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Werner Bätzing, geboren 1949, Professor für
Kulturgeografie an der Universität Erlangen-Nürnberg mit Schwerpunkt Alpenraum in Lehre und
Forschung, beschäftigt sich seit 1977 wandernd
und analysierend mit den piemontesischen Alpen.
Wichtigste Publikationen zum Thema: Die Alpen.
Geschichte und Zukunft einer europäischen
Kulturlandschaft (2003), GTA – Grande Traversata
delle Alpi. Der Weitwanderweg durch die piemontesischen Alpen, 2 Bände (2006), und (zusammen
mit Michael Kleider) Die Seealpen (2006).
Die Etappen auf einen Blick
Werner Bätzing, Michael Kleider
1 Der Ausgangsort S. 58
2 Am Alpenrand links der Stura
NATUR
PUNKT
VALLE STURA
Etappe 1:
Borgo San Dalmazzo–Airale S. 74
Etappe 2:
Airale–Vanet Cavallo S. 76
Etappe 3:
Vanet Cavallo–Vinadio S. 78
3 In den Cottischen Alpen
Rundwanderweg durch ein einsames
Tal der piemontesischen Alpen
Etappe 4:
Vinadio–Rifugio Neraissa S. 92
Etappe 5:
Rifugio Neraissa–Monte Nebius–Rifugio Neraissa S. 96
Etappe 6:
Rifugio Neraissa–Sambuco S. 101
Etappe 7:
Sambuco–Pontebernardo S. 105
4 In den Dolomiten von Cuneo
Etappe 8:
Pontebernardo–Rifugio della Gardetta S. 116
Etappe 9:
Rifugio Gardetta–Villaggio Primavera S. 118
Etappe10:
DOLOMITENGIPFEL, EINSAME ALPWEIDEN, RUINENDÖRFER
Etappe 12: Pietraporzio–Bagni di Vinadio S. 134
Etappe 11a: Ferrere–Rifugio Migliorero S. 136
Das 50 Kilometer lange Tal der Stura di Demonte liegt knapp 100 Kilo-
Etappe 12a: Rifugio Migliorero–Bagni di Vinadio S. 140
Südwestalpen. Trotz der südlichen Lage und der Nähe zum Mittelmeer
findet sich hier eine ausgeprägte Hochgebirgslandschaft, die sich durch
starke Gesteins- und Reliefkontraste (Höhenlagen zwischen 3000 und
500 Metern) auszeichnet. Viele Seitentäler sind inzwischen menschenHistorische Wege mit eindrucksvollen Fernsichten und eine Anzahl von
Unterkünften bieten ideale Voraussetzungen für oft einsame Wanderungen. Der Wanderweg Lou Viage kombiniert verschiedene Wege zu einer
19-tägigen Rundwanderung, die alle landschaftlichen und kulturellen
Höhepunkte erschließt.
Der Verein Lou Viage will einen sanften, angepassten Wandertourismus
aufbauen, der dazu beitragen soll, die drohende Entsiedlung des Tales
zu stoppen. Dieser Wanderführer unterstützt dieses Ziel und liefert alle
notwendigen Informationen zur Planung der Wanderung. Vertiefende
Hintergründe öffnen die Augen für die Landschaft. Denn: Man sieht nur,
was man weiß!
ISBN 978-3-85869-370-9
VALLE STURA
meter südwestlich von Turin in einer der unbekanntesten Regionen der
leer, und zahlreiche Orte liegen in Trümmern.
Naturpunkt ist eine Wanderbuchreihe im Rotpunktverlag, die
attraktive Freizeitgestaltung für alle Altersgruppen mit der
größtmöglichen Sorge um Natur und Umwelt verbindet. Sorgfältig ausgearbeitete Tourenvorschläge fördern umwelt- und
sozialverträgliche Formen der Mobilität; praktische Hinweise
und kompetente Hintergrundinformationen unterstützen eine
bewusste Auseinandersetzung mit den ökologischen und kulturellen Gegebenheiten in den bereisten Regionen. Ein unabhängiger Fachbeirat sorgt für die Einhaltung dieser Grundsätze.
Etappe 11: Ferrere–Pietraporzio S. 132
Werner Bätzing, Michael Kleider
Michael Kleider, geboren 1970, hat Geografie
an der Universität Erlangen-Nürnberg studiert
und seine Abschlussarbeit über Dronero
(Maira-Tal/Provinz Cuneo) geschrieben. Seit 2002
engagiert er sich beruflich für die piemontesischen
Alpen und besonders für die GTA.
Publikation (zusammen mit Werner Bätzing):
Die Seealpen. Naturpark-Wanderungen zwischen
Piemont und Côte d’Azur (2006).
