverpflichtung, wonach eine Verschlechterung natürlicher Lebensräume und der Habitate der Arten sowie wesentliche Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden sind16. 16 Siehe auch Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union vom 14. Januar 2010 in der Rechtssache C-226/08 (Stadt Papenburg gegen Bundesrepublik Deutschland). 37 38 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Unterhaltungsarbeiten können unter Umständen zum Zeitpunkt der Durchführung der einzelnen Maßnahmen in der Fahrrinne z. B. aufgrund geänderter Techniken oder Bedingungen oder aufgrund eines geänderten Ausführungsrhythmus als gesonderte Projekte betrachtet werden. In diesem Fall ist jedes dieser Projekte, soweit sie mit voraussichtlich erheblichen Auswirkungen auf das betreffende Gebiet verbunden sind, einer Prüfung gemäß Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie zu unterziehen. Da die Bestimmungen des Artikels 6 Absatz 2 in jedem Fall anwendbar sind, sollten die Mitgliedstaaten kontrollieren, ob laufende Arbeiten voraussichtlich zur Verschlechterung von Lebensräumen oder von Habitaten der Arten führen, und wenn nötig, entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten. 3.4. Umgang mit Unsicherheiten: Adaptives Management Bei der Durchführung der angemessenen Verträglichkeitsprüfungen von Plänen oder Projekten gemäß Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie kann es erforderlich sein, das Vorsorgeprinzip anzuwenden. Zentrales Ziel der Prüfung sollte es sein, auf der Grundlage der erforderlichen Untersuchungen und der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse den objektiven Nachweis dafür zu erlangen, dass der Plan oder das Projekt keine nachteiligen Auswirkungen auf das Natura 2000-Gebiet als solches haben wird, und dies mit entsprechenden Belegen zu untermauern. Wenn jedoch die zuständigen Behörden nachteilige Auswirkungen nicht mit letzter Gewissheit ausschließen können, weil die Grenzen der Wissenschaft erreicht sind oder Unsicherheiten hinsichtlich der Funktionsweise komplexer und dynamischer Ökosysteme bestehen, ist es auch möglich, auf das Instrument des adaptiven Managements zurückzugreifen. Für den Fall, dass erhebliche nachteilige Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf ein Natura 2000-Gebiet nicht ausgeschlossen werden können, kann nach der in Artikel 6 Absatz 4 der Habitat-Richtlinie vorgesehenen Ausnahmeregelung eine Genehmigung nur erteilt werden, wenn es keine Alternativlösungen gibt, wenn zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses vorliegen und wenn die erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen zum Schutz der globalen Kohärenz des Natura 2000-Netzes ergriffen werden. Falls dies auf einen Plan oder ein Projekt zutrifft (was bei den meisten Hafenausbauprojekten der Fall sein dürfte), sind die einzelnen Aspekte unbedingt zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Plan- oder Projektentwicklung zu klären, da es sich um für die Planung, Finanzierung und nicht zuletzt das Genehmigungsverfahren entscheidende Elemente handelt. Ein adaptiver Ansatz bietet sich insbesondere für die Durchführung von Plänen, Projekten oder Ausgleichsmaßnahmen als geeignete Lösung an, bei denen es aufgrund von Unsicherheiten in Bezug auf verschiedene Einflussfaktoren (Standort, Vertrauen, unerwartete Verzögerungen) nicht möglich ist, alle Auswirkungen hinreichend detailliert zu ermitteln, und bei denen diesen Unsicherheiten nicht durch erhöhte Ausgleichsverhältnisse Rechnung getragen werden kann. In einem solchen Fall ist ein konsequentes Überwachungsprogramm zu erstellen und ein vorab zusammengestelltes und validiertes Paket konkreter Abhilfemaßnahmen zu schnüren. Ziel muss es hierbei sein, die Anpassung von Maßnahmen zur Schadensbegrenzung und/oder zum Ausgleich an die tatsächlichen Auswirkungen zu ermöglichen und auf diese Weise sicherzustellen, dass ursprünglich nicht vorhersehbare nachteilige Auswirkungen kompensiert werden. Ausführliche Leitlinien zum Konzept der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses und zur Art und Weise der Prüfung von Alternativlösungen sind bereits in bestehenden Leitfäden enthalten (siehe Anhang 1). Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Leitlinien für adaptives Management Wenn erhebliche nachteilige Auswirkungen durch Maßnahmen zur Schadensbegrenzung nicht verhindert werden können, muss die Genehmigung des Projekts nach Artikel 6 Absatz 4 der Habitat-Richtlinie letztlich davon abhängig gemacht werden, ob zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses vorliegen und ob es keine weniger schädlichen Alternativlösungen gibt. Wenn wissenschaftliche Unsicherheiten hinsichtlich der Auswirkungen von Schadensbegrenzungs- oder Ausgleichsmaßnahmen verbleiben, müssen zusätzlich ein vorab festgelegtes und validiertes Verfahren für die Überwachung der tatsächlichen Auswirkungen und ein Rahmen, beispielsweise ein Natura 2000Bewirtschaftungsplan, ein integrierter Plan oder ein Maßnahmenprogramm, vorgesehen werden, um die Schadensbegrenzungs- und Ausgleichsmaßnahmen den tatsächlichen Auswirkungen anpassen zu können. Leitlinien für die Berücksichtigung von Alternativlösungen Wenn nachteilige Auswirkungen erwartet werden, sollten Alternativlösungen für die Verwirklichung der Ziele des Plans oder Projekts ermittelt und auf ihre voraussichtlichen Auswirkungen auf die für Natura 2000-Gebiete festgelegten Erhaltungsziele hin geprüft werden. Die zuständigen Behörden sollten nicht nur Alternativlösungen der Antragsteller prüfen, die das Projekt oder den Plan eingereicht haben. Die zuständige Behörde ist verpflichtet, Alternativlösungen in Erwägung zu ziehen. Bei der Prüfung von Alternativlösungen sollten alle relevanten Behörden und sonstigen Stellen konsultiert werden. Detaillierte Informationen über die Alternativlösungen und ihre Auswirkungen auf das betreffende Natura 2000-Gebiet sollten unter Angabe der Quellen mitgeteilt werden. Bei der Prüfung der Alternativen sollte das Vorsorgeprinzip angewandt werden. 39 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 40 Anhang 1: Mitteilungen und Leitfäden der Europäischen Kommission Leitfäden der Europäischen Kommission zur Vogelschutz- und Habitat-Richtlinie - Europäische Kommission, 2000, Natura 2000 – Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften. http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/docs/art6/provision_ of_art6_de.pdf - Europäische Kommission, 2002, Prüfung der Verträglichkeit von Plänen und Projekten mit erheblichen Auswirkungen auf Natura-2000-Gebiete, MethodikLeitlinien zur Erfüllung der Vorgaben des Artikels 6 Absätze3 und 4 der HabitatRichtlinie 92/43/EWG, Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/docs/art6/natura_20 00_assess_de.pdf - Europäische Kommission, 2007, Auslegungsleitfaden zu Artikel 6 Absatz 4 der „Habitat-Richtlinie“ 92/43/EWG, Erläuterung der Begriffe: Alternativlösungen, Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, Ausgleichsmaßnahmen, Globale Kohärenz, Stellungnahme der Kommission http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/docs/art6/guidance_ art6_4_de.pdf - Europäische Kommission, 2007, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, 96 S. http://circa.europa.eu/Public/irc/env/species_protection/library?l=/commission_guidan ce/german/env-2007-00702-00-00-de-/_EN_1.0_&a=d Wichtige Leitfäden der Europäischen Kommission zur Wasserrahmenrichtlinie - European Commission (2003), Common implementation strategy for the water framework directive (2000/60/EC), Transitional and coastal waters - Typology, Reference conditions and classification systems, Guidance Document No 5 (Gemeinsame Strategie für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG), Übergangs- und Küstengewässer – Typologie, Referenzbedingungen und Klassifizierungssysteme, Leitfaden Nr. 5), Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 116 S.. http://circa.europa.eu/Public/irc/env/wfd/library?l=/framework_directive/guidance_docu ments&vm=detailed&sb=Title - European Commission (2003), Common implementation strategy for the water framework directive (2000/60/EC), Identification and Designation of Heavily Modified and Artificial Water Bodies, Guidance Document No 4 (Gemeinsame Strategie für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG), Ermittlung und Ausweisung erheblich veränderter und künstlicher Wasserkörper, Leitfaden Nr. 4 Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 