Franz Petermann (Hrsg.) Diagnostik Klinische Psychologie Rehabilitation Forschungsbericht 2005 - 2012 Diagnostik Klinische Psychologie Rehabilitation Forschungsbericht 2005 - 2012 S. Roderer Verlag, Regensburg 2012 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-89783-765-2 Herausgeber: Prof. Dr. Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Grazer Straße 6, 28359 Bremen Tel.: 0421/218-68600 E-Mail: [email protected] Lektorat: Dr. Ulrike de Vries Umschlaggestaltung: Dr. Norbert A. Karpinski © Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. 2012 Roderer Verlag, Regensburg Vorwort Das Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) wurde Ende 1995 als Forschungseinrichtung der Universität Bremen gegründet und hat sich in den letzten acht Jahren weiter spezialisiert im Bereich der Klinischen Kinderpsychologie und Testentwicklung. Beide Bereiche werden durch umfassende Drittmittelprojekte und die Leistungen im Rahmen der Krankenversorgung in sehr unterschiedlicher Weise geprägt. Der vorliegende Forschungsbericht umfasst einen ungewöhnlich großen Zeitraum von acht Jahren. Dies hatte zur Folge, dass nicht alle Projekte in diesem Zeitraum berücksichtigt werden konnten. Kleinere Projekte von einer Förderdauer von unter einem Jahr und solche, die nicht den Hauptgebieten „Klinische Psychologie“, „Rehabilitation“ und „Testentwicklung“ zugeordnet werden konnten, wurden nicht berücksichtigt. Die zusammengestellten 40 Projekte weisen ein Fördervolumen in der Höhe eines zweistelligen Millionen-Euro-Betrages auf. Im Durchschnitt wurden jährlich ca. 50 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter drittmittelfinanziert. In der Ausbildung und Lehre engagierten wir uns im • • • • Bachelor Psychologie (seit 2007), Master Klinische Psychologie (seit 2010), Graduiertenkolleg „Klinische Kinderpsychologie“ (seit 2006) bzw. „Klinische Psychologie“ (seit 2012) und der Postgraduierten Ausbildung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten im Rahmen des „Norddeutschen Verbundes Kinderverhaltenstherapie (NOKI)“ (seit 2011). Darüber hinaus besteht eine Kooperation mit dem Christoph-Dornier-Institut für Klinische Psychologie, Institut Bremen (seit 2007); in diesem Rahmen werden Psychologische Psychotherapeuten seit vier Jahren ausgebildet. In die Zukunft blickend ist erwähnenswert, dass ab 2013 im ZKPR sowohl der Bereich „Gesundheitspsychologie“ als auch der Bereich „Rehabilitationspsychologie“ durch jeweils eine Stiftungsprofessur vertreten sein wird. Für die Profilierung des Forschungsbereichs Säuglings- und Kleinkindforschung und Klinische Kinderpsychologie wird das schon seit drei Jahren vorbereitete BMBFProjekt BIKE hoffentlich zum 1.4.2013 starten. Dieses Projekt ist als Längsschnittstudie über sieben Jahre, also bis Frühjahr 2020, konzipiert und wird vom Bund (BMBF), dem Land Bremen und der Jacobs Foundation (Zürich) finanziert. Die Einrichtung einer Professur mit dem Forschungsschwerpunkt „Experimentelle Säuglingsforschung“ ist hierfür von zentraler Bedeutung. Ich freue mich sehr, dass ich am 1.1.2007 einen Teil meines Lehrgebietes, nämlich die „Klinische Kinderpsychologie“, an meine Frau abgeben konnte. An diesem Tag 5 wechselte meine Frau von der TU Dortmund auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Klinische Psychologie mit dem Schwerpunkt Klinische Kinderpsychologie. Ich danke allen Beteiligten, die diesen Plan unterstützt haben und ermöglichten. Besonders freut mich, dass wir seit dem 1.11.2010 mit Herrn Dipl.-Volkswirt Michael Behrends unseren Verwaltungsbereich gestärkt haben. Darüber hinaus steht mir seit dem 1.4.2011 die Geschäftsführerin des ZKPR, Frau Dr. Ulrike de Vries, zur Seite. Mein Dank geht selbstverständlich auch an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ZKPR für die stets gute und erfolgreiche Zusammenarbeit. Bremen, im Dezember 2012 Prof. Dr. Franz Petermann Direktor des ZKPR der Universität Bremen 6 Inhalt Inhalt Vorwort ............................................................................................................... 5 Aufbau und Struktur des ZKPR ............................................................................. 7 Wissenschaftliche MitarbeiterInnen des ZKPR .................................................... 18 StipendiatInnen des ZKPR .................................................................................. 19 Teil I: Diagnostik 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 4 4.1 4.2 4.3 Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II)..................... 23 Allgemeine Angaben............................................................................................. 23 Zusammenfassung ................................................................................................ 23 Stand der Forschung............................................................................................. 23 Ziele....................................................................................................................... 25 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 26 Ergebnisse............................................................................................................. 26 Literatur ................................................................................................................ 27 Entwicklung eines neuropsychologischen Screeningverfahrens für Vorläuferfähigkeiten von Lesen, Rechtschreibung und Rechnen: BASICPreschool .................................................................................................. 29 Allgemeine Angaben............................................................................................. 29 Zusammenfassung ................................................................................................ 29 Stand der Forschung und eigene Forschungsarbeiten ......................................... 30 Ziele....................................................................................................................... 30 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 31 Ergebnisse............................................................................................................. 32 Literatur ................................................................................................................ 33 Konstruktion, Normierung und Validierung des Sprachstandserhebungstests für Kinder zwischen 5 und 10 Jahren (SET 5-10).......................................... 35 Allgemeine Angaben............................................................................................. 35 Zusammenfassung ................................................................................................ 35 Stand der Forschung............................................................................................. 36 Ziele....................................................................................................................... 36 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 37 Ergebnisse............................................................................................................. 38 Literatur ................................................................................................................ 39 Normierung und Validierung des Kognitiven Entwicklungstest für das Kindergartenalter (KET-KID)....................................................................... 41 Allgemeine Angaben............................................................................................. 41 Zusammenfassung ................................................................................................ 41 Stand der Forschung............................................................................................. 41 7 Inhalt 4.4 4.5 4.6 4.7 5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 9 9.1 9.2 Ziele....................................................................................................................... 42 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 42 Ergebnisse............................................................................................................. 43 Literatur ................................................................................................................ 44 Entwicklung eines Screenings für den Einsatz bei der schulärztlichen Schuleingangsuntersuchung (SOPESS) ........................................................47 Allgemeine Angaben............................................................................................. 47 Zusammenfassung ................................................................................................ 47 Stand der Forschung ............................................................................................. 47 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 50 Ergebnisse............................................................................................................. 51 Literatur ................................................................................................................ 52 Normierung und Validierung des Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung für Jugendliche und Erwachsene (FEW-JE) ..........................55 Allgemeine Angaben............................................................................................. 55 Zusammenfassung ................................................................................................ 55 Stand der Forschung ............................................................................................. 55 Ziele....................................................................................................................... 56 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 56 Ergebnisse............................................................................................................. 57 Literatur ................................................................................................................ 59 Adaption, Normierung und Validierung der Wechsler-Skalen (WPPSI-III, WISC-IV, WAIS-IV)......................................................................................61 Allgemeine Angaben............................................................................................. 61 Zusammenfassung ................................................................................................ 61 Stand der Forschung ............................................................................................. 62 Ziele....................................................................................................................... 63 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 63 Ergebnisse............................................................................................................. 65 Literatur ................................................................................................................ 65 Schuleingangsdiagnostik............................................................................67 Allgemeine Angaben............................................................................................. 67 Zusammenfassung ................................................................................................ 67 Stand der Forschung ............................................................................................. 67 Ziele....................................................................................................................... 68 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 69 Ergebnisse............................................................................................................. 70 Literatur ................................................................................................................ 70 Konstruktion, Normierung und Validierung des ADHS-Screening für Erwachsene (ADHS-E) ................................................................................73 Allgemeine Angaben............................................................................................. 73 Zusammenfassung ................................................................................................ 73 8 Inhalt 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 Stand der Forschung............................................................................................. 74 Ziele....................................................................................................................... 74 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 75 Ergebnisse............................................................................................................. 75 Literatur ................................................................................................................ 76 10 Normierung der Befindlichkeitsskala (Bf-SR) u. Beschwerden-Liste (B-LR) .. 79 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 11 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 11.7 12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 12.7 13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6 13.7 14 14.1 Allgemeine Angaben............................................................................................. 79 Zusammenfassung ................................................................................................ 79 Stand der Forschung............................................................................................. 80 Ziele....................................................................................................................... 81 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 81 Ergebnisse............................................................................................................. 81 Literatur ................................................................................................................ 82 Revision des Entwicklungstests ET 6-6: Der ET 6-6-R................................... 85 Allgemeine Angaben............................................................................................. 85 Zusammenfassung ................................................................................................ 85 Stand der Forschung............................................................................................. 86 Ziele....................................................................................................................... 87 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 87 Ergebnisse............................................................................................................. 89 Literatur ................................................................................................................ 89 Adaptation und Normierung der Wechsler Memory Scale IV - Deutsche Version (WMS-IV)...................................................................................... 91 Allgemeine Angaben............................................................................................. 91 Zusammenfassung ................................................................................................ 91 Stand der Forschung............................................................................................. 92 Ziele....................................................................................................................... 93 Methodisches Vorgehen....................................................................................... 94 Ergebnisse............................................................................................................. 96 Literatur ................................................................................................................ 97 Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Neuropsychologische Befunde zu diagnostischen Kriterien.......................................................... 99 Allgemeine Angaben............................................................................................. 99 Zusammenfassung ................................................................................................ 99 Stand der Forschung........................................................................................... 100 Ziele..................................................................................................................... 103 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 104 Ergebnisse........................................................................................................... 105 Literatur .............................................................................................................. 105 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen - eine bedarfsorientierte Frühförderung......................................................................................... 109 Allgemeine Angaben........................................................................................... 109 9 Inhalt 14.2 14.3 14.4 14.5 14.6 14.7 Zusammenfassung .............................................................................................. 109 Stand der Forschung ........................................................................................... 109 Ziele..................................................................................................................... 110 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 111 Ergebnisse........................................................................................................... 112 Literatur .............................................................................................................. 116 Teil II: Klinische Psychologie 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 5 Depression im Jugendalter.......................................................................121 Allgemeine Angaben........................................................................................... 121 Zusammenfassung .............................................................................................. 121 Stand der Forschung ........................................................................................... 122 Ziele..................................................................................................................... 123 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 124 Ergebnisse........................................................................................................... 126 Literatur .............................................................................................................. 129 Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter: Neuropsychologische Störungen im Langzeitverlauf ...................................................................................131 Allgemeine Angaben........................................................................................... 131 Zusammenfassung .............................................................................................. 131 Stand der Forschung ........................................................................................... 132 Ziele..................................................................................................................... 133 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 133 Ergebnisse........................................................................................................... 134 Literatur .............................................................................................................. 134 Therapeutische Hausaufgaben .................................................................137 Allgemeine Angaben........................................................................................... 137 Zusammenfassung .............................................................................................. 137 Stand der Forschung ........................................................................................... 137 Ziele..................................................................................................................... 138 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 139 Ergebnisse........................................................................................................... 140 Literatur .............................................................................................................. 141 Within- u. Between-Session Prozesse bei Panikstörung u. Agoraphobie ...143 Allgemeine Angaben........................................................................................... 143 Zusammenfassung .............................................................................................. 143 Stand der Forschung ........................................................................................... 144 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 144 Ergebnisse........................................................................................................... 146 Literatur .............................................................................................................. 147 Effekte eines Aufmerksamkeitstrainings bei Sozialer Phobie auf verhaltensnahe Variablen ........................................................................149 10 Inhalt 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 9 Allgemeine Angaben........................................................................................... 149 Zusammenfassung .............................................................................................. 149 Stand der Forschung........................................................................................... 150 Ziele..................................................................................................................... 150 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 150 Ergebnisse........................................................................................................... 155 Literatur .............................................................................................................. 155 Vorstudie zum Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter .......................... 157 Allgemeine Angaben........................................................................................... 157 Zusammenfassung .............................................................................................. 157 Stand der Forschung........................................................................................... 158 Ziele..................................................................................................................... 159 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 159 Ergebnisse........................................................................................................... 165 Literatur .............................................................................................................. 167 Luxemburger Modell „Projet Prima!r“ ..................................................... 169 Allgemeine Angaben........................................................................................... 169 Zusammenfassung .............................................................................................. 169 Stand der Forschung........................................................................................... 170 Ziele..................................................................................................................... 172 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 172 Ergebnisse........................................................................................................... 174 Literatur .............................................................................................................. 181 Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen.............................................. 185 Allgemeine Angaben........................................................................................... 185 Zusammenfassung .............................................................................................. 185 Stand der Forschung........................................................................................... 186 Ziele..................................................................................................................... 186 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 186 Ergebnisse........................................................................................................... 187 Literatur .............................................................................................................. 188 JobFit-Training ........................................................................................ 191 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 Allgemeine Angaben........................................................................................... 191 Zusammenfassung .............................................................................................. 191 Stand der Forschung........................................................................................... 192 Ziele..................................................................................................................... 192 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 193 Ergebnisse........................................................................................................... 194 Literatur .............................................................................................................. 194 10 Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder zwischen 18 und 48 Monaten (BilKi) ....................................................................................... 197 10.1 Allgemeine Angaben........................................................................................... 197 11 Inhalt 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 11 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 11.7 Zusammenfassung .............................................................................................. 197 Stand der Forschung ........................................................................................... 197 Ziele..................................................................................................................... 198 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 199 Ergebnisse........................................................................................................... 200 Literatur .............................................................................................................. 201 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue.......................................203 Allgemeine Angaben........................................................................................... 203 Zusammenfassung .............................................................................................. 203 Stand der Forschung ........................................................................................... 204 Ziele..................................................................................................................... 205 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 205 Ergebnisse........................................................................................................... 209 Literatur .............................................................................................................. 212 Teil III: Rehabilitation 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 Depression als Prädiktor für den Misserfolg der Rehabilitation von chronischem Rückenschmerz ...................................................................219 Allgemeine Angaben........................................................................................... 219 Zusammenfassung .............................................................................................. 219 Stand der Forschung ........................................................................................... 220 Ziele..................................................................................................................... 221 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 221 Ergebnisse........................................................................................................... 222 Literatur .............................................................................................................. 223 Evaluation der modellhaften Einführung von Patientenschulungsprogrammen für die pneumologische Rehabilitation..225 Allgemeine Angaben........................................................................................... 225 Zusammenfassung .............................................................................................. 225 Stand der Forschung ........................................................................................... 226 Ziele..................................................................................................................... 228 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 228 Ergebnisse........................................................................................................... 229 Literatur .............................................................................................................. 236 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom ...........................................239 Allgemeine Angaben........................................................................................... 239 Zusammenfassung .............................................................................................. 239 Stand der Forschung ........................................................................................... 240 Ziele..................................................................................................................... 241 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 242 Ergebnisse........................................................................................................... 245 Literatur .............................................................................................................. 250 12 Inhalt 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 Internetbasierte Erhebung von Patientendaten ....................................... 253 Allgemeine Angaben........................................................................................... 253 Zusammenfassung .............................................................................................. 253 Stand der Forschung........................................................................................... 253 Ziele..................................................................................................................... 254 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 254 Ergebnisse........................................................................................................... 255 Jugendliche mit chronischer Grunderkrankung in der stationären Rehabilitation ......................................................................................... 259 Allgemeine Angaben........................................................................................... 259 Zusammenfassung .............................................................................................. 259 Stand der Forschung........................................................................................... 260 Ziele..................................................................................................................... 260 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 261 Ergebnisse........................................................................................................... 262 Literatur .............................................................................................................. 262 Modularisiertes Elterntraining für Eltern entwicklungsauffälliger Kinder in der stationären Rehabilitation................................................................. 265 Allgemeine Angaben........................................................................................... 265 Zusammenfassung .............................................................................................. 265 Stand der Forschung........................................................................................... 266 Ziele..................................................................................................................... 266 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 266 Ergebnisse........................................................................................................... 269 Literatur .............................................................................................................. 273 Beschwerdenvalidierung in der medizinischen Rehabilitation .................. 275 Allgemeine Angaben........................................................................................... 275 Zusammenfassung .............................................................................................. 275 Stand der Forschung........................................................................................... 276 Ziele..................................................................................................................... 277 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 277 Ergebnisse........................................................................................................... 278 Literatur .............................................................................................................. 278 Evaluation einer kulturoffenen prästationären Informationsveranstaltung vor psychosomatischer Rehabilitation ..................................................... 281 Allgemeine Angaben........................................................................................... 281 Zusammenfassung .............................................................................................. 281 Stand der Forschung........................................................................................... 282 Ziele..................................................................................................................... 284 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 284 Ergebnisse........................................................................................................... 287 Literatur .............................................................................................................. 287 13 Inhalt 9 Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation .......291 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 Allgemeine Angaben........................................................................................... 291 Zusammenfassung .............................................................................................. 291 Stand der Forschung ........................................................................................... 292 Ziele..................................................................................................................... 294 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 294 Ergebnisse........................................................................................................... 295 Literatur .............................................................................................................. 295 10 Entwicklung eines Programms zur manualgestützen Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation.............................................................299 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 Allgemeine Angaben........................................................................................... 299 Zusammenfassung .............................................................................................. 299 Stand der Forschung ........................................................................................... 300 Ziele..................................................................................................................... 300 Methodisches Vorgehen..................................................................................... 300 Ergebnisse........................................................................................................... 303 Literatur .............................................................................................................. 304 Teil IV: Einrichtungen, Studiengänge und Qualifikationsarbeiten 1 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter................309 1.1 Einrichtungen...................................................................................................... 309 1.1.1 Organisation.............................................................................................309 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 Wissenschaftlicher Hintergrund ......................................................................... 310 Psychologische Kinderambulanz......................................................................... 311 Psychotherapeutische Ambulanz für Kinder und Jugendliche ........................... 312 Norddeutscher Verbund für Kinderverhaltenstherapie ..................................... 312 Literatur .............................................................................................................. 314 2 Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen......317 2.1 Modelleinrichtungen .......................................................................................... 317 2.1.1 Organisation.............................................................................................317 2.2 2.3 2.4 Wissenschaftlicher Hintergrund ......................................................................... 318 Hochschulambulanz für Forschung und Lehre ................................................... 318 Modellambulanz der Christoph-Dornier-Stiftung, Institut Bremen ................... 319 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 Masterstudiengang: Klinische Psychologie (Master of Science).................323 Organisation........................................................................................................ 323 Module................................................................................................................ 323 Ziele..................................................................................................................... 324 Konzept ............................................................................................................... 325 Erreichung der Studiengangsziele....................................................................... 326 Lernziele, Modularisierung, ECTS ....................................................................... 326 Lernkontext......................................................................................................... 327 Exemplarische Modulbeschreibung.................................................................... 328 14 Inhalt 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 5 5.1 5.2 5.3 5.4 6 Doktorandenkolleg: Klinische Kinderpsychologie (2006-2011).................. 329 Allgemeine Angaben........................................................................................... 329 Hintergrund ........................................................................................................ 329 Forschungsprogramm des Doktorandenkollegs................................................. 330 Studienprogramm des Kollegs............................................................................ 331 Dissertationsthemen der StipendiatInnen ......................................................... 332 Doktorandenkolleg: Klinische Psychologie (2012-2016)............................ 337 Allgemeine Angaben........................................................................................... 337 Ziele, Konzepte und Methodik............................................................................ 337 Themenschwerpunkte........................................................................................ 338 Studienprogramm............................................................................................... 339 Promotionen und Habilitationen ............................................................. 341 Teil V: Symposien und Kongresse 1 1.1 1.2 1.3 2 2.1 2.2 2.3 Symposium des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen (RFNB): Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation ......................................................................................... 345 Allgemeine Angaben........................................................................................... 345 Tagungsbericht ................................................................................................... 345 Literatur .............................................................................................................. 348 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie: Erklären, Entscheiden, Planen ................................................................................ 349 Allgemeine Angaben........................................................................................... 349 Tagungsbericht ................................................................................................... 349 Literatur .............................................................................................................. 351 15 Aufbau und Struktur des ZKPR Aufbau und Struktur des ZKPR Direktor: Geschäftsführung: Verwaltung: Prof. Dr. Franz Petermann Dr. Ulrike de Vries Dipl.-Volkswirt Michael Behrends Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Diagnostik Prof. Dr. Franz Petermann Lehrstuhl für Klinische Psychologie, Schwerpunkt Klinische Kinderpsychologie Prof. Dr. Ulrike Petermann Lehrstuhl für Klinische Psychologie, Schwerpunkt Klinische Psychologie des Erwachsenenalters N. N. (das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen) Stiftungsprofessur Gesundheitspsychologie N.N. (das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen) Stiftungsprofessur Rehabilitationspsychologie PD Dr. Axel Kobelt (Vertretung) Bereich Methoden und Statistik Leitung: Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann Bereich Testentwicklung Leitung: PD Dr. Monika Daseking Hochschulambulanz für Forschung und Lehre (Kinder, Jugendliche, Erwachsene) Leitung: Prof. Dr. Franz Petermann Psychologische Kinderambulanz Leitung: Prof. Dr. Ulrike Petermann Norddeutscher Verbund für Kinderverhaltenstherapie (NOKI) Prof. Dr. Franz Petermann (geschäftsführend) Prof. Dr. Wolf-Dieter Gerber, Kiel Prof. Dr. Rainer Hanewinkel, Kiel Prof. Dr. Ulrike Petermann Ausbildungsambulanz des NOKI Leitung: Prof. Dr. Franz Petermann Kinderverhaltenstherapietage (KVT) an der Universität Bremen Leitung: Prof. Dr. Ulrike Petermann Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Franz Petermann Doktorandenkolleg Klinische Psychologie Sprecher: Prof. Dr. Franz Petermann Sekretariate Birgit Abel, Dana Hudcovic, Eva Todisco 17 Wissenschaftliche MitarbeiterInnen des ZKPR Wissenschaftliche MitarbeiterInnen des ZKPR Ahlers, Doris Aikara, Fumiyo Auer, Maxi e von Bahmer, Judith Anna Baldus, Christiane Behrends, Ann-Kristin Belhadj Kouider, Esmahan Bise, Veronika Bohn, Bernd Bornschlegl, Mona Brunnemann, Nicole Czilwik, Sarah Cammin, Sandra Damm, Franziska Daseking, Monika de Vries, Ulrike Dietmair, Iris Eikelmann, Antje Ender, Stephanie Fischer, Christin Freitag, Juliane Fröhlich, Linda Paulina Führer, Daniel Geisler, Kira Gledhill, Daniela Groen, Gunter Gust, Nicole Hallmann, Andrea Hamid, Leila Häring, Jutta Hecking, Masha Hefter, Philipp Helbig-Lang, Sylvia Helmsen, Johanna Hillebrandt-Wegner, Christina Holtz, Maike Hustedt, Katja Jacobs, Claus Janke, Nina Jaščenoka, Julia Kamau, Lena Karpinski, Norbert Knievel, Julia Knisel-Scheuring, Gerlinde Koglin, Ute Kooiker, Elvira Kordt, Anne Kranz, Gesa Kranzpiller, Juliane Krummrich, Mara Zoe Kruse, Leif Laakmann, Mirjam Lange, Meike Laws, Tanja Lepach, Anja Linnemann, Lydia Lipsius, Maike Macha, Thorsten Maetze, Maren Marées, Nandoli Meer, Bart van der Meier, Claudia Metz, Dorothee Mohr, Beate Niebank, Kai Natzke, Heike Nicklaussen, Julia Nitkowski, Dennis Oldenhage, Marijke Owsianny, Bettina Pätel, Johanna Pauls, Franz Prinz, Maren Rau, Jörn Renziehausen, Anja Reuber-Linder, Danielle 18 Riezler, Bernadette Rißling, Julia Katharina Röll, Judith Röpcke, Lutz Scheewe, Liselotte Schiffrin, Marc Schipper, Marc Schröder, Eva-Maria Schröder, Katharina Senin, Tatjana Soltau, Christian Sülz, Juliane Teichmann, Juliane Theiling, Johanna Thomsen, Monika Tischler, Lars Tlach, Lisa Toussaint, Anne Vogel, Melanie Volkmer, Carolin Waldmann, Christian Walter, Hans-Jörg Weid, Tanja Wensauer, Mirjam Werpup, Lina Wiench, Regina Winkel, Sandra Wintjen, Laura Witthöft, Jan StipendiatInnen des ZKPR StipendiatInnen des ZKPR Brüggemann, Johanna Danielsson, Julia Desman, Christiane Fröhlich, Linda Paulina Gienger, Claudia Göbber, Julia Hamid, Leila Janke, Nina Korsch, Franziska Kruse, Leif Kullik, Angelika Lipsius, Maike Lohbeck, Annette Njichop, Richard Cho Ortbandt, Christine Pauls, Franz Piegza, Magdalena Rachuy, Karin 19 Rücker, Stefan Stauber, Tatiana Tischler, Lars Theiling, Johanna Walter, Franziska Waskewitz, Steffi Weber, Hanna Maria Witthöft, Jan Teil I: Diagnostik Teil I: Diagnostik Eine fundierte klinische Forschung ist heute ohne standardisierte Erhebungsverfahren unmöglich. Konsequent wurde für die Klinische Kinderpsychologie, Psychiatrie und medizinische Rehabilitation eine Vielzahl von Testverfahren entwickelt. Ein Schwerpunkt lag zweifelsfrei im Bereich der Diagnostik kognitiver Funktionen (u.a. Intelligenzdiagnostik). Im Einzelnen wurden folgende Erhebungsverfahren von 2005 bis heute entwickelt bzw. weiterentwickelt: 2005 Hampel, P. & Petermann, F. (2005). Screening psychischer Störungen im Jugendalter (SPS-J). Bern: Huber. Jacobs, C. & Petermann, F. (2005). Rechenfertigkeiten- und ZahlenverarbeitungsDiagnostikum für die 2. bis 6. Klasse (RZD 2-6). Göttingen: Hogrefe. Petermann, F. & Renziehausen, A. (2005). Neuropsychologisches Entwicklungs-Screening (NES). Bern: Huber. 2006 Petermann, U. & Petermann, F. (2006). Lehrereinschätzliste für Sozial- und Lernverhalten (LSL). Göttingen: Hogrefe. 2007 Petermann, F. & Petermann, U. (2007). Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder - IV (HAWIK-IV). Bern: Huber. Petermann, F. & Winkel, S. (2007). Fragebogen zur Leistungsmotivation für Schüler der 4. bis 6. Klasse (FLM 4-6). Frankfurt: Pearson Assessment. Petermann, F. & Winkel, S. (2007). Fragebogen zur Leistungsmotivation für Schüler der 7. bis 13. Klasse (FLM 7-13). Frankfurt: Pearson Assessment. Tellegen, P.J., Laros, J.A. & Petermann, F. (2007). Snijders-Oomen Non-verbaler Intelligenztest 2 1/2-7 - Revidierte Fassung (SON-R 2 1/2-7). Göttingen: Hogrefe. 2008 Heubrock, D. & Petermann, F. (2008). Kurzfragebogen zur Erfassung von Aggressivitätsfaktoren (K-FAF). Göttingen: Hogrefe. Lepach, A.C. & Petermann, F. (2008). Battery for Assessment in Children - Merk- und Lernfähigkeitstest für 6- bis 16-Jährige (BASIC-MLT). Bern: Huber. Petermann, F., Daseking, M., Oldenhage, M. & Simon, K. (2008). Sozialpädiatrisches Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen (Einschulungsscreening) SOPESS. Düsseldorf: Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW. Petermann, F., Stein, I.A. & Macha, T. (2008). Entwicklungstest 6 Monate bis 6 Jahre (ET 6-6) (3. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment. 2009 Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Battery for Assessment in Children - Screening für kognitive Basiskompetenzen im Vorschulalter (BASIC-Preschool). Bern: Huber. Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Kognitiver Entwicklungstest für das Kindergartenalter (KET-KID). Göttingen: Hogrefe. 21 Teil I: Diagnostik Petermann, F. (Hrsg.) (2009). Movement Assessment Battery for Children-2 (M-ABC-2) (2., erweit. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment. Petermann, F. (Hrsg.) (2009). WPPSI-III - Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence - Third Edition - deutsche Version. Frankfurt: Pearson Assessment. Schmidt, S. & Petermann, F. (2009). ADHS-Screening für Erwachsene (ADHS-E). Frankfurt: Pearson Assessment. 2010 Koglin, U., Petermann, U. & Petermann, F. (2010). Entwicklungsbeobachtung und dokumentation: EBD 48-72 Monate. Berlin: Cornelsen. Marées, N. v. & Petermann, F. (2010). Bullying- und Viktimisierungsfragebogen Kinderversion und Lehrerversion (BVF). Göttingen: Hogrefe. Petermann, F. (2010). Kaufman-Computerized Assessment Battery - deutsche Adaptation (K-CAB). Frankfurt: Pearson Assessment. 2011 Petermann, F. & Petermann, U. (Hrsg.) (2011). Wechsler Intelligence Scale for Children Fourth Edition (WISC-IV). Frankfurt: Pearson Assessment. Zerssen, D. v. & Petermann, F. (2011). Beschwerden-Liste - Revidierte Fassung (B-LR). Göttingen: Hogrefe. Zerssen, D. v. & Petermann, F. (2011). Befindlichkeits-Skala - Revidierte Fassung (Bf-SR). Göttingen: Hogrefe. 2012 Hampel, P. & Petermann, F. (2012). Screening psychischer Störungen im Jugendalter-II (SPSJ-II) (2., veränd. Aufl.). Bern: Huber. Heubrock, D. & Petermann, F. (2012). Testbatterie zur Forensischen Neuropsychologie (TBFN) (3., korr. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment. Petermann, F. (2012). Sprachstandserhebungstest für Fünf- bis Zehnjährige (SET 5-10) (2., veränd. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Petermann, F. (2012). Wechsler Adult Intelligence Scale - Fourth Edition (WAIS-IV). Frankfurt: Pearson Assessment. Petermann, F. & Lepach, A.C. (Hrsg.) (2012). Wechsler Memory Scale - Fourth Edition (WMSIV). Frankfurt: Pearson Assessment. Petermann, F., Schmidt, M.H. & Suing, M. (2012). Kompetenzanalyseverfahren Fremdbeurteilung beobachtbarer personaler Ressourcen bei Kindern und Jugendlichen (KANN). Göttingen: Hogrefe. Petermann, F., Waldmann, H.-C. & Daseking, M. (2012). Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung - Jugendliche und Erwachsene (FEW-JE). Göttingen: Hogrefe. Petermann, F. & Daseking, M. (2012). Zürcher Lesetest - II (ZLT-II). Bern: Huber. Petermann, U., Petermann, F. & Koglin, U. (2012). Entwicklungsbeobachtung und dokumentation (EBD 3-48) (3., erw. Aufl.). Berlin: Cornelson. Tellegen, P.J., Laros, J.A. & Petermann, F. (2012). Non-verbaler Intelligenztest von 6 bis 40 Jahren (SON-R 6-40). Göttingen: Hogrefe. von Zerssen, D. & Petermann, F. (2012). Münchner Persönlichkeitstest (MPT). Göttingen: Hogrefe. 22 Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II) 1 Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II) 1.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann PD Dr. Monika Daseking Mitarbeiterin Dipl.-Psych. Tanja Weid Zeitraum 01.01.2010 - 30.09.2012 Finanzierung Verlag Hans Huber, Bern 1.2 Zusammenfassung Ziel des Projektes ist die Weiterentwicklung, Normierung und Validierung eines Tests zur Diagnose von Lese-Rechtschreibstörung bei Kindern und Jugendlichen im Sinne der klinisch-diagnostischen Kriterien. Das Verfahren überprüft den schulischen Leistungsstand im Lesen und bietet darüber hinaus Hinweise zur Auswahl von Fördermaßnahmen. 1.3 Stand der Forschung Die Bedeutung des Kulturguts „Lesen“ hat in der heutigen Gesellschaft einen enormen Stellenwert. Dennoch wird die Fertigkeit selbst, aber auch ihr Erwerb als selbstverständlich hingenommen. Die Bildungspflicht in Nordamerika und Westeuropa spiegelt sich laut Berichten der UNESCO zum Bildungsstand in Schulbesuchsquoten von 95% wider, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der Erwerb der Schriftsprache naturgemäß gegeben zu sein scheint. In den Klassifikationssystemen stellt ein unzureichender Schulbesuch ein Ausschlusskriterium für die Diag23 Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II) nose einer Lese-Rechtschreibstörung (LRS) dar. Trotzdem weisen ungefähr 5% der Schüler eine Entwicklungsstörung des Schriftspracherwerbs auf. Damit wird die augenscheinliche Selbstverständlichkeit der Fertigkeiten Lesen und Schreiben widerlegt. Um den langfristigen Folgen eines defizitären Schriftspracherwerbs möglichst frühzeitig entgegenzuwirken, müssen Testverfahren zur Verfügung gestellt werden, die die Symptome und Problemlage zuverlässig und differenziert aufdecken. Die Überprüfung der Leseleistung gehört zur Standarddiagnostik bei Verdacht auf umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (2007) empfehlen neben der Abklärung medizinischer Sachverhalte als Testdiagnostik die Verwendung von standardisierten Testverfahren. Das Ursachengefüge, das der Entwicklung von Teilleistungsstörungen zugrundliegt, ist multifaktoriell und sollte im Rahmen der Diagnostik möglichst auf allen Ebenen berücksichtigt werden. Die Überprüfung der Lesefertigkeit darf nur einen, wenngleich wichtigen Faktor in der Beurteilung der individuellen Leistung von Schülern darstellen. Basierend auf möglichen Ursachen wurden in der Vergangenheit verschiedene Verfahren entwickelt, die neben der reinen Leseleistung auch andere Bereiche berücksichtigen. Der ZLT-II setzt einen besonderen Fokus auf die phonologische Verarbeitung, einem Indikator, der eine prominente Rolle bei der Entstehung von Lese-Rechtschreibstörungen spielt (Wagner & Torgesen, 1987). Die phonologische Verarbeitung beschäftigt sich mit Prozessen, die bei der Verarbeitung von akustischen Signalen mit sprachlichen Inhalten ablaufen (Ptok et al., 2008). Unter dem Begriff werden verschiedene Fertigkeiten vereint, die flüssiges und sinnentnehmendes Lesen ermöglichen. Es handelt sich dabei um die phonologische Bewusstheit, das phonologische Rekodieren mit Zugriff auf das semantische Gedächtnis sowie das phonetische Rekodieren im Arbeitsgedächtnis. All diese Prozesse kumulieren in der Fähigkeit, Schriftsymbole zu dekodieren und in Sprache zu überführen. Durch die Kombination von Tests, die die Leseleistung erfassen (Lesegeschwindigkeit, Fehleranzahl), mit zusätzlichen differenzierteren Untertests, werden wertvolle Hinweise gewonnen, die eine detaillierte Beschreibung der individuellen Leseschwäche ermöglichen. Die Erfassung des individuellen Leseprofils ermöglicht darüber hinaus die abgestimmte Planung von Förder- und Therapiemaßnahmen, um auf die jeweilige Problematik des Schülers einzugehen. Testverfahren zur Überprüfung der Leseleistung Der Zürcher Lesetest (ZLT) stellt seit vielen Jahren ein anerkanntes Verfahren zur Diagnostik der Lesestörung dar. Aufgrund der sich stetig verändernden Erkenntnisse sowie der notwendigen Aktualisierung von Normen im Bereich der Leistungsdiagnostik, wurde eine Überarbeitung des Verfahrens von Linder und Grissemann 24 Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II) (2000) erforderlich. Der Zürcher Lesetest-II basiert auf dem ursprünglich von Maria Linder 1963 zusammengestellten Verfahren, das mehrfach normiert und erweitert wurde (1967, 1973/1974, 1981). Die Kerntests der letzten aktualisierten Ausgabe beinhalten das laute Vorlesen von Wortlisten und kurzen altersgerechten Textabschnitten. Als Kennwerte dienen die Lesegeschwindigkeit und die Anzahl der Lesefehler. Als zusätzliche Verfahren, die auch der Förderempfehlung dienen, wurden im Laufe der Zeit der Mottiertest sowie die psycholinguistische Verlesungsanalyse hinzugefügt. Der ZLT, der als Einzeltest durchgeführt wird, ist für den Einsatz für Schüler ab der zweiten Klasse bis zur sechsten Klasse vorgesehen. Er beinhaltet Normtabellen für das erste, zweite und vierte Schulquartal (2. und 3. Klassenstufe) sowie im Jahresabstand (4., 5. und 6. Klassenstufe). Prozentrangstufen zur Beurteilung der Leseleistung hinsichtlich Lesezeit und Anzahl der Lesefehler liegen für die Klassenstufen 2 und 3 sowie 5 und 6 vor. Der ZLT stellte über lange Zeit eines der wenigen Messinstrumente der syntaktischen Lesefertigkeit dar und wird bis heute als populäres Diagnostikinstrument bei Lerntherapeuten, Pädagogen und Psychologen angenommen. 1.4 Ziele Um dem neuesten Forschungsstand im Schriftspracherwerb gerecht zu werden, wurde eine grundlegende Überarbeitung des ZLT notwendig. Der Charakter eines Förderdiagnostikums sollte dabei nicht verloren gehen. Die Kerntests (Wortlesetest, Textabschnitte) wurden aktualisiert und an den heutigen Sprachgebrauch von Schülern angepasst. Die Überarbeitung beinhaltete auch den Mottiertest (jetzt Pseudowörter nachsprechen). Erweitert wurde der ZLT um die Berücksichtigung wichtiger Kennwerte der phonologischen Verarbeitung (Pseudowörter lesen, Silbentrennung mündlich und schriftlich, Schnellen Benennen). Die Psycholinguistische Verlesungsanalyse wurde übernommen, um eine weitere Möglichkeit der qualitativen Beurteilung zu bieten. Außerdem wurde der Einsatzbereich des ZLT-II vergrößert: es werden nun Normtabellen für Schüler ab Ende der ersten Klassenstufe bis zur achten Klasse im Halbjahres- (Ende 1. bis Ende 4. Klassenstufe) bzw. Jahresabstand (5. bis 8. Klassenstufe) angeboten. So ist es mit dem neuen Instrument möglich, bereits frühzeitige Defizite im Schriftspracherwerb festzustellen. Die Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest-II als Nachfolger des ZLT ist Ziel des Projekts. Für die Standardisierung eines Verfahrens ist die Gewährleistung dieser Gütekriterien unverzichtbar. 25 Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II) 1.5 Methodisches Vorgehen Zur Realisierung des Normierungs- und Validierungsprojektes ZLT-II wurde die Planung und Entwicklung entsprechend der Qualitätsanforderungen an psychologische Tests durchgeführt. Neben Wahrung der Objektivität und Reliabilität standen Testeichung und Validierung im Mittelpunkt des Arbeitsprogramms. Nach Zusammenstellung eines Itempools wurde im Rahmen der Konstruktion einer Stichprobe, deren Zusammensetzung analog der späteren Normierungsstichprobe erfolgte, der ZLT-II vorgelegt. Nach einigen Modifikationen wurde die Endversion für die Normierungsphase fertiggestellt. Im Zeitraum zwischen April 2010 und September 2011 haben 1145 Kinder und Jugendliche an der Datenerhebung im Rahmen der Normierung teilgenommen. Es wurde dabei auf eine gleichmäßige Geschlechterverteilung geachtet. Die Datenerhebung erfolgte in vier Regionen der Bundesrepublik Deutschland. 1.6 Ergebnisse Zur Gewährleistung der Testgüte wurde das Verfahren im Hinblick auf Objektivität, Reliabilität und Validität überprüft. Die Ergebnisse wurden im Manual zum ZLT-II publiziert. Objektivität. Die detaillierten Darstellungen im Manual des ZLT-II mit Vorgabe von Instruktionstexten für die einzelnen Untertests unterstützen eine standardisierte Durchführung. Um zu überprüfen, ob die Testergebnisse in Abhängigkeit vom Testleiter variieren, wurden univariate Varianzanalysen berechnet. Diese weisen nicht signifikante Ergebnisse für die Testleiter, deren Protokollbögen miteinander verglichen wurden, in Bezug auf die Lese- bzw. Benenngeschwindigkeit sowie die Fehleranzahl auf. Somit ist das Verfahren unter Berücksichtigung der entsprechenden Hinweise im Manual als hinreichend objektiv in der Durchführung zu betrachten. Gleiches gilt für die Auswertungs- und Interpretationsobjektivität. Reliabilität. Die Zuverlässigkeit wurde anhand der internen Konsistenz sowie der Retest-Reliabilität bestimmt. Die internen Konsistenzen für die einzelnen Untertests, bei denen dieses Kriterium Anwendung fand, können insgesamt als sehr hoch angesehen werden. Die Retest-Reliabilität konnte mit hohen Koeffizienten für die Lesegeschwindigkeit nachgewiesen werden. Zusätzlich wurde die Batterie-Reliabilität für alle Untertests, die pro Gruppe durchgeführt werden, bestimmt. Vor allem für den Grundschulbereich ergeben sich sehr hohe Gesamt-Reliabilitäten. Validität. Vergleicht man die durchschnittlichen Leistungen der Altersgruppen miteinander, kann festgestellt werden, dass die Leseleistungen mit der Zeit stetig an26 Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II) steigen. Zur Überprüfung wurde eine univariate Varianzanalyse durchgeführt. Es zeigen sich in allen Untertests signifikante Unterschiede zwischen den Grundschülern und den Schülern weiterführender Schulen und belegen somit bedeutsame Leistungszunahmen über die Altersspanne, für die das Verfahren konzipiert wurde. Zur Überprüfung der Kriteriumsvalidität wurden die Leseleistungen der Kinder mit den Schulnoten des letzten Schulzeugnisses im Fach Deutsch bzw. Lesen verglichen. Der Vergleich erbrachte signifikante Zusammenhänge zwischen Note und Leseleistung: je schneller die Lesegeschwindigkeit, umso besser die Note bzw. je weniger Lesefehler umso besser die Note. Leistungsunterschiede bei Zweisprachigkeit. Zusätzlich zu den Gütekriterien wurden Leistungsunterschiede von Muttersprachlern und Schülern, die zweisprachig aufgewachsen sind. Es kann vorkommen, dass Kinder und Jugendliche, die zweioder mehrsprachig aufwachsen, Symptome zeigen können, die denen einer LRS ähnlich sind. Bei Lesetests, die Defizite im Schriftspracherwerb im Sinne einer Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten aufdecken sollen, ist dieser Umstand besonders differenziert zu betrachten. Es wurden daher 213 Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch mit 213 deutschsprachigen Kindern nach Alter, Klassenstufe, Schulform und Geschlecht gematcht. Mittels t-Tests für unabhängige Stichproben wurden die Leistungen der Kinder in den Untertests auf Unterschiede hin überprüft. Bei den meisten Untertests unterscheiden sich die Leistungen der Kinder nicht signifikant voneinander. Lediglich zwei Untertests (Schnelles Benennen 2 und Pseudowörter nachsprechen) fielen mit leichten Unterschieden auf. So schneiden anders- bzw. mehrsprachige Kinder beim Schnellen Benennen etwas schlechter ab. Dies lässt sich mit dem u. U. etwas geringeren Wortschatz dieser Gruppe erklären. Beim Untertest Pseudowörter nachsprechen hingegen lieferten die anderssprachigen Kinder bessere Ergebnisse. Dies ist möglicherweise damit erklärbar, dass diese Kinder bereits früh eine weitere Sprache erlernt haben und somit sicherer im Umgang mit neuen (fremden) Wörtern sind. Zieht man alle Ergebnisse in Erwägung, kann der ZLT-II auch für den Einsatz mit anderssprachigen Kindern ohne Einschränkungen eingesetzt werden. 1.7 Literatur Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2007). Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter (3., überarb. Aufl.). Köln: Deutscher Ärzte Verlag. Linder, M. & Grissemann, H. (2000). Zürcher Lesetest (6. Aufl.). Bern: Hans Huber. Ptok, M., Berendes, K., Gottal, S., Grabherr, B., Schneeberg, J. & Wittler, M. (2008). Phonologische Verarbeitung. Monatsschrift Kinderheilkunde, 156, 860-866. 27 Normierung und Validierung des Zürcher Lesetest - II (ZLT-II) Wagner, R. K. & Torgesen, J. K. (1987). The nature of phonological processing and its casual role in acquisition of reading-skills. Psychological Bulletin, 101, 192-212. Publikationen Petermann, F. & Daseking, M. (2012). Zürcher Lesetest - II (ZLT-II). Weiterentwicklung des Zürcher Lesetests (ZLT) von Maria Linder und Hans Grissemann. Bern: Huber. 28 BASIC-Preschool 2 Entwicklung eines neuropsychologischen Screeningverfahrens für Vorläuferfähigkeiten von Lesen, Rechtschreibung und Rechnen: BASICPreschool 2.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann PD Dr. Monika Daseking Mitarbeiterin Dipl.-Psych. Julia Knievel Zeitraum 01.06.2005 - 30.06.2009 Finanzierung FNK der Universität Bremen, BMW-Stiftung 2.2 Zusammenfassung In den letzten drei Jahrzehnten ist ein deutlicher Erkenntniszuwachs auf dem Gebiet der Entwicklung des schulbasierten Erwerbs von Lesen, Rechtschreiben und Rechnen zu verzeichnen. Schriftspracherwerb und die Grundschulmathematik basieren auf einer Reihe von Vorläuferfähigkeiten, die bereits im Kindergartenalter erworben werden. Mit altersangemessenen und sensitiven Screeningverfahren können Vorläuferbeeinträchtigungen bereits vorschulisch identifiziert werden. Ziel des Projektes war die Entwicklung, Normierung und Validierung eines Tests zu neuropsychologisch begründbaren Vorläuferfähigkeiten für den schulbasierten Erwerb von Lesen, Rechnen und Rechtschreibung. 29 BASIC-Preschool 2.3 Stand der Forschung und eigene Forschungsarbeiten Die Auswahl der Funktionsbereiche und Items erfolgte in Anlehnung an die Entwicklung kognitiver Funktionen (vgl. Hirnreifung). • • • • • • • • Visuelle Differenzierung (optische Differenzierung), Visuelles Scanning (Unterscheidung oben-unten, links-rechts) Phonologische Bewusstheit (Rhythmus, Geräuschememory, Reime) Verbale Merkfähigkeit (Wortliste) Visuelle Merkfähigkeit (Nachzeichnen einer komplexen Form aus dem Gedächtnis; Wiedererkennen und freie Reproduktion visuell dargebotener Inhalte) Mengenerfassung (automatische Erfassung kleiner Mengen, Schätzung: viel – wenig, Längen- oder Größenvergleich) und einfaches Zahlwissen (Benennen von Ziffern, Vorgänger-Nachfolger) Kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit als Funktion der Aufmerksamkeit (sprachgebunden, Auge-Hand-Koordination) Selektive Aufmerksamkeit Kategorisieren (Klassifikationen; Reihenfolgen) Im Rahmen von mehreren Forschungsarbeiten wurden die einzelnen Funktionsbereiche theoretisch fundiert, auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüft und ein Aufgabenpool entwickelt, aus dem dann das eigentliche Screening zusammengestellt wurde. 2.4 Ziele BASIC-Screening verfolgt mehrere Strategien: Mit Hilfe einer motivierenden und teilweise computergestützten Gestaltung soll dem Problem niedriger Reliabilitätskennwerte diagnostischer Erhebungsverfahren begegnet werden. Außerdem sollen die wesentlichen neuropsychologischen Vorläuferfähigkeiten, die ein Kind im Vorschulalter entwickelt und die es für einen erfolgreichen Schulstart mitbringen sollte, wissenschaftlich fundiert in Testaufgaben umgesetzt werden, die im Sinne eines Breitbandscreenings in verschiedenen Settings wie Einschulungsuntersuchung, klinisch-psychologischer Diagnostik oder kinderärztlicher Vorsorgeuntersuchung zum Einsatz kommen können. 