Villaggio Primavera–Cima Enciàstraia–Ferrere S. 121
5 Im Argentera-Massiv
Etappe 13: Bagni di Vinadio–Sant’Anna di Vinadio S. 142
6 Im Grenzgebiet
Etappe 14: Sant’Anna di Vinadio–Rifugio Malinvern S. 156
Etappe 15: Rifugio Malinvern–Vinadio S. 159
NATUR
PUNKT
Etappe 15a: Rifugio Malinvern–Terme di Valdieri S. 161
7 Am Alpenrand rechts der Stura
Etappe 16: Vinadio–Perdioni S. 172
Etappe 17: Perdioni–Pianetto S. 174
Etappe 18: Pianetto–Stiera S. 177
Etappe 19: Stiera–Borgo San Dalmazzo S. 178
Die Kartenskizzen zu den einzelnen Etappen
dienen nur zur ersten Orientierung und die
Mitnahme einer Wanderkarte 1:50 000 oder
1:25 000 ist unverzichtbar.
Rotpunktverlag .
Übersichtskarte auf Umschlaginnenseite
www.rotpunktverlag.ch
Inhalt
4
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Geleitworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
In den Dolomiten von Cuneo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Etappe 8:
Pontebernardo–Rifugio della Gardetta . . . . . . . . . . . . . 116
Etappe 9:
Rifugio Gardetta–Villaggio Primavera . . . . . . . . . . . . . . 118
Etappe 10: Villaggio Primavera–Cima Enciàstraia–
Ferrere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Wirtschaftszweig Schmuggel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
EINFÜHRUNG IN DAS VALLE STURA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Lage und Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
5
Die Associazione Lou Viage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Die Wegbeschreibungen in diesem Führer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Das Valle Stura als Lebens- und Wirtschaftsraum . . . . . . . . . . . . . 18
Nutzungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Die traditionelle Land- und Viehwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Die traditionelle Siedlungsstruktur und Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Der Kulturraum Okzitanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Militärstraßen und militärische Befestigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Die Bevölkerungsentwicklung von 1861 bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Politische Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Das Valle Stura heute und in Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Natur und Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Gesteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Klima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
Landschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Flora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Fauna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
1
WEG- UND ETAPPENBESCHREIBUNGEN
Der Ausgangsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Die Fiera Fredda in Borgo San Dalmazzo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2
Am Alpenrand links der Stura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Etappe 1:
Etappe 2:
Etappe 3:
Borgo San Dalmazzo–Airale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Airale–Vanet Cavallo (Abstecher zum
Colle dell’Ortiga) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Vanet Cavallo–Vinadio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Regionale Produkte im Stura-Tal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
3
In den Cottischen Alpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Etappe 4:
Etappe 5:
Etappe 6:
Etappe 7:
Vinadio–Rifugio Neraissa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
Rifugio Neraissa–Monte Nebius–Rifugio Neraissa . . . . 96
Rifugio Neraissa–Sambuco
(Gipfelbesteigung des Monte Autes) . . . . . . . . . . . . . . 101
Sambuco–Pontebernardo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Im Argentera-Massiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Etappe 11:
Etappe 12:
Etappe 11a:
Etappe 12a:
Etappe 13:
Ferrere–Pietraporzio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
Pietraporzio–Bagni di Vinadio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Ferrere–Rifugio Migliorero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Rifugio Migliorero–Bagni di Vinadio . . . . . . . . . . . . . . . 140
Bagni di Vinadio–Sant’Anna di Vinadio . . . . . . . . . . . . 142
Sagen und Legenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
6
Inhalt
Im Grenzgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
Etappe 14: Sant’Anna di Vinadio–Rifugio Malinvern . . . . . . . . . . . . 156
Etappe 15: Rifugio Malinvern–Vinadio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Etappe 15a: Rifugio Malinvern–Terme di Valdieri . . . . . . . . . . . . . . . 161
Das Fort von Vinadio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
7
Am Alpenrand rechts der Stura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Etappe 16:
Etappe 17:
Etappe 18:
Etappe 19:
Vinadio–Perdioni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
Perdioni–Pianetto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
Pianetto–Stiera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Stiera–Borgo San Dalmazzo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Kastanienanbau im Stura-Tal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
PRAKTISCHE HINWEISE FÜR WANDERER . . . . . . . . . . . . . . 182
Zum Gebrauch des Führers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
Charakteristik der Etappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
Wegbeschreibungen und Variationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . 186
Wanderungen auf anderen Weitwanderwegen im Stura-Tal . . . . . . . 188
Ausrüstung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Die Unterkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Günstige Wanderzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Kartenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Esssitten und Regionalprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Tipps für Regentage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Die Provinzhauptstadt Cuneo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Anreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Wichtige Adressen, Telefonnummern, Internetseiten . . . . . . . . . . . . . 202
Mitglieder Lou Viage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Transhumanz und Razza Sambucana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
6
7
Natur und Landschaft
Gesteine
Das Stura-Tal umfasst eine Reihe von sehr
unterschiedlich harten Gesteinen – die
Ursache für die große landschaftliche
Vielfalt.