14 S.. http://circa.europa.eu/Public/irc/env/wfd/library?l=/framework_directive/guidance_docu ments&vm=detailed&sb=Title - European Commission (2006), Common Implementation Strategy for the Water Framework Directive. Exemptions to the environmental objectives under the Water Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Framework Directive allowed for new modifications or new sustainable development activities (WFD Article 4.7), policy paper (Gemeinsame Strategie für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, Ausnahmen von den Umweltzielen der Wasserrahmenrichtlinie für neue Änderungen oder neue nachhaltige Entwicklungstätigkeiten (Artikel 4 Absatz 7 WRRL), Politikpapier) http://circa.europa.eu/Public/irc/env/wfd/library?l=/framework_directive/thematic_docu ments/environmental_objectives&vm=detailed&sb=Title - European Commission (2006), WFD and Hydro-morphological pressures: Focus on hydropower, navigation and flood defence activities, Recommendations for better policy integration, Policy Paper (WRRL und hydromorphologische Belastungen unter besonderer Berücksichtigung von Tätigkeiten in den Bereichen Wasserkraft, Schifffahrt und Hochwasserschutz, Empfehlungen für eine bessere Politikintegration, Politikpapier), 44 S.. http://circa.europa.eu/Public/irc/env/wfd/library?l=/framework_directive/thematic_docu ments/hydromorphology&vm=detailed&sb=Title - European Commission (2006), WFD and Hydro-morphological pressures, Good practice in managing the ecological impacts of hydropower schemes; flood protection works; and works designed to facilitate navigation under the Water Framework Directive (WRRL und hydromorphologische Belastungen, Beispiele guter Praxis für den Umgang mit Umweltauswirkungen von Wasserkraftprojekten, Maßnahmen zum Hochwasserschutz und für die Schifffahrt auf der Grundlage der Wasserrahmenrichtlinie), 68 S.. http://circa.europa.eu/Public/irc/env/wfd/library?l=/framework_directive/thematic_docu ments/hydromorphology&vm=detailed&sb=Title Politikdokumente der Europäischen Kommission zur Meeres- und Hafenpolitik - Europäische Kommission, 2006, Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union: Eine europäische Vision für Ozeane und Meere, Grünbuch, 54 S., KOM(2006) 275 endgültig. http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2006:0275:FIN:DE:HTML - Europäische Kommission, 2006, Meeresautobahnen: Die Straßen Europas entlasten, Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 6 S. http://ec.europa.eu/transport/intermodality/motorways_sea/doc/2006_motorways_sea _brochure_de.pdf - Europäische Kommission, 2007, Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union, 17 S., KOM(2007) 575 endgültig http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2007:0575:FIN:DE:PDF - Europäische Kommission, 2007, Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik, 17 S., KOM(2007) 616 endgültig. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2007:0616:FIN:DE:PDF - Europäische Kommission, 2009, Strategische Ziele und Empfehlungen für die Seeverkehrspolitik der EU bis 2018, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, GD Verkehr und Energie, 16 S. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2009:0008:FIN:DE:PDF 41 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten 42 Leitfäden der Europäischen Kommission zur Strategie Küstenzonenmanagement (IKZM) und zu Küstengebieten - für ein integriertes Europäische Kommission, 2002, Empfehlung zur Umsetzung einer Strategie für ein integriertes Management der Küstengebiete in Europa, (2002/413/EG) http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2002:148:0024:0027:DE:PDF - European Commission (2004b), Living with coastal erosion in Europe - Sediment and Space for Sustainability, EUrosion (Mit der Küstenerosion in Europa leben, Sedimente und Raum für Nachhaltigkeit, EUrosion), Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 44 S.. http://www.eurosion.org/project/eurosion_en.pdf Weitere Leitfäden der Europäischen Kommission - European Commission (2004), Development of a Guidance Document on Strategic Environmental Assessment (SEA) and Coastal Erosion (Erstellung eines Leitfadens für die strategische Umweltprüfung (SUP) und Küstenerosion), Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 72 S. http://ec.europa.eu/environment/iczm/pdf/coastal_erosion_fin_rep.pdf - Europäische Kommission, 2006, Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 – und darüber hinaus, Erhalt der Ökosystemleistungen zum Wohl der Menschen, Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 19 S., KOM(2006) 216 endgültig. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2006:0216:FIN:DE:PDF - Europäische Kommission, 2007, Anpassung an den Klimawandel in Europa – Optionen für Maßnahmen der EU, Grünbuch, 30 S., KOM(2007) 354 endgültig. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2007:0354:FIN:DE:PDF - Europäische Kommission, 2007, Agenda für einen wettbewerbsfähigen europäischen Tourismus, Mitteilung KOM(2007) 621 endgültig. nachhaltigen und der Kommission, http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:52007DC0621:de:HTML - Europäische Kommission, 2010, Europa – wichtigstes Reiseziel der Welt: ein neuer politischer Rahmen für den europäischen Tourismus, Mitteilung der Kommission, KOM(2010) 352 endgültig. http://ec.europa.eu/enterprise/sectors/tourism/files/communications/communication20 10_de.pdf 43 Leitlinien der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Anhang 2: Ausgewählte private Initiativen im Hafensektor 1. Ecoports (siehe www.ecoports.com) „Ecoports“, ein 2002 begonnenes Forschungs- und Entwicklungsprojekt, erhielt eine Anschubfinanzierung, an der sich die Europäische Kommission und zwölf Häfen und Hafenvereinigungen beteiligten. Hauptziel des Projekts war es, die Verfahren für ein ökologisches Management der Hafenverwaltungen in Europa durch die Einführung eines Umweltmanagementsystems, durch Erfahrungsaustausch und die Anwendung guter Praktiken bei der Lösung hafenbezogener Umweltprobleme zu harmonisieren. 2. ESPO, Umweltverhaltenskodex (siehe www.espo.be) 1994 legte die Organisation europäischer Seehäfen ESPO (European Sea Ports Organisation) ihren ersten europäischen Umweltverhaltenskodex vor, mit dem das gemeinsame Engagement der Hafenverwaltungen zur Verbesserung der Umwelt unterstrichen werden sollte. Empfehlungen für die Integration von Umweltschutzstrategien in alle Aspekte ihrer Tätigkeiten sollten hierbei Hilfestellung geben. 2002 führte die ESPO eine Erhebung über die Auswirkungen der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie auf die Hafenentwicklung durch. Die wichtigsten Ergebnisse und Empfehlungen veröffentlichte sie 2007 im ESPO-Verhaltenskodex für die Durchführung der Vogelschutz- und der HabitatRichtlinie (ESPO Code of Practice on the Birds and Habitats Directives). 3. Paralia Nature (siehe www.imiparalianature.org) Im Dezember 2000 begann das Projekt „Paralia Nature“ als informelle Plattform für die Diskussion über die Habitat-Richtlinie, hiermit zusammenhängende Fragen und Vorhaben. Dieses Projekt soll Regierungen, Häfen, Universitäten, NRO und Wissenszentren durch den Austausch von Erfahrungen und Meinungen zu einer breit angelegten, fachübergreifenden Zusammenarbeit zusammenführen. 4. Projekt „NEW! Delta“ (Interreg IIIB - Nordwesteuropa, siehe www.newdelta.org) Im Juli 2004 begann das Projekt „NEW! Delta“, bei dem auch die Anwendung der Vogelschutz- und der Habitat-Richtlinie zu einem zentralen Thema erhoben wurde. An dem Projekt beteiligen sich zehn Partner unter anderem Hafenbehörden, regionale Verwaltungen und Forschungseinrichtungen aus vier Ländern im Nordwesten Europas (England, Frankreich, Belgien und Niederlande). 5. SedNet (5. Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung, siehe www.sednet.org) Das Sedimentnetzwerk (SedNet) ist eine europäische Initiative, die sich gegründet hat, um Themen und Wissen aus ihrem Tätigkeitsfeld in europäische Strategien einzubringen, Umweltziele zu unterstützen und neue Instrumente des Sedimentmanagements zu entwickeln. 6.TIDE (Interreg IV B-Nordseeprogramm, siehe www.tide-project.eu/) Das Interreg-Projekt TIDE besteht seit September 2009. Es soll die integrierte Bewirtschaftung von Mündungsgebieten fördern, durch die der Zugang zu wichtigen Seehäfen verläuft und die durch einen starken Gezeiteneinfluss und hohe Sedimenttransportraten geprägt sind. Im Rahmen einer Partnerschaft tauschen die mit den Mündungsgebieten von Elbe, Schelde, Humber und Weser befassten Teilnehmer von Hafenund Umweltbehörden und aus der Wissenschaft Erfahrungen aus und entwickeln Instrumente und Pilotmaßnahmen für eine integrierte Bewirtschaftung von Mündungsgebieten. 