30 BASIC-Preschool 2.5 Methodisches Vorgehen Beschreibung des Testverfahrens BASIC-Preschool Mit dem BASIC-Screening zur Analyse neuropsychologischer Basiskompetenzen im Vorschulalter (Battery for Assessment in Children) (Daseking & Petermann, 2009) liegt ein Verfahren zur Früherkennung von Voraussetzungen vor, die zum Gelingen des Erlernens von Lesen, Schreiben und Rechnen beitragen. Früherkennung heißt in diesem Fall, dass Beeinträchtigungen in den entsprechenden Vorläuferfähigkeiten so rechtzeitig erhoben werden, dass eine gezielte und spezifische Förderung noch vor der Einschulung greifen kann. Mögliche Defizite in einzelnen Funktionsbereichen haben zu diesem Zeitpunkt noch keine gravierenden Auswirkungen auf alltägliche Leistungen, die negativen Konsequenzen ergeben sich häufig erst durch die deutlich steigenden Anforderungen im Rahmen des Schulunterrichts. Die Grundkonzeption basiert auf kognitions- und neuropsychologischen Erkenntnissen über Vorläuferfähigkeiten für den schulvermittelten Erwerb der Kulturtechniken. Um das Kind zu einer optimalen Mitarbeit zu motivieren, sind die Untertests in eine Geschichte eingebettet. Die abwechslungsreiche Darbietung der Untertests verbessert die Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit des Kindes. Die Anwendung ist besonders zu Beginn des letzten Kindergartenjahres zu empfehlen, um im Bedarfsfall noch vor der Einschulung eine differenzierte Abklärung und/oder Förderung einleiten zu können. Mit insgesamt zehn Untertests können Aussagen über die Teilleistungen selektive Aufmerksamkeit, visuell-räumliche Wahrnehmung, Sprachverständnis und Zahlenund Mengenwissen gemacht werden. Es kann ein Gesamt-Risikowert gebildet werden, der als Maß für das Risiko dient, schulische Lernstörungen zu entwickeln. Neben diesem Gesamtwert kann auch auf Untertestebene eine Risikoaussage vorgenommen werden. Die zehn Untertests erfassen verschiedene neuropsychologische Teilleistungen, die sich inhaltlich zu vier Bereichen zusammenfassen lassen (vgl. Abb. 1): • • • • Visuell-räumliche Wahrnehmung, Sprachverständnis, selektive Aufmerksamkeit und das Zahlen- und Mengenwissen. Die Vergleichswerte basieren auf den Ergebnissen von 710 Kindern, die im Zeitraum zwischen dem 01.11.2005 und dem 30.06.2007 an der Datenerhebung zur Normierung des Testverfahrens teilgenommen haben. 31 BASIC-Preschool 2.6 Ergebnisse Korrelation mit dem Elternurteil. Mit einem zusätzlichen Fragebogen wurden Angaben zu unspezifische Vorläuferfähigkeiten, spezifische Vorläuferfähigkeiten für Lese-Rechtschreibfertigkeiten und spezifische Vorläuferfähigkeiten für Rechenfertigkeiten erhoben. Aus den Antworten wurde ein Gesamt-Risikowert des Elternurteils gebildet, der mit dem Gesamt-Risikowert des BASIC-Screenings korreliert wurde. Diese Korrelation erweist sich als hoch signifikant (r = .49***). Ein höherer Risiko-Gesamtwert im BASIC-Preschool geht demnach mit einem höheren RisikoGesamtwert im Elternfragebogen einher. Die Elterneinschätzungen und das Testergebnis zeigen also gute Übereinstimmungen. Abbildung 1: Zuordnung der erfassten Teilleistungen zu den vier Merkmalsbereichen Korrelation mit Entwicklungsverzögerungen. Mittels Elternfragebogen wurden Angaben zu Geburtskomplikationen, schweren Kopfverletzungen und Entwicklungsverzögerungen im motorischen und sprachlichen Bereich in den ersten beiden Lebensjahren erhoben. Geburtskomplikationen und/oder Entwicklungsverzögerungen und BASIC-Preschool-Ergebnisse korrelieren signifikant und spezifisch, aber niedrig. Frühe Entwicklungsverzögerungen scheinen somit kein ausreichender Prädiktor für Beeinträchtigungen in den Vorläuferfähigkeiten im letzten Kindergartenjahr zu sein. 32 BASIC-Preschool Zusätzlich wurde geprüft, welchen Einfluss Zweisprachigkeit beziehungsweise ein Migrationshintergrund auf die Vorläuferfähigkeiten aufweist. Darüber hinaus wurden Korrelationsstudien mit etablierten Instrumenten (u. a. ET 6-6) zum Nachweis der Konstruktvalidität durchgeführt. Prognostische Validität. Die prognostische Validität des Verfahrens wurde mit einer umfangreichen Studie (N = 122) nachgewiesen (vgl. Abb. 2). Die vorschulischen Leistungen in den vier Merkmalsbereichen wurden auf ihre Vorhersagekraft für die Rechtschreibleistung (DRT 1), die Rechenleistung (DEMAT 1+) und das Intelligenzniveau (WISC-IV) zu Beginn der zweiten Klasse überprüft. Die Zusammenhangsmaße und die Regressionsanalysen weisen auf die besondere Bedeutung des vorschulischen Sprachverständnisses für Rechtschreib- und Rechenleistung hin. Die Ergebnisse belegen die Notwendigkeit, sprachliche Fähigkeiten im letzten Kindergartenjahr zu erfassen und zu fördern. t1 letztes Kindergartenjahr BASICPreschool t2 Beginn zweites Schuljahr DRT 1 DEMAT 1+ WISC-IV Lehrerurteil Abbildung 2: Studiendesign mit den eingesetzten Messverfahren. t1 = erster Messzeitpunkt, t2 = zweiter Messzeitpunkt, DRT 1: Diagnostischer Rechtschreibtest für 1. Klassen, DEMAT 1+: Deutscher Mathematiktest für erste Klassen, WISC-IV: Wechsler Intelligence Scale for Children - Version IV. 2.7 Literatur Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Battery for Assessment in Children - Screening für kognitive Basiskompetenzen im Vorschulalter (BASIC-Preschool). Bern: Huber. Publikationen Daseking, M., Bauer, A., Knievel, J., Petermann, F. & Waldmann, H.-C. (2011). Kognitive Entwicklungsrisiken bei zweisprachig aufwachsenden Kindern mit Migrationshintergrund im Vorschulalter. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie,60, 351-368. 33 BASIC-Preschool Knievel, J. (2009). Die prognostische Bedeutung kognitiver Vorläuferfähigkeiten im Kindergartenalter für den Erwerb der Rechtschreibung und des Rechnens. Bremen: Unveröffentlichte Dissertation. Knievel, J., Daseking, M. & Petermann, F. (2010). Kognitive Basiskompetenzen und ihr Einfluss auf die Rechtschreib- und Rechenleistung. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 42, 15-25. Knievel, J., Petermann, F. & Daseking, M. (2011). Welche Vorläuferdefizite weisen Kinder mit einer kombinierten Rechtschreib- und Rechenschwäche auf? Diagnostica, 57, 212-224. 34 SET 5-10 3 Konstruktion, Normierung und Validierung des Sprachstandserhebungstests für Kinder zwischen 5 und 10 Jahren (SET 5-10) 3.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiterinnen Dr. Dorothee Metz Dr. Lina Paulina Fröhlich, Dipl.-Psych. Julia-Katharina Rißling Zeitraum 01.01.2007 - 31.07.2013 Finanzierung Eigenmittel ZKPR, Hogrefe-Verlag Göttingen. 3.2 Zusammenfassung Störungen der Sprache gehören zu den häufigsten Entwicklungsstörungen und können die kognitive, emotionale und psychische Entwicklung eines Kindes nachhaltig beeinflussen. In der Diagnostik wird der Einsatz psychometrischer Testverfahren empfohlen, da diese, sofern sie den Testgütekriterien genügen, zu objektiven Befunden führen. Während für das Vorschulalter noch verschiedene Verfahren zur Verfügung stehen, nimmt die Anzahl der Verfahren im Grundschulalter erheblich ab. Die Mehrheit der eingesetzten Instrumente beruht, wenn überhaupt, auf veralteten Normen, verfügt über keine theoretische Fundierung oder kann den Testgütekriterien nicht gerecht werden. Im Rahmen des Projektes wurde daher ein neuer allgemeiner Sprachtests speziell für Kinder ab dem fünften Lebensjahr entwickelt, der eine zuverlässige Diagnostik für Kinder im Vor- und Grundschulalter ermöglichen soll. 35 SET 5-10 3.3 Stand der Forschung Sprache ist zentraler Bestandteil unserer Kultur. Sie ermöglicht die Aneignung neuen Wissens, sowie den Austausch und die Vermittlung von Emotionen und Gedanken. Die Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten ist einer der wichtigsten Entwicklungsbereiche der Kindheit (Grimm, 2003; von Suchodoletz, 2003). Die Mehrheit der Kinder bewältigt die Entwicklungsaufgabe des Spracherwerbs ohne Probleme und eignet sich das damit verbundene Konglomerat von Regeln, Strukturen und Bedeutungen scheinbar mühelos an. Dennoch stellen Störungen der Sprache bis zum Schulbeginn die häufigsten Entwicklungsstörungen dar, die zudem verschiedene andere Bereiche der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung eines Kindes beeinflussen. Sprachstörungen können, je nach Alter des Kindes sowie Art und Ausprägung der Störung, eine große Variationsbreite aufweisen und die kognitive, emotionale und psychische Entwicklung eines Kindes sowie die Eltern-Kind-Beziehung negativ beeinflussen. Zudem bilden sich die Defizite im sprachlichen Bereich ohne Behandlung meist nicht vollständig zurück (Neumann et al., 2009). Die Identifikation von Sprachstörungen ist somit wichtig, um frühzeitig Förderungen oder therapeutische Maßnahmen einleiten zu können. Hierfür ist eine optimierte, valide Diagnostik von zentraler Bedeutung. Für das Vorschulalter stehen im deutschen Sprachraum verschiedene Verfahren zur Verfügung. Mit Beginn des Grundschulalters nimmt die Zahl der Testverfahren jedoch erheblich ab. Viele der aktuell in der Praxis eingesetzten Instrumente werden zudem den Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht gerecht: Sie beruhen, wenn überhaupt, auf veralteten Normen, basieren auf keinem theoretischen Konzept oder entsprechen nicht den Gütekriterien, so dass an ihrer Aussagekraft und ihrer Tauglichkeit für eine qualifizierte Diagnostik gezweifelt werden muss (Keilmann, Moein & Schöler, 2012; Metz & Petermann, 2010; Neumann et al., 2011). 3.4 Ziele Es sollte ein Sprachtest für Kinder zwischen fünf und zehn Jahren entwickelt werden, der eine an den Entwicklungsstand angepasste, umfassende Beurteilung des Sprachstandes ermöglicht. Hierfür sollte der Sprachtest verschiedene sprachliche Bereiche, wie Wortschatz, Sprachverständnis und Sprachproduktion) aber auch die Verarbeitungsgeschwindigkeit und die auditive Merkfähigkeit erfassen, die als wichtige Vorläuferfähigkeiten für einen erfolgreichen Spracherwerb gelten (Leonard et al., 2007). Die Normen des Tests sollten in einer deutschlandweiten Erhebung an mindestens 1000 Kindern basieren und den Testgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität genügen (vgl. Petermann, 2012). 36 SET 5-10 3.5 Methodisches Vorgehen Im Rahmen der Konstruktionsstichprobe des neu entwickelten Testverfahrens SET 5-10 sollten 2008 etwa 300 Kinder aus den Bundesländern Bayern, Bremen und Hessen überprüft werden. Für die Normierung des SET 5-10 wurde als Ziel definiert, dass im Zeitraum von April bis Oktober 2009 etwa 1000 Kinder im Alter zwischen 5;0 und 10;11 Jahren in Kindergärten und Grundschulen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen überprüft werden sollten. Um die Validität des SET 5-10 zu bestimmen sollten weitere Studien, u.a. zur Überprüfung der Kriteriumsvalidität des Verfahrens folgen. Für die Entwicklung des SET 5-10 wurde eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe zusammengestellt, die sich aus Kinderpsychologen, Entwicklungspsychologen und Linguisten zusammensetzte. Es wurden Items unterschiedlicher Schwierigkeitsstufen entwickelt. Die Auswahl der endgültigen Items orientierte sich an den statistischen Kennwerten und inhaltlicher Vorgaben (wie uneindeutige Items), die im Rahmen der Konstruktionsstichprobe des SET 5-10 ermittelt wurden. Konstruktion und Analyse. Für die Konstruktionsstichprobe wurden N=275 Kinder (142 Jungen und 133 Mädchen) aus den Bundesländern Bayern, Bremen und Hessen mit dem SET 5-10 überprüft. 74 Kinder (27%) wiesen einen Migrationshintergrund auf. Das durchschnittliche Alter der Grundschüler betrug 7;8 Jahre, die Kindergartenkinder wiesen ein durchschnittliches Alter von 5;7 Jahren und die Kinder aus der pädiatrischen Praxis ein durchschnittliches Alter von 7;4 Jahren auf. Normierung. Die Erhebung der Normstichprobe erfolgte im Zeitraum von Mai bis September 2009. Es wurden 1052 Kinder im Alter zwischen 5;0 und 10;11 Jahren mit dem SET 5-10 überprüft. Die Eltern der überprüften Kinder erhielten zudem einen Fragebogen, u.a. zur Entwicklung des Kindes, zur Muttersprache und zum Bildungshintergrund der Eltern. 83% der Kinder wuchsen monolingual deutschsprachig auf. Auf der Basis der Normierungsstichprobe konnten T-Werte und Prozentränge für sieben Altersgruppen bestimmt werden. Validierung. Erste Analysen zur Güte des SET 5-10 wurden auf der Basis der Normierungsstichprobe des SET 5-10 durchgeführt. Hierfür wurden die Daten von n=46 Kindern, die laut Elternurteil grammatikalische Auffälligkeiten aufwiesen, mit einer altersgleichen Kontrollgruppe verglichen. Die Analysen zeigten, dass die Kinder mit grammatikalischen Auffälligkeiten signifikant niedrigere Ergebnisse in den Bereichen Sprachverständnis, Sprachproduktion sowie Grammatik/Morphologie aufwiesen als die Kinder ohne grammatikalische Auffälligkeiten (Metz, Belhadj, Kouider, Karpinski & Petermann, 2011). In einer ersten Studie zur konvergenten Validität des SET 5-10 für die Altersgruppe der Sieben- und Achtjährigen wurden N=71 Kinder mit dem SET 5-10 sowie einer Auswahl spezifischer Sprachtests überprüft und die Korrelationen der SET 5-10 Ska37 SET 5-10 len mit Testverfahren, die vergleichbare Konzepte erheben, berechnet. Die Stichprobe setzte sich aus n=40 Achtjährigen und n=31 Siebenjährigen monolingual deutschsprachigen Kindern mit durchschnittlichen, nonverbalen kognitiven Fähigkeiten zusammen. Zu den eingesetzten Verfahren gehörten der Wortschatz- und Wortfindungstests für 6- bis 10-Jährige (WWT 6-10; Glück, 2007), der Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses (TROG-D; Fox, 2009), der Untertest Expressive Sprache (Grammatik), der Basisdiagnostik umschriebener Entwicklungsstörungen im Grundschulalter (BUEGA; Esser, Wyschkon & Ballaschk, 2008) und die Untertests Symbolsuche und Durchstreichtest des Wechsler Intelligence Scale for Children (WISC-IV; Petermann & Petermann, 2011). Aufbauend auf diesen ersten Ergebnissen zur konvergenten Validität des SET 5-10 wurde in einer weiteren Studie die Kriteriumsvalidität der SET5-10-Skalen für alle Altersgruppen und Untertests durchgeführt. Hierfür wurden im Zeitraum von Oktober 2011 bis Juni 2012 N=304 Kindern (141 Mädchen; 163 Jungen) zwischen 5 und 10 Jahren in Kindergärten und Grundschulen in Bremen und Niedersachsen mit dem SET 5-10 und den zugeordneten Testverfahren überprüft. Das durchschnittliche Alter der Kinder betrug 7;5 Jahre. Zur Prüfung der Kriteriumsvalidität des SET 5-10 wurden die korrelativen Zusammenhänge der einzelnen Untertests des SET 5-10 mit den Ergebnissen aus anderen Verfahren bzw. deren Untertests bestimmt. Zu diesem Verfahren gehörten der Aktive Wortschatztest für 3- bis 5-jährige Kinder (AWST-R; Kiese-Himmel, 2005), der Wortschatz- und Wortfindungstests für 6- bis 10-Jährige (WWT 6-10; Glück, 2007), der Sprachentwicklungstest für 3- bis 5-jährige Kinder (SET-K 3-5; Grimm, Aktas & Frevert, 2010), der Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses (TROG-D; Fox, 2009), der Untertest Expressive Sprache (Grammatik) der Basisdiagnostik umschriebener Entwicklungsstörungen im Grundschulalter (BUEGA; Esser, Wyschkon & Ballaschk, 2008) und der Untertest Kunstwörter nachsprechen des Heidelberger auditiven Screenings in der Einschulungsdiagnostik (HASE; Brunner & Schöler, 2008) sowie die Untertests Symbol-Suche und Kodieren die Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence - III (WPPSI III; Petermann, 2011) und die Untertests Symbolsuche und Durchstreichtest des Wechsler Intelligence Scale for Children (WISC-IV; Petermann & Petermann, 2011). 3.6 Ergebnisse Die Berechnungen, basierend auf den Daten der Konstruktionsstichprobe, ergaben, dass die Itemschwierigkeiten breit streuten und die Trennschärfe der Items innerhalb einzelner Untertests von .34 bis .74 reichte (Metz, Fröhlich & Petermann, 2009). Die Mehrzahl der Untertests zeigte eine zufriedenstellende bis gute interne Konsistenz. Erste Analysen zur Güte des SET 5-10, basierend auf der Normierungsstichprobe, 38 SET 5-10 geben einen ersten Hinweis darauf, dass Kinder mit grammatikalischen Auffälligkeiten auch im SET 5-10 als auffällig identifiziert werden können (Metz, Belhadj Kouider, Karpinski & Petermann, 2011). Die Analysen im Rahmen der ersten Studie zur konvergenten Validität des SET 5-10 sprechen für eine mittlere bis hohe Validität der SET 5-10 Skalen für die Altersgruppe der Sieben- und Achtjährigen (Metz, Rißling, Karpinski & Petermann, 2011). Diese Ergebnisse konnten für alle Altersgruppen und Untertests weitgehend bestätigt werden (Rißling & Petermann, 2012). Insgesamt lässt sich festhalten, dass der SET 510 eine an den Entwicklungsstand angepasste, umfassende Beurteilung des Sprachstands ermöglicht und so einen wichtigen Beitrag zur objektiven Diagnostik sprachlicher Fähigkeiten von Kindern ab fünf Jahren leistet. Mit dem SET 5-10 wurde ein Verfahren entwickelt, dem gegenwärtig im deutschsprachigen Raum in Bezug auf Aktualität, Auswahl der Zielgruppe und der Weite des Ansatzes eine Alleinstellung zukommt. 3.7 Literatur Brunner, M. & Schöler, H. (2008). Heidelberger Auditives Screening in der Einschulungsdiagnostik (HASE) (2., überarb. u. erw. Aufl.). Wertingen: Westra. Esser, G., Wyschkon, K. & Ballaschk, K. (2008). Basisdiagnostik umschriebener Entwicklungsstörungen im Grundschulalter (BUEGA). Göttingen: Hogrefe. Fox, A.V. (2009). Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses (TROG-D). Idstein: Schulz-Kirchner. Glück, C.W. (2007). Wortschatz- und Wortfindungstest für 6- 10-Jährige (WWT 610). München: Urban & Fischer. Grimm, H. (2003). Störungen der Sprachentwicklung (2., überarb. Aufl.).Göttingen: Hogrefe. Grimm, H. Aktas, M. & Frevert, S. (2010). SETK 3-5. Sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder. Diagnose von Sprachverarbeitungsfähigkeiten und auditiven Gedächtnisleistungen (2., überarb. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Keilmann, A., Moein, G. & Schöler, H. (2012). Werden mit dem SETK 3-5 klinisch diagnostizierte Sprachentwicklungsstörungen erfasst? HNO, 60, 63-71. Kiese-Himmel, C. (2005). AWST-R. Aktiver Wortschatztest für 3- bis 5-jährige Kinder Revision. Göttingen: Beltz Test GmbH. Leonard, L.B., Weismer, S.E., Miller, C.A., Francis, D.J., Tomblin, J.B. & Kail, R.V. (2007). Speed of processing, working memory, and language impairment in children. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 50, 408-428. Metz, D., Belhadj-Kouider, E., Karpinski, N. & Petermann, F. (2011). Die Validität des Sprachstandserhebungstests für fünf- bis zehnjährige Kinder (SET 5-10): Erste Analysen. Das Gesundheitswesen, 73, 637-643. 39 SET 5-10 Metz, D. & Petermann, F. (2010). Sprachdiagnostik und -förderung im Grundschulalter. Monatsschrift Kinderheilkunde, 158, 1125-1136. Metz, D., Rißling, J.-K., Karpinski, N. & Petermann, F. (2011). Erste Analysen zur Kriteriumsvalidität des Sprachstandserhebungstests für Kinder im Alter zwischen 5 und 10 Jahren (SET 5-10). Sprache Stimme Gehör, 35, 216-221. Neumann, K., Holler-Zittlau, I., van Minnen, S., Sick, U., Zaretsky, Y. & Euler, H.A. (2011). Katzengoldstandards in der Sprachstandserfassung. HNO, 59, 97-109. Neumann, K., Keilmann, A., Rosenfeld, J., Schönweiler, R., Zaretsky, Y. & KieseHimmel, C. (2009). Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern - Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Kindheit und Entwicklung, 18, 222-231. Petermann, F. (2011). Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence - III Deutsche Version (2. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment. Petermann, F. (2012). Sprachstandserhebungstest für Kinder zwischen 5 und 10 Jahren (SET 5-10) (2., veränd. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Suchodoletz, W. von (2003). Umschriebene Sprachentwicklungsstörungen. Monatsschrift Kinderheilkunde, 151, 31-37. Publikationen Metz, D., Belhadj-Kouider, E., Karpinski, N. & Petermann, F. (2011). Die Validität des Sprachstandserhebungstests für fünf- bis zehnjährige Kinder (SET 5-10): Erste Analysen. Das Gesundheitswesen, 73, 637-643. Metz, D., Fröhlich, L.P. & Petermann, F. (2009). Sprachstandserhebungsverfahren für Fünf- bis Zehnjährige (SET 5-10). Konstruktion und Analyse. Kindheit und Entwicklung, 18, 194-203. Metz, D. & Petermann, F. (2010). Sprachdiagnostik und -förderung im Grundschulalter. Monatsschrift Kinderheilkunde, 158, 1125-1136. Metz, D., Rißling, J.-K., Karpinski, N. & Petermann, F. (2011). Erste Analysen zur Kriteriumsvalidität des Sprachstandserhebungstests für Kinder im Alter zwischen 5 und 10 Jahren (SET 5-10). Sprache Stimme Gehör, 35, 216-221. Petermann, F. & Petermann, U. (Hrsg.) (2011). Wechsler Intelligence Scale for Children - Fourth Edition (WISC-IV, deutsche Version). Frankfurt: Pearson Assessment. Petermann, F. & Rißling, J.-K. (2011). Sprachdiagnostik im Vor- und Grundschulalter. Sprachheilarbeit, 56, 131-137. Petermann, F. & Rißling, J.-K. (2012). Sprachdiagnostik in der Praxis. Kinder- und Jugendarzt, 43, 241-245. Petermann, F. & Rißling, J.-K. (Hrsg.) (2013). Fallbuch SET 5-10. Göttingen: Hogrefe. Rißling, J.-K. & Petermann, F. (2012). Intelligenz und Sprache - Sprachentwicklung bei Kindern mit Intelligenzminderung. Sprache Stimme Gehör, 36, 123-127. Rißling, J.-K. & Petermann, F. (2012). Kriteriumsvalidität des SET 5-10. Sprache Stimme Gehör, 36, 123-127. 40 KET-KID 4 Normierung und Validierung des Kognitiven Entwicklungstest für das Kindergartenalter (KET-KID) 4.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann PD Dr. Monika Daseking Mitarbeiterin Dipl.-Psych. Julia Danielsson Zeitraum 01.01.2006 - 31.12.2009 Finanzierung Hogrefe Verlag, Göttingen und Eigenmittel (Doktorandenkolleg) 4.2 Zusammenfassung Ziel des Projektes ist die Adaption, Normierung und Validierung eines Tests zur kognitiven Entwicklung nach dem Konzept von A. Luria (Cuestionario de Madurez Neuropsicológica Infantil, CUMANIN; Porcellano Pérez et al., 2002). 4.3 Stand der Forschung Mit dem CUMANIN steht ein spanischsprachiges, neuropsychologisches Untersuchungsinstrumentarium zur Verfügung, dass verschiedener kognitiver Funktionen wie Psychomotorik, Sprache, Aufmerksamkeit, räumliches Denken, visuelle Wahrnehmung, Gedächtnis und Lateralität bei 3- bis 6-jährigen Kindern überprüfen soll. Die ausgewählten Funktionen weisen einen engen Zusammenhang zur Hirnreifung auf. Die ersten Jahre der frühkindlichen Entwicklung sind von überaus großer Wichtigkeit, sowohl im Sinne der zerebralen Reifungsprozesse als auch hinsichtlich neuronaler Hirnreifungsstörungen. Die Autoren weisen darauf hin, dass es zwar eine 41 KET-KID Reihe von exzellenten entwicklungsneuropsychologischen Testverfahren und Skalen zur Einschätzung des Kindes gibt, aber nicht für die genannte Altersspanne. Dabei stellt das Vorschulalter einen Entwicklungszeitraum dar, der sich für die zerebrale Entwicklung als enorm bedeutungsvoll erwiesen hat. Die neuronalen Verbindungen, die in dieser Zeit geknüpft werden, bilden das zukünftige Fundament für Lernen und Verhalten. Auch die zerebrale Stoffwechselaktivität ist in dieser Zeit (bis zu 60% des Gesamtstoffwechsels) so hoch wie zu keinem anderen Zeitpunkt in der Entwicklung! CUMANIN verfolgt das Ziel, eine diagnostische Lücke zu schließen. Rechtzeitige Identifikation, Intervention oder Therapie kann dazu beitragen, Lernstörungen zu verhindern oder zu minimieren. CUMANIN stellt ein Instrument dar, das eher zur Einschätzung der neuropsychologischen Reifung als zur Beurteilung der intellektuellen Entwicklung eingesetzt werden kann. Dies umfasst auch die Evaluation von Kindern, die neurologische Softsigns oder Hirnschädigungen aufweisen, mit dem Ziel, darauf aufbauende spezifische Therapie-Programme zu entwickeln und die Entwicklungschancen oder Lernkapazitäten des Kindes entscheidend zu verbessern. 4.4 Ziele Das neu konzipierte Verfahren mit dem mit dem Titel „Kognitiver Entwicklungstest für das Kindergartenalter“ beinhaltet eine Vielzahl von Vorläuferfähigkeiten schulbezogener Kompetenzen. Damit kann das Verfahren auch eine Verbesserung des Bildungsangebotes in Kindergärten anregen. In anderen Ländern wurde bereits nachgewiesen, dass die Qualität der Förderung im Kindergartenalter einen großen Einfluss auf die späteren schulischen Leistungen der Kinder hat. Die Ergebnisse dieses Projektes können eine ähnliche Entwicklung in Deutschland fördern. Dazu wurde die neuropsychologische Testbatterie zur Diagnostik von neuropsychologischen Störungen und umschriebenen Entwicklungsstörungen in das deutsche Sprachsystem übertragen und inhaltlich erweitert. Über die Beurteilung aller wichtigen neuropsychologischen Entwicklungsaspekte hinaus können mithilfe der Weiterentwicklung des Verfahrens vor allem im Bereich Sprachkompetenz wichtige Entscheidungen bezüglich schulischer Fertigkeiten und deren Störungen frühzeitig getroffen und notwendige Interventionen eingeleitet werden. 4.5 Methodisches Vorgehen Für die Normierung und Validierung des Testverfahrens wurden die Daten sowohl gesunder Kindergarten-, Vor- und Grundschulkindern als auch einer klinischen Stichprobe bei Frühgeborenen erhoben. Daraus ergibt sich eine differenzierte Aussagekraft des Verfahrens im Hinblick auf die Einordnung einer normalen Entwick42 KET-KID lung und ihren Abweichungen. Damit wird die Einsatz- bzw. Indikationsbreite des Testes deutlich verbessert. Die Datenerhebung im Rahmen der Testnormierung erstreckte sich von August 2007 bis April 2008. Um eine hohe Repräsentativität des Testes sicherzustellen, wurden Kinder aus verschiedenen Bundesländern einbezogen. Da sich in den OECD-Studien ein deutlicher Vorteil für das ostdeutsche Kindergartensystem herausgestellt hat, war eine Einbeziehung eines entsprechenden Bundeslandes in die Normierung zwingend erforderlich. 4.6 Ergebnisse Beschreibung des Testverfahrens KET-KID Der KET-KID ist ein Testverfahren für die diagnostische Einzelfalluntersuchung zur Erfassung von neuropsychologischen Basisfähigkeiten für Kinder im Altersbereich von 3;0 Jahren bis 6;6 Jahren. Das Verfahren erfasst neuropsychologische Basiskompetenzen und Teilleistungen wie Psychomotorik, visuelle Wahrnehmungsleistungen, auditive und visuelle Gedächtnisleistungen, expressive und rezeptive Sprache oder Aufmerksamkeit und ermöglicht Aussagen zur Lateralität. Die Grundkonzeption basiert auf entwicklungsneuropsychologischen Erkenntnissen zu den umschriebenen Entwicklungsstörungen. Die abwechslungsreiche Darbietung der Untertests verbessert die Aufrechterhaltung der kindlichen Aufmerksamkeit. Die Untertestleistungen (Psychomotorik, Artikulation, auditives Gedächtnis, Sprachverständnis, räumliche Vorstellung, Visuoperzeption und -konstruktion, bildhaftes Gedächtnis und Rhythmus) fließen in einem Entwicklungsquotienten zusammen. Dazu lassen sich verbale und nonverbale Fähigkeiten getrennt bewerten. Parallel wird die Lateralität des Kindes eingeschätzt. Die publizierten Vergleichswerte basieren auf den Leistungen von 750 Kindern aus verschiedenen deutschen Standorten. Der Test kann vor allem zur Früherkennung kognitiver und motorischer Teilleistungsstörungen eingesetzt werden kann. Das Verfahren weist eine hohe prognostische Validität im Hinblick auf mögliche spätere Beeinträchtigungen auf. Die betrifft besonders den schulischen Bereich also die umschriebenen Entwicklungs- und Lernstörungen. Sollten spezifische Teilleistungsstörungen mit KET-KID identifiziert werden, kann eine weitere Abklärung erfolgen. Auch für eine allgemeine Entwicklungsbegleitung von Kindern im Kindergartenalter ist KET-KID eine gute Alternative. Entwicklungsverläufe in verschiedenen kognitiven Bereichen lassen sich gut abbilden. Im klinischen Kontext und auch im Rehabilitationsprozess von Kindern bietet KETKID eine fundierte Möglichkeit, den (Rehabilitations-) Verlauf abzubilden. 43 KET-KID Geschlechtsunterschiede Für Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen ergeben sich nur in den Untertests Visuokonstruktion und Aufmerksamkeit signifikante Unterschiede, wobei sich die realen Leistungsunterschiede im Rahmen eines Rohwertpunktes bewegen. Auf Skalenebene ergibt sich eine signifikante Differenz für die Nonverbalen Skala, die aber ebenfalls vernachlässigbar erscheint. Leistungsunterschiede zwischen ein- und zweisprachig aufwachsenden Kindern Die Überprüfung der Daten der Normierungsstichprobe ergab, signifikanten Leistungsunterschiede in den sprachlichen Untertests. In den übergeordneten Skalen zeigen sich sehr signifikante Unterschiede in der Entwicklungsskala und in der Verbalen Skala. Nur in der Nonverbalen Skala und in den entsprechenden Untertests ergeben sich keine Leistungsunterschiede. Eine Ausnahme bildet der Untertest Räumliche Vorstellung. Hier sollen die Kinder sprachliche Anweisungen mit einem hohen Anteil an Raumwahrnehmung und Raumvorstellung umsetzen. Hier muss das Kind auch präpositionale Beziehungen erfassen und umsetzen (vor, hinter usw.). Diese Fähigkeit hat sich als sensibler Prädiktor für Leistungen des Sprachverständnisses erwiesen. Hier schneiden Kinder mit einer anderen Muttersprache deutlich schwächer ab. Kinder mit Sprachstörungen Ergebnisse einer Studie zeigen, dass Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen in den Bereichen Artikulation, auditives Gedächtnis, räumliche Vorstellung sowie Visuokonstruktion signifikant schlechter abschneiden als die gesunden Kinder einer nach Alter und Geschlecht gematchten Kontrollstichprobe. In der nonverbalen Intelligenzleistung gibt es keine signifikanten Unterschiede. Damit weisen Kinder mit umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen ein erhöhtes Risiko zu weiteren kognitiven Beeinträchtigungen auf. Auch in der Lateralitätsausbildung erweisen sich diese Kinder als verzögert. Dies geht einher mit graphomotorischen Defiziten, die wiederum Auswirkungen auf schulische Leistungen haben können. Alle Bereiche sollten frühzeitig diagnostisch mit überprüft und bei Bedarf in die Förderung integriert werden. 4.7 Literatur Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Kognitiver Entwicklungstest für das Kindergartenalter (KET-KID). Göttingen: Hogrefe. OECD (2001). Starting Strong - early childhood and education care. Paris: OECD Publications. 44 KET-KID Portellano Pérez, J.A. Mateos Mateos, R., Martínez Arias, R., Tapia Pavón, A. & Granados García-Tenorio, M.J. (2002). Cuestionario de Madurez Neuropsicológica Infantil (CUMANIN). Madrid: TEA Ediciones. Publikationen Danielsson, J. (2010). Kognitive Entwicklung bei Kindern im Kindergartenalter bei drei ausgewählten Risikogruppen. Unveröffentlichte Dissertation: Bremen. Danielsson, J., Daseking, M. & Petermann, F. (2010). Komorbide Beeinträchtigungen bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen. Monatsschrift Kinderheilkunde, 158, 669-676. Danielsson, J., de Boer, M., Petermann, F. & Daseking, M. (2009). Nikotinexposition in der Schwangerschaft - Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung im Kindergartenalter. Geburtshilfe und Frauenheilkunde, 69, 692-697. Danielsson, J. & Petermann, F. (2009). Cognitive deficits in children with benign rolandic epilepsy of childhood or rolandic discharges: a study of children between 4 and 7 years of age with and without seizures compared with healthy controls. Epilepsy & Behavior, 16, 646-651. 45 SOPESS 5 Entwicklung eines Screenings für den Einsatz bei der schulärztlichen Schuleingangsuntersuchung (SOPESS) 5.1 Allgemeine Angaben Leitung PD Dr. Monika Daseking Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiterin Dipl.-Psych. Marijke Oldenhage Zeitraum 01.10.2006 - 30.09.2009 Finanzierung Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst Nordrhein Westfalen (LIGA.NRW) 5.2 Zusammenfassung Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines Screening-Verfahrens zur Erhebung des Entwicklungsstands eines Kindes im Rahmen der Einschulungsuntersuchung in Nordrhein- Westfalen bei vorgezogenem Einschulungsalter. Das neue Testverfahren soll in ein Gesamtkonzept vorschulischer Förderung eingebunden werden. Daher soll es in erster Linie dazu dienen, frühzeitig Förderbedarf zu ermitteln, der sich an schulbezogenen Vorläuferfähigkeiten orientiert. 5.3 Stand der Forschung Durch die Kritik an Reifungstheorien und einer biologischen Sichtweise der kindlichen Entwicklung wurde der ursprünglich verwendete Begriff der Schulreife in der aktuellen Diskussion durch den Begriff der Schulfähigkeit (und Schulbereitschaft) abgelöst, wobei der ökosystemische Ansatz von Nickel (1991) eine dominierende Rolle spielt. 47 SOPESS Danach basiert die Schulfähigkeit auf vier sich gegenseitig beeinflussenden Komponenten/Teilsystemen: • • • • Schule (Anforderungen, Unterrichtsbedingungen) Schüler (individuelle Lernvoraussetzungen) Ökologie (häusliche, vorschulische und schulische Lernumwelt) Gesamtgesellschaftlicher Hintergrund (Wertvorstellungen, Ziele...) Schulfähigkeit wird also als ein multifaktorielles Konstrukt definiert. Sie ist daher nicht nur von den Lernvoraussetzungen des Kindes, sondern auch von den Anforderungen des Unterrichtes her zu bestimmen (Kammermeyer, 2001a). Für den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule werden dabei seit einigen Jahren immer wieder neue Modelle vorgeschlagen, die insbesondere auf eine veränderte Schuleingangsphase abzielen. Aufgrund der Bildungshoheit der Bundesländer werden hier unterschiedliche Strategien verfolgt. Die unterschiedliche Praxis der Bundesländer in der Stichtagsregelung und in der Flexibilisierung der Schuleingangsphase führt in Abhängigkeit vom Wohnort langfristig zu zeitlichen Verschiebungen in den Bildungsverläufen (vgl. dazu Daseking, Oldenhage & Petermann, 2008). Im Zusammenhang mit diesen Veränderungen steht dabei immer wieder auch die Funktion der Schuleingangsdiagnostik zur Diskussion. Die Abkehr vom Selektionsprinzip impliziert gleichzeitig eine Hinwendung zum Förderprinzip. Dies führt zu einer deutlichen Veränderung in der Einschulungspraxis: die neue Schulgesetzgebung sieht die bislang praktizierte Form der Zurückstellung nur noch in definierten Ausnahmefällen vor. Gleichzeitig werden aber Vorgaben zur Förderung von Kindern gesetzlich verankert. Schuleingangsdiagnostik. Die Schuleingangsdiagnostik dient der Feststellung der Lernausgangslage eines Kindes. Es sollen Aussagen über Stärken und Schwächen des Kindes getroffen werden (kompetenzorientierte Feststellung der Eingangsvoraussetzungen). In der aktuellen Betrachtung enthält die Schuleingangsdiagnostik vier Hauptkriterien: • • • • Körperliche Aspekte Sozialfähigkeit Motivationale und emotionale Stabilität Kognitive Schulfähigkeit somatische Entwicklung psychische Entwicklung Als Bereiche der individuellen Lernvoraussetzungen des Kindes werden die somatische und psychische Entwicklung angeführt; die psychische Entwicklung umfasst kognitive, soziale und motivationale Faktoren. Bedeutung von Testverfahren zur Einschulungsuntersuchung. Eine wesentliche Schwierigkeit in der Früherkennung von schulbezogenen Entwicklungsstörungen ist 48 SOPESS darin zu sehen, dass sich verschiedene kognitive Funktionen nicht ohne weiteres im Alltag des Kindes (Kindergarten, Elternhaus) beobachten lassen, sondern meist nur über entsprechende Testverfahren valide erhoben werden können. Als Kritikpunkt an der Schulfähigkeitsdiagnostik wird üblicherweise angeführt, dass überwiegend kognitive Fähigkeiten erfasst werden, die sich zudem am „Normalkind“ (normorientiert) orientieren. Dagegen können kriteriumsorientierte Testverfahren, die zudem die Messung des Lernerfolgs in einem Themenbereich über einen längeren Zeitraum beinhalten (Statuserhebung - Intervention - Überprüfung des Erfolges), zugleich einen Förderbedarf ermitteln und den Erfolg einer eingeleiteten Maßnahme evaluieren. Da die kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchung U8 und U9 konzeptionell nur unzureichend geeignet sind, um einschulungsgefährdende Auffälligkeiten bei Kindergartenkindern zu erfassen (Michaelis, 2000), kommt der Einschulungsuntersuchung eine wesentliche Rolle bei der Feststellung von Risikokindern für die Entwicklung von Schulleistungsproblemen zu. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Risikokind erst mit der Einschulungsuntersuchung identifiziert wird, ist außerdem abhängig von der Art der Störung, dem Geschlecht und der Nationalität des Kindes (Tröster, Flender & Reineke, 2004). Aufgrund der entwicklungspsychologischen und entwicklungspädagogischen Erkenntnisse der letzten Jahre geht die Entwicklung insgesamt weg von einer Spätdiagnostik (kurzfristig mit dem Ziel einer Selektion bzw. Zuordnung zu einer Schulform) hin zur Früherkennung schulischer Lernstörungen auf der Basis von Vorläuferstörungen (Krajewski, 2003, 2005). Verschiedene Argumente sprechen für einen möglichst frühen Zeitpunkt förderdiagnostischer Maßnahmen zur Identifizierung von Risikokindern. Werden schulleistungsbezogene Vorläuferstörungen erst zum Zeitpunkt der Einschulung oder in den ersten Grundschulmonaten erkannt, ist der zeitliche Rahmen für eine zielgerichtete Intervention bereits sehr eng gesteckt und erstreckt sich häufig weit in die Schuleingangsphase hinein. Fördermaßnahmen im Vorschulalter lassen sich dagegen oft optimal in das Setting des Kindergartens einbinden. Auch entwicklungspsychologische Befunde lassen den Schluss zu, dass eine frühe Förderung schulbezogener Vorläuferfunktionen auf basaler Ebene die Entwicklungsprognose des Kindes verbessert. In diesem Zusammenhang sei auf Annahmen zur Entwicklung als Abfolge sich aufeinander beziehender Entwicklungsschritte oder die Modellvorstellung von sensiblen Entwicklungsphasen („Zeitfenstern“) für einzelne Funktionsbereiche (wie beispielsweise in der Sprachentwicklung; Grimm, 2003) verwiesen. Auf Grund dieser Überlegungen geht der Weg wieder hin zu einer testgestützten Überprüfung von kognitiven Fähigkeiten im Sinne lernzielnaher Voraussetzungen (Kammermeyer, 2001b). Zu diesen kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten gehören: • Visuelle Wahrnehmung 49 SOPESS • • • • • • • Denkfähigkeit (allgemeine Intelligenz) Visuomotorik Mengen- und zahlenbezogenes Vorwissen (Krajewski, 2003, 2005) Gedächtnis (phonologisches und visuell-räumliches Arbeitsgedächtnis) (Roebers & Zoelch, 2005) Sprachverständnis (u.a. präpositionale Beziehungen) Phonologische Bewusstheit und Aufmerksamkeit. Mit dem Schuljahr 2007/2008 beginnt die Vorverlegung des Stichtages zur Schulpflicht in NRW um jährlich einen Monat. Dieser Prozess erstreckt sich über sechs Jahre und soll langfristig dazu führen, dass alle Kinder zum 1. August des Jahres schulpflichtig werden, in dem sie sechs Jahre alt werden (Stichtag 31.12.). In der ersten Phase erfolgt eine Vorverlegung um drei Monate (Stichtag 30.09.) Die Einschulungsuntersuchung wird mit dem Schwerpunkt durchgeführt, Kinder frühzeitig zu fördern, die im Bereich der schulbezogenen Lernvoraussetzungen Schwächen aufweisen. 5.4 Methodisches Vorgehen Das zu entwickelnde Testverfahren soll als Modell für den Einsatz bei der Einschulungsuntersuchung 2008/2009 einsatzfähig sein. Im Anschluss an die Veröffentlichung des Verfahrens ist es notwendig, Validierungsstudien zur durchzuführen. Das ZKPR kann auf eine langjährige Tradition in der Entwicklung von Testverfahren für das Vorschulalter verweisen. Hier sei auf den Entwicklungstest für 6 Monate bis 6 Jahre. ET 6-6 (Petermann, Stein & Macha, 2005) sowie das Vorschulscreening BASIC-Preschool (Daseking & Petermann, 2009) verwiesen. Dieses Verfahren hat zum Ziel, ein breites Spektrum kognitiver Funktionen (Vorläuferfähigkeiten) zu erheben, um Risikokinder für umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten bereits frühzeitig zu identifizieren. Die verschiedenen Untertests Visuelle Analyse, Raum- und Objektwahrnehmung, Verbale Merkfähigkeit, Passiver Wortschatz, Selektive Aufmerksamkeit, Zählfertigkeit, Automatische Mengenerfassung, Mengenvergleich sowie Mengenkonstanz werden den Funktionsbereichen Visuellanalytische Leistungen, Sprachverständnis, selektive Aufmerksamkeitsleistungen und Mengen- und Zahlenvorwissen zugeordnet. 50 SOPESS 5.5 Ergebnisse Beschreibung des Testverfahrens SOPESS Das Sozialpädiatrische Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen (SOPESS, Petermann, Oldenhage, Simon & Daseking, 2009a, 2009b) kommt als Screeningverfahren im Rahmen der Einschulungsuntersuchung durch die Gesundheitsämter zum Einsatz. Mit dem Test kann eine orientierende Einschätzung des Entwicklungsstandes eines Kindes im Vorfeld der Einschulung vorgenommen werden. Fallen Kinder durch Entwicklungs- und Verhaltensdefizite auf, können weitere Maßnahmen eingeleitet werden. Damit steht das Förderprinzip im Vordergrund. Das Verfahren zielt nicht auf eine Entscheidung über Einschulung bzw. Rückstellung. Mit SOPESS können standardisierte Aussagen zu den Merkmalsbereichen Visuomotorik, Selektive Aufmerksamkeit, Zahlen- und Mengenvorwissen, Visuelles Wahrnehmen und Schlussfolgern, Sprechen und Sprache sowie Körperkoordination getroffen werden (vgl. Tab. 1). Für die Normierung des Tests wurden die Daten von 13.600 Kindern einbezogen. Die Validierung erfolgte über spezifische Verfahren zur Merkmalserfassung (Sprachtest, Entwicklungstest, Intelligenztest). Darüber hinaus wurde eine Studie zur Vorhersagegenauigkeit von SOPESS mit N = 372 Kindern durchgeführt. Alle Ergebnisse wurden bereits publiziert. Tabelle 1: Merkmalsbereiche und Untertests des SOPESS (modifiziert nach Daseking et al., 2009b) Merkmalsbereich Nichtärztliches Personal Arzt/Ärztin Untertests Einzeichnen geometrischer Visuomotorik I Formen (LKW) Selektive Aufmerksamkeit Gesichter durchstreichen Zählen Zahlen- und MengenvorSimultanerfassung wissen Mengenvergleich Visuomotorik II Abzeichnen von Zelt und Pfeil Visuelles Wahrnehmen Matrizenaufgaben und Schlussfolgern Präpositionen Pluralbildung Sprache und Sprechen Pseudowörter Artikulation Körperkoordination seitliches Hin- und Herspringen 51 SOPESS 5.6 Literatur Daseking, M., Oldenhage, M. & Petermann, F. (2008). Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule - eine Bestandsaufnahme. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 55, 84-99. Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Battery for Assessment in Children - Screening für kognitive Basiskompetenzen im Vorschulalter (BASIC-Preschool). Bern: Huber. Grimm, H. (2003). Störungen der Sprachentwicklung (2., erweit. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Kammermeyer, G. (2001a). Schulfähigkeit. In G. Faust-Siehl & A. Speck-Hamdan (Hrsg.), Schulanfang ohne Umwege (S. 96-118). Frankfurt: Arbeitskreis Grundschule. Kammermeyer, G. (2001b). Schuleingangsdiagnostik. In G. Faust-Siehl & A. SpeckHamdan (Hrsg.), Schulanfang ohne Umwege (S. 119-143). Frankfurt: Arbeitskreis Grundschule. Krajewski, K. (2003). Vorhersage von Rechenschwäche in der Grundschule. Hamburg: Kovac. Krajewski, K. (2005). Vorschulische Mengenbewusstheit von Zahlen. In M. Hasselhorn, H. Marx & W. Schneider (Hrsg.), Diagnostik von Mathematikleistungen (S. 49-70). Göttingen: Hogrefe. Michaelis, R. (2000). Kinderärztliche Beurteilung der Schulfähigkeit. Kinderärztliche Praxis, 71, 216-220. Nickel, H. (1991). Die Einschulung als pädagogisch-psychologische Herausforderung. „Schulreife“ aus ökologisch-systemischer Sicht - kritisches Ereignis oder erfolgreicher Übergang. In D. Haarmann (Hrsg.), Handbuch Grundschule Bd. 1 (3. Aufl., S. 88-100). Weinheim: Beltz. Petermann F., Stein I.A. & Macha T. (2006). ET 6-6. Entwicklungstest 6 Monate bis 6 Jahre (3., veränd. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment. Petermann, F., Daseking, M., Oldenhage, M. & Simon, K. (2009a). Sozialpädiatrisches Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen - SOPESS Theoretische und statistische Grundlagen zur Testkonstruktion, Normierung und Validierung. Düsseldorf: LIGA.NRW. Petermann, F., Daseking, M., Oldenhage, M. & Simon, K. (2009b). Sozialpädiatrisches Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen - SOPESS. Handanweisung zur Durchführung und Auswertung. Düsseldorf: LIGA.NRW. Roebers, C.M. & Zoelch, C. (2005). Erfassung und Struktur des phonologischen und visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses bei 4-jährigen Kindern. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 37, 113-121. Tröster, H., Flender, J. & Reineke, D. (2004). Dortmunder Entwicklungsscreening für den Kindergarten (DESK 3-6). Göttingen: Hogrefe. 52 SOPESS Publikationen Daseking, M., Oldenhage, M., Petermann, F. & Waldmann, H.-C. (2009). Die Validität der Sprachskala des SOPESS unter Berücksichtigung der Erstsprache. Gesundheitswesen, 71, 663-668. Daseking, M. & Petermann, F. (2011). Der Einfluss von Vorläuferfähigkeiten auf die Rechtschreib-, Lese- und Rechenleistung in der Grundschule. Gesundheitswesen, 73, 644-649. Daseking, M., Petermann, F., Röske, D., Trost-Brinkhus, G. Simon, K. & Oldenhage, M. (2009). Entwicklung und Normierung des Einschulungsscreenings SOPESS. Gesundheitswesen, 71, 648-655. Daseking, M., Petermann, F. & Simon, K. (2011). Zusammenhang zwischen SOPESSErgebnissen und ärztlicher Befundbewertung. Gesundheitswesen, 73, 660-667. Daseking, M., Petermann, F, Simon, K. & Waldmann, H.-C. (2011). Vorhersage von schulischen Lernstörungen durch SOPESS. Gesundheitswesen, 73, 650-659. Petermann, F. & Daseking, M. (2011). Screening und Schuleingangsuntersuchung. Das Gesundheitswesen, 73, 635-636. Petermann, F., Daseking, M., Oldenhage, M. & Simon, K. (2009). Sozialpädiatrisches Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen - SOPESS Theoretische und statistische Grundlagen zur Testkonstruktion, Normierung und Validierung. Düsseldorf: LIGA.NRW. Petermann, F., Daseking, M., Oldenhage, M. & Simon, K. (2009). Sozialpädiatrisches Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen - SOPESS. Handanweisung zur Durchführung und Auswertung. Düsseldorf: LIGA.NRW. Oldenhage, M., Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Erhebung des Entwicklungsstandes im Rahmen der ärztlichen Schuleingangsuntersuchung. Gesundheitswesen, 71, 638-647. Waldmann, H.-C., Oldenhage, M., Petermann, F. & Daseking, M. (2009). Screening des Entwicklungsstandes bei der Einschulungsuntersuchung: Validität der kognitiven Skalen des SOPESS. Gesundheitswesen, 71, 656-662. 53 FEW-JE 6 Normierung und Validierung des Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung für Jugendliche und Erwachsene (FEW-JE) 6.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann PD Dr. Monika Daseking Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann Mitarbeiterin Dipl.-Psych. Lina Werpup Zeitraum 01.06.2010 - 30.09.2012 Finanzierung Hogrefe Verlag 6.2 Zusammenfassung Ziel des Projektes ist die Normierung und Validierung eines Tests zur Visuellen Wahrnehmung nach dem Konzept von Marianne Frostig für Jugendliche und Erwachsene (Developmental Test of Visual Perception - Adolescents and Adults, DTVP-A). Das neue Testverfahren ist in ein Gesamtkonzept zur Erfassung von Funktionen der visuellen Wahrnehmung eingebunden (dt. Fassung: FEW-JE). 6.3 Stand der Forschung Der Bereich der visuellen Wahrnehmung wird von Praktikern schon lange als wichtiges Einsatzgebiet für psychodiagnostische Verfahren anerkannt. Tatsächlich haben Psychologen (in erster Linie Schul- und Neuropsychologen), Arbeitspsychologen, Entwicklungsdiagnostiker und andere Berufsgruppen, die im Bereich Diagnostik o55 FEW-JE der Rehabilitation tätig sind, die Messung der visuellen Wahrnehmung seit mehr als 50 Jahren als Standardbaustein in den diagnostischen Prozesses aufgenommen. Allerdings erscheint die ursprünglich sehr weit gefasste Diagnostik mit geringer Präzision und mangelnder Abgrenzung zu motorischen Defiziten heute nicht länger als angemessen. Für jugendliche und erwachsene Patienten existieren nur sehr wenige Testverfahren, die zudem als unzureichend zu bewerten sind. So genügen die Verfahren nicht mehr den modernen wissenschaftlichen Standards, die man an psychologische Testverfahren anlegt (z. B. Gütekriterien, aktuelle Normierung). 6.4 Ziele Die einzelnen Teilbereiche sind von großer Bedeutung für die Entwicklung und die Erfassung von Defiziten in der visuellen Wahrnehmung. Das Aufdecken von Defiziten in der visuellen Wahrnehmung kann hilfreich bei der Erklärung schulischer und lebenspraktischer Probleme (u. a. beim Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Basteln) sein und eine Erfassung der einzelnen Leistungen ermöglicht die abgestimmte Planung von Förder- und Therapiemaßnahmen, um auf die individuellen Probleme des Kindes eingehen zu können. 6.5 Methodisches Vorgehen Der Developmental Test of Visual Perception - Adolescent and Adult (DTVP-A) ist ein im amerikanischen Sprachraum weit verbreitetes und anerkanntes standardisiertes Verfahren zur Erfassung der Fähigkeiten der visuellen Wahrnehmung. Er basiert auf einer von der Forschungsgruppe um Marianne Frostig (1961; 1964; 1966) entwickelten Testbatterie, die zuletzt von Reynolds et al. (2002) für den Einsatz im Jugendund Erwachsenenalter weiterentwickelt und nun ins Deutsche übertragen und in Deutschland normiert wurde. Der amerikanische DTVP-A ist für den Einsatz ab einem Alter von 11;0 Jahren vorgesehen. Um die Anschlussfähigkeit an den FEW-2 zu garantieren, wurde für die deutsche Version (FEW-JE) auch neun- und zehnjährige Kinder in die Datenerhebung einbezogen. Der FEW-2 (Büttner, Dacheneder, Schneider & Weyer, 2008) wird zur Diagnostik bei Kindern bis 8;11 Jahre eingesetzt. Die amerikanische Originalversion DTVP-2 (Hammill, Paerson & Voress, 1993) war auch für Kinder bis 11;11 vorgesehen. Der Test wird als Einzeltest durchgeführt und erfasst anhand von sechs Untertests die globale visuelle Wahrnehmung sowie die motorikreduzierte visuelle Wahrnehmung (MRVW) und die visuo-motorische Integration (VMI), aus denen sich die globale visuelle Wahrnehmung (AVW) zusammensetzt. Die Skala zur visuo-motorischen Integration setzt sich aus den Untertests Abzeichnen (AZ), Visuo-motorische Suche 56 FEW-JE (VMS) und Visuo-motorische Geschwindigkeit (VMG) zusammen. Die motorikreduzierte Wahrnehmung wird über die Untertests Figur-Grund (FG), Gestaltschließen (GS) und Formkonstanz (FK) erhoben. Durch die Vielseitigkeit der verschiedenen Untertests und einen permanenten Wechsel von Aufgaben zur visuo-motorischen Integration (im Aufgabenheft) und zur motorikreduzierten Wahrnehmung (im Stimulusbuch) bleibt die Testperson optimal motiviert. Bei den Untertests Figur-Grund, Gestaltschließen und Formkonstanz wird jeweils die Anzahl der korrekt gelösten Aufgaben notiert. Beim Untertest Abzeichnen gibt es Punkte für die Qualität der Zeichnungen. Bei der visuo-motorischen Suche wird die Zeit notiert, die das Kind benötigt, um die Aufgabe zu lösen und beim Untertest Visuo-motorische Geschwindigkeit zählt die Anzahl der korrekt markierten Formen, die innerhalb einer Minute eingezeichnet wurden. Für alle Untertests werden Normwerte ermittelt. Zusätzlich werden Normwerte und Prozentränge für die Leistungen der globalen visuellen Wahrnehmung, der visuo-motorischen Integration und der motorikreduzierten Wahrnehmung angegeben. Alle Normwerte können im Profil dargestellt werden, sodass nicht nur eine Einschätzung der globalen visuellen Wahrnehmung, der motorikreduzierten Wahrnehmung und der visuo-motorischen Integration möglich sind, sondern auch dass einzelne Fähigkeiten miteinander verglichen werden können, um Schwächen und Stärken differenziert zu ermitteln. 6.6 Ergebnisse Beschreibung des Testverfahrens FEW-JE Der FEW-JE stellt eine Testbatterie dar, bestehend aus sechs Untertests, die jeweils unterschiedliche visuelle Wahrnehmungsfähigkeiten und visuo-motorische Fähigkeiten erfassen. Der FEW-JE kann im Alter von 9 bis 90 Jahren eingesetzt werden. In die Normstichprobe sind die Leistungen von insgesamt 1450 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aus allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland eingeflossen. Der FEW-JE kann im Bereich Diagnostik, Therapie und Forschung bei Fragestellungen zur visuellen Wahrnehmungsfähigkeiten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ab neun Jahren eingesetzt werden. Die Untertests des FEW-JE wurden so gestaltet, dass sie mit Frostigs Vorannahmen übereinstimmen. Jeder der 6 Untertests erfasst eine oder mehrere Formen visuell-perzeptueller Fähigkeiten (vgl. Tab. 1). Bei diesen Fähigkeiten handelt es sich um die Einschätzung der Raum-Lage Position, der Formkonstanz, der räumlichen Beziehungen und der Figur-GrundUnterscheidung. Die Untertests lassen sich danach klassifizieren, in welchem Umfang motorische Fähigkeiten bei der Lösung der Aufgaben erforderlich sind (motorik-reduziert vs. motorik-abhängig). Neben der Dokumentation von visuellen Wahrnehmungsstörungen und visuo-motorischen Störungen sowie der Erfassung des Ausmaßes der Störungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen kann der Test 57 FEW-JE vor allem eingesetzt werden, um auffälligen Testpersonen gezielte Förderung zukommen zu lassen beziehungsweise, um die Effektivität von Behandlungen zu überprüfen. Tabelle 1: Formen visuell-perzeptueller Fähigkeiten des FEW-JE. Untertest Visuell-perzeptuelle Fähigkeit 1 Abzeichnen 2 Figur-Grund 3 Visuo-motorische Suche 4 Gestaltschließen Visuo-motorische Ge5 schwindigkeit 6 Formkonstanz Räumliche Beziehungen Figur-Grund-Unterscheidung Figur-Grund Unterscheidung Formkonstanz Formkonstanz, räumliche Beziehungen Formkonstanz Beteiligung motorischer Fähigkeiten gering hoch X X X X X X Die Faktorenanalyse bestätigt die vorgeschlagene Teststruktur, zeigt gleichzeitig aber auch Zusammenhänge zwischen den Skalen auf (vgl. Abb. 1). 0.449 MRVW 0.671 0.741 FG 0.798 GS 0.550 FK 0.451 0.753 0.542 VMI 0.489 0.431 AZ 0.707 VMS 0.761 VMG 0.814 Abbildung 1: Fit-Maße der Faktorenanalyse. 58 Index Wert Determination 0.807 N 1440 Χ² 104.277 Χ² df 12 p > Χ² Standardized Root Mean Square Residual <0.001 Goodness of Fit Index Root Mean Square Error of the Approximation Bentler-Bonnett-Normed Fit Index Adjusted Goodness of Fit Index Bentler-Comparative Fit Index 0.058 0.996 0.073 0.795 0.992 0.813 FEW-JE Darüber hinaus konnten erste Datenanalysen zeigen, dass sich für die visuelle Wahrnehmung eine Abhängigkeit zum Bildungsniveau zeigt: Kinder und Jugendliche, die ein Gymnasium besuchten, schnitten signifikant besser ab als Kinder und Jugendliche auf einer Realschule. Die schwächsten Leistungen weisen Kinder und Jugendliche auf, die auf einer Hauptschule lernen. Hingegen können keine übergreifenden Geschlechtsunterschiede gefunden werden. 6.7 Literatur Büttner, G., Dacheneder, W., Schneider, W. & Weyer, K. (2008). Frostigs Entwicklungstest der visuellen Wahrnehmung - 2 (FEW-2). Göttingen: Hogrefe. Frostig, M., Lefever, D.W. & Whittlesey, J. R.B. (1961). A developmental test of visual perception for evaluating normal and neurologically handicapped children. Perceptual and Motor Skills, 12, 383 - 394. Frostig, M., Lefever, D.W. & Whittlesey, J.R.B. (1966). Administration and scoring manual for the Marianne Frostig Developmental Test of Visual Perception. Palo Alto, CA: Consulting Psychologist Press. Hammill, D.D., Pearson, N.A. & Voress, J.K. (1993). Developmental Test of Visual Perception - Second Edition. Austin, TX: PRO-ED. Reynolds, CR., Pearson, N.A. & Voress, J.K. (2002). Developmental Test of Visual Perception - Adolescent and Adult (DTVP-A). Austin, TX: PRO-ED. 59 Wechsler-Skalen 7 Adaption, Normierung und Validierung der WechslerSkalen (WPPSI-III, WISC-IV, WAIS-IV) 7.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Prof. Dr. Ulrike Petermann PD Dr. Monika Daseking Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann Mitarbeiterinnen Dr. Maike Lipsius Dr. Claudia Gienger Dr. Anne Toussaint Zeitraum 01.01.2005 - 30.11.2012 Finanzierung Durch die Verlage Huber (Bern) und Pearson Assessment (Frankfurt), Eigenmittel 7.2 Zusammenfassung Die Wechsler-Skalen stellen die weltweit am häufigsten eingesetzten Intelligenztestverfahrens dar. Sie liegen in der amerikanischen Originalversion für einander ergänzende Altersbereiche vor. Im Rahmen der Projekte wurde die Adaption und Normierung der drei Skalen WPPSI-III, WISC-IV und WAIS-IV für den deutschen Sprachraum vorgenommen. Alle drei Verfahren wurden publiziert und um diverse Validierungsstudien ergänzt (Tab. 1). 61 Wechsler-Skalen Tabelle 1: Wechsler-Skalen. Amerikanische Originalversion Wechsler Preschool and Primary Intelligence Scale - Third Edition (WPPSI-III, Wechsler, 2002) Wechsler Intelligence Scale for Children - Fourth Edition (WISC-IV, Wechsler, 2003) Wechsler Adult Intelligence Scale Fourth Edition (WAIS-IV, Wechsler, 2008) 7.3 Deutschsprachige Adaptation Wechsler Preschool and Primary Intelligence Scale -III (dt. Version WPPSI-III, Petermann, 2011) Wechsler Intelligence Scale for Children - IV (dt. Version WISC-IV, Petermann & Petermann, 2011) Wechsler Adult Intelligence Scale - IV (dt. Version WAIS-IV, Petermann, 2012) Stand der Forschung Wechsler Primary and Preschool Intelligence Scale -III (WPPSI-III) Die WPPSI-III stellt einen Intelligenztest zur Erfassung allgemeiner und spezifischer intellektueller Fähigkeiten von Kindern zwischen 3;0 und 7;2 Jahren dar. Die WPPSIIII wird als Einzeltest durchgeführt. Mit dem Gesamt-IQ steht ein allgemeines Maß für den kognitiven Entwicklungsstand eines Kindes im Vorschulalter zur Verfügung. Zusätzlich lassen sich vier weitere übergeordnete Werte berechnen: Verbal- und Handlungsteil, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Allgemeine Sprachskala. Die Reliabilität für den Gesamttest beträgt r = .95. Zum Nachweis der Validität liegen Interkorrelationsstudien, faktorenanalytische Studien, Korrelationsstudien mit anderen Messinstrumenten wie der WISC-IV sowie klinische Validierungsstudien vor. Wechsler Intelligence Scale for Children - IV (WISC-IV) Die WISC-IV ist ein Einzeltest zur Untersuchung der kognitiven Entwicklung (Fähigkeiten) von Kindern im Alter von 6;0 bis 16;11 Jahren. Diese aktualisierte Version der WISC-III beinhaltet bedeutsame Änderungen wie neue Normen und neue Untertests. Außerdem wird ein größeres Gewicht auf die zusammengesetzten Skalen gelegt, die die Leistungen des Kindes in einzelnen kognitiven Funktionsbereichen widerspiegeln. Für die Testdurchführung wurden alle Vorlagen aktualisiert, um ansprechender und zeitgemäßer zu sein. Um die Benutzerfreundlichkeit des Tests zu erhöhen, wurden Veränderungen in der Testdurchführung und -auswertung vorgenommen (Manual zum WISC-IV). Unter Einbeziehung der gegenwärtigen Forschung zur kognitiven Entwicklung, zu Intelligenztestung und zu kognitiven Prozessen ergeben sich für den WISC-IV deutliche Unterschiede im Vergleich den Vorgängerverfahren. Die WISC-IV setzt sich aus 62 Wechsler-Skalen 15 Untertests zusammen: zehn Untertests wurden dabei aus der WISC-III übernommen, fünf Untertests wurden neu entwickelt. Für die Berechnung des GesamtIQ und der Indizes sind zehn Untertestergebnisse erforderlich. Neben der Neunormierung wurde eine klinische Validierung über diverse zusätzliche Stichproben vorgenommen. Diese betreffen insbesondere Kinder mit Lernstörungen, Hochbegabung, ADHS, geistiger Behinderung, Autismus und Hirnverletzungen. Wechsler Adult Intelligence Scale - IV (WAIS-IV) Die WAIS-IV gilt als eines der weltweit am häufigsten eingesetzte Intelligenzverfahren für Jugendliche und Erwachsene von 16 bis 90 Jahren. Die WAIS-IV verbindet die bewährte Wechsler-Tradition mit aktuellen Befunden aus der Intelligenzforschung. Durch die neu entwickelten Untertests (z. B. Formenwaage, Visuelle Puzzle) können Facetten der Intelligenz erfasst werden, die sich in der aktuellen Forschung als bedeutsam herausgestellt haben. Die Aufteilung in Verbal- und Handlungsteil wurde wie auch für die WISC-IV - aufgegeben und durch vier Indexwerte ersetzt. Darüber hinaus kann ein Gesamt-IQ bestimmt werden. Neben der differenzierten Einschätzung des Intelligenzniveaus einer Person auf Index-Ebene können weitere Analysen auf der Untertestebene vorgenommen werden. Es liegen repräsentative Normen für Deutschland aus dem Jahr 2012 vor. Aktuell werden Validierungsstudien zu verschiedenen klinischen Störungsbildern (u. a. Schlaganfall, ADHS, Intelligenzminderung, Depression) vorbereitet. 7.4 Ziele Im Rahmen von klinischer Arbeit bestanden langjährige und umfangreiche Erfahrungen im Umgang mit den Vorgängerverfahren. In der Vorbereitung der Adaptionen wurden differenzierte Vergleiche zwischen Vorgänger und aktueller amerikanischer Version erarbeitet. Im Folgenden soll dies am Beispiel von WISC-III und WISCIV gezeigt werden. 7.5 Methodisches Vorgehen In der WISC-III wird ein hierarchisches Modell angenommen, dass sich auf drei Ebenen darstellen lässt (vgl. Abb. 1). Auch bei der WISC-IV handelt es sich um ein hierarchisches Modell (vgl. Abb. 2). Jedoch zeigt die Gegenüberstellung der Skalen, dass der Verbal-IQ und der ursprünglich untergeordnete Index „Sprachliches Verständnis“ zu einem neuen Index verschmolzen sind. Gleiches gilt für den HandlungsIQ und den Index „Wahrnehmungsorganisation“ (vgl. Tab. 2). 63 Wechsler-Skalen Gesamt-IQ Verbal-IQ Sprachliches Verständnis AW AW AW Handlungs-IQ Wahrnehmungsorganisation Unablenkbarkeit AW AW AW AW AW AW AW Arbeitsgeschwindigkeit AW AW Abbildung 1: Die hierarchische Aufschlüsselung der Gesamt- und Testleistungen der WISC-III. VCI Similarities Vocabulary Comprehension Information PRI Block Design Picture Concepts Matrix Reasoning Picture Completion FSI Q WMI Digit Span Letter-NumberSequencing Arithmetic PSI Coding Symbol Search Cancellation Abbildung 2: Konzeption WISC-IV: vier Faktoren (Indizes), ein Gesamtwert. Tabelle 2: Gegenüberstellung der Faktoren und Indizes von WISC-III und WISC-IV. WISC-III Gesamt-IQ Verbal-IQ Sprachliches Verständnis Handlungs-IQ Wahrnehmungsorganisation Unablenkbarkeit Arbeitsgeschwindigkeit WISC-IV Gesamt-IQ Sprachverständnis Wahrnehmungsbezogenes Logisches Denken Arbeitsgedächtnis Verarbeitungsgeschwindigkeit 64 Wechsler-Skalen 7.6 Ergebnisse Die deutschen Adaptionen der drei Wechsler-Skalen wurden publiziert. Verschiedene Validierungsstudien wurden bereits in den Testmanualen oder in der entsprechenden wissenschaftlichen Fachpresse veröffentlicht (siehe auch Publikationen). Weitere Studien befinden sich in Vorbereitung. Dazu zählen vor allem die klinischen Valdierungsstudien zur WAIS-IV (u. a. Studien zu Patienten mit Schlaganfall, Alzheimer, Depression, ADHS). 7.7 Literatur Petermann, F. (2011). Wechsler Preschool and Primary Scale - Third edition (WPPSIIII, deutsche Version) (2., überarb. u. erw. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment. Petermann, F. (Hrsg.) (2012). Wechsler Adult Intelligence Sale - Fourth Edition (WAIS-IV, deutsche Version). Frankfurt: Pearson Assessment. Petermann, F. & Petermann, U. (Hrsg.) (2011). Wechsler Intelligence Scale for Children - Fourth Edition (WISC-IV, deutsche Version). Frankfurt: Pearson Assessment. Wechsler, D. (2002). Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence - Third Edition (WPPSI-III). San Antonio: Psychological Corporation. Wechsler, D. (2003). Wechsler Intelligence Scale for Children - Fourth Edition (WISCIV). San Antonio: Psychological Corporation. Wechsler, D. (2008). Wechsler Adult Intelligence Scale - Fourth Edition (WAIS-III). San Antonio: Psychological Corporation. Publikationen Daseking, M., Lipsius, M., Petermann, F. & Waldmann, H.-C. (2008). Differenzen im Intelligenzprofil bei Kindern mit Migrationshintergrund: Befunde zum HAWIK-IV. Kindheit und Entwicklung, 17, 76-89. Daseking, M. & Petermann, F. (2011). 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Franziska Korsch Dr. Sören Schmidt Kooperationspartner Eberhard Zimmermann, Gesundheitsamt Bremen Zeitraum 01.05.2011 - 31.04.2014 Finanzierung Mittel aus dem Doktorandenkolleg, Mittel der Hochschulambulanzen 8.2 Zusammenfassung Das Projekt entstand im Rahmen einer Kooperation des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) der Universität Bremen mit dem Gesundheitsamt der Stadt Bremen. Kinder, bei denen im Verlauf der schulärztlichen Eingangsuntersuchung Verhaltensauffälligkeiten festgestellt werden, durchlaufen in der Psychotherapeutischen Kinderambulanz des ZKPR ergänzende Untersuchungen, um eine Einschätzung des psychosozialen, kognitiven und körperlichen Entwicklungsstandes der Kinder zu ermöglichen, psychische Auffälligkeiten zu ermitteln und gegebenenfalls im Rahmen präventiver Verhaltenstrainings zu verbessern. 8.3 Stand der Forschung Mit dem Schuleintritt müssen sich Kinder an schulische Leistungsnormen gewöh67 Schuleingangsdiagnostik nen, neue Lerninhalte erschließen und sich in einem neuen sozialen Umfeld orientieren. Für die erfolgreiche Bewältigung dieses Entwicklungsschritts wird nicht nur eine altersentsprechende kognitive und körperliche Entwicklung benötigt. Schulanfänger müssen auch in der Lage sein, ihr Verhalten an die neuen Regeln und Strukturen anzupassen (Koglin & Petermann, 2008). Kinder mit einer Verhaltensstörung haben häufig Schwierigkeiten diese Anpassung vorzunehmen und es besteht die Gefahr einer frühen Beeinträchtigung des schulischen Werdegangs: Betroffene Kinder werden von Lehrkräften bezüglich des Lern- und Unterrichtsverhaltens signifikant schlechter eingestuft (Massetti et al., 2008), stehen in ihrer kognitiven Entwicklung bis zu zwei Jahre hinter ihren Klassenkameraden zurück (Green, McGinnity, Meltzer, Ford & Goodman, 2005) und bleiben häufiger und länger vom Unterricht fern als verhaltensunauffällige Kinder (Green, McGinnity, Meltzer, Ford & Goodmann, 2005). Obwohl Verhaltensstörungen im Einschulungsalter keine Seltenheit sind (Elberling, Linneberg, Olsen, Goodman & Skovgaard, 2010; Kuschel, Heinrichs, Bertram, Naumann & Hahlweg, 2008), besteht im deutschsprachigen Raum noch immer Forschungsbedarf bezüglich etablierter präventiver Maßnahmen und die Möglichkeit der Umsetzung einer flächendeckenden Früherkennung von Verhaltensstörungen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Mit der schulärztlichen Eingangsuntersuchung (SEU) existiert eine groß angelegte Maßnahme zur Feststellung von Förderbedarf im Einschulungsalter, in der ein Screening nach Verhaltensstörungen eingesetzt werden könnte, wodurch aufgrund ihrer gesetzlich verbindlichen Teilnahme aller Einschulungskinder (z.B. §36 Abschnitt 4 BremSchulG) eine flächendeckende Erfassung der Einschulungskohorte ermöglicht wird. Obwohl ein Screening nach psychosozialen Defiziten in der frühen Kindheit heutzutage als unverzichtbar angesehen wird (Wiedebusch & Petermann, 2011), sehen einige Bundesländer bislang noch kein Screening nach Verhaltensstörungen in der SEU vor. So verzichtet beispielsweise Berlin bislang auf die Erhebung der psychosozialen Gesundheit im Rahmen der SEU (Senatsverwaltung für Gesundheit, 2011). In der SEU in Bremen wird seit 2010 der schnell und einfach einsetzbare Strength and Difficulties Questionnaire (SDQ; Goodman, 1997) als Screeningverfahren eingesetzt (Gesundheitsamt Freie Hansestadt Bremen, 2010), der mit nur 25 Items eine große Bandbreite kindlichen Problemverhaltens schnell und einfach erfasst. Um bei einem auffälligen Screeningbefund die Wartezeit bis zur differenzierten psychologischen Abklärung zu verringern, wurde zeitgleich eine Kooperation des Gesundheitsamts mit der Psychotherapeutischen Kinderambulanz der Universität Bremen ins Leben gerufen. 