Erster Bereich: Ein Drittel der Gesamtfläche des Tals besteht aus dem ArgenteraMercantour-Massiv, das die orografisch
rechte Talseite zwischen Forneris-Seitental und Colle Arpione (südlich von Demonte) aufbaut und das hier seine Nordgrenze erreicht.
Beim Argentera-Mercantour-Massiv handelt es sich um ein kleines Gebirge, das
schon vor etwa 450 Millionen Jahren entstand, also lange vor der Entstehung der
Alpen. Dieses Gebirge wurde dann in den
Prozess der alpidischen Faltung (Beginn
vor rund 65 Millionen Jahren) mit einbezogen und durchlief damit eine doppelte
Gebirgsbildung. Da bei der Gebirgsbildung enormer Druck und große Hitze
entstehen, wurden die Ausgangsgesteine
ganz (Magmatite) oder teilweise aufgeschmolzen (Metamorphose) und dabei zu
sehr harten, silikathaltigen Graniten und
44
Gneisen umgewandelt. Diese Gesteine
setzen sich nach Süden und auch über die
französische Grenze fort. Sie sind schwer
erodierbar und prägen die Landschaft der
Seealpen, die dadurch bestimmte Charakteristika aufweist: große Reliefunterschiede zwischen den hohen Gipfeln und
den tief eingeschnittenen Tälern, großer
Anteil von Fels und ausgedehnte Schuttfelder unter steilen Felswänden.
Ein Teilkomplex des Gesamtmassivs ist
der Tinée-Komplex, der im Bereich des
Stura-Tals hauptsächlich aus Augensteingneisen und geschieferten Gneisen besteht und die höchsten Gipfel des Tals,
darunter den Monte Ténibres, 3031 m,
aufbaut.
Der zweite Teilkomplex des ArgenteraMercantour-Massivs ist der Malinvern-Argentera-Komplex, der ebenfalls eine sehr
hohe Festigkeit aufweist und an den
Tinée-Komplex angrenzt.
Der dritte Teilkomplex ist die Grenzzone
zwischen beiden, die sogenannte FerriereMollières-Linie. Hier entstand durch
Reibung und Druck (Mylonitisierung)
zwischen den beiden eben genannten
1 Blick vom Passo di Rostagno, 2536 m (Etappe 11a), in die
zentralen Seealpen. Der breite
Gipfel im Bildhintergrund
(Mitte) ist die Cima Argentera,
3297 m, die höchste Erhebung
der Seealpen. Unten im Bild ist
der Weg und gerade noch das
Rifugio Migliorero zu erkennen.
Einführung:
Natur und
Landschaft
7 Links: Die Ferriere-MollièresKomplexen eine sehr feinkörnige und
leichter erodierbare Gesteinsmaterie und
somit eine geologische Schwächezone,
die sich klar im Gelände als Eintiefung
zeigt (Pässe Stau, Scolettas, Lausfer, Lombarda; Hochtal Orgials). Die Ferriere-Mollières-Linie zieht sich linienförmig durch
das gesamte Argentera-Mercantour-Massiv.
Zweiter Bereich: Rund um das ganze Massiv herum erstrecken sich Bänder aus unterschiedlich harten und weichen Sedimentgesteinen (Kalke, Schiefer, Mergel).
Diese Gesteine haben sich am Grund des
Tethys-Meers gebildet, das vor etwa 230
bis 265 Millionen Jahren das ArgenteraMassiv bedeckt hat. Ablagerungen führten zu einer mächtigen Sedimentschicht,
die durch den Auflagedruck und später
Linie sorgt beim Passo sottano
di Scolettas, 2223 m, für
eine deutliche Geländeeintiefung.
Rechts: In den »Dolomiten von
Cuneo«.
5 Der untere Stura-Tal-Bereich
bei Roccasparvera.
45
durch den Druck und die Hitze bei der Alpenbildung in Gesteine umgewandelt
wurde. Bei der Heraushebung der Alpen
(Beginn vor etwa 26 Millionen Jahren)
wurde das Argentera-Mercantour-Massiv
besonders stark angehoben, dadurch
wurde ein Großteil dieser Sedimentdecke
zerstört (erodiert). Ein kleinerer Teil dagegen rutschte an den Rand des Massivs, an
dem wir uns im Stura-Tal befinden. Kalksteine, die aus dieser Sedimentschicht
stammen, umfassen ebenfalls ein Drittel
der gesamten Tal-Fläche. Sie treten aber in
zwei verschiedenen Ausprägungen auf:
Zum einen auf der orografisch rechten
Talseite, zwischen Maddalena-Pass und
Forneris-Seitental, also nordwestlich des
Argentera-Massivs. Hier bilden sie ein
Kalkgebirge mit hohen Graten und Einzelgipfeln und sind Teil der sogenannten
»Dolomiten von Cuneo«. Der Monte Enciàstraia, 2955 m, ist hier die höchste Erhebung.