44 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Anhang 3: Checkliste der ESPO für die Kontrolle der guten Praxis in Bezug auf die Abstimmung von Natura 2000-Zielen mit Entwicklung und Betrieb von Häfen und Wasserstraßen (Dezember 2009) Die folgende Checkliste soll als Beispiel dienen und kann von den Mitgliedstaaten übernommen werden, um Projektträgern und Betreibern von Häfen und Wasserstraßen eine Richtschnur und Rechtssicherheit für ihre Tätigkeit zu bieten. Raumplanung und integrierte Planung Bestehende Tätigkeiten in den Bereichen Häfen und Wasserstraßen werden auf allen Ebenen der Raumordnung gründlich geprüft, erörtert und abgewogen. Neue Entwicklungen und künftiges Wachstum bestehender Häfen und Wasserstraßen sind ein integraler Bestandteil der entsprechenden Raumplanungsprozesse. Tätigkeiten in den Bereichen Häfen und Wasserstraßen werden im Rahmen eines ausgewogenen und integrierten Natura 2000-Bewirtschaftungsplans gründlich erörtert und abgewogen. Planung neuer Hafen- und Wasserstraßenprojekte Nachhaltige Hafenentwicklung ist ein Schlüsselelement, wenn es um die Genehmigung weiterer hafenbezogener Tätigkeiten geht (Optimierung der Nutzung durch die Hafenindustrie und des hierfür zur Verfügung stehenden Raums, Verbesserung von Synergieeffekten, wirksame Nutzung der Verkehrsträger). Für die Auswirkungen von Tätigkeiten im Bereich Seeschifffahrt in oder in der Nähe von Häfen gelten internationale Regelungen und Verträge (UNCLOS, IMO, MARPOL). Die Nachhaltigkeit der Schifffahrt wird im Rahmen freiwilliger Maßnahmen gefördert (z. B. durch den Umweltindex für Schiffe „Environmental Ship Index“). Die Meinung von Anteilseignern, Öffentlichkeit und Beteiligten wird im Rahmen eines klar vorgegebenen Beteiligungsprozesses von Anfang an berücksichtigt. Alle wichtigen Fragen wurden so weit wie möglich auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse einvernehmlich geklärt. Falls eine wesentliche Auswirkung bei einer Vorprüfung nicht ausgeschlossen werden kann, sind nach Artikel 6 der Habitat-Richtlinie weitere Schritte erforderlich (vollständige Beurteilung, Alternativlösungen, Schadensbegrenzungs- und Ausgleichsmaßnahmen - siehe ESPO-Verhaltenskodex und spezifische EULeitlinien). Die zuständige Behörde billigt und bestätigt die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses und der Beurteilungen der Hafenentwicklung und verankert diese (einschließlich der während des Prozesses gefassten Beschlüsse) in den relevanten integrierten Plänen. Unterhaltungsbaggerungen Eine Strategie für Unterhaltungsbaggerungen wurde unter Berücksichtigung der hydromorphologischen und ökologischen Aspekte erarbeitet. Auf der Grundlage aktueller Informationen und eines Prozesses zur Verarbeitung von Rückmeldungen aller relevanten Beteiligten sollen Baggerarbeiten unter Einhaltung der wirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen die Natura 2000-Erhaltungsziele so wenig wie möglich gefährden. Eine Strategie oder ein Plan für nachhaltige Unterhaltungsbaggerungen ist Bestandteil eines integrierten Bewirtschaftungsplans. Auf der Grundlage allgemeiner Prinzipien in Einklang mit den Erhaltungszielen können die Baggerungen den Anforderungen eines dynamischen tidebeeinflussten Mündungs--, Fluss- oder Küstensystems flexibel angepasst werden. Die Baggerungen wurden hinsichtlich der folgenden Aspekte in der angegebenen Reihenfolge optimiert: - technische Machbarkeit, Verfügbarkeit von Baggern; Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten - Sicherheit, nautische Erfordernisse, Schiffbarkeit; - rechtsverbindliche Erfordernisse des Umweltschutzes (Vogelschutz- und Habitat-Richtlinien, WRRL usw.); - Verwaltungsbestimmungen (z. B. Bewirtschaftungspläne, standortspezifische Ziele); - vollständige Berücksichtigung langfristiger umfassender hydromorphologischer, sedimentbezogener und ökologischer Kriterien; - kurzfristige und/oder lokale Kriterien; - Kostenwirksamkeit; - sonstige nicht verbindliche Aspekte, unter anderem Absprachen mit Beteiligten. Natura 2000-Gebietsmanagement und Unterhaltungsmaßnahmen Es sollten realistische Erhaltungsziele für Gebiete angestrebt werden, die in einem ausgewogenen Verhältnis zur langfristigen Entwicklung von Häfen und Wasserstraßen stehen. Hafen- und Wasserstraßenverwaltungen sollten von Anfang an aktiv in die Erstellung von Bewirtschaftungsplänen eingebunden werden. Bei Unsicherheiten (Wissen über das Ökosystem, Beziehung Ursache-Wirkung) sollten Forschungs- und Überwachungsprogramme in den Bewirtschaftungsplan aufgenommen werden. 