8.4 Ziele Auf Grundlage des oben beschriebenen Forschungsstands und des Kooperations68 Schuleingangsdiagnostik projekts des Gesundheitsamts Bremen mit dem ZKPR der Universität Bremen, untersucht das Projekt, ob Kinder mit klinisch bedeutsamen Verhaltensauffälligkeiten durch die SEU zuverlässig identifiziert werden und ob betroffene Kinder von den nach der SEU ansetzenden weiterführenden Diagnostik und den angebotenen Fördermaßnahmen ausreichend profitieren. Aufgrund der zunehmenden Kritik am zeitlichen Setting der SEU stellt sich dabei weiterhin die Frage, ob das Verhaltensscreening nicht bereits ein Jahr vor der Einschulung stattfinden sollte, um betroffenen Kindern die Zeit zu geben, sich noch vor Schulbeginn einer Fördermaßnahme zu unterziehen. Daher soll auch untersucht werden, ob es Kindern mit einer Verhaltensstörung gelingt, sich durch eine während der ersten Klasse einsetzende Förderung an das Leistungsniveau verhaltensunauffälliger Gleichaltriger anzunähern. 8.5 Methodisches Vorgehen Die Überweisung von verhaltensauffälligen Schulanfängern an die Hochschulambulanz der Universität Bremen wird seit der SEU 2010 durchgeführt. Das Forschungsprojekt begann am 01.05.11 und wird in Form einer Fall-Kontroll-Studie zur Untersuchung der psychosozialen Entwicklung von verhaltensauffälligen und -unauffälligen Kindern über das erste Schuljahr mit Kohortensequenzdesign umgesetzt. Fallgruppe. Die Rekrutierung der Fallgruppe erfolgt 2011 und 2012 anhand des Patientenaufkommens der Hochschulambulanz, bei denen in der SEU der Verdacht auf das Vorliegen einer Verhaltensstörung festgestellt wurde. Nach einem Jahr erhalten alle untersuchten Kinder eine Einladung zur erneuten psychodiagnostischen Überprüfung. Das schriftliche Einverständnis der Eltern zur wissenschaftlichen Verwendung des Datenmaterials wurde eingeholt. Kontrollgruppe. Die Kinder der Kontrollgruppe wurden über die Ausgabe von Infomaterial in Kindergärten in allen Stadtgebieten Bremens, sowie die Veröffentlichung von Zeitungsinseraten rekrutiert. Eingeschlossen wurden Kinder, die im Elternurteil unauffällige SDQ-Werte erzielten und sich zur Zeit der Untersuchung nicht aufgrund von psychosozialen Schwierigkeiten in einer Verhaltenstherapie befanden. Nach Abschluss der ersten Klasse, erhalten alle Kinder der Kontrollgruppe eine Einladung zum zweiten Messzeitpunkt. Material zu Messzeitpunkt 1. Die Verhaltensbeurteilung vor Schulbeginn erfolgt nach den Diagnosekriterien des ICD-10 und setzt sich aus einer ausführlichen Anamnese, der Verhaltensbeobachtung durch den Diagnostiker sowie einer situationsübergreifenden Befragung von Eltern und Erziehern anhand des SDQ und Fremdbeurteilungsbögen des Diagnostik-Systems für psychische Störungen (DISYPSII; (Döpfner, Görtz-Dorten, Lehmkuhl, Breuer & Goletz, 2008)) zu ADHS, Störungen des Sozialverhaltens und Angststörungen, zusammen. Weiterhin wird das kognitive Leistungsniveau über die Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence-III 69 Schuleingangsdiagnostik (WPPSI-III; Petermann, F., 2011b) überprüft. Aufgrund der bekannten Zusammenhänge zwischen Verhaltensstörungen, kognitiven Defiziten und entwicklungsbedingten Koordinationsstörungen (Kastner & Petermann, 2010) erfolgt weiterhin ein entwicklungsneurologisches Screening anhand der Movement Assessment Battery for Children (M-ABC-II; Petermann, F., 2011a). Material zu Messzeitpunkt 2. Die Verhaltensbeurteilung nach der ersten Klasse erfolgt wie zu Messzeitpunkt 1. Aufgrund des angehobenen Alters der Versuchspersonen wird das kognitive Leistungsniveau zu Messzeitpunkt 2 über die Wechsler Intelligence Scale for Children (WISC-IV; Petermann, F., 2011b) überprüft. Weiterhin wird erneut der Movement Assessment Battery for Children (M-ABC-II; Petermann, F., 2011a) eingesetzt. Zur Überprüfung des Schulerfolgs wird die Lehrereinschätzliste für Sozial- und Lernverhalten (LSL; Petermann & Petermann, 2006) an die Lehrer ausgegeben. 8.6 Ergebnisse Nach der SEU 2011 in Bremen erhielten 130 (3.38%) der 4212 untersuchten Kinder eine Überweisung in die Hochschulambulanz der Universität Bremen zur psychologischen Abklärung. Von diesen 130 Kindern wurden 81 zur psychologischen Diagnostik angemeldet, 13 erschienen nicht zu den vereinbarten Terminen. Eine Diagnostik wurde aus Krankheitsgründen abgebrochen. Insgesamt konnte bei 67 Schulanfänger (20 w; 47 m) eine vollständige Diagnostik durchgeführt werden. Das durchschnittliche Alter lag bei 75.4 Monaten. Die Termine für den zweiten Messzeitpunkt wurden vergeben und finden aktuell statt. Die Erhebung der Kontrollstichprobe zu Messzeitpunkt 1 konnte mit 54 Schulanfängern abgeschlossen werden. Die Termine für den zweiten Messzeitpunkt werden kommendes Frühjahr vereinbart. 8.7 Literatur Döpfner, M., Görtz-Dorten, A., Lehmkuhl, G., Breuer, D. & Goletz, H. (2008). Diagnostik-System für psychische Störungen nach ICD-10 und DSM-IV für Kinder und Jugendliche. Bern: Huber. Elberling, H., Linneberg, A., Olsen, E., Goodman, R. & Skovgaard, A. (2010). The prevalence of SDQ-measured mental health problems at age 5-7 years and identification of predictors from birth to preschool age in a Danish birth cohort: The Copenhagen Child Cohort 2000. European Child & Adolescent Psychiatry, 19, 725-735. Gesundheitsamt Freie Hansestadt Bremen. (2010). 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Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 61, 691-705. 71 ADHS-E 9 Konstruktion, Normierung und Validierung des ADHSScreening für Erwachsene (ADHS-E) 9.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiter Dr. Sören Schmidt Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann Kooperationspartner Dr. Paul Brieler, Institut für Schulungsmaßnahmen, Hamburg, Prof. Dr. Elmar Brähler, Selbstständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universität Leipzig Zeitraum 01.07.2007 - 30.06.2009 Finanzierung Pearson Assessment, Frankfurt und Eigenmittel der Universität Bremen und Leipzig 9.2 Zusammenfassung Ziel des Projektes war die Etablierung eines Verfahrens, das Symptome einer ADHS bei Erwachsenen auf der Basis der diagnostischen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) sowie der Kriterien nach ICD-10 und DSM-IV-TR dokumentiert. Die Erfassung erfolgt dimensional (T-Werte und Prozentränge) und ermöglicht eine differenzierte Problemanalyse über verschiedene Subskalen und einem Gesamtwert (globale Beeinträchtigung). Das ADHS-Screening für Erwachsene besteht aus zwei Fragebögen: Das ADHS-E als Kernscreening mit 25 Items (5 Subskalen) und das ADHS-LE als Fragebogenlangform mit 64 Items (7 Subskalen und ein Substanzmittelscreening). 73 ADHS-E 9.3 Stand der Forschung ADHS ist eine Lebensspannenerkrankung, die ihren Ausdruck in einer grundlegenden Beeinträchtigung der Symptomtrias Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität findet. Betroffene Kinder erfüllen mit einer Prävalenz von etwa 2% teilweise schon im Vorschulalter die diagnostischen Kriterien (Petermann & Toussaint, 2009; Schlack, Hölling, Kurth & Huss, 2007), die stärkste Häufung findet sich mit eine Prävalenz zwischen 4 und 10% im Grundschulalter (Schmidt et al., 2012), wobei die hohe Varianz unter anderem auch auf die Unterschiede zwischen den eingesetzten diagnostischen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV-TR zurückzuführen ist. Im Erwachsenenalter sind etwa 3 und 5% von einer ADHS betroffen (Schmidt & Petermann, 2009b; Schmidt, Waldmann, Petermann & Brähler, 2010), im USamerikanischen Raum ist der Anteil betroffener Erwachsener mit bis zu 7,3% noch höher ausgeprägt (Turgay et al., 2012). Für das Erwachsenenalter erschwert das Fehlen expliziter Diagnosekriterien eine diagnostische Eingrenzung der Symptome (klinische Diagnose). Die von ICD-10 und DSM-IV geforderten Symptomtrias stellen im Erwachsenenalter häufig nicht mehr den Problemschwerpunkt dar; vielmehr leiden Betroffene an den daraus resultierenden Beschwerden. Zur diagnostischen Unterstützung eignen sich die diagnostischen Leitlinie, basierend auf einem Expertenkonsensus der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN). Dies beinhalten beispielsweise auch die im US-amerikanischen Raum eingesetzten Utah-Kriterien (Wender, 2000), die sich explizit an das pathologische Erscheinungsbild einer ADHS bei Erwachsenen richten. Neben der ADHS-Symptomtrias werden auch Desorganisation, Affektlabilität, mangelnde Affektkontrolle und Stressintoleranz als diagnoserelevante Kriterien angeführt; es gibt im deutschsprachigen Raum jedoch kaum diagnostische Verfahren, die sich an diesen Kriterien orientieren. Diese Lücke sollte durch das ADHS-E geschlossen werden 9.4 Ziele Ziel des Forschungsprojektes ist die Entwicklung eines Testverfahrens, welches unter Einbezug erwachsenenspezifischer Diagnosekriterien eine valide Aussage zur Symptombelastung durch ADHS ermöglicht. Dabei soll das Verfahren nicht allein kriterienorientiert vorgehen, sondern auch Aussagen zum Schweregrad eine Belastung durch ADHS ermöglichen. Dies hat eine hohe Praxisrelevanz, da auf diese Weise die Möglichkeit zur Veränderungsmessung gegeben ist. Ziel ist ein Verfahren, dass auf der Basis einer hohen psychometrischen Güte und unter Einbezug von Normwerten (T-Werte und Prozentränge) eine möglichst breite Aussage zu Beeinträchtigungen durch ADHS-Symptome ermöglicht. 74 ADHS-E 9.5 Methodisches Vorgehen Die erste Version des Verfahrens (BAS-E; vgl. Schmidt, Brücher & Petermann, 2006) wurde einer Patientenstichprobe vorgelegt um die psychometrische Güte zu überprüfen (Item- und Faktorenanalysen). Anschließend wurden die Fragebögen (eine Kurzform [ADHS-E] und eine Langform [ADHS-LE]) an verschiedenen Stichproben normiert. Parallel dazu wurden Studien durchgeführt, die der Validierung des ADHSE dienten. Testkonstruktion. Die Itemanalysen wurden im Winter 2007/2008 realisiert. Die Konstruktionsversion BAS-E wurde einer Patientenstichprobe vorgelegt, die sich mit Verdacht auf eine ADHS in der Institutsambulanz des AMEOS Klinikum Dr. Heines in Bremen einfanden. Für die statistische Weiterverarbeitung wurden nur Fragebögen von den Patienten berücksichtigt, bei denen sich die Diagnose einer ADHS bestätigte. Aus den Item- und Faktorenanalysen entstanden zwei verschiedene Fragebogenversionen. Die Kurzform (ADHS-E) beinhaltete 25 Items, die sich auf fünf Problemskalen verteilen. Die Fragebogenlangform (ADHS-LE) umfasste 64 Items und ermöglicht eine Einordnung der Problemlage auf sieben Dimensionen. Beide Fragebogenformen ermöglichen die Berechnung eines Gesamtwerts, der eine Aussage über die globale Beeinträchtigung durch die Symptome zulässt. Normierung und Validierung. Die Normierung des ADHS-E erfolgte im Juli 2008 an einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe von N=1845 Personen. Die Daten wurden vom Markt-, Meinungs-, und Sozialforschungsinstitut USUMA (Berlin) erhoben. Zeitgleich wurden Normwerte für das ADHS-LE an einer nicht-klinischen Vergleichspopulation erhoben und berechnet (N=1296). Diese Daten entstammen dem Institut für Schulungsmaßnahmen (IFS), Hamburg. 9.6 Ergebnisse Eine a priori festgelegte Skalenzuordnung konnte mittels explorativer Faktorenanalysen bestätigt werden. Die Items beider Fragebögen verfügen über eine angemessene Itemschwierigkeit, hohe Trennschärfen und eine insgesamt sehr zufriedenstellende Reliabilität (interne Konsistenz [Cronbachs α] zwischen α = .86 und α = .93; Split-Half-Reliabilität in beiden Fragebögen bei rk = .83; Retest-Reliabilität zwischen rtt = .53 und rtt = .95). Unter Einbezug von klinischen- und Normdaten bescheinigen multivariate Analysen dem Verfahren eine insgesamt eine hohe konvergente und diskriminante Validität. Mittels ROC-Analysen wurden Sensitivität und Spezifität berechnet. Diese fiel für beiden Verfahren ausgezeichnet aus (Schmidt, 2009; Schmidt & Petermann, 2009a; Schmidt & Petermann, 2011). 75 ADHS-E 9.7 Literatur Petermann, F. & Toussaint, A. (2009). Neuropsychologische Diagnostik bei Kindern mit ADHS. Kindheit und Entwicklung, 18, 83-94. Schlack, R., Hölling, H., Kurth, B.M. & Huss, M. (2007). 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Beschwerden-Liste (B-LR) 10.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Prof. Dr. Detlev von Zerssen, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München Mitarbeiter Dr. Sören Schmidt Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann Kooperationspartner Prof. Dr. Elmar Brähler, Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universität Leipzig Zeitraum 01.03.2010 - 31.04.2011 Finanzierung Hogrefe Verlag, Göttingen 10.2 Zusammenfassung Sowohl die Beschwerden-Liste (Bf-SR) als auch die Befindlichkeits-Skala (B-LR) haben in der Psychiatrie, der Klinischen Psychologie und der Medizin eine lange Tradition. Beide Verfahren sind seit mehr als 35 Jahren im klinischen Einsatz und haben sich dort in hohem Maße bewährt (vgl. v. Zerssen, 1975, 1976). Um sowohl Bf-SR als auch B-LR weiterhin den aktuellen klinisch diagnostischen Ansprüchen gerecht werden zu lassen, wurde eine grundlegende Revision angestrebt. Diese umfasste eine Umformulierung einzelner Items, eine erneute Überprüfung der Itemgüte (Itemschwierigkeit und Trennschärfe), der Dimensionalität sowie der klinischen Eignung. 79 Bf-SR und B-LR 10.3 Stand der Forschung Der Begriff „Befindlichkeit“ kann als ein zentraler Zustand aufgefasst werden, welcher in der Literatur in verschiedener Art und Weise verwendet und diskutiert wird. Neben verschiedenen Ansätzen in der Definition von Befindlichkeit, die sich an den Disziplinen orientieren, in denen der Begriff verwendet wird (z.B. kulturwissenschaftliche Definition vs. medizinisch-psychiatrische Definition), besteht ein Konsens darin, dass Befindlichkeit eher eine Konsequenz denn eine Grundlage von Verhalten darstellt und zentrale Komponenten des subjektiven Empfindens von Emotionen und deren kognitiver Bewertung (unter anderem) eine Rolle spielen (z.B. Kleinert, Golenia & Lobinger, 2007). Dabei kann nach Schumacher, Klaiberg und Brähler (2003) die emotionale Komponente in die Teilkomponenten „Positiver Affekt“, „Negativer Affekt“ sowie „Glück“ (als längerfristiger positiver Affekt) unterteilt werden. Die kognitive Komponente umfasst sowohl globale als auch bereichsspezifische Lebenszufriedenheit und stellt eher einen längerfristig andauernden Zustand (Trait) dar, als es bei der emotionalen Komponente (State) der Fall ist (vgl. DeNeve & Cooper, 1998). Im Hinblick auf die psychodiagnostische Erfassung von Befindlichkeit ist die zeitliche Komponente von Bedeutung. So lässt sich Wohlbefinden in einen aktuellen Zustand und einen habituellen Zustand unterteilen (vgl. Becker, 1994). Während sich der aktuelle Zustand ausschließlich auf das momentane Erleben einer Person bezieht, umfasst der habituelle Zustand das allgemeine Wohlbefinden mit einem zeitlichen Bezug auf die letzten Wochen und Monate. Die Bf-SR fokussiert dabei das momentane Erleben und ermöglicht damit dem Diagnostiker einen Überblick zum aktuellen Zustand. Die Beschwerden-Liste zielt demgegenüber auf einen eher habituellen Zustand ab, indem mit diesem Fragebogen verschiedene Formen von subjektiven Beschwerden erfasst werden, die auch eine höhere zeitliche Stabilität aufweisen können. Beschwerden (oder auch Symptome) stellen im diagnostischen Prozess die kleinste Einheit operationalisierbarer Informationen dar und signalisieren Veränderungen oder auch Störungen von grundlegenden Eigenschaften oder Funktionen (vgl. Payk, 2010). Sie lassen sich zum einen durch die psychometrische Ermittlung von „beobachtbaren“ Symptomen ermitteln, zum anderen über die Schilderung von individuell erlebten Beschwerden auf Seiten des Patienten. Die Einordnung und Interpretation von Symptomen in das individuelle Lebensumfeld des Patienten dient dann als Handlungsgrundlage für den weiteren diagnostischen und später therapeutischen Prozess. Ähnlich der Bf-SR hat sich die B-LR sowohl in der somatischen Medizin, der klinischen Psychologie als auch der Psychiatrie etabliert und ist ebenfalls seit über 35 Jahren im Einsatz. Erfasst werden überwiegend körperliche und Allgemeinbeschwerden, sodass insbesondere Patienten mit chronischen Erkrankungen angesprochen werden (Conrad et al., 2000; Strittmatter et al., 2005; Waanders, Tautermann & König, 1997; Zimmermann et al., 2010). Da somatische Beschwerden häufig mit psychischen Störungen einhergehen, liefert die B-LR auch hier wichtige Informa80 Bf-SR und B-LR tionen zur subjektiven Einschätzung des Gesundheitszustands (Ayen & Hautzinger, 2004; Denecke et al., 1995; Fehm, Beesdo, Jacobi & Fiedler, 2008; Schmidt, Waldmann, Petermann & Brähler, 2010). 10.4 Ziele Ziel des Forschungsprojektes ist die grundlegende Überarbeitung beider Fragebögen und die Adaption der Items an den aktuellen klinisch-diagnostischen Standard. Da es sich bei beiden Fragebögen um etablierte Instrumente handelt, bestand das primäre Ziel nicht darin, die Fragebögen völlig neu zu konzipieren. Vielmehr stellte eine sprachliche Anpassung der Items sowie eine Re-Analyse der psychometrischen Güte beider Verfahren das Kernelement des Projekts dar. Um letztlich die Aktualität einer diagnostischen Aussage zu gewährleisten, wurden beide Verfahren an einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe neu normiert und validiert. 10.5 Methodisches Vorgehen Nach erfolgter sprachlicher Überarbeitung der Items wurden einzelne Items entfernt, da diese entsprechend des diagnostischen Standards nicht mehr zeitgemäß erschienen oder redundante Informationen erfassten. Anschließend erfolgte eine Neuerhebung und Berechnung der Normdaten, eine grundlegende Re-Analyse der Itemgüte sowie eine umfassende Validierung. Normierung und Validierung. Die Normierung von Bf-SR und B-LR erfolgte im April 2010 an einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe (N=2504). Die Erhebung der Daten wurde über das Markt, Meinungs- und Sozialforschungsinstitut USUMA (Berlin) realisiert. Da die Fragebögen in beiden Verfahren über eine Parallelversion verfügen (Bf-SR und Bf-SR‘; B-LR und B-LR‘) erfolgte die Normierung in zwei Wellen. In der ersten Befragungswelle erhielten N=1235 Personen die Bf-SR und N=1230 die BLR. In der zweiten Befragungswelle wurde ausschließlich die Parallelform eingesetzt, so dass N=1269 Personen die Bf-SR‘ und N=1267 die B-LR‘ erhielten. Anschließend erfolgten die Berechnung der psychometrischen Güte, der Dimensionalität sowie der faktoriellen und klinischen Validität. 10.6 Ergebnisse Basierend auf der Forderung eines möglichst geringen Unterschiedes, wurde im Rahmen einer Diskriminanzanalyse der Koeffizient Wilks Lambda (λ) berechnet. Sowohl für die Parallelformen in der Bf-SR und in der B-LR ließ sich eine außergewöhn81 Bf-SR und B-LR lich hohe Ausprägung des Koeffizienten feststellen (λ = 1, p = n.s.), so dass angenommen werden kann, dass sowohl Grund- als auch Parallelform die gleichen Merkmale erfassen. Die Itemmittelwerte lagen in allen Fragebögen zwischen = 40 und = 46. Die Itemtrennschärfen lagen zwischen rit = .57 und rit = .68. Für die Reliabilität wurden die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha; Werte zwischen .93 und .94) und die Split-Half-Reliabilität (mit Spearman-Brown-Korrektur; Werte zwischen .90 und .93) berechnet. Alle Fragebögen liegen hier in einem sehr guten Bereich. Die Validierung erfolgte in zwei Schritten. Zunächst wurde die faktorielle Validität bestimmt, indem Bf-SR und B-LR mit verschiedenen konstruktnahen und konstruktfernen Verfahren einer gemeinsamen Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation) unterzogen wurden. Hier zeigte sich, dass sowohl Bf-SR als auch B-LR mit verschiedenen Verfahren zur Erfassung psychischer Belastung auf einem gemeinsamen Faktor luden (konvergenter Faktor), während die konstruktfernen Verfahren auf einem separaten Faktor luden (divergenter Faktor). Somit konnte die Forderung an konvergente und divergente Validität bestätigt werden. Als ein weiterer Schritt wurden für beide Verfahren Gruppenvergleiche berechnet, in welchen eine Zufallsstichprobe aus dem Normdatensatz mit einer klinisch auffälligen Gruppe verglichen wurde. Dabei ergab sich ein signifikant höherer Belastungswert auf Seiten der klinisch auffälligen Gruppe, so dass die Aussage zulässig ist, dass sich Bf-SR und B-LR gleichermaßen zur trennscharfen Erfassung psychischer Belastung eignen (vgl. v. Zerssen & Petermann, 2011a, 2011b) 10.7 Literatur Ayen, I. & Hautzinger, M. (2004). Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im Klimakterium. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 33, 290299. Becker, P. (1994). Theoretische Grundlagen. In A. Abele & P. Becker (Hrsg.), Wohlbefinden. Theorie - Empirie - Diagnostik (S. 13-19). Weinheim: Juventa. Conrad, R., Bodeewes, I., Schilling, G., Geiser, F., Imbierowicz, K. & Liedtke, R. (2000). Chorioretinopathia centralis serosa und psychische Belastung. Der Ophthalmologe, 97, 527-531. 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Die Befindlichkeitsskala in revidierter Version - die Parallelformen Bf-SR und Bf-SR'. Göttingen: Hogrefe. Zerssen, D. v. & Petermann, F. (2011). Die Beschwerden-Liste in revidierter Fassung. Göttingen: Hogrefe. 83 ET 6-6-R 11 Revision des Entwicklungstests ET 6-6: Der ET 6-6-R 11.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiter Dr. Thorsten Macha Kooperationspartner Prof. Dr. Heinrich Tröster, Universität Dortmund, Fakultät Rehabilitationswissenschaften Prof. Dr. Udo Rudolph, TU Chemnitz, Institut für Psychologie Prof. Dr. Ronald G. Schmid, Zentrum für Kinder und Jugendliche, Altötting Dr. Rainer Hasmann, Sozialpädiatrisches Zentrum Kohlhof Zeitraum 01.08.2008 - 31.12.2012 Finanzierung Pearson Assessment, Eigenmittel 11.2 Zusammenfassung Im Zuge einer anstehenden Aktualisierung der Testnormen erfolgte eine Weiterentwicklung des ET 6-6. Hierbei konnte unter Beibehaltung seiner günstigen Eigenschaften wie seiner hohen Praktikabilität und der hohen Testmotivation der Kinder eine Erhöhung des Standardisierungsgrades sowie der Differenzierungsfähigkeit erzielt werden. Kritikpunkte an den Skaleneigenschaften (z.B. Dokumentationslücke zur Reliabilität) konnten ausgeräumt werden, die Auswertung wurde dabei an psychometrisch gängige Standardwerte (Skalen-Entwicklungsquotienten: 10/3; Gesamt-Entwicklungsquotient: 100/15) angepasst und realisiert somit eine einfachere Interpretation von Testergebnissen, eine präzisere Indikationsstellung sowie eine bessere Vergleichbarkeit mit den Ergebniswerten anderer Leistungstests. 85 ET 6-6-R 11.3 Stand der Forschung In den Jahren 1994 bis 2000 wurde am ZKPR der Universität der allgemeine Entwicklungstest für Kinder von sechs Monaten bis sechs Jahren (ET 6-6) konstruiert. Das Verfahren untersucht in 12 Altersgruppen entwicklungsrelevante Leistungen von Kindern in den Bereichen Körper- und Handmotorik, Kognitive Entwicklung und Sprache sowie der Sozialentwicklung und der emotionalen Entwicklung. Der ET 6-6 hat sich seit dem Jahr 2000 als ein Standardverfahren zur Erfassung des Entwicklungsstandes von Kindern im deutschen Sprachraum etabliert. Entwicklungstests identifizieren entwicklungsauffällige Kinder und stellen die Art und das Ausmaß von Entwicklungsstörungen und Entwicklungsverzögerungen dar und liefern eine wichtige Grundlage bei der Indikationsstellung in Bezug auf die Komplexleistung Frühförderung (SGB IX) sowie in Bezug auf spezifische Entwicklungsförderung und Therapie (z.B. Ergotherapie, Physiotherapie, Sprachtherapie). Die psychometrische Entwicklungsdiagnostik blickt auf eine nunmehr hundertjährige Geschichte zurück und lässt sich in ihren Anfängen zurückführen auf die Verfahren von Binet und Simon (1905 a-c). Dabei haben sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte unterschiedliche inhaltliche Anknüpfungspunkte und, teilweise dadurch beeinflusst, charakteristische Konstruktionsmerkmale von Entwicklungstests in drei unterschiedlichen Testformen (vgl. Macha & Petermann, 2006a) manifestiert: • die Entwicklungs-Stufenleiter, • die Entwicklungs-Testbatterie sowie • das Entwicklungs-Inventar. Jede dieser Testformen weist aufgrund ihrer Konstruktionsmerkmale besondere Voraussetzungen bei der Durchführung auf und generiert charakteristische Testaussagen. Die Stärken und Kritikpunkte an den verschiedenen Testformen wurden in der deutschsprachigen Literatur in den letzten Jahren rege diskutiert (zusammenfassend s. Petermann & Macha, 2008a). Der ET 6-6 war als ein Inventar ausgelegt, das heißt er erhebt eine große inhaltliche Vielfalt entwicklungsrelevanter Leistungen und Fertigkeiten in inhaltlich heterogenen Skalen. Dies gewährleistet einen abwechslungsreichen Testverlauf und somit eine hohe Testmotivation auch bei schwierig zu untersuchenden Kindern. Eine besondere Schwierigkeit weist jedoch die Reliabilitätsbestimmung von inhaltlich heterogenen Tests auf, da die klassischen methodischen Zugänge der Reliabilitätsbestimmung (Retest- und Splithalf-Reliabilität sowie innere Konsistenz; vgl. Lienert und Raatz, 1998, S. 175ff) bei sich über die Zeit verändernden Merkmalen in heterogene Skalen zu einer Unterschätzung der „wahren Reliabilität“ führen, auch wenn heterogene Tests „mit praktischen Validitätskriterien oft höher korrelieren als homogene Tests“ (Lienert & Raatz, 1998, S. 203). Ein weiterer Reliabilitätsaspekt, die Paralleltestreliabilität, scheidet bei der Ermittlung der Reliabilität des ET 6-6 aus, da keine Parallelversion vorliegt. Die Reliabilität des ET 6-6 lässt sich somit indirekt an86 ET 6-6-R hand von Studien zur Validität einschätzen: Die Art und das Ausmaß, in dem ein Entwicklungstest inhaltlich plausible entwicklungspsychologische sowie klinische Erkenntnisse darzustellen vermag definiert indirekt auch seine Reliabilität. Macha und Petermann (2006b) fordern somit eine punktuelle Validierungsstrategie für Entwicklungstests, insbesondere auch um indirekt die Reliabilität von EntwicklungsInventaren einzuschätzen. 11.4 Ziele Die Zielsetzungen bei der Revision des ET 6-6 konzentrierten sich insbesondere auf • • • • • 11.5 die Beibehaltung oder gar Erhöhung der bereits guten Praktikabilität des Tests, die Erhöhung des Standardisierungsgrades der einzelnen Aufgaben, die Erhöhung der Differenzierungsleistung seiner Ergebniswerte, die Aktualisierung der Normen sowie die Optimierung seiner psychometrischen Eigenschaften. Methodisches Vorgehen Zu Beginn der Arbeiten zum ET 6-6-R lag der ET 6-6 mit einem Aufgabenpool von insgesamt 180 Aufgaben über die Altersspanne von 6 Monaten bis 6 Jahren vor. Dabei waren die verschiedenen Entwicklungsbereiche in den unterschiedlichen Altersgruppen jedoch durch zum Teil deutlich unterschiedliche Item-Anzahlen repräsentiert, was wiederum zu stark abweichender psychometrischer Qualität der Skalen führte. So wurde in einem ersten Arbeitsschritt zum ET 6-6-R eine ItemDatenbank erstellt, in die über 1000 Items aus etablierten Leistungstests eingingen. Ein besonderes Problem im Hinblick auf die Item-Auswahl bestand darin, dass verschiedene Test vordergründig sehr ähnliche Testaufgaben durchführen, dabei aber sehr verschiedene Normdaten präsentieren. Hierzu ein Beispiel: Alle BreitbandEntwicklungstests weisen für das zweite Lebensjahr eine Aufgabe „Das Kind stapelt zwei Würfel“ auf, jedoch mit zum Teil drastisch voneinander abweichenden Normangaben: nach den Denver-Skalen (Flehmig, Schloon, Uhde & v. Bernuth, 1973) lösen 90% aller Kinder die Aufgabe mit 18,7 Monaten, nach den Griffiths-Skalen (Brandt & Sticker, 2001) lösen 95% aller Kinder die Aufgabe bereits mit 15 Monaten. Dieser Unterschied ist im Wesentlichen auf die unterschiedlichen Durchführungsbedingungen zurückzuführen: Während die Rahmenbedingungen (Körperhaltung, Sitzposition, Beschaffenheit der Unterlage) in den Denver-Skalen nicht weiter spezifiziert sind, erfolgte bei den Griffiths-Skalen eine präzise Standardisierung. Solche 87 ET 6-6-R Unterschiede wurden in der Item-Datenbank sorgfältig berücksichtig, so dass eine gute empirische Fundierung entwicklungspsychologisch begründbarer Entwicklungsschritte gewährleistet war. In diesem Zusammenhang wurde auch deutlich, dass der Standardisierungsgrad der bisherigen ET 6-6-Aufgaben noch Optimierungspotential bot. Aus diesem Grund wurde das Beschreibungsvolumen der einzelnen ursprünglichen Testaufgaben durchschnittlich um den Faktor zwei bis drei erhöht. Auf diese Weise wurde die Durchführungs- und Beurteilungsobjektivität des Tests spürbar erhöht und an höchste psychometrische Standards angepasst. Die Gesamt-Item-Menge des ET 6-6R wurde zur Erhöhung der Differenzierungsleistung von ursprünglich 180 auf nun 245 Items erhöht, wobei es sich bei den neuen Aufgaben um 54 neue Testaufgaben und 11 neue Elternfragen handelt. Hierzu wurden zahlreiche neue Testmaterialien entworfen. Eine vorläufige Version des ET 6-6-R wurde nun zunächst an 200 Kindern in Bremen und im niedersächsischen Umland auf ihre Praktikabilität hin überprüft und auf seine Skaleneigenschaften hin untersucht. Es stellte sich heraus, das lediglich noch geringe Korrekturen notwendig wurden, so dass in den Jahren 2011 und 2012 eine Normierung mit 1053 Kindern mit der Unterstützung durch die o.a. Kooperationspartner erfolgen konnte. Hinsichtlich der Skalierung wurden beim ET 6-6-R folgende Änderungen vorgenommen: (1) Die kognitive Entwicklung, die Sprachentwicklung sowie die sozialemotionale Entwicklung wird nun jeweils in einer umfassenden Skala abgebildet, eine weitere Unterteilung wie beim ET 6-6 (z.B. Kognitive Entwicklung: Gedächtnis, Handlungsstrategien, Kategorisieren und Körperbewusstsein) wurde aufgrund der eher entwicklungspsychologischen, aber geringeren klinischen Relevanz aufgegeben. (2) In den einzelnen Skalen erfolgte eine bessere Ausbalancierung der Items nach ihren Schwierigkeiten. Der ET 6-6-R hat den Anspruch (a) einerseits auffällige Kinder zu identifizieren (Screening-Anliegen) sowie (b) andererseits vorliegend Entwicklungsdefizite differenziert abzubilden (gute Differenzierung im unteren Leistungsbereich). Somit wurden die Aufgabenzusammenstellungen in den einzelnen Bereichen so vorgenommen, dass grundsätzlich etwas 50% leichte Aufgaben (p > 70), 30% mittelschwere Aufgaben (70>p>35) sowie 20% schwierige Aufgaben (p<35) mit dem Kind durchgeführt werden. Somit weist der ET 6-6-R notwendige Konstruktionsmerkmale auf, um die typischen klinischen Fragestellungen der Entwicklungsdiagnostik zu beantworten (vgl. Petermann & Macha, 2003). 88 ET 6-6-R 11.6 Ergebnisse Die Gesamtdurchführungsdauer des Tests konnte erhalten werden, so dass Aspekte wie die Konzentrations- und Ausdauerleistung in den verschiedenen Altersbereichen nach wie vor angemessen berücksichtigt sind. Der Test konnte von den Untersuchern bei der Normierung bereits nach geringer Einarbeitungszeit objektiv und sicher durchgeführt und die Aufgaben sicher bewertet werden. Der Test erzielt wie angestrebt eine gute Differenzierungsleistung im klinisch relevanten unteren Leistungsbereich, dies jedoch um den Preis von Deckeneffekten. Dies definiert sein Einsatzgebiet für die klinische Diagnostik (vgl. Macha, Proske & Petermann, 2005). Die inhaltlich heterogenen Skalen weisen innere Konsistenzen im Bereich von .50 bis über .80 (Cronbachs Alpha) mit einer Häufung im Bereich um .70 bis .80 auf. Dies ist vor dem Hintergrund der Testanliegens einer Eignung als Entwicklungs-Screening einerseits und einer guten Differenzierungsleistung in einem weiten Leistungsbereich andererseits als sehr positiv zu bewerten. 11.7 Literatur Binet, A. & Simon, T. (1905a). Sur la nécessité d’établir un diagnostic scientifique des états inférieurs de l’intelligence. L’Année Psychologique, 11, 163-190. 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Frankfurt: Pearson Assessment. 90 WMS-IV 12 Adaptation und Normierung der Wechsler Memory Scale IV - Deutsche Version (WMS-IV) 12.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiterin Dr. Anja Lepach Zeitraum 01.06.2010 - 31.05.2012 Finanzierung Pearson Assessment 12.2 Zusammenfassung Der Wechsler Gedächtnistest - Vierte Version (WMS-IV) ist ein Einzeltestverfahren zur Erhebung verschiedener Gedächtnis- und Arbeitsgedächtnisfähigkeiten im Alter von 16 bis 90 Jahren. Anhand eines Gesamtstichprobenumfang von N = 1.040 aus 16 Bundesländern wurden Maße zur Standardisierung und Validierung des Verfahrens erhoben. Die für Geschlecht und Bildung repräsentative Normstichprobe umfasst 812 Personen für 14 Altersstufen. Die WMS-IV weist ein hohes Maß an Standardisierung für Durchführung und Auswertung auf (Interrater-Übereinstimmungen von 96% bis 97%). Die Indexwerte liefern in allen Altersgruppen überwiegend sehr hohe Reliabilitätsmaße ( .88 bis .98). Die Interkorrelationen der Untertests zu den Indizes fallen moderat bis hoch aus. Untertests die ähnliche Funktionen prüfen korrelieren höher. Faktorenanalytisch ließen sich die drei Hauptskalen (Auditives und Visuelles Gedächtnis, Visuelles Arbeitsgedächtnis) bestätigen. Klinische Vergleichsstichproben erbrachten signifikante Leistungsunterschiede zwischen Hirngesunden und klinischen Kontrollgruppen. 91 WMS-IV 12.3 Stand der Forschung Der Begriff „Gedächtnis“ ist Gegenstand diverser Theorien und Modellvorstellungen. Gedächtnis und Lernen sind eng miteinander verbunden, da das Gedächtnis das Endprodukt von bewussten oder unbewussten Lernprozessen ist. Squire (1987) beschreibt Lernen als die Prozesse die zur Aufnahme neuer Informationen führen, während das Gedächtnis für den Verbleib der Informationen und damit die Möglichkeit des späteren Abrufs steht. Das Gedächtnis ist also ein Indikator für vorherige Lernprozesse. Gängige traditionelle Modelle nehmen eine Unterteilung in Kurz- und Langzeitgedächtnis vor (Atkinson & Shiffrin, 1968). Sehr vereinfacht gesprochen wird dabei das Kurzzeitgedächtnis üblicherweise als ein Speicher betrachtet, der Informationen nur für wenige Sekunden bis Minuten bereit hält, während das Langzeitgedächtnis als überdauernder und vergleichsweise stabilerer Speicher gilt. Die Aufbereitung der externen Informationen in innere Gedächtnisrepräsentanzen bezeichnet man als Enkodierung. Die Konsolidierung umfasst die biologischen Prozesse die eine Verfestigung der Informationen ermöglichen (Squire & Butters, 1992). Beim Abruf werden die Informationen wieder als bewusst erlebbar bzw. als Erinnerung aufbereitet. Gedächtnisstörungen können bei jedem dieser Prozesse auftreten. Neben den von Atkinson und Shifrin beschriebenen Kurzzeitspeichervorstellungen, enthalten modernere Gedächtnistheorien komplexe Arbeitsgedächtnismodelle (z.B. Baddeley, 2000; Gathercole, 2008). Die Erfassung von visuellen und auditiven Gedächtnisleistungen sind eine elementarer Bestandteil neuropsychologischer Diagnostik (Lepach & Petermann, 2007, 2008; Lepach, Petermann & Schmidt, 2007; 2008). Die erforderlichen Teststandards sind in Leitlinien zur Gedächtnisdiagnostik definiert (Diener & Putzki, 2008; Thöne-Otto et al., 2010). Gefordert werden mindestens ein standardisiertes Verfahren zur Erfassung der Gedächtnisspanne und des Arbeitsgedächtnisses, je ein verbales und visuelles Verfahren zur Untersuchung der unmittelbaren und verzögerten Wiedergabe von Informationen sowie eine Überprüfung von Lernverläufen (z. B. Wortlisten-Lernen). Der Wechsler Gedächtnistest - Vierte Version (WMS-IV) ist ein Einzeltestverfahren zur Erhebung verschiedener Gedächtnis- und Arbeitsgedächtnisfähigkeiten im Alter von 16 bis 90 Jahren, der in Form einer Testbatterie die geforderten Bereiche umfassend prüft (s. Tab. 1). Die Deutsche Version der WMS-IV ist eine Adaptation der amerikanischen Version (Pearson, 2009). Die WMS-IV enthält neben dem Kognitiven Kurzscreening, insgesamt sechs weitere Untertests. Vier der Untertests (Logisches Gedächtnis, Verbale Paarerkennung, Muster Positionieren und Visuelle Wiedergabe) sind in zwei Phasen unterteilt: die unmittelbare Wiedergabe (I) und den Abruf nach Verzögerung (II) jeweils nach etwa 20 bis 30 Minuten. Einige Untertests beinhalten zudem auch optionale Aufgaben für zusätzliche Prozessinformationen 92 WMS-IV (Wiedererkennungsleistungen, zusätzliche Abrufformaten etc.). Tabelle 1: Abkürzungen und Beschreibungen der Untertests (Petermann & Lepach, 2012; S. 24f). Untertests/Abkürzung Beschreibung Kognitives Kurzscreening (16-90 Jahre) /KKS Logisches Gedächtnis (16-90 Jahre) / LG I LG II Optionales Screening; Überprüfung kognitiver Funktionen. Freie Wiedergabe von vorgelesenen Geschichten. Verbale Paarerkennung (16-90 Jahre) / VPI VP II Muster Positionieren (16-69) / MP I MP II Visuelle Wiedergabe (16-90 Jahre) / VW I VW II Räumliche Ergänzung (16-69 Jahre) / RE Symbolfolgen (16-90 Jahre) / SF Geschichten nacherzählen und „Ja oder Nein“-Fragen zur Wiedererkennung beantworten Ergänzung von dargebotenen Wortpaaren. Abruf nach Verzögerung, Wortpaarergänzung nach Wortauswahl. Raster mit Mustern wiedererkennen. Nach Verzögerung, die in MP I gesehenen Musteranordnungen wiedererkennen. Muster nachzeichnen. Nach Verzögerung Muster aus VW II wiedererkennen. Raster / Muster bilden. Reihenfolge von Symbolen wiedergeben. Die Untertests werden zu fünf Indizes zugeordnet: Auditives Gedächtnis (AUG), Visuelles Gedächtnis (VIG), Visuelles Arbeitsgedächtnis (VAGD), Unmittelbare Wiedergaben (UWG) und Verzögerte Wiedergabe (VWG). Die WMS-IV ist in zwei Testbatterien (Erwachsene I: 16-69 Jahre und Erwachsene II: 65-90 Jahre) unterteilt, die zusammen in insgesamt 14 Altersgruppen zwischen 16 und 90 Jahren differenzieren. Testbatterie II ist in Länge und Schwierigkeitsgrad an die Bedürfnisse älterer Menschen angepasst. 12.4 Ziele Ziel der Studie war eine repräsentative Standardisierung des Testverfahrens für den deutschsprachigen Raum (Normierung). Dies beinhaltete auch eine Überprüfung 93 WMS-IV sämtlicher relevanter Testgütekriterien, um Aussagen über Objektivität, Reliabilität und Validität des Verfahrens zu leisten. Die Studie sollte außerdem eine Basis für weitere Validierungsstudien und Erkenntnisse zu diversen Aspekten von Gedächtnisleistung über die Lebenspanne liefern. Sie knüpft daher inhaltlich eng an die hier ebenfalls berichtete Studie „Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Neuropsychologische Befunde zu diagnostischen Kriterien und differentialdiagnostischen Aspekten“ an, erweitert diese aber auf die gesamte Lebenspanne. 12.5 Methodisches Vorgehen Insgesamt wurden knapp 1.250 Personen zwischen 16 und 90 Jahren mit der deutschen Version der WMS-IV getestet. Davon blieben nach Bereinigung 1.040 Datensätze übrig, diese teilten sich in 812 Personen für die Normstichprobe und 228 Teilnehmer aus klinischen Stichproben auf. Folgende klinische Störungsbilder wurden in die Testungen einbezogen: ADHS (N = 16), Depression (F33 und F32 ICD-10; N = 44), Substanzmissbrauch F10-13 ICD-10; N = 15), diverse Hirnschädigungen (Schlaganfall, Schädelhirntrauma, Epilepsie, neurologische Störung; N = 91), leichte Intelligenzminderung (IQ <70; N = 15), Schizophrenie (F20 ICD-10; N = 17) und Demenz (Alzheimer, vaskuläre und andere Demenz, Korsakow; N = 30). Die klinischen Datensätze wurden in 11 Bundesländern, aber überwiegend in Bremen und Niedersachsen erhoben. Die Erhebung der Normstichprobe erfolgte in 16 Bundesländern und wurde diese wurde repräsentativ für Geschlecht und Bildung nach Zensus (Statistisches Bundesamt, 2011) stratifiziert. Für die Altersgruppen bis 64 Jahre wurde eine Gleichverteilung des Geschlechts zu Grunde gelegt, für die älteren Personen überwiegt der Frauenanteil (gemäß Zensus). Es wurde in vier Bildungsgrade unterschieden: < 8 J. (kein Abschluss, noch Schüler, Sonderschulabschluss); 8-9 J. (Volks- oder Hauptschulabschluss); 10-11 J. (Realschule, Polytechnische Oberschule; ≥ 12 J. (Fach- oder allgemeine Hochschulreife und ggf. Studium). Für die WMS-IV Testbatterie Erwachsene I (16-69 J.) wurden neun Altersgruppen (16-17, 18-19, 20-24, 25-29, 30-34, 35-44, 45-54, 55-64, 65-69) erhoben; für die Testbatterie Erwachsene II (65-90J.) fünf (65-69, 70-74, 75-79, 80-84, 85-90). Die Altersgruppe 65-69 J. ist in beiden Testbatterien enthalten und wurde anhand zwei verschiedener Stichproben erhoben. In die Normstichprobe wurden nur hirngesunde Personen (Kognitives Kurzscreening unauffällig) aufgenommen, die über für den Test ausreichend erforderliche Deutschkenntnissen verfügten. Außerdem durften sich während der Testdurchführung keine Hinweise auf besondere Einschränkungen, Auffälligkeiten oder Störungen ergeben. Für alle Teilnehmer wurden Einverständniserklärungen (ggf. durch gesetzliche Vertreter) eingeholt. 94 WMS-IV Eine Anonymisierung der Daten war durch eine Codierung gesichert. Alle Testungen wurden durch geschulte Testleiter durchgeführt und jeweils von zwei Experten unabhängig ausgewertet. Die Urteilerübereinstimmung lag bei über 95 %. Bei abweichenden Urteilen wurde eine dritte Expertise der Projektverantwortlichen eingeholt. Zusätzlich erfolgte eine stichprobenartige Gegenkontrolle durch diese. Für die Dateneingabe wurden eigene Datenbanken mit rückmeldender Eingabemaske erstellt, die fehlende Eingaben oder Eingaben außerhalb des erlaubten Wertebereichs anmahnten. Die Datensätze wurde systematisch auf fehlende Werte und außergewöhnliche Abweichungen kontrolliert und bereinigt. Im Anschluss an die Datenaufbereitung wurden die WMS-IV-Normdaten anhand inferentieller Normierungsmethoden entwickelt (Gorsuch, 2003; Roid, 2003, Wilkins, Rolfhus, Weiss & Zhu, 2005). Für jede Altersgruppe wurden diverse Momente (Mittelwerte [M], Standardabweichungen [SD] und Schiefe) berechnet und über das Alter hinweg geplottet. Dabei wurden diesen Daten mehrere polynomische Regressionsgraden, die von einer einfachen linearen bis hin zu Polynomen 4. Ordnung reichten, angepasst. Die jeweiligen Funktionen der entsprechenden WerteMomente wurden auf Grundlage ihrer Konsistenz mit zugrundeliegenden theoretischen Erwartungen und dem in der Normierungsstichprobe beobachteten Muster der abnehmenden Kurven gewählt. Die geschätzten Momente wurden dann zur Entwicklung theoretischer Verteilungen für die Normgruppen genutzt, um Perzentile für die Rohwerte zu erhalten. Diese Perzentile wurden in Standardwerte (Skalenwertpunkte) von 1-19 (M 10; SD 3) überführt. Die Progression der Standardwerte innerhalb und über die Altersgruppen hinweg wurde geprüft und kleinere Unregelmäßigkeiten geglättet (Petermann & Lepach, 2012). Für zusätzliche Untertest, die aufgrund ihrer Beschaffenheit (z.B. hohe Ratewahrscheinlichkeit bei allen Wiedererkennungsaufgaben, geringer Schwierigkeitsgrad für Hirngesunde) sehr schiefe, nicht normalverteilte Maße liefern, wurden anstelle von Skalenwerten kumulierte Prozentwertbereiche ausgegeben (≤2, 3-9,10-16, 17-25, 26-50, 51-75 und >75). Desweiteren wurden Kontrastskalenwerte für Leistungsvergleiche basierend auf der Methode nach Delis et al. (2001) erstellt. Lediglich anhand der alterskorrigierten Skalenwerte wurden anschließend die Summen der Untertestskalenwerte für jeden Index gebildet. Diese Summenwerte wurden wiederum in Skalensummenäquivalente überführt. Diesen resultierenden Skalenwertsummen wurde für jeden Index eine Skala mit Mittelwert 100 und Standardabweichung 15 zugewiesen. Dies wurde auf Basis kumulierter Häufigkeitsverteilungen für die wahren Skalenwertsummen der Indizes und deren Überführung in Skalenwertäquivalente erreicht. Zur Bestimmung der Testgüte wurden diverse Reliabilitätsmaße, Faktorenanalysen und Stichprobenvergleiche ermittelt. Eine ausführliche Darstellung findet sich bei Petermann und Lepach (2012). 95 WMS-IV 12.6 Ergebnisse Die Ergebnisse sind in Form des Testmanuals und weiterer Studien (siehe unten) veröffentlicht worden. An dieser Stelle soll lediglich eine kurze Zusammenfassung der Testgütekriterien erfolgen. Objektivität. Bei Einhaltung der Testvorgaben ist ein hohes Maß an Standardisierung für die Durchführung gegeben. Für die Untertests, die Entscheidungen des Beurteilers erfordern (Uhrenzeichnen, Visuelle Wiedergabe) wurden InterraterÜbereinstimmungen von 96% und 97% festgestellt. Es kann insgesamt von einer hohen Durchführungs- und Auswertungsobjektivität ausgegangen werden. Reliabilität. Die Untertests der WMS-IV unterscheiden sich u.a. in der Präsentationsform, Durchführung und der Art der geforderten Antwortformate. Dies nimmt Einfluss auf die Berechnung der Reliabilität (vgl. Strauss, Sherman & Spreen, 2006 für eine Übersicht zur Testgüte bei neuropsychologischen Testbatterien). Reliabilitäten durch Messwiederholungen (Retest-Reliabilitäten) sind bei Gedächtnistest aufgrund vom Lerneffekten problematisch, weshalb hier untertestabhängig auf mehrere andere Methoden der Reliabilitätsprüfung zurückgegriffen wurde. Für die interne Konsistenzprüfung wurden Split-Half- und Cronbachs-Alpha-Kennwerte berechnet. Außerdem wurden Stabilitätskoeffizienten für die Untertests verwendet bei denen interne Konsistenzen ungeeignet waren. Es ergaben sich für die alle Untertests moderate bis hohe Reliabiliätsmaße ( .74 bis .94). Die Indexwerte weisen alle sehr hohe Reliabilitätsmaße auf ( .88 bis .98). Die Untertests mit kleineren Wertebereichen erreichten die niedrigsten Reliabilitäten. Die Reliabilitäten der Prozessskalenwerte fallen niedriger aus als die der Hauptuntertests. Dies ist vermutlich auf die geringeren Wertebereiche und Deckeneffekte oder den Einsatz von Retest-Reliabiliäten zurückzuführen. Diese Ergebnisse zeigen, dass die WMS-IV als zuverlässiges Testinstrument betrachtet werden kann. Validität. Inhaltsvalidität kann anhand der amerikanischen Testkonstruktionsphase angenommen werden (Pearson, 2009a). Interkorrelationen liefern ebenfalls Hinweise auf die Validität des Verfahrens. Die Interkorrelationen der Untertests zu den Indizes fallen moderat bis hoch aus. Insgesamt zeigte sich trotz moderater Zusammenhänge der Untertests, dass Untertests die ähnliche Funktionen prüfen höher korrelieren. Die WMS-IV greift auch innerhalb der Skalen auf diverse Teilaspekte von Gedächtnis zurück. Z.B. gehören die Untertests Logisches Gedächtnis und Verbale Paarerkennung beide zur Skala Auditives Gedächtnis, messen dieses aber in völlig unterschiedlicher Weise. Erwartungsgemäß ergeben sich moderate Korrelationskoeffizienten. Hohe Korrelationen zwischen einzelnen Untertests werden nicht erwartet. Moderate Korrelationen zwischen den Skalen sind ebenfalls plausibel, da es Ähnlichkeiten in der angesprochenen Modalität oder in der Art der Präsentation oder Items gibt. Faktorenanalytisch ließen sich die drei Hauptskalen (Auditives und Visuelles Ge96 WMS-IV dächtnis, Visuelles Arbeitsgedächtnis) bestätigen. Klinische Vergleichsstichproben erbrachten signifikante Leistungsunterschiede und zeigen auf, dass die WMS-IV geeignet ist, im klinischen Bereich zu differenzieren (Lepach & Petermann, 2012; Petermann & Lepach, 2012). Weitere Studien zu Validierungsaspekten werden fortlaufend erhoben und veröffentlicht. 12.7 Literatur Atkinson, R.C. & Shiffrin, R.M. (1968). 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Neuropsychologische Befunde zu diagnostischen Kriterien 13.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Franz Petermann MitarbeiterInnen Dr. Anja Lepach, Alja von Stülpnagel, Jörg Eckert Kooperationspartner Neurologisches Rehabilitationszentrum Bremen Friedehorst für Kinder und Jugendliche Zeitraum 01.10.2007 - 31.03.2014 Finanzierung Zentrale Forschungsförderung der Universität Bremen 13.2 Zusammenfassung Eine Aufnahme eng umschriebener neuropsychologischer Funktionsbeeinträchtigungen im Kindes- und Jugendalter in das ICD-Klassifikationssystem und damit auch eine Kodierbarkeit und offizielle Anerkennung als Versorgungsleistung ist nur möglich, wenn es eindeutige diagnostische Kriterien und daraus resultierende Behandlungsempfehlungen gibt. Ein zentraler Beitrag klinisch orientierter neuropsychologischer Forschung liegt daher in der Erhebung von Klassifikationsmerkmalen von bisher nicht oder nur unzureichend erfasster Störungsbilder. Gedächtnisstörungen im Kindes- und Jugendalter stellen ein wichtiges Störungsbild dar, auf das bei diesem Forschungsvorhaben fokussiert werden soll. Anhand einer klinischen Inanspruchnahmestichprobe der Psychologischen Kinderambulanz der Universität Bremen und des Neurologischen Rehabilitationszentrum Bremen für Kinder und 99 Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen Jugendliche Friedehorst, Bremen, sollen unter Berücksichtigung entwicklungspsychologischer und differentialdiagnostischer Aspekte Untersuchungen zu Gedächtnisleistungen vorgenommen werden. Dabei geht es vor allem um die Differenzierbarkeit von Syndromtypen mit Hilfe von strukturentdeckenden Verfahren. Übergeordnetes Ziel dieser Pilotstudie sind Erkenntnisse, die die Erstellung von bisher fehlenden diagnostischen Kriterien und Behandlungsindikationen für die Diagnose einer Gedächtnisstörung im Kindes- und Jugendalter ermöglichen. 13.3 Stand der Forschung Der Diagnostik und Therapie von Störungen im Bereich der Basisfunktionen wie den Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprozessen kommt eine große Bedeutung zu. Diese Funktionen werden grundlegend benötigt, um schulische oder andere kognitive Alltagsanforderungen bewältigen zu können. Dieser hohen Bedeutung steht ein Mangel an Definitionen für Störungsbilder und konkreten diagnostischen Kriterien für diesen Bereich entgegen. Ein großes Problem für die Anerkennung und damit auch für Behandlungsmöglichkeiten neuropsychologischer Störungsbilder stellt die mangelnde Berücksichtigung dieser in den internationalen Klassifikationssystemen dar. Für die in der neuropsychologischen Diagnostik ermittelten Störungen auf Ebene von Teilfunktionen oder leistungen, sieht das bisherige ICD-10-Kodierungssystem (Weltgesundheitsorganisation, 1991) keine differenzierten Kodierungen vor. Objektivierbare Störungen die als direkte Folge eines Schädelhirntraumas oder anderer neurologischer Störungen zugeordnet werden können, werden zusammengefasst unter der DiagnoseKategorie F06 ICD-10 Sonstige psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Erkrankung. Treten nach einem Schädelhirntrauma vor allem Wesensveränderungen und subjektive kognitive Leistungseinbußen (meist Aufmerksamkeit und Gedächtnis) ein, wird die Diagnose F07.2 ICD-10 Organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma vergeben. Wesentlich schwieriger wird es bei angeborenen oder erworbenen Störungen, bei denen keine eindeutige Verursachung auszumachen ist. Diese stellen aber gerade in der ambulanten Versorgung einen großen Anteil dar. Da sich die Funktionsstörungen und deren emotionale Folgen häufig auf die schulischen Fähigkeiten auswirken und in Form von Lernstörungen auffällig werden, ist eine ungenaue und unbefriedigende Möglichkeit die Kodierung als nicht näher bezeichnete Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten (F 81.9), die aber wiederum nicht zu den abrechenbaren Leistungen gehört. Eine Aufnahme häufiger eng umschriebener neuropsychologischer Funktionsbeeinträchtigungen mit Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes in das ICDKlassifikationssystem und damit auch eine Kodierbarkeit und offizielle Anerkennung 100 Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen als abrechnungsfähige Leistung ist nur möglich, wenn es eindeutige diagnostische Kriterien und daraus resultierende Behandlungsempfehlungen gibt. Ein zentraler Beitrag klinisch orientierter neuropsychologischer Forschung liegt daher zunächst in der Erhebung von Klassifikationsmerkmalen von bisher nicht oder nur unzureichend erfassten Störungsbildern. Gedächtnisstörungen im Kindes- und Jugendalter stellen ein wichtiges Störungsbild dar, auf das bei diesem Forschungsvorhaben fokussiert wird. Gedächtnis Thöne-Otto und Markowitsch (2004) fassen unter den Begriff Gedächtnisstörung alle Einbußen des Lernens, Behaltens und des Abrufs gelernter Information. Gedächtnisbeeinträchtigungen können sowohl im Bezug auf die Gedächtnisprozesse (Einprägen, Behalten und Abruf) als auch auf die Gedächtnissysteme auftreten. Am häufigsten ist dabei das explizite Gedächtnissystem auffällig. Die expliziten Gedächtnisstörungen können isoliert auftreten und entweder modalitätsübergreifend (global) oder spezifisch sein oder zusammen mit anderen kognitiven Beeinträchtigungen auftreten (sekundäre Gedächtnisstörung). Die Prävalenzrate für organisch bedingte Beeinträchtigungen von Gedächtnisleistungen variiert nach Rak (2002) zwischen 36% und 70%. Gedächtnisstörungen gehören beispielsweise zu den besonders häufigen Folgen erworbener Hirnverletzungen. Für den Kinder- und Jugendlichenbereich liegen keine eigenen Prävalenzzahlen vor, aber Heubrock und Petermann (2001) konnten exemplarisch für eine ambulante Population aufzeigen, dass 42% aller über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren untersuchten Kinder, die aufgrund von Entwicklungsauffälligkeiten oder schulischen Leistungsproblemen vorgestellt wurden, klinisch bedeutsame Merkfähigkeitsstörungen aufwiesen. Während eine Störung der Merk- und Lernfähigkeit zu den erwarteten Beeinträchtigungen nach Hirnverletzungen gehört, bleiben angeborene oder anderweitig erworbene Defizite in diesem Bereich speziell bei Kindern häufig unentdeckt. Besonders erschwert wird die Diagnose, da die Trennschärfe zu anderen Störungsbereichen beispielsweise der Wahrnehmung und der Aufmerksamkeit erschwert ist und differentialdiagnostische Fragen aufwirft. Im Alltag fallen Kinder mit Gedächtnisstörungen häufig durch unspezifische Symptome auf, die wenig Trennschärfe zu anderen Störungsbildern liefern (z. B. planloses, unorganisiertes Verhalten, unvollständige Handlungen, Vergesslichkeit, häufiges Nachfragen, geringer Lernzuwachs). Eine weitere Schwierigkeit im Diagnoseprozess stellt die Erkenntnis dar, dass globale Amnesien im Kindesalter vergleichsweise selten sind, sondern wesentlich häufiger Teilfunktionen innerhalb der diversen Gedächtnisprozesse und -strukturen betroffen sind. Während auf Systemebene wie oben beschrieben den Störungen des expliziten Gedächtnisses eine große Bedeutung zukommt, liegt der wichtigste Unterschied auf der Prozessebene zwischen Störungen die die Aufnahme, Einspeicherung und Verfestigung der Informationen betreffen (Speicherstörungen) und solchen, die 101 Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen den Abruf betreffen (Abrufstörungen). Modalitätsübergreifend zeigen sich Merkfähigkeitsstörungen hauptsächlich unter komplexeren Lernbedingungen, zum Beispiel bei Reproduktion einer größeren Informationsmenge, beim verzögerten Abruf oder bei Wiedergabe zuvor gelernter Information nach einer Interferenz. Hingegen zeigen die merkfähigkeitsgestörten Kinder weniger Schwierigkeiten beim unmittelbaren Abruf und Wiedererkennen. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Gedächtnisstörungen bei einfachen Testbedingungen übersehen werden können. Das ist besonders relevant wenn man bedenkt, dass gängige Gedächtnistestaufgaben speziell die unmittelbare Merkspanne beziehungsweise Arbeitsgedächtnisleistungen prüfen (vgl. z.B. Gathercole & Alloway, 2006; Gathercole et. al., 2004; Schmid, Zoelch & Roebers, 2008). Deswegen ist der Einsatz von differentiellen diagnostischen Verfahren, die die Gedächtniseigenschaften sowohl unter einfachen als auch unter komplexeren Lernbedingungen untersuchen, notwendig (Lepach & Petermann, 2010). Die Diagnostik sollte daher sowohl Prozesse der Informationsaufnahme beziehungsweise Enkodierung (Einprägen, Lernen), des Behaltens neuer Informationen (kurz-, langfristig) als auch des Abrufs neuer und alter Gedächtnisinhalte (freier Abruf, Abruf mit Hilfen, Wiedererkennen) berücksichtigen (Erdfelder & Brandt, 2007; Schuri, 1993, Schuri, 2000). Wichtig ist dabei auch zu beurteilen, inwieweit das Lernen eines neuen Materials früher Gespeichertes stören kann (retroaktive Interferenz) beziehungsweise ob gelerntes Material die anschließende Aufnahme anderer Information stört (proaktive Interferenz). Ein weiterer wichtiger Beurteilungsfaktor ist der Lernverlauf, der durch Einprägungswiederholungen sichtbar wird. Tests mit Lernwiederholungsdurchgängen ermöglichen eine differenzierte Profilbeurteilung. Anhand von Fallstudien lassen sich Typen von Merk- und Lernstörungen (Lepach & Petermann, 2007) vorschlagen, die auch in Kombination auftreten können: • • • Der unaufmerksame Typ (beeinträchtigte unmittelbare Merkspanne, schwankende Lernverläufe, Interferenzanfälligkeit, unorganisiertes Lernen), der stagnierende Typ (geringer Lernzuwachs, profitiert nicht von Wiederholung), der vergessliche Typ (behält Informationen nur über kurzen Zeitraum). Die Merk- und Lernfähigkeit sollte auch in Relation zur Intelligenz und zur Aufmerksamkeit sowie weiterer differentialdiagnostischer Faktoren betrachtet werden. Eine weitere Schwierigkeit in der Beurteilung von Gedächtnisleistungen bei Kindern ist, dass entwicklungsbezogene Aspekte berücksichtigt werden müssen. Dafür spielen biologisch-funktionelle und entwicklungspsychologische Aspekte eine Rolle. Es werden komplex interagierende biopsychosoziale Faktoren angenommen, die die 102 Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen individuelle Merk- und Lernfähigkeit gestalten. Während früher eher davon ausgegangen wurde, dass es entweder primär von Umweltfaktoren abhänge was und wie viel Kinder lernen oder primär durch Gene und Hirnstrukturen vorhergesagt werde, wird heute als wahrscheinlich gesehen, dass nicht nur eine Kombination aus biologischen Vorrausetzungen und Umwelteindrücken darüber entscheiden, sondern diese sich auch gegenseitig stark beeinflussen. Biologische Limitationen in der Anpassungsfähigkeit des Organismus an die durch Lernprozesse initiierten Veränderungen spielen demnach besonders dann eine Rolle, wenn sie nicht ausreichend durch andere (Umwelt-)faktoren kompensiert werden können. Dies kann beispielsweise bei Schädigungen hippokampaler Strukturen (z. B. bei Temporallappenepilepsien) angenommen werden. Den hippokampalen Strukturen kommt bekanntermaßen eine wesentliche Bedeutung für das explizite Gedächtnis zu (Townsend et al., 2010). Zur Definition von Merk- und Lernstörungen gehört die Frage, welche Gedächtniskapazität und Ausnutzung dieser durch Strategien und metakognitive Prozesse als altersgemäß zu betrachten ist. Für eine umfassende entwicklungspsychologische Betrachtung verweisen wir an dieser Stelle unter anderem auf Berk (2005); Kail (2004); DeMarie und Ferron (2003); Hasselhorn und Grube (2006); Meijs et al. (2009); Schlagmüller und Schneider (2002); Schneider und Büttner (2002); Schneider, Hasselhorn und Körkel (2003) und Siegler, DeLoache und Eisenberg (2005). 13.4 Ziele Anhand einer klinischen Stichprobe der Psychologischen Kinderambulanz der Universität Bremen und des Neurologischen Rehabilitationszentrums für Kinder und Jugendliche Friedehorst, Bremen, sollten mit einer standardisierten Testbatterie Untersuchungen zu Gedächtnisleistungen und differentialdiagnostischen Aspekten vorgenommen werden. Ziel dieser Untersuchungen sind Erkenntnisse, die die Erstellung von bisher fehlenden diagnostischen Kriterien und Behandlungsindikationen für die Diagnose einer Gedächtnisstörung im Kindes- und Jugendalter ermöglichen. Dabei geht es vor allem um die Differenzierbarkeit von Syndromtypen mit Hilfe von strukturentdeckenden statistischen Modellen. Nur wenn ausreichend viele Studien zu neuropsychologischen Störungsbildern und deren Behandlung vorliegen, besteht die Möglichkeit, dass diese in zukünftigen Diagnose- und Klassifikationssystemen Berücksichtigung finden. Bisher ist die klinische Relevanz der Störungsbilder, hier am Beispiel der Gedächtnisstörungen, zwar in klinischen Settings unbestritten, aber aufgrund der erforderlichen Kodierung nach standardisierten Diagnosen nur unzureichend deklarierbar. Die Erstellung entsprechender Kriterien ist ein wichtiger Beitrag zur Anerkennung dieses Störungsbildes und damit ein erster Schritt, den betroffenen Kindern den Zugang zu gezielten Behandlungsmaßnahmen zu ermöglichen. 103 Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen In der Fortsetzung des explorierend angelegten Projekts sollen die erhobenen Daten weiter systematisiert, vervollständigt und zur Veröffentlichungen aufbereitet werden. 13.5 Methodisches Vorgehen Es handelt sich um eine explorierende Studie, die vor allem auch der Hypothesengenerierung für weitere Studien dienen soll. Geprüft werden soll die Differenzierbarkeit von Syndromtypen von Gedächtnisstörungen anhand von diagnostischen Merkmalen auf verschiedenen Ebenen (krankheitsnahen Variablen, Variablen des Verhaltens und Erlebens, Leistungsmerkmalen, etc.). Ziel ist auch, die Menge an Prädiktoren bzw. Diagnosekriterien auf ein praktisch handhabbares Maß zu reduzieren. Kinder in der Altersgruppe von neun bis 14 Jahren wurden in Kooperation mit dem Neurologischen Rehabilitationszentrum Bremen Friedehorst standardisiert neuropsychologisch untersucht (siehe Tab. 1). Der angestrebte Stichprobenumfang betrug 150 für die klinische Gruppe und 50 für eine nicht klinische Vergleichsgruppe. Eine Gleichverteilung von Geschlecht und Altersgruppen wurde angestrebt. Die Zuordnung erfolgte anhand folgender Kriterien: Einschlusskriterien • • • Vorliegen oder Verdacht auf neuropsychologische Funktionsstörung im Bereich der Gedächtnisleistungen. Alter zwischen 9 und 14 Jahren; freiwilliges Einverständnis, Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten; Ausschlusskriterien • • • Geistige Behinderung oder massiver, mehrjähriger Entwicklungsrückstand; bekanntes übergeordnetes Störungsbild (z.B. genetisches Syndrom); aktueller Drogen- oder Substanzmissbrauch. Die Untersuchung erfolgte mit einer speziell zusammengestellten neuropsychologischen Testbatterie bestehend aus Standardverfahren zu den Bereichen Gedächtnis, Intelligenz und Aufmerksamkeit (Tab. 1). Die Antragstellerin erstellte für das Projekt außerdem Selbst- und Fremdbeurteilungsfragebogen bezüglich der Gedächtnisleistungen, der zur Entwicklung einer Symptomcheckliste auf der Erlebensebene dienen soll. Das Projekt wurde mit einem Verlängerungsantrag seit dem 1.4.2011 fortgeführt und befindet sich derzeit planmäßig im Übergang zu Phase 5. 104 Gedächtnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen Tabelle 1: Neuropsychologische Testbatterie. Funktionsbereich Merk- und Lernfähigkeit Testverfahren/ Unterskalen/-tests BASIC-Merk- und Lernfähigkeitstest Intelligenz Hamburg-WECHSLERIntelligenztest für Kinder Aufmerksamkeit Untertests (UT) aus der Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung 13.6 Abkürzung/ Autoren BASIC-MLT Lepach & Petermann (2008) WISC Petermann & Petermann (2011) TAP Zimmermann & Fimm (2002) Alter 6;0 bis 16;11 Jahre 6;0 bis 16;11 Jahre 66-90 Jahre (abhängig vom UT) Ergebnisse Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Diverse Teilergebnisse des Projekts konnten jedoch bereits veröffentlicht werden. 13.7 Literatur Berk, L. E. (2005). Entwicklungspsychologie (3., akt. Aufl.). München: Pearson. DeMarie, D. & Ferron, J. (2003). Capacity, strategies, and metamemory: Tests of a three-factor model of memory development. Journal of Experimental Child Psychology, 84, 167-193. Erdfelder, E. & Brandt, M. (2007). Memory measurement. In J. Wassmann & V. Keck (Eds.), Person, space, and memory in the contemporary pacific. 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Hierzu wurden verschiedene diagnostische Aspekte beleuchtet. Anschließend wurde der Zusammenhang von Verhaltensauffälligkeiten mit weiteren Risikofaktoren untersucht, wobei auch der Entwicklungsstand der Kinder Berücksichtigung fand. Ebenfalls wurden das mütterliche Erziehungsverhalten und der Migrationsstatus der Kinder als Risikofaktoren in die Betrachtung mit einbezogen. Abschließend wurden die Auswirkungen unterschiedlich stark ausgeprägter Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder untersucht. Ferner wurden der Einfluss des kindlichen Migrationsstatus und des sozioökonomische Status auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder betrachtet. 14.3 Stand der Forschung Es liegt eine Vielzahl von Arbeiten vor, die sich mit Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen beschäftigt haben. Überschaubarer werden die Studien, 109 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen wenn man sich speziell auf das Vorschulalter konzentriert. Betrachtet man den Forschungsstand für entwicklungsauffällige Kinder im Vorschulalter, liegen nur wenige Studien vor. In den vorliegenden Untersuchungen wurde daneben zumeist nur ein Entwicklungsbereich, wie zum Beispiel die motorische Entwicklung, beleuchtet. Im deutschsprachigen Raum existieren vorwiegend Studien, die die Beziehung zwischen Verhaltensauffälligkeiten und elterlichem Erziehungsverhalten an älteren Kindern untersuchten. Darüber hinaus liegen Studien zur Lebensqualität der Kinder bisher nur für Verhaltensauffälligkeiten an zumeist älteren Kindern vor. Der Einfluss von Entwicklungsauffälligkeiten blieb bislang unberücksichtigt. Im Unterschied zu bisher vorliegenden Studien zielt die vorliegende Arbeit darauf ab, Verhaltensauffälligkeiten im Vorschulalter systematisch unter Einbezug des Entwicklungsstatus zu untersuchen. Aufgrund der beträchtlichen Anzahl an Kindern mit einem Migrationshintergrund soll dabei der Einfluss des Migrationsstatus berücksichtigt werden, da dies bislang in Studien vernachlässigt wurde. In einem weiteren Schritt soll die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder untersucht werden. Hierbei sollen neben dem Einfluss von Verhaltensauffälligkeiten auch der Einfluss von Entwicklungsauffälligkeiten sowie das komorbide Auftreten beleuchtet werden. 14.4 Ziele Es sollten die folgenden Fragestellungen beantwortet werden: 1. Welchen Einfluss haben Entwicklungsauffälligkeiten und der Migrationsstatus eines Kindes auf die Beurteilung von Verhaltensauffälligkeiten bei Eltern und Erzieherinnen? 2. Weisen Kinder mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Kindern ohne Migrationshintergrund vermehrt Verhaltensauffälligkeiten im Eltern- und Erzieherinnenurteil auf? 3. Welche Erziehungspraktiken von Müttern stehen mit welchen internalisierenden und externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten von Kindern im Vorschulalter in Zusammenhang und welche Erziehungspraktiken sind mit positivem Sozialverhalten der Kinder assoziiert? (Schreyer-Mehlhop & Petermann, 2011) 4. Welchen Einfluss haben das kindliche Geschlecht und der Migrationsstatus der Kinder auf die Erziehungspraktiken der Mütter? 