Zum anderen als gewaltiges geschichtetes
Kalkband, das sich auf der linken Talseite
vom Maddalena-Pass bis Demonte etwa
35 Kilometer lang hinzieht und eine maximale Höhe von 2861 Metern erreicht.
Es bildet hohe und senkrechte Felswände
und wenig markante Einzelgipfel aus, ist
aber stark landschaftsprägend.
Dritter Bereich: Eine Serie weicher Sedimentgesteine (Schiefer, Sandstein, Bündner Schiefer) erstreckt sich unterhalb (östlich) von Demonte, also im unteren
Stura-Tal. Der starke Kontrast zwischen
den beiden Talseiten, der das obere und
mittlere Tal prägt, geht hier verloren. Abgerundete Formen bestimmen das Landschaftsbild und der Felsanteil ist gering.
46
Auch oberhalb des Kalkbandes auf der linken Talseite kommen weiche Sedimentgesteine vor (Bündner Schiefer, Flysch), denen das Stura-Tal Hochebenen (günstige
Weideflächen) und den niedrigen Pass
am Talende verdankt. Die weichen Sedimentgesteine umfassen insgesamt ebenfalls ein Drittel der gesamten Talfläche.
Klima
Im Wesentlichen sind es drei Faktoren,
die das Klima des Stura-Tals bestimmen:
die hoch aufragenden Gebirge der Cottischen und der Seealpen, die Nähe zum
Mittelmeer und die angrenzende oberitalienische Tiefebene.
Daher finden wir einen Klimatyp vor, der
diese drei Elemente in sich vereinigt, das
heißt ein Gebirgsklima der gemäßigten
Breiten (winterkalt und sommerkühl mit
ganzjährigen Niederschlägen, lange winterliche Schneedecke, deutliche Differenzen zwischen nord- und südexponierten
Hängen), das sowohl vom Mittelmeer
(sommertrocken und winterfeucht mit
Niederschlagsmaxima im Frühjahr und
im Herbst) als auch von der Poebene
(kontinentaler Temperaturgang, Niederschlagsmaxima in den Übergangszeiten,
große Schwüle im Sommer) beeinflusst
wird. Dadurch sind das Stura-Tal und
seine Nachbartäler als Übergangsraum
vom Klimatyp der gemäßigten Breiten
zum mediterranen Klimatyp zu betrachten.
Im Sommer liegt das Tal im Bereich der
mediterranen Hochdruckzone, im Winter
gerät es am Rand in den Einflussbereich
Einführung:
Natur und
Landschaft
7 Sommerliche Quellwolken.
5 Blick auf eine geschlossene
Wolkendecke in den südlichen
Cottischen Alpen.
47
der mitteleuropäischen Hochdrucklagen,
geringe Niederschläge sind jeweils die
Folge. In den Übergangszeiten bestimmt
der Westwindgürtel, der hohe Niederschläge im Frühjahr und Herbst mit sich
bringt, das Klimageschehen. Allerdings
erreichen die Niederschläge aufgrund
starker Luftverwirbelungen das Stura-Tal
von Osten her. Wie auch in den übrigen
piemontesischen Alpentälern nehmen
die Niederschläge vom Alpenrand an mit
steigender Höhe immer mehr zu. Am
meisten Niederschläge fallen in den Gratund Gipfelregionen, während der eigentliche Talbereich weniger betroffen ist.
Im oberen Stura-Tal gibt es im Talboden
eine etwa 20 Kilometer lange »Trockenzone«, in der die Niederschläge deutlich
unter dem Durchschnitt liegen. Die
Gründe hierfür sind zum einen der Knick
im Talverlauf (bei Pianche/Vinadio), dadurch wird das obere Stura-Tal dem direkten Einfluss der feuchten Ostwinde entzogen. Zum anderen liegt dieser Talbereich
im Schutz der hohen Wasserscheide (orografisch rechter Begrenzungsgrat) des Vallone dell’Arma, die als zusätzliche Wetterscheide fungiert. Zu dieser allgemeinen
Aussage muss hinzugefügt werden, dass
die Menge der Niederschläge von Jahr zu
Jahr stark abweichen kann und sowohl relativ feuchte als auch relativ trockene
Jahre vorkommen (der Winter 2006/2007
brachte beispielsweise extrem wenig Niederschläge). Auch katastrophale Starkregenereignisse können auftreten, wie zum
Beispiel am 13./14. Juni 1957, als das Stura-Tal durch Überschwemmungen und
Erdrutsche stark verwüstet wurde.