45 46 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Anhang 4: Angemessene Verträglichkeitsprüfung, Umweltverträglichkeitsprüfung und strategische Umweltprüfung – die Verfahren im Überblick Angemessene Verträglichkeitsprüfung Welche Pläne und Projekte sind betroffen? Welche umweltbezogenen Auswirkungen müssen untersucht werden? UVP SUP Alle Pläne oder Projekte, die - entweder einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen bzw. Projekten – ein Natura 2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten (außer Plänen und Projekten, die unmittelbar mit der Bewirtschaftung des zu schützenden Gebiets in Zusammenhang stehen). Alle Projekte Anhangs I. Die Prüfungen sollten mit Blick auf die Erhaltungsziele für das jeweilige Gebiet durchgeführt werden (die wiederum für die Arten bzw. Lebensraumtypen gelten, für die das Gebiet ausgewiesen wurde). Direkte und indirekte, sekundäre, kumulative, kurz-, mittelund langfristige, ständige und vorübergehende, positive und negative Auswirkungen auf „Fauna und Flora“. Die Auswirkungen sollten daraufhin geprüft werden, ob Nachteile für das betreffende Gebiet als solches oder anderweitige Nachteile ausgeschlossen werden können. des Bei Projekten des Anhangs II wird anhand einer Einzelfalluntersuchung oder der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerte oder Kriterien (unter Berücksichtigung der in Anhang III genannten Kriterien) bestimmt, ob das Projekt einer UVP unterzogen werden muss. Alle Pläne und Programme, a) die in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet werden und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337/EWG aufgeführten Projekte gesetzt wird oder b) bei denen angesichts ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf Gebiete eine Prüfung nach Artikel 6 oder 7 der Richtlinie 92/43/EWG für erforderlich erachtet wird. Die voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen, einschließlich der Auswirkungen auf Aspekte wie die biologische Vielfalt, die Bevölkerung, die Gesundheit des Menschen, Fauna, Flora, Boden, Wasser, Luft, klimatische Faktoren, Sachwerte, das kulturelle Erbe einschließlich der architektonisch wertvollen Bauten und des archäologischen Erbes, die Landschaft und die Wechselbeziehung zwischen den genannten Faktoren. Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten die Es liegt in der Verantwortung der zuständigen Behörde sicherzustellen, dass die Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wird. In diesem Zusammenhang kann der Projektträger verpflichtet werden, alle erforderlichen Untersuchungen durchzuführen und der zuständigen Behörde alle benötigten Informationen vorzulegen, damit sie eine Entscheidung in Kenntnis aller Umstände treffen kann. Bei Bedarf kann die zuständige Behörde relevante Informationen auch aus anderen Quellen heranziehen. Der Projektträger. Die zuständige Planungsbehörde. Muss die Öffentlichkeit / müssen andere Behörden konsultiert werden? Eine solche Konsultation ist nicht vorgeschrieben, wird aber befürwortet („gegebenenfalls“). Eine Konsultation muss vor Annahme des Projektvorschlags durchgeführt werden. Eine Konsultation vor Annahme des Plans oder Programms ist vorgeschrieben. Wer nimmt Prüfung vor? Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit die Behörden, die in ihrem umweltbezogenen Aufgabenbereich von einem Projekt berührt sein könnten, die Möglichkeit haben, ihre Stellungnahme zu dem Antrag auf Genehmigung abzugeben. Entsprechendes gilt für die Konsultation der Öffentlichkeit. Wie verbindlich sind die Ergebnisse der Prüfung? Verbindlich. Die zuständigen Behörden können dem Plan bzw. Projekt nur zustimmen, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird. Die Ergebnisse der Anhörungen und die im Rahmen der UVP eingeholten Angaben sind beim Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen. Den Behörden und der Öffentlichkeit wird innerhalb ausreichend bemessener Fristen frühzeitig und effektiv Gelegenheit gegeben, vor der Annahme des Plans oder Programms oder seiner Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf des Plans oder Programms sowie zum begleitenden Umweltbericht Stellung zu nehmen. Die Mitgliedstaaten müssen die zu konsultierenden Behörden bestimmen, die in ihrem umweltbezogenen Aufgabenbereich betroffen sein könnten. Der Umweltbericht sowie die abgegebenen Stellungnahmen werden bei der Ausarbeitung des Plans oder Programms und vor dessen Annahme oder vor dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren Berücksichtigung finden. 47 48 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten GLOSSAR Alternativlösungen: andere Wege zur Erreichung der Ziele eines Plans oder Projekts. Die Dienststellen der Kommission schlagen Folgendes vor: „Dazu können alternative Standorte (Trassen bei Linienbauten), andere Größenordnungen oder Entwicklungspläne bzw. alternative Prozesse gehören“ (Methodik-Leitlinien zur Erfüllung der Vorgaben des Artikels 6 Absätze 3 und 4 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, 2001). Art von gemeinschaftlicher Bedeutung: Art des Anhangs II und/oder der Anhänge IV oder V der Habitat-Richtlinie. Ausgleichsmaßnahmen: Gemäß Artikel 6 Absatz 4 müssen Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden, wenn es keine Alternativlösungen gibt und Nachteile für ein europäisches Schutzgebiet mit zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt wurden. Ausgleichsmaßnahmen müssen auf den Schutz der globalen Kohärenz des Natura 2000-Netzes ausgerichtet sein. In der Regel wird dabei geeigneter Lebensraum möglichst nahe an dem Gebiet eingerichtet, in dem die negativen Auswirkungen eintreten werden, und zwar so rechtzeitig, dass dieser neu geschaffene Lebensraum seine volle Funktion vor Eintritt der negativen Auswirkungen erfüllt. Besondere Bedeutung: ein natürlicher Lebensraum des Anhangs I oder eine Art des Anhangs II der Habitat-Richtlinie, eine Art des Anhangs I der Vogelschutz-Richtlinie oder eine nicht in Anhang I aufgeführte regelmäßig wiederkehrende Wanderart, für die ein Natura 2000-Gebiet ausgewiesen wurde. Besonderes Schutzgebiet: ein von den Mitgliedstaaten durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung als ein von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden. Beteiligte: Personen oder Organisationen, die von einem Programm oder Projekt oder einer Maßnahme betroffen sein werden oder hierauf Einfluss ausüben werden. Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung: Dieser Begriff wird in der Habitat-Richtlinie (92/43/EWG) definiert als „Gebiet, das in der oder den biogeografischen Region(en), zu welchen es gehört, in signifikantem Maße dazu beiträgt, einen natürlichen Lebensraumtyp des Anhangs I oder eine Art des Anhangs II in einem günstigen Erhaltungszustand zu bewahren oder einen solchen wiederherzustellen und auch in signifikantem Maße zur Kohärenz des (...) Netzes „Natura 2000“ und/oder in signifikantem Maße zur biologischen Vielfalt in der biogeografischen Region beitragen kann“. Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung werden der Kommission von den Mitgliedstaaten vorgeschlagen und sind nach ihrer Annahme von den Mitgliedstaaten als besondere Schutzgebiete auszuweisen. Günstiger Erhaltungszustand: Der Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums wird als „günstig“ erachtet, wenn sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen können und die für seinen langfristigen Fortbestand notwendige Struktur und spezifischen Funktionen bestehen und in absehbarer Zukunft wahrscheinlich weiterbestehen werden und der Erhaltungszustand der für ihn charakteristischen Arten günstig ist. (Artikel 1 Buchstabe e der Habitat-Richtlinie) Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Der Erhaltungszustand einer Art wird als „günstig“ betrachtet, wenn die Population langfristig lebensfähig bleiben wird und das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Population