5. Wie wirkt sich das Vorhandensein von Entwicklungsauffälligkeiten und/oder Verhaltensauffälligkeiten auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder aus? 6. Unterscheidet sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Kindern im Vorschulalter mit und ohne Migrationshintergrund? 110 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen 14.5 Methodisches Vorgehen Die Fragestellungen dieser Arbeit wurden an Kindern zwischen 36 und 72 Monaten getestet. Die Rekrutierung der Kinder erfolgte in Kindergärten in Bremen und dem Bremer Umland. Es wurden Kindergärten aus verschiedenen Stadtteilen in Bremen und dem Bremer Umland bei der Untersuchung berücksichtigt, so dass sowohl sozial bevorzugte, als auch sozial benachteiligte Stadtteile vertreten waren. Nach einem telefonischen Erstkontakt bekamen die Leiter der Kindergärten ein Informationsschreiben über das Projekt zugeschickt und wurden im persönlichen Kontakt über die genauen Ziele der Untersuchung aufgeklärt. Willigten die Leiter der Kindergärten ein, an der Untersuchung teilzunehmen, wurden die Eltern informiert. Alle Eltern wurden schriftlich ausführlich über das Forschungsvorhaben informiert und das schriftliche Einverständnis der Eltern wurde vor Beginn der Testdurchführungen eingeholt. Um den Entwicklungsstatus der Kinder zu bestimmen, wurde mit den Kindern ein Entwicklungstest (Petermann, Stein & Macha, 2008) durchgeführt. Wiesen die Kinder ein auffälliges Ergebnis im Entwicklungstest auf, wurden sie der Gruppe der entwicklungsauffälligen Kinder zugeteilt. Dies bedeutete, dass die Kinder in mindestens drei Entwicklungsdimensionen ein Ergebnis erzielten, welches zwischen einer und zwei Standardabweichungen unter der alters- und geschlechtsspezifischen Norm lag oder sich mindestens zwei Entwicklungsdimensionen mehr als zwei Standardabweichungen unterhalb dieser Norm befanden. Die Eltern füllten einen Elternfragebogen aus, der prä-, peri- und postnatale Risiken sowie soziodemographische Angaben erfasste. Daneben wurden den Eltern Fragen zum Erziehungsverhalten und zu ihrer Lebensqualität gestellt. Auch die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder wurde im Elternurteil erhoben. Verhaltensstärken und -schwächen der Kinder wurden mittels des Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ; Klasen, Woerner, Rothenberger & Goodman, 2003; Koglin, Barquero, Mayer, Scheithauer & Petermann, 2007) im Eltern- und Erzieherurteil erfasst. Die Erzieherinnen füllten zusätzlich den Verhaltensbeurteilungsbogen für Vorschulkinder (VBV 3-6; Döpfner et al., 1993) aus, mit dem ebenfalls Verhaltensauffälligkeiten erfasst werden können. Die Angaben zu Verhaltensauffälligkeiten wurden von den Eltern und den Erzieherinnen eingeholt, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten und um potenzielle Abweichungen zwischen den Eltern und Erzieherinnen klassifizieren zu können (vgl. Tab. 1). 111 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen Tabelle 1: Übersicht über die Erhebungsinstrumente. Erhebungsbereich Instrument Entwicklungsstand Entwicklungstest sechs Monate bis sechs Jahre (ET 66; Petermann et al., 2008) Verhaltensauffälligkeiten Strengths and Difficulties Questionnaire in der El(Eltern- und Erzieherin- tern- und Erzieherversion (SDQ; Klasen et al. 2003; nenangaben) Koglin et al., 2007); Verhaltensbeurteilungsbogen für Vorschulkinder in der Erzieherversion (VBV 3-6; Döpfner et al., 1993) Erziehungsverhalten Modifizierte Fassung des Alabama Parenting Questionnaire (APQ; Frick, 1991) Lebensqualität Fragebogen zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Kinder (Kiddy-Kindl-R; RavensSieberer & Bullinger, 2000); Fragebogen zur Erfassung der Lebensqualität der Eltern (EUROHIS-QOL; The WHOQOL Group, 1998a; 1998b) Migrationsstatus Geburtsland des Kindes, Geburtsland beider Eltern, zu Hause vorwiegend gesprochene Sprache Soziodemografische Daten Fragebogen (Eigenentwicklung) 14.6 Ergebnisse Einfluss von Entwicklungsauffälligkeiten und Migrationsstatus eines Kindes auf die Beurteilung von Verhaltensauffälligkeiten bei Eltern und Erzieherinnen Für die Gesamtstichprobe lagen die Korrelationen im Mittel bei .25. In der Untergruppe der entwicklungsunauffälligen Kinder lag der Mittelwert bei .29 und bei den Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten bei .16. Hier zeigt sich, dass die Beurteilungen von Eltern und Erzieherinnen bei entwicklungsauffälligen Kindern weniger übereinstimmen als bei unauffälligen Kindern. Als signifikant erwiesen sich die Unterschiede in der Höhe der Korrelationen bei den Skalen „Verhaltensprobleme“ (Z = 2.91, p < .01) sowie „Gesamtproblemwert“ (Z = 2.33, p < .05). Ein tendenzieller Unterschied zeichnete sich auf der Skala „Hyperaktivität“ ab (Z = 1.68, p < .10). Es ist davon auszugehen, dass es sowohl Eltern als auch Erzieherinnen schwerer fällt, aggressives Verhalten und hyperaktives Verhalten bei Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten übereinstimmend einzuschätzen im Vergleich zu Kindern ohne Entwicklungsauffälligkeiten. Für Kinder mit einem Migrationshintergrund ergab sich nur für die Skala „Prosoziales Verhalten“ eine mittlere Übereinstimmung zwischen Eltern 112 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen und Erzieherinnen (r = .39, p > .01), für alle anderen Skalen traten keine signifikanten Übereinstimmungen auf. Verhaltensauffälligkeiten im Eltern- und Erzieherinnenurteil bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund Signifikante Effekte für das Erzieherurteil traten bei Kindern mit einem Migrationshintergrund auf den Skalen „Verhaltensprobleme“, „Hyperaktivität“ sowie „Prosoziales Verhalten“ des SDQ auf. Für Kinder mit einem Migrationshintergrund gaben die Erzieherinnen signifikant höhere Werte für Verhaltensprobleme und Hyperaktivität an als für Kinder ohne Migrationshintergrund. Für das prosoziale Verhalten gaben die Erzieherinnen bei den Kindern mit Migrationshintergrund niedrigere Werte an als bei den Kindern ohne Migrationshintergrund. Für das Elternurteil des SDQ konnten signifikante Effekte des Migrationshintergrunds für die Skalen „Verhaltensprobleme“ und „Probleme mit Gleichaltrigen“ belegt werden. Für Kinder mit einem Migrationshintergrund gaben die Eltern auf beiden Skalen höhere Werte an als für Kinder ohne Migrationshintergrund. Weiterhin ergab sich ein tendenzieller Unterschied für die Skala „Emotionale Probleme“. Auch hier schätzten Eltern die Kinder mit einem Migrationshintergrund als stärker belastet ein. Entwicklungsauffälligkeiten bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund In der vorliegenden Arbeit konnte gezeigt werden, dass sich der Entwicklungsstatus von Kindern mit einem Migrationshintergrund in einigen Bereichen vom Entwicklungsstatus von Kindern ohne Migrationshintergrund unterscheidet. Diese bislang in dieser Form unveröffentlichten Ergebnisse sollen nachfolgend dargestellt werden. Zur Beantwortung der Fragestellung, ob Kinder mit Migrationshintergrund im Vorschulalter mehr Entwicklungsauffälligkeiten aufweisen als Kinder ohne Migrationshintergrund wurden die Häufigkeiten für alle Entwicklungsbereiche des ET 6-6 verglichen. Für die Körper- und Handmotorik der Kinder ließen sich keine signifikanten Zusammenhänge in den Häufigkeiten feststellen. Auch für die Entwicklungsbereiche Gedächtnis, Handlungsstrategien sowie die soziale Entwicklung konnten keine Zusammenhänge nachgewiesen werden. Für die nachfolgenden Entwicklungsbereiche zeigten sich signifikante Zusammenhänge mit dem Migrationshintergrund der Kinder: Körperbewusstsein, Zahlen nachsprechen, emotionale Entwicklung sowie Sprachentwicklung (rezeptive und expressive Sprachentwicklung). Ferner ließ sich ein tendenzieller Zusammenhang zu Kategorisieren feststellen. Das Risiko der Kinder mit Migrationshintergrund, ein auffälliges Ergebnis für den Entwicklungsbereich Körperbewusstsein zu erlangen, ist 2,78mal so hoch wie das der Kinder ohne Migrationshintergrund (RR=2.78, 95% KI = 1.86-4.15). Das Risiko der Kinder mit Migrationshintergrund, ein auffälliges Ergebnis für den Entwicklungsbereich Zahlen nachsprechen zu erlangen, ist 1,97-mal so hoch wie das der Kinder ohne Migrationshintergrund (RR=1.97, 95% KI = 1.22-3.17). Für 113 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen die emotionale Entwicklung zeigte sich, dass das Risiko der Kinder mit Migrationshintergrund 2,38-mal so hoch ist, hier ein auffälliges Ergebnis zu erlangen (RR=2.38, 95% KI = 1.33-4.23). Für die expressive Sprachentwicklung ist das Risiko 3,03 mal so hoch für Kinder mit Migrationshintergrund, ein auffälliges Ergebnis zu erhalten, wie für Kinder ohne Migrationshintergrund (RR=3.03, 95% KI = 1.70-5.41). Für den Entwicklungsbereich „Kategorisieren“ zeigte sich, dass das Risiko der Kinder mit Migrationshintergrund, hier ein auffälliges Ergebnis zu erhalten, 2,09-mal so hoch ist, wie dasjenige der Kinder ohne Migrationshintergrund (RR=2.09, 95% KI = .89-4.88). Zusammenhang zwischen Erziehungspraktiken von Müttern und internalisierenden und externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten von Kindern im Vorschulalter Korrelationsanalysen zeigten, dass „Geringes Monitoring und inkonsistente Erziehungspraktiken“ sowie „Bestrafende Erziehungspraktiken“ signifikant positiv mit den Skalen „Verhaltensprobleme“ und „Hyperaktivität“ korrelierten. Auch für „Geringes Monitoring und inkonsistente Erziehungspraktiken“ und „Emotionale Probleme“ ließ sich ein positiver Zusammenhang feststellen. Signifikante negative Zusammenhänge mit positiven Erziehungspraktiken ergaben sich für die Skalen „Emotionale Probleme“, „Hyperaktivität“ sowie „Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen“. Positive Erziehungspraktiken hingen signifikant positiv mit dem prosozialen Verhalten der Kinder zusammen. Gaben die Mütter höhere Werte für positive Erziehungspraktiken an, berichteten sie auch für ihre Kinder höhere Werte auf der Skala „Prosoziales Verhalten“. Erwartungsgemäß ergab sich ein negativer Zusammenhang zwischen negativen mütterlichen Erziehungspraktiken mit der Skala „Prosoziales Verhalten“. Abweichend von den bivariaten Analysen zeigten die regressionsanalytischen Ergebnisse, dass insbesondere „Geringes Monitoring und inkonsistente Erziehungspraktiken“ emotionale Probleme vorhersagten, während positive Erziehungspraktiken nicht mehr signifikant wurden. Für die Skala „Hyperaktivität“ spezifizierten die regressionsanalytischen Ergebnisse die Korrelationsanalysen. Nur noch die positiven Erziehungspraktiken hatten einen signifikanten Effekt in negativer Richtung. Die Skalen „Geringes Monitoring und inkonsistente Erziehungspraktiken“ sowie „Bestrafende Erziehungspraktiken“ wurden nicht mehr signifikant. Der Effekt der Variable „Geschlecht“ erwies sich in negativer Richtung für „Hyperaktivität“ als signifikant. In Bezug auf die Skala „Prosoziales Verhalten“ wird in den Regressionsanalysen ersichtlich, dass im Vergleich zu den Korrelationen nur noch „Positive Erziehungspraktiken“ einen positiven Einfluss und „Bestrafende Erziehungspraktiken“ einen negativen Einfluss hatten, während der Effekt von „Geringem Monitoring und inkonsistenten Erziehungspraktiken“ nicht mehr als signifikant bewertet werden konnte. 114 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen Einfluss des kindlichen Geschlechts und Migrationsstatus der Kinder auf die Erziehungspraktiken der Mütter In der multivariaten Varianzanalyse zeigte sich ein signifikanter Haupteffekt für das kindliche Geschlecht (F(3,177) = 3.76, p < .05) und eine tendenzielle Interaktion zwischen dem Geschlecht und dem Migrationsstatus der Kinder (F(3,177) = 2.19, p < .10). Für den Migrationsstatus ergab sich kein signifikanter Haupteffekt. In weitergehenden univariaten Analysen wurde deutlich, dass der Einfluss des kindlichen Geschlechts und des Migrationsstatus besonders bei der Skala „Positive Erziehungspraktiken“ zum Tragen kam. Die Mütter von Jungen gaben niedrigere Werte für positive Erziehungspraktiken an als die Mütter von Mädchen (MJungen = 67.80, SD = 6.85; MMädchen= 69.99, SD = 5.12; F(1,179) = 10.82, p < .001). Die Mütter der Kinder mit einem Migrationshintergrund gaben niedrigere Werte für positives Erziehungsverhalten an als die Mütter von Kindern ohne Migrationshintergrund (Mmit Migrationshintergrund = 66.73, SD = 7.77; Mohne Migrationshintergrund = 69.44, SD = 5.48; F(1,179) =5.72, p < .05). Angeschlossene t-Tests zeigten für die Interaktion, dass bei den Kindern mit Migrationshintergrund die Mütter von Jungen weniger positive Erziehungspraktiken einsetzten als die Mütter von Mädchen (t (46) = -2.70, p < .01), während sich bei den Müttern von Kindern ohne Migrationshintergrund kein geschlechtsspezifischer Effekt zeigte. Auswirkungen der Entwicklungsauffälligkeiten und/oder Verhaltensauffälligkeiten auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder In der multivariaten Varianzanalyse zeigte sich ein signifikanter Effekt für die Gruppen (F(18,537) = 2.33, p < .01) und auch die univariaten Analysen für den Faktor „Gruppe“ zeigten für alle Skalen, bis auf die Skala „Familie“, signifikante Gruppeneffekte (vgl. Schreyer et al., 2011). Für das körperliche Wohlbefinden der Kinder traten signifikante Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und der Gruppe der verhaltensauffälligen Kinder auf (p < .01). Die Mütter der verhaltensauffälligen Kinder gaben niedrigere Werte für das körperliche Wohlbefinden ihrer Kinder an als die Mütter der gesunden Kontrollkinder. Die Kinder mit komorbiden Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten erzielten signifikant niedrigere Werte für das körperliche Wohlbefinden als die Kinder der gesunden Kontrollgruppe im Urteil ihrer Mütter (p < .001). Ferner zeigte sich ein Unterschied zwischen der Gruppe der entwicklungsauffälligen Kindern und der Gruppe mit den komorbiden Auffälligkeiten (p < .05). Kinder mit komorbiden Auffälligkeiten erhielten niedrigere Werte von ihren Müttern für das körperliche Wohlbefinden als die entwicklungsauffälligen Kinder. Für das psychische Wohlbefinden der Kinder traten signifikante Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und der Gruppe der verhaltensauffälligen Kinder (p < .01) auf. Die Mütter der verhaltensauffälligen Kinder gaben für das psychische Wohlbefinden ihrer Kinder signifikant niedrigere Werte an als die Mütter der gesunden Kontrollgruppe. Auch die Kinder mit komorbiden Entwicklungs- und Verhaltensauf115 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen fälligkeiten erhielten signifikant niedrigere Werte für das psychische Wohlbefinden als die Kinder der gesunden Kontrollgruppe (p < .01). Für die Skala „Selbstwert“ des Kiddy-KINDL-R berichteten die Mütter von entwicklungsauffälligen Kindern signifikant niedrigere Werte für das Selbstwertgefühl ihrer Kinder als Mütter unauffälliger Kinder (p < .05). Gleichermaßen berichteten die Mütter von Kindern, bei denen sowohl Entwicklungs- als auch Verhaltensauffälligkeiten auftraten, signifikant niedrigere Werte für das Selbstwertgefühl ihrer Kinder als Mütter unauffälliger Kinder (p < .001). Für die Skala „Familie“ erhielten die verhaltensauffälligen Kinder von ihren Müttern niedrigere Werte als die unauffälligen Kinder (p < .05). Für die Skala „Freunde“ zeigte sich, dass die Mütter der Gruppe der entwicklungsauffälligen Kinder auf dieser Skala signifikant höhere Werte für ihre Kinder angaben als die Mütter der Kinder mit gleichzeitig bestehenden Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten (p < .05). Für die letztgenannte Gruppe (EA+VA) traten daneben signifikant niedrigere Werte für die Lebensqualität im Bereich „Freunde“ (p < .001) und für die Skala „Funktionsfähigkeit im Alltag (Kita)“ (p < .01) gegenüber der Kontrollgruppe auf. Unterscheidet sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Kindern im Vorschulalter mit und ohne Migrationshintergrund? (Schreyer & Petermann, 2010). Signifikante Effekte für den Migrationshintergrund traten auf den Subskalen „Psychisches Wohlbefinden“ und „Selbstwert“ des Kiddy-KINDL-R auf. Die Migrationsgruppe wurde von ihren Eltern hinsichtlich ihres psychischen Wohlbefindens und ihres Selbstwertes niedriger eingeschätzt als die Kinder ohne Migrationshintergrund. Eine signifikante Wechselwirkung für „Migrationshintergrund x sozioökonomischer Status“ ergab sich für das körperliche Wohlbefinden (F(1,137) = 4.13, p < .05). Im Einzelnen zeigte sich, dass die Eltern für Kinder ohne Migrationshintergrund und mit hohem sozioökonomischen Status ein signifikant höheres körperliches Wohlbefinden angaben als für Kinder mit Migrationshintergrund und hohem sozioökonomischen Status (t(145) = 2.70, p < .01). Weiterhin zeigte sich ein signifikanter Interaktionseffekt für den Migrationshintergrund und das Geschlecht. Für Mädchen ohne Migrationshintergrund gaben die Eltern signifikant höhere Werte für das familiäre Wohlbefinden an als für Mädchen mit Migrationshintergrund (t(88) = 2.41, p < .05). 14.7 Literatur Döpfner, M., Berner, W., Fleischmann, T. & Schmidt, M. (1993). Verhaltensbeurteilungsbogen für Vorschulkinder (VBV 3-6). Weinheim: Beltz. Frick, P.J. (1991). The Alabama Parenting Questionnaire. Alabama: University of Alabama, Department of Psychology. Klasen, H., Woerner, W., Rothenberger, A. & Goodman, R. (2003). Die deutsche Fassung des Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-Deu): Übersicht und Be116 Entwicklungsdiagnostik und frühe Hilfen wertung erster Validierungs- und Normierungsbefunde. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 52, 491-502. Koglin, U., Barquero, B., Mayer, H., Scheithauer, H. & Petermann, F. (2007). Deutsche Version des Strengths und Difficulties Questionnaire (SDQ-Deu): Psychometrische Qualität der Lehrer-/Erzieherversion für Kindergartenkinder. Diagnostica, 53, 175-183. Petermann, F., Stein, I. A. & Macha, T. (2008). Entwicklungstest von sechs Monaten bis sechs Jahren (ET 6-6) (3., veränd. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment. Ravens-Sieberer, U. (2000). Verfahren zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, 43, 198-209. The WHOQOL Group. (1998a). Development of the World Health Organization WHOQOL-BREF quality of life assessment. Psychological Medicine, 28, 551-558. The WHOQOL Group. (1998b). The World Health Organization quality of life assessment (WHOQOL): Development and general psychometric properties. Social Science and Medicine, 46, 15691585. Publikationen Petermann, U., Petermann, F. & Schreyer, I. (2010). The German Strengths and Difficulties Questionnaire: Validity of the teacher version for preschoolers. European Journal of Psychological Assessment, 26, 256-262. Schreyer, I. & Petermann, U. (2009). Übereinstimmung und Unterschiede im Urteil von Eltern und Erzieherinnen bei Vorschulkindern. Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen, 5, 25-35. Schreyer, I., Petermann, F. & Petermann, U. (2011). Verhaltens- und Entwicklungsauffälligkeiten im Vorschulalter: Wie stark ist die Lebensqualität von Kindern und Eltern beeinträchtigt? Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 19, 147-156. Schreyer, I. & Petermann, U. (2010). Verhaltensauffälligkeiten und Lebensqualität bei Kindern im Vorschulalter und deren Bezugspersonen - ein Vergleich von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 18, 119-129. Schreyer-Mehlhop, I. & Petermann, U. (2011). Mütterliche Erziehungspraktiken und Verhaltensauffälligkeiten von Kindern im Vorschulalter. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 43, 39-48. 117 Teil II: Klinische Psychologie Teil II: Klinische Psychologie In dieser Sektion sind elf Forschungsprojekte angesiedelt, die im Wesentlichen dem Bereich der Klinischen Kinderpsychologie zugeordnet werden können. Drei Projekte repräsentieren Fragestellungen der Klinischen Psychologie des Erwachsenenalters; ein Projekt stellt eine Patientenschulungsstudie dar, die aus Mitteln der BMBF (Schwerpunkt „Pflegeforschung“) finanziert wurde. Dieses Projekt stellt eine enge inhaltliche Nähe zur medizinischen Rehabilitationsforschung dar, die in Teil III vorgestellt wird. 119 Depression im Jugendalter 1 Depression im Jugendalter 1.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann MitarbeiterInnen Dipl.-Psych. Angelika Kullik Dr. Julia Jaščenoka Dipl.-Psych. Karin Rachuy PD Dr. Falk Hoffmann, Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen PD Dr. med. Christian J. Bachmann, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie Gießen und Marburg Kooperationspartner Prof. Dr. Gerd Glaeske, Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen Prof. Dr. Cecilia A. Essau, Centre for Applied Research and Assessment in Child and Adolescent Wellbeing (CARACAW), Roehampton University Whitelands Prof. Dr. Ute Koglin, Universität Bremen Zeitraum 01.07.2011 - 30.06.2012 Finanzierung Stiftungsmittel 1.2 Zusammenfassung Bereits vor einigen Jahren konnte die Bremer Jugendstudie bedeutsame Prävalenzzahlen psychischer Störungen aufzeigen (Essau, Karpinski, Petermann & Conradt, 1998). Derzeit mangelt es an Studien, die aktuelle Daten zur Verbreitung psychischer Störungen und deren Behandlung bei Jugendlichen liefern. Die vorliegende Untersuchung untergliederte sich in zwei Teile. In Teil 1 wurden mit 333 Schülerinnen und Schülern zwischen 12 und 17 Jahren aus der Stadt Bremen vollstandardisierte, klinische Interviews zur Messung von Lebenszeitprävalenzen psychischer 121 Depression im Jugendalter Störungen durchgeführt. Ferner wurden anhand eines Fragebogenkatalogs umfassende Angaben zu psychischen Belastungen der Jugendlichen erhoben. Die ersten Ergebnisse zeigten, dass insgesamt 108 Jugendliche (32.4%) die Diagnosekriterien einer psychischen Störung erfüllten. 44 Jugendliche (13.2%) wiesen eine Affektiven Störungen auf. Diese Ergebnisse entsprechen Prävalenzschätzungen früherer Studien und betonen die Notwendigkeit einer frühzeitigen Prävention und Intervention. In Teil 2 wurden die Routinedaten der Gmünder ErsatzKasse (GEK) von Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren aus dem Jahr 2009 bezüglich der Häufigkeit und Behandlung depressiver Störungen analysiert. Von 140563 erfassten Jugendlichen wiesen 4295 Jugendliche (3.1%) 2009 mindestens eine Diagnose einer depressiven Störung auf. 11.6% der Betroffenen erhielten Antidepressiva, 69.2% der betroffenen Jugendlichen eine Psychotherapie. Derartige Zahlen liefern wichtige Implikationen für zukünftige Medikation und Behandlungsansätze bei Depressionen im Jugendalter. 1.3 Stand der Forschung Bereits Ende der 90er Jahre wurde die erste Bremer Jugendstudie (BJS; DFGFinanzierung) ins Leben gerufen, die sich mit den Belastungen und Herausforderungen des Jugendalters beschäftigt hat. Im Rahmen der Studie wurde eine umfangreiche Stichprobe von zwölf- bis 17-jährigen Bremer Jugendlichen (N = 1034) hinsichtlich der Häufigkeit sowie Komorbidität psychischer Störungen und psychosozialer Begleiterscheinungen untersucht. Fast die Hälfte der Jugendlichen (41.9%) erfüllte die Diagnosekriterien für mindestens eines der erfassten psychischen Störungsbilder. Dabei traten Angststörungen am häufigsten auf, dicht gefolgt von depressiven Störungen (Essau et al., 1998). Mit den Ergebnissen lieferte die Bremer Jugendstudie bereits vor rund 15 Jahren entscheidende Erkenntnisse. Das Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) veranschaulicht aktuell die Notwendigkeit für eine zeitgemäße Replikation der Prävalenzraten psychischer Störungen im Jugendalter. Bei über 14000 Kindern und Jugendlichen konnten hohe Anteile emotionaler und verhaltensbezogener Probleme aufgedeckt werden (Hölling, Erhart, Ravens-Sieberer & Schlack, 2007). Allerdings wurden im Rahmen des KiGGS keine klinischen Diagnosen nach den gängigen Klassifikationssystemen ICD-10 oder DSM-IV gestellt, sondern lediglich Screeningverfahren herangezogen. Damit wurden die Häufigkeiten verschiedener Problembereiche möglicherweise überschätzt. Einige weitere Untersuchungen und Statistiken deuten darauf hin, dass eine umfassende Untersuchung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen aktuell gefordert ist, wie etwa die bundesweit steigenden Krankheitskosten bei psychischen Störungen im Jugendalter (vgl. Statistisches Bundesamt, 2011). Ein besonderes Augenmerk gilt es auf depressive Erkrankungen zu richten, die mit 122 Depression im Jugendalter Beginn des Jugendalters (ab dem 12. Lebensjahr) merklich zunehmen (Avenevoli, Knight, Kessler & Merikangas, 2008). Bereits Ende der 90er Jahre stellte die Bremer Jugendstudie für die Zwölf- bis 17-Jährigen Häufigkeiten von bis zu 18% fest (Essau et al., 1998). Die folgenden Gründe machen Angaben zur Verbreitung der Depressionen im Jugendalter besonders erforderlich: • • • • 1.4 Depressionen können chronisch verlaufen und die gesamte Lebensspanne umfassen. Sie gehen im Jugendalter mit einer deutlich erhöhten Selbstmordtendenz einher und beeinträchtigen alle Lebensbereiche erheblich (Horowitz & Garber, 2006; Lasgaard, Goossens & Elklit, 2011; Monnin et al., 2012). Nach den Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird spätestens im Jahre 2020 die Depression zu den häufigsten und damit teuersten Krankheiten in der westlichen Welt gehören. Eine Depression im Jugendalter besitzt eine besonders schlechte Prognose, kann aber durch früh einsetzende Präventionsmaßnahmen in ihrem Verlauf günstig beeinflusst werden (Fonagy, Target, Cottrell, Phillips & Kurtz, 2002). Um Präventionsprogrammen planen zu können, die idealerweise im Kontext der Schule angeboten werden sollten, sind genauere, aktuelle Daten zum erstmaligen Auftreten depressiver Symptome, zu deren Verlauf und zu Angaben zur Symptomschwere nötig. Ziele Vor dem Hintergrund der wesentlichen Befunde der Bremer Jugendstudie sowie der KiGGS möchte das vorliegende Projekt die Lücke der bis dato fehlenden aktuellen Prävalenzraten zu psychischen Störungen und Problembereichen von Jugendlichen schließen. Es sollen daher aktuelle Daten erhoben werden, um so einen genauen Einblick in ihren psychischen Gesundheitszustand der Jugendlichen zu gewinnen, an dem es bislang mangelt. Eine derartige Analyse lässt abschätzen, in welchen Bereichen besonders Probleme auftreten und welche Personengruppen speziell von psychischen Problemen betroffen sind (z. B. Geschlechter- oder Altersvergleich), um so ferner eine gezielte Entwicklung und Durchführung von Präventions- und Interventionsprogrammen für Jugendliche zu unterstützen. Die gezielte Prävention einer Chronifizierung psychischer Probleme von Jugendlichen ist wichtig, um damit auch ein Risiko für weitere Beeinträchtigungen bis ins Erwachsenenalter gering zu halten (Essau et al., 1998). Zusammenfassend verfolgt das Projekt folgende Ziele: • eine fundierte Diagnosestellung nach den Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV, die über grobe Schätzungen mittels Screeningverfahren hinausgeht (vgl. KiGGS) und fundierte Aussagen zu Prävalenzraten psychi123 Depression im Jugendalter • • • 1.5 scher Probleme von Jugendlichen der Stadt Bremen ermöglicht, die individuelle Erfassung grundlegender psychischer Belastungen der Jugendlichen und die Schaffung eines reliablen Ausgangspunkts für die Entwicklung und Durchführung gezielter Präventions- und Interventionsmaßnahmen für Jugendliche in Bremen. Mit Hilfe eines großen Datensatzes einer gesetzlichen Krankenversicherung soll die Häufigkeit (Prävalenz) von Depressionen im ambulantärztlichen Bereich bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland ermittelt und ein Überblick über die Versorgung der Erkrankten geschaffen werden. Methodisches Vorgehen Teil 1: Untersuchung von Jugendlichen in der Stadt Bremen. Ein Schwerpunkt dieser Studie besteht in der Erfassung von Informationen zum Umgang mit den unterschiedlichen Belastungen und Herausforderungen des Alltags. Es wird erfasst, welche Strategien und Lösungsversuche Jugendliche anwenden und mit welcher Art von Problemen und Schwierigkeiten sie sich am häufigsten konfrontiert sehen. Auch die Unterstützung durch Eltern und Freunde wird erfragt sowie das emotionale Erleben und Verhalten. Schließlich soll die seelische und körperliche Gesundheit der Jugendlichen erfasst werden. Als Informationsquellen für die folgenden Informationen dienen die Jugendlichen selbst sowie deren Eltern/Erziehungsberechtigte: • • • • • • • demographische und sozioökonomische Hintergrundinformationen, kritische Lebensereignisse, Problemlöseverhalten und Umgang mit kritischen Lebensereignissen, Beziehung zu Eltern und Freunden, Emotionales Befinden und Verhalten, Fähigkeiten zur Regulation von Emotionen und Seelisches und körperliches Befinden. Ein zweiter Schwerpunkt besteht in der Erfassung von psychischen Auffälligkeiten und der Diagnose von möglichen Störungsbildern nach den Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV. Folgende Informationen werden erfasst: • • • • Prävalenz, Art und Ausmaß von psychischen Auffälligkeiten und Störungen, Komorbiditätsmuster einzelner Störungsbilder, Zusammenhänge von Art und Ausmaß einzelner Störungen mit psychosozialen Beeinträchtigungen und Ressourcen und die Identifikation von Risiko- und Schutzfaktoren. Teil 2: Analyse von Routinedaten einer Krankenkasse zu an Depression erkrankten 124 Depression im Jugendalter Kindern und Jugendlichen. Routinedaten der Gmünder ErsatzKasse (GEK) aus dem Jahr 2009 zur ambulant-ärztlichen Versorgung, zur Verordnung von Arzneimitteln sowie zu demografischen Informationen schafften eine Grundlage für die Auswertung. Die GEK (im Januar 2010 mit der BARMER fusioniert) stellt eine bundesweit tätige gesetzliche Krankenversicherung dar, in der etwa 2% der deutschen Wohnbevölkerung versichert waren (ca. 1.8 Millionen Menschen). Routinedaten (sog. Sekundärdaten) der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden in den vergangenen Jahren zunehmend im Rahmen wissenschaftlicher Studien herangezogen (z. B. Bramesfeld, Grobe & Schwatz, 2010). Dabei handelt es sich um umfangreiche, prozessproduzierte Informationssammlungen, die im Rahmen von Verwaltung, Leistungserbringung bzw. Kostenerstattung vorliegen und elektronisch erfasst sind. Die Routinedaten zeichnen sich durch den Vorteil aus, dass die unter Alltagsbedingungen ohne zusätzlichen Erhebungsaufwand miterhoben werden und damit die aktuelle Versorgungssituation widerspiegeln. Die Daten stehen zeitnah und häufig in großen Patientenkollektiven zur Analyse zur Verfügung. In der vorliegenden Studie sollte mindestens einmal im Jahr 2009 eine der folgenden Diagnosen im ambulant-ärztlichen Sektor gestellt worden sein: • • • • • • • • • Postschizophrene Depression (F20.4), Bipolare affektive Störung, gegenwärtig leichte oder mittelgradige depressive Episode (F31.3), Bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F31.4), Bipolare affektive Psychose, gegenwärtig schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen (F31.5), Depressive Episode (F32.-), Rezidivierende depressive Störung (F33.-), Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2), Anpassungsstörung (F43.2) oder Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung (F92.0). Zudem werden die wesentlichen Kennzeichen aller Jugendlichen mit einer Diagnose in 2009 erfasst: • • • • • Alter (12-18 Jahre), Wohnregion, Anzahl Quartale mit einer Diagnose, Kontakt zu: Allgemeinmedizinern/ hausärztlich tätigen Internisten, Kinderärzten, Psychiatern/ Neurologen, Kinder- und Jugendpsychiatern, Verordnung von Antidepressiva, Psychotherapie bzw. Antidepressiva und Psychotherapie. 48 Schulen in der Stadt Bremen wurden die Studieninhalte vorgestellt. Davon verneinten 37 Schulen eine Teilnahme an der Studie. An den elf teilnehmenden Schulen (ein Gymnasium; sieben Oberschulen mit noch teilweiser Untergliederung in 125 Depression im Jugendalter gymnasiale-, Real-, Gesamt- sowie Hauptschulklassen; drei Berufsschulen) wurde das Studienvorhaben in den siebten bis elften Jahrgangsstufen vorgestellt. Die Schülerinnen und Schüler erhielten zusätzlich eine Informationsbroschüre, der eine Einverständniserklärung zur Teilnahme beigefügt war. Die Jugendlichen bekamen zudem Informationsbroschüren und Einverständniserklärungen für ihre Eltern. In Absprache mit der jeweiligen Schulleitung wurden Interview- und Gruppenbefragungstermine vereinbart. Die Jugendlichen wurden ca. ein bis zwei Stunden in einem extra bereitgestellten Raum der Schule interviewt. Die Fragebögen wurden zu einem gesonderten Termin in den Räumen der einzelnen Schulen im Gruppensetting von max. 30 Jugendlichen in Einzelarbeit ausgefüllt. Diese Befragung wurde von mindestens zwei Mitarbeiterinnen des Projekts betreut. Zusätzlich bearbeiteten Eltern/Erziehungsberechtigte einen Fragebogen zuhause. 1.6 Ergebnisse Teil 1: Untersuchung von Jugendlichen in der Stadt Bremen. Von den rund 1460 angesprochenen Jugendlichen stimmten 345 Jugendliche und deren Eltern der Teilnahme an der Studie zu. Neun Jugendliche konnten aufgrund von Krankheit oder technischen Gründen nicht am Interview teilnehmen. Drei Jugendliche wollten nur an der Fragebogenbefragung teilnehmen (vgl. Tab. 1). Tabelle 1: Soziodemografische Information zur Stichprobe (N=333). Alter (Jahre) N (%) weiblich (n) (%) männlich (n) (%) Migrationshintergrund 12 13 27 54 (8.1) (16.2) 14 24 (9.0) (15.5) 13 30 (6.7) (16.9) Mädchen 14 15 80 81 (24.0) (24.3) 32 43 (20.6) (27.7) 48 38 (27.0) (21.3) Jungen 16 17 56 35 (16.8) (10.5) 31 11 (20.0) (7.1) 25 24 (14.0) (13.5) gesamt gesamt 333 (100) 155 (46.5) 178 (53.5) ja nein ja nein ja nein fehlend geb. in Deutschland 123 10 130 13 255 24 2 (n) (%) (90.4) (7.4) (89.7) (9.0) (90.7) (8.5) (0.7) Deutsch Mutterspra- 89 44 94 49 186 94 1 chea (65.4) (32.4) (64.8) (33.8) (66.2) (33.5) (0.4) (n) (%) Deutsch zuhauseb 115 21 126 22 241 43 49 (n) (%) (74.2) (13.5) (70.8) (12.4) (72.4) (12.9) (14.7) Anmerkungen. aBerechnet für die Stichprobe der N = 281 Jugendlichen, die vollständige Angaben zum Fragebogen gemacht und am Interview teilgenommen haben. bZum Interview gestellte Frage „Sprichst du zuhause im Allgemeinen Deutsch?“ (N=333). a 126 Depression im Jugendalter 44 Jugendliche (13.2%) besuchten zum Erhebungszeitpunkt das Gymnasium, 239 eine Oberschule (71.8%; davon 46 Gymnasium (13.8%), 35 Realschule (10.5%), 50 Gesamtschule (15.0%), 12 Hauptschule (3.6%) und 96 Oberschule ohne Gliederung (28.8%) und 50 eine Berufsschule (15.0%). Insgesamt wurden in der Stichprobe der 333 Jugendlichen 44 Diagnosen (13.2%) einer Affektiven Störung gestellt. Bei sieben Jugendlichen (2.1%) wurden zwei verschiedene Affektive Störungen diagnostiziert; davon waren sechs Mädchen (85.7%) und ein Junge (14.3%) betroffen. Weitere Angaben zu gestellten Diagnosen sind Tabelle 2 zu entnehmen. Es gilt zu beachten, dass Jugendliche von mehreren Diagnosen betroffen sein konnten. Die Diagnosen von phobischen Störungen wurden auch mit gar keinem oder einem geringen Schweregrad erfasst. Tabelle 2. Diagnosen psychischer Störungen der Jugendlichen nach ICD-10. ICD10 Code F10.1 Alkoholmissbrauch F10.2 Alkoholabhängigkeit Affektive Störungen F30.0 Hypomanie F31.0 Bipolar II Störung mit letzter Episode hypoman F31.11 Bipolar I Störung mit letzter Episode manisch, leicht F32.0 Major Depression, einzelne Episode, leicht F32.1 Major Depression, einzelne Episode, mittelschwer F32.2 Major Depression, einzelne Episode, schwer, ohne psychotische Merkmale F33.0 Major Depression, rezidivierend, leicht F33.1 Major Depression, rezidivierend, mittelschwer F33.2 Major Depression, rezidivierend, schwer, ohne psychotische Merkmale F34.1 Dysthyme Störung Angststörungen F40.00 Agoraphobie ohne Panikattacke in Vorgeschichte F40.01 Panikstörung mit Agoraphobie F40.1 Soziale Phobie F40.21 Spezifische Phobie Tiertypus F40.22 Spezifische Phobie Umwelt-Typus F40.23 Spezifische Phobie Blut-Spritzen-VerletzungsTypus 127 Gesamt N (%) Mädchen n (%) Jungen n (%) 17 (5.1) 5 (1.5) 6 (1.8) 1 (.3) 11 (3.3) 4 (1.2) 3 (.9) 1 (.3) 1 (.3) 0 2 (.6) 1 (.3) 1 (.3) 0 1 (.3) 6 (1.8) 7 (2.1) 1 (.3) 5 (1.5) 5 (1.5) 2 (.6) 6 (1.8) 5 (1.5) 1 (.3) 4 (1.2) 1 (.3) 2 (.6) 1 (.3) 2 (.6) 0 4 (1.2) 3 (.9) 1 (.3) 18 (5.4) 13 (4.9) 5 (1.5) 2 (.6) 1 (.3) 0 3 (.9) 15 (4.5) 11 (3.3) 2 (.6) 2 (.6) 9 (2.7) 7 (2.1) 10 (3.0) 9 (2.7) 3 (.9) 2 (.6) 5 (1.5) 24 (7.2) 18 (5.4) 19 (5.7) Depression im Jugendalter Tabelle 2: Fortsetzung F40.24 Spezifische Phobie Situativer-Typus 13 (3.9) F40.25 Spezifische Phobie anderer Typus 2 (.6) F40.9 Nicht näher bezeichnete Angststörung 1 (.3) F41.0 Panikstörung ohne Agoraphobie 1 (.3) F41.1 Generalisierte Angststörung 1 (.3) Weitere Störungen F42.8 Zwangsstörung 6 (1.8) F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung 1 (.3) F44 Konversionsstörung 5 (1.5) F44.5 Konversionsstörung mit Anfällen oder 1(.3) Krämpfen F44.6 Konversionsstörung mit sensorischen Sym- 4 (1.2) ptomen oder Ausfällen F50.0 Anorexia Nervosa 1 (.3) F50.1 Untypische Anorexie 3 (.9) F50.3 Untypische Bulimie 1 (.3) 7 (2.1) 1 (.3) 0 1 (.3) 1 (.3) 6 (1.8) 1 (.3) 1 (.3) 0 0 4 (1.2) 1(.3) 3 (.9) 0 2 (.6) 0 2 (.6) 1 (.3) 3 (.9) 1 (.3) 0 2 (.6) 1 (.3) 1 (.3) 1 (.3) 0 Teil 2: Analyse von Routinedaten einer Krankenkasse zu an Depression erkrankten Kindern und Jugendlichen. Mindestens einen Tag in allen vier Quartalen des Jahres 2009 waren insgesamt 140563 Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren (M = 15.1 Jahre; SD = 2.0) versichert (48.9% Mädchen; 51.1% Jungen). Insgesamt wiesen 821 (.6%) mindestens eine Verschreibung eines antidepressiven Medikaments in 2009 auf (insgesamt wurden 1357 Packungen Antidepressiva verschrieben), wobei der Anteil der Mädchen höher lag als bei den Jungen (.76% vs. .41%). Die Gesamtanzahl der Jugendlichen, die mindestens eine Diagnose einer depressiven Störung erhielten, betrug 4295 (3.1%; vgl. Tab. 3). Davon waren 58.8% weiblich, wobei das mittlere Alter bei den Mädchen niedriger war (15.1 vs. 15.8 Jahre). Die Mädchen erhielten mit höherer Wahrscheinlichkeit die Diagnose einer depressiven Episode (F32; 50.6% vs. 38.7%). Ca. acht bis neun von zehn Patienten besuchten Allgemeinmediziner, ein Drittel Kinderärzte. Kinder- und Jugendpsychiater wurden von rund 37.1% der Jungen sowie 24.6% der Mädchen aufgesucht. Der Anteil die Patienten, die ein Antidepressivum verschrieben bekommen haben, lag bei 11.6% (mit einer höheren Rate für die Mädchen). Bei der Mehrzahl der Medikamente handelte es sich um Seronotin Wiederaufnahmehemmer (SSRIs; 55.6%). Trizyklische Antidepressiva (TCAs; 17.9%) und Fluoxetine, Citalopram sowie Mitrazapine machten die anderen 50% aus. 43.7% der Jugendlichen, die ein Antidepressivum verschrieben bekommen haben, erhielten nur eine Packung, 56.3% bekamen zwei oder mehr Packungen. Insgesamt erhielten 69.2% der betroffenen Jugendlichen eine Psychotherapie, wobei hier kaum ein Geschlechtsunterschied zu beobachten war (Jungen 69.9%; Mädchen 69.0%). In Anbetracht der Tatsache, dass Mädchen jedoch mehr Antidepressiva erhielten, zeigte sich hier ein höherer Anteil 128 Depression im Jugendalter von Mädchen, die eine Kombination von Antidepressiva und Psychotherapie bekamen. Mit zunehmendem Alter erhielten mehr Jugendliche eine solche Kombination. Tabelle 3: Jugendliche mit der Diagnose einer depressiven Störung im Jahr 2009. Alter (Jahre) 12-13 14-15 16-18 Diagnosen Anpassungsstörung (F43.2) Depressive Episode (F32) Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2) Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung (F92.0) Rezidivierende depressive Störung (F33) Post-schizophrene Depression oder Bipolare Affektive Störung mit Depression (F20.4, F31.3, F31.4, F31.5) Behandlung Nur Psychotherapie Psychotherapie und Antidepressiva Nur Antidepressiva Keine 1.7 Jungen (%) Mädchen (%) Gesamt (%) 29.2 25.6 45.2 16.3 21.0 62.7 21.7 22.9 55.5 52.9 38.7 6.8 8.5 46.8 50.6 8.9 3.8 49.3 45.7 8.0 5.7 3.8 0.1 5.0 0.1 4.5 0.1 62.7 6.9 2.0 28.4 57.4 11.6 1.9 29.2 59.6 9.6 1.9 28.8 Literatur Avenevoli, S., Knight, E., Kessler, R.C. & Merikangas, K.R. (2008). Epidemiology of depression in children and adolescents. In J.R. Abela & B.L. Hankin (Eds.), Handbook of depression in children and adolescents (pp. 6-32). New York: Guilford. 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Kindheit und Entwicklung, 21, 208-217. 130 Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter 2 Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter: Neuropsychologische Störungen im Langzeitverlauf 2.1 Allgemeine Angaben Leitung PD Dr. Monika Daseking Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiterinnen Dipl.-Psych. Julia Knievel, Dipl. Psych. Antje Eikelmann, Dipl.-Psych Wiebke Schlagheck, Dipl.-Psych. Christin Fischer Kooperationspartner Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe, Gütersloh Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Münster Gerinnungszentrum Rhein-Ruhr, Duisburg Zeitraum 01.11.2005 - 30.09.2013 Finanzierung Deutsche Schlaganfallhilfe (Gütersloh), Förderverein Schlaganfall und Thrombosen im Kindesalter e.V. (Münster) 2.2 Zusammenfassung Die langfristige Entwicklung nach kindlichem Schlaganfall zeigt, dass besonders nach perinatalen Schlaganfällen vielfältige Beeinträchtigungen und Probleme zu erwarten sind, die umfangreiche Therapiemaßnahmen nach sich ziehen. So weisen viele Kinder Beeinträchtigungen in den Bereichen Motorik, Sprachentwicklung, exekutive Funktionen, Aufmerksamkeit und Sozialverhalten auf. Anhand von Fragebogendaten und der diagnostischen Untersuchung soll ein Überblick über störungsspezifische neurologische Symptome, kognitive Einschränkungen und Verhaltensprobleme 131 Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter sowie die langfristige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nach einem Schlaganfall gegeben werden. 2.3 Stand der Forschung Die Diagnose Schlaganfall wird jedes Jahr bei 300 bis 500 Kindern und Jugendlichen in Deutschland gestellt. In der Literatur lassen sich für die Anzahl der Neuerkrankungen unterschiedliche Zahlen finden. Einen Einfluss darauf haben zum Beispiel die unterschiedlich definierten Diagnosekriterien oder Primärerkrankungen. Mallick und O´Callaghan (2010) geben in ihrer Übersichtsarbeit zur Epidemiologie kindlicher Schlaganfälle Inzidenzraten an, die von 1,3 bis 13 pro 100.000 Kindern reichen. Dabei handelt es sich um ein äußerst heterogenes Krankheitsbild, dessen ätiologische Abklärung die Berücksichtigung vieler möglicher Ursachen und Risikofaktoren erfordert. Die durch den Insult entstehenden Läsionen des Hirngewebes führen wiederum zu einem breiten Spektrum an neurologischen und psychologischen Beeinträchtigungen und können daher den bevorstehenden Lebensweg des betroffenen Kindes bzw. Jugendlichen und deren Familien einschneidend verändern. Das Ausmaß und die Art der Defizite nach einem kindlichen Schlaganfall sind von einer Vielzahl an Faktoren abhängig. Dabei spielen das Alter zum Zeitpunkt des Schlaganfalls, die Lokalisation und der Umfang des geschädigten Areals und das nachfolgende Auftreten von epileptischen Anfällen eine große Rolle, aber auch die Ausbildung einer Hemiparese und wiederholte Schlaganfälle haben einen verstärkenden Effekt auf die resultierenden Beeinträchtigungen. Die neurologischen und psychologischen Beeinträchtigungen können zudem aber auch sehr komplexe Verhaltens- und/oder psychosoziale Probleme für die Kinder verursachen, die ein breites Spektrum an möglichen Verhaltensstörungen umfassen. Psychosoziale Konsequenzen können sich ebenfalls für die weiteren Familienmitglieder ergeben. Insbesondere das Zusammenspiel mit der körperlichen Behinderung (Hemiparese) kann für schlaganfallbetroffene Kinder und Jugendliche zu Schwierigkeiten im Umgang mit Gleichaltrigen beitragen. Eine Vielzahl an Studien hat gezeigt, dass Erwachsene nach Hirnschädigungen neben neurologischen und psychologischen Defiziten nicht selten emotionale bzw. Verhaltensstörungen entwickeln (Lippert-Grunert, Kuchta, Hellmich & Klug, 2006). Im Gegensatz dazu werden solche Zusammenhänge bei Kindern und Jugendlichen nach Hirnschädigungen allgemein und insbesondere nach Schlaganfällen wenig untersucht und beschrieben. Studien, die sich der beschriebenen Thematik zugewendet haben, belegen, dass Kinder nach einem Schädel-Hirn-Trauma einem weitaus höheren Risiko ausgesetzt sind, Verhaltensstörungen zu entwickeln, als gesunde Kinder (Taylor et al., 2002). So fällt es Kindern mit Hirnschädigungen beispielsweise schwerer, Gefühle anderer zu erkennen und selbst auszudrücken, was wiederum 132 Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter zum Auftreten sozialer Probleme führen kann (Tonks, Williams, Frampton, Yates & Slater, 2007). Auch bei Neugeborenen, die Erkrankungen oder Schädigungen des Gehirns erleiden, treten deutlich häufiger eine ADHS-Symptomatik, impulsives Verhalten, Aggression und Angststörungen auf (von Handel, Swaab, de Vries & Jongmans, 2007). Landry und Mitarbeiter (2004) berichten von Störungen der fokussierten Aufmerksamkeit nach (früh-)kindlichen Hirnschädigungen. Langzeitstudien konnten belegen, dass sich Störungen des Verhaltens und der schulischen Leistungen nach Hirnschädigungen meist als dauerhaft erweisen (Max et al., 2002). 2.4 Ziele Für auf eine Teilhabe an gesellschaftlichen und sozialen Prozessen ist es notwendig, nicht nur die kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen zu fördern oder die Motorik zu trainieren, sondern auch Verhaltensstörungen mit entsprechenden Interventionsund Präventionsstrategien zu begegnen. Das über zehn Jahre am ZKPR der Universität Bremen laufende Projekt „Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter: Neuropsychologische Störungen im Langzeitverlauf“ wurde zunächst mit dem Schwerpunkt auf die kognitive Langzeitentwicklung nach kindlichem Schlaganfall durchgeführt (vgl. dazu auch die im Rahmen des Projektes entstandenen Publikationen). Dabei hat sich immer mehr herausgestellt, dass vor allem auch emotionale und Verhaltensstörungen zu hoher familiärer Belastung führen können (Daseking, Grochowski & Petermann, 2012). Oft ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, ob es sich um schädigungsbedingte Defizite oder um reaktive, erlernte Verhaltensprobleme handelt. Die Verhaltensprobleme haben jedoch einerseits eine große Bedeutung für die schulische Entwicklung der Kinder, andererseits beeinflussen sie die Wirksamkeit von Interventionsmaßnahmen und das Familienklima (Werpup, Petermann & Daseking, 2011). Die aktuelle Zielstellung des Forschungsprojektes ist es, entsprechende Entwicklungsverläufe zu erfassen, Prognosen abzuleiten und schließlich die betroffenen Kinder bzw. Jugendlichen und deren Familien hinsichtlich effektiver Förder- und Therapiestrategien zu beraten und zu unterstützen. Dafür ist es erforderlich, weitere Daten zu erheben, die differenziert Auskunft über mögliche emotionale und Verhaltensstörungen schlaganfallerkrankter Kinder geben und die gleichzeitig familiäre Risikofaktoren und Ressourcen erfassen. 2.5 Methodisches Vorgehen Im Rahmen der Studie werden Daten zur kognitiven Entwicklung und zu emotionalen und Verhaltensproblemen von Kindern und Jugendlichen erhoben, die einen Schlaganfall erlitten hatten. Die Durchführung der Untersuchung beinhaltet ein aus133 Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter führliches Anamnesegespräch mit den Eltern betroffener Kinder, die Durchführung psychometrischer Testverfahren, das Ausfüllen von Fragebögen sowie eine standardisierte Verhaltensbeobachtung. Die störungsspezifische Testbatterie deckt mittels der in Klammern genannten Testverfahren folgende kognitive Bereiche ab: • • • • • • • • allgemeine Intelligenz (WPPSI-III, WISC-IV, CPM bzw. SPM) Aufmerksamkeit, insbesondere kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit (TAP) Gedächtnis (VLMT, DCS) Sprache (SET 5-10) Exekutivfunktionen (TLD) Visuelle Wahrnehmung (FEW-2, FEW-JE) Vorläuferfähigkeiten (BASIC-Preschool) Schulleistungsdiagnostik. Parallel zur Testdurchführung erfolgte eine Verhaltensbeobachtung, die unter anderem Arbeitsverhalten und Instruktionsverständnis erfassen sollte. Darüber hinaus werden über Fragebögen (Selbst- und Fremdeinschätzung) verschiedene Aspekte zur emotionalen und Verhaltensentwicklung erfasst. 2.6 Ergebnisse Die ersten, grundlegenden Ergebnisse des bereits seit 2001 bestehenden Projektes wurden 2005 in einer Dissertation veröffentlicht (Daseking, 2005). Inzwischen liegen Daten von mehr als 200 schlaganfallerkrankten Kindern vor, für 60 Kinder und Jugendliche bereits zu mehreren Messzeitpunkten. 2.7 Literatur Daseking, M. (2005). Schlaganfälle im Kindes- und Jugendalter: Die Abhängigkeit neuropsychologischer und psychosozialer Remissionsverläufe vom Erkrankungsalter und von der Lokalisation. Dissertation. Norderstedt: BoD. Landry, S.H., Swank, P., Stuebing, K., Prasad, M. & Ewing-Cobbs, L. (2004). Social competence in young children with inflicted traumatic brain injury. Developmental Neuropsychology, 26, 707-733. Lippert-Grunert, M., Kuchta, J., Hellmich, M. & Klug, N. (2006). 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Aktuelle Neurologie, 38, 68-74. 136 Therapeutische Hausaufgaben 3 Therapeutische Hausaufgaben 3.1 Allgemeine Angaben Leitung Dr. Sylvia Helbig-Lang Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiterin Dipl.-Psych. Sandra Cammin Kooperationspartner Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Bremen; Universitäten Greifswald, Dresden, Münster; Humboldt Universität Berlin; Charité Berlin; Universitätsklinikum Marburg, Münster. Zeitraum 01.04.2011 - 30.06.2013 Finanzierung BMBF 3.2 Zusammenfassung Therapeutische Hausaufgaben sind ein Grundprinzip in der Kognitiven Verhaltenstherapie. Bislang wurde die Bedeutung der Hausaufgabenerledigung für das Therapieergebnis nur selten und mit kleineren Stichproben untersucht. Auf Basis von N=369 Patientendaten der Multicenter Studie des PanikNetzes werden die Bedeutung der Hausaufgabenerledigung auf das Therapieergebnis sowie Einflussfaktoren auf die Durchführung von Hausaufgaben untersucht. 3.3 Stand der Forschung Kognitive Verhaltenstherapie betont als eines ihrer Grundprinzipien die Über137 Therapeutische Hausaufgaben tragung der Therapieinhalte in den Alltag (z.B. Margraf & Lieb, 1995). Therapeutische Prozesse außerhalb des eigentlichen Therapiekontexts wurden bislang jedoch nur selten systematisch in ihrer Bedeutung für den Therapieerfolg untersucht. Therapeutische Hausaufgaben werden dabei als die bedeutsamste Technik für den Transfer der Therapie in den Alltag der Patienten angesehen. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Hausaufgaben durch den Therapeuten sowie der Erledigung von Hausaufgaben durch den Patienten und dem Therapieerfolg besteht (Kazantzis, Deane & Ronan, 2000). Diesem positiven Befund stehen jedoch eine Reihe offener Fragen gegenüber, die eine effektive therapeutische Nutzung der Zeit zwischen den Sitzungen hemmen. Dazu zählt unter anderem die Frage, was genau den Einsatz von Hausaufgaben wirksam macht. Neuere Studien lieferten Hinweise, dass der Einfluss von Hausaufgaben nicht allein durch die reine Erledigung, sondern durch die Qualität der Aktivitäten zwischen den Sitzungen bestimmt ist (Schmidt & Woolaway-Bickel, 2000), bzw. Hausaufgaben so gestaltet werden müssen, dass sie eine unmittelbare Nützlichkeit im Hinblick auf die Zielsymptomatik aufweisen (Yovel & Safran, 2007). Damit verbunden ist die Frage, inwieweit verschiedene Hausaufgabenvereinbarungen tatsächlich differenziell auf die Symptomatik wirken oder ob der positive Effekt als eine unspezifische Wirkung im Sinne der Mobilisierung von Selbstwirksamkeitserwartungen und Ressourcen zu verstehen ist. Ebenfalls ungeklärt ist bislang, ob zwischen Hausaufgaben und Therapieerfolg eine Dosis-Wirkungsbeziehung anzunehmen ist. Um Hausaufgaben als Mediator therapeutischer Veränderungen bezeichnen zu können, muss eine klare Dosis-Wirkungsbeziehung nachgewiesen werden (Nock, 2007). Diese Fragen müssen geklärt werden, bevor Empfehlungen für eine therapeutische Gestaltung der Zeiträume zwischen den Sitzungen gegeben werden können. Ein Problem bisheriger Forschungen zu Prozessen außerhalb des Therapiekontexts sind die häufig kleinen Stichprobenumfänge, die zu fehlender Teststärke beitragen (Kazantzis, 2000). Darüber hinaus fehlen Follow-up-Studien, um die Langzeiteffekte von Aktivitäten zwischen den Sitzungen zu determinieren. Einzelne Autoren bemängeln darüber hinaus, dass die Forschung sich zu stark auf therapeutische Vereinbarungen bezieht und Aktivitäten, die Patienten von sich aus unternehmen, nicht auf ihren Beitrag für den Veränderungsprozess untersucht werden (Kazantzis & Lampropoulos, 2002). 3.4 Ziele Als Datenbasis dienen Behandlungsdaten der PanikNetz Multicenter Studie. Die Datenbasis erlaubt die Untersuchung der oben angerissenen Fragestellungen unter Aufhebung der wichtigsten methodischen Einschränkungen bisheriger Studien. Ne138 Therapeutische Hausaufgaben ben einer ausreichend großen Stichprobe und der Erhebung eines 6-Monats-Followups, wurden im Rahmen der Studie auch Informationen über zusätzliche therapierelevante Aktivitäten der Patienten über vereinbarte Hausaufgaben hinaus gesammelt, die es jetzt erstmals erlauben, naturalistische Prozesse zwischen den Sitzungen in ihrer Bedeutsamkeit für die therapeutischen Veränderungen zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Analysen sind direkt relevant für die klinische Praxis und tragen darüber hinaus zur laufenden Debatte über Wirkmechanismen in der Psychotherapie bei. 3.5 Methodisches Vorgehen Aufklärung der Mechanismen therapeutischer Veränderungen Hier soll die Beziehung zwischen Hausaufgaben-Compliance differenziert nach Qualität und Quantität der Erledigung und dem Therapieergebnis zum Zeitpunkt nach der Therapie und im Follow-up untersucht werden. Es wird geprüft, ob eine DosisWirkungsbeziehung zwischen diesen Aspekten angenommen werden kann. Ein positives Ergebnis würde hier die Bedeutung therapeutischer Hausaufgaben als Mediator des Therapieerfolgs untermauern. Aufklärung der Spezifität von Hausaufgaben Es wird untersucht, inwieweit spezifische inhaltliche Aufgaben bzw. Aktivitäten zwischen den Sitzungen spezifische Effekte auf die Symptomatik (z.B. Reduktion des Vermeidungsverhaltens) haben oder ob davon ausgegangen werden muss, dass Hausaufgaben eher unspezifisch wirken. Dazu wird ein Nützlichkeitsgradient von Hausaufgaben berechnet. Dazu werden die kontinuierlich über den Therapieverlauf gesammelten Daten zu Angstniveau und Vermeidung genutzt. Einflussfaktoren auf die Hausaufgabenerledigung Hausaufgaben-Erledigung durch den Patienten ist ebenfalls mit Therapieerfolg assoziiert. Bislang konnten keine aussagekräftigen Prädiktoren für die Compliance nachgewiesen werden. Es soll untersucht werden, inwieweit insbesondere therapeutisch beeinflussbare Variablen, wie wahrgenommene Sinnhaftigkeit von Aufgabenvereinbarungen oder Erfolgserleben in der Therapie einen Einfluss auf die HausaufgabenErledigung haben. Datenaufbereitung und Erstellung des Analysedatensatzes Zur Datenanalyse müssen zunächst zusätzlich gesammelte Daten über Aktivitäten der Patienten zwischen den Sitzungen eingegeben werden. Dazu muss zunächst 139 Therapeutische Hausaufgaben eine Datenmaske erstellt werden. Die Zusatzdaten müssen in den Gesamtdatensatz integriert werden. Darüber hinaus müssen verschiedene Indices für Aspekte der Hausaufgaben-Compliance sowie den Nützlichkeitsgradienten definiert und berechnet werden. Da Hausaufgaben-Compliance kontinuierlich in jeder Therapiesitzung erhoben wurde, bedarf es der Berücksichtigung zeitlicher Abhängigkeiten der Daten. Analysen zu Wirkmechanismen von Hausaufgaben Der erste Auswertungsschwerpunkt bezieht sich auf die Untersuchung möglicher Wirkmechanismen von Hausaufgaben. Hier wird zunächst mittels Strukturgleichungsmodellen untersucht, ob Aspekte der Hausaufgabenerledigung durch den Patienten (Qualität vs. Quantität) differenziell auf den Therapieerfolg wirken. Die Dosis-Wirkungsbeziehung wird mittels Probit- und Survival-Analysen getestet, die zunächst Veränderungen in den Outcome-Maßen aller vier Therapiesitzungen modellieren. Die Häufigkeit von Expositionsübungen wird dabei als Dosis-Variable genutzt. Analysen zur Spezifität von Hausaufgaben Es wird ein Gradient der Hausaufgaben-Nützlichkeit verwendet, der aus der Compliance in einer Therapiewoche und der Verbesserung in panikrelevanten Maßen in dieser Woche zusammengesetzt ist (Meilenstein 1). Der Gradient wird für verschiedene inhaltliche Aufgaben (Expositionshausaufgaben vs. kognitive Aufgaben) ermittelt und verglichen. In Abhängigkeit von der Aufgabe sollten sich Unterschiede in der Hausaufgabennützlichkeit für Parameter wie agoraphobische Vermeidung ergeben, die für die Spezifität von Hausaufgabeneffekten sprechen. Analysen zur Prädiktion der Hausaufgaben-Compliance Es werden potentielle Prädiktoren der Hausaufgaben-Compliance ausgewählt und in regressionsanalytischen Modellen auf ihre Vorhersagekraft geprüft. Dabei sind vor allem Variablen von Interesse, die therapeutisch beeinflussbar sind, wie wahrgenommene Nützlichkeit der Aufgabe, Klarheit des Ziels der Aufgabe, wahrgenommener Erfolg bei vorangegangenen Aufgaben bzw. Erfolgserwartung im Hinblick auf die Gesamttherapie. Mögliche Prädiktoren werden zunächst korrelativ auf einen Zusammenhang mit dem Therapieerfolg geprüft und dann schrittweise in Regressionsgleichungen integriert. 3.6 Ergebnisse Das Projekt befindet sich zurzeit in der Datenauswertungsphase. Die bisherigen Er140 Therapeutische Hausaufgaben gebnisse deuten drauf hin, dass insbesondere die Durchführung von Expositionshausaufgaben für das Therapieergebnis relevant ist. Ferner liegen Hinweise vor, dass die Qualität der Hausaufgabenerledigung von größerer Bedeutung ist als die Quantität der Hausaufgabenerledigung. 3.7 Literatur Kazantzis, N. (2000). Power to detect homework effects in psychotherapy outcome research. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 68, 166-170. Kazantzis, N., Deane, F.P. & Ronan, K.R. (2000). Homework assignments in cognitive and behavioral therapy: a meta-analysis. Clinical Psychology, 7, 189-202. Kazantzis, N., Lampropoulos, G.K. (2002). Reflecting on homework in psychotherapy: what can we conclude from research and experience? Journal of Clinical Psychology, 58, 577-585. Margraf, J. & Lieb, R. (1995). Was ist Verhaltenstherapie? Versuch einer zukunftsoffenen Neucharakterisierung. Editorial. Zeitschrift für Klinische Psychologie, 24, 17. Nock, M.K. (2007). Conceptual and design essentials for evaluating mechanisms of change. Alcoholism - Clinical and Experimental Research, 31, 4-12. Schmidt, N.B. & Woolaway-Bickel, K. (2000). The effects of treatment compliance on outcome in cognitive-behavioral therapy for panic disorder: quality versus quantity. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 68, 13-18. Yovel, A. & Safran, S. (2007). Measuring homework utility in psychotherapy: cognitive-behavioral therapy for adult attention-deficit hyperactivity disorder as an example. Cognitive Therapy Research, 31, 385-399. 141 Within- und Between-Session Prozesse 4 Within- u. Between-Session Prozesse bei Panikstörung u. Agoraphobie 4.1 Allgemeine Angaben Leitung Dipl.-Psych. Thomas Lang Prof. Dr. Franz Petermann MitarbeiterInnen Dipl.-Psych. Christian Soltau, Dipl.-Psych. Juliane Kranzpiller, Dipl.-Psych. Sandra Cammin, Dipl.-Psych. Anne Kordt, Dipl.-Psych. Kira Geisler, Dipl. Psych. Juliane Freitag Kooperationspartner Universität Münster (Klinische Psychologie), Universitätsklinikum Münster (Psychiatrie), Charité Berlin (Psychiatrische Klinik), Freie Universität Berlin (Klinische Psychologie), Universität Würzburg (Klinische Psychologie und Psychophysiologie), Universitätsklinikum Würzburg (Psychiatrie), Universität Marburg (Klinische Psychologie), Universitätsklinikum Marburg (Klinik für Psychiatrie), Universität Greifswald (Klinische Psychologie und Psychophysiologie), Universität zu Köln (Klinische Psychologie), Technische Universität Dresden (Klinische Psychologie und Psychotherapie), University of Utrecht (Department of Methods & Statistics). Zeitraum 01.10.2009 - 30.06.2013 Finanzierung BMBF 4.2 Zusammenfassung Die Expositionsbehandlung ist eine der wirksamsten Methoden zur Reduktion von Ängsten. Der Wirkmechanismus der Behandlung ist jedoch unklar. Das Forschungsprojekt untersucht die theoretisch angenommenen Mechanismen der Emotional 143 Within- und Between-Session Prozesse Processing Theory, indem auf die Expositions- und Behandlungsdaten des BMBF PanikNetzes zurückgegriffen werden (N=369). 4.3 Stand der Forschung Nach Foa und Kozak (1986) wirkt die Expositionstherapie durch die Veränderung von Angststnetzwerken im Gedächtnis. Diese Modifikationen werden erreicht durch (a) Angstaktivierung, (b) Reduktion der Angst in der Expositionssituation (withinsession Habituation), (c) Reduktion der Angst zwischen den Expositionssituationen (in-between session Habituation). Daher wird das Erleben sowie die Abnahme von Angst in Expositionssituationen als essentiell für die Behandlung der Panikstörung mit Agoraphobie angesehen. Allerdings sind die empirischen Belege für die einzelnen Annahmen zurzeit nicht einheitlich (Craske et al. 2007). Direkte Vergleiche der Habituationseffekte mit dem Behandlungsoutcome in klinischen Studien fehlen bisher (Craske et al., 2007). Die Bedeutung der within- und in-between session Habituation ist eng mit der Rolle des Vermeidungsverhaltens verbunden. So liegen Hinweise vor, dass die Verwendung von Sicherheits- und Vermeidungsverhaltensweisen in Expositionssituationen zu einer geringeren in-between-session Habituation führt. Gleiches gilt für kognitive Vermeidungsstrategien (Sloan & Telch, 2002; Telch et al., 2004). Ferner scheint subtiles Vermeidungsverhalten zu einem erhöhten Rückfallrisiko zu führen (Deacon & Maack, 2008). Im Rahmen der ersten Phase eines Multicenter-Therapie-Projektes wurden entsprechende Daten gesammelt, um zur Beantwortung dieser Fragestellungen einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Es liegen Daten zur Angstaktivierung, zum Habituationsverlauf in und zwischen den Sitzungen sowie zum Einsatz von Vermeidungsstrategien vor. Die Datenbasis stellt einen einzigartigen Pool da, der für jeden Patienten und jede Expositionssituation sowohl die Selbstbeurteilung des Patienten - als auch eine Fremdbeurteilung des Behandlers enthält. Diese Daten können mit den Outcomedaten der Therapiestudie und mit den psychophysiologischen Daten, die im Rahmen des P5 Projektes erhoben wurden, in Verbindung gebracht werden. 4.4 Methodisches Vorgehen Within- und in-between-session Habituation als notwendige Bedingungen des Therapieerfolges Hierzu werden auch die folgenden Fragestellungen untersucht: • Ist Angstaktivierung während der Exposition mit einem besseren Therapieoutcome assoziiert? 144 Within- und Between-Session Prozesse • • Ist within-session Habituation während Expositionsübungen mit dem Therapie-Outcome assoziiert? Ist in-between-session Habituation mit dem Outcome assoziiert? Welche Beziehungen bestehen zwischen within-session und in-betweensession Habituation? Zusammenhang zwischen Vermeidungsverhalten während Expositionsübungen, Habituationsmustern und Gesamt-Therapie-Outcome Hierzu werden die folgenden Fragestellungen untersucht: • • • Ist Vermeidungsverhalten während der Expositionssitzung mit einer geringeren Angstaktivierung verbunden? Wie wirkt Vermeidungsverhalten (und verschieden Arten von Vermeidungsverhalten) auf die within- und between-session Habituation und auf den Therapie-Outcome? Haben verschiedene Vermeidungsarten (z.B. kognitives vs. offenes Vermeidungsverhalten) unterschiedliche Auswirkungen auf den Therapie-Outcome? Zusammenhang zwischen Habituationsmustern, Vermeidungsverhalten und Outcome im 6-Monats-Follow-up Es wird untersucht, ob geringe Raten von in-between-session Habituation während der therapiebegleitenden Expositionen und persistierendes Vermeidungsverhalten Prädiktoren für Rückfälle im Follow-up-Zeitraum darstellen. Gleichzeitig werden Veränderungen in den Vermeidungsstrategien für das Auftreten von Rückfällen berücksichtigt. Einfluss von Erwartungen der Patienten auf Behandlungsverlauf und Ergebnis • • • Wie ist die Erwartungsangst vor der Situation mit der in der Situation erlebten Angst assoziiert? Sagt die Erwartungsangst vor der Situation den Einsatz von Vermeidungsverhaltensweisen in der Situation voraus? Sind Abweichungen zwischen dem erwarteten und dem tatsächlichen Angstverlauf mit einem schlechteren Therapieerfolg assoziiert? Einfluss der Dauer und Frequenz von Exposition auf das Therapie-Ergebnis In Abhängigkeit von der Behandlungsbedingung (begleitet/unbegleitet) wird untersucht, inwieweit Häufigkeit und Dauer von selbst durchgeführten Expositionen den Therapieerfolg begünstigen. Das Arbeitsprogramm kann in verschiedene Meilensteine untergliedert werden: (1) Zusammenstellung der Daten, (2) Kodierung und Dateneingaberegeln, (3) Datenein145 Within- und Between-Session Prozesse gabe, (4) Kontrolle des Datensatzes, (5) Zusammenführung mit Hauptdatensatz, (6) Entwicklung einer Analysestrategie, (7) Durchführung der Analysen, (8) Vorbereitung von Publikationen. Zusammenstellung der benötigten Daten. Hier werden die Expositionsprotokolle, die Rahmen der Therapiestudie von Patienten und Therapeuten ausgefüllt wurden, gesichtet und zur Dateneingabe vorbereitet. Hierzu werden auch Grundtypen von Habituationsmustern, die in graphischer Form vorliegen, gesichtet und gruppiert. Zusätzlich wird eine Verlinkung mit den Daten des Hauptdatensatzes vorgenommen. Ferner werden noch nicht eingegebene Daten zum Vermeidungsverhalten der Patienten zusammengestellt. Entwicklung Kodierschema, Dateneingabemaske sowie Dateneingaberegeln. Nach Bereitstellung der Daten wird ein geeignetes Kodierschema erstellt, das die Eingabe der Patienten und Therapeutenprotokolle für alle Expositionsübungen, die im Rahmen der Behandlung durchgeführt wurden erlaubt. Auf Grundlage des Kodierschemas wird eine Dateneingabemaske erstellt sowie Regeln für die Dateneingabe erarbeitet. Dateneingabe. Entsprechend der Dateneingaberegeln werden die Daten in die erstellte Maske eingetragen und auf Konsistenz geprüft. Zusammenführung mit dem Hauptdatensatz. Nach Abschluss und Kontrolle der Dateneingabe werden die Daten mit dem Hauptdatensatz zusammengeführt. Datenanalyse. Zur Datenanalyse wird ein geeignetes statistisches Modell erstellt. Die notwendigen Recherchen und Erprobungen zum Analysemodell sind vorzunehmen und das Modell ist gegen andere Modelle zu testen. Das Modell ist an die jeweiligen Fragestellungen des Projektes anzupassen. Nach Beendigung der Modellerstellung werden die Daten analysiert und die Analysen entsprechend dokumentiert und zur Veröffentlichung vorbereitet. Publikationsvorbereitung und Einreichung. Die Ergebnisse der Datenanalyse werden zur Veröffentlichung in Artikelform und mit Bezug zum aktuellen Forschungsstand veröffentlicht. Dazu sind weiterführende Literaturanalysen notwendig. Die erstellten Manuskripte werden bei entsprechenden internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht. Die Ergebnisse werden aber auch Behandlern in geeigneter Form (Workshops, Vorträge, Artikel in deutschsprachigen Zeitschriften) zugänglich gemacht. 