48
Landschaftsformen
Das Ausgangsgestein und die Niederschläge bestimmen das Relief, also die
Landschaftsformen, die der Wanderer vor
Augen hat. Die schwer verwitterbaren
Gneise und Granite des Argentera-Mercantour-Massivs bilden sehr steile, aber
keine senkrechten Felswände aus. Die
Berge sind schroff, lange, gezackte Grate
prägen die Landschaft und charakteristische Einzelgipfel sind selten. Die höchste
Erhebung des gesamten Massivs ist die
Cima Argentera, 3297 m (im benachbarten Gesso-Tal), ein breites Bergmassiv mit
mehreren Höhenpunkten.
Im Stura-Tal fällt im gesamten Bereich
zwischen Maddalena-Pass (weiche Sedimente) und Lombarda-Pass (Ferriere-Mollières-Linie) der Alpenhauptkamm kein
einziges Mal unter 2400 Meter Höhe und
auch die abstrahlenden Seitenkämme
trotzen der Verwitterung. In Verbindung
mit groben Schotterfeldern und einer
sehr verzögerten Bodenbildung, die nur
spärlichen Bewuchs erlaubt, führen diese
Eigenschaften zu einem sehr strengen
und kargen hochalpinen Landschaftsbild.
In den Sedimentgesteinen unterschiedlicher Härte finden sich völlig andere
Landschaftsformen: Steile, oft senkrechte
Kalkwände wechseln ab mit weichen Reliefformen, weil der harte Kalk hier selten
in Reinform, sondern häufig in Verbindung mit Mergel, einem weichen Sedimentgestein, vorkommt. Durch die
leichte Erodierbarkeit dieses Gesteins fehlen markante Gipfel-Individuen, wie sie
beispielsweise im benachbarten Maira-Tal
ins Auge stechen (abgesehen vom harten
Kalkgebirge zwischen Maddalena-Pass
und Forneris-Seitental auf der rechten
Talseite). Die Kalkbänke auf der linken
Stura-Talseite haben eher einen Dolomiten-ähnlichen Landschaftscharakter. Typische Karstformen (Dolinen, Karstquellen,
Höhlen
usw.)
fehlen
hier
weitgehend, da das Wasser wegen des
Mergelanteils nicht so schnell versickert
wie in reinen Kalkformationen.
Obwohl weichere Landschaftsformen im
unteren Talbereich, wo die härteren Gesteine zurücktreten und der Bündner
Schiefer auftritt, bestimmend sind, ist der
Alpenrand hier sehr ausgeprägt. Das Relief bleibt steil (1000 Meter Höhendifferenz zwischen Talboden und Gipfeln)
und die Berge fallen abrupt in die Poebene ab, was beeindruckende Tief- und
Fernblicke ermöglicht.
Das steile Relief zwischen den stark emporgehobenen Gipfeln und der piemontesischen Tiefebene sorgt dafür, dass sich
die Wasserläufe tief eingeschnitten und
weite Teile der Sedimentdecke abgetragen
haben. Daher ist das Stura-Tal relativ breit
und weist mit Le Barricate nur eine
schluchtartige Engstelle auf. Allerdings ist
diese Zertalung in den Nebentälern des
Argentera-Mercantour-Massivs erst wenig
ausgeprägt und betrifft hauptsächlich den
Lauf der Stura selbst, besonders den Unterlauf ab Demonte.
Während fast alle piemontesischen Alpentäler einen ziemlich geraden Talverlauf besitzen, fällt beim Stura-Tal der
deutliche Knick beim Ort Pianche, 966 m
(zwischen Sambuco und Vinadio), auf,
der mit einer Verlagerung der Wasserscheide Po-Rhone erklärt wird. Die starke
Asymmetrie des Reliefs der Cottischen Al-
5 Oben: Ein Blockgletscher im
Vallone d’Orgials (Etappe 14).
Unten: Das vom Gletscher ausgeschürfte Forneris-Seitental.
Einführung:
Natur und
Landschaft
49
pen – ein Steilabfall zur Poebene hin, aber
eine große Entfernung zwischen dem Alpenhauptkamm und dem Rhonetal –
führte dazu, dass die Erosion auf der piemontesischen Seite der Alpen sehr viel
stärker war (und ist) als auf der französischen. Dies führte im Verlauf der Jahrmillionen dazu, dass die Stura ihr Quellgebiet
stetig in Richtung Westen verlagerte und
so das Einzugsgebiet des Flusses Ubayette
»anzapfte« und verkleinerte. Die ursprüngliche Wasserscheide lag zwischen
Pianche und Sambuco, und die Stura entsprang am Becco Alto d’Ischiator. Später
lag die Wasserscheide dann im Gebiet der
Schlucht Le Barricate, und das Vallone di
Pontebernardo war das Stura-Quelltal.
Erst in geologisch jüngster Zeit wurde der
Maddalena-Pass zur Wasserscheide, was
man noch gut am Talverlauf des PuriacSeitentals erkennen kann, der heute noch
50
auf einen früheren Abfluss in Richtung
Ubayette ausgelegt ist.
Der Knick der Stura beim Ort Pianche
markiert die Grenze zwischen dem Erosionsbereich (Maddalena-Pass-Pianche)
und dem Akkumulationsbereich (Pianche–Moiola) des Flusses. Im Akkumulationsbereich teilt sich die Stura oft in verschiedene parallele Arme auf und die
Flussbettweite wächst stark an – die Stura
bildet hier eine der letzten Wildflusslandschaften der Alpen. Ab Moiola bis zur
oberitalienischen Ebene beginnt sich die
Stura wieder stark einzutiefen, und dieser
Flussabschnitt ist für Kanuten ideal geeignet.
Beinahe im gesamten Stura-Tal wurden
die Landschaftsformen von den großen
Gletschern während der Eiszeiten stark
überprägt. In der Talmitte, bei Demonte,
betrug die Mächtigkeit des Eises bis zu 400
Meter. Lediglich die Höhenlagen der unteren Talbereiche waren von der Vergletscherung nicht betroffen, denn der SturaGletscher stieß nie bis in die Ebene vor,
sondern endete bei Roccasparvera.
In den harten Gesteinen des ArgenteraMercantour-Massivs hat sich der glaziale
Formenschatz besonders gut erhalten:
U-förmige Täler, glatt geschliffene Felsen
(Gletscherschliff), Felskare, Karseen, Gletscherschwellen, Moränen usw. Die Karseen, die sich nach dem Abschmelzen der
Gletscher in den ausgeschliffenen Mulden gebildet haben, sind häufig attraktive
Wanderziele und Rastpunkte.
Zwar finden wir auch in den Sedimentgesteinen Spuren der eiszeitlichen Vergletscherung, diese sind hier aber von den
Abtragungsvorgängen nach der letzten
Eiszeit stark überprägt und verwischt.
Heute sind im Stura-Tal keine eigentlichen Gletscher mehr vorhanden (wie im
benachbarten Gesso-Tal, wo die südlichsten Gletscher der Alpen liegen), aber sogenannte Blockgletscher sind im Stura-Tal
sehr häufig. Bei den Blockgletschern, die
in den Seealpen so zahlreich sind wie in
keiner anderen Alpenregion, handelt es
sich um eine besonders charakteristische
Landschaftsform in nordexponierten
Hängen und Tälern oberhalb von 2400
Meter Höhe. Blockgletscher sind gletscherzungenförmige Schuttmassen, in deren Zwischenräumen sich Eis gebildet
hatte. Dieses Eis erlaubt bei tieferen Temperaturen eine gletscherartige Bewegung
des Gerölls (Fließen). Im Gegensatz zu
echten Gletschern besitzen sie aber keinen Eiskern. Wie die echten Gletscher
sind auch die Blockgletscher vom Klima-
Einführung:
Natur und
Landschaft
7 Das mächtige Kalkband Le
Barricate (Etappe 8).
5 Vom Gletscher geschliffene
und geschrammte Felsen.
51
wandel bedroht und einige von ihnen
sind in den letzten Jahrzehnten schon zusammengefallen.
Flora
Aufgrund der geologischen Vielfalt des
Stura-Tals, seiner besonderen geografischen Lage (hohe Gipfel, nahes Mittelmeer, nahe Poebene) und der zahlreichen
Mikroklimata, die sich daraus ergeben,
hat das Stura-Tal eine außerordentlich
große Pflanzenvielfalt. Hier gedeihen
Pflanzenarten, die sonst nur an weit entfernten Standorten vorkommen. Daraus
ergibt sich eine vielfältige Mischung von
alpinen, mediterranen und zu einem
kleinen Teil auch pannonischen (aus
dem ungarischen Tiefland) Pflanzen.
Außerdem waren das Stura-Tal und seine
Nachbartäler in den Eiszeiten nur teilweise vergletschert, was dazu geführt hat,
dass hier einige Pflanzenarten auf eisfreien Standorten überlebt haben, die anderswo ausgestorben sind. Auf diesen
Umstand gehen auch die zahlreichen sogenannte Endemiten in dieser Alpenregion zurück; das sind Pflanzen, die ausschließlich in einem kleinen Gebiet und
nirgendwo sonst vorkommen. Unter Botanikern bekannt sind zum Beispiel der
Piemonteser Steinbrech (Saxifraga pedemontana), das Herzblättrige Leimkraut
(Silene cordifolia), das Argentera-Stiefmütterchen (Viola argenteria), das Valdieri-Stiefmütterchen (viola valderia), die
Allionis-Primel (Primula allionii), die
Pfauennelke (Dianthus neglectus), die
Piemonteser Schachblume (Fritillaria involucrata) und der Fleischrote Mannsschild (Androsace adfinis).
52
Der bekannteste Endemit dieser Region
und einer der berühmtesten der gesamten
Alpen ist aber der sehr seltene ArgenteraSteinbrech (Saxifraga florulenta), der nur
einmal im Leben (nach etwa 30 Jahren)
blüht und dann abstirbt. Diese Pflanze ist
ein »lebendes Fossil«, denn sie existierte
schon zu den Zeiten der Dinosaurier. Sie
hat die Eiszeiten überlebt, indem sie sich
in Felsritzen zurückgezogen hat. Die Saxifraga florulenta ist nur sehr schwer zu
finden, sie wächst an steilen und silikathaltigen Felswänden in großer Höhe.
Nicht endemisch, aber ebenfalls selten
sind die Bestäubte Primel (Primula marginata) und der Türkenbund (Lilium martagon). Zu den häufigen Blumenarten im
Stura-Tal gehören unter anderen die Feuerlilie (Lilium bulbiferum croceum), das
Ochsenauge (Buphthalmum salicifolium), der Dachhauswurz (Sempervivum
tectorum), die Blaudistel (Eryngium alpinum), das Gewöhnliche Leimkraut (Silene vulgaris), die Alpenrebe (Clematis alpina) und die Steinnelke (Dianthus
sylvestris). Auch Edelweiß (Leontopodium alpinum) kommt gelegentlich in
großen Gruppen vor (zum Beispiel in der
Nähe des Lago Oserot).
Je nach Höhe, Mikroklima und Bodenbeschaffenheit wachsen Wälder auf den
Berghängen: In den unteren Tallagen dominieren Buchen-, Eichen- und Kastanienwälder. Weiter oben im Tal beherrschen Kiefernwälder die südexponierten
Hänge, wobei Lavendel und Buchsbaum
eine häufige Begleitflora sind. Die nordexponierten Hänge sind häufig mit
Weißtannen und Fichten bewaldet. An
sehr feuchten Standorten stehen mit
7 Von oben nach unten:
Steinnelke (Dianthus
sylvestris).
Gelbe Alpenküchenschelle
(Pulsatilla Alpina apiifolia).
Valdieri-Stiefmütterchen (Viola
Valderia) (Foto: Archivio Parco
Naturale delle Alpi Marittime).
Orangerotes Habichtskraut
(Hieracium aurantiacum).
5 Von oben nach unten:
Feuerlilie (Lilium bulbiferum
croceum).
Enzian (Gentiana).
Einführung:
Natur und
Landschaft
53
Grünerlen und einzelnen Birken typische
Pionierpflanzen. Zur Waldgrenze hin, die
zwischen 2000 und 2400 Meter Höhe
liegt, finden wir oft schüttere Lärchenwälder und einzelne Zirben/Arven.
Oberhalb der Baumgrenze breiten sich alpine Matten und Gräser aus und die Felsen der Gipfelregionen können von Pionierpflanzen wie Flechten, aber auch von
anderen niederen Pflanzenarten besetzt
werden.
Besonders zu erwähnen ist noch der Phönizische Wacholder (Juniperus phoenicea), der eigentlich im Mittelmeerraum
heimisch ist und im Stura-Tal sein nordwestlichstes Verbreitungsgebiet hat. Er
wächst südöstlich von Festiona, im Bereich der Wasserscheide, die das Stura-Tal
vom Gesso-Tal trennt. Für den Phönizischen Wacholder ist eigens ein 228 Hek-
54
tar großes Naturreservat (Riserva Naturale
Speciale Juniperus phoenicea) eingerichtet worden, dessen Fläche aber jenseits
(südlich) der Wasserscheide, im Gesso-Tal
(Gemeinde Valdieri), liegt.
Fauna
Die Ausweisung von Schutzgebieten, in
denen nicht gejagt werden darf, und der
spürbare Rückgang der früher weitverbreiteten Jagd haben dazu geführt, dass die
Zahl der Wildtiere in den letzten 20 Jahren wieder deutlich zugenommen hat.
Deshalb gibt es heute bei den Säugetieren
eine große Anzahl von Huftieren, es kommen Gämsen, Steinböcke, Mufflons, Rehe
(vor Kurzem wiedereingeführt), Hirsche
und Wildschweine vor. Gämsen und
Steinböcke sind typisch alpine Tierarten
und wandern im Sommer, auf der Suche
nach Futter, bis in größte Höhen. Als ausgezeichnete Kletterer fühlen sie sich auch
noch in steilen Felshängen wohl. Am besten lassen sich diese Tiere in den frühen
Morgen- und Abendstunden beobachten.
Die Steinböcke waren in dieser Region
schon ausgestorben, wurden aber in den
1920er-Jahren erfolgreich aus der GranParadiso-Region wiedereingeführt und
sind heute zahlreich in den Seealpen vertreten. Die wenigen Mufflons sind nur
mit sehr viel Glück zu sehen, ihre Verbreitung im Stura-Tal beschränkt sich auf wenige Gebiete (etwa oberhalb von Ferrere
und Pietraporzio). Mufflons sind eigentlich keine alpine Tierart, sondern sie sind
in den Alpen ausgesetzt worden und kommen sonst im Mittelmeerraum (auf Sardinien und Korsika) vor.
Neben den Huftieren sind auch viele andere Säugetiere im Stura-Tal heimisch,
wie zum Beispiel Hasen, Murmeltiere,
Füchse, Hermeline, Eichhörnchen und
Marder.
Die Vogelwelt ist ebenfalls artenreich; zu
den bekanntesten Vertretern gehören
Gold- und Schlangenadler, Mäusebussard, Uhu und Alpendohle. Die hier vorkommenden Rauhfuß-Hühner sind Fasan, Perl- und Steinhuhn.
Reptilien, darunter auch die giftige Viper,
sind an sonnigen Hängen, Felsen und
Steinmauern anzutreffen. An den Gewässerrändern leben auch einige Amphibienarten; als wohl bekanntester Vertreter von
ihnen sei der Grasfrosch genannt. Fische
(darunter die Forelle, die in kalten Bergbächen lebt) und Tausende von Insektenarten komplettieren die vielfältige Fauna.
Eine spezielle Erwähnung verdienen der
7 Links: Ochsenauge
(Buphtalmum salicifolium).
Rechts: Argentera-Steinbrech
(Saxifraga florulenta)
(Foto: Archivio Parco Naturale
delle Alpi Marittime).
5 Oben: Bartgeier im Flug (Foto: M. Giordano, Archivio Parco
Naturale delle Alpi Marittime).
Unten: Alpendohle.
Einführung:
Natur und
Landschaft
55
Wolf und der Bartgeier.
Beide Tiere waren hier
schon vom Menschen ausgerottet, sind aber heute
wieder mit einigen Exemplaren im Stura-Tal vertreten. Der Wolf ist vom
Apennin kommend auf
natürliche Weise in die
Südwestalpen zurückgekehrt. Derzeit durchziehen wenige Rudel das
Stura-Tal, das benachbarte
Gesso-Tal und die angrenzenden französischen Alpentäler. Es ist jedoch
höchst unwahrscheinlich,
dass man als Wanderer auf
diese menschenscheuen
Tiere trifft oder sie gar beobachten kann. Die Rückkehr des Wolfes ist in
Frankreich und in Italien
nicht von allen gerne gesehen. Viele Hirten haben
Angst um ihre Tiere und
sind nun wieder gezwungen, diese abends einzuzäunen (meist mit elektrisch geladenen, mobilen
Zäunen), auch Wachhunde werden gegen die
Wölfe verstärkt eingesetzt.
Trotzdem fallen immer
wieder Schafe den Wölfen
zum Opfer. Die Hirten bekommen zwar Entschädigungszahlungen für die
toten Tiere, haben aber oft
trotzdem kein Verständnis
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für den strengen Naturschutz, unter dem
der Wolf in beiden Staaten steht.
Der Bartgeier fand auf einem anderen
Weg in diese Alpenregion zurück – er
wurde vom Menschen wiedereingeführt.
Diese große Geierart, mit einer Flügelspannweite bis zu 2,80 Metern, lebte hier
bis Anfang des 19. Jahrhunderts. Er wurde
jedoch in ganz Europa verfolgt, weil man
ihm unterstellte, er greife Schafe an. In
Wirklichkeit ernährt er sich, wie alle anderen Geier, fast ausschließlich von toten
Tieren und besonders von deren Knochen, die er aus großer Höhe fallen lässt,
damit sie zerbrechen. Dank einem europäischen Projekt zur Wiedereinführung
und Verbreitung dieses Vogels im ganzen
Alpenbogen ist der Bartgeier seit 1993
wieder in den Seealpen heimisch und wir
dürfen uns am Anblick dieses majestätischen Tieres erfreuen.
7 Von oben nach unten:
Einführung:
Natur und
Landschaft
Rehkitz.
Gämse.
Steinbock (Foto: Archivio Parco
Naturale delle Alpi Marittime).
5 Der Hermelin ist auf Schnee
gut getarnt (Foto: Archivio
Parco Naturale delle Alpi Marittime).
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