dieser Art zu sichern. Kompensation: Kompensationsmaßnahmen für Eingriffe in die biologische Vielfalt sind Erhaltungsmaßnahmen zum Ausgleich der verbleibenden unvermeidlichen Schädigung der biologischen Vielfalt durch Entwicklungsprojekte, um Nettoverluste der biologischen Vielfalt nach Möglichkeit zu vermeiden. Kumulative Auswirkungen: Auswirkungen mehrerer Pläne bzw. Projekte, die räumlich und zeitlich zusammenfallen. Lebensraum von gemeinschaftlichem Interesse: ein natürlicher Lebensraumtyp nach Anhang I der Habitat-Richtlinie. Maßnahmen zur Schadensbegrenzung: Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, die negativen Auswirkungen eines Plans oder Projekts während oder nach seiner Durchführung abzuschwächen oder sogar aufzuheben. Natura 2000-Gebiet: Gebiet, das in das Natura 2000-Netz aufgenommen wurde, das sich aus den von der Europäischen Kommission angenommenen Schutzgebieten und Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung und von den Mitgliedstaaten benannten besonderen Schutzgebieten zusammensetzt. Schutzgebiet: gemäß der Vogelschutz-Richtlinie für Arten des Anhangs I dieser Richtlinie und/oder regelmäßig auftretende Zugvogelarten ausgewiesenes und in das Natura 2000Netz aufgenommenes Schutzgebiet. Störung: eine zeitweise oder ständige Veränderung der Umweltbedingungen (z. B. durch Lärm oder Lichtquellen), die sich nachteilig auf einen natürlichen Lebensraum oder eine Art auswirken kann. Die Störung kann schädlich für eine geschützte Art sein, indem sie z. B. die Überlebenschancen, den Bruterfolg oder die Reproduktionsfähigkeit verringern und weitere mittelbare Auswirkungen (stärkeren Nahrungswettbewerb) nach sich ziehen kann. Überwachung: ausführliches Erhebungsprogramm, das systematisch ausgeführt wird, um eine Reihe von Beobachtungen zu erhalten, anhand deren im Zeitverlauf möglicherweise zu erwartende Veränderungen festgestellt werden sollen. Überwachung (Monitoring): Sammlung und Analyse wiederholter Beobachtungen oder Messungen zur Beurteilung von Veränderungen des Zustands und der Fortschritte auf dem Weg zur Verwirklichung eines Bewirtschaftungsziels. Verschlechterung: physische Verschlechterung, die einen Lebensraum oder ein Brut- oder Rastgebiet einer Art beeinträchtigt. Im Unterschied zur Zerstörung kann eine solche Verschlechterung ein langsamer Prozess sein, in dessen Verlauf die qualitativen oder quantitativen Merkmale des jeweiligen Gebiets allmählich immer weiter beeinträchtigt werden, bis schließlich ein vollständiger Verlust eintreten kann. 49 50 Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Naturschutzvorschriften der EU in Mündungs‐ und Küstengebieten Verträglichkeitsprüfung: das angemessene Verfahren gemäß Artikel 6 Absatz 3 der Habitat-Richtlinie, bei dem die potenziellen Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf ein Natura 2000-Gebiet im Hinblick auf die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu prüfen sind, um festzustellen, ob nachteilige Auswirkungen des Plans oder Projekts auf das Gebiet als solches ausgeschlossen werden können. Vorsorgeprinzip: Wenn die wissenschaftlichen Beweise nicht ausreichen, keine eindeutigen Schlüsse zulassen oder unklar sind, jedoch aufgrund einer vorläufigen wissenschaftlichen Risikobewertung begründeter Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die möglicherweise gefährlichen Folgen für die Umwelt und die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen mit dem angestrebten hohen Schutzniveau unvereinbar sein könnten, kann das Fehlen wissenschaftlicher Belege nicht als Begründung für eine Verschiebung kostenwirksamer Maßnahmen zur Vermeidung einer ökologischen Verschlechterung herangezogen werden. (Erklärung von Rio, 1992, und Europäische Kommission, 2000). Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses: Bestimmung gemäß Artikel 6 Absatz 4, nach der ein Plan oder Projekt unter bestimmten Umständen selbst dann durchgeführt werden kann, wenn in einer Verträglichkeitsprüfung nicht ausgeschlossen werden konnte, dass ein Natura 2000-Gebiet als solches beeinträchtigt wird. Europäische Kommission Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union 2011 50 S. 21,0 x 29,7 cm ISBN 978-92-79-19370-5 doi: 10.2779/42993 KH-31-11-028-DE-N