4.5 Ergebnisse Die Arbeitsschritte 1 bis 6 wurden abgeschlossen. Es konnte ein Analysemodell für die Daten erstellt werden. Die Datenauswertung wird zurzeit durchgeführt, die Pub146 Within- und Between-Session Prozesse likationen befinden sich in der Vorbereitung. Die Datenauswertung weist darauf hin, dass sowohl die Expositionshäufigkeit als auch Dauer einen direkten Einfluss auf den Therapieerfolg in der Panik- und Agoraphobiebehandlung haben. Ferner konnten within- und between-Session Habituation nachgewiesen werden sowie deren Zusammenhänge mit den Veränderungen in den Outcomemaßen. 4.6 Literatur Craske, M.G., Kircanski, K., Zelikowsky, M., Mystkoski, J., Chowdhury, N. & Baker, A. (2008). Optimizing inhibitory learning during exposure therapy. Behaviour Research and Therapy, 46, 5-27. Deacon, B. & Maack, D.J. (2008). The effects of safety behaviors on the fear of contamination: An experimental investigation. Behaviour Research and Therapy, 46, 537-547. Foa, E.B. & Kozak, M.J. (1986). Emotional processing of fear: Exposure to corrective information. Psychological Bulletin, 99, 20-35. Sloan, T. & Telch, M.J. (2002). The effects of safety-seeking behavior and guided threat reappraisal on fear reduction during exposure: an experimental investigation. Behaviour Research and Therapy, 40, 235-251. Telch, M.J., Valentiner, D.P., Ilai, D., Young, P.R., Powers, M.B. & Smits, J.A.J. (2004). Fear activation and distraction during the emotional processing of claustrophobic fear. Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry, 35, 219-232. Publikationen Lang, T., Helbig-Lang, S., Gloster, A.T., Richter, J., Hamm, A.O., Fehm, L. et al. (2012). Effekte therapeutenbegleiteter versus patientengeleiteter Exposition bei Panikstörung mit Agoraphobie. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 41, 114-124. 147 Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie 5 Effekte eines Aufmerksamkeitstrainings bei Sozialer Phobie auf verhaltensnahe Variablen 5.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Dr. Silvia Helbig-Lang Mitarbeiterin Dipl. Psych. Maxie von Auer Kooperationspartner Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen Zeitraum 01.10.2010 - 31.07.2012 Finanzierung FNK der Universität Bremen, Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen 5.2 Zusammenfassung Insgesamt wurden 70 Personen mit Sozialer Phobie untersucht. Die Hälfte der Personen sollte mit Hilfe eines computerbasierten Trainings lernen, gezielt die Aufmerksamkeit von sozialbedrohlichen Hinweisreizen wegzulenken. Die Kontrollgruppe bearbeitete Aufgaben am Computer ohne Modifikation der Aufmerksamkeitsprozesse. Neben der Symptombelastung sowie dem Diagnosestatus wurden typisch sozialphobische Kognitionen über Fragebögen sowie verhaltensrelevante Maße in Form von Verhaltenstests und elektronischen Tagebüchern erfasst. Es wurden zwischen möglichen Subgruppen (z.B. Patienten mit vs. ohne Aufmerksamkeitsbias) differenziert um Aussagen über die selektive Indikation des Trainings für verschiedene Patientengruppen ableiten zu können. Die Studie wurde als Kooperationsprojekt in zwei Zentren (Bremen und Münster) durchgeführt. 149 Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie 5.3 Stand der Forschung Präferentielle Aufmerksamkeit für sozial bedrohliche Informationen wurde bei Personen mit Sozialer Phobie wiederholt nachgewiesen. Zwei aktuelle randomisiertkontrollierte Behandlungsstudien weisen auf das Potenzial von computerbasierten Trainings zur Modifikation dieser Aufmerksamkeitsverzerrung hin (Amir, Beard, Taylor, Klumpp, Elias, Burns & Chen, 2009; Schmidt, Richey, Buckner & Timpano; 2009). Durch das Training konnte nicht nur die Zahl der Symptome reduziert werden, es erfüllten nach dem Training auch signifikant weniger Patienten die Diagnosekriterien für Soziale Phobie nach DSM-IV. Diese Effekte blieben über einen viermonatigen Follow-up-Zeitraum hinweg stabil. 5.4 Ziele Übergeordnetes Ziel des vorliegenden Projekts war die Evaluation eines computerbasierten Aufmerksamkeitstrainings bei Frauen und Männern mit Sozialer Phobie, mit Schwerpunkt auf der Untersuchung der Verhaltensrelevanz der Effekte. Der randomisierten, multizentrischen Doppelblind-Studie lag das Untersuchungsparadigma von Schmidt, Richey, Buckner und Timpano (2009) sowie Amir, Beard, Taylor, Klumpp, Elias und Burns (2009) zugrunde. Erstes Ziel der Untersuchung war dabei die Replikation der Effekte des dort verwendeten Aufmerksamkeitstrainings (AT) in einer deutschsprachigen klinischen Stichprobe. Zweites Ziel war die Überprüfung der Verhaltensrelevanz der Intervention, welche im Rahmen einer Dissertation erfolgt. Hierzu wurden neben Fragebögen standardisierte Verhaltenstests sowie ein elektronisches Tagebuch eingesetzt. Des Weiteren sollten neben einer Kontrolle aller Analysen auf mögliche Geschlechtseffekte explizit mehrere Fragestellungen zu Geschlechtseffekten (Inanspruchnahmeverhalten, Symptomatik und Trainingseffekte) untersucht werden. 5.5 Methodisches Vorgehen In einer randomisiert-kontrollierten Behandlungsstudie sollen die bisherigen Befunde an einer deutschsprachigen Stichprobe repliziert werden. Zusätzlich soll das computerbasierte Training (Schmidt et al., 2009) hinsichtlich der Veränderungsprozesse, der Verhaltensrelevanz sowie der differentiellen Wirksamkeit in verschiedenen Subgruppen von Patienten mit Sozialer Phobie untersucht werden. Bereits im Vorjahr des Förderzeitraums wurden sämtliche Vorbereitungsmaßnahmen zur Durchführung der Studie umgesetzt (Erstellung eines Operationshandbuches für die Studiendurchführung, Bereitstellung und Anpassung aller benötigten 150 Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie Erhebungsmaterialien inklusive technischer Geräte für ambulante Assessmentmethoden, Auswahl und Training der Studienmitarbeiter), so dass im Berichtszeitraum die Rekrutierung der Studienteilnehmer sowie die Durchführung und Auswertung der Datenerhebung erfolgen konnte. Rekrutierung der Studienteilnehmer und Durchführung der Datenerhebung Die Rekrutierung der Studienteilnehmer erfolgte im Zeitraum von Oktober 2010 bis April 2011 über Zeitungsannoncen, Hinweise auf den universitären Internetseiten sowie Informationen auf der Internetseite www.angstinfo.org. Dabei wurde ein kostenloses Training zur Überwindung sozialer Ängste im Rahmen einer Studie angeboten. Explizit wurden dabei Frauen und Männer mit sozialer Angst gesucht. Die Einschlusskriterien umfassten: Alter zwischen 18 und 65 Jahren, DSM-IV-Diagnose einer Sozialen Phobie, Zugang zu einem Computer mit Internetanschluss sowie keine Medikamenteneinnahme oder unveränderte Dosierung seit mindestens 12 Wochen. Ausschlussgründe waren akute Suizidalität, die Diagnose einer Schizophrenie oder Bipolaren Störung, Suchterkrankungen im letzten Jahr (mit Ausnahme von Tabak), das Vorliegen organisch bedingter psychischer Störungen oder neurologischer Erkrankungen sowie eine aktuelle Psychotherapie. Auf die Rekrutierungsmaßnahmen meldeten sich in den beiden Studienzentren Bremen und Münster insgesamt 365 Personen, von denen nach 201 initialen Telefonscreenings 86 Personen zu den eingangsdiagnostischen Untersuchungen eingeladen wurden. 59 von ihnen erfüllten die Einschlusskriterien und wurden in die Studie aufgenommen, wobei drei Personen aufgrund von zeitlichen Problemen ihre Einwilligung zur Teilnahme zurück zogen. Somit können die Daten von 56 Studienteilnehmern berichtet werden (vgl. Abb. 1). Studienablauf. Der Studienablauf erfolgte gestuft: Nach einem Telefonscreening inklusive Fragen zum Umgang mit dem Internet wurden die Teilnehmer zunächst einzeln zu einem Termin zur Aufklärung über Inhalt und Ablauf der Studie eingeladen. Dort wurden sie mündlich und schriftlich über Ziele und Ablauf der Studie aufgeklärt und um ein schriftliches Einverständnis zur Teilnahme gebeten. Bei Vorliegen der Einverständniserklärung wurde zur diagnostischen Abklärung das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV (SKID-I; Wittchen, Wunderlich, Gruschwitz & Zaudig, 1997) durchgeführt. Wenn die Einschlusskriterien erfüllt waren, wurden die Teilnehmer randomisiert einer von zwei Untersuchungsbedingungen zugewiesen: einem Aufmerksamkeitstraining oder einer Placebo-Kontroll-Bedingung. 151 Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie Abbildung: 1: Patientenfluss im Gesamtprojekt. Im Rahmen eines zweiten Termins zur Prä-Messung (T1) beantworteten die Teilnehmer darauffolgend online am Computer über das Programm Unipark verschiedene Symptomfragebögen (siehe „Erhebungsverfahren“). Darüber hinaus wurden zu diesem Termin zwei Verhaltenstests durchgeführt. Die Prä-Messung dauerte insgesamt ca. 4 Stunden. Allen Teilnehmern wurde dann ein elektronisches Tagebuch (Ecological Momentary Assessment; EMA) ausgehändigt und sie wurden in die Handhabung des Geräts eingeführt. Das Tagebuch wurde in den folgenden sieben Tagen zur Informationsgewinnung bzgl. des sozialphobischen Verhaltens im Alltag eingesetzt. Nach Beendigung dieses Erhebungszeitraumes folgte für beide Bedingungen die experimentelle Intervention mit 9 Sitzungen (je 10-15 Minuten, davon 1 Sitzung zu diagnostischen Zwecken) über 4,5 Wochen hinweg, wobei sich die Teilnehmer eigenverantwortlich zwei Mal wöchentlich zu Hause zum Training bzw. Placebo-Training einloggten. Die korrekte Ausführung des Trainings wurde über die Einlog-Daten online überprüft, so dass die Teilnehmer ggf. kontaktiert und an die Durchführung des Trainings erinnert werden konnten. Die Sitzung 5 (T2) diente der 152 Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie Zwischenmessung der Aufmerksamkeitsverzerrung sowie der sozialphobischen und depressiven Symptomatik. Insgesamt wurden letztlich acht Sitzungen Aufmerksamkeitstraining bzw. Pseudo-Training durchgeführt. Eine Woche (Post-Erhebung, T3) sowie vier Monate (Follow-up-Termin, T4) nach der letzten Trainingssitzung füllten die Teilnehmer die identischen Fragebögen wie bei der Prä-Erhebung am Computer aus. Zur Überprüfung des diagnostischen Status wurden darüber hinaus die relevanten Sektionen des SKIDs sowie die beiden Verhaltenstests wiederholt. Im Anschluss an diese Termine erfolgte jeweils eine weitere siebentägige EMA-Erhebung. Beim Follow-up-Termin wurden die Teilnehmer letztlich über ihre Gruppenzugehörigkeit aufgeklärt. Diejenigen, die der KG angehörten, wurden gefragt, ob sie eine Teilnahme am AT wünschten. Bei ungenügender Symptombesserung wurde eine Weiterversorgung durch die teilnehmenden psychotherapeutischen Ambulanzen gewährleistet. Erhebungsverfahren Tabelle 1 zeigt die verwendeten Erhebungsverfahren. Alle Fremdeinschätzungen wurden von Diplompsychologinnen durchgeführt, die für die Gruppenzuweisung verblindet waren. Tabelle 1: Erhebungsverfahren. Variablen Demografische Variablen Diagnose psychischer Störungen Ausmaß sozialphobischer Symptomatik Verfahren Demografischer Fragebogen SKID-I (dt.: Wittchen et al., 1997) Social Phobia Scale (SPS) und Social Interaction Anxiety Inventory (SIAS; dt.: Stangier et al., 1999), Social Phobia and Anxiety Inventory (SPAI; dt.: Fydrich, Scheurich & Kasten, 1995) Depressivität Beck Depressionsinventar (dt.: Hautzinger, Bailer, Worall & Keller, 1994) Vermeidungsverhalten Liebowitz Social Anxiety Scale (LSAS; dt.: Stangier & Heidenreich, 2005) Sicherheitsverhalten Fragebogen zu sozialphobischem Verhalten (SPV; dt.: Stangier, Liefke & Heidenreich, 2003) Selbstaufmerksamkeit Fragebogen zur Dysfunktionalen und Funktionalen Selbstaufmerksamkeit (DFS; Hoyer, 2000) Performanz in sozialen Verhaltenstests (BAT; Selbst- und Fremdrating) Situationen Häufigkeit, Dauer und Ecological Momentary Assessment (EMA) - eArt sozialer Kontakte lektronisches Tagebuch 153 Messzeitpunkt (T) 1 2 3 4 x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie Als Verhaltensprobe wurden zwei sozialphobisch relevante Situationen simuliert, welche die Teilnehmer bewältigen sollten. Dabei handelte es sich um ein Interaktions- und ein Leistungsparadigma. In Anlehnung an die Paradigmen von Fydrich, Chambless, Perry, Bürgener und Beazley (1998) sowie Beidel, Turner, Jacob und Cooley (1989) wurde zunächst die Aufgabe gestellt, ein Gespräch mit einer fremden Person zu initiieren und für drei Minuten aufrecht zu erhalten. Die vorab geschulten Interaktionspartner (verschiedene zu den drei Messzeitpunkten) und die Teilnehmer selbst schätzten anschließend die Angst und Performanz in der Situation ein. Zur Simulation einer Leistungssituation wurden die Teilnehmer aufgefordert, nach kurzer Vorbereitung von drei Minuten eine freie Rede vor Publikum zu halten. Auch hier erfolgte eine Beurteilung der Angst und der Performanz der Teilnehmer durch diese selbst und die Beobachter. Im Falle eines unzureichenden Informationsgehalts der globalen Ratings sind weiterführende Analysen der Videos auf Mikroprozessebene anhand der Ratingskala für Soziale Kompetenz (RSK; Fydrich et al., 1998) geplant. Für die Erfassung sozialphobischen Verhaltens im Alltag (elektronische Tagebücher) wurden Handhelds der Marke Blackberry verwendet, die mit einem speziellen Tagebuchprogramm ausgestattet wurden. Die Programmierung sah eine ereigniskontingente Sampling-Strategie vor, wobei nach jeder sozialen Interaktion, in der die Angst der Person so groß gewesen ist, dass sie sich dadurch beeinträchtigt gefühlt hat, ein Fragebogen zu Aspekten wie Art der Interaktion (beruflich vs. privat, selbstinitiiert vs. fremdinitiiert), Anzahl und Art der Gesprächspartner (fremde vs. bekannte), Inhalte der Interaktion, Dauer des Verbleibs in der Situation, Ausmaß der Angst und Einsatz von Sicherheitsverhaltensweisen initiiert werden sollte. Zusätzlich erfolgte zeitkontingent dreimal im Verlauf des Tages und einmal an jedem Abend eine Erhebung, bei der eine Einschätzung des Zeitraums seit der letzten Eingabe bzw. ein verallgemeinertes Urteil zu den erlebten sozialen Interaktionen an dem jeweiligen Tag abgefragt wurde. Der Erhebungszeitraum betrug sieben Tage. Intervention Das Aufmerksamkeitstraining (AT) basierte auf der erprobten dot probeMethodologie (vgl. MacLeod, Koster & Fox, 2009). Ziel des AT war die Aufmerksamkeitsabwendung der Probanden von sozial bedrohlichen Stimuli zu fördern, in diesem Fall von negativen Signalen in Gesichtsausdrücken. Zu diesem Zweck wurden die Probanden aufgefordert, die Buchstaben Y und V, welche an Position eines von zwei vorab präsentierten Gesichtern mit unterschiedlichem Ausdruck (sich ekelnd vs. neutral) erschienen, möglichst schnell korrekt per Tastendruck zu identifizieren. AT-Bedingung: Der Stimulus erschien in 80% der Fälle an Position des neutralen Gesichts. Implizit lernten die Studienteilnehmer dadurch, die Aufmerksamkeit hin zu neutralen Gesichtern zu lenken. 154 Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie Placebo-Bedingung: Der Stimulus wurde gleich häufig nach dem neutralen und nach dem sich ekelnden Gesicht präsentiert, so dass der Gesichtsausdruck keinerlei Vorhersagewert für die Position des Stimulus besaß Attention Bias - Messung: Das Training wurde wie in der Placebo-Bedingung dargeboten, jedoch waren die erscheinenden Gesichter voll randomisiert. Anhand der Reaktionszeit-Differenz wurde das Ausmaß des AB ermittelt. 5.6 Ergebnisse Es zeigte sich, dass das Aufmerksamkeitstraining keinerlei differenziellen Effekte in der Trainings- und der Kontrollgruppe hervorbrachte, das heißt es erwies sich als nicht wirksam. Die Studie stellt somit die Anwendung internetbasierter Aufmerksamkeitstrainings für Soziale Phobie in Frage und weist auf Lücken im bisherigen Forschungsstand hin. Zu den Nebenfragestellungen wie der Verhaltensrelevanz der Effekte und den Gender-Fragen liegen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Ergebnisse vor, die entsprechenden Analysen sind jedoch in Vorbereitung und sollen zeitnah erfolgen. Die Geschlechterverteilung in den Untersuchungsgruppen belief sich auf 57% Frauen in der Trainingsgruppe und 75% Frauen in der Kontrollgruppe. Dieser Unterschied stellte sich als statistisch nicht signifikant heraus. 5.7 Literatur Amir, N., Beard, C., Taylor, C.T., Klumpp, H., Elias, J. & Burns, M. (2009). Attention training with Generalized Social Phobia: A randomized controlled trial. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 77, 961-973. Beidel, D.C., Turner, S.M., Jacob, R.G. & Cooley, M.R. (1989). Assessment of Social Phobia: Reliability of an Impromptu Speech Task. Journal of Anxiety Disorder, 3, 149-158. Fydrich, T., Chambless, D.L., Perry, K.J., Buergener, F. & Beazley, M.B. (1998). Behavioral assessment of social performance: a rating system for social phobia. Behaviour Research and Therapy, 36, 995-1010. Fydrich, T., Scheurich, A. & Kasten, E. (1995). Fragebogen zur Sozialen Angst. Deutsche Bearbeitung des Social Phobia and Anxiety Inventory (SPAI) von Turner und Beidel. Heidelberg: Psychologisches Institut der Universität. Hautzinger, M., Bailer, M., Worall, H. & Keller, F. (1994). Beck-Depressions-Inventar (BDI). Bearbeitung der deutschen Ausgabe. Testhandbuch. Bern: Huber. Hoyer, J. (2000). Der Fragebogen zur Dysfunktionalen und Funktionalen Selbstaufmerksamkeit (DFS): Theoretisches Konzept und Befunde zur Reliabilität und Validität. Diagnostica, 46, 140-148. 155 Aufmerksamkeitstraining bei Sozialer Phobie Schmidt, N.B., Richey, J.A., Buckner, J.D. & Timpano, K.R. (2009). Attention training for Generalized Social Anxiety Disorder. Journal of Abnormal Psychology, 118, 514. Stangier, U. & Heidenreich, T. (2005). Die Liebowitz Soziale Angst-Skala (LSAS). In Collegium Internationale Psychiatriae Scalarum CIPS (Hrsg.), Internationale Skalen für Psychiatrie. Göttingen: Beltz. Stangier, U., Heidenreich, T., Berardi, A., Golbs, U. & Hoyer, J. (1999). Die Erfassung sozialer Phobie durch die Social Interaction Anxiety Scale (SIAS) und die Social Phobia Scale (SPS). Zeitschrift für Klinische Psychologie, 28, 28-36. Stangier, U., Liefke, S. & Heidenreich, T. (2003). Fragebogen zu sozialphobischem Verhalten. In: J. Hoyer & J. Margraf (Hrsg.), Angstdiagnostik - Grundlagen und Testverfahren (S. 255-258). Berlin: Springer. Wittchen, H.-U., Wunderlich, U., Gruschwitz, S. & Zaudig, M. (1997). SKID-I. Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV. Achse I: Psychische Störungen. Interviewheft. Göttingen: Hogrefe. Publikationen Von Auer, M., Neubauer, K., Murray, E., Petermann, F., Gerlach, A. L. & Helbig-Lang, S. (2011). Alles eine Frage der Aufmerksamkeit? Übersicht zu Effekten der computergestützten Modifikation von Aufmerksamkeitsverzerrungen auf Ängstlichkeit und Angststörungen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 59, 213-225. 156 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter 6 Vorstudie zum Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter 6.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. med. Edeltraut Garbe (hauptverantwortlich), Institut für Epidemiologie und Präventionsforschung GmbH, Prof. Dr. Ulrike Petermann, Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Prof. Dr. Franz Petermann MitarbeiterInnen Christine Kersting, Dr. Ina Schreyer-Mehlhop, Dipl.-Psych. Lars Tischler Zeitraum 01.10.2008 - 31.03.2012 Finanzierung BMBF 6.2 Zusammenfassung Ziel des Projekts „Pilot Study of the German Population Based Long Term Follow-up of ADHD (GEPOLO-ADHD)“ war die Vorbereitung einer großen Kohortenstudie, die den Langzeitverlauf der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (AHDS) untersucht. Im Rahmen dieser Pilotstudie wurden folgende drei Fragestellungen behandelt: In der Datenbankpilotkohortenstudie sollten Prädiktoren des Krankheitsverlaufs anhand von Krankenkassenabrechnungsdaten ermittelt werden. Ein Schwerpunkt lag auf der Auswertung der Häufigkeit von Verletzungen und der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems. Dabei wurden verschiedene Prädiktoren wie z.B. Geschlecht, Wohnregion, Alter oder Sozialstatus der Eltern in den Analysen berücksichtigt. Die zweite Teilstudie untersuchte die Fragestellung, ob eine medikamentöse Versorgung von Kindern mit ADHS das Verletzungsrisiko beeinflusst. Die dritte Studie (Feldstudie) prüfte die Möglichkeit, Versicherte aus der Krankenversichertenprobe für die Teilnahme an einer Studie zu ADHS zu rekrutieren. Hierbei wurden 157 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter neben einer bundesweiten Stichprobe auch Versicherte aus Bremen und Mannheim für zwei regionale Stichproben rekrutiert. Ein Ziel der Studie war es, die Güte der ADHS-Diagnose in Abrechnungsdaten zu bestimmen. Des Weiteren wurde die Eignung verschiedener Instrumente für die Telefonbefragung getestet. 6.3 Stand der Forschung ADHS ist eine der häufigsten psychiatrischen Erkrankungen des Kindes und Jugendalters weltweit und in Deutschland. Nach einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2007 wird von einer weltweiten Prävalenz von 5,29% bei den unter 18-Jährigen ausgegangen, mit einer erheblichen Variation zwischen den einzelnen Studien (Polanczyk, de Lima, Horta, Biederman & Rohde, 2007). Die bisherigen Studien mit Primärdaten beschäftigen sich hauptsächlich mit der Diagnosestellung oder Behandlung von ADHS (Becker et al., 2006; Preuss et al., 2006). Hingegen fehlen in der aktuellen Forschung Längsschnittstudien, die z.B. die Persistenz von ADHS in das Erwachsenenalter zu untersuchen erlauben. Populationsbasierte repräsentative Studien zu ADHS und dessen Verlauf sind bisher nicht bekannt. Der Zusammenhang zwischen ADHS und einem erhöhtem Unfallrisiko ist in mehreren Studien belegt und wurde in die Erklärung der Definition von ADHS nach der ICD-10 aufgenommen. Merrill und Kollegen (2009) untersuchten in einer retrospektiven Kohortenstudie, basierend auf Krankenversicherungsdaten, den Zusammenhang zwischen ADHS und einer erhöhten Unfallgefahr. Sie benutzten dazu Daten der Jahre 1998 bis 2005 aller Versicherten im Alter von 0 bis 64 Jahren. Verletzungen wurden anhand der Oberkategorien des ICD-9800 - 957.00 Diagnosen abgebildet. Nach Adjustierung für Alter, Geschlecht und Einkommen war das Risiko für ADHS-Erkrankte um das 1,5-fache erhöht im Vergleich zu Nicht-Betroffenen. Zudem sahen sie eine Altersabhängigkeit: Verglichen zu den ADHS Nicht-Erkrankten wurde in der Gruppe der 0- bis 4-Jährigen sowie der 20- bis 64-jährigen Patienten mit ADHS ein höheres Risiko, eine Verletzung zu erleiden, gefunden. ADHS zeigte die stärkste Risikoerhöhung für intrakraniale Verletzungen, gefolgt von Verletzungen der Blutgefäße, Spätfolgen von Verletzungen, Vergiftungen und toxischen Effekten und inneren Verletzungen des Thorax, Abdomens und des Beckens. Ebenso war der Schweregrad der Verletzungen positiv assoziiert mit einer ADHS-Diagnose. Schwere Verletzungen, definiert als Verletzungen des Schädels, inklusive Frakturen und Verletzungen des Rückenmarks, waren 3-mal häufiger in ADHS-betroffenen Versicherten als in nicht-betroffenen Versicherten. Frühere Studien konnten insbesondere ein Zusammenhang zwischen Verbrennungen, Verletzungen des Kopfes und Vergiftungen zeigen. Brehaut und Kollegen (2003) berichteten in einer populationsbasierten Kohortenstudie auf Grundlage von Abrechnungsdaten, welche Kinder im Alter von 0 bis 19 Jahren eingeschlossen hat, von einer 1,7-fach erhöhten Chance von 158 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter Kindern und Jugendlichen mit ADHS eine Verletzung zu erleiden. Vergiftungen und toxische Wirkungen zeigten den stärksten Zusammenhang mit ADHS mit einem Odds Ratio (OR) von 2,67, gefolgt von Verbrennungen und offenen Wunden. In einer häufig zitierten Studie aus dem Jahre 1998 des Autorenteams DiScala et al. (1998) basierend auf Traumaregisterdaten hatten Kinder und Jugendliche im Alter von 5 bis 14 Jahren mit ADHS ein 10-fach höheres Risiko aufgrund einer selbst herbei geführten Verletzung in das Krankenhaus eingeliefert zu werden als Kinder und Jugendliche ohne ADHS. Kopfverletzungen traten signifikant häufiger (52.9% versus 41.1%) bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS auf; ebenso waren die aufgetretenen Verletzungen schwerer, führten zu längeren Krankenhausaufenthalten. 6.4 Ziele Auf Grundlage von GePaRD wird es möglich sein, mit einer ausreichend großen Stichprobengröße das Krankheitsbild ADHS und seine Prädiktoren zu erforschen. Im Rahmen der Pilotkohorte wird abweichend von dem ursprünglichen Langantrag zunächst nicht der Schwerpunkt auf der Analyse des Verlaufs von ADHS liegen, sondern auf vorbereitenden Arbeiten, obwohl exemplarisch werden einzelne Fragestellungen der zukünftigen Kohorte untersucht. Der relativ beschränkte Zeitraum (max. vier Jahre ab Erstdiagnose) limitiert die Möglichkeiten der Aussage zum Langzeitverlauf von ADHS. Im Rahmen von eigenfinanzierten Arbeiten werden solche Auswertungen fortgeführt. Die Genehmigung der Studie erstreckt sich auf die Jahre bis 2018. Mit Hilfe des längeren Follow-Ups werden wir die Versorgung von Kindern mit ADHS am Übergang in der Volljährigkeit besser erfassen können. 6.5 Methodisches Vorgehen Datenbankpilotkohortenstudie Im Rahmen der Datenbankstudie wurden die Inanspruchnahme der Versorgung sowie das Risiko für Hospitalisierungen aufgrund von Verletzungen und die Persistenz der ADHS-Diagnose in einem Zeitraum von vier Jahren analysiert. Grundlage der Datenbankstudie waren die Daten der am Projekt teilnehmenden Kassen, die zum Zeitpunkt der Ziehung in GePaRD zur Verfügung standen. Die Zusammenstellung der Kohorte erfolgte im Design einer 1:1 gematchten Kohortenstudie. Zunächst wurden potentielle Studienteilnehmer identifiziert, die im Rekrutierungszeitraum die Einschlusskriterien erfüllten. Unter diesen wurden Kinder mit inzidentem ADHS identifiziert. Diesen wurden 1:1-gematchte Kontrollen zugewiesen (nach Geschlecht, Alter (bei Rekrutierung), Wohnregion (Kreis), Krankenversicherung). Diese gematchten Paare bildeten dann die Studienkohorte. Das Eintrittsdatum in die Ko159 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter horte (=Rekrutierungszeitpunkt) eines gematchten Paares wurde durch das Indexdatum des ADHS-Falles bestimmt. Die Inanspruchnahme von ambulanter Versorgung wurde auf Basis von Quartalsabrechnungen je Fall und Arzt, die von stationärer Versorgung auf der Basis von Daten zu Hospitalisierungen, untersucht. Die Rate der Hospitalisierungen bzw. ambulanter Arztbesuche wurde jeweils mittels multivariabler Poisson Regression analysiert und Rate Ratios (RR) der betrachteten Ereignisse mit zugehörigen 95% Konfidenzintervallen (KI) bestimmt. Jegliche Hospitalisierung einer Person, deren Einweisungsdatum innerhalb des individuellen Follow-up lag, wurde unabhängig von den vorliegenden Diagnosen als Ereignis berücksichtigt. Bei der ambulanten Versorgung wurden die Arztbesuche je Arzt (identifiziert über eine pseudonymisierte Arzt-ID) quartalsweise gezählt. Anschließend wurden die Raten der Hospitalisierung und der ambulanten Arztbesuche bestimmt. In den Regressionsmodellen wurden die Faktoren ADHS-Status, Geschlecht, aktuelles Alter, Wohnregion und Kalenderjahr sowie Wechselwirkungen des ADHS-Status mit jeweils Geschlecht berücksichtigt. Alle zu diesen Hospitalisierungen kodierten Haupt-und Nebendiagnosen wurden entsprechend der Injury Mortality Diagnostic (IMD) Matrix (Fingerhut & Warner, 2006) nach Körperregion bzw. Art der Verletzung kategorisiert. Mithilfe einer multivariablen Cox-Regression wurde jeweils die Zeit vom Eintritt in die Kohorte bis zur ersten Krankenhausaufnahme mit einer Verletzungsdiagnose analysiert. Im Regressionsmodell wurden die Einflussgrößen ADHS-Status, Geschlecht, aktuelles Alter und die Wechselwirkung zwischen Geschlecht und ADHS-Status betrachtet. Die Regressionsergebnisse wurden als Hazard Ratios (HR) mit zugehörigen 95% KI angegeben. Die Persistenz wurde als das Vorhandensein von ambulanten und stationären Diagnosen von ADHS bzw. ADHS-typischer Medikation operationalisiert. Dazu wurde für jedes Kalenderjahr bestimmt, ob mindestens eine der Diagnosen F90.0, F90.1 oder F90.9 ambulant oder stationär berichtet wurden oder ob mindestens eine Verschreibung von ATX oder MPH auftrat (=1) oder nicht (=0). Anhand der Abfolge von Jahren mit Diagnosen haben wir vier Muster definiert: durchgehende Diagnosen in allen fünf Jahren (bezeichnet als Muster 11111), Diagnose nur im ersten Jahr und danach keine weitere Diagnose (Muster 10000), Diagnosen in den ersten zwei Jahren und danach keine weiteren Diagnosen (Muster 11000) und alle restlichen Muster (Muster „andere“). In einer multinomialen logistischen Regressionsanalyse wurde der Einfluss von Geschlecht, Alter bei Diagnose, Bildung des Hauptversicherten, psychiatrischer Komorbidität und ADHS-Typ auf die jeweiligen Persistenzmuster untersucht. Die Bestimmung der psychiatrischen Komorbidität basierte auf den Diagnosen der Gruppen F80-89 und F91-99 im Quartal der ADHS-Erstdiagnose und in den 3 Quartalen davor. Die Ergebnisse der multinomialen logistischen Regression wurden als Odds Ratios (OR) mit zugehörigen 95% KI angegeben. Die Analysen erfolgten im Case-Crossover (CCO) und Self-Controlled Case-Series (SCCS) Design. 160 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter Case-Only Studien Für die Case-Only Studien wurden ADHS-Fälle aus der Datenbankstudie in den Jahren 2005 und 2006 ausgewählt. Zusätzlich musste bei diesen Fällen im gesamten Follow-up zumindest eine stationäre Aufnahme mit einer Verletzungsdiagnose vorliegen. Im nächsten Schritt wurden zu diesen Fällen alle Verschreibungen von MPH und ATX extrahiert. Ein Patient galt als unter Therapie an einem bestimmten Tag, wenn die letzte Verschreibung weniger Tage als die Anzahl der verschriebenen Tabletten zurücklag. Damit wurde implizit angenommen, dass nur eine Tablette eine Tagesdosis bedeutet. Im Rahmen von Sensitivitätsanalysen erfolgte neben der Auswertung von allen Verletzungsdiagnosen auch eine Einschränkung auf nur die stationären Aufnahmen wegen Hirnverletzungsdiagnosen (Studienpopulation 2). Weiterhin wurde das Altersspektrum in einer weiteren Analyse auf die 9-bis 10-jährigen eingeschränkt, um die Gruppe homogener zu machen. Alle Analysen wurden jeweils mit beiden Methoden (CCO und SCCS) durchgeführt. Feldstudie Kinder mit und ohne ADHS wurden in der Datenbank identifiziert und die von den Krankenkassen gelieferten pseudonymisierten IDs dieser Kinder an die Krankenkassen rückübermittelt. Die angebotenen Studienelemente: Telefoninterviews, das Ausfüllen von Fragebögen und eine Speichelprobe des Kindes (nur für AOK Versicherte) konnten einzeln gewählt werden. Im Vorfeld der Studie wurde ein umfangreicher Fragebogen für das erste Telefoninterview (als Computer Assisted Telephone Interview (CATI)) durch das BIPS entwickelt. Die Eltern wurden im Interview gebeten, Fragen zur Familien-und Schulsituation, zum Medienkonsum, zu Schlafgewohnheiten und Fragen zur ADHS-Diagnose und Therapie ihres Kindes zu beantworten. Zusätzlich erfragt wurde der Fremdbeurteilungsbogen für Eltern, Lehrer und Erzieher (FBB-ADHS) zu Symptomkriterien nach ICD-10, der „Strengths and Difficulties Questionnaire“ (SDQ) zu emotionalem Verhalten, Verhaltensproblemen und Hyperaktivität und die „Wender Utah Rating Scale“ (WURS-K) zur retrospektiven Erfassung kindlicher ADHS-Phänomene und zu Symptomen des Kindesalters. Der SDQ wurde bei der Hälfte der Teilnehmer telefonisch und bei einem anderen schriftlich abgefragt, um die Gleichwertigkeit beider Befragungsmodi zu überprüfen. Zudem wurde jedem Studienteilnehmer der Child Health Questionnaire (CHQ) zugeschickt. Die Teilnehmer-/innen der AOK Krankenkasse erhielten außerdem ein Speichelkit, das Oragene® DNA Selbstabgabe-Test-Kit, zusammen mit einer detaillierten Beschreibung zur Handhabung. Das Röhrchen mit der Speichelprobe versendeten die Eltern in einem voradressierten und frankierten Rückumschlag direkt an das Labor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim zur genetischen Analyse. Einschlusskriterien. Eingeschlossen wurden Fälle und nach Alter, Geschlecht und 161 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter Krankenkasse gematchte Kontrollen, die zum Zeitpunkt der Diagnosestellung fünf bis neun Jahre alt waren. Die Alterseinschränkung wurde auf Wunsch der Kooperationspartner, die die kinderpsychologische Untersuchung bei diesen Kindern durchgeführt haben (ZKPR Bremen und ZI Mannheim), vorgenommen und war darin begründet, dass für einige der verwendeten Instrumente die Kinder zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht älter als 13 Jahre sein durften. Datenbankstudie In dem Rekrutierungszeitraum von 2005 bis 2007 wurden 75.300 Kinder und Jugendliche in die Kohorte aufgenommen. Davon waren 75,42% (N=56.794) männlich. Bei Studieneintritt war die Mehrheit der eingeschlossenen Versicherten sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen 8 Jahre alt. Die Altersverteilung war bei den Mädchen leicht zum höheren Alter hin verschoben. Die Studienpopulation wurde aus dem gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gezogen, dementsprechend waren die bevölkerungsstarken Bundesländer am stärksten vertreten. Insgesamt konnten 254.985,63 (192.189 Jungen und 62.796,08 Mädchen) Personenjahre in die Betrachtung eingeschlossen werden. Die meisten Personenjahre (98.710 Personenjahre) entfielen auf die Gruppe der 9 -<12-jährigen, gefolgt von der Altersgruppe der 12 -<15-jährigen (62.002 Personenjahre). In der jüngsten (3 -<6) und ältesten Altersgruppe (18+) gab es die wenigsten Personenjahre. In dem Zeitraum von 2005 bis 2009 wurden insgesamt 1.643.678 ambulante Arztbesuche in der Kohorte identifiziert. Jungen gingen dabei mehr als doppelt so häufig zum Arzt wie Mädchen. Betrachtet man die Arztkontakte in den einzelnen Altersgruppen, so zeigte sich die höchste Kontaktdichte in der Altersgruppe der 9 bis 12Jährigen. Während Kinder ohne ADHS 632.149 Arztkontakte zeigten, konnten für Kinder mit ADHS 1.011.529 Arztkontakte ermittelt werden. In jeder Altersgruppe war die Häufigkeit für die Kinder mit ADHS um 1/3 erhöht im Vergleich zu Kindern ohne ADHS. Die Rate der Arztbesuche für die gesamte Kohorte nahm in dem Studienzeitraum von 2005 bis 2009 ab und zeigte zwischen den Bundesländern nur geringfügige Unterschiede. Hingegen unterschied sich die Anzahl der Arztbesuche zwischen Mädchen und Jungen in Abhängigkeit vom Alter. Während bei Mädchen nach einer Abnahme der Arztbesuche bis zum 12. Lebensjahr die Anzahl mit steigendem Alter wieder zunahm, und die Kurve eine U-Form annahm, war bei Jungen eine kontinuierliche Abnahme der Arztbesuche zu sehen. Sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen wurde die Rate Ratio der Arztbesuche signifikant durch das Vorliegen von ADHS beeinflusst. Dieses zeigte sich für alle Altersgruppen, wobei die jüngeren Altersgruppen der 6-< 9 und 9-<12-jährigen in einem höherem Ausmaß beeinflusst waren als die älteren Altersgruppen der 15-<18 und über 18-jährigen Kinder und Jugendlichen. Insgesamt wurden 30.041 Hospitalisierungen in der Kohorte identifiziert. Kinder und Jugendliche mit ADHS wurden fast doppelt so häufig stationär aufgenommen wie 162 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter Kinder und Jugendliche ohne ADHS (19.603 versus 10.438). Entsprechend der Geschlechtsverteilung der Kohorte unterschied sich in der Gruppe der Kinder mit als auch ohne ADHS die Anzahl der Hospitalisierungen zwischen den Geschlechtern um den Faktor 3 (Kinder mit ADHS: 14.192 Aufnahmen bei Jungen versus 5.111 bei Mädchen; Kinder ohne ADHS: 7.970 Aufnahmen bei Jungen versus 2.468 bei Mädchen). Diese Unterschiede wurden auch beim Vergleich der Altersgruppen sichtbar. Geringere Unterschiede zwischen Kindern mit ADHS und ohne ADHS wurden in den mittleren Alterskategorien der 9-< 12und 12-< 15-jährigen beobachtet, während sich in den Altersgruppen der 3-bis 6-Jährigen Unterschiede bis zu Faktor 3 zeigten. In allen Altersgruppen zeigte sich eine deutliche Risikoerhöhung durch ADHS. Besonders erhöht war das Risiko in der Altersgruppe der 3 - 6-jährigen Kinder. Es wurden 3.479 Hospitalisierungen mit einer Verletzungsdiagnose aus der IMD Matrix identifiziert. Sowohl bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS als auch bei solchen ohne ADHS gab es mehr stationäre Aufnahmen bei Jungen als bei Mädchen. Kinder und Jugendliche mit ADHS hatten generell ein höheres Risiko aufgrund einer Verletzung stationär ins Krankenhaus aufgenommen zu werden als Kinder und Jugendliche ohne ADHS. Frakturen, innere Organverletzungen, offene Wunden und Prellungen waren dabei die häufigsten Arten der Verletzungen, die zu einer Aufnahme ins Krankenhaus führten. Jungen mit ADHS zeigten jeweils die höchsten Risiken für die meisten Verletzungen. Bei Mädchen und Jungen zeigten die bei Diagnose 3- bis bis 5-jährigen und 6- bis 8jährigen Kinder ein höheres Risiko für lange ADHS-Persistenz als Kinder, die bei der Erstdiagnose von ADHS schon älter waren. Das geringste Risiko für eine über 5 Jahre durchgängige ADHS-Persistenz zeigten die bei Diagnose 15-bis 17-Jährigen. Ähnlich verhielt es sich mit dem Risiko für Lücken in der ADHS-Persistenz. Ein Risikogradient mit steigendem Bildungsniveau der Eltern für lange oder für lückenhafte ADHSPersistenz war weder bei Jungen noch bei Mädchen zu beobachten. Jungen mit einer F90.1 Diagnose im Jahr nach ADHS-Erstdiagnose zeigten eine klare Tendenz zu längeren ADHS-Persistenzen gegenüber Kindern ohne eine solche F90.1 Diagnose. Bei Mädchen trat die gleiche Tendenz auf, war aber weniger stark ausgeprägt. Im Vergleich zu Jungen ohne psychiatrische Komorbiditäten aus den Gruppen F80-89 und F91-99 zeigten diejenigen Jungen, die aus beiden Gruppen mindestens eine Diagnose aufwiesen, ein erhöhtes Risiko für eine längere ADHS-Persistenz (11111) oder andere Persistenzmuster außer 10000 und 11000). Bei Mädchen konnte dieser Effekt nicht beobachtet werden. In einer gemeinsamen Analyse von beiden Geschlechtern wiesen Mädchen gegenüber Jungen ein geringeres Risiko für eine längere ADHS-Persistenz (=Persistenzmuster 11111) bzw. zeitliche Lücken (alle Persistenzmuster außer 11111, 10000 und 11000) in der ADHS-Persistenz auf. Case-Only Studie Am stärksten vertreten waren die Altersgruppen 7 bis 11 Jahre in beiden Studien163 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter populationen; jeweils ein Fünftel waren Mädchen. Beide Auswertungsdesigns (CCO, SCCS) zeigten tendenziell eine Risikoreduktion aufgrund der Medikamenteneinnahme, in den meisten Fällen waren die Ergebnisse jedoch nicht auf dem 5%Signifikanzniveau signifikant. Lediglich bei den Hirnverletzungen zeigte sich ein klarer protektiver Effekt im SCCS Design, während ein derartiger Medikamenteneffekt im CCO Design nicht zu beobachten war. Interessanterweise verschwand dieser schützende Effekt im SCCS Design in der Analyse, die auf nur 9- bis 10-jährige beschränkt war. Angesichts des deutlich breiteren KI in dieser Untergruppe bedeutet dies jedoch nicht notwendigerweise, dass der protektive Effekt nicht vorhanden ist. Zwar wurde die zusätzliche Analyse durchgeführt, um besser das typische SCCS Design abzubilden, wonach alle Teilnehmer über eine in etwa gleiche Altersperiode betrachtet werden, dieses konservative Kriterium schränkte die Studienteilnehmerzahl aber so erheblich an, dass eine präzise Aussage zum Risiko nicht mehr möglich war. Feldstudie Insgesamt willigten 211 Personen ein, an der Studie teilzunehmen. Mit 195 Eltern wurden Telefoninterviews durchgeführt, davon 22 mit AOK Versicherten und 173 mit TK Versicherten. Von den TK-Versicherten haben sieben Teilnehmende, die nicht bereit waren, ein telefonisches Interview zu führen, den Fragebogen nach Zusendung schriftlich ausgefüllt. In der AOK-Stichprobe lag der Rücklauf bei 13%, nach zweimaligem Anschreiben und telefonischer Nachfassaktion. Von den 168 angeschriebenen Versicherten haben 22 Personen an der Studie teilgenommen. In der TK-Stichprobe betrug der Rücklauf 16%. Von 1120 angeschriebenen Versicherten (es war eine Nachziehung erfolgt) nahmen 180 an der Studie teil. Insgesamt nahmen 15,7% aller angeschriebenen AOK-und TK-Versicherten an der Studie teil. Die Bereitschaft, die selbst auszufüllenden Fragebögen zusätzlich zu dem durchgeführten Telefoninterview zurückzuschicken, war insgesamt sehr hoch, von den versendeten 195 Fragebögen kamen 192 zurück. Mit der kinderpsychologischen Untersuchung in Bremen waren 21 Versicherte der AOK Bremen/Bremerhaven und 20 Versicherte der TK Bremen einverstanden. Der kinderpsychologischen Untersuchung in Mannheim haben 44 Versicherte der TK Mannheim zugestimmt. Insgesamt wurden im Rahmen der Feldstudie 138 Kinder untersucht. 107 davon in oder von Mannheim aus und 34 in Bremen. Es gab insgesamt drei unterschiedliche Untersuchungsgruppen, die zuerst nach geplanter Untersuchungsdurchführung eingeteilt wurden (Variante A, B und C): • • • Variante A (1. Face-to-Face Interview, 2. Telefoninterview), Variante B (1. Telefoninterview, 2. Face-to-Face Interview) und Variante C (Telefoninterview) In einem zweiten Schritt, der als Grundlage der vorliegenden statistischen Berechnungen dient, erfolgte eine Gruppeneinteilung nach tatsächlich durchgeführten 164 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter Untersuchungen. Die Probanden, die Face-to-Face interviewt wurden, waren in zwei Gruppen aufgeteilt, um Effekte der Reihenfolge bei der Telefon-versus Face-toFace-Vorgabe des K-SADS-PL zu kontrollieren. Zusätzlich wurden Probanden ausschließlich am Telefon interviewt. Aus Mannheim liegen 24 vollständige Fälle vor, bei denen sowohl das Face-to-Faceals auch das Telefoninterview durchgeführt wurden. Zehn Telefoninterviews mit Patienten, die zuerst Face-to-Face interviewt wurden, konnten nicht durchgeführt werden, da die Probanden zu einem erneuten Interview nicht bereit waren. Des Weiteren wurden 73 Patienten bundesweit telefonisch interviewt. Es lagen noch Kontaktdaten für ca. 45 weitere Familien vor. Diese Probanden waren zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme entweder nicht erreichbar oder zu einer Teilnahme nicht mehr bereit. Stichprobenbeschreibung Mannheim. Von den 107 teilnehmenden Kindern waren 60,7 % männlich (N = 65) und 39,3 % weiblich (N = 42). Die Kinder waren im Durchschnitt 11,51 (SD=1,48) Jahre als. Das jüngste Kind war 7 Jahre, das älteste Kind 15 Jahre alt. Eingesetzte Instrumente Als Diagnoseinstrument wurde die deutsche Forschungsversion des Kiddie-SadsPresent and Lifetime Version (K-SADS-PL) eingesetzt (Delmo, Weiffenbach, Gabriel, Stadler & Poustka, 2000). Das KSADS-PL stellt ein semistrukturiertes diagnostisches Interview dar, welches zur Erfassung gegenwärtiger und zurückliegender Episoden von psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt wird. In der testpsychologischen Untersuchung bearbeiteten die Kinder jeweils die Wechsler Intelligence Scale for Children (WISC-IV) (Petermann & Petermann, 2011) sowie ausgewählte Subtests der Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) (Zimmermann & Zimm, 2009). Des Weiteren durchlief jedes Kind die Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) von Zimmermann und Fimm (2009). Dieses computergestützte Verfahren wird zur neuropsychologischen Erhebung der Aufmerksamkeitsleistung genutzt. Es wird die Aufmerksamkeitsteuerung (Reizunterdrückung, Aufmerksamkeitsteilung, Reaktionswechsel) und die Aufmerksamkeitskraft (Aktivierungsbereitschaft, Daueraufmerksamkeit, Vigilanz) bestimmt. In der Studie wurden fünf (in Mannheim) bzw. sechs (in Bremen) Untertests eingesetzt, welche Reliabilitäten über .90 (Split-Half-Reliabilität) haben. 6.6 Ergebnisse Über alle 138 Studienteilnehmer wurde auf der Grundlage des K-SADS-PL im Faceto-Face-Interview in 25,8% die Diagnose F90 „Hyperkinetische Störung“ (ICD-10) 165 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter vergeben. Von den Probanden die ausschließlich am Telefon interviewt wurden, erhielten 23,3% die Diagnose F90 „Hyperkinetische Störung“ (ICD-10). Die Diagnose F91 „Störung die Sozialverhaltens“ (ICD-10) wurde insgesamt nur drei Mal überhaupt vergeben, so dass eine statistische Auswertung nicht sinnvoll ist. Die Ergebnisse im WISC-IV liegen mit einem Mittelwert von M = 104,52 (SD = 15,74) über alle Studienteilnehmer hinweg im durchschnittlichen Bereich. Die erreichten Ergebnisse in der Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) sind ebenfalls für alle ausgewerteten Kennwerte durchschnittlich. Übereinstimmung der Diagnosen nach Krankenkassendaten und Kiddie-Sads. Es zeigt sich, dass 36,8% der positiven ADHS-Diagnosen mit den Ergebnissen des Faceto-Face-Interviews übereinstimmen. In 63,2% der ADHS-Fälle nach Krankenkasse ergab das K-SADS-Interview keine Diagnosestellung. Umgekehrt blieb die K-SADSDiagnose in 90,9% der Kontrollkinder leer. Lediglich zwei Kontrollkinder (9,1%) wurden im Interview als ADHS-Patienten identifiziert. In der Gruppe der Telefoninterviews stimmte die Diagnose einer ADHS in 36,1% der Fälle überein. In 63,9% der Fälle wurde die Diagnose der Krankenkasse durch das Interview nicht bestätigt. Von den Kontrollkindern wurden im Telefoninterview 96,6% als unauffällig im Hinblick auf eine ADHS-Diagnose eingeschätzt. Mittelwertsvergleiche der Ergebnisse im WISC-IV zwischen ADHS-und Kontrollgruppe ergaben keine Unterschiede von statistischer Bedeutsamkeit (alle p > 0,05). Das heißt die Leistungen der beiden Gruppen hinsichtlich ihrer Intelligenz differieren nicht bis nur marginal. Gruppenunterschiede in der TAP (Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung. Die Probanden aus ADHS-und Kontrollgruppe unterscheiden sich nicht hinsichtlich ihrer Ergebnisse in den Subtests der TAP. T-Tests ergaben keine statistisch signifikanten Differenzen (ps > 0,05). Die Gruppe der ADHS-Patienten stellt hinsichtlich ihrer Symptomatik keine homogene Stichprobe dar. Vielmehr zeigen ADHS-Patienten je nach Alter, komorbiden Störungen und Subtypisierung sehr unterschiedliche Leistungsprofile und keine einheitlichen Defizite. Auch bei der hier untersuchten Stichprobe ist von einem heterogenen Symptombild auszugehen, was zumindest teilweise die fehlenden Leistungsunterschiede zwischen ADHS- und Kontrollgruppe erklären könnte. Des Weiteren gilt zu beachten, dass einige der Kinder zum Untersuchungszeitpunkt mediziert waren, was ihre Leistungen in beiden testpsychologischen Untersuchungen positiv beeinflusst. Die TAP stellt zudem ebenso wie der WISC-IV kein eindeutiges Diagnoseinstrument zur Identifizierung einer ADHSProblematik dar, sondern untermauert im Einzelfall die klinisch beobachtbare und anamnestisch erfragte Symptomatik. Die Berechnung der positiv und negativ prädiktiven Werte erfolgte auf der Grundlage einer ADHS-Prävalenzschätzung von 5,3% (Polanczyk et al., 2007) für das Auftreten von ADHS. Der positiv prädiktive Wert als ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, mit der Personen, die mittels eines bestimmten Testverfahrens als krank eingestuft wurden, auch tatsächlich krank sind fällt mit einem Wert von P=0,1088 (Telefonin166 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter terview) bzw. P=0,0823 (Face-to-Face-Interview) gering aus. Der negativ prädiktive Wert wird beschrieben als die Wahrscheinlichkeit, dass gesunde Personen auch aufgrund des jeweiligen Diagnoseinstrumentes als gesund eingestuft werden. Die Werte von P=0,9930 (Telefoninterview) bzw. P=0,9849 (Face-to-Face-Interview) können als hoch eingestuft werden, das heißt die Wahrscheinlichkeit tatsächlich gesunde Personen auch als solche zu erkennen ist nahezu 100%. Genetische Tests. Dieser Studienteil sollte prüfen, inwieweit es in einem derartigen Studienansatz möglich ist, genetisches Material der Studienteilnehmer für Studienzwecke zu gewinnen. Leider konnte dies nur bei der AOK Bremen getestet werden, da beide großen Krankenkassen (DAK und TK) nicht an diesem Studienteil teilnahmen. Es wurde außerdem geprüft, ob das von den Studienteilnehmern als Speichelprobe gewonnene Material (mittels Oragene DNA Kits) in der Menge ausreichend und nach dem Versand geeignet ist für genetische Analysen. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurden drei Studien mit unterschiedlichem Studiendesign durchgeführt. Die Datenbankstudie zeigte eine ähnliche Inzidenz und Prävalenz von ADHS wie frühere Studien in Deutschland, ermittelte ein höheres Unfallrisiko bei ADHS-Kindern im Vergleich zu gemachten Kontrollkindern ohne ADHS und zeigte, dass eine Diagnose von F90.1 sowie vorbestehende psychiatrische Komorbidität wichtige Prädiktoren des weiteren Erkrankungsverlaufes sind, nicht allerdings der Bildungsstand des Hauptversicherten. Die auf den Krankenkassendaten durchgeführte Case-Only Studie liefert Hinweise für einen protektiven Effekt der ADHS-Medikation, das erhöhte Unfallrisiko bei ADHS-Kindern zu reduzieren. Die Feldstudie hatte zum Ziel, die Machbarkeit einer Rekrutierung von Studienteilnehmern mit und ohne ADHS über die Krankenkassendaten zu ermitteln. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Datenbankstudien viele interessante Einzelergebnisse zum Krankheits- und Therapieverlauf von ADHS und den Effekten der medikamentösen Therapie in diesem Forschungsvorhaben bereit gestellt haben und sich für weitere Untersuchungen als aussichtsreich erwiesen haben. Die Datenbankstudie hatte mit fünf Jahren ein längeres Follow-up als im Forschungsantrag vorgesehen. Gleichwohl ist das Follow-up immer noch gering, um den Verlauf von ADHS in das Erwachsenenalter zu beurteilen. Hierfür ist eine eigenfinanzierte Fortführung der Datenbankstudie bis zum Jahr 2018 vorgesehen, die bereits von den Krankenkassen und Behörden genehmigt ist. 6.7 Literatur Becker, A., Steinhausen, H.-C., Baldursson, G., Dalsgaard, S., Lorenzo, M.J., Ralston, S.J. et al. (2006). Psychopathological screening of children with ADHD: Strengths and Difficulties Questionnaire in a pan-European study. European Child and 167 Langzeitverlauf der ADHS im Kindesalter Adolescent Psychiatry, 15, 56-62. Brehaut, J.C., Miller, A., Raina, P. & McGrail, K.M. (2003). Childhood behavior disorders and injuries among children and youth: a population-based study. Pediatrics, 111, 262-269. Delmo, C., Weiffenbach, O., Gabriel, M., Stadler, C. & Poustka, F. (2000). Diagnostisches Interview. Kiddie-Sads-Present and Lifetime Version 5. Frankfurt: Universität Frankfurt. DiScala, C., Lescohier, I., Barthel, M. & Li, G. (1998). Injuries to children with attention deficit hyperactivity disorder. 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Testbatterie zur Aufmerksamkeitsstörung (TAP) Version 2.2. Herzogenrath: PSYTEST. Publikationen Lindemann, C., Langner, I., Kraut, A.A., Banaschewski, T., Schad-Hansjosten, T., Petermann, U. et al. (2012). Age-specific prevalence, incidence of new diagnoses, and drug treatment of attention-deficit/hyperactivity disorder in Germany. Journal of Child and Adolescent Psychopharmacology, 22, 307-314. Garbe, E., Mikolajczyk, R.T., Banaschewski, T., Petermann, U., Petermann, F., Kraut, A. et al. (2012). Drug treatment patterns of attention deficit/hyperactivity disorder in children and adolescents in Germany: results from a large populationbased cohort study. Journal of Child and Adolescent Psychopharmacology, 22, Heft 6. Kraut, A.A., Langner, I., Lindemann, C., Banaschewski, T., Petermann, U., Petermann, F. et al. (2012). Methylphenidate treatment prevalence and incidence in Germany and comorbidities in methylphenidate users compared to controls. BMC Psychiatry. 168 Projet Prima!r 7 Luxemburger Modell zur Prävention aggressiven Verhaltens in der Spiel- und Primarschule „Projet Prima!r“ 7.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiterinnen Dipl.-Psych. Heike Natzke Prof. Dr. Ute Koglin Dr. Nandoli von Marées KoordinatorInnen Dipl.-Psych. Mireille Thill (Luxemburg) Dr. phil. Heike Jacobsen (Luxemburg) Zeitraum 1.09.2004 - 31.01.2007 Finanzierung Service de Coordination de la Recherche et de l'Innovation Pédagogiques et Technologiques (SCRIPT), Ministère de l'Education Nationale, de la Formation Professionnelle et des Sports (MENFP), Luxembourg, Ville de Luxembourg, Service de l‘Enseignement 7.2 Zusammenfassung In einer komparativen Evaluationsstudie sollen unmittelbare und längerfristige Effekte eines Programms zur Prävention aggressiven Verhaltens von Vor- und Grundschülern in Luxemburg-City untersucht werden. Die eher bedarfsorientierte Studie sieht die Entwicklung und Durchführung multimodaler Präventionsmaßnahmen für Vorschüler, Erstklässler und Drittklässler vor, die systematisch aufeinander abgestimmt werden. Die universelle Komponente des Programms umfasst im Wesentli169 Projet Prima!r chen Trainings für die gesamten Klassenverbände aller Kohorten, Schulungen und Supervision für die Klassenlehrer, für Hort- und Heimerzieher sowie Elterntrainings. Flankierend werden Fortbildungen und Supervisionen für Pädagogen und Behandler bereits selektierter und in einer „classe speciale“ zusammengefasster verhaltensauffälliger Primarschüler angeboten. Es sollen insgesamt acht ortsansässige Primarschulen beteiligt werden. Die Erhebung der Daten zu den Maßnahmen für die Vorschul- und Erstklässler-Kohorte soll anhand von Befragungen der Schüler, Lehrer und Eltern mit unterschiedlichen Methoden (Interview, Fragebogen) zu drei verschiedenen Messzeitpunkten (Prätest, Posttest, Follow Up nach 12 Monaten) im Rahmen eines Kontrollgruppendesigns erfolgen. Für die Maßnahmen der Drittklässler ist eine Machbarkeitsanalyse vorgesehen. Die Einschätzung der verhaltensauffälligen „classe speciale“-Schüler“ erfolgt in Einzelfallanalysen. 7.3 Stand der Forschung Aggressives Verhalten stellt eine der häufigsten Formen auffälligen Sozialverhaltens bei Kindern und Jugendlichen dar, wobei das Auftreten aggressiv geprägter Verhaltensstörungen (nach ICD-10: Störungen des Sozialverhaltens) mit zunehmendem Alter steigt. Studien zum Verlauf belegen zudem, dass aggressives Verhalten als sehr stabil bezeichnet werden muss und sich von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter fortsetzen kann. Kinder mit aggressiv/oppositionellem Verhalten weisen ein erhöhtes Risiko für ein dissoziales und delinquentes Verhalten im Jugendalter auf. Webster-Stratton und Taylor (2001) machen darauf aufmerksam, dass die bedeutsamsten risikoerhöhenden Faktoren für das Auftreten aggressiv-dissozialer Verhaltensstörungen im Jugendalter 1. ein frühes Auftreten der Symptomatik, 2. Beziehungen zu massiv auffälligen Gleichaltrigen, 3. überstrenges und inkonsistentes Erziehungsverhalten der Eltern sowie mangelnde elterliche Aufsicht kindlicher Aktivitäten, 4. Schulversagen sowie mangelnde Einbindung der Schüler in die Schule sind. Als Auslöser für aggressives Verhalten aus mikroanalytischer Perspektive werden zudem kognitive und emotionale Faktoren diskutiert. In einer Reihe von Studien konnte nachgewiesen werden, dass dysfunktionale Wahrnehmungs-, Interpretations- und Attributionsprozesse bei der kognitiven Verarbeitung sozialer Situationen die Auftretensrate aggressiver Handlungen erhöhen können (Crick & Dodge, 1994; Dodge & Schwartz, 1997). Lemerise und Arsenio (2000) betonen die bedeutsame Rolle von Emotionen bei der Strukturierung von gedanklichen Prozessen. Da Emotionen als verstärkende oder bestrafende Handlungskonsequenzen wirken, haben sie zusätzlich einen beträchtlichen Einfluss auf Handlungsmotivation und -auswahl. Der Einfluss emotionaler Faktoren auf aggressives Verhalten wird durch Befunde ge170 Projet Prima!r stützt, die bei Vorschulkindern mit externalisierenden Verhaltensausfälligkeiten häufiger Defizite in emotionalen Kompetenzen nachweisen als bei unauffälligen Kindern (vgl. im Überblick Petermann & Wiedebusch, 2008). Im Rahmen der Präventionsforschung zu aggressiv-dissozialen Verhaltensstörungen werden möglichst frühzeitig einsetzende Maßnahmen gefordert (z.B. Tremblay, LeMarquand & Vitaro, 1999; Webster-Stratton & Taylor, 2001). In unterschiedlichen Studien wird darauf hingewiesen, dass gewalttätige Jugendliche mit einer Wahrscheinlichkeit von nahezu 50% bereits im Alter von sechs Jahren und jünger identifiziert werden können (Loeber et al., 1993; Tremblay et al. 1999). Die Durchführung von Präventionsmaßnahmen erweist sich insbesondere kurz vor oder kurz nach Entwicklungsübergängen (z.B. Kindergarten, Einschulung) als sinnvoll, weil die Kinder und ihre Familien während dieser Phasen erhöhter Anforderungen vermehrt Stressbelastungen ausgesetzt sind und damit einem höheren Störungsrisiko unterliegen. Insbesondere die Schuleingangsphase konnte als günstiger Zeitpunkt identifiziert werden, um den weiteren Entwicklungsverlauf eines Kindes frühzeitig positiv zu beeinflussen (vgl. Reid, 1993). Entwicklungspsychopathologische Befunde legen nahe, gezielte Interventionen bereits im Kindergarten durchzuführen, um ungünstigen Entwicklungen so früh wie möglich entgegen zu wirken (Webster-Stratton & Taylor, 2001). Es liegen eine Anzahl von schulischen Trainingsprogrammen vor, die sich entweder auf die Veränderung von Kontextfaktoren (z.B. das Lehrerverhalten) oder von personengebundenen Faktoren (z.B. die sozialen Fertigkeiten des Kindes) stützen, um der Entwicklung von Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten und des Sozialverhaltens vorzubeugen. Wirksame Programme mit systematisch aufeinander abgestimmten Modulen für Vorschüler, Schulanfänger und Grundschüler, wie etwa Drittklässlern, die kontextuelle und personzentrierte Ansätze vereinigen, um zu stabilen Erfolgen zu kommen, sind im deutschen Sprachraum nur spärlich vertreten. Die langfristige Wirksamkeit singulärer Präventionsprogramme, die entweder ausschließlich universell oder selektiv/indiziert ausgerichtet sind, ist begrenzt (z.B. Tremblay et al., 1999). Metaanalytische Befunde sprechen daher für MehrebenenProgramme, die universelle Fördermaßnahmen für alle Kinder mit selektiven Interventionen für Risikokinder kombinieren und zudem unterschiedliche Erfahrungsbereiche (z.B. die Schule, das Elternhaus und Peer-Groups) mit einbinden (Conduct Problems Prevention Research Group [CPPRG], 1999a, b; Horne, 2004; Tremblay et al., 1999). Nach Angaben Luxemburger Experten ist seit Beginn des Jahres 2004 eine signifikante Zunahme aggressiven Verhaltens bei Kindern im Primarschulalter in Luxemburg-City zu beobachten. Die steigende Häufigkeit aggressiver Handlungen zeige sich besonders in den Schulen, sei aber auch in Luxemburger Kinderhorten, die von ca. 40% aller Schüler in Luxemburg-City frequentiert werden, zu verzeichnen. Die generelle Tendenz habe sich demnach besonders in einem mittelständischen Stadt171 Projet Prima!r teil verdichtet, in dem ein Kinderheim sowie ein Internat angesiedelt sind. In dem Kinderheim leben vor allem Kinder mit problematischem familiärem Hintergrund. Das Internat beherbergt unter anderem Flüchtlinge aus Kriegsgebieten. 7.4 Ziele Im Abgleich mit dem aktuellen Forschungsstand zur Prävention aggressiven Verhaltens bei Vor- und Grundschülern soll ein bedarfsgerechtes Präventionsvorhaben gestaltet werden, das unauffällige und bereits verhaltensauffällige Kinder des Vorschul- und Grundschulbereichs in unterschiedlichen Lebensumfeldern (Vorschule, Primarschule, Familie/familienanaloges Bezugsfeld) mithilfe kindzentrierter und kontextorientierter Präventionsmaßnahmen erreicht, um das Auftreten aggressiven Schülerverhaltens kurz-, mittel- und langfristig abzubauen. Die Schüler der in Luxemburg obligatorischen Vorschul- (Kindergarten), der 1. und der 3. Klassen sollen durch universelle und altersangemessene Mediatorentrainings zur gezielten Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen angeleitet werden. Unter Berücksichtigung von bereits evaluierten effektiven Präventionsprogrammen des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation, wie etwa des Verhaltenstrainings für Schulanfänger (Petermann, Natzke, Gerken & Walter, 2013), sollen aufeinander abgestimmte Maßnahmen gestaltet bzw. weiterentwickelt werden. 7.5 Methodisches Vorgehen Als Studiendesign ist ein Vergleich von Interventions- und Kontrollgruppen zu drei Messzeitpunkten vorgesehen: Während die Interventionsgruppen mit den oben genannten Präventionsmaßnahmen erhalten, durchlaufen die Kontrollgruppen das schulische Curriculum ohne zusätzliche Interventionen. Die zur Wirksamkeitsüberprüfung notwendigen Datenerhebungen sollen direkt vor Beginn der Präventionsmaßnahmen (Prätest), direkt nach Abschluss der Maßnahmen (Posttest) und nach einem Zeitraum von einem Jahr. Aus organisatorischen Gründen können die Maßnahmen für die Schüler der 3. Klasse erst im Frühjahr 2006 beginnen. Die Überprüfung der Maßnahmen für die 3. Klassen erfolgt im Rahmen einer Machbarkeitsanalyse, in der die Klassenlehrer insbesondere das Training für die Schüler hinsichtlich seiner Akzeptanz und Realisierbarkeit einschätzen. Rekrutierung und Schulung der Interviewer. Um eine professionelle Befragung der Kinder zu drei Messzeitpunkten in verschiedenen Sprachen zu gewährleisten, wurden Interviewer/-innen rekrutiert. Diese Aufgabe wurde weitestgehend vom MENFP in Luxemburg übernommen, da es sich bei den Interviewer um Personen mit Sprachkenntnissen in Luxemburgisch, Französisch und Portugiesisch handeln muss172 Projet Prima!r te. Bei den Interviewern handelte es sich um Psychologen, Studenten der Psychologie im Hauptstudium sowie um eine portugiesische Mitarbeiterin des MENFP. In der Follow up Befragung wurden ferner drei portugiesische und in Luxemburg lebende Berufsschüler/-innen an der Befragung beteiligt. Die videogestützte Interviewerschulung wurde von Mitarbeitern des ZKPR entwickelt und durchgeführt. Durchführung von Pretest, Posttest und Follow Up. Die Befragungen des Pretests wurden im Januar, Februar und März 2005, die des Posttests im Juli und August 2005 und die des Follow Up ab Ende Juni und im Juli 2006 absolviert. Die Interviews mit den Kindern wurden für den Pretest im Zeitraum von Februar bis März 2005 (Nacherhebung in einem Stadtteil) durchgeführt. Die Kinderinterviews für den Posttest fanden im Zeitraum von Juli bis August 2005 statt. Die Kinderbefragungen des Follow Up erfolgten Ende Juni bis Juli 2006. Fortbildungen, Kurse und Supervisionen. Der Kinderkurs für die Spielschüler wurde von Frau Prof. U. Koglin und Prof. F. Petermann neu entwickelt. Den Rahmen des Kinderkurses für die ersten Klassen bildete das bereits publizierte „Verhaltenstraining für Schulanfänger“ (Petermann et al., 2006). Der Kinderkurs für die dritte Klasse sowie die Fortbildungen für die Lehrer und Erzieher wurden von Mitarbeitern des ZKPR neu entwickelt und fertiggestellt. Die viertägige Fortbildung der neun Lehrer der Interventionsgruppe erfolgte im Februar 2005. Die Fortbildungen für die zwei Lehrer der dritten Klassen fanden im Januar 2006 im Centre des Langues (SCRIPT) statt. An den eintätigen Fortbildungen im Februar 2005 sowie Januar 2006 im Centre des Langues (SCRIPT) nahmen Leiter, Vertreter und Mitarbeiter der verschiedenen Foyers der Stadt Luxemburg teil. Die Kinderkurse begleitende Supervisionen für die Lehrer der Interventionsgruppe im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitstudie fanden im Centre des Langues (SCRIPT) statt. Die Durchführung der Kinderkurse im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitstudie (Vorschule; erste Klassen) erfolgte zwischen März und Juli 2006. Die Entwicklung und Durchführung der Kurse erfolgte durch das ZKPR in deutscher, französischer und portugiesischer Sprache. Wissenschaftliche Begleitstudie. Die Überprüfung der Wirksamkeit erfolgte als externe Evaluation mittels eines kontrollierten prospektiven 2x3 Designs, das die Entwicklung einer Interventions- und Kontrollgruppe zu je drei Messzeitpunkten kontrastierte. Die Interventionsgruppe setzte sich aus den Kindern, die an einem schulbasierten Kinderkurs teilnahmen, zusammen. Die Kontrollgruppe bildeten vergleichbare Luxemburger Kinder, die keine Projet Prima!r-Angebote erhielten. Zur besseren Verständlichkeit werden sie im Folgenden als „Kursgruppe“ und „Vergleichsgruppe“ bezeichnet. Die Veränderungsmessungen erfolgten anhand von Befragungen der Lehrer, der Eltern und der Kinder mit Hilfe von Fragebögen. Die Kinder wurden einzeln durch geschulte Interviewer befragt. Die Befragungen der Kinder erfolgten nach Vorankündigung und mit schriftlichem Einverständnis der Eltern in den jeweiligen Schulen während der Unterrichtszeit. Die Befragung eines Kindes dauerte maximal 30 Minuten. Die Befragungen wurden direkt vor den Interventio173 Projet Prima!r nen (MZP 1), direkt nach den Interventionen (MZP 2) sowie 12 Monate nach den Interventionen durchgeführt (MZP 3). Interventionen. Der schulbasierte Kurs für Spielschüler ist ein kompetenzorientiertes Programm zur Prävention aggressiven Verhaltens und Förderung von Kindern zwischen vier und sechs Jahren, das eigens für das Projet Prima!r vom ZKPR entwickelt wurde. Es besteht aus 25 Einheiten, die durchschnittlich zweimal pro Woche in der Spielschule von den Klassenlehrern durchgeführt wurden. Das bereits publizierte Präventionsprogramm (Petermann et al., 2013) wurde mit den gesamten Klassenverbänden vom Klassenlehrer ab Frühjahr 2005 durchgeführt. Das Training besteht aus 26 Sitzungen mit einer Frequenz von zwei Sitzungen pro Woche. Zur Stärkung der Erziehungskompetenzen der Eltern wurden parallel zu den Kinderkursen Elternkurse in den Schulen angeboten. Die standardisierten und vom ZKPR entwickelten Kurse umfassten vier Sitzungen à 90 Minuten und wurden nach Bedarf in deutscher, französischer und portugiesischer Sprache zum Teil mit Kinderbetreuung abgehalten. Datenerhebung. Die Befragung der Eltern, Lehrer und Erzieher zum Verhalten der Kinder erfolgte mit einer Zusammenstellung aus anerkannten Messinstrumenten. Die Befragung der Schüler erfolgte aufgrund des Alters der Kinder und deren damit verbundenen eingeschränkten Fertigkeiten im Lesen- und Schreiben mittels eines Interviews. Einen Überblick über die verwendeten Befragungsinstrumente gibt Tabelle 1. Tabelle 1: Befragungsinstrumente. Erhebungsinstrument Modifizierte Version des Tests zur komparativen Sprachentwicklungs- und Förderdiagnostik (TKS, Krampen et al., 1999) Coloured Progressive Matrices (CPM, Raven, Bulheller & Häcker, 2002) Kinderinterview für soziale Situationen (KISS, Petermann, Koglin, Natzke & von Marées, 2004) 10 Items zu negativen und positiven Erziehungspraktiken; angelehnt an den APQ Fragebogen zu Stärken und Schwächen (Strengths and Difficulties Questionnaire, SDQ, Goodman, 1997) FEEK-Skala (Koglin, Brüggemann & Petermann, 2004) Skala zu aggressivem Verhalten (SAV; Koglin & Petermann, 2004) Social Competence Scale (SCS; CPPRG, 2003) Antisocial Process Screening Device (APSD, Frick & Hare, 2001) Alabama Parenting Questionnaire (APQ; Shelton, Frick & Wootton) 7.6 Ergebnisse 174 Projet Prima!r Insgesamt nahmen 17 Klassen aus dem Stadtgebiet Luxemburg an dem Projekt teil. Insgesamt wurden 183 Familien mit Ihren Kindern für das Projet gewonnen. Zum ersten Untersuchungszeitpunkt lagen aus diesen Familien 172 Angaben von Müttern vor und 124 Angaben von Vätern vor. Für alle teilnehmenden Kinder (N = 183) lagen Fragebögen der Lehrer vor. Zum zweiten Messzeitpunkt sank die Teilnahmequote bei den Eltern erheblich ab. Hier lagen 119 Fragebögen von Müttern und 102 Fragebögen von Vätern vor. Von den Lehrern lagen 183 Fragebögen vor. Zum dritten Messzeitpunkt gingen noch 110 Fragebögen von Müttern, 82 von Vätern und 165 der Lehrer ein. Der Ausfall entstand überwiegend durch Umzug der Eltern oder eine schlechte Erreichbarkeit der Eltern durch das Bremer Forscherteam. Die Dropout-Quote bei den Eltern beträgt damit vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt 30,81 bzw. 17,74% und vom zweiten zum dritten Messzeitpunkt 7,56 bzw. 19,61% für die Mütter und Väter. Die absolute Mehrheit der Kinder lebte zum ersten Messzeitpunkt bei den leiblichen Eltern. Ca. 12% der Kinder lebte bei geschiedenen oder getrennt lebenden, 6% bei ledigen Eltern. Nahezu 50% der Kinder hatte eine portugiesische, nur ein Viertel der Kinder besaß die luxemburgische Staatsbürgerschaft. Am Bildungsniveau der Eltern wird deutlich, dass es sich bei der Stichprobe nicht um einen repräsentativen Ausschnitt der Bevölkerung handelt. Mehr als 50% aller Eltern konnte einen Bildungsabschluss im Sinne eines Abiturs oder eines Hochschulabschlusses vorweisen. Entwicklungsbeschreibende Ergebnisse. Der SDQ ermöglicht eine Einteilung der Kinder nach dem Ausmaß der berichteten Probleme in die Kategorien „unauffällig“, „grenzwertig“ und „auffällig“ (Cut-off-Werte). Im Sinne eines Screenings können so Kinder identifiziert werden, die ein besonderes Risiko für klinisch bedeutsame Verhaltensprobleme aufweisen und damit über den „Cut-off-Werten liegen. Die Mütter schätzen die prosozialen Fertigkeiten ihrer Kinder gut ein. Lediglich 3,5% bzw. 5,5% der Mütter berichten davon, dass ihre Kinder Schwierigkeiten haben, auf andere Kinder helfend zuzugehen. Die Mütter in dieser Stichprobe berichten damit von deutlich weniger Kindern mit Defiziten prosozialer Fertigkeiten im Vergleich zu den Normierungsstudien, nach denen jeweils ca. 10% mit den erreichten Werten in den Kategorien „grenzwertig“ bzw. „auffällig“ liegen. Umso deutlicher berichten die Mütter jedoch von externalisierenden Verhaltensproblemen (wie häufige Wutanfälle und trotziges Verhalten) oder und Problemen mit Gleichaltrigen. In diesen Bereichen haben nach den mütterlichen Angaben rund ein Drittel der Kinder deutliche Schwierigkeiten. Dabei berichten die Mütter besonders über die Jungen vermehrt aggressives Verhalten, motorische Unruhe und Unaufmerksamkeit (p <. 05). Bei den Defiziten im prosozialen Verhalten, emotionalen Problemen oder Problemen mit Gleichaltrigen gibt es hingegen keinen signifikanten Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. Entsprechend erreichen auch mehr Jungen als Mädchen mit dem Gesamtproblemwert ein Ergebnis, das über den Grenzwerten liegt. Die Lehrereinschätzungen zu den Verhaltensstärken und -schwächen zeigen, dass die Lehrer die Kinder insgesamt weniger verhaltensschwierig einschätzen als die 175 Projet Prima!r Mütter. In Übereinstimmung mit den Müttern berichten die Lehrer am häufigsten über externalisierende Verhaltensprobleme der Kinder. Im Unterschied zu den Müttern, die am zweithäufigsten besonders Probleme mit Gleichaltrigen angaben, stehen für die Lehrer Probleme durch unaufmerksames und hyperaktives Verhalten an zweiter Stelle. Danach berichten Lehrer von Defiziten im prosozialen Verhalten, während Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen am seltensten angeben werden. Beim Vergleich der Vorschulkinder mit den Erstklässlern zeigen sich typische Alterseffekte. Das Verhalten der älteren Kinder wird signifikant prosozialer beurteilt (t= 2.61, p<.01). Dazu weisen sie deutlich mehr emotionale Probleme auf (t= -2.53, p<.05). Externalisierende Verhaltensprobleme treten bei den Vorschülern deskriptiv häufiger auf; dieser Unterschied ist jedoch nicht signifikant. Die häufigeren Probleme der Vorschulkinder im Umgang mit Gleichaltrigen erweisen sich als tendenziell signifikant (t= 1.73, p<.10). Die Auswertungen zeigen, dass die ermittelten IQ-Werte der Kinder deutlich über den erwarteten Mittelwert von 100 liegen. Die Kinder erreichen einen durchschnittlichen Wert von 114 IQ-Punkten mit einer Standardabweichung von SD = 18. Jungen und Mädchen unterscheiden sich nicht signifikant in den erreichten IQ-Werten (t = 0,002; p >.05). Es kann jedoch ein negativer Zusammenhang mit dem Alter der Kinder festgestellt werden (r = -.16; p < .05). Demnach erreichen ältere Kinder einen geringeren IQ im Vergleich zu den jüngeren Kindern. Kinderinterview zu sozialen Situationen (KISS). Das Interview ermöglicht die Erfassung emotionaler und sozial-kognitiver Kompetenzen der Kinder, die im Allgemeinen mit der sozialen Entwicklung der Kinder im Zusammenhang stehen. Die Kinder können die Emotion Trauer am häufigsten korrekt benennen (74.9 %), gefolgt von Wut (51.4 %), Freude (41.7 %) und zuletzt Angst (29.1 %), die nur noch von einem Drittel der Kinder richtig benannt werden kann. Für die Emotion Wut kennen die Kinder am häufigsten richtige Begründungen (93.1%). Darauf folgen die Emotionen Freude (87.4%), Trauer (86.2 %) und Angst, für die die Kinder prozentual am seltensten die richtige Ursache angeben können (83.3 %). Insgesamt wird deutlich, dass mehr Kinder in der Lage sind, die richtigen Ursachen für die Emotionen zu nennen anstatt die richtigen Emotionswörter anzugeben. Sozialverhalten der Kinder vor und nach dem Kurs (MZP1 zu MZP2). Es zeigt sich eine signifikante Reduktion des Problemverhaltens. Das prosoziale Verhalten der Kinder hat in beiden Gruppen über den Kurszeitraum tendenziell abgenommen. Ein Kurseffekt kann hier nicht beobachtet werden und auch nicht für die Skala externalisierende Verhaltensprobleme. Emotionale Probleme der Kinder haben sich in der Kursgruppe hingegen signifikant reduziert. Das gleiche trifft auf Probleme durch hyperaktives Verhalten zu. Sehr deutlich haben sich Probleme mit Gleichaltrigen verringert, das heißt, bei den Kindern der Kursgruppe wird nach dem Kurs seltener gehänselt oder schikaniert und die Kinder spielen besser miteinander. Den signifikanten Verbesserungen auf den Einzelskalen entspricht der Effekt des Gesamtprob176 Projet Prima!r lemwertes: es liegt ein deutlicher Abbau des Problemverhaltens in der Kursgruppe vor. Für die Skala prosozial-kommunikatives Verhalten der Social Competence Scale zeigt sich ein signifikanter Zeiteffekt (F (df = 1,88) = 10,80, p < .001), aber keine signifikanten Effekte für die Gruppe, oder die Interaktion zwischen den Faktoren Gruppe und Zeit. Die Emotionsregulationsstrategien haben sich während der Zeit in beiden Gruppen verbessert (F (df = 1,88) = 13,42, p < .001) und der Faktor Gruppe ist signifikant (F (df = 1,88) = 4,03, p < .05). Zudem liegt eine ordinale Interaktion der Faktoren Gruppe und Zeit vor, das bedeutet, die Kinder der Kursgruppe weisen über die Zeit einen stärkeren Anstieg der Emotionsregulationsstrategien auf (F (df = 1,88) = 5,79, p < .05). Werden die Ausgangswerte der Kinder bei der Auswertung berücksichtigt, zeigt sich, dass besonders die Kinder mit Problemwerten über dem Cut-Off von dem Kurs profitierten. Die Kinder der Kursgruppe, die zum ersten Messzeitpunkt auffällige Werte im SDQ-Gesamtwert erreichten (M = 17, 90, SD = 6,07), werden zum zweiten Messzeitpunkt als deutlich weniger auffällig beurteilt (M = 13, 45; SD = 6,96; d = 0.68). Die Werte sinken aus dem Bereich „klinisch auffällig“ zurück in den Bereich „grenzwertig“. Die Werte der Vergleichsgruppe steigen im Durchschnitt sogar noch leicht an von M1 = 17.00 (SD = 2,00) auf M2 = 18.00 (SD = 3,10) (vgl. Abb. 1). 20 16 K-unauffällig 12 K- auffällig V- unauffällig 8 V - auffällig 4 0 MZP 1 MZP2 K = Kursgruppe; V = Vergleichsgruppe Abbildung 1: Gesamtproblemwert in der Kurs- und der Vergleichsgruppe zu MZP1 und MZP2 nach Ausgangswert ( < Cut-Off bzw. über dem Cut-Off). Die schulischen Fähigkeiten der Kinder in den beiden Gruppen unterscheiden sich ebenfalls. Es lässt sich ein signifikanter Interaktionseffekt zeigen (F (df = 1,88) = 4,59, p < .05), aber keine Effekte der Faktoren Gruppe. Die positiven Effekte der Einzelskalen zeigen sich auch in einem signifikanten Interaktionseffekt des Gesamtwertes sozialer Kompetenzen des SCS (F (df = 1,88) = 4,10, p < .05). Der Faktor Gruppe zeigt keine Unterschiede. Für trotzig-aggressives Verhalten nach Einschätzung der Lehrer zeigen sich vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt keine signifikanten Veränderungen. Auf der Skala „Emotionale Kompetenz“ bilden sich hingegen für den Kurs posi177 Projet Prima!r tive Effekte ab: Gruppe: F (df = 1,88) = 2,67, p = ns; Zeit: F (df = 1,88) = 65,73, p <.001; Interaktion: F (df = 1,88) = 6,80, p < .01). Zusammenfassend zeigt der Vergleich der Verhaltenseinschätzungen der Lehrer vor und nach dem Training eine Reduktion problematischen Verhaltens und einen Anstieg sozialer Kompetenzen bei den Kindern der Kursgruppe. Die Verhaltensprobleme gingen in den Bereichen emotionale Probleme, Hyperaktivität und Probleme mit Gleichaltrigen zurück. Ergebnisse aus dem Kinderinterview. Die erste Hälfte des Kurses zielt besonders darauf ab, emotionale Kompetenzen der Kinder zu fördern. Daher ist zu erwarten, dass die Kinder im Anschluss an dem Kurs die Emotionen im Kinderinterview auch besser erkennen und benennen können. Dazu wurde die Mittelwerte der KISSEinzelangaben (Block 1: Emotionen Erkennen und Benennen) in der Kurs- und in der Vergleichsgruppe vor und nach dem Kurs verglichen. Die Kurskinder profitieren sehr deutlich und können signifikant ihr Emotionswissen durch den Kurs verbessern. Ein Vergleich des Sozialverhaltens der Kinder zum ersten und zweiten Messzeitpunkt mit denen der Kinder, deren Daten vollständig vorhanden sind zeigt, dass diese sich auf der SDQ-Gesamtskala nicht signifikant unterscheiden. Für die Skala „Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen“ verlaufen die Werte in der Kursgruppe ebenfalls vförmig, während sie in der Vergleichsgruppe kontinuierlich ansteigen. Zum letzten Messzeitpunkt werden in beiden Gruppen durchschnittlich gleich viele Probleme mit anderen Kindern berichtet. Der signifikante Interaktionseffekt geht besonders damit einher, dass die Kinder in der Kursgruppe zum ersten Messzeitpunkt auch in diesem Bereich ein höheres Ausgangsniveau hatten. Nach dem Kurs wurden die Probleme von den Lehrern deutlich niedriger eingeschätzt. Für die Skala „Hyperaktivität“, für die im Prä-Post-Test-Vergleich ein signifikanter Kurseffekt abgebildet werden konnte, liegt dieser ein Jahr nach dem Kursende nicht mehr vor. Deutlich ist jedoch, dass die Kinder der Vergleichsgruppe aus der Sicht der Lehrer über die Zeit konstant mehr Probleme aufweisen als die der Kursgruppe. Die emotionalen Kompetenzen (FEEK) der Kinder steigen in beiden Gruppen über den Beobachtungszeitraum von eineinhalb Jahren an. Die Kinder der Kursgruppe liegen dabei immer über dem Niveau der Vergleichsgruppe. Das aggressive Verhalten entwickelt sich in beiden Gruppen gegenläufig. Während es in der Vergleichsgruppe zunimmt, sinkt es in der Kursgruppe. Insgesamt zeigen sich damit auch ein Jahr nach dem Kursende einige Ergebnisse, die die Wirksamkeit des Trainings bestätigen. Die Kinder weisen weniger emotionale Probleme auf und die Lehrer berichten über deutlich weniger Konflikte mit Gleichaltrigen. Insgesamt nimmt die Problembelastung der Kinder ab. Das aggressive Verhalten der Kinder reduziert sich ebenfalls, wobei dieser Trend erst über die drei Messzeitpunkte sichtbar wird. In Bezug auf positives Sozialverhalten und sozial-emotionale Kompetenzen nach Einschätzung der Lehrer legen die Ergebnisse nahe, dass der Kurs zu einer Beschleunigung in diesen Entwicklungsbereichen geführt hatte, die Kinder der Vergleichsgruppe nach dem Ende des Kurses jedoch wieder aufholen konnten. Dieses Ergebnismuster legt nahe, dass entweder in regelmäßigen Abständen Auffrischungstermine stattfinden sollten oder aber den Kin178 Projet Prima!r dern weitere regelmäßige Angebote gemacht werden sollten. Effekte der Kinderkurse in der ersten Klasse. In der Skala prosoziales Verhalten der SCS zeigt sich bei einem Vergleich der Mittelwerte, dass beide Gruppen zum zweiten Messzeitpunkt zunächst ihr Niveau halten. Nach einem Jahr werden jedoch signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen sichtbar. Während für die Kursgruppe eine Zunahme sozialer Kompetenzen angegeben wird, sinken die Mittelwerte der Vergleichsgruppe leicht ab. Hier ist ein signifikanter Haupteffekt Gruppe sowie ein signifikanter Interaktionseffekt zu beobachten. (Gruppe: F (df = 1,70) = 4.84, p < .05; Zeit: F (df = 1,70) = .059, p = ns; Interaktion: F (df = 1,70= .015, p < .05). Die Lehrer schätzten die prosozialen Verhaltensweisen der Kinder der Kursgruppe demnach bereits vor Beginn der Maßnahmen des Projet Prima!r statistisch bedeutsam höher ein als die der Vergleichsgruppe. Im SDQ zeigen die Gruppen im Prinzip eine ähnliche Tendenz. Die Kursgruppe wurde bereits vor Beginn der Studie deutlich sozial kompetenter eingeschätzt als die Vergleichsgruppe. Es ergibt sich mit dem Messinstrument SDQ jedoch kein signifikanter Interaktionseffekt. Beide Gruppen stabilisieren sich im Prinzip auf ihrem Anfangsniveau. Der Vergleich der Mittelwerte beider Gruppen über alle drei Messzeitpunkte verdeutlicht erwartungsgemäß, dass es sowohl in der Kurs- als auch in der Vergleichsgruppe mit zunehmendem Alter zu einer deutlich signifikanten Ausweitung ihrer sozial-kognitiven Kompetenzen kommt. Der Zugewinn an sozial-kognitiven Kompetenzen fällt jedoch für die Kursgruppe signifikant höher aus als für die Vergleichsgruppe. Wenngleich der Mittelwert der Kursgruppe bis zum dritten Messzeitpunkt nicht stabil gehalten werden kann, so bleibt der Interaktionseffekt dennoch signifikant. Die Fähigkeit zur Regulation von Gefühlen wurde mit der Skala Emotionsregulation der Social Competence Scale (SCS) gemessen. Ähnlich wie auf dem Gebiet sozialer Kompetenzen wird die Kursgruppe bereits vor Kursbeginn als erheblich kompetenter eingeschätzt als die Vergleichsgruppe. Während die Mittelwerte der Kursgruppe zum zweiten und vor allem dritten Messzeitpunkt signifikant ansteigen, bleiben sie bei der Vergleichsgruppe auf der Ausgangsniveau. Zusätzlich zum SCS wurde die Entwicklung der emotionalen Kompetenzen bei den Kindern der Stichprobe mit einer FEEK-Skala gemessen. Dabei zeigen sich gravierende Unterschiede zwischen den Gruppen bereits vor Beginn der Intervention des Projet Prima!r. Die Kinder der Kursgruppe werden wieder erheblich kompetenter eingeschätzt als die Schüler/inner der Vergleichsgruppe. Emotionale Probleme wurden in der vorliegenden Studie mit der Skala „Emotionale Probleme“ des Fragebogens zu Stärken und Schwächen (Strengths and Difficulties Questionnaire SDQ) eingeschätzt. Beide Gruppen hatten vor Beginn der Interventionen ein ähnliches Ausgangsniveau. Während die Vergleichsgruppe sich über die Messzeitpunkte auf ihrem Ausgangsniveau stabilisiert, kommt es bei der Kursgruppe zu einem leichten Rückgang emotionaler Probleme, der jedoch knapp die statistische Bedeutsamkeit verfehlt. Da der Abbau externalisierender Verhaltensprobleme in der Schule eines der Kern179 Projet Prima!r ziele darstellte, wurde der Bereich aggressives Verhalten zusätzlich mit der Skala Aggressiven Verhaltens (SAV, Koglin & Petermann, 2004) erfasst. Beide Gruppen sind vor Beginn der Interventionen im Hinblick auf das Ausmaß trotzig aggressiven Verhaltens auf einem ähnlichen Niveau anzusiedeln, wobei sich auch im SAV andeutet, dass die Lehrer die Kursgruppe hier etwas problembelasteter einschätzen, als die Vergleichsgruppe. Während es bei der Kursgruppe zum dritten Messzeitpunkt zu einem deutlichen Rückgang aggressiven Verhaltens kommt, nimmt das aggressive Verhalten der Kinder der Vergleichsgruppe im Mittelwert deutlich zu. Der Trend im Hinblick auf den Abbau aggressiven Verhaltens bei der Kursgruppe bestätigt sich im SAV; der Interaktionseffekt wird hier hochsignifikant. Es wurde versucht, Verhaltensmerkmale bei Kindern herauszufiltern, die bei einem weiteren ungünstigen Entwicklungsverlauf das Risiko für das spätere Auftreten dissozialen Verhaltens erhöhen. Bislang wurden drei kritische Verhaltensmerkmale identifiziert: gefühlloses Verhalten, selbstbezogenes Verhalten sowie Impulsivität. Im Bereich des gefühllosen Verhaltens kommt es in beiden Gruppen über alle drei Messzeitpunkte zu einem hochsignifikanten Rückgang gefühllosen Verhaltens. Während es in der Vergleichsgruppe zum dritten Messzeitpunkt jedoch zu einem erneuten Zuwachs an Problemverhalten kommt, nimmt der Mittelwert der Kursgruppe weiter kontinuierlich ab. Es kommt daher zu einem signifikanten Interaktionseffekt, der positive Wirkungen des Kinderkurses nahe legt. Im Bereich selbstbezogenen Verhaltens kommt es zu keinen signifikanten Effekten im Hinblick auf die Faktoren Gruppe, Zeit oder Zeit x Gruppe. In der Tendenz kommt es zum dritten Messzeitpunkt in der Kursgruppe zwar zu einem leichten Rückgang des Mittelwerts, der unter das Niveau des ersten Messzeitpunkts absinkt, während bei der Vergleichsgruppe ein Mittelwertsanstieg zu beobachten ist. Beide Gruppen unterscheiden sich jedoch nicht signifikant. Im Bereich impulsiven Verhaltens kommt es bei der Kursgruppe im Kontrast zur Vergleichsgruppe zu einem deutlich signifikanten Rückgang des Gruppenmittelwerts, während das ungünstige Verhalten in der Vergleichsgruppe leicht zunimmt. Auswertungen zum Elternkurs. In der vorliegenden Stichprobe variieren die Korrelationen zwischen dem Erziehungsverhalten der Mütter und den Verhaltensproblemen der Kinder zwischen r = -.13 und r = -.31. Getrennt nach dem Geschlecht ist ersichtlich, dass die Richtung der Beziehung bei Jungen und Mädchen ähnlich ist, das Erziehungsverhalten für die Mädchen jedoch bedeutsamer ist. Besonders ein geringes Engagement der Mutter, inkonsistente Disziplin und wenig verantwortungsbewusstes Erziehungsverhalten geht bei den Mädchen mit vermehrten Verhaltensproblemen einher. Wird das Erziehungsverhalten im Zusammenhang mit prosozialem Verhalten betrachtet, finden sich etwas weniger signifikante, aber ähnlich starke Beziehungen. Jedoch scheint das Erziehungsverhalten für den Erwerb prosozialen Verhaltens bei den Jungen bedeutsamer zu sein, als bei den Mädchen. Bei beiden Geschlechtern gehen hohe Werte auf der Skala „Involvement“ mit prosozialem Verhalten einher. Bei den Jungen spielt darüber hinaus noch das verantwor180 Projet Prima!r tungsbewusste Erziehungsverhalten eine Rolle. Bei vier von fünf APQ-Skalen zeigen sich keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Lediglich in Bezug auf die Skala „Geringes Monitoring“ zeigt sich, dass die Eltern der Treatmentgruppe angaben, besser über die Aktivitäten ihres Kindes Bescheid zu wissen. Für die Skala Involvement zeigt sich lediglich ein signifikanter Gruppeneffekt. Dieses Ergebnismuster wiederholt sich für die Skala Positives Erziehungsverhalte und für die Skala Verantwortungsbewusstes Erziehungsverhalten. Für die Skala „Geringes Monitoring“ ist zu beobachten, dass die Eltern, die nur unregelmäßig an dem Elternkurs teilgenommen haben, nach dem Kurs höhere Werte aufweisen als zu Beginn des Kurses. Die Werte in den anderen beiden Gruppen verändern sich hingegen nicht. Ergebnisse der Selbsteinschätzungen der Lehrer. Die teilnehmenden Lehrer waren zum ersten Messzeitpunkt im Durchschnitt 38 Jahre alt (SD = 8,98; Min = 24 Jahre; Max = 54) und arbeiteten durchschnittlich bereits 14 Jahre (SD= 9.99) in ihrem Beruf. Die meisten gaben an, mit ihrer beruflichen Situation eher oder sehr zufrieden zu sein (82,4%) und nur 17,6% berichteten, eher oder sehr unzufrieden damit zu sein. Dennoch berichteten die meisten Lehrer, dass sie sich auch in ihrer Freizeit mit schulischen Problemen beschäftigten. 53% der Lehrer gaben an, dass dies manchmal vorkomme und rund 30%, dass dies oft oder immer zutreffe. 7.7 Literatur Conduct Problems Prevention Research Group (CPPRG) (1999a). 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Dies verweist auf eine hohe Effektivität sowie Effektstabilität der Erziehungshilfen. 185 Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen 8.3 Stand der Forschung Die empirische Forschung steht in der deutschen Jugendhilfe noch am Anfang (vgl. auch Harnach-Beck, 2000). Nur wenige Studien haben bislang Fragen zu Wirkungen und Effekten erzieherischer Hilfen aufgegriffen. Dabei handelt es sich überwiegend um kasuistische Einzelfallbetrachtungen oder qualitative Studien mit geringen Stichprobengrößen und Schwächen im Bereich der Reliabilität und Validität (siehe hierzu Gabriel, Keller & Studer, 2007). Das aus methodischer und inhaltlicher Sicht anspruchsvollste Forschungsprojekt stellt die Jugendhilfe-Effekte-Studie (Schmidt et al., 2002) dar. In einem prospektiven Längsschnittdesign wurden über einen Zeitraum von fünf Jahren 233 Hilfeverläufe in fünf unterschiedlichen Hilfearten untersucht. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bei Kindern und Jugendlichen Symptome um 37% reduziert, und Kompetenzen um 29% gesteigert werden konnten. Belastungen im Umfeld der Kinder und Jugendlichen reduzierten sich im Hilfeverlauf um 24%. Ein Jahr nach dem Hilfeende nahmen lediglich die im Umfeld der Kinder und Jugendlichen wirkenden Belastungen wieder zu. Im Gegensatz dazu reduzierten sich die Auffälligkeiten der Kinder und Jugendlichen selbst nach Abschluss der Maßnahme weiter. Auch das Funktionsniveau stieg nach dem Hilfeende nochmals an. 8.4 Ziele In diesem Forschungsprojekt wird die empirische Absicherung der pädagogischtherapeutischen Konzepte aus der Fachpraxis angestrebt. Konkret sollen die Forschungsergebnisse dazu beitragen, emotionale Probleme, Verhaltensauffälligkeiten sowie Lern- und Leistungsprobleme im Kontext schulischer Anforderungen effektiv abzubauen. Eltern werden in der Entwicklung eines konsistenten Erziehungsstils intensiv unterstützt. 8.5 Methodisches Vorgehen Zur Erfassung der Wirksamkeit teilstationärer Erziehungshilfen wird in der beteiligten Jugendhilfe-Einrichtung eine Vollerhebung durchgeführt. In einem Prä-PostFollow-up-Eingruppendesign werden Fall-Akten zur Datengewinnung herangezogen. Die Akten werden von der Jugendhilfe-Einrichtung geführt und enthalten Angaben von Fachkräften, vom Jugendamt und von niedergelassenen Kinderärzten und Kinderkliniken/sozialpädiatrischen Zentren. Am Hilfebeginn und -ende erfolgen die Auswertungen zunächst mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring, 2008). Im Anschluss wird das studienrelevante Material systematisch und theoriegeleitet kategorisiert. Bei diesem Schritt werden die inhaltsanalytisch gewonnenen qualitativen 186 Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen Informationen den Achsen I, II und V, Multiaxiales Klassifikationsschema (ICD-10; Remschmidt, Schmidt & Poustka, 2006) zugeordnet. Die Achsen erlauben eine qualitative Abstufung der Merkmalsausprägungen von 0 bis 2, wobei ein höherer Wert eine höhere Ausprägung des betreffenden Merkmals bedeutet. Die auf diesem Wege quantifizierten Daten werden anschließend mittels multivariater Verfahren analysiert und mit Fragebogen-Ergebnisse verknüpft. Diese werden drei Jahre nach Abschluss der Maßnahme den Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern vorgelegt. Die Bögen erfassen Lebensqualität (Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen, ILK; Mattejat & Remschmidt, 2006), Stärken und Schwächen im Sozialverhalten (Strengths and Difficulties Questionnaire, SDQ; Goodman, 1997), Erziehungskompetenz (Deutsche erweiterte Version des Alabama Parenting Questionnaire für Grundschulkinder, DEAPQ-EL-GS; Reichle & Franiek, 2009), familiäre Belastungen (Family Adversity Index, FAI; Rutter, 1977) sowie Probleme im Umgang mit Alkohol und Drogen (CRAFFT; Knight, Sherritt, Shrier, Harris & Chang, 2002). 8.6 Ergebnisse Die Analysen weisen auf eine generelle Wirksamkeit teilstationärer JugendhilfeMaßnahmen in der beteiligten Einrichtung. Im Prä-Post-Vergleich kommt es zu signifikanten Belastungsabnahmen im Bereich expansiver Verhaltensprobleme. Lernund Leistungsprobleme sowie ein Mangel an Ressourcen vermindern sich ebenfalls signifikant. Die Erziehungskompetenz der Eltern lässt sich im Hilfeverlauf deutlich steigern. Die Hilfen wirken jedoch nicht auf alle Familien gleich. Ein Gruppenvergleich zeigt, dass Einelternfamilien im Vergleich zu traditionellen Familien die Maßnahmen mit einem geringeren Erfolg beenden. Dies trifft insbesondere auf die Symptomreduktion sowie auf Erziehungskompetenz zu. Kompetenzzuwächse der Kinder und Jugendlichen unterscheiden sich am Hilfeende jedoch nicht signifikant, hier bleibt die Familienform ohne Einfluss. Langfristig (in der 36-MonatsKatamnese) weisen die ehemals betreuten Kinder und Jugendlichen in ScreeningVerfahren unauffällige Werte für verhaltensbezogene und emotionale Probleme auf. Ein Großteil konnte einen Schulabschluss erreichen und sich in den Arbeitsmarkt integrieren. Der Konsum von Alkohol unterscheidet sich drei Jahre nach Abschluss der Maßnahme nicht von dem in der Allgemeinbevölkerung. Eltern berichten jedoch in rund 50% der Fälle starke familiäre Belastungen. Aufgrund ethischer und rechtlicher Grenzen können im Feld der Jugendhilfe kontrollierte Studien kaum durchgeführt werden. Auch im vorliegenden Forschungsprojekt war der Einbezug einer Kontrollgruppe nicht möglich. Die positiven Entwicklungen bei den Kindern, Jugendlichen und Eltern können daher zumindest aus methodischen Gründen nicht auf die Maßnahmen zurückgeführt werden. Derart günstige Ergebnisse jedoch konnten in einer Hochrisiko-Gruppe, wie der hier vorliegenden 187 Wirksamkeit von Jugendhilfe-Maßnahmen Stichprobe, nicht ohne systematischen Einfluss erwartet werden. Es wird vermutet, dass die pädagogisch-therapeutische Jugendhilfe-Maßnahme in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion einnimmt. 8.7 Literatur Gabriel, T., Keller, S. & Studer, T. (2007). Wirkungen erzieherischer Hilfen - Metaanalyse ausgewählter Studien. In Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Wirkungsorientierte Jugendhilfe 3 (S. 4-35). Berlin: BMFSFJ. Goodman, R. (1997). 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Büttner, P., Rücker, S., Petermann, U. & Petermann, F. (2011). Jugendhilfe und Therapie: Effekte aus kombinierten Maßnahmen in der Gegenüberstellung mit Hilfen ohne Therapieangebot. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 60, 224-238. Büttner, P., Rücker, S., Petermann, U. & Petermann, F. (2011). Kinder psychisch kranker Eltern in teilstationärer Jugendhilfe. Wirksamkeit und Grenzen erzieherischer Hilfen im Hochrisiko-Setting. Kindheit und Entwicklung, 20, 1-10. Rücker, S. (2011). Wirksamkeit im Blick: Ergebnisse aus der teilstationären Jugendhilfe. In M. Macsenaere, S. Hiller & K. Fischer (Hrsg.), Outcome in der Jugendhilfe gemessen (S. 29-36). Freiburg: Lambertus. Rücker, S., Petermann, U., Büttner, P. & Petermann, F. (2010). Ambulante und teilstationäre Jugendhilfe-Maßnahmen: Aussagen zur langfristigen Wirksamkeit. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 38, 429-437. Rücker, S., Petermann, U., Büttner, P. & Petermann, F. (2010). 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Robert-Bosch-Stiftung, Stuttgart) 9.2 Zusammenfassung Das JobFit-Training für Jugendliche ist ein schulbasiertes Präventionsprogramm zur Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen, das aus dem „Training mit Jugendlichen“ von Petermann und Petermann (2010) hervorgegangen und in der aktuellen Auflage dieses Buches auch erstmals veröffentlicht worden ist. Es richtet sich an Schülerinnen und Schüler ab der achten Klasse, die kurz vor dem Eintritt ins Berufsleben oder vor den ersten Betriebspraktika stehen und dient dem Aufbau von Arbeits- und Sozialverhalten. Das aktuelle Projekt verbreitet das Training in seiner Anwendung und evaluiert parallel dazu seine Wirksamkeit. Ebenso sollen die Überarbeitung und Weiterentwicklung des Trainings mit den gewonnenen Erfahrungen ermöglicht werden. Das Projekt ist mit der Vorbereitung der Pilotstudie 2012 gestartet und läuft bis Ende des Schuljahres 2012/2013. 191 JobFit-Training 9.3 Stand der Forschung Das Jugendalter gilt als kritischer Entwicklungsabschnitt der Identitätsfindung, in dem sich viele Probleme kumulieren (vgl. z.B. Fuhrer, 2008; Hackauf & Ohlbrecht, 2010). Der in diesem Lebensabschnitt bevorstehende Übergang von der Schule ins Berufsleben zählt zu den Entwicklungsaufgaben des Jugendalters (Hurrelmann, 2007). Viele Jugendliche sind jedoch durch die Schule auf die Realität der Ausbildungs- und Arbeitswelt nur unzureichend vorbereitet, weswegen sie trotz ausreichender offizieller Qualifikationen noch nicht als „ausbildungsfähig“ bezeichnet werden können. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von Präventionsmaßnahmen (vgl. Heinrichs, Döpfner & Petermann, 2008) ist es daher sinnvoll, Jugendlichen in diesem wichtigen Entwicklungsübergang zu unterstützen. Eine hohe Erreichbarkeit ist für die erfolgreiche Umsetzung eines Präventionsprogramms entscheidend (Petermann & Petermann, 2011), weshalb ein schulbasiertes Präventionsprogramm aufgrund der Schulpflicht in Deutschland besonders viele Jugendliche erreichen kann. Obwohl für das Kindesalter eine Vielzahl von manualisierten Präventionsprogrammen existieren, ist die Versorgungslage für das Jugendalter diesbezüglich immer noch unzureichend (vgl. Petermann, 2007). Insbesondere im Bereich der Berufsvorbereitung finden sich keine evidenzbasierten manualisierten Präventionsprogramme, obwohl eine manualisierte Vorgehensweise und vorgegebene Materialien die Wirksamkeit von Programm erhöhen (Forman & Barakat, 2011). Vor diesem Hintergrund wurde seit 2005 das „Training mit Jugendlichen“ auf das Schulsetting adaptiert (vgl. Roos, 2006; Roos & Petermann, 2005). Im Laufe verschiedener Projekte entstand hieraus das JobFit-Training, das bereits während seiner Entwicklung in Vorläuferversionen ersten Wirksamkeitsstudien unterzogen wurde (Koglin, Petermann, Heffter & Petermann, 2010; Petermann, Koglin, Petermann & Heffter, 2010). Im laufenden Projekt soll das Training nun an größeren Stichproben auf seine Wirksamkeit hin überprüft und in diesem Rahmen optimiert werden. 9.4 Ziele Ziel des JobFit-Trainings ist die Förderung von Arbeits- und Sozialverhalten im Schulsetting. In dem Projekt wird einer großen Zahl von Schülern die Teilnahme am JobFit-Training ermöglicht. Parallel wird das Training mit den Schülern, deren Eltern ihr Einverständnis hierfür gegeben haben, evaluiert, um es auf seine Wirksamkeit hin zu überprüfen. Die gewonnenen Daten werden auf verschiedene Fragestellungen (Wirksamkeit bei Migrationshintergrund, geschlechtsspezifische Wirksamkeit, langfristige Wirksamkeit, Zusammenhang zwischen sozialen Kompetenzen und Verhaltensauffälligkeiten etc.) hin analysiert. Die in der großflächigen Anwendung des Trainings gewonnenen Erfahrungen sollen dazu dienen, das Training zu revidieren und für die Praxis zu optimieren. 192 JobFit-Training 9.5 Methodisches Vorgehen Eine Pilotstudie zu dem JobFit-Training fand von Dezember 2010 bis Juni 2011 in sechs Klassen einer Bremer Oberschule statt. Nach erfolgreichem Abschluss der Pilotstudie wurden studentische Hilfskräfte (Masterstudenten des Faches „Klinische Psychologie“ oder Bachelorstudenten der Psychologie, die kurz vor ihrem Abschluss standen) für die weiteren Studien rekrutiert. Im Anschluss wurde mit Hilfe von Pressemitteilungen und persönlichen Kontakten sowie mit Hilfe der Bildungsbehörde für das Projekt geworben, sodass im ersten Schulhalbjahr 2011/2012 insgesamt 18 Klassen am JobFit-Training teilnehmen konnten. Im zweiten Schulhalbjahr 2011/2012 nahmen 15 Klassen an dem Training teil. Im ersten Schulhalbjahr 2012/2013 konnte diese Zahl auf 25 Klassen steigen. Auch für das zweite Schulhalbjahr liegen bereits zahlreiche Anmeldungen interessierter Schulen bzw. Klassen vor. Voraussichtlich werden bis Abschluss des Projektes fast 1000 Schüler an dem Programm teilnehmen können. Durchführung des Trainings Das JobFit-Training (Petermann & Petermann, 2010) erstreckt sich über zehn Einheiten, die wöchentlich jeweils in einer Unterrichtsdoppelstunde durchgeführt werden. Die Durchführung erfolgt im Tandem durch einen Lehrer der Schule, der die Klasse bereits kennt, und eine studentische Hilfskraft, die vom Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) der Universität Bremen gestellt wird. Die Hilfskräfte erhalten eine intensive zweitägige Schulung, in der sie auf den Einsatz des Trainings in der Unterrichtssituation vorbereitet werden. Um die reibungslose Zusammenarbeit zwischen studentischen Trainern und den Lehrkräften der Schulen zu gewährleisten, erhalten die Lehrer ebenfalls eine eintägige Schulung, in der sie mit den Inhalten des Trainings vertraut gemacht werden und in der alle teilnehmenden Lehrer ein Exemplar des Trainingsmanuals zur Verfügung gestellt bekommen. Für die Trainer besteht ein permanentes Supervisionsangebot, darüber hinaus finden zur Qualitätssicherung auch Hospitationen im Unterricht durch Mitarbeiter des ZKPR statt. Evaluation des Trainings Zur Evaluation des Trainings wird ein Eigenwarte-Kontrollgruppendesign verwendet. Die Schülerinnen und Schüler erhalten zwei bis drei Monate vor Trainingsbeginn sowie direkt vor Trainingsbeginn Fragebogenmappen, womit also zwei Prämessungen vorliegen. Nach Trainingsende sowie sechs Monate nach Trainingsabschluss erhalten die Schülerinnen und Schüler erneut Fragebogenmappen. Die Ergebnisse zwischen den beiden Prämessungen werden mit den Ergebnissen zwischen den Prämessungen und den Postmessungen verglichen. Für die Befragung der Schüler und die wissenschaftliche Verwendung des Datenma193 JobFit-Training terials wurde das Einverständnis der Eltern eingeholt. Die Befragungen erfolgen vor Ort in schriftlicher Form im Klassenverband und werden von Projektmitarbeitern durchgeführt. Die Fragebogenmappen beinhalten die Schülereinschätzliste für Sozial- und Lernverhalten (SSL; Behrends & Föhrigen, 2010), das Screening für Psychische Störungen im Jugendalter (SPS-J; Hampel & Petermann, 2005) sowie den Strengths and Difficulties Questionnaire in der deutschen Version (SDQ; Goodman, 1997). Darüber hinaus wurden von den Schülern Alter, Geschlecht, Schulform und Klasse sowie soziodemographische Angaben erfragt. 9.6 Ergebnisse Da die Studien zum JobFit-Training noch nicht abgeschlossen sind und damit auch noch nicht umfassend ausgewertet werden konnten, liegen bisher nur Ergebnisse der Pilotstudie und Teilergebnisse des ersten Schulhalbjahres 2011/2012 vor. In der Pilotstudie ließen sich signifikante Verbesserungen durch das Training in verschiedenen Bereichen des Sozialverhaltens nachweisen (Schultheiß, Petermann & Petermann, 2012). Die Analysen der Daten des ersten Schulhalbjahres 2011/2012 führen zu denselben Ergebnissen (Laakmann, 2012). Eine qualitative Auswertung der anonymen schriftlichen Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrer zeigte eine große Akzeptanz des Trainings im Anwendungsalltag. 9.7 Literatur Behrends, A.-K. & Föhrigen, K. (2010). Die Schülereinschätzliste für Sozial- und Lernverhalten (SSL) - Entwicklung und psychometrische Überprüfung eines ressourcenorientierten Selbstbeurteilungsverfahrens für Jugendliche. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Bremen. Forman, S.G. & Barakat, A.M. (2011). Cognitive-behavioral therapy in the schools: Bringing research to practice through effective implementation. Psychology in the Schools, 48, 283-296. Fuhrer, U. (2008). Jugendalter: Entwicklungsrisiken und Entwicklungsabweichungen. In F. Petermann (Hrsg.), Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie (6., vollst. überarb. Aufl., S. 99-113). Göttingen: Hogrefe. Goodman, R. (1997). The Strengths and Difficulties Questionnaire: A research note. 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Zur Wirksamkeit des JobFit-Trainings: Ein Vergleich zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. Unveröffentlichte Masterarbeit im Fach Klinische Psychologie, Universität Bremen. Petermann, F. (2007). Klinische Jugendpsychologie. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 55, 141-143. Petermann, F. & Petermann, U. (2010). Training mit Jugendlichen (9., überarb. u. erw. Aufl.). Göttingen: Hogrefe Petermann, F. & Petermann, U. (2011). Prävention. Kindheit und Entwicklung, 20, 197-200. Petermann, U., Koglin, U., Petermann, F. & Heffter, P. (2010). Kompetenzaufbau durch das JobFit-Training für Schulklassen. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 57, 144-152. Roos, S. (2006). Evaluation des „Trainings mit Jugendlichen“ im Rahmen schulischer Berufsvorbereitung. Frankfurt: Lang. Roos, S. & Petermann, U. (2005). Zur Wirksamkeit des „Trainings mit Jugendlichen“ im schulischen Kontext. Zeitschrift für Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, 53, 262-282. Schultheiß, J., Petermann, F. & Petermann, U. (2012). Zur Wirksamkeit des JobFitTrainings für Jugendliche. Zeitschrift für Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, 60, 145-151. Publikationen Koglin, U., Petermann, F., Heffter, P. & Petermann, U. (2010). Längerfristige Effekte des JobFit-Trainings für Jugendliche. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 58, 235-241. Petermann, F. & Petermann, U. (2010). Training mit Jugendlichen (9., überarb. u. erw. Aufl.). Göttingen: Hogrefe Schultheiß, J., Petermann, F. & Petermann, U. (2012). Zur Wirksamkeit des JobFitTrainings für Jugendliche. Zeitschrift für Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, 60, 145-151. 195 Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder 10 Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder zwischen 18 und 48 Monaten (BilKi) 10.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Prof. Dr. Ulrike Petermann Prof. Dr. Ute Koglin Mitarbeiterinnen Dr. Johanna Helmsen Dipl.-Päd. Gerlinde Knisel-Scheuring Zeitraum 01.09.2006 - 31.01.2008 Finanzierung Jugendamt, Stadt Mannheim, Roche Diagnostics 10.2 Zusammenfassung Das Projekt Bildung junger Kinder im Alter von 18 bis 48 Monaten („BilKi“) ist ein Kooperationsprojekt der Stadt Mannheim, Roche Diagnostics und dem Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) der Universität Bremen. An dem Projekt nahmen zwölf Kindertageseinrichtungen aus dem Norden der Stadt Mannheim teil und eine durch Elterninitiative getragene Kinderkrippe. Es zielte darauf ab, die Bildungs- und Erziehungskompetenzen von pädagogischen Fachkräften junger Kinder zu verbessern, denn eine hohe Bildungs- und Erziehungskompetenz ist die Grundlage für eine umfassende und ganzheitliche Bildung der Kinder. 10.3 Stand der Forschung Der Früherkennung von Verhaltens- und Entwicklungsaufgaben muss in der Frühpädagogik einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Nur dadurch ist gewährleistet, 197 Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder dass Kinder gezielte Unterstützung bekommen und längerfristige negative Entwicklungsverläufe verhindert werden. Der negative Effekt früher Verhaltens- und Entwicklungsauffälligkeiten ist besonders nachhaltig, da die Entwicklungsbereiche miteinander vernetzt sind und sie kaskadenartig die Entwicklung in anderen Bereichen hemmen können oder ebenfalls in eine negative Richtung drängen können. Verschiedene epidemiologische Studien zeigen auf, dass Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten sowie Entwicklungsstörungen zu den häufigsten Gesundheitsgefährdungen der Kindheit zählen (Tröster & Reineke, 2007). Die Verhaltensauffälligkeiten, die im Vorschulalter am häufigsten vorliegen, sind Auffälligkeiten im aggressiv-oppositionellen Bereich, Aufmerksamkeitsprobleme und emotionale Auffälligkeiten. Aus längsschnittlichen Studien ist zudem bekannt, dass besonders früh auftretende Verhaltensprobleme einen ungünstigen Verlauf zeigen (Broidy et al., 2003; Kokko & Pulkkinen, 2005). Im Unterschied zu Verhaltensauffälligkeiten liegen wenige Studien zur Prävalenz von Entwicklungsauffälligkeiten im Vorschulalter vor (Skovgaard et al. 2007). Die meisten Angaben und auch die höchsten Prävalenzraten finden sich in Bezug auf die Sprachentwicklung (Tröster & Reineke, 2007; Sachse, 2005). Aber auch motorische Entwicklungsstörungen, Auffälligkeiten in der kognitiven Entwicklung sowie im Sozialverhalten wurden im Vorschulalter häufig festgestellt (Karch, 2002; Tröster & Reineke, 2007; von Suchodoletz, 2005). Um die Kinder frühzeitig fördern zu können und Chancengleichheit anzustreben, ist es wichtig die Kinder, die von frühen Auffälligkeiten betroffen sind, zuverlässig zu identifizieren, sie gezielt zu unterstützen und ihnen ggf. Hilfe durch andere Fachkräfte zuzuführen. 10.4 Ziele Das Projekt „Bildung- und Entwicklungsförderung junger Kinder zwischen 18 und 48 Monaten (BilKi)“ zielte darauf ab, die Bildungs- und Erziehungskompetenzen von pädagogischen Fachkräften junger Kinder zu verbessern. Damit wurde ein wichtiger Schwerpunkt des Projekts auf die Professionalisierung des Fachpersonals gelegt, die als „zentrale(s) Instrumente der Qualitätssicherung im System der Tageseinrichtungen für Kinder“ bezeichnet werden kann (BMfFSFJ, 2003). Neben der Qualifizierung der MitarbeiterInnen in Kindertageseinrichtungen sollten durch das Projekt ebenfalls die Entwicklungs- und Lernbedingungen der Kinder in den Einrichtungen erfasst werden. Der zweite Schwerpunkt des Projektes wurde auf die Bedeutung sozial-emotionaler Kompetenzen der Kinder gelegt. Eine Förderung in diesen Bereichen schafft erst die Basis dafür, Kinder in spezifischen Entwicklungsbereichen (wie Sprache, Motorik) optimal fördern zu können. Durch diesen Schwerpunkt hebt sich dieses Projekt deutlich von anderen Initiativen ab, die nicht primär die sogenannten soft-skills in den Mittelpunkt der Förderung stellen. 198 Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder Eine dritte Säule in dem Projekt bildeten Fortbildungen zum Thema Erziehungs- und Beziehungsqualität. Nach dem aktuellen Bildungsverständnis kommt den Interaktionen der Kinder mit ihrer Umwelt eine entscheidende Rolle zu. Nur durch diese Wechselwirkungen kommt es zum Lernen und Wissensaufbau und damit zur weiteren Entwicklung. Im Rahmen des Projektes wurde daher ein Instrument zur Erfassung der Beziehungs- und Erziehungsqualität pädagogischer Fachkräfte entwickelt und es wurde ein Fortbildungsmodul zur Förderung der Erziehungs- und Beziehungsqualität pädagogischer Fachkräfte junger Kinder entwickelt und eingesetzt. Neben der Identifikation von Kindern mit erhöhten Entwicklungsrisiken, bietet das System zur Entwicklungsdokumentation (Petermann, Petermann & Koglin, 2012) auch eine Basis für die Professionalisierung der Elternarbeit. Im Rahmen einer Dienstleistung, aber auch im Rahmen einer gemeinsamen Erziehung eines Kindes, müssen die pädagogischen Fachkräfte Eltern unterstützen und auch anleiten können. Die Daten aus der Entwicklungsdokumentation können dazu genutzt werden, den Eltern einen systematischen Überblick über die Entwicklung ihres Kindes zu geben. Zudem können die Eltern angeregt werden, Aufgaben aus der Entwicklungsdokumentation zu Hause mit ihren Kindern zu üben. Durch die Einführung der Entwicklungsdokumentation wird die pädagogische Kompetenz der Fachkräfte gegenüber den Eltern gestärkt. Des Weiteren kann das System zur Entwicklungsdokumentation für die Planung, Konzept- und Qualitätsentwicklung in den Einrichtungen verwendet werden. Die damit gewonnenen Informationen geben Auskunft darüber, welchen besonderen Bedarf die Kinder in der Einrichtung haben. Zudem kann die Zielerreichung damit überprüft werden. 10.5 Methodisches Vorgehen Es nahmen insgesamt 36 Erzieherinnen und 336 Kinder an dem Projekt teil. Die Fachkräfte erhielten eine Aufwandsentschädigung für ihre Teilnahme an den Fortbildungen, die Bearbeitung der Fragebögen und die Durchführung der Entwicklungsdokumentation. Die Eltern wurden von der pädagogischen Fachkraft ihres Kindes über das Projekt informiert und um Einverständnis zur Teilnahme gebeten. Nur jene Kinder wurden in das Projekt aufgenommen, deren Eltern zuvor die Einverständniserklärung unterzeichnet hatten. Die pädagogischen Fachkräfte erhielten Fortbildungen zur Durchführung der Entwicklungsdokumentation und zur Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern. Zudem wurden Fortbildungen zum Thema „Erziehungs- und Beziehungsqualität“ durchgeführt. Dazu wurden die Einrichtungen zu Beginn des Projekts in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Intensivgruppe, die diese zusätzliche Schulung erhielt und eine weitere Gruppe, die nur an den zwei ersten Fortbildungen teilnahm. Es wurde entsprechend ein quasi-experimentelles Design verwendet, das heißt, die 199 Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder Hälfte der Einrichtungen wurde der Intensivgruppe zugeordnet, die diese Fortbildungen erhielt. Es wurden drei Supervisionstermine im Verlauf des Projekts angeboten, an denen die Projektleitung in Mannheim mit den pädagogischen Fachkräften der Intensivgruppe die Fortbildungsinhalte aufgriff, die Übungen vertiefte und Aufgaben für die Fachkräfte vergab. Zu den Inhalten der Fortbildungen liegt eine Dokumentation vor. Vor und nach Abschluss der Fortbildungen wurden die pädagogischen Fachkräfte mit einem standardisierten Beobachtungsverfahren in Bezug auf die Erziehungsund Beziehungsqualität beurteilt, so dass ein Verlauf über zwei Messzeitpunkte abbildbar ist. Damit sollte überprüft werden, ob die Inhalte der Fortbildungen auch tatsächlich zu einer verbesserten Erziehungs- und Beziehungsqualität führen. Des Weiteren wurden alle Einrichtungen hinsichtlich qualitativer Merkmale beurteilt. Zu zwei Zeitpunkten machten die Fachkräfte Angaben zur pädagogischen Arbeit, zur Selbstwirksamkeit, zum Erziehungsverhalten und zu Verhaltensauffälligkeiten der Kinder. Zur Feststellung der pädagogisch-psychologischen Qualität wurde auf Informationen von verschiedenen Informanten und zu verschiedenen Bereichen zurückgegriffen. Dies ist damit begründet, dass die Qualitätsbeurteilung aus Sicht der Projektleitungen nicht ausschließlich über eine externe Begutachtung anhand eines Kriterienkatalogs beurteilt werden kann. Insgesamt wurden die Daten durch folgende Informanten erhoben: • • • • • 10.6 Externe Beurteilungen durch Mitarbeiter des ZKPR, Entwicklungsbeurteilung der Kinder durch die pädagogischen Fachkräfte, Selbstbeurteilungsbögen für pädagogische Fachkräfte, Fragebogen für Eltern und Hintergrundinformationen durch das Stadtjugendamt Mannheim. Ergebnisse Mit dem Projekt konnten neue Inhalte und Methoden für Bildung und Erziehung junger Kinder entwickelt werden. Dazu wurde besonderer Wert auf eine wissenschaftlich orientierte und systematische Erfassung der Entwicklung der Kinder gelegt. Des Weiteren standen die Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung der Kinder und die Verbesserung der Erziehungs- und Beziehungsqualität der pädagogischen Fachkräfte im Mittelpunkt. Ohne die bisher geleistete Arbeit der pädagogischen Fachkräfte grundsätzlich in Frage zu stellen, kann geschlussfolgert werden, dass die erzielten Ergebnisse deutlich aufzeigen, dass zur Erreichung einer durchgehend hohen Bildungs- und Erziehungsarbeit in den Einrichtungen noch Handlungsbedarf besteht. Es wurde deutlich, dass der Bildungshintergrund und der Migrationshintergrund der Kinder sich im Entwicklungsergebnis widerspiegeln. Der Rück200 Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder stand der Kinder mit Migrationshintergrund zu Kindern aus bildungsnahen Familien wird im Verlauf der Entwicklung eher größer als geringer. Umso ermutigender ist es, dass die pädagogischen Fachkräfte mit einer hohen Erziehungs- und Beziehungsqualität zu einer positiven kindlichen Entwicklung beitragen können. Die pädagogischen Fachkräfte bieten damit besonders den benachteiligten Kindern eine Chance, die zukünftig noch stärker genutzt werden sollte. Die pädagogische Fachkraft und ihr Team haben sich in dem Projekt als Ressource für eine hohe Qualität der Bildungsund Erziehungsarbeit erwiesen. Professionalität, Teamgeist und fachlicher Austausch, ein gutes Arbeitsklima, berufliche Zufriedenheit und persönliche Selbstwirksamkeit der Fachkräfte sind Kriterien der pädagogischen Qualität in den Einrichtungen, die gefördert werden müssen. 10.7 Literatur Broidy, L.M., Nagin, D.S., Tremblay, R.E., Bates, J.E., Brame, B., Dodge, K.A. et al. (2003). Developmental trajectories of childhood disruptive behaviors and adolescent delinquency: A six-site, cross-national study. Developmental Psychology, 39, 222-245. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2003). Perspektiven zur Weiterentwicklung des Systems der Tageseinrichtungen für Kinder in Deutschland. Zusammenfassung und Empfehlungen. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Karch, D. (2002). Aktuelle Konzepte zur motorischen Entwicklung und motorischen Kontrolle. In F. Aksu (Hrsg.), Aktuelle Neuropädiatrie. Nürnberg: Novartis Pharma Verlag. Kokko, K. & Pulkkinen, L. (2005). Stability of aggressive behavior from childhood to middle age in woman and man. Aggressive Behavior, 31, 485-497. Petermann, U., Petermann, F. & Koglin, U. (2009). EBD 3-48 - Entwicklungsbeobachtung und -dokumentation EBD 3 - 48 Monate. (3., überarb. Aufl.). Berlin: Cornelson Scriptor. Sachse, S. (2005). Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen. In W. von Suchodoletz (Hrsg.), Früherkennung von Entwicklungsstörungen. Göttingen: Hogrefe. Skovgaard, A.M., Houmann, T., Christiansen, E., Landorph, S., Jorgensen, T., Olsen, E.M. et al. (2007). The prevalence of mental health problems in children 1½ years of age - the Copenhagen Child Cohort 2000. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 48, 62-70. Tröster, H. & Reineke, D. (2007). Prävalenz von Verhaltens- und Entwicklungsauffälligkeiten im Kindergartenalter. Kindheit und Entwicklung, 16, 171-179. Von Suchodoletz, W. (2005). Frühe Identifikation motorischer Entwicklungsstörungen. In W. von Suchodoletz (Hrsg.), Früherkennung von Entwicklungsstörungen. 201 Bildungs- und Entwicklungsförderung junger Kinder Göttingen: Hogrefe. Publikationen Koglin, U., Petermann, F. & Petermann, U. (2010). Entwicklungsbeobachtung und dokumentation EBD 48-72 Monate. Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor. Koglin, U., Petermann, F., Helmsen, J. & Petermann, U. (2008). Entwicklungsbeobachtung und -dokumentation in Krippen und Kindergärten. Kindheit und Entwicklung, 17, 152-160. Petermann, U., Petermann, F. & Koglin, U. (2012). Entwicklungsbeobachtung und dokumentation EBD 3-48 Monat (3., überarb. Auflage). Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor. Schreyer-Mehlhop, I., Petermann, F., Petermann, U. & Koglin, U. (2012). Entwicklungsbeobachtung und -dokumentation mit der EBD 3-48 und der EBD 48-72. Frühe Bildung, 1, 1-7. 202 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue 11 Entwicklung und Evaluation einer Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue 11.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Stefan Görres, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Universität Bremen Prof. Dr. Franz Petermann MitarbeiterInnen Dr. Ulrike de Vries Prof. Dr. Karl Reif Kooperationspartner Bremer Krebsgesellschaft, Altmark-Klinikum, Salzwedel, Bayerische Krebsgesellschaft, Beratungsstelle Hof, Brandenburgische Krebsgesellschaft, Charité Universitätsmedizin, Elbeklinikum Stade-Buxtehude, Klinik für Tumorbiologie, Freiburg, Klinikum Brandenburg/Havel, Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Klinikum Hanau GmbH, Ludmillenstift, Meppen, Ostalbklinikum, Aalen, Praxis Phoenix, Neustadt a. Rbge., Universitätsklinikum Greifswald Zeitraum 01.04.2007 - 31.12.2010 Finanzierung BMBF 11.2 Zusammenfassung Objective: To evaluate the patient education program FIBS (Fatigue individuell bewältigen - ein Selbstmanagementprogramm für Krebspatienten) that aims at reducing perceived fatigue in cancer survivors. Methods: In ten German centres, 261 patients with cancer-related fatigue were randomly assigned to a patient 203 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue education program consisting of 6 sessions à 90 minutes or standard care. The primary outcome measure was cancer-related fatigue (CRF). Secondary outcomes included quality of life, general self-efficacy, physical activity, self-efficacy for physical activity, anxiety, depression, and fatigue knowledge. Satisfaction with the program was evaluated directly after the intervention. Data were analyzed using analysis of variance (ANOVA) with repeated measures. Results: Patients in the education group showed statistically significant reduction in cancer-related fatigue (F=76.510, p<0.001, η2=0.248). Secondary outcomes also showed statistically significant improvements in all measures including quality of life (F=29.607, p<0.001, η2=0.113), general self-efficacy (F=27.680, p<0.001, η2=0.107), exercise self-efficacy (F=49.230, p<0.001, η2=0.175), physical activity (F=8.036, p<0.001, η2=0.033), anxiety (F=33.194, p<0.001, η2=0.125), depression (F=24.604, p<0.001, η2=0.096), and fatigue knowledge (F=55.157, p<0.001, η2=0.192). Satisfaction with the program was generally high (mean=9.68 of 12 possible points, SD=1.66). Conclusion: The FIBS program was effective in reducing perceived fatigue, anxiety, and depression as well as improving quality of life, self-efficacy, physical activity, and fatigue knowledge. Patients were highly satisfied with the program. Practice Implications: The FIBS program can be applied effectively in cancer survivors. 11.3 Stand der Forschung Cancer-related fatigue (CRF) is defined as a distressing persistent sense of tiredness or exhaustion related to cancer that is not proportional to recent activity and interferes with usual functioning (National Comprehensive Cancer Network, 2011). CRF is seen as a multidimensional symptom as it encompasses physical, mental and emotional aspects (Glaus, Crow & Hammond, 1996). CRF is highly prevalent across the cancer continuum from diagnosis and treatment through survivorship and end of life. The prevalence of cancer-related fatigue ranged from 4% to 91%, depending on the population studied and the methods of assessment (Lawrence, Kupelnick, Miller, Devine & Lau, 2004). Advances in diagnosis and treatment of malignancies have resulted in a growth of the number of cancer survivors. Thus, clinicians are being faced with a growing number of patients with CRF, even years after treatment. There is a wide range of treatment options for CRF which can be classified into pharmacologic and nonpharmacologic interventions. Drug therapy for CRF is not well established yet. Hemopoietic growth factors have been suggested to treat CRF but can no longer be recommended due to safety issues (Minton, Richardson, Sharpe, Hotopf & Stone, 2010). There is evidence for the use of psychostimulants to treat CRF (Minton, Richardson, Sharpe, Hotopf & Stone, 2011). However, large scale trials to confirm these results are required. Nonpharmacologic interventions focus on exercise and psychosocial interventions. In a meta-analysis, these interventions achieved an overall effect size of -0.341 (p<0.001) (Kangas, 204 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue Bovbjerg & Montgomery, 2008), with negative indices indicating less fatigue postintervention. Exercise has been studied extensively, yielding an effect size in survivors of 0.31 (Brown et al., 2011). Psychosocial interventions may comprise psychoeducation, psychotherapy or social support; in a meta-analysis the pooled effect size was -0.313 (Kangas et al., 2008), whereas single trials resulted in effect sizes from 0.17 to 1.07 (Goedendorp, Gielissen, Verhagen & Bleijenberg, 2009). 11.4 Ziele Psychoeducation is common in psychosocial interventions and is recommended as a key strategy in CRF management (National Comprehensive Cancer Network , 2011). However, the efficacy of psychoeducational interventions in cancer survivors has not been established. Therefore, a patient education program was developed by multidisciplinary collaboration using formative evaluation methods. The program is named FIBS, “Fatigue individuell bewältigen - ein Selbstmanagementprogramm für Krebspatienten” (Coping with fatigue individually - a self-management program for cancer patients). In this study, the aim was to determine whether FIBS could improve the patients’ CRF management. 11.5 Methodisches Vorgehen A multi-centre randomised two-group waiting-list controlled intervention trial was carried out. Our main hypothesis was: Participation in the patient education program significantly changes the level of CRF in disease-free cancer survivors with a follow-up period of 6 months. The study was approved by the Ethics Committee of the University of Bremen. Participants: Patients were eligible if they were 18 years or older and diagnosed with malignant tumors. They had to be in a stable condition (ECOG Performance Status 0-2 (Oken et al., 1982) at any time point following active treatment and remission of acute toxic side effects. The patients’ CRF level had to be rated as moderate (4-6) or severe (7-10) on a scale from 0-10 (National Comprehensive Cancer Network, 2011). Patients were excluded if their life expectancy was less than 12 months, if they had brain tumours or brain metastases, cognitive disorders or psychiatric conditions. Patients with depression were not excluded. Crucial inclusion factors were a sufficient level of functioning and motivation to be able to participate in a multi-part seminar. Patients were recruited by their physicians who checked the inclusion and exclusion criteria from July 2008 to March 2010 in 10 German centres covering urban and rural areas. All participants received personal and written information about the study and gave written informed consent. Procedures: Computer-generated randomization lists were used 205 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue for concealed allocation by central telephone calls. Data collection was scheduled at baseline (t0), post-treatment (t1) and at a follow-up of 6 months (t2). Baseline measures (t0) were obtained prior to randomization. Although the data entry and analysis was performed by blinded researchers, patients and tutors could not be blinded to treatment allocation for practical reasons. Intervention: The intervention was a structured patient education program consisting of six weekly sessions à 90 minutes designed for groups of 8 cancer survivors. The topics and methods of each session are presented in table 1. Table 1: Topics and methods of FIBS sessions (each 90 min.). Session 1 2 3 4 5 6 Title of session Topics Dimensions of fatigue Differentiate between the physical, cognitive and emotional dimensions of fatigue. Etiology and Information about etiology of fatigue, treatment of treatment options, subjective theories of fatigue disease. Establish an exercise program. Time and Review of daily routines, structure activities energy according to energy levels, utilizing a management patient diary. Healthy sleep Information about rules of sleep hygiene, and establish healthy sleep-wake rhythms. enjoyment Training of positive self-reinforcement techniques. Coping with Learn strategies to overcome depressive emotions periods. Negative experiences in everyday life are reviewed and strategies to activate positive emotions are trained. Implementin Patients discuss the use of resources to g new overcome barriers that may occur when strategies implementing new strategies into everyday life. Methods SL, MG SL, MG, HE SL, MG, IT, BT, HE SL,MG, IT, BT, HE SL,MG, IT, BT, HE SL, MG SL=Short lectures, MG=moderated group discussions, I=individual tasks, BT=behavioral training, HE= home exercises. FIBS aims at impacting on health-related self-efficacy as it is known that knowledge by itself hasn't proved to achieve behaviour modifications. This was realized by implementing a training of problem solving, including goal setting and evaluation, and other cognitive techniques into the program. We utilized behaviour therapyoriented strategies and techniques and designed the program to be effective in the cognitive, emotional, and behavioural aspect. The structure of the sessions was 206 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue scheduled so that short periods of lecture activity by the trainer and longer periods of controlled participant activity alternated. In that way all patients could express their thoughts and feelings on any topic and the individual needs of patients could be taken into account. Also, the subject matter could be easier kept in mind as it was worked out by the patients themselves. Between sessions, the patients were encouraged to keep a diary, perform exercises and implement lifestyle changes. Two additional meetings after 3 and 6 months were offered to patients to share their experiences in daily life. The program was administered by nurses and psychologists but can also be carried out by other health care professionals. The manual is published in German (de Vries, Reif, Petermann & Görres, 2011). Patients in the intervention group (IG) were highly satisfied with the program (Reif, de Vries, Petermann & Görres, 2010). The trainers were mostly nurses, but also psychologists worked as trainers. All trainers attended a specialized train-the-trainer workshop held by the authors to ensure that the program is conducted in each centre in the same way. Patients in the control group (CG) were put on a waiting-list. They participated in the program after the IG had completed their follow-up. All patients received standard information on fatigue as a lecture. For all patients medical care, e. g. routine follow-up, continued as usual and no additional intervention was provided. Outcome measures. CRF was measured by the Fatigue Assessment Questionnaire (FAQ). The scale consists of 20 items: 11 items represent physical, 5 items affective and 3 cognitive fatigue; one item is about insomnia. In addition, there are three visual analogue scales about fatigue intensity and burden. Cronbach’s alpha of the total scale was 0.90, physical subscale 0.95, affective subscale 0.83 and cognitive subscale 0.86 (Glaus & Müller, 2001). Quality of life was measured with the EORTC QLQ-C30 questionnaire. It is a 30-item questionnaire that reflects the multidimensionality of the construct. It includes 5 functional scales, 3 symptom scales and a global health status scale. 6 single item side effects scales are added. The questionnaire showed satisfactory psychometric properties and was found to be useful for detecting changes over time (Aaronson et al., 1993). The reliability coefficients for the multi-item scales in a German population ranged from 0.65-0.89 (Schwarz & Hinz, 2001). For this study, the questionnaire was adapted to the survivor’s conditions and thus reduced to 21 items, omitting acute disease specific items like dyspnea and nausea/vomiting. General self-efficacy was assessed by using the General Self-Efficacy Scale (Schwarzer & Jerusalem, 1995). It is a 10-item questionnaire designed to assess optimistic self-belief that one can perform on novel or difficult tasks or cope with adversity in various domains of functioning. The scale has proved reliable and valid. Cronbach’s alpha ranged from 0.76 to 0.90. Criterion-related validity is documented in numerous correlation studies (Scholz, Gutiérrez-Doña, Sud & Schwarzer, 2002). Exercise self-efficacy was measured with the Physical Exercise Self-Efficacy Scale. This 20-item instrument was developed to assess efficacy beliefs in initiating and maintaining a regular program of physical 207 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue exercise even under unfavorable circumstances. Cronbach’s alpha was 0.89 (Fuchs & Schwarzer, 1994). The instrument was positively correlated with generalized selfefficacy. Further evidence of validity is provided by the correlation between the scale and the intention towards physical exercise (Fuchs & Schwarzer, 1994). Physical activity was measured by the Freiburg Questionnaire on Physical Activity (FFKA) (Frey, Berg, Grathwohl & Keul, 1999). Originally, the questionnaire consisted of 12 items. In consultation with the authors those 4 items which measure the quality of sleep were omitted. An estimate of energy expenditure was derived by multiplying hours of reported activity by the average intensity expressed in metabolic equivalent values for activities (MET) (Ainsworth et al., 2000). The scale has satisfactory psychometric properties and allows a calculation of weighted MET hours per week. The test-retest-reliability of subscales ranged between 0.751 and 0.998. Maximum oxygen uptake correlated with sport activities, thus showing a good validity (Frey et al., 1999). Anxiety and depression were measured by the German version of the Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D) (Hinz & Schwarz, 2002), consisting of 7 items on both subscales. Cronbach’s alpha varied from 0.67 to 0.90 (Bjelland, Dahl, Haug & Neckelmann, 2002). The sensitivity and specificity was approximately 0.80. Correlations between HADS and other commonly used questionnaires ranged from 0.49 to 0.83 (Bjelland et al., 2002; Hinz & Schwarz, 2002). Since there were no scales for measuring CRF knowledge the Fatigue Knowledge Test (F-WT) was developed. The concepts were drawn from clinical recommendations with emphasis on self-care. The items are based on a systematic review (de Vries, Reif, Stuhldreher, Petermann & Görres, 2009). The FWT is a 34-item instrument with true/false questions containing 9 items about etiology and signs of CRF, 6 items about treatment, 3 items about exercise, 6 items about exercise motivation, 5 items about scheduling daily activities and 5 items about improvement of the sleep-wake rhythm. Cronbach’s alpha calculated from our study was 0.82. A questionnaire to measure the patients' satisfaction was developed, the “Fatigue education satisfaction scale’’, based on a scale for asthma education. The original scale contained 28 items. Cronbach’s alpha for the total scale was 0.92 and ranged from 0.47 to 0.91 for subscales (de Vries, Mühlig, Waldmann & Petermann, 2008). This questionnaire was modified for use in FIBS. Statistical analysis. The sample size estimation was based on the FAQ. To detect a clinically relevant difference of 4 points in the mean with 80% power and a twosided 0.05 significance, 120 patients were needed in each group. Data for the sample size estimation was determined by research (Geinitz et al., 2004). We anticipated an attrition of 20%, giving a total n of 150 per group or n of 120 per group being analysed at t2. We used a group-by-time two-way analysis of variance (ANOVA) statistics with time as the repeated factor. Group-by-time effects on changes in patients’ outcomes and partial eta-squared (η2) values were calculated. The primary outcome measure was CRF, all other outcomes were secondary. We considered results to be statistically significant if the two-sided p-values were less 208 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue than 0.05. All patients who completed the questionnaires were included in the analyses regardless of their participation in the sessions (intention-to-treat analysis). No interim analyses for efficacy or futility were carried out, no stopping rules applied. All statistical analyses were carried out using SPSS for Windows Release 18. 11.6 Ergebnisse 327 patients were assessed for eligibility; 261 were randomized, 129 allocated to the IG and 132 to the CG. 120 patients attended the program. All of these and 114 patients in the CG were analyzed at follow-up. 27 patients couldn’t be analyzed as there were no data available. No patient discontinued the intervention, but some didn’t attend all modules for different reasons (e.g. illness or scheduling conflicts). The mean participation rate was 4.3 modules (n = 104). Table 2 displays the baseline characteristics of the patients. There were no significant differences between groups on any of the demographic/clinical variables at baseline. All characteristics were similar between groups. The patients were predominantly women caused by numerous participation of certified Breast Units at hospitals. This also explains the high prevalence of breast cancer patients. However, in total patients with 29 tumor entities participated in the study. The most prevalent comorbidity was depression. Most patients had already taken measures against CRF like information or sports. Primary outcome measure. The study population was highly fatigued at baseline, scoring 42.42 (SD = 9.17) in the IG and 41.68 (10.13) in the CG on the FAQ scale ranging from 0-60. Likewise, the mean visual analogue subscale values 8.03 (1.57) in the IG and 8.09 (1.34) in the CG on a scale of 0-9 indicate severe subjective CRF burden. The values of the fatigue subscale of the QLQ-C30 confirm these results; they show a fatigue burden of 75.37 (19.39) in the IG and 73.29 (22.01) in the CG on a scale of 0-100. In the IG, CRF was reduced to 22.85 (15.73) at t2. The CG showed almost no change in CRF levels over time. In the repeated measures ANOVA, this difference was statistically significant for the group by time interaction (F = 76.51, p<0.001). The partial η2 of 0.248 indicates a large effect. All subscales of the FAQ achieved statistically significant effects with partial η2 ranging from 0.09 (the smallest effect in insomnia) to 0.238 (the largest effect in physical fatigue) (figure 1). Secondary outcome measures. The changes in the quality of life questionnaire QLQ-C30 indicate a significant improvement in the global health status in the IG compared to the CG. All functional and symptom scale values as well as single items values increased significantly. The largest effect could be seen in the fatigue subscale: the IG showed a reduction from 75.37 (19.39) to 40.74 (30.60) while the 209 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue values in the CG remained about the same (F = 57.837, partial η2 = 0.2, p < 0.001). This finding confirms the results of the FAQ. Self-efficacy was improved significantly by the intervention, in the general scale as well as in the physical exercise scale. However, physical exercise self-efficacy declined in the CG over time, in the total scale as well as in all subscales. A similar effect was found in the changes in physical activity. Total activity improved in the IG but declined in the CG. The group difference indicated a small effect (F = 8.036, partial η2 = 0.033, p < 0.001). All subscales of the FFKA showed significant improvements. The largest effect could be seen in leisure activities, whereas sports showed the smallest effect. The decline in self-efficacy and physical activity in the CG might be explained by a lack of expectations that may have occurred in the CG while waiting for the intervention. Table 2: Demographic and clinical characteristics of patients in intervention group (IG) and wait-list control group (CG). All data in „n (%)“ unless otherwise stated. Sex Age Marital status Education (school leaving certificate) Female Mean (SD) Unmarried Married Divorced / separated Widowed Secondary school Polytechnic secondary school Adv. technical college certificate A-level-exam Most prevalent initial diagnoses Most prevalent comorbidities Duration of fatigue Depression Hypertension Diabetes < 6 Months > 6 Months Other 210 IG n=120 97 (80.8%) 57.78 (10.32) 10 (8.3%) 86 (71.7%) 14 (11.7%) 10 (8.3%) 71 (59.2%) 9 (7.5%) 14 (11.7%) 24 (20.0%) Breast cancer 76 (63.3%) Colon cancer 8 (6.7%) Prostate cancer 5 (4.2%) 34 (28.3%) 12 (10.0%) 8 (6.7%) 8 (6.7%) 112 (93.3%) 2 (1.7%) CG n=114 90 (78.9%) 57.52 (11.90) 11 (9.6%) 71 (62.3%) 23 (20.2%) 9 (7.9%) 61 (53.5%) 10 (8.8%) 14 (12.3%) 29 (25.4%) Breast cancer 61 (53.5%) Leukemia 6 (5.3%) Lymphoma 6 (5.3%) 33 (28.9%) 30 (26.3%) 4 (3.5%) 4 (3.5%) 107 (93.9%) 4 (3.5%) Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue Figure 1: Primary outcome cancer-related fatigue: change in FAQ total score. Anxiety and depression could be reduced significantly in the IG while these parameters decreased in the CG. (table 3). Table 3: Changes in Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) (range 0 - 21). Group Anxiety IG CG Depression IG CG Preintervention Mean (SD) 9.16 (3.92) 9.51 (3.98) 8.32 (3.85) 8.71 (3.58) Postintervention Mean (SD) 6.73 (4.40) 9.47 (3.94) 6.09 (4.72) 8.77 (3.88) 211 Followup Mean (SD) 5.32 (4.39) 9.81 (4.43) 5.04 (4.71) 8.86 (4.01) group x time Partial etasquared F p group x time 33.194 <0.001 0.125 24.604 <0.001 0.096 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue The total score of the Fatigue Knowledge Test showed an improvement in the IG from t0 to t1 and remained roughly on this position until t2, whereas the knowledge gain in the CG remained minimal, indicating a significant difference. Conclusion This trial introduces an education program for fatigued cancer patients following therapy completion. In the evaluation, the newly developed program FIBS proved superior to standard information and care for patients on a wait-list. At baseline, participating patients were suffering from severe symptom burden, and the majority of patients had already made multiple attempts to combat fatigue. Our study adds a patient education program for cancer survivors. The efficacy of the program can be explained by multiple factors. • FIBS was designed to reduce CRF in cancer patients. In studies identified by a Cochrane review (Goedendorp et al., 2009), specific interventions for CRF had a higher probability of being effective compared to interventions not specific for CRF. • FIBS was composed of CRF specific strategies that were assumed effective as mentioned in the NCCN guideline (National Comprehensive Cancer Network, 2011) and in recommendations from the Oncology Nursing Society (Mitchell et al., 2007). • Advice on social support and support from other patients can be a helpful component of effective interventions for CRF (Fors et al., 2010) and was therefore included in the FIBS program. The sessions were designed so that patients could learn from each other. • As depression is a major factor frequently associated with CRF (Jacobsen, Donovan & Weitzner, 2003), advice on strategies to overcome depressive periods may have helped to ameliorate depressive symptoms as well as affective fatigue. Our education program designed for cancer survivors after treatment had a positive impact on perceived fatigue and other secondary variables. The effect could be maintained 6 months following participation. 11.7 Literatur Aaronson, N.K., Ahmedzai, S., Bergman, B., Bullinger, M., Cull, A., Duez, N.J. et al. (1993). The European Organization for Research and Treatment of Cancer QLQC30: a quality-of-life instrument for use in international clinical trials in oncology. Journal of the National Cancer Institute, 85, 365-376. 212 Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue Ainsworth, B.E., Haskell, W.L., Whitt, M.C., Irwin M.L., Swartz, A.M., Strath, S.J. et al. (2000). Compendium of physical activities: an update of activity codes and MET intensities. Medicine and Science in Sports and Exercise, 32, 498-504. Bjelland, I., Dahl, A.A., Haug, T.T. & Neckelmann, D. (2002). The validity of the Hospital Anxiety and Depression Scale: an updated literature review. 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Entwicklung und Evaluation einer Patientenschulung bei tumorbedingter Fatigue. IPP info, 06, 10. 215 Teil III: Rehabilitation Teil III: Rehabilitation In den folgenden Kapiteln werden zehn Projekte vorgestellt, die im Wesentlichen von der Deutschen Rentenversicherung finanziert werden. Hier waren unsere Partner u.a. die DRV Bund, DRV Oldenburg-Bremen, DRV Braunschweig-Hannover und DRV Nord für den Bereich Kinderrehabilitation und Rehabilitation von Erwachsenen. Besondere Bedeutung erlangte seit 2005 die psychosomatische Rehabilitation, die eine wichtige Verbindung zum Fach „Klinische Psychologie“ repräsentiert. Die psychosomatische Rehabilitation stellt ein aus sozialmedizinischer und gesundheitsökonomischer Sicht bedeutendes Behandlungsverfahren dar. Sie bildet den drittgrößten Anteil an allen Rehabilitationsverfahren. Wie bei anderen Indikationsbereichen zielt auch die psychosomatische Rehabilitation auf die Besserung bzw. Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sowie auf die Wiederherstellung der Leistungs-, Funktions- und Beziehungsfähigkeit im Alltag und im Berufsleben. Nur stehen hier die psychischen Probleme als Ursache der Einschränkungen einer Teilhabe an Aktivitäten und sozialer Integration ganz im Mittelpunkt. Bei den Behandlungsverfahren kommt der psychotherapeutischen Behandlung ein zentraler Stellenwert zu. Die Zuweisung zur psychosomatischen Rehabilitation zwingt den Patienten, sich mit seinen Gesundheitszielen, mit seinen Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit, mit organisatorischen Fragen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden stationären Aufenthalt und eventuell auch mit bestehenden motivationalen Barrieren auseinanderzusetzen. Bisher liegen keine systematischen Studien vor, die diese Situation der Patienten in der prästationären Phase genauer untersuchen. Maßnahmen zur prästationären Einzel- oder Gruppenberatung werden nur von einem kleinen Teil der psychosomatischen Rehabilitationskliniken angeboten. Um so wichtiger ist daher die Entwicklung und Evaluation von manualgestützter Vorbereitung der Patienten auf die psychosomatische Rehabilitation, die in einigen der folgenden Projekte realisiert wurde. 217 Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz 1 Depression als Prädiktor für den Misserfolg der Rehabilitation von chronischem Rückenschmerz 1.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Petra Hampel, Stiftungsprofessur Rehabilitationspsychologie Mitarbeiterinnen Dipl.-Psych. Beate Mohr Dipl.-Psych. Monika Thomsen Dipl.-Psych. Lisa Tlach Kooperationspartner Dr. Gräf, Montanus-Klinik, Bad Schwalbach Dr. Krohn-Grimberghe, Rheumaklinik Bad Wildungen Zeitraum 01.01.2005 - 30.06.2009 Finanzierung Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen und Universität Bremen 1.2 Zusammenfassung Hintergrund und Fragestellung. Bei der Chronifizierung von Rückenschmerzen haben sich psychosoziale Beeinträchtigungen, insbesondere depressive Symptome, als wesentliche Risikofaktoren im Chronifizierungsprozess erwiesen. Demzufolge weisen Patienten mit komorbider Depressivität einen erhöhten Bedarf an psychologischen Interventionen auf. Das Projekt untergliederte sich in zwei Phasen: In der ersten Phase sollte der Einfluss der Depressivität und des Geschlechts auf den Rehabilitationserfolg bestimmt werden. In Phase 2 sollte die langfristige Effektivität einer stationären orthopädischen Rehabilitation in Abhängigkeit von der experimentellen Bedingung und vom Geschlecht auf psychosoziale Kennwerte untersucht werden. Es wurde der Frage nachgegangen, ob Patienten mit erhöhter Depressivität 219 Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz langfristig von einer störungsspezifischen kognitiv-behavioralen Intervention profitieren. Methode. In der ersten Phase wurden 116 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen vor, direkt nach, 3 und 6 Monate nach der Rehabilitation untersucht, die neben der Standardrehabilitation ein vierstündiges Schmerzbewältigungstraining enthielt. In der zweiten Phase wurden 153 Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen zu Rehabilitationsbeginn, Rehabilitationsende, nach sechs, 12 und 24 Monaten untersucht. Veränderungen unmittelbar nach der Rehabilitation wurden als kurzfristige, nach sechs Monaten als mittelfristige und nach 12 und 24 Monaten als langfristige Rehabilitationseffekte betrachtet. Ergebnisse. In Phase 1 ergab sich, dass kurzfristig alle Rehabilitandinnen und Rehabilitanden von der Rehabilitation profitierten. In Phase 2 zeigten sich ebenfalls alle Rehabilitandinnen und Rehabilitanden unmittelbar nach der Rehabilitation signifikant verbessert. Mittel- und langfristig konnten jedoch nur die Patienten mit mittlerer und hoher Depressivität in der Depressivität und Angst profitieren, die zusätzlich zum Schmerzbewältigungstraining ein kognitiv-behaviorales Depressionsbewältigungstraining erhielten. Schlussfolgerung. Die varianzanalytischen Befunde für Phase 1 legen nahe, dass die Standardmaßnahme eine kurzfristige Wirksamkeit aufweist. Im Langzeitverlauf konnten in Phase 2 günstige Effekte der kombinierten Rehabilitationsmaßnahme mit einem kognitiv-behaviorales Depressionsbewältigungstraining für die Patienten mit mittlerer und hoher Depressivität in psychologischen Parametern nachgewiesen werden. Es kann demnach angenommen werden, dass das Training zur Depressionsbewältigung dem zusätzlichen psychologischen Behandlungsbedarf von Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen mit komorbider Depressivität gerecht wird, langfristig den Rehabilitationserfolg verbessert und somit einer weiteren Chronifizierung entgegenwirkt. 1.3 Stand der Forschung Rückenschmerzen verursachen Gesamtausgaben von 49 Milliarden Euro jährlich, was etwa 2.2% des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland entspricht (Wenig, Schmidt, Kohlmann & Schweikert, 2009). Hierbei setzen sich die Gesamtkosten jeweils zur Hälfte aus den direkten Behandlungskosten und den indirekten Kosten aufgrund von Frühberentungen und Arbeitsunfähigkeitstagen zusammen. Kohlmann (2003) nimmt an, dass es bei 5 bis 8% der Betroffenen zu einem chronischen Verlauf kommt. Hierbei haben sich insbesondere emotionale Beeinträchtigungen, wie Distress, Angst und insbesondere Depressivität, als bedeutsame Risikofaktoren für eine Chronifizierung erwiesen (z.B. Hasenbring & Pfingsten, 2007; Linton, 2000). Bereits 2000 zog Härter aus den erhöhten Prävalenzen für komorbide Depression bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen das Fazit, dass sowohl eine frühzeitige Diagnostik als auch eine spezifische Behandlung von komorbiden psychischen Störungen bei der Rehabilitation von chronisch unspezifischen Rücken220 Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz schmerzen angezeigt ist. Allerdings wurden komorbide psychische Störungen in der orthopädischen Rehabilitation von chronischen Rückenschmerzen bislang nicht ausreichend diagnostiziert und behandelt (Irle, Worringen, Korsukéwitz, Klosterhuis & Grünbeck, 2002; Reuter, Woll, Stadelmann, Bengel & Härter, 2002). So lagen noch keine störungsspezifischen Behandlungsmaßnahmen vor. 1.4 Ziele Die erste Phase verfolgte zwei Ziele: 1) Es sollte der Einfluss der Depressivität und des Geschlechts auf den Rehabilitationserfolg bestimmt werden. 2) Die Prädiktoren des Rehabilitationsmisserfolges, wie z.B. Alter, Geschlecht oder Depressionsstatus, sollten an einer repräsentativen Stichprobe für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen prospektiv ermittelt werden. In Phase 2 wurde das Ziel verfolgt, zusätzlich zu den 1-Jahresverläufen noch die nachhaltigen Rehabilitationseffekte zwei Jahre nach der Rehabilitation zu beleuchten. So wurden die Effekte einer stationären orthopädischen Rehabilitation in Abhängigkeit von der experimentellen Bedingung und vom Geschlecht auf schmerzbezogene und psychologische Kennwerte untersucht. 1.5 Methodisches Vorgehen In Phase 1 wurde von Januar 2005 bis Mai 2005 die Studie geplant und vorbereitet sowie die Kooperationen aufgebaut. Juni 2005 wurde das Klinikpersonal geschult. Die Datenerhebung erstreckte sich von Juli 2005 (prä) bis September 2006 (6Monatskatamnese). Die Datenaufbereitung und -publikation erfolgten von Oktober 2006 bis Januar 2007. In Phase 2 fand von Mai 2008 bis Februar 2009 die Datenerhebung statt. Die Daten wurden bis April 2009 aufbereitet und bis Juni 2009 wurden der Abschlussbericht und weitere Publikationen erstellt. In der ersten Phase wurden N=116 Patienten der orthopädischen Rehabilitationskliniken Rheumaklinik Bad Wildungen und Montanus-Klinik in Bad Schwalbach mit chronischen Rückenschmerzen im Verlauf der stationären orthopädischen Rehabilitation untersucht. Es wurde insbesondere der Einfluss des Geschlechts und des Depressionsgrades auf medizinische, psychosoziale und sozialmedizinische Kennwerte zu Rehabilitationsbeginn, Rehabilitationsende, 3 und 6 Monate nach der Rehabilitation mit einem Schmerzbewältigungstraining analysiert. In der zweiten Phase wurde an einer konsekutiven Stichprobe von N=153 Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen (84 Männer, 69 Frauen; Alter: M=50.5 J.; SD=6.1; ICD-10 Diagnose: M54.4, M54.5) aus den beiden stationären orthopädischen Rehabilitationskliniken der Einfluss der experimentellen Bedingung 221 Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz und des Geschlechts auf psychologische und schmerzbezogene Kennwerte zu Rehabilitationsbeginn, Rehabilitationsende, nach sechs, 12 und 24 Monaten untersucht. Ein Standardrehabilitationsprogramm mit einem vierstündigen Schmerzbewältigungstraining wurde mit Patienten mit niedriger Depressivität (KG) und mit Patienten mit mittlerer und hoher Depressivität (KGdepr) durchgeführt. Eine dritte Gruppe von Patienten mit mittlerer und hoher Depressivität erhielt zusätzlich ein fünfstündiges kognitiv-behaviorales Modul zur Depressionsbewältigung (IGdepr). 1.6 Ergebnisse Insgesamt zeigten die varianzanalytischen Befunde für Phase 1, dass kurzfristig alle Rehabilitanden von der Rehabilitation profitierten. Mittelfristig konnte jedoch ein Rehabilitationserfolg eher nur für die Frauen festgestellt werden. In den Schmerzbewältigungsstrategien konnten lediglich niedrig, jedoch nicht mittel und hoch depressive Rehabilitanden profitieren. Insbesondere hoch depressive Männer erreichten wieder die Ausgangswerte zur 6-Monatskatamnese und wiesen sogar den Trend zu mittelfristigen Verschlechterungen auf. Die Verteilungen zu Rehabilitationsbeginn und zur 6-Monatskatamnese über alle Rehabilitanden verdeutlichen, dass mittelfristig eher keine Veränderungen zu beobachten waren. Negative Trends konnten mehr abgefangen werden. Mittlere Effektstärken für mittelfristige Verbesserungen ergaben sich für die Schmerzintensitäten und die schmerzbedingte Funktionsbeeinträchtigung. Eine erhöhte Depressivität erwies sich mit einer geringeren schmerzbezogenen Handlungsplanung und niedrigeren körperlichen Lebensqualität als Prädiktor für eine niedrigere Funktionskapazität zur 6-Monatskatamnese. Der Erwerbsverlauf war eher stabil, wies jedoch auch deutlich negative Trends auf. Die Erwerbstätigkeit zur 6-Monatskatamnese konnte durch eine Arbeitsunfähigkeit mehr als 14 Tage in den letzten 3 Monaten vorhergesagt werden. In Phase 2 profitierten insgesamt ebenfalls alle Studienteilnehmer kurzfristig von der Rehabilitation. In den schmerzbezogenen Kennwerten bildete sich dieser Effekt jedoch mittel- oder langfristig zurück. Demgegenüber zeigten sich im psychischen Befinden Rehabilitationseffekte in Abhängigkeit der experimentellen Bedingung: Die KGdepr zeigte in der Depressivität einen kurzfristigen Rehabilitationserfolg, während bei den Patienten der IGdepr noch 24 Monate nach Rehabilitationsende reduzierte Depressivitätswerte zu beobachten waren. In der Angst profitierten Patienten in der KGdepr und der IGdepr auch noch 12 Monate nach der Rehabilitation, wobei eine Stabilität dieses Effektes über zwei Jahre lediglich in der IGdepr erzielt werden konnte. In der psychischen Lebensqualität konnte in der KGdepr nach der Rehabilitation eine kurzfristige Verbesserung beobachtet werden. Die Patienten der Interventionsgruppe (IGdepr) zeigten auch noch sechs Monate nach der Maßnahme eine bedeutsam gesteigerte psychische Lebensqualität (ES=.78), eine reduzierte schmerzbedingte 222 Rehabilitation bei chronischem Rückenschmerz Hilflosigkeit und Depression (ES=.53) sowie verminderte schmerzbedingte Angst (ES=.56). Diese Effekte waren jedoch nicht langfristig stabil. Allerdings sollten die bei allen Patienten lediglich kurzfristigen Rehabilitationseffekte auf körperlicher Ebene über Nachsorgemaßnahmen stabilisiert werden. Zudem ist zu erwarten, dass die günstigen Rehabilitationseffekte des neuen Depressionsbewältigungstrainings auf die psychische Lebensqualität und die schmerzbezogene psychische Beeinträchtigung durch Nachsorgemaßnahmen ausgebaut werden könnten. 1.7 Literatur Härter, M. C. (2000). Psychische Störungen bei körperlichen Erkrankungen. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 50, 274-286. Hasenbring, M & Pfingsten, M. (2007). Psychologische Mechanismen der Chronifizierung - Konsequenzen für die Praxis. In B. Kröner-Herwig, J. Frettlöh, R. Klinger & P. Nilges (Hrsg.), Schmerzpsychotherapie (S. 103-123). Heidelberg: Springer Medizin Verlag. Irle, H., Worringen, U., Korsukéwitz, C., Klosterhuis, H. & Grünbeck, P. (2002). 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Dr. Christian Krauth, Medizinische Hochschule Hannover Mitarbeiterinnen Dr. Ulrike de Vries Dr. Iris Brandes Kooperationspartner Teutoburger-Wald-Klinik, Bad Rothenfelde Nordseeklinik Borkum, Borkum Klinik Norddeich, Norden-Norddeich Zeitraum 01.02.2005 - 31.07.2007 Finanzierung BMBF 2.2 Zusammenfassung Patientenschulung bei Asthma bronchiale stellt einen wichtigen Therapiebaustein im Rahmen stationärer pneumologischer Rehabilitation dar. Der flächendeckende Einsatz in pneumologischen Rehabilitationskliniken gilt bislang als unbefriedigend. Der Prozess der Einführung eines evaluierten Asthma-Schulungsprogramms in RehaKliniken wird analysiert. Untersucht wurde der Implementierungsprozess sowie die routinemäßige Durchführung des Programms hinsichtlich des zeitlichen und sonstigen Aufwandes sowie möglicher Schwierigkeiten und Hindernisse in drei Kliniken. 225 Implementation von Patientenschulung Aus gesundheitsökonomischer Sicht wurden die wahrgenommenen strukturellen, organisatorischen und externen Rahmenbedingungen sowie die daraus entstandenen Hemmnisse und Hürden bei der Implementierung in ihren Auswirkungen auf die Kosten analysiert. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter und Patienten mit der Implementierung wurde ebenfalls berücksichtigt, auch wenn diese nicht monetär bewertet wurde. Die Erfassung des Implementierungsprozesses erfolgte mittels qualitativer Methoden wie strukturierter Interviews und Dokumentationsbögen. Die gesundheitsökonomische Evaluation bezog sich auf die Kosten aus dem Zeitaufwand. Die Einführung des Schulungsprogramms wurde in den beteiligten Kliniken vorwiegend durch eine nicht ausreichende Personaldecke (zu wenig Ärzte, Psychologen zur Bildung eines Schulungsteams) und Anlaufschwierigkeiten in der Therapieplangestaltung, z.B. Umplanung freier Zeitschienen für die Schulung, erschwert. Die Akzeptanz bei den Mitarbeitern und Patienten kann jedoch mit gut bis sehr gut bewertet werden. Insgesamt verursachte das Schulungsprogramm Kosten in Höhe von 97 € pro Patient, wobei die Kosten der Probephase mit 60 € höher ausfielen als die der Routinephase (37 € pro Patient). 2.3 Stand der Forschung Patientenschulungen sind zentrale Elemente der medizinischen Rehabilitation. Ziel dieser Maßnahmen ist es, den Patienten darin zu unterstützen, mit den täglichen Anforderungen seiner Erkrankung umgehen zu lernen. Durch gezielte Förderung des Krankheitsverständnisses, des Selbstmanagements und des Empowerments soll Patientenschulung langfristig die Lebensqualität der Patienten erhalten oder verbessern und den Therapieerfolg sichern. Unter Patientenschulung wird nach moderner Definition eine Maßnahme verstanden, „die Patienten darin unterstützen soll, ihr Verhalten so zu verändern, dass Einschränkungen minimiert oder besser bewältigbar werden“ (Faller et al., 2005, S. 278; Übersicht zur Definition von Patientenschulung anhand von Zielen, Methoden und Komponenten vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund [DRV Bund], 2007; Faller et al., 2005; Petermann, 1997; Ströbl et al., 2007). Auf Basis der wachsenden empirischen Evidenz zur Effektivität von Asthmaschulungen wurden mittlerweile standardisierte Programme sowie Empfehlungen zur Qualitätssicherung der Schulungsangebote in der stationären medizinischen Rehabilitation entwickelt. Nach Empfehlungen führender Fachgesellschaften und Konsensusgruppen kann Patientenschulung nur dann effizient realisiert werden, wenn sie sich auf standardisierte und wissenschaftlich geprüfte Programme stützt (Mühlig, 2001), wobei die Standardisierung eine dauerhafte Qualitätssicherung gewährleistet. Das Vorliegen eines standardisierten Curriculums/Manuals als Grundlage für die Patientenschu226 Implementation von Patientenschulung lung hat folgende Vorteile: • es kann sichergestellt werden, dass das Programm in systematischer Weise vermittelt wird (z.B. Material, Methodik, Didaktik), • von den Schulenden in homogener Weise umgesetzt wird und damit reproduzierbar ist, • mit zumutbarem Aufwand in anderen Kliniken implementiert werden kann (Praktikabilität und Anwendungsökonomie), • klinikintern auf seine Qualität überprüft und klinikübergreifend wissenschaftlich evaluiert werden kann (Überprüfbarkeit) Der Aufbau und die Inhalte des Schulungsprogramms sollten folgenden Mindestanforderungen genügen: • • • • • curricularer Aufbau Vorliegen von Manual und Arbeitsmaterialien interdisziplinär/multiprofessionell Einbezug mehrerer Ebenen (Kognition, Emotion, Motivation, Verhalten) unterschiedliche Vermittlungsmethoden: u.a. frontale und aktivierende Methoden • aktivierende Methoden in jeder Einheit • Elemente, die den Alltagstransfer fördern Darüber hinaus kommt dem Manual im Rahmen der Qualitätssicherung eine zentrale Rolle zu. Qualitätssicherung bezeichnet das Bemühen, die Versorgungsrealität im Hinblick auf definierte Qualitätsanforderungen zu verbessern. Die Qualitätsanforderungen können aus dem Manual abgeleitet werden, deren Einhaltung auch im Routinebetrieb überprüft werden sollte. Zu Qualität und Qualitätssicherung in der Patientenschulung siehe Vogel (2007) und BfA (2005). Letztlich fordern die Kostenträger zunehmend die Durchführung standardisierter Schulungen, die u.a. durch ein Manual hinterlegt sein müssen (DRV Bund, 2007). In der Praxis sind jedoch sind strukturelle Versorgungsdefizite im Bereich Patientenschulung festzustellen (Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, 2000/2001). Nach einer Untersuchung von Petro (1997) wurden in weniger als 20% der befragten pneumologischen Einrichtungen evaluierte Schulungsprogramme eingesetzt, während die überwiegende Mehrheit der Schuler Materialien der Pharmaindustrie oder selbst entwickelte Schulungen benutzte, deren Effektivität wissenschaftlich nicht belegt ist. 90,8% der befragten Klinken gaben in einer Studie von Mühlig et al. (2002) an, sich bezüglich der Schulungsdurchführung an Expertenempfehlungen zu orientieren, bei genauerer Betrachtung bestanden jedoch deutliche Defizite bei der Umsetzung dieser Qualitätsstandards. Evaluierte Schulungsprogramme wurden in 50% der befragten Kliniken eingesetzt, während die andere Hälfte der Einrichtungen wissenschaftlich nicht geprüfte Schulungen durchführte (insbesondere Eigenentwicklungen); lediglich in 19% der Fälle wurden 227 Implementation von Patientenschulung Schulungen entsprechend der jeweiligen Programminstruktionen praktiziert (Treatment-Integrität). 2.4 Ziele Vor dem Hintergrund der notwendigen flächendeckenden Umsetzung strukturierter und in ihrer Effektivität geprüfter Patientenschulungsmaßnahmen in Rehabilitationskliniken hatte das vorliegende Projekt das Ziel, den Prozess der Einführung eines evaluierten Asthma-Schulungsprogramms in Reha-Kliniken exemplarisch zu dokumentieren. Dazu sollten drei pneumologischen Rehabilitationskliniken ausgewählt werden, in denen Asthma-Patientenschulung bislang nicht oder anhand nichtevaluierter, selbstentwickelter Schulungsmaterialien durchgeführt wurde. Anhand von Strukturanalysen vor und am Ende der Implementierung wurden die Bedingungen ermittelt, die für eine Einführung des Schulungsprogramms maßgebend sind. Hierunter fallen das bisherige psychoedukative Angebot der Klinik, die personelle Ausstattung und organisatorische Abläufe. Mit Unterstützung eines Leitfadens zur Implementierung des Schulungsprogramms sollten die Schulungsdurchläufe realisiert werden. Dieser Prozess wurde kontinuierlich begleitet und der durch die Implementierung verursachte Aufwand mittels strukturierter Interviews dokumentiert. Als Ergebnis wird eine Dokumentation des Prozesses der Implementierung und daraus ableitend Leitfäden für die Einführung von Patientenschulungsprogrammen in Kliniken bereitgestellt. Langfristig wird erwartet, dass durch die Ergebnisse die Einführung standardisierter Schulungsprogramme in der stationären Versorgung von Asthmapatienten begünstigt wird. 2.5 Methodisches Vorgehen Als Kooperationspartner wurden drei pneumologischen Rehabilitationskliniken gewählt, in denen Asthma-Patientenschulung bislang nicht oder anhand nicht-evaluierter, selbstentwickelter Schulungsmaterialien durchgeführt wurde. Anhand von Strukturanalysen vor und am Ende der Implementierung wurden die Bedingungen ermittelt, die für eine Einführung des Schulungsprogramms maßgebend sind. Hierunter fallen das bisherige psychoedukative Angebot der Klinik, die personelle Ausstattung und organisatorische Abläufe. In den Kliniken sollten feste Schulungsteams gebildet werden, die an einem Trainer-Seminar teilnehmen, um eine möglichst einheitliche Umsetzung der Schulung zu gewährleisten. Mit zusätzlicher Unterstützung eines Leitfadens zur Implementierung des Schulungsprogramms sollten die Schulungsdurchläufe dann realisiert werden. Dieser Prozess wurde kontinuierlich begleitet und der durch die Implementierung verursachte Aufwand mittels strukturierter 228 Implementation von Patientenschulung Interviews dokumentiert. Nach Eingang in die Routineversorgung des Schulungsprogramms wurden die an der Schulung teilnehmenden Patienten zur Akzeptanz und Zufriedenheit mit dem Schulungsprogramm befragt. Die Erfassung des Implementierungsprozesses erfolgte mittels Fragebögen, strukturierter Interviews und Dokumentationsbögen. Die Erhebungen fanden im Anschluss an eine dreimonatige Probephase und nach Abschluss einer 12-monatigen Routinephase statt. Die konzeptuelle Grundlage der zu implementierenden Asthmaschulung (Training für Erwachsene mit Asthma bronchiale - TEA) bildet das in Deutschland breit etablierte stationäre Schulungsprogramm Bad Reichenhaller Modell (Schultz, Schwiersch, Petro, Mühlig & Petermann, 2000). Die zu vermittelnden Inhalte des zwischenzeitlich bereits mehrfach modifizierten und evaluierten Schulungsprogramms (de Vries, 2004; de Vries, Mühlig, Bergmann, Petermann, 2005; Mellert et al., 2003) entsprechen den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und der Deutschen Atemwegsliga. Mit einem Stundenumfang von 4 x 90 Minuten (in einer Klinik modifiziert auf 6 x 60 min.) bei einer Gruppengröße von zehn bis 15 Personen werden die zu vermittelnden Schulungsinhalte mit Hilfe von Overheadfolien und Demonstrationsmaterial im erarbeitenden Gespräch mit den Patienten unter Einbeziehung von Verhaltensübungen vermittelt (Tab. 1). Tabelle 1: Inhalte des Schulungsprogramms TEA (jeweils 4 x 90 bzw. 6 x 60 min.). Modul Themen 1 2 3 4 Einleitung, Stundenplan; warum Patientenschulung; Grundlagen Anatomie der Atmungsorgane, Krankheitslehre: Asthma bronchiale Medikamente: Wirkstoffgruppen, Wirkungsweise, Einnahmeformen Selbstkontrolle und Selbstmanagement: Peak-Flow-Meter, Asthmatagebuch, Ampelschema, Infekte, Atemnotanfall, Inhalative Medikamente: Applikationssysteme, nicht-medikamentöse Maßnahmen, Leben mit der Erkrankung Um ein standardisiertes und klinikübergreifend einheitliches Vorgehen während der Schulungsdurchführung zu erreichen, wurden pro Klinik aus den schulenden Mitarbeitern Schulungsteams gebildet (mindestens ein vollständiges Team, idealerweise zur Vertretung bei Krankheit/Urlaub ein zweites Team, jeweils mindestens ein Arzt und ein Psychologe). 2.6 Ergebnisse Nach Festlegung der drei zu beteiligenden Kliniken fanden im Frühjahr 2005 Arbeitstreffen mit den Vertretern der drei Projektbereiche (Pneumologie, Rheumatologie und Gesundheitsökonomie) statt. Hierbei wurde das inhaltliche und strukturel229 Implementation von Patientenschulung le Vorgehen geplant und Arbeitsroutinen entwickelt (z.B. Planung der Klinikbesuche, Erhebung der Strukturanalyse). Nach den ersten Gesprächen mit den Kliniken zeichnete sich ein grundlegender Unterschied zwischen den pneumologischen und den rheumatologischen Kliniken ab, der sich im Verlauf der Projektdurchführung als bedeutsam herausstellen sollte: Alle pneumologischen Kliniken verfügten über Erfahrungen mit (wie auch immer gestalteten) Asthmaschulungen. Häufig gab es in den Kliniken Mitarbeiter, die bereits Asthmaschulungen in anderen Kliniken durchführten. Grundsätzlich konnte jedoch, aufgrund der vorgefundenen Heterogenität der Schulungsqualität, davon ausgegangen werden, dass das zu implementierende Schulungsprogramm für alle Kliniken eine strukturell wie inhaltliche Verbesserung ihrer Schulungstätigkeit darstellen würde. Parallel zu den Informationsveranstaltungen in den Kliniken wurde eine Erhebung des Ist-Zustandes durchgeführt (Strukturanalyse), in der folgende Parameter erfragt wurden: • Personal: In welcher Anzahl sind die für die Durchführung der Schulung zu beteiligenden Berufsgruppen vorhanden? • Personal: Welche Vorerfahrungen mit Schulungsprogrammen bzw. geschlossenen Gruppen haben die Mitarbeiter? Sind Trainerqualifikationen erworben worden? • Behandlungsangebote: Welche psychoedukativen Behandlungsangebote (z.B. Vorträge, Informationsveranstaltungen, nicht standardisierte Schulungen, Einzelgespräche) werden bereits routinemäßig vorgehalten? • Patientenstruktur: Wie viele Patienten mit der Diagnose Asthma werden im Durchschnitt aufgenommen? Wie ist der Anreiserhythmus und welche Möglichkeiten der blockweisen Einbestellung sind gegeben? • Räume und Ausstattung: Sind geeignete Räumlichkeiten und eine angemessene technische Ausstattung für die Durchführung von Schulungen vorhanden? • Terminierung: Besteht die Möglichkeit, die Schulungsprogramme in die bestehende Therapieplanung zu integrieren? • Zeitaufwand: Wie groß ist der Zeitaufwand für die Erstellung und Veränderung der Personal-, Raum- und Therapiepläne? In die Erhebung der Daten zur Strukturanalyse wurden auch die Mitarbeiter der Verwaltung einbezogen. Die Strukturanalyse in den Kliniken ergab ein heterogenes Bild hinsichtlich personeller, organisatorischer und struktureller Faktoren. Es wurden folgende fünf Problembereiche ermittelt: Raum- und Zeitplanung. Probleme mit der Bereitstellung freier Zeitschienen, Schwierigkeiten mit Raumplanung (Bereitstellung geeigneter Seminarräume). Anzahl (zugewiesener) Patienten. Es reisen zu wenige Patienten an, um ein kontinuierliches aber indikationsspezifisches Gruppenangebot realisieren zu können. 230 Implementation von Patientenschulung Interne Absprachen / Teambesprechungen. Bislang finden zwar Mitarbeiterbesprechungen statt, schulungsspezifische Besprechungen jedoch nicht. Realisierung indikationsbezogener Schulung. Die getrennte Asthma- und COPDSchulung ist problematisch, da für die COPD-Patienten kein Extra-Schulungsangebot vorhanden ist. Nicht ausreichende Personaldecke. Insbesondere fehlen Psychologen aufgrund von Kündigungen und ausbleibender Neubesetzung der Stellen. Modifizierung des Schulungsprogramms. Um die Treatment-Integrität des neuen Schulungsprogramms nicht zu gefährden, wurde angestrebt, dass sämtliche durch das Curriculum festgelegte Schulungsinhalte wie vorgegeben vermittelt werden sollten. Von dieser Absicht musste jedoch nach Durchführung der krankheitsspezifischen Train-the-Trainer-Seminare abgewichen werden. Sofern Änderungen am Schulungsprogramm eher struktureller Art waren, wurden sie weitgehend realisiert (hier: Änderung von 4 x 90min. auf 6 x 60min.). Bei inhaltlichen Änderungen des Schulungsprogramms galt es, mit den Schulern eine weitgehende Abstimmung zu vereinbaren. Ein völliges „Verbot“ jeglicher Änderungen war nicht einzuhalten und hätte u.U. zur völligen Ablehnung des Programms geführt. Die vorgeschlagenen Änderungen des Schulungsprogramms umfassten: • • • • die Aufteilung der Schulungsfolien unter Beibehaltung der Inhalte: statt 4 x 90 werden 6 x 60 Minuten geschult, einige Termini: Statt „Termin“ wird „Stunde“ bevorzugt, der Begriff „Controller“ (für das Kortison) wird durch „Schützer“ ersetzt (Passung mit dem Sprachgebrauch der Klinik), zusätzliche Inhalte: zum Bereich Sport soll eine neue Folie eingeführt werden (Beschreibung Trainingspuls) sowie den Austausch von Folien zur Pathophysiologie (ca. 8 Folien) durch eigene Materialien. Evaluation der Routinephase. Zum Ende der Routinephase, in der sichergestellt werden konnte, dass die Schulung regelmäßig mit ausreichender Gruppengröße durchgeführt wurde, wurde eine schriftliche Befragung der Patienten zur Akzeptanz des Seminars sowie eine Befragung der Fachtrainer durchgeführt, um mögliche Barrieren und Vorbehalte gegenüber dem Schulungsangebot identifizieren zu können. Neben einigen wenigen soziodemographischen und medizinischen Daten (Arztfragebogen) wurden die Bewertung der einzelnen Seminarmodule sowie die Gesamtbewertung der Schulung bei den Schulungsteilnehmern erhoben. Die Akzeptanzbefragung umfasste insgesamt 85 Patienten aus den drei Kliniken. Zusätzlich zu den medizinischen Daten wurden weitere schulungsrelevante Aspekte von den behandelnden Ärzten erfragt. Die Motivation zur Teilnahme an der Schulung („Wie sehr ist der Patient Ihrer Meinung nach zur Patientenschulung motiviert?“) konnte auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 5 (außerordentlich) beurteilt werden. 5,9% der Patienten wurden demnach als kaum, 3,5% als außerordentlich motiviert klassifiziert. Der 231 Implementation von Patientenschulung größte Teil der Patienten war mittelmäßig (48,2%) bis ziemlich (41,2%) motiviert. Eine ablehnende Haltung gegenüber der Teilnahme an der Schulung wurde für 92,9% der Patienten verneint. Die Patienten wurden anschließend über ihre Einstellung gegenüber der bevorstehenden Schulungsteilnahme befragt bzw. darüber, in welchem Ausmaß sie vorinformiert wurden. Die Vorbereitung auf die Schulung ist als sehr wichtig einzustufen, da viele Patienten wenige bis keine Erfahrungen mit Gruppenschulungen haben und u. U. mit falschen Erwartungen oder Vorbehalten / Ängsten in die Schulung gehen. Diese Situation kann einen Schulungserfolg beeinträchtigen. Mehr als die Hälfte der Patienten gab an, dass noch mehr Information über die Schulung notwendig gewesen wäre. Die Patienten in den drei Kliniken wurden im Rahmen des Anamnese- bzw. Aufnahmegesprächs über die Schulung informiert. Fraglich ist, ob die häufig sehr geringe Zeit, die dafür zur Verfügung steht, ausreicht, um den Patienten angemessen auf die Schulung vorzubereiten. Daher ist in jedem Fall die Möglichkeit eines spezifischen Vorgespräches, wie in unserem Schulungsmodell empfohlen, in Erwägung zu ziehen. Akzeptanzbefragung der Trainer. Bis zum Ende der Routinephase konnte Klinik A insgesamt neun, Klinik B und C jeweils sieben Schulungszyklen vollständig durchführen. Geschult wurden insgesamt 191 Patienten (Klinik A 75, B 71 und C 48). Die durchschnittliche Teilnehmerzahl pro Schulung betrug in Klinik A 8, in Klinik B 10 und in Klinik C 8 Patienten. Die minimale und maximale Teilnehmerzahl umfasste in Klinik A 5 bis 11, in Klinik B 9 bis 12 und in Klinik C 2 bis 10 Patienten. Die Fachtrainer wurden zum Ende des jeweiligen Schulungsmoduls um eine Beurteilung der Stunde gebeten. Dabei wurden Angaben zu folgenden Aspekten gemacht: Einhaltung der Modullänge: In Klinik A, in der die Modullänge auf 60 Minuten festgelegt wurde, (in Klinik B und C auf 90 Min.), konnte dies in 72% der Kursstunden eingehalten werden. 26% der Kurse dauerten weniger als 60, 2% mehr als 90 Minuten. In Klinik B dauerten 4% weniger als 60 Min., 21% genau 60 Min., 11% länger als 90 Min. In 64% der Stunden dauerte das Modul wie vorgesehen 90 Minuten. In Klinik C war die Modulzeit auffällig kurz. Statt der vorgesehenen 90 Minuten wurden 92% der Kurse in weniger (meist 45) Minuten abgehalten. Entsprechend gaben die Trainer dieser Klinik an, dass die Zeit für die Vermittlung der Inhalte pro Modul nicht ausreicht. Die Patienten dieser Klinik zeigten sich mehrheitlich unzufrieden mit dem Zeitbudget, das zur Verfügung stand („Schuler wirkt gehetzt“, „es war zu wenig Zeit“ etc.). Die Gründe für eine vorzeitige Beendigung der Stunde waren vorwiegend organisatorische, etwa dass Patienten früher zu einem nächsten Termin aufbrechen mussten. Für die systematische Unterschreitung der Modulzeit in Klinik C wurden, wie auch in der abschließenden Strukturanalyse deutlich wurde, als Begründung noch bestehende Probleme mit der Therapieplanung angegeben. Insgesamt konnten 60% der Schulungsstunden ohne organisatorische Probleme abgehalten werden. In den Fällen mit Problemen betraf dies größtenteils Raumprobleme, das heißt der ge232 Implementation von Patientenschulung buchte Seminarraum war wider Erwarten nicht frei. Alle Trainer konnten in dieser Situation auf einen anderen Raum ausweichen, wobei es zwar kurze zeitliche Verzögerungen der Schulung gab, die Schulung jedoch nicht ausfallen musste. In fünf Kursen standen die benötigten Medien (Overheadprojektor) nicht zur Verfügung bzw. waren defekt. In mehreren Fällen ist der zuständige Trainer durch Krankheit ausgefallen. Hierfür konnten die Kliniken jedoch in jedem Fall eine Vertretungsregelung finden. In 19 Kursstunden kamen Patienten zu spät oder gingen vorzeitig. Die Trainer beurteilten die Seminarstunden wie folgt: Insgesamt wurde jede Gruppe als besonders aufgeschlossen und interessiert beurteilt. Nur vereinzelt gab es Gruppenkonstellationen, in denen einige Teilnehmer extrem still (nicht uninteressiert) oder sehr dominant waren. Beide Situationen wurden von den Trainern nicht als nachteilig für die Gruppenarbeit bewertet. Es gelang relativ gut, sich auf diese Patienten einzustellen und sie jeweils angemessen in den Gruppenprozess einzubinden. Bei der Lösung insbesondere von schwierigen Problemen mit der Teilnehmergruppe konnten die Trainer auf die Inhalte des Trainer-Seminares zurückgreifen. Die meisten Trainer gaben an, dass das Trainer-Seminar ihnen sehr geholfen habe, auch mit „schwierigen“ Patienten bzw. Gruppenkonstellationen umgehen zu können. Die Trainer zeigten sich insgesamt überwiegend zufrieden mit der Information, die sie vor der Schulung über die Patienten erhielten. Die Trainer konnten sich in den Teambesprechungen vor der Schulung bereits über die Patienten informieren. In 13% der Fälle war diese Information für die Trainer offenbar jedoch nicht ausreichend. Akzeptanzbefragung der Patienten: Modulebene. Die Schulungsteilnehmer wurden zum Ende jeder Sitzung und nach Abschluss der gesamten Schulung schriftlich um eine Beurteilung des Seminars gebeten. Auf einer Skala von 1 (=beste Bewertung) bis 6 (=schlechteste Bewertung) gaben die Patienten für jedes Modul ihre Bewertung bzgl. der Wichtigkeit des behandelten Themas, der Verständlichkeit der Darstellung, der Nützlichkeit für die eigene Situation, des Gruppengefühls und der Vorinformiertheit ab. Die Wichtigkeit aller Module wurde insgesamt als sehr hoch eingeschätzt. Insbesondere das Modul 6 (Nicht-medikamentöse Maßnahmen, Leben mit der Erkrankung) erscheint den Teilnehmern als sehr wichtig. Die Schulungsthemen und die Darstellung waren für den größten Teil der Patienten verständlich. Insgesamt bewerteten die Teilnehmer die Nützlichkeit des behandelten Schulungsthemas als hilfreich für ihre persönliche Situation. Besonders profitierten die Patienten auch hier von Modul 6. Die Teilnehmer fühlten sich offenbar in der Gruppe sehr wohl. Das Gruppengefühl verbesserte sich sogar mit zunehmender Schulungsdauer. In den Fällen, in denen weniger Wohlbefinden dokumentiert wurde, haben die betreffenden Patienten dies in der abschließenden Bewertung begründet (persönliche Probleme in Gruppen, soziale Ängstlichkeit). Obwohl die meisten Teilnehmer die Schulungsthemen als wichtig und nützlich für ihre eigene Situation bewerteten, 233 Implementation von Patientenschulung wurden die Informationen nicht als völlig neu bewertet. Die Teilnehmer wurden weiterhin nach jedem Modul gefragt, welche Aspekte an der Schulung besonders gefallen oder nicht gefallen hatten. Besonders positiv bewertet wurden: die Präsentation der Inhalte, z.B. „Alles sehr gut verständlich erklärt, keine Fremdworte, kein Arztlatein, sehr anschauliche Beispiele aus dem Leben, Dr. X hat alles ruhig und langsam erklärt, die Bilder waren sehr anschaulich, habe endlich verstanden, was Asthma ist“). Weiterhin wurde die Gruppenatmosphäre (Gruppendynamik) positiv eingeschätzt, z.B. „Gut war die feste Gruppe, wir konnten uns auch außerhalb der Schulung austauschen, konnte schnell Vertrauen aufbauen, die anderen Patienten haben mir gute Tipps gegeben, jede einzelne Person durfte seine Probleme erzählen, auf jeden wurde eingegangen, alle haben zugehört“). Ebenso wurde der Informationszuwachs als positiv hervorgehoben, z.B. „Kortison ist gar nicht so schlimm, wie ich dachte, ich achte jetzt mehr auf mich, weil ich verstanden habe, wie wichtig das ist, ich habe sehr viel Neues erfahren, das praktische Üben hat mir viel gebracht, so hat mir das noch keiner erklärt“). Die Teilnehmer, die sich negativ über die Schulung äußerten, brachten vorwiegend organisatorische Probleme vor, etwa den Termindruck in Einzelfällen, in denen der Arzt zu einem Notfall gerufen und früher gehen musste, Sitzgelegenheiten zu unbequem, Raum zu klein, schlecht belüftet, Lichtverhältnisse schlecht (Projektionsfläche zu hell), die Terminwahl (Schulung direkt vor dem Mittagessen, dadurch Stress). Akzeptanzbefragung - Teilnehmer: Gesamtbewertung. Die Schulungsteilnehmer gaben eine Gesamtbewertung des Seminars zum Abschluss. Dabei sollten die räumlichen, organisatorischen und inhaltlichen Aspekte bewertet werden. Die Teilnehmer waren überwiegend zufrieden mit der Gruppengröße, die in den Kliniken gemäß den Empfehlungen (8-12 Teilnehmer) eingehalten werden konnte (95% „Gruppengröße genau richtig“). Die Teilnehmer zeigten sich mit der Auswahl des Schulungsraumes überwiegend zufrieden. Die Länge der einzelnen Kursstunden wurde größtenteils als „genau richtig“ (84,7%) beurteilt. Darüber hinaus wurden sie eher als „zu lang“ als „zu kurz“ beschrieben. Die Patienten, die die Sitzungen als zu kurz beurteilten (6,0%), gaben an, dass sie sich gerne noch mehr Zeit gewünscht hätten, um Fragen stellen zu können. Auf einer Skala von 1 (sehr verständlich) bis 6 (unverständlich) gaben die Teilnehmer ihre Einschätzung darüber ab, wie verständlich die erhaltene Information insgesamt aufbereitet war. Für mehr als 90% der Teilnehmer war die Informationsvermittlung ausreichend verständlich (1: 54,7%, 2: 36,0%, 3: 8%). Diese Beurteilung zeichnete sich bereits nach jedem Modul ab. Besonders hervorgehoben wurden die verständliche Sprache der Trainer und das anschauliche Folienmaterial. Darüber hinaus äußerten die Patienten, dass besonders die Möglichkeit, Fragen zu stellen und der Austausch unter den Patienten, sie unterstützt hätte. Die Informationsaufnahme konnte durch ausreichende Fragemöglichkeiten gefördert werden. Hier gaben 95,7% der Patienten für sie ausreichende Fragemöglichkei234 Implementation von Patientenschulung ten gehabt zu haben. Besonders positiv wurde insgesamt die Unterstützung und der Austausch innerhalb der Gruppen beurteilt („Erfahrungsaustausch sehr hilfreich (1) 42,3%, (2) 29,5%, (3) 16,1%). Der größte Teil der Patientenkommentare bezieht sich auf diesen Aspekt. Die Durchführung der Schulung in einer festen Gruppe hatte bei den meisten Patienten eine große Bedeutung, da die Gruppe als Referenzpunkt auch außerhalb der Schulung wahrgenommen wurde. Dabei war der Austausch mit anderen Patienten in gleicher Situation (etwa gleicher Krankheitsschweregrad, ähnliche Medikamente) ebenso gewinnbringend wie das Erleben von Mitpatienten, die erheblich schwerer erkrankt waren oder eine längere Krankheitsdauer aufwiesen. Ein Teil der Patienten äußerte hierzu, dass der Austausch mit diesen Mitpatienten besonders im Hinblick auf den Abbau von Prognoseängsten günstig war. Insgesamt würde der größte Teil der Teilnehmer die Schulung weiterempfehlen (97,9%). Am häufigsten wurde in diesem Zusammenhang beklagt, dass das Angebot an Asthmaschulungen zu „unbekannt“ sei. Einige Patienten äußerten dass „viel mehr“ („alle“) Patienten mit Asthma eine derartige Schulung erhalten müssten. Zeitaufwand und Kosten. Der Zeitaufwand für die Implementierung des Schulungsprogramms bzw. für die Probe- und Routinephase (je 3 bzw. 12 Monate) wurde insgesamt sowie aufgeschlüsselt nach den Faktoren: Zeit für Teambesprechungen (Trainer), Anpassung der Therapieplanung (Verwaltung), Vorbereitung der Kurse (Materialien bereitstellen, Schulungsraum vorbereiten, Schulungsthemen durchgehen) sowie für die externe Beratung/Betreuung der Trainer durch das Projektteam erhoben (Tab. 2). Tabelle 2: Durchschnittlicher Zeitaufwand der Probephase (3 Monate) und der Routinephase (12 Monate). Probephase (3 Monate) Gesamt Pro Kurs Pro Pat. Routinephase (12 Monate) Gesamt Pro Kurs Pro Pat. Anzahl Kurse 5,0 20,3 Anzahl Patienten 41 167,3 8,3 Therapieplan 16,0 Std. 192 Min. 23 Min. 55,8 Std. 165 Min. 20 Min. Absprachen 31,3 Std. 376 Min. 46 Min. 24,4 Std. 72 Min. 9 Min. Kursvorbereitung 11,5 Std. 138 Min. 17 Min. 24,3 Std. 72 Min. 9 Min. Schulung 30,0 Std. 360 Min. 44 Min. 122,0 Std. 360 Min. 44 Min. Betreuung Schuler 0,5 Std. 6 Min. 0,7 Min. - - - Summe 89,3 Std. 17,9 Std. 2,2 Std. 226,5 Std. 11,1 Std. 1,4 Std. 235 Implementation von Patientenschulung Die Implementierung des Schulungsprogramms nahm insgesamt durchschnittlich 59,3 Personenstunden in Anspruch. Diese setzten sich zusammen aus 31,3 Stunden für Besprechungen und Absprachen, 13,0 Stunden für die Anpassung der Therapieplanung, 11,5 Stunden für die Vorbereitung der Kurse und 0,5 Stunden für die externe Betreuung der Schuler durch das Projektteam. In der dreimonatigen Probephase wurden im Durchschnitt fünf Schulungszyklen durchgeführt. Hierfür ergab sich ein Zeitaufwand von insgesamt 30,0 Stunden pro Klinik. Bezogen auf einen Kurs betrug der Zeitaufwand durchschnittlich 17,9 Personenstunden. In der 12monatigen Routinephase wurden durchschnittlich 20,3 Schulungszyklen durchgeführt. Hier ergab sich ein Zeitaufwand von insgesamt 122 Stunden. Sachkosten fielen in den Kliniken nicht an, da Folien und weitere Unterlagen für die Schulungsseminare im Rahmen der Studie zur Verfügung gestellt wurden. Anschaffungen speziell für die Schulung sind nicht getätigt worden. Bei der Berechnung der Kosten wurde die Nutzung der Räume und Ausstattung im Rahmen der Schulung über den Gemeinkostenzuschlag in Höhe von 30% angesetzt. Die Ermittlung der Personalkosten basiert auf dem Ansatz des Bruttomonatsverdienstes nach TVöD (2007) je Berufsgruppe. Damit ergeben sich im Durchschnitt der drei Kliniken Gesamtkosten von 492 € für die Probe- und 307 € für die Routinephase. Nicht mitberechnet sind die Kosten für die Teilnahme an den Train-the-Trainer-Seminaren. Kosteneinsparpotenziale konnten nicht ermittelt werden. Zwar wurden Zeiten für Einzelgespräche im Rahmen psychologischer Betreuung oder Visiten in die Schulungsgruppen verlegt, jedoch entstand daraus keine nennenswerte Zeitersparnis. Allerdings fand in den beibehaltenen Einzelgesprächen oftmals eine - als sehr angenehm empfundene - Vertiefung der Inhalte statt, da die Patienten bereits durch die Schulung über mehr Informationen verfügten. Durch die Implementierung der Schulung konnten bisherige edukative Angebote in den Kliniken (vorwiegend Vorträge) eingestellt werden. In den Fällen, in denen diese Angebote gleichermaßen von Patienten mit anderen Indikationen genutzt wurden (etwa eine gemeinsame „Sprayunterweisung“ für Asthma- und COPD-Patienten), wurden diese Angebote beibehalten. Somit hat das Schulungsprogramm das Angebot der Klinik eher ergänzt als ersetzt. 2.7 Literatur Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) (2005). Gesundheitstraining in der Medizinischen Rehabilitation. Indikationsbezogene Curricula. Online: http://www.deutsche-rentenversicherung.de, Pfad: Sozialmedizin und Forschung à Konzepte und Systemfragen à Konzepte à Gesundheitsbildung. de Vries, U. (2004). Asthma-Patientenschulung im Rahmen ambulanter und stationärer Rehabilitation. Regensburg: Roderer. de Vries, U., Mühlig, S., Bergmann, K.-Ch. & Petermann, F. (2005). Ambulante und 236 Implementation von Patientenschulung stationäre Rehabilitation bei erwachsenen Asthmatikern: Effekte von Patientenschulung. In. F. Petermann (Hrsg.), Prädiktion, Verfahrensoptimierung und Kosten in der medizinischen Rehabilitation (2. Aufl., S. 145-195). Regensburg: Roderer. Deutsche Rentenversicherung Bund. (2007). KTL. Klassifikation therapeutischer Leistungen in der medizinischen Rehabilitation (5. Aufl.). Berlin: Deutsche Rentenversicherung. Faller, H., Reusch, A., Vogel, H., Ehlebracht-König, I. & Petermann, F. (2005). Patientenschulung. Die Rehabilitation, 44, 277-286. Mellert, C., Krauth, C., Mühlig, S., de Vries, U., Petermann, F. & Schwartz, F.W. (2003). Gesundheitsökonomische Evaluation von Schulungsprogrammen für Patienten mit Asthma bronchiale. In F. 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Individualisiertes, modular strukturiertes Patientenverhaltenstraining bei obstruktiven Atemwegserkrankungen. Pneumologie, 54, 296-305. Ströbl, V., Friedl-Huber, A., Küffner, R., Reusch, A., Vogel, H. & Faller, H. (2007). Beschreibungs- und Bewertungskriterien für Patientenschulungen. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, 75, 11-14. Vogel, H. (2007). Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung der Patientenschulung - ein Rahmenkonzept. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, 75, 5-10. Publikationen Bönisch, A., Brandes, I., de Vries, U., Ehlebracht-König, I., Krauth, C. & Petermann, F. (2007). Herausforderungen und Hindernisse bei der Implementierung von rheumatologischen Patientenschulungsprogrammen in Rehabilitationskliniken. DRVSchriften, 72, 40-41. Brandes, I., Bönisch, A., de Vries, U., Krauth, C., Ehlebracht-König, I. & Petermann, F. (2007). Evaluation der modellhaften Einführung von Patientenschulungspro237 Implementation von Patientenschulung grammen für die rheumatologische und pneumologische Rehabilitation. In H.E. Wichmann, D. Nowak & A. Zapf (Hrsg.), Kongress Medizin und Gesellschaft 2007 Abstractband (S. 37-38). Mönchengladbach: Rheinware Verlag. Brandes, I., Bönisch, A., de Vries, U., Krauth, C., Ehlebracht-König, I. & Petermann, F. (2008). Implementierung von Patientenschulungsprogrammen aus gesundheitsökonomischer Perspektive. DRV-Schriften, 77, 195-197. de Vries, U., Bönisch, A., Brandes, I., Ehlebracht-König, I., Krauth, C. & Petermann, F. (2007). Evaluation der modellhaften Einführung von Patientenschulungsprogrammen in die pneumologische Rehabilitation. DRV-Schriften, 72, 41-43. de Vries, U., Brandes, I., Krauth, C. & Petermann, F. (2008). Patientenschulungsprogramme in der pneumologischen Rehabilitation: Ergebnisse einer Implementationsstudie. Das Gesundheitswesen, 70, 572-581. 238 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom 3 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom 3.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiterinnen Dipl. Psych. Meike Holtz Dr. Meike Lange Kooperationspartner Dr. Bernhard Krohn-Grimberghe, Rheumaklinik Bad Wildungen Zeitraum 01.06.2007 - 30.06.2010 Finanzierung Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen 3.2 Zusammenfassung Das Fibromyalgiesyndrom stellt eine große Herausforderung für die medizinische Rehabilitation dar. Durch den meist chronischen Verlauf ist die Lebensqualität der Patienten stark eingeschränkt und das Gesundheitssystem belastet. Um die verhaltensmedizinische Betreuung der Patienten zu verbessern, wurde eine Patientenschulung entwickelt, die Module zur Schmerz- und Stressbewältigung sowie Verhaltensübungen zu einem günstigen Lebensstil beinhaltet. Ziel der Studie war die Prüfung der Wirksamkeit der verhaltensmedizinischen Betreuung der Fibromyalgiesyndrom-Patienten. Es wurde davon ausgegangen, dass die neu entwickelte Patientenschulung der Behandlung vor Optimierung in ihrer Effektivität überlegen ist. Dazu wurden die Daten von drei Gruppen (stationäre Patienten vor Optimierung, stationäre Patienten nach Optimierung und unbehandelte ambulante Patienten) miteinander verglichen. 239 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom 3.3 Stand der Forschung Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist durch langanhaltende, wiederkehrende Muskelschmerzen gekennzeichnet, die sich häufig zunächst monolokulär entwickeln und erst im Laufe eines längeren Zeitraums in eine generalisierte Schmerzerkrankung übergehen. Zusätzlich entstehen unterschiedliche vegetative und funktionelle Begleiterscheinungen wie Schlafstörungen, Depressivität, vermehrte Erschöpfung oder funktionelle Organbeschwerden. Die Erkrankung betrifft vorwiegend Frauen (Verhältnis 9:1) ab dem 35. Lebensjahr. Beim FMS lässt sich eine erhöhte Komorbidität mit psychischen Beeinträchtigungen wie Angst und Depression nachweisen. Je nach Art der Diagnose zeigen 20 bis 80% der Fibromyalgiesyndrom-Patienten depressive Symptome und 13 bis 63,8% Ängstlichkeit (Fietta, Fietta & Manganelli, 2007). Eine komorbide Depression beim Fibromyalgiesyndrom geht mit einer erhöhten Belastung der Patienten einher. Insbesondere zeigen depressive Fibromyalgiesyndrom-Patienten ein deutlich schlechteres körperliches Funktionsniveau (Korszun et al., 2002; Okifuji, Turk & Sherman, 2000). Zudem wirken sich depressive Symptome negativ auf die kognitive Bewertung von Symptomen aus und es zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Depressionsausprägung und dem Grad der Katastrophisierung (Graceley et al., 2004). Zusätzlich erschwert eine komorbide Depression die Krankheitsbewältigung. So setzten depressive Fibromyalgiesyndrom-Patienten eher passive Copingstrategien ein (z.B. Einnahme von Schmerzmedikamenten, Herabsetzung des Funktionsniveaus) (Nicassio, Radojevic, Schoenfeld-Schmith & Dwyer, 1995) und sind weniger motiviert an einer Rehabilitation aktiv teilzunehmen (Lange, Krohn-Grimberghe & Petermann, 2009; Rau, Ehlebracht-König & Petermann, 2008). Der ungünstige Einfluss von Depression auf das Fibromyalgiesyndrom spiegelt sich im Rehabilitationsverlauf wider. Studien belegen, dass die Symptome des Fibromyalgiesyndroms bei einer zusätzlichen Depression bedeutsam weniger reduziert werden konnten als bei Patienten ohne depressive Symptome (Finset, Wigers & Götestam, 2004; Lange et al., 2009). Zur Behandlung des Fibromyalgiesyndroms existiert lediglich eine symptomorientierte, keine kausale Therapie, die von den Patienten eine besondere Anforderung abverlangt, eine solche Erkrankung zu bewältigen. In Hinblick auf verhaltensmedizinische Interventionen konnte ein hoher Evidenzgrad belegt werden. Durch eine verhaltenspsychologisch begründete Patientenschulung werden eine Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung, Schlafqualität, Lebensqualität sowie eine Reduzierung des Erschöpfungszustandes erreicht (Goldenberg, Burckhardt & Crofford, 2004). Die interdisziplinären Leitlinien empfehlen zur Langzeitbetreuung eine psychosomatische Grundversorgung. Hierbei hat sich eine multimodale Therapie aus Patientenschulung, Verhaltenstherapie, aerobem Ausdauertraining und ggf. Medikamenteneinnahme sowie eine Therapie der körperlichen und psychischen Komorbidität bewährt (Themenheft, 2008). Im Rahmen einer Metaanalyse zur Effektivität von multimodalen Behandlungen beim Fibromyalgiesyndrom wurden neun rando240 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom misierte kontrollierte Studien analysiert. Es zeigte sich eine Verbesserung der Schlüsselsymptome, somit wurde eine Schmerzreduktion mit einer standardisierten mittleren Differenz (SMD) von -0,37 erreicht. Depressive Symptome verringerten sich (SMD -0,67), die Selbstwirksamkeit und die körperliche Fitness verzeichneten eine Erhöhung (SMD 0,54 bzw. 0,30) (Häuser, Bernardy, Arnold, Offenbächer & Schiltenwolf, 2009). Mit einer Schulung, die Gruppendiskussionen zu den Themen Schmerzbewältigung, Stress- und Aktivitätsmanagement umfasste, konnten positive Effekte im Bereich der Lebensqualität und der Selbstwirksamkeitsüberzeugung erreicht werden (Burckhardt, Mannerkopi, Hedenberg & Bjelle, 1994). Ebenso konnten in einer 1-Jahres-Katamnese positive Ergebnisse in Bezug auf die Hoffnungslosigkeit nachgewiesen werden (Oliver, Cronan, Walen & Tomita, 2001). Indessen zeigten zwei weitere Studien zur Wirksamkeit der Patientenschulung als alleinige Maßnahme keine positiven Effekte (King, Wessel, Bhambhani, Sholter & Masksymowych, 2002; Soares & Grossi, 2002). Jedoch wurde der Effekt einer Patientenschulung als Bestandteil eines multimodalen Therapiekonzeptes in vielen Studien belegt (Fürst, 2007; Themenheft, 2008). 3.4 Ziele Ziel des Projektes ist die Optimierung und Standardisierung der verhaltensmedizinischen Betreuung und Schulung von Fibromyalgiesyndrom-Patienten. Bislang nahmen die Patienten an einer psychoedukativen Schulung über vier Sitzungen à 45 Minuten teil. Das Projekt gliederte sich in drei Phasen: Zunächst wurde der aktuelle Stand der verhaltensmedizinischen Behandlung dokumentiert und anschließend erfolgte eine Optimierung. In diesem Zusammenhang wurde vor dem Hintergrund des aktuellen, evidenzbasierten Forschungsstands eine standardisierte Patientenschulung entwickelt. Die anschließende Evaluationsphase soll die Wirksamkeit der neuen verhaltensmedizinischen Intervention belegen. Es sollte bei dieser Studie der Frage nachgegangen werden, ob eine standardisierte Patientenschulung die Krankheitsbewältigung von Fibromyalgiesyndrom-Patienten positiv beeinflussen kann. Es wurde erwartet, dass der psychische und physische Gesundheitszustand mit den einhergehenden Beeinträchtigungen der Fibromyalgiesyndrom-Patienten durch die multimodale Rehabilitation mit integrierter manualisierter Patientenschulung bedeutsam verbessert werden kann. Dazu wurden die Daten von drei Patientengruppen miteinander verglichen. Kontrollgruppe 1 (KG I): Patienten der stationären Rehabilitation, die vor der Optimierung an einer Schulung teilnehmen. Kontrollgruppe 2 (KG II): ambulante Fibromyalgiesyndrom-Patienten, die aus Arztpraxen und Selbsthilfegruppen in und um Bremen sowie Göttingen rekrutiert wurden. Interventionsgruppe (IG): Patienten der stationären Rehabilitation, die nach der Optimierung ihre stationäre Rehabilitation durchführen. 241 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom 3.5 Methodisches Vorgehen Um die Behandlung von Fibromyalgiesyndrom-Patienten zu verbessern, entwickelte das Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZPKR) der Universität Bremen in Kooperation mit der Rheumaklinik Bad Wildungen eine Patientenschulung. Diese enthält verhaltenstherapeutische, psychoedukative und trainierende Anteile. Sie unterscheidet sich von bisherigen Patientenschulungen in ihrer Anwendung von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Methoden wie Schmerz- und Stressmanagement, kognitiver Umstrukturierung und eines Genusstrainings zur Wahrnehmungsumlenkung bei Schmerzzuständen (vgl. Brückle et al., 2005). Die Patientenschulung verfolgt als übergeordnetes Ziel eine Verbesserung des Selbstmanagements im alltäglichen Umgang mit der Erkrankung. Im Einzelnen beinhaltete die Schulung: • edukative Elemente zum Krankheitsbild und Behandlungsmöglichkeiten und Schmerzphysiologie, • kognitive verhaltenstherapeutische Strategien wie Schmerz- und Stressmanagement zur Beeinflussung einer günstigen Krankheitsbewältigung. Ebenso sollten die Patienten auslösende und aufrechterhaltende Faktoren erkennen, die individuell mit einem Schmerztagebuch evaluiert werden sowie • kognitive Umstrukturierung mittels ABC-Technik nach Beck und Ellis. Die Schulung ist ein fester Bestandteil der multimodalen stationären Rehabilitation und wird in geschlossenen Kleingruppen von 10 bis 12 FibromyalgiesyndromPatienten durchgeführt. Die sechs aufeinander aufbauenden Module umfassen jeweils 90 Minuten, im Anschluss an jede Sitzung erhalten die Patienten eine kurze schriftliche Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte. Die Rekrutierung der Patienten der KG I und der IG erfolgte während einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Zusätzlich wurde eine externe Patientengruppe als KG II über Informationsveranstaltungen zum Thema Fibromyalgiesyndrom geworben. Die geplante Stichprobengröße aller Gruppen betrug 80 Patienten zum Katamnesezeitpunkt. Die Datenerhebung erfolgt zu drei Messzeitpunkten (Prä-Post und 6-Monatskatamnese). Alle Patienten der stationären Rehabilitation (KG I & IG) erhielten eine komplexe antirheumatische Therapie: medikamentöse Behandlung, Bewegungstherapie (physiotherapeutische Einzel- und Gruppenbehandlung), Entspannungstraining (progressive Muskelentspannung nach Jacobson in der Gruppe: 5-mal 50 min.) sowie physikalische Anwendungen (Massage, Wärme- und Kälteanwendungen). Die Patienten der KG I nahmen zusätzlich an einer psychoedukativen Schulung zum Fibromyalgiesyndrom teil. Die IG erhielt eine psychologische Schmerzbewältigung in Form einer Patientenschulung. Die bisherige Schulung der Fibromyalgiesyndrom-Patienten erfolgte an fünf Termi242 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom nen à 45 Minuten, in geschlossenen Gruppen von 3 bis 12 Patienten. Inhaltlich wurde zunächst ein Überblick über die Geschichte der Erkrankung und eine Definition gegeben. Anschließend wurde auf die häufig komorbid auftretende Depression eingegangen. Dabei stand die Abgrenzung der Symptomatik des Fibromyalgiesyndroms und der Depression sowie eine Vermittlung des Sinn und Zwecks der Verordnung von Antidepressiva aus schmerztherapeutischer Sicht im Vordergrund. In den folgenden Stunden erfolgten Diskussionen zum Symptommuster, Leitsymptome und funktionale Symptome. Zudem wurden gängige Theorien zur Entstehung des Fibromyalgiesyndroms und das Schmerzgedächtnis besprochen. In weiteren Diskussionen wurde der sekundäre Krankheitsgewinn bearbeitet und die Patienten über ambulante und stationäre Behandlungsansätze aufgeklärt. Zur optimierten Patientenschulung wurde der Klinik ein Schulungsmanual bestehend aus Schulungsfolien bzw. Powerpoint-Präsentation, Arbeitsblättern, Handouts, Schmerztagebüchern, Hintergrundinformationen und Hinweisen zur didaktischen Gestaltung der Schulungssitzungen zur Verfügung gestellt. Die optimierte Patientenschulung setzte sich aus 6 Modulen à 90 Minuten zusammen. Die Schulung wurde ebenfalls in geschlossenen Gruppen von fünf bis zwölf FibromyalgiesyndromPatienten durchgeführt. Zur didaktischen Vermittlung wurden die Inhalte mit Hilfe einer Präsentation dargestellt. Diese wurden an Alltagsbeispielen vertieft und über praktische Übungen bearbeitet. In Gesprächen erhielten die Patienten die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen und von ihren persönlichen Erfahrungen zu berichten. Die wichtigsten Informationen wurden als Handout nach jeder Sitzung zur Verfügung gestellt. Zudem wurden die Patienten angeleitet, ein Schmerztagebuch zu führen, um auslösende Faktoren der Schmerzen identifizieren zu können. Zu Beginn stand die Wissensvermittlung zum Krankheitsbild des Fibromyalgiesyndroms im Vordergrund. Den Patienten wurden Informationen zum Krankheitsbild und Behandlungsmöglichkeiten vermittelt. Um Einflussmöglichkeiten auf die Schmerzwahrnehmung über körperliche und psychische Ebene zu erklären, wurde der Schmerzkreis eingeführt. Darauf aufbauend wurde der Zusammenhang von Stress und Schmerzen genauer betrachtet. Dabei wurde auf die Wechselwirkung der Stressreaktionen auf den Ebenen Verhalten, körperliche Reaktion, Gefühl und Gedanken eingegangen. Im weiteren Verlauf wurde der Zusammenhang zwischen dysfunktionalen Gedanken und der Schmerzwahrnehmung bearbeitet. Dabei stand die kognitive Umstrukturierung im Mittelpunkt. Den Abschluss der Patientenschulung bildete ein Genusstraining zur Wahrnehmungsumlenkung bei Schmerzzuständen. Dabei wurde zunächst der Unterschied zwischen erholsamen und belastenden Aktivitäten besprochen. Anschließend wurde das „Genießen“ unter Anleitung von Genussregeln (z.B. Nimm dir Zeit zum Genießen!) mit allen Sinnen praktisch erprobt. Die schriftliche Befragung der Patienten erfolgte zu drei Messzeitpunkten: T1: bei Reha-Beginn (nach Aufnahme in der Klinik), T2: bei Reha-Ende (vor Abreise aus der Klinik) sowie T3: postalische Nachbefragung 6 Monate nach Reha-Ende. 243 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom Alle Patienten der Indikationsgruppe Fibromyalgiesyndrom der Rheumaklinik Bad Wildungen wurden zu Beginn ihrer stationären Behandlung über die Studie aufgeklärt und konnten auf freiwilliger Basis den Fragebogen ausfüllen. Unabhängig davon, ob die Patienten an der Studie teilnahmen oder nicht erhielten die Patienten die o.g. Maßnahmen. Alle rekrutierten Patienten der Studie, bei denen zu T1 und T2 Fragebögen vorlagen, wurden in die postalische Nachbefragung einbezogen. Die Fragebögen, inklusive frankiertem Rückumschlag, wurden mit einem persönlichen Anschreiben ca. 5 bis 7 Tage vor dem Stichtag über die Klinik verschickt. Um die Rücklaufquote zu erhöhen, konnten die Teilnehmer durch die Rücksendung des ausgefüllten T3-Fragebogens eine Zusammenfassung der Studienergebnisse anfordern. Die Patienten der KG II wurden während einer Informationsveranstaltung rekrutiert. Einige Tage nach der Veranstaltung wurde den Patienten postalisch der erste Fragebogen mit einem frankierten Rückumschlag und persönlichem Anschreiben zugesandt. Um sicherzustellen, dass die Patienten der KG II an dem Fibromyalgiesyndrom erkrankt waren, wurden sie gebeten, eine Bescheinigung ihres Arztes über ihre Diagnose dem Fragebogen beizufügen. Ein entsprechender Vordruck wurde den Patienten zugeschickt. Alternativ wurden auch ärztliche Gutachten aus denen eindeutig die Diagnose Fibromyalgiesyndrom hervorging, für den entsprechenden Patienten angenommen. Ging der Fragebogen bzw. die Bescheinigung nicht innerhalb von drei Wochen nach Versand ein, wurden die Patienten telefonisch kontaktiert, um sie zur weiteren Teilnahme an der Studie zu motivieren. Erhebungsinstrumente. Neben soziodemographischen Daten wurden die Schlüsselsymptome des Fibromyalgiesyndrom wie Schmerzen, Ängstlichkeit und Depressivität erfasst. Zudem interessierten die körperliche Funktionsfähigkeit und erlebte Beeinträchtigungen. Da die Motivation und die Schmerzverarbeitung für den langfristigen Reha-Erfolg entscheidend sind, gingen diese Parameter ebenfalls in die Datenerhebung ein. Zur Erfassung dieses Merkmalsbereichs wurde auf einzelne Fragen aus dem Deutschen Schmerzfragebogen (DSF) der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) (Nagel, Gerbershagen, Lindena & Pfingsten, 2002) zurückgegriffen. Die Patienten sollten ihre durchschnittliche, größte, geringste und momentane Schmerzstärke auf einer elfstufigen Skala der letzten vier Wochen angeben. Zudem wurde die erträglichste Schmerzstärke abgefragt. Der Pain Disability Index (PDI; Dillmann, Nilges, Saile & Gerbershagen, 1994) misst die subjektiv erlebte Beeinträchtigung durch Schmerzen in sieben Bereichen der Alltagsaktivitäten. Der ASES-D geht auf ein Instrument zurück, das im Original von Lorig et al. (1989) zur Erfassung der Selbstwirksamkeit bei Patienten mit Arthritis entwickelt wurde. In dieser Originalversion besteht das Instrument aus drei Subskalen: „Selbstwirksamkeit Schmerz“, „Selbstwirksamkeit Funktion“, „Selbstwirksamkeit andere Symptome“. Die motivationale Bereitschaft wurde mit dem Freiburger Fragebogen – Stadien der 244 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom Bewältigung chronischer Schmerzen (FF-STABS; Maurischat, Härter & Bengel, 2006) erhoben. Der Fragebogen zur Erfassung der Schmerzverarbeitung (FESV; Geissner, 1990) wurde eingesetzt um das gesamte Schmerzgeschehen, die Form der Schmerzbewältigung und die schmerzbedingten psychischen Belastungen zu erfassen. Der Fragebogen umfasst 9 Subskalen. Zur Untersuchung der Schmerzangst wurden zwei Skalen der Pain Anxiety Symptom Scale (PASS-D; Quint, 2007) ausgewählt: die „schmerzbezogene Angst auf der kognitiven Ebene“ und „Vermeidungsverhalten“. Diese umfassen 13 Items mit einer siebenstufigen Antwortskalierung. Die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D; Hermann-Lingen, Buss & Snaith, 2005) wurde unter anderem zur Erfassung von psychischen Beeinträchtigungen bei Patienten mit funktionell bedingten körperlichen Beschwerden entwickelt. Mit der Kurzform des IRES-Patientenfragebogens (IRES-24; Wirtz et al., 2005) kann die Indikation des Rehabilitationsstatus erhoben werden. Zur Beurteilung des Wissensstands über das Fibromyalgiesyndrom wurden den Patienten sieben Aussagen über Ursachen, Begleitsymptome und Behandlung präsentiert, die sie mit „richtig“ oder „falsch“ beurteilen sollten. Zum Ende der Rehabilitation wurden den Patienten Fragen zur Beurteilung der Patientenschulung vorgelegt. 3.6 Ergebnisse Stichprobenbeschreibung. Eine detaillierte Beschreibung kann Tabelle 1 entnommen werden. Schmerzdaten. In den schmerzbezogenen Kennwerten zeigen sich zum ersten Messzeitpunkt zwischen den Gruppen bedeutsame Unterschiede. Dabei differieren die Ausprägungen signifikant zu den Ausprägungen jeder Gruppe. Die „durchschnittliche Schmerzstärke“ ist bei der KG I am geringsten ausgeprägt, gefolgt von der KG II. Die Patienten der IG geben bei der größten Schmerzstärke die stärkste Ausprägung an. Bei der Frage nach ihren geringsten Schmerzen geben diese Patienten die geringste Ausprägung an. Folglich variieren die Schmerzen der IG am deutlichsten. Auf der Skala „momentane Schmerzstärke“ und „erträglichsten Schmerzstärke“ konnten keine Unterschiede zwischen den Gruppen ausgemacht werden. Die Patienten der KG II gaben die längste bestehende Schmerzdauer (18,55 Jahre) an. Die Werte der KG I und IG unterschieden sich nicht bedeutsam von einander (KG I=11,18 Jahre; IG=9,88 Jahre). Auch in der Schmerzhäufigkeit zeigte sich kein bedeutsamer Unterschied zwischen den Gruppen. Die Motivationslage der KG II und IG unterschieden sich zum ersten Messzeitpunkt. In der Schmerzverarbeitung gab die KG II höhere Mittelwerte auf den Skalen „Kognitive Umstrukturierung“, „Kompetenzerleben“ und „Ruhe- und Entspannungstechniken“ an als die Patienten der IG. Die schmerzbezogenen Ausgangswerte der drei Stichproben unterscheiden sich hinsichtlich ihrer durchschnittlichen, größten, ge245 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom ringsten Schmerzstärke sowie in ihrer Schmerzdauer. Die IG zeigt zum Zeitpunkt des Reha-Beginns die größte durchschnittliche Schmerzstärke auf. Auffallend ist, dass die KG II die längste Schmerzdauer von mehr als 18 Jahren aufweist, allerdings sind diese Patienten bedeutsam älter als die Patienten der KG I und der IG. Dementsprechend zeigten sich in der KG II auch mehr verwitwete Patienten und mehr die eine Altersrente bezogen, weniger Patienten waren erwerbstätig. Tabelle 1: Stichprobenbeschreibung. Geschlecht weiblich % M Alter (SD) ledig verheiratet Familiengeschieden/stand getrennt lebend verwitwet keinen Hauptschule SchulabRealschule schluss höhere Schule anderer Anmerkungen: M=Mittelwert; *p<0.05; **p<0.001 Gesamt n= 414 93.5 % 51.44 (7.94) 9.4 % 63.8 % 22.2 % KG I n=160 94.4% 49.74 (7.20) 10 % 57.5% 29.4 % KG II n=59 94.9 % 57.89 (9.48) 6.8 % 67.8 % 15.3 % IG n=195 92.3 % 50.9 (7.15) 9.7 % 67.7 % 18.5 % T/Chi 4.57 21.07** 17.71* 3.4 % 1.9 % 10.2 % 2.6 % 1.2 % 1.9 % 0% 1.0 41.1 % 43.1 % 44.1 % 38.5 % 6.52 37.0 % 35.6 % 42.4 % 36.4 % 9.7% 17.6 % 6.8 % 9.0 % 8.5 % 0.6 % 5.1 % 11.1 % SD=Standardabweichung; T/Chi=statistische Prüfgröße; Die Motivation zur Bewältigung chronischer Schmerzen zeigte, dass die Patienten der KG II eher bereit sind, ihr Verhalten in Richtung Schmerzbewältigung zu verändern als die Patienten der IG. Ebenso setzt die KG II kognitive und behaviorale Schmerzverarbeitungstechniken eher ein als die Patienten der IG. Durchschnittliche Schmerzstärke (DSF). Die durchschnittliche Schmerzstärke der IG konnte im Vergleich zur KG II bedeutsam gesenkt werden (F=15,793; p< 0,001; π2=0,1179) diese Effekt war zum Katamnesezeitpunkt weiterhin nachweisbar. Beim Vergleich der durchschnittlichen Schmerzstärke der IG und der KG I zeigte sich, dass die Patienten der KG I schon mit einer geringeren Schmerzstärke in die Rehabilitation aufgenommen wurden. Zum Reha-Ende lag ihre Schmerzintensität deutlich unter der Schmerzstärke der IG, obwohl diese Patienten ebenfalls ihre Schmerzen signifikant verringerten. Zum Katamnesezeitpunkt stiegen die Schmerzen der KG I über die Schmerzstärke der IG an. Sodass die optimierte Patientenschulung in der langfristigen Effektivität der Rehabilitation vor Optimierung deutlich überlegen war. Selbstwirksamkeit (ASES-D). Die krankheitsbezogene Selbstwirksamkeit der IG konnte innerhalb der Rehabilitation im Vergleich zur KG II bedeutsam verbessert 246 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom werden (F=3,693; p=0,026; π2=0,023). Zur Katamnese konnte dieser Effekt jedoch nicht weiter gesteigert werden. Ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe (F 2,967; p=0,054; π2=0,037) wurde nicht festgestellt. Für die IG und KG I erbrachte die Varianzanalyse zur Selbstwirksamkeit einen signifikanten Effekt der Zeit (F= 5,726; p=0,004; π2=0,048) mit einer kleinen Effektstärke nach Bortz und Döring (1995) bzw. Cohen (1988). Eine Interaktion zwischen der Zeit und Gruppe (F=1,438; p=0,220; π2=0,012) konnte nicht festgestellt werden. Somit lässt sich feststellen, dass durch die Rehabilitation die krankheitsbezogene Selbstwirksamkeit der Patienten (KG I, IG) signifikant gesteigert werden konnte und dieser Effekt auch langfristig festzustellen ist. Motivation zur Bewältigung chronischer Schmerzen (FF-STABS). Beim Vergleich der IG und KG II zeigte sich auf der multivariaten Ebene ein signifikanter Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=10,223, p<0,001; π2=0,350). Außerdem konnte ein bedeutsamer Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe mit einer hohen Effektstärke (F=5,818; p<0,001; π2=0,234) festgestellt werden. Auf der univariaten Ebene zeigte sich auf der Skala „Sorglosigkeit“ eine bedeutsame Senkung der Mittelwerte in der IG, der sich kurz- und langfristig nachweisen ließ. Ebenso fielen die Mittelwerte der Skala „Vorbereitung“ in der IG zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt bedeutsam ab. Auf der Skala „Handlung“ konnten die Mittelwerte der IG durch die Rehabilitation bedeutsam gesteigert werden. Dieser Effekt war auch zur 6-Monatskatamnese nachweisbar. Auf der Skala „Aufrechterhaltung“ zeigte sich kurz- und langfristig in der IG ein bedeutsamer Anstieg der Mittelwerte. Beim Vergleich der IG mit der KG I zeigte sich auf der multivariaten Ebene ein signifikanter Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=39,331; p<0,001; π2=0,632). Ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe konnte nicht festgestellt werden (F=0,771; p=0,628; π2=0,033). Auf der univariaten Ebene ergab sich durch die Rehabilitation eine signifikante Senkung der Mittelwerte auf der Skala „Sorglosigkeit“ für beide Gruppen. In der KG I stiegen im Vergleich zur IG diese Mittelwerte zum Katamnesezeitpunkt wieder bedeutsam an. Auf der Skala „Vorbereitung“ zeigten beide Gruppen einen ähnlichen Verlauf. So sanken die Mittelwerte zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt bedeutsam ab. Gleiche Verläufe der beiden Gruppen ergaben sich auch auf den Skalen „Handlung“ und „Aufrechterhaltung“. Die Mittelwerte konnten kurz- und langfristig bedeutsam gesteigert werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Motivation zur Bewältigung chronischer Schmerzen durch die Rehabilitation bedeutsam gesteigert werden konnte. Die optimierte Patientenschulung (IG) zeigte im Vergleich zur Patientenschulung vor Optimierung (KG I) einen langfristigen Effekt auf der Skala „Sorglosigkeit“. Die Ausprägung der Absichtslosigkeit, das Verhalten zu verändern, stieg bei der KG I im Vergleich zur IG zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt wieder bedeutsam an. Schmerzverarbeitung (FESV). Auf der multivariaten Ebene zeigte die Varianzanalyse der IG und KG II einen Haupteffekt der Zeit (F=2,546; p=0,001; π2=0,249) und einen 247 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe (F=2,119; p=0,008; π2=0,217). Auf der univariaten Ebene konnten im Bereich der kognitiven Schmerzverarbeitung die Mittelwerte der IG, im Vergleich zur KG II, auf den Skalen „Handlungsplanungskompetenz“, „Kognitive Umstrukturierung“ und „Kompetenzerleben“ kurz- und langfristig bedeutsam gesteigert werden. Im Bereich der behavioralen Schmerzverarbeitung konnten die Mittelwerte der IG, im Vergleich zur KG II, auf der Skala „Mentale Ablenkung“ durch die Rehabilitation bedeutsam gesteigert werden. Zum Katamnesezeitpunkt fielen die Mittelwerte wieder signifikant ab, wobei sie jedoch über der Ausgangslage blieben. Auf der Skala „Ruhe- und Entspannungstechniken“ nahmen die Mittelwerte der IG, im Vergleich zur KG II, kurz- und langfristig bedeutsam zu. Die psychische Belastung konnte auf den Skalen „Hilflosigkeit und Depression“, „schmerzbedingte Angst“ und „schmerzbedingter Ärger“, bei der IG im Vergleich zur KG II, kurz- und langfristig bedeutsam gesenkt werden. Die Befunde der Varianzanalyse ergaben auf der multivariaten Ebene für die IG und KG I einen Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=5,602; p<0,001; π2=0,385). Ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe konnte nicht festgestellt werden (F=0,531; p=0,940; π2=0,056). Auf der univariaten Ebene konnten die Mittelwerte der kognitiven Schmerzverarbeitung (Handlungsplanungskompetenz, Kognitive Umstrukturierung, Kompetenzerleben) beider Gruppen durch die Rehabilitation bedeutsam gesteigert werden. Jedoch zeigten sich in der KG I die Effekte nur kurzfristig, im Vergleich zur IG, die auch zur Katamnese eine deutliche Steigerung ihrer kognitiven Schmerzverarbeitung aufwies. Im Bereich der behavioralen Schmerzverarbeitung ergab sich auf den Skalen „Mentale Ablenkung“ in beiden Gruppen eine kurzfristige Steigerung der Mittelwerte. Die Mittelwerte der Skala „Ruhe- und Entspannungstechniken“ konnten in beiden Gruppen kurz- und langfristig signifikant verbessert werden. Die schmerzbedingten psychischen Beeinträchtigungen zeigten auf der Skala „Hilflosigkeit und Depression“ in beiden Gruppen kurz- und langfristig eine bedeutsame Besserung. Die schmerzbezogene Angst konnte in der KG I kurzfristig gemindert werden. In der IG zeigte sich dieser Effekt sowohl nach der Rehabilitation als auch zur 6Monatskatamnese. Die Mittelwerte der Skala „schmerzbezogener Ärger“ konnten in der KG I im Vergleich zur IG nicht verbessert werden. Durch die Rehabilitation konnte die Schmerzverarbeitung der Patienten verbessert werden. Die Patientenschulung nach Optimierung (IG) zeigte im Vergleich zur Schulung vor Optimierung (KG I) langfristige Effekte im Bereich der „Kognitiven Umstrukturierung“ und „Kompetenzerleben“. Subjektive Beeinträchtigung durch die Schmerzen (PDI). Die Befunde der Varianzanalyse der IG und KG II ergaben einen signifikanten Effekt der Zeit mit einer kleinen Effektstärke (F=3,955; p=0,021; π2=0,049) sowie einen Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe mit einer mittleren Effektstärke (F=4,915; p=0,009; π2=0,060). Die Beeinträchtigung durch die Schmerzen konnte in der IG, im Vergleich zur KG II, kurzund langfristig bedeutsam gesenkt werden. Die Varianzanalyse der IG und KG I zeigte einen bedeutsamen Effekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=16,880; 248 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom p<0,001; π2=0,150). Eine Interaktion zwischen Zeit und Gruppe konnte nicht festgestellt werden (F=1,217; p=0,298; π2=0,013). Beide Gruppen gaben zum zweiten Messzeitpunkt deutlich geringer Mittelwerte der Beeinträchtigung an. Dieser Effekt konnte in der KG I, im Vergleich zur IG, nicht langfristig beibehalten werden. Angst und Depressivität (HADS-D). Die Befunde der Varianzanalyse der IG und KG II zeigten auf der multivariaten Ebene eine Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=1,065; p<0,001; π2=0,168) und einen Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe mit einer hohen Effektstärke (F=6,597; p<0,001; π2=0,141). Auf der univariaten Ebene ergab sich für die IG, im Vergleich zur KG II, eine kurz- und langfristige Besserung der Ängstlichkeit und Depressivität. Die Varianzanalyse der IG und KG I zeigten einen Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=21,577; p<0,001; π2=0,311). Ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe konnte nicht festgestellt werden (F=0,606; p=0,659; π2= 0,013). Auf der univariaten Ebene zeigte sich für beide Gruppen eine kurz- und langfristige Besserung auf den Skalen „Angst“ und „Depression“. Somit kann festgestellt werden, dass die Rehabilitation, sowohl vor als auch nach der Optimierung der Patientenschulung, die psychische Beeinträchtigung der Fibromyalgiesyndrom-Patienten bedeutsam senkt. Reha-Status (IRES-24). Die multivariate Varianzanalyse der IG und KG II zeigte einen Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F=6,013; p<0,001; π2=0,247) und einen Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe ebenfalls mit einer hohen Effektstärke (F=4,904; p<0,001; π2=0,211). Die IG konnte im Vergleich zur KG II die Mittelwerte von allem vier Skalen und der Gesamtbewertung des Reha-Status des IRES24 langfristig verbessern. Die Werte der Skalen „somatische Gesundheit“, „Funktionsfähigkeit im Alltag“ und „psychisches Befinden“ fielen zwischen dem zweiten und dritten Messzeitpunkt bedeutsam ab, wobei die Ausgangslage nicht erreicht wurde. Bei der varianzanalytischen Untersuchung der IG und der KG I konnte auf der multivariaten Ebene ein Haupteffekt der Zeit mit einer hohen Effektstärke (F= 21,162; p< 0,001; π2= 0,482) festgestellt werden. Ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe konnte nicht bestätig werden. Die Befunde der univariaten Varianzanalyse ergaben bei der IG kurz- und langfristige Verbesserungen aller Skalen des IRES-24. Die KG I konnte die Mittelwerte auf den Skalen „psychisches Befinden“, „Schmerzen“ und „Reha-Status“ verbessern, auf den Skalen „somatische Gesundheit“ und „Funktionsfähigkeit im Alltag“ hielt die Verbesserung bei dieser Patientengruppe nur bis zum Reha-Ende. Schmerzangst (PASS-D). Die Varianzanalyse der IG und KG II ergab auf multivariater Ebene einen Haupteffekt der Zeit mit einer kleinen Effektstärke (F=4,406; p=0,002; π2=0,101) und einen Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe mit einer kleinen Effektstärke (F=2,516; p=0,044; π2=0,060). Auf der univariaten Ebene ergaben sich für die IG eine signifikante kurz- und langfristige Minderung der kognitiven Angst und des Vermeidungsverhaltens im Vergleich zur KG II. Die Varianzanalyse der IG und KG I zeigte auf der multivariaten Ebene einen Haupteffekt der Zeit mit einer 249 Patientenschulung bei Fibromyalgiesyndrom mittleren Effektstärke (F=7,629; p<0,001; π2=0,135). Ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe konnte nicht festgestellt werden. Die Befunde der univariaten Varianzanalyse zeigten auf der Skala „kognitive Angst“ für beide Gruppen eine langfristige bedeutsame Verminderung der Mittelwerte. Auf der Skala „Vermeidungsverhalten“ verzeichnete nur die IG eine bedeutsame Reduzierung der Mittelwerte. Wissenstand. Bei der univariaten Varianzanalyse der IG und KG II ergab sich kein signifikanter Unterschied mit der Zeit (F=1,578; p=0,214; π2=0,047) und kein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Zeit und Gruppe (F=2,000; p=0,144; π2=0,059). Beim Vergleich der IG mit der KG I ergaben sich ähnliche Ergebnisse, bei der Analyse der Zeit (F=1,432; p=0,244; π2= 0,028) und Zeit*Gruppe (F=0,662; p=0,518; π2=0,013) konnte keine bedeutsamen Unterschiede festgestellt werden. Patienteneinschätzung der Schulung. Bei der Beurteilung der verschiedenen Themen der Patientenschulung bewerteten die Patienten der KG I und IG alle abgefragten Bereiche als wichtig bis sehr wichtig (Mittelwert: 3,45). Ein bedeutsamer Unterschied zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich der Bewertung zeigte sich im Bereich der Krankheitslehre und der Krankheitsbewältigung. Beide Themen erachteten die Patienten der KG I wichtiger als die IG. Die Schulung und ihre Rahmenbedingungen wurden von beiden Gruppen insgesamt als gut bewertet. Jedoch bewerteten die IG den Schulungsumfang, die Auswahl der Themen, das Schulungsmaterial, die Verständlichkeit, die Möglichkeit Fragen zu stellen und das schriftliche Unterrichtsmaterial bedeutsam besser als die KG I. Lediglich die Gruppengröße schätzten die Patienten der KG I besser ein als die IG. Der persönliche Gewinn durch die Schulung wurde von beiden Gruppen als gut eingeschätzt. Die Patienten gaben an, „einiges“ bis „viel“ über ihre Erkrankung und Behandlungsmöglichkeiten gelernt zu haben. Unterschiede zwischen den Gruppen konnten nicht festgestellt werden. Insgesamt hat den Patienten die Schulung „gut“ bis „sehr gut“ gefallen und sie schätzen den persönlichen Gewinn als groß bzw. sehr groß ein. 3.7 Literatur Brückle, W., Ehlebracht-König, I., Bornmann, M., von Hinüber, S., Riekenberg, C., Karagülle, O. et al. (2005). Evaluation der Fibromyalgie-Schulung - Erste Ergebnisse. DRV-Schriften, 59, 191-192. Burckhardt, C.S., Mannerkopi, K., Hedenberg, L. & Bjelle, A. (1994). A randomized, controlled clinical trail of education and physical training for women with fibromyalgia. Journal of Rheumatology, 21, 714-720. Dillmann, U., Nilges, P., Saile, H. & Gerbershagen, H.U. (1994). 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Der Schmerz, 21, 469476. 252 Internetbasierte Erhebung von Patientendaten 4 Internetbasierte Erhebung von Patientendaten 4.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann PD Dr. Axel Kobelt Mitarbeiter Dr. Norbert Karpinski Kooperationspartner Verein zur Förderung der Rehabilitation in Niedersachsen und Bremen e. V. (VFRNB) Zeitraum 01.01.2007 - 31.12.2008 Finanzierung Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover 4.2 Zusammenfassung Im Rahmen dieses Pilotprojekts zur Optimierung der medizinischen Rehabilitation durch eine standardmäßig durchgeführte Diagnostik und Verlaufskontrolle wurde ein System zur internetbasierten Diagnostik und Verlaufskontrolle von ambulant durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen entwickelt und erprobt. Zusätzlich wurde die PC-Erfahrung von 189 Reha-Patienten aus sechs ambulanten RehaKliniken erfragt und ihre Akzeptanz eines internetbasierten Assessments untersucht. 4.3 Stand der Forschung Seit der Einführung des Internets im Jahr 1994 führten die Vorteile dieses Medium zu einer schnell ansteigenden Nutzung in der Markt- und der Sozialforschung (Fi253 Internetbasierte Erhebung von Patientendaten scher, 2005). Aber auch bei der psychosozialen Versorgung werden immer häufiger die mit dem Internet verbundenen Möglichkeiten genutzt (Barak, Hen, BonielNissim & Shapira, 2008). Im Mittelpunkt des Interesses einer internetbasierten Forschung steht vor allem die schriftliche Befragung (reaktive Datenerhebung) bzw. die nicht-reaktive Beobachtung von möglichst großen Populationen bzw. spezifischen Zielgruppen (Batinic, 1997). Untersuchungen zum Einsatz des Internets bei Diagnostik und Verlaufskontrolle im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen, bei der die Patienten die entsprechenden diagnostischen Assessments über das Internet beantworten, lagen bis zu dieser Pilotstudie nicht vor. Auf der Patientenseite sind zusätzlich zwei Aspekte der Umsetzbarkeit internetbasierter Assessments zu berücksichtigen: • Die Akzeptanz der elektronischen Bearbeitung (Liebert, Archer & Munson, 2006) und • die grundsätzliche Verfügbarkeit von privaten/dienstlichen Computern, Internetzugang und die damit verbundene Vorerfahrung mit diesen Medien (Ebert et al., 2009; Gerhards & Mende, 2008). Es muss zusätzlich berücksichtigt werden, dass die Altersgruppe der über 60Jährigen zu 73,6% das Internet verweigert und die meisten „Nichtnutzer“ (53,3%) des Internets einen Volks- oder Hauptschulabschluss aufweisen (Gerhards & Mende, 2008). 4.4 Ziele Das Projekt verfolgte das Ziel, einen Beitrag zur Optimierung der Rehabilitation durch eine verbesserte Diagnostik zu leisten. Diese Zielsetzung soll durch folgende Punkte erreicht werden: • • direkte internetbasierte Erhebung der Fragebogendaten, zeitnahe Rückmeldung individueller Testergebnisse zum Reha-Beginn an die Klinik und • zeitnahe Rückmeldung der individuellen Veränderung der Testwerte zum Reha-Ende. Dabei sollte gleichzeitig die Akzeptanz der Patienten für ein solches Verfahren überprüft werden. 4.5 Methodisches Vorgehen Während eine internetbasierte Datenerhebung zum jetzigen Stand der Technologie 254 Internetbasierte Erhebung von Patientendaten keine besonders große Anforderung darstellt, da hier auf bestehende Technologie zurückgegriffen werden kann, beinhaltet die Zielsetzung einer möglichst zeitnahen Rückmeldung von Testergebnissen und Veränderungswerten eine logistische und technische Herausforderung. Dies ist vor allem durch die in der Diagnostik eingesetzten Verfahren begründet, da die Komplexität der notwendigen Berechnungsschritte zur Skalenbildung bei einigen diagnostischen Verfahren den Funktionsumfang von Datenbanken übersteigt. Insofern benötigt die Umsetzung der gestellten Ziele des Projektes, neben Modulen zur Datenerhebung/-Rückmeldung und einer Datenbank, ein „Interpreter-Modul“ das die notwendigen Berechnungsschritte zu Skalenbildung und Interpretation der Veränderungswerte vornimmt (vgl. Abb. 1). EingabeModul InterpreterModul Datenbank AusgabeModul InterpreterModul Abbildung 1: Schematische Darstellung der notwendigen Module zur internetbasierten Datenerfassung und Ergebnis-Rückmeldung. Der kontinuierliche zeitliche Fluss von Patientendaten muss beim Ausgabemodul berücksichtigt werden. Das Projekt erfordert eine dynamische und interaktive Gestaltung des Ausgabemoduls, bei dem gezielt die Informationen zu einem bestimmten Patienten abrufbar sind. Die Projektrealisation und Organisation erfolgte arbeitsteilig durch die DRV (A. Kobelt, Akquise von teilnehmenden Kliniken, Erstellung der Internet-Fragebögen mit „egrade“) und dem ZKPR (Erstellung der Datenbanken, Erstellung der SPSS-Syntax zur Auswertung und Portierung in die Datenbanken und EXCEL-Dateien, Konzeption und Erstellung der Datenbanken und der EXCEL-Datei zur Rückmeldung, fortlaufender Versand der Rückmeldungen an die Kliniken). 4.6 Ergebnisse Zur Analyse der Akzeptanz des gewählten Vorgehens liegen die Bewertungen der Zufriedenheit mit der internetbasierten Fragebogenerhebung von 189 Patienten (75 weiblich) vor. Das Alter der Patienten umfasst einen Bereich von 18 bis 64 Jahre. Im 255 Internetbasierte Erhebung von Patientendaten Mittel sind die Patienten 44,66 (Std. Abw. = 10,26) Jahre alt. Der am häufigsten angegebene Schulabschluss ist die Mittlere Reife (n=89), als zweithäufigster Schulabschluss wird Hauptschule (n=65) genannt. Abitur bzw. Hochschulreife haben 17 und Fachhochschulreife 16 der befragten Patienten angegeben. Nur zwei der befragten Patienten haben keinen Schulabschluss angegeben. Umsetzungs- und Durchführungsprobleme bei der Implementation in den Kliniken. Die praktische Umsetzung und Durchführung der Projekt-Zielsetzung wurde im Projektverlauf durch Probleme auf unterschiedlichsten Ebenen beeinträchtigt, die bei der Planung kaum oder nur bedingt vorausgesehen werden konnten. Grundsätzlich können hier folgende Ebenen unterschieden werden: • Organisation, Anpassung und Bereitstellung der nötigen technischen und verwaltungstechnischen Strukturen bei den kooperierenden Reha-Zentren, • Funktionsumfang und Handhabbarkeit der eingesetzten Software, • nichtvorhersehbare Fehler durch die Vorbereitung und Nutzung der Softwareumgebung seitens der Reha-Zentren und der Patienten sowie • Erwartungen und Anforderungen von Seiten der Kooperationspartner Ergebnisse zur Einschätzung der internetbasierten Fragebogenerhebung. Beim Bereich „Akzeptanz der internetbasierten Fragebogenerhebung“ überwiegen die positiven Nennungen. Die Ergebnisse der chi-Quadrat-Testung belegen in allen Bereichen überzufällige Nennungen der zustimmenden Antwortkategorien („trifft eher zu“ und trifft genau zu“), während die ablehnenden Antwortkategorien unter den erwarteten Häufigkeiten liegen. Die chi-Quadrat-Werte der Häufigkeitsanalysen der Antwortkategorien der bewerteten Fragen liegen für alle Fragen in einem Bereich von 139,74 bis 324,12 und sind alle statistisch signifikant. Die Analyse der Bereiche „Verständlichkeit“ und „Akzeptanz“ anhand der durchgeführten Varianzanalysen ergeben sich keine statistischen Unterschiede zwischen dem Grad der Schulbildung, dem Geschlecht und dem Alter der Patienten. Für den Bereich „Verständlichkeit“ ergibt bei der Schulbildung ein F-Wert von 1,60 (p=0,19), beim Alter ist der F-Wert = 1,38 (p=0,25) und es liegt kein Geschlechtseffekt vor. Für den Bereich „Akzeptanz“ ergibt sich für die Schulbildung ein F-Wert von 0,37 (p=0,78). Es liegt kein Alters- und Geschlechtseffekt vor. Zusammenfassend kann anhand dieser Ergebnisse gefolgert werden, dass eine internetbasierte Patientenbefragung erfolgreich durchgeführt werden kann und von den Patienten positiv aufgenommen wird. Dabei ist festzuhalten, dass die meisten Patienten die internetbasierte Erhebung einem herkömmlichen Papierfragebogen vorziehen. Literatur Barak, A., Hen, L., Boniel-Nissim, M. & Shapira, N. (2008). A comprehensive review 256 Internetbasierte Erhebung von Patientendaten and a meta-analysis of the effectiveness of internet-based psychotherapeutic interventions. Journal of Technology in Human Services, 26, 109-160. Batinic, B. (1997). Internet für Psychologen. Göttingen: Hogrefe. Ebert, D., Wyler, H., Tarnowski, T., Sieland, B. & Berking, M. (2009). Einsatz neuer Medien in der psychosomatischen Rehabilitation - Erste Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie. 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Uwe Tiedjen Mitarbeiterinnen Dr. Christiane Baldus, Dr. Stephanie Ender, Dipl.-Päd. Pia Dewald, Dipl.-Päd. Birthe Hinrichsen, Dipl.-Psych. Bernadette Rietzler, Dipl.-Psych. Laura Wintjen, Kooperationspartner Fachklinik Sylt für Kinder und Jugendliche, Westerland; Rehaforschung Fachklinik Sylt e.V. Zeitraum 01.01.2005 - 31.12.2011 Finanzierung Deutsche Rentenversicherung Nord, Verein zur Förderung der Rehaforschung Fachklinik Sylt e.V. 5.2 Zusammenfassung Zwischen der Fachklinik für Kinder und Jugendliche Sylt (Westerland) und dem Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) der Universität Bremen bestand von 2005 bis 2011 eine Forschungskooperation im Rahmen des gemeinsamen „Jugendprojekts“. Ausgehend von empirischen Arbeiten, die zeigen konnten, dass stationäre Rehabilitationsmaßnahmen bei chronisch kranken Jugendlichen (z.B. mit Asthma, Neurodermitis, Psoriasis, Adipositas und Diabetes) weniger starke und weniger langfristige Effekte zeigen, setzt sich das Projekt zur Aufgabe (1) mehr über die Realität der betroffenen Jugendlichen in ihrem Alltag zu Hause und in der Rehabili259 Chronisch kranke Jugendliche in der stationären Rehabilitation tation in Erfahrung zu bringen und (2) diese Ergebnisse zu nutzen, um Ansatzpunkte dafür zu finden, die Konzepte für stationäre Rehabilitationsmaßnahmen in Zukunft für Jugendliche zu verbessern. Die aus der querschnittlichen Erhebung (Vorstudie: 2005 bis 2007) resultierenden Ergebnisse werden dem zweiten Teil des Projektes (Hauptstudie: 2007 bis 2010; kostenneutrale Verlängerung bis 2011) zugrunde gelegt, um sowohl die Rahmenbedingungen der Rehabilitation als auch inhaltliche Aspekte besser an die Bedürfnisse der Jugendlichen anzupassen und die Effekte dieser Anpassung zu untersuchen (Kontrollgruppendesign). Die Studie konnte aufzeigen, dass die Jugendlichen, die die neu entwickelte jugendspezifische RehaMaßnahme erhalten haben, wesentlich zufriedener mit der stationären Rehabilitation waren, was sich auch in der Verbesserung einiger Parameter widerspiegelte. 5.3 Stand der Forschung Ausgangspunkt für das Projekt war die Erkenntnis, dass Jugendliche in Deutschland gesundheitlich schlechter versorgt sind als andere Altersgruppen (Hurrelmann, Klocke, Melzer & Ravens-Sieberer, 2003), als Zielgruppe konzeptueller und empirischer Arbeit des Rehabilitationswesens jedoch eine untergeordnete Rolle spielen. Zudem zeigen Studienergebnisse die mangelnde Akzeptanz von Interventionen und eine geringere langfristige Wirksamkeit von Interventionseffekten im Jugendalter (Petermann, 2003). Zur Reha-Zufriedenheit, die sich in den letzten Jahren als wesentlicher Bestandteil in der Qualitätssicherung stationärer Rehabilitation etabliert hat, wurden chronisch kranke Jugendliche nur selten befragt; viel zu oft wurden solche Anfragen an die Eltern gerichtet. Dabei sind es die Jugendlichen, die von nun an den Umgang mit ihrer Erkrankung selbstverantwortlich gestalten sollen. Insbesondere wenn bei der Therapie von Patienten auf Einstellungs- und Verhaltensänderungen hingewirkt werden soll, zeigt sich, dass zufriedenere Patienten eher zur Mitwirkung an ihrer Behandlung bereit sind und die Anweisungen der Ärzte und des medizinischen Personals genauer beachten. Diese Erkenntnisse führen dazu, dass die Bedeutung der Zufriedenheit als Outcome-Parameter teilweise genauso hoch angesehen wird wie die der Effektivität oder die Effizienz einer Behandlung (Bührlen, Maier-Riehle & Jäckel, 2000). 5.4 Ziele Das Ziel des Projektes war die Entwicklung, Implementierung und Evaluation eines auf Jugendliche zugeschnittenen Reha-Konzeptes. Als Hypothese wurde angenommen, dass Jugendliche, die nach dem neuen Rehabilitationskonzept behandelt wurden, nach der Rehabilitation zum einen zufriedener und zum anderen einen ver260 Chronisch kranke Jugendliche in der stationären Rehabilitation gleichsweise stärkeren und länger anhaltenden Anstieg in ihrer Selbstwirksamkeit, sozialen Kompetenz, Selbstvertrauen und Lebensqualität aufweisen als Jugendliche, die mit dem bisherigen Konzept behandelt wurden. Stellt sich dieser Vorteil des Rehabilitationskonzepts ein, so können die im Projekt geleisteten konzeptuellen Maßnahmen (Klinikleitbild, -organisation, Mitarbeiterschulung, soziales Kompetenztraining) auf andere Rehabilitationskliniken übertragen werden und damit einen nachhaltigen Beitrag zur Rehabilitation von chronisch kranken Jugendlichen leisten. 5.5 Methodisches Vorgehen Vorstudie. 179 chronisch erkrankte Jugendliche und ein Großteil des Klinikpersonals nahmen an der Befragung in der Vorstudie teil. Außerdem wurden 126 Fragebögen an Berufskammern und -verbände, Berufsschulen, Berufsberater und mittelständische Unternehmen in Hamburg und Schleswig-Holstein verschickt, von denen jedoch nur 25 zurückgeschickt wurden. Die erhobenen Daten enthielten Hinweise auf die Reha-Zufriedenheit, psychische Befindlichkeit und Compliance der Jugendlichen sowie auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit den Klinikstrukturen und dem Klinikalltag. Hieraus wurden Verbesserungsvorschläge gewonnen, die die Grundlage für geplante Veränderungen des Klinikkonzeptes waren. Hauptstudie. Aus den Ergebnissen der Vorstudie wurde ein altersentsprechendes Reha-Konzept für Jugendliche entwickelt, dessen Wirksamkeit anhand eines Kontrollgruppendesign überprüft wurde. Dem neuen Reha-Konzept wurde zunächst ein Leitbild zugrunde gelegt, das die konsequente Umsetzung von interdisziplinärer Kooperation, Ressourcenorientierung, Salutogenese und Empowerment anstrebt. Es folgten strukturelle und bauliche Maßnahmen in der Klinik, die bspw. zu einer verbesserten Unterbringung für die Jugendlichen und verkleinerten und homogeneren Gruppen führten. Außerdem wurden die Klinikregeln an das Alter der Jugendlichen angepasst und die Interventionen in Pflicht-, Wahlpflichtmaßnahme und Freiwilligenangebot eingeteilt. Der neue Maßnahmenkatalog umfasste folgende Interventionen: Patientenschulung für die Hauptdiagnose auf neun Einheiten erhöht, Schulung für die Nebendiagnose (3 bis 4 Einheiten), neu entwickeltes soziales Kompetenztraining (JuKo-Treff), Entspannungstraining als Regelangebot, strukturierte pädagogische Angebote mit therapeutischer Ausrichtung, Einrichtung von SportAG’s, Berufsfindung und Raucherentwöhnung. Für alle Mitarbeiter wurde eine spezielle Fortbildung „Wir und Jugendliche“ mit vier Modulen und 12 Unterrichtsstunden entwickelt und durchgeführt. Die Wirksamkeit dieser Konzeptänderung wurde in einer prospektiven, kontrollierten, nicht randomisierten Studie evaluiert. Eingeschlossen wurden Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr mit Atemwegserkrankungen, Hauterkrankungen, Adipositas oder Diabetes mellitus. Es wurden Datenerhebungen zu Beginn, am Ende und ein 261 Chronisch kranke Jugendliche in der stationären Rehabilitation Jahr nach der Rehabilitation durchgeführt. Die Kontrollgruppe umfasste 146 Jugendliche des Reha-Jahrgangs 2007, die Experimentalgruppe umfasste 166 Jugendliche des Reha-Jahrgangs 2008. Die Untersuchung bezog sich auf Parameter der RehaZufriedenheit, des Selbstwertes, der Selbstwirksamkeit, der Lebensqualität, des Krankheitsmanagements sowie klinische Parameter. 5.6 Ergebnisse Die neuen Klinikstrukturen und räumlichen Ausstattungen wurden von den Jugendlichen der Experimentalgruppe signifikant besser beurteilt. Ebenso war die Zufriedenheit der Rehabilitanden der Experimentalgruppe in Bezug auf die Berufsorientierung signifikant (< 0,001) besser. Sie fühlten sich besser vorbereitet auf die anstehende Berufswahl. Die beiden Gruppen unterschieden sich nicht in ihrer Zufriedenheit bei den therapeutischen Angebote und dem Verhalten der Mitarbeiter bzw. Therapeuten. In Bezug auf die untersuchten Hauptvariablen (Selbstwert, soziale Selbstwirksamkeit, gesundheits- und krankheitsbezogene Lebensqualität, Krankheitsmanagement) ergaben sich teilweise Verbesserungen der Effekte zugunsten der Experimentalgruppe. Bei den Untersuchungen der Skalen des KINDL-R zeigte sich die Experimentalgruppe signifikant verbessert auf der Skala Körper und Psyche. Beim Krankheitsmanagement - gemessen vom Beginn bis zum Ende der Rehabilitation - ergaben sich signifikante Verbesserungen bei Patienten mit Adipositas und Neurodermitis. Eine altersentsprechende Anpassung des Rehabilitationsprozesses an die Bedürfnisse von Jugendlichen ist aufwendig, aber notwendig. Gerade in Zeiten steigender Prävalenz von chronischen Erkrankungen müssen effektive Konzepte für das Jugendalter entwickelt und evaluiert werden, da die im Jugendalter gemachten Lernerfahrungen im Umgang mit der Erkrankung das Gesundheitsverhalten im Erwachsenenalter prägen. Das Projekt konnte aufzeigen, dass Jugendliche mit einem auf sie zugeschnittenen und interdisziplinären Konzept besser erreicht werden können Die Messung von Verbesserungseffekten durch eine solche Konzeptumstellung gestaltet sich allerdings schwierig; auch dies hat das Projekt gezeigt. 5.7 Literatur Bührlen, B., Maier-Riehle, B. & Jäckel, W.H. (2000). Verfahren der Qualitätsprüfung. In J. Bengel & U. Koch (Hrsg.), Grundlagen der Rehabilitationswissenschaften (S. 378-391). Berlin: Springer. Hurrelmann, K., Klocke, A., Melzer, W. & Ravens-Sieberer, U. (Hrsg.) (2003). Jugendgesundheitssurvey - Internationale Vergleichsstudie im Auftrag der Weltgesund262 Chronisch kranke Jugendliche in der stationären Rehabilitation heitsorganisation WHO. Weinheim: Juventa. Petermann, F. (2003). Chancen und Perspektiven der Rehabilitation mit Jugendlichen. Prävention und Rehabilitation, 15, 151-156. Publikationen Baldus, C., Petermann, F., Stachow, R. & Tiedjen, U. (2007). 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Julia-Katharina Rißling Dr. Macha Hecking (Klinik Hochried) Kooperationspartner Klinik Hochried (Murnau) Zeitraum 01.05.2009 - 31.08.2012 Finanzierung Deutsche Rentenversicherung Bund 6.2 Zusammenfassung Im Rahmen des Projektes wurde in Kooperation mit der Klinik Hochried (Murnau) ein modularisiertes Elterntraining (ETEK) für Eltern entwicklungsauffälliger Kinder in der stationären Rehabilitation entwickelt. Untersuchungen zum kurz- und langfristigen Erfolg des Elterntrainings zeigen, dass das ETEK den Rehabilitationserfolg bei Eltern entwicklungsretardierter Kinder sowie den Kindern deutlich verbessert. 265 Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation 6.3 Stand der Forschung Eltern entwicklungsauffälliger Kinder sind aufgrund des höheren Betreuungs- und Förderbedarfs häufig stark belastet (Cina & Bodenmann, 2009; Gerdes et al., 2007; Schauning et al., 2004). Elterliche Kompetenzdefizite wirken sich einschränkend auf die erzieherische Praxis und das Förderklima im familiären Umfeld aus. Hierdurch können Entwicklungsfortschritte der Kinder behindert und deren soziale Benachteiligung verstärkt werden (Petermann, Petermann & Franz, 2010). Dieses ungünstige Wirkungsgefüge kann durch gezielte Herbeiführung und Stärkung elterlicher Kompetenzen durchbrochen werden. Dabei sollten Eltern als Co-Therapeuten geschult und in die Lage versetzt werden, ihre Ressourcen als Erziehende zu erkennen und langfristig einzusetzen. Elterntrainings gelten hier als besonders geeignete Methode, um einer dauerhaften Manifestation der kindlichen Probleme zu begegnen (vgl. Briesmeister & Schaefer, 2007). Der aktuelle Forschungsstand lässt darauf schließen, dass Eltern entwicklungsverzögerter Kinder ein speziell auf ihrer Bedürfnisse zugeschnittenes Programm benötigen, welches die Besonderheiten der verschiedenen Störungsbilder thematisiert und den Eltern einen sensiblen Umgang mit ihrem beeinträchtigten Kind vermitteln. Aufgrund der häufigen Kombination von Defiziten in den Bereichen Sprache, Motorik, Kognition und sozial-emotionale Entwicklung erscheint eine Schulung der Eltern in allen vier Bereichen als sinnvoll (Kastner et al., 2011). 6.4 Ziele Ziel des Projektes ist eine Optimierung und Standardisierung der elterlichen Betreuung entwicklungsretardierter Vorschulkinder während der stationären Rehabilitation. Hierfür wurden im Rahmen des Projekts standardisierte Förder- und Therapiemodule für die elternbezogene Förderung von entwicklungsauffälligen Vorschulkindern erarbeitet und evaluiert. Durch das überarbeitete Elterntraining ETEK sollten die dazu Eltern befähigt werden, Therapiemaßnahmen mit dem Kind nach Abschluss der Reha-Maßnahme zu Hause eigenständig durchzuführen. 6.5 Methodisches Vorgehen Die in Fragestellungen der Studie wurden mittels eines kontrollierten, prospektiven Designs untersucht. Die Rekrutierung der Probanden der Kontroll- und Interventionsgruppe erfolgte zu Beginn der stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik Hochried. Die geplante Stichprobengröße beider Gruppen betrug jeweils 80 bis 100 Patienten. Die Datenerhebungen erfolgten zu drei Messzeitpunkten (Prä- und 266 Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation Posterhebung sowie 1-Jahreskatamnese), wobei die Evaluation des neuen Elternschulungskonzeptes längsschnittlich anhand der Verlaufskontrolle der elterlichen Erziehungskompetenz, des elterlichen Stresserlebens und der elterlichen Selbstwirksamkeit sowie anhand kindlicher Entwicklungs- und Verhaltensmerkmale erfolgt. Es ist somit die multivariate Hypothese einer differenziellen Veränderung eltern- und kindbezogener Merkmale zugunsten der Interventionsgruppe zu prüfen. Dies schließt als Einzelvergleiche insbesondere die Überprüfung der Prä-TestÄquivalenz sowie die Überprüfung der Post-Test-Differenzen zu T2 und T3 ein. Kindzentrierte Interventionsmaßnahmen. Die Kinder werden aufgrund ihrer Vordiagnosen, ihres Alter sowie des berichteten Entwicklungsstandes bereits vor Beginn der stationären Rehabilitationsmaßnahme einer therapeutischen Gruppe zugewiesen. Dieser so genannte „Indikationsorientierte Therapie Stützpunkt“ (IST) ermöglicht aufgrund seiner Zeitintensität und Homogenität eine intensive Entwicklungsförderung, die sich an den individuellen Förderbedürfnissen eines Kindes orientiert. Ein ITS setzt sich aus acht bis zehn Kindern zusammen und wird während der gesamten Dauer der Rehabilitationsmaßnahme von einer therapeutischen oder pädagogischen Fachkraft betreut. Dieser Stützpunktleiter bildet die Schnittstelle im interdisziplinär arbeitenden Team aus Ärzten, Therapeuten, Pädagogen, Psychologen sowie den Begleitpersonen. Der Informationsaustausch erfolgt über Einzelgespräche und bereichsinterne sowie fachübergreifende Teamsitzungen. Der Gruppentherapieplan sieht für jedes Kind pro Woche 19 Therapieeinheiten zu je 45 Minuten vor und bietet eine gezielte therapeutische Intervention in den Bereichen Kognition, Sprache, Wahrnehmung, Motorik sowie sozial-emotionale Entwicklung an. Den insgesamt fünf Förderbereichen sind jeweils fachspezifische Therapiekonzepte zugeordnet. Es liegt eine vorgegebene Grundstruktur zugrunde, welche eine einheitliche Durchführung ermöglicht. Die Therapieeinheiten sind in einem Wochen-Stundenplan, der über die Dauer der Rehabilitation konstant bleibt, festgelegt. Das optimierte Elterntraining entwicklungsfördernder Kompetenzen (ETEK) Die Schulung wird in Gruppen von acht bis zehn Eltern durchgeführt und pro Rehabilitationsmaßnahme an zwei bis vier Gruppen evaluiert. Die Vermittlung der Trainingsinhalte erfolgt mittels unterschiedlicher Methoden. Powerpoint-Vorträge dienen zur Vermittlung der Basisinformationen, die anschließend mithilfe von Gruppendiskussionen, Rollenspielen und Kleingruppenarbeiten vertieft bearbeitet werden. Insbesondere Videobeispiele, Arbeitsblätter und Wochenaufgaben helfen den Eltern dabei, das Gelernte in ihrem Alltag zu generalisieren. Das ETEK besteht aus den drei Modulen Erziehung, Förderung und Praxis, deren inhaltliche Gestaltung sich teilweise an den Analysen zur Identifizierung wirksamer Elemente in Elterntrainings von Kaminski et al. (2008) sowie Scheithauer et al. (2003) orientiert. Innerhalb des Moduls Erziehung werden grundlegende Aspekte einer entwicklungsfördernden Erziehung thematisiert; dazu zählen die Gestaltung einer positiven Eltern-Kind267 Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation Beziehung, das Erlernen effektiver Verstärkungs- und Bestrafungsstrategien (z.B. beschreibendes Loben bzw. das Aussprechen natürlicher negativer Folgen) sowie wirkungsvolles Auffordern. Im Modul Förderung erhalten die Eltern umfangreiche Informationen darüber, wie sie die motorische, sprachliche, kognitive und sozialemotionale Entwicklung ihrer Kinder im häuslichen Alltag einfach und effizient unterstützen können. Verschiedene Aufgaben und Spiele werden dabei unter Anleitung der Trainer in Kleingruppen eingeübt. Des Weiteren werden zu Beginn jeder Einheit Kenntnisse über die normative Entwicklung vermittelt, um den Eltern gezielt aufzuzeigen, an welchen Stellen ihr eigenes Kind eine gezielte Unterstützung benötigt. Im Modul Praxis werden die Inhalte der Module Erziehung und Förderung einer Trainingswoche miteinander verknüpft. Eltern und Kinder nehmen im Gegensatz zu den anderen Trainingssitzungen gemeinsam an diesen Einheiten teil. Die Eltern erhalten die Aufgabe, die Förderspiele aus dem Modul Förderung unter Berücksichtigung der jeweils erlernten Erziehungsstrategie mit ihren Kindern zu erproben. Jedes Eltern-Kind-Paar spielt dabei für sich und erhält gezielte Unterstützung bzw. konstruktives Feedback durch einen Trainer. In den ersten vier Wochen der stationären Rehabilitation wird aus jedem Modul eine Trainingseinheit mit den Eltern erarbeitet. Das Modul Erziehung besteht aus fünf Trainingseinheiten à 75 Minuten. Die Module Praxis und Förderung umfassen jeweils vier Trainingseinheiten à 45 Minuten. In jeder Trainingswoche findet jeweils eine Trainingseinheit aus den Modulen Erziehung, Förderung und Praxis statt, wobei das Training am dritten Tag nach Beginn der Rehabilitationsmaßnahme mit der ersten Trainingseinheit des Moduls Erziehung startet. Die theoretische Fundierung des Konzeptes beruht auf dem Modell der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung von Dodge (Dodge, Lochman, Harnish & Bates, 1997). Danach beginnt jegliches Verhalten (so auch Erziehungsverhalten) zunächst mit der Wahrnehmung und Bewertung einer Situation und der darin agierenden Personen sowie der Suche nach geeigneten Handlungsalternativen. Führt das anschließend gezeigte Verhalten nicht zum gewünschten Ziel, überdenkt eine Person ihr Verhalten und erprobt modifizierte Handlungsstrategien. Das vorliegende Trainingsprogramm greift Dodges Modell auf und überführt diese Systematik auf alle drei Module. Jede Trainingswoche beginnt mit einer thematisch zugeschnitten Selbsterfahrungsaufgabe, um die Beobachtungs- und Wahrnehmungskompetenzen für das eigene, aber auch das kindliche Verhalten zu schulen. So erkennen Eltern nicht nur die wechselseitige Abhängigkeit von Verhalten, sondern lernen zusätzlich, im Alltag konkrete Situationen wahrzunehmen, in denen bestimmte Erziehungs- oder Förderstrategien anwendbar sind. In einem nächsten Schritt erlernen die Eltern konkrete Erziehungs- und Förderstrategien, mit denen sie angemessen auf das kindliche Verhalten reagieren. In der abschließenden Praxiseinheit erproben die Eltern die neu erlernten Techniken konkret mit ihrem Kind und werden dabei von den Trainern angeleitet, die Reaktionen ihres Kindes zu beobachten und gegebenenfalls ihr Erziehungs- oder Förderverhalten zu modifizieren. Zusätzliche Wochenaufgaben helfen den Eltern dabei, die 268 Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation neu erlernten Kompetenzen auf den Alltag zu übertragen. Erhebungsinstrumente. Zur Erfassung der Zielvariablen wurden die in Tabelle 1 aufgeführten Instrumente eingesetzt. Weiterhin wurden Informationen zum Entwicklungsstand des Kindes- sowie kindlichen Verhaltensauffälligkeiten bzw. prosozialem Verhalten über die Eltern erfasst. Alle Kinder wurden zusätzlich mit einem standardisierten Entwicklungs- und Intelligenztest untersucht. Tabelle 1: Eingesetzte Erhebungsinstrumente pro Messzeitpunkt. Merkmalsbereich Soziodemographische Grunddaten Erziehungsverhalten Selbstwirksamkeit Stresserleben Kindlicher Entwicklungsstand Kognitiver Entwicklungsstand des Kindes Verhaltensauffälligkeiten und prosoziales Verhalten des Kindes Bewertung der Elternschulung 6.6 Instrument Messzeitpunkt T1 T2 T3 Anamnesebogen (ZKPR) Alabama Parenting Questionnaire (APQ, Lösel et al., 2003) Parenting Sense of Competence (PSOC, Lösel et al., 2003) Eltern-Belastungs-Inventar (EBI, Tröster, 2011) X X X X X X X X X X X ET 6-6 (Macha & Petermann, 2008) X X Wechsler Preschool and Primary Scale (WPPSI-III, Petermann, 2011) X Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ, Goodman, 1997) X Feedback-Bogen (Klinik Hochried) X X X Ergebnisse Die Implementierung des ETEK sowie die Rekrutierung der Evaluationsstichprobe fanden im Zeitraum von Mai 2010 bis Mai 2011 in der Rehabilitationsklinik Hochried (Murnau) statt. Es wurden solche Kinder in die Untersuchungsgruppe aufgenommen, die aufgrund verschiedener Entwicklungsretardierungen stationär in der Klinik behandelt wurden. Die 12 Mädchen und 40 Jungen waren durchschnittlich 66.20 Monate alt (SD=6.88). Bei allen untersuchten Studienteilnehmern (N=52) konnten umschriebene oder allgemeine Entwicklungsauffälligkeiten festgestellt werden. Insgesamt 29 Kinder wiesen primär umschriebene Entwicklungsstörungen auf, wobei bei neun Kindern eine 269 Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation Sprachentwicklungsstörung (F80 nach ICD-10), bei einem Kind eine umschriebene motorische Entwicklungsstörungen (F82) und bei 19 Kindern eine primäre kombinierte Entwicklungsstörung (F83) diagnostiziert wurde. Alle Entwicklungsauffälligkeiten ließen sich auch anhand der Entwicklungsdimensionen des Entwicklungstests für Kinder von sechs Monaten bis sechs Jahren (ET 6-6; Petermann, Stein & Macha, 2008) abbilden. 14 Kinder wiesen komorbide Verhaltensstörungen auf (Hyperkinetische Störungen (F90): n=8, Störung des Sozialverhaltens (F91): n=1, kombinierte Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92): n=1, emotionale Störungen des Kindesalters (F93): n=4, elektiver Mutismus (F94.0): n=1. 18 Patienten zeigten zusätzliche körperliche Erkrankungen, z.B. Asthma bronchiale. Zwei Kinder zeigten neben einer primären Adipositas (E66.9) auch kombinierte Entwicklungsstörungen (F83). 13 Patienten wiesen neben einer primären kombinierten Entwicklungsstörung (F83) zusätzlich mehr als drei komorbide Erkrankungen oder Verhaltensstörungen unterschiedlichster Art auf. Dazu zählen beispielsweise chronische Bronchitis (J42), endokrine Störungen (E34), Immundefekte mit Antikörpermangel (D80) Hyperkinetische Störungen (F90) oder Störungen des Sozialverhaltens (F91). Der kognitive Entwicklungsstand aller Patienten wurde mittels des Intelligenztestes WPPSI-III (Petermann, 2011) untersucht. Der durchschnittliche Gesamt-IQ betrug 86.94 (SD=11.57; Min=71; Max=119). Der Vergleich der Interventions- und Kontrollgruppe bezüglich aller kindbezogenen Entwicklungs- und Verhaltensmerkmale bringt nach Adjustierung des Alpha-Niveaus lediglich in der kognitiven Entwicklungsdimension Kategorisieren einen signifikanten Leistungsunterschied hervor; die Interventionsgruppe weist mit einem durchschnittlichen z-Wert von M=-.12 (SD=.98) einen höheren Entwicklungsstand auf als die Kinder der Kontrollgruppe (M=-.71; SD=1.77). Der Vergleich der Fragebogenkennwerte des Alabama Parenting Questionnaire (APQ) zu Beginn und zum Ende der Rehabilitation lässt bei mittlerer Effektstärke eine signifikante Verbesserung der elterlichen Erziehungskompetenzen erkennen. Zudem ist eine signifikante Zunahme der elterlichen Selbstwirksamkeit zu verzeichnen. Die größte Stressbelastung wiesen die Eltern der Interventionsgruppe in den Bereichen Hyperaktivität (M=3.23, SD=.718), Anforderungen (M=2.61, SD=.915) und Einschränkungen auf (M=2.60, SD=.908). Kurzfristige Rehabilitationserfolge können insbesondere für die Skalen Gesundheit, Soziale Unterstützung, Depression, Isolation, Stimmung des Kindes, Kompetenzzweifel, Anforderungen, Akzeptanz und Einschränkungen verzeichnet werden. Die deutlichste Abweichung zur Altersgruppennorm zeigt sich in der Entwicklungsdimension Handmotorik (M=-2.34; SD=2.32); die Kinder wiesen gravierende Defizite in dieser Entwicklungsdimension auf. Die Testleistungen in den Entwicklungsdimensionen Körpermotorik, Handlungsstrategien und Expressive Sprache fielen in den Risikobereich (mehr als eine und weniger als zwei Standardabweichungen unterhalb des Altersgruppenmittels). Der Vergleich der durchschnittlichen Testleistungen zu T1 und T2 zeigt, dass sich die 270 Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation Leistungen der Kinder in sechs Entwicklungsdimensionen signifikant verbesserten. Der größte Effekt zeigt sich dabei für die Entwicklungsdimension Kategorisieren. In den Entwicklungsdimensionen Expressive Sprache, Sozialentwicklung und Emotionale Entwicklung wurden ebenfalls Leistungsverbesserungen erzielt; diese erweisen sich jedoch nur auf dem .05-Niveau als signifikant (Expressive Sprache: p=.048, d=.20; Emotionale Entwicklung =.043d=.40). Ähnlich wie bei der Kontrollgruppe zeigten sich auch bei der Interventionsgruppe zu T1 die größten Schwierigkeiten im Bereich Hyperaktivität (M=.995; SD=.543). Positive Rehabilitationserfolge können für die SDQ-Skalen Emotionale Probleme, Hyperaktivität, Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen sowie Prosoziales Verhalten beobachtet werden. Die Fragebogenkennwerte der Eltern verbesserten sich zu T2 in der Tendenz in allen Skalen des Eltern-Belastungs-Inventars (EBI); auf dem .05-Niveau ist eine signifikante Stressreduktion für die Skalen Hyperaktivität, Gesundheit, Soziale Unterstützung, Depression, Stimmung des Kindes, Kompetenzzweifel, Anforderungen und Einschränkungen nachweisbar. Weiterhin kann ein positiver Rehabilitationseffekt auf die Skala Selbstwirksamkeit des Parenting Sense of Competence (PSOC) festgestellt werden. In den Skalen des Alabama Parenting Questionnaires (APQ) ist auf dem .05Niveaus jedoch nur für die Skala Inkonsistente Erziehung eine positive Tendenz erkennbar (p=.019), während für die Skalen Elterliches Engagement und Positive Erziehung keine Veränderungen zu beobachten sind. Die Testleistungen der Kontrollgruppe in den Skalen Handmotorik und Expressive Sprache weichend gravierend von der Altersgruppennorm ab (zwei oder mehr Standardabweichungen unterhalb des Altersgruppenmittels). In den Skalen Körpermotorik, Handlungsstrategien und Körperbewusstsein werden Werte erzielt, die dem Risikobereich zuzuordnen sind (mehr als eine und weniger als zwei Standardabweichungen unterhalb des Altersgruppenmittels). Der Vergleich der ET6-6-Resultate zu Beginn und zum unmittelbaren Ende des stationären Rehabilitationsaufenthaltes lässt erkennen, dass sich die Leistungen der Kinder mit Ausnahme der Entwicklungsdimension Sozialentwicklung verbessern. Die deutlichsten Steigerungen erzielten die Kinder in den Dimensionen Handlungsstrategien (d=.60) und Körperbewusstsein (d=.65). Bei der Aufnahme in die stationäre Rehabilitation zeigen die Kinder der Kontrollgruppe ihre größten Auffälligkeiten im Bereich der Hyperaktivität (M=1.04; SD=.569). Die geringsten Werte werden in der Skala Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen erzielt (M=.446; SD=.473). T-Testvergleiche der durchschnittlich erzielten Werte in den vier Problemskalen wie auch in der Skala zum Prosozialen Verhalten zu Beginn und Ende der Rehabilitation fallen nach Alpha-Adjustierung für keinen der überprüften Bereiche signifikant aus. Auf dem .05-Niveau kann eine signifikante Abnahme der Hyperaktivität verzeichnet werden (M=.927; SD= .547). Es zeigt sich kurzfristig eine deutlichere Verbesserung der Erziehungskompetenzen zugunsten des optimierten Schulungskonzeptes (Gruppe IG). Für alle drei Skalen des 271 Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation Alabama Parenting Questionnaire (Elterliches Engagement, Positive Erziehung, Inkonsistente Erziehung) konnten größere Effekte als für die Kontrollgruppe nachgewiesen werden. Beide Interventionskonzepte wirken sich gleichermaßen positiv auf die erlebte Selbstwirksamkeit (Parenting Sense of Competence) aus. Eine Reduktion des Stresserlebens zeigte sich gleichermaßen für beide Interventionsgruppen; hier differieren die Effektgrößen für beide Interventionsmaßnahmen nur geringfügig voneinander. In der kindlichen Entwicklung zeigen die Kinder der Interventionsgruppe eine deutlichere Leistungssteigerung in der Entwicklungsdimension Kategorisieren. Für die Entwicklungsbereiche Expressive Sprache und Emotionale Entwicklung kann ein größerer Leistungszuwachs in der Kontrollgruppe beobachtet werden. In der Eltern-Kind-Interaktion wurde für keine der beiden Maßnahmen ein deutlicher Rehabilitationseffekt nachgewiesen. Eine Reduktion der kindlichen Verhaltensauffälligkeiten (SDQ) zeigte sich insbesondere für das neue Interventionskonzept (Gruppe IG). Nach Abschluss der Rehabilitation nahmen je 34 Eltern der Kontrollgruppe und 40 Eltern der Interventionsgruppe an der postalischen Ein-Jahres-Katamnese teil. Um eine bessere Vergleichbarkeit der Stichproben herzustellen, wurden aus dem Datenpool der Interventionsgruppe wiederum 34 Kinder ausgesucht, die in den Merkmalen Geschlecht, Alter und Diagnose bestmöglich mit der Kontrollgruppe übereinstimmten. Die Kinder der Kontrollgruppe waren zum Zeitpunkt der EinJahres-Katamnese 78.94 Monate alt (SD=6.81) (8 Mädchen, 26 Jungen), die Kinder der Interventionsgruppe 78.27 Monate (SD=7.37) (9 Mädchen, 25 Jungen). Der Vergleich der Werte im Alabama Parenting Questionnaire (APQ) zu Beginn der Reha-Maßnahme und zur Ein-Jahres-Katamnese zeigt, dass die Eltern der Interventionsgruppe langfristig ihre Erziehungskompetenzen in den Bereichen Positive Erziehung (p= .17) und Inkonsistente Erziehung (p= .025) steigern konnten. Es ist jedoch augenfällig, dass dieser Kompetenzzuwachs für keine der berichteten Skalen statistisch bedeutsam ist. Im Bereich Elterliches Engagement (p= .930) zeigt sich keine Veränderung der Ergebnisse zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Katamnese. Die Ergebnisse des Parenting Sense of Competence (PSOC) zeigen für die Interventionsgruppe eine Steigerung der Selbstwirksamkeit. Dieses Ergebnis ist jedoch ebenfalls nicht signifikant (p= .628). Bei der Betrachtung der Ergebnisse im ElternBelastungs-Inventar (EBI) kann beim Vergleich der Werte zu Beginn der RehaMaßnahme und zur Ein-Jahres-Katamnese auf deskriptiver Ebene auf allen entsprechenden Skalen eine Reduktion des Stresslevels verzeichnet werden. Signifikante Ergebnisse zeigen sich hierbei für die Skalen Hyperaktivität (p=.039), Gesundheit (p= .004), Aufforderungen (p=.016) sowie Akzeptanz (p=.047) und Einschränkungen (p=.019). Die Betrachtung der kindbezogenen Rehabilitationserfolge bezieht sich auf die Ergebnisse im SDQ. Hier zeigt sich für die Interventionsgruppe ein signifikanter Rückgang der kindlichen Verhaltensprobleme zur Ein-Jahres-Katamnese in den Skalen 272 Elterntraining in der stationären Kinderrehabilitation Emotionale Probleme (p=.014) und Hyperaktivität (p=.002). In den Skalen Probleme mit Gleichaltrigen und Verhaltensprobleme ist auf deskriptiver Ebene ebenfalls ein Rückgang der Werte zur Ein-Jahres-Katamnese zu beobachten. In der Skala Prosoziales Verhalten (p=.006) ist ein signifikanter Anstieg festzustellen. Zur Ein-Jahres-Katamnese weist die Kontrollgruppe im APQ eine Verbesserung der Erziehungskompetenz in den Skalen Elterliches Engagement (p= .194) und Inkonsistente Erziehung (p= .161) auf. In der Skala Positive Erziehung (p= .105) zeigt sich hingegen ein gegenteiliger Effekt: Hier zeigt sich eine Verschlechterung der Ergebnisse zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Katamnese. Es ist jedoch anzumerken, dass keiner dieser Effekte statistisch signifikant ist. Im Parenting Sense of Competence (PSOC) ist zur Ein-Jahres-Katamnese eine Steigerung der Selbstwirksamkeit (p=.003) zu beobachten. Die Ergebnisse des Eltern-Belastungs-Inventars (EBI) zeigen für alle Bereiche eine Reduktion der elterlichen Stressbelastung zur Ein-Jahres-Katamnese. In der Kontrollgruppe ist zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Katamnese ein statistisch bedeutsamer Effekt für den Bereich Hyperaktivität (p=.016) beobachtbar. In der Skala Emotionale Probleme lässt sich rein deskriptiv ein leichter Rückgang des Problemverhaltens festhalten; in der Skala Prosoziales Verhalten kann ein leichter Anstieg beobachtet werden. Diese Ergebnisse sind jedoch nicht signifikant. In den Skalen Verhaltensprobleme und Probleme mit Gleichaltrigen weisen die Kinder der Kontrollgruppe zum Zeitpunkt der Ein-Jahres-Katamnese durchschnittlich sogar eine leichte Zunahme des Problemverhaltens auf. Diese Ergebnisse sind jedoch ebenfalls nicht signifikant. 6.7 Literatur Briesmeister, J.M. & Schaefer, C.E. 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Aus einer falschen Beurteilung der Leistungsfähigkeit können erhebliche volkswirtschaftliche Kosten resultieren (Schneider, 2007). Daher sind Beschwerdenvalidierungstests (BVT) in der sozialmedizinischen Begutachtung ein immer mehr gefordertes Standardverfahren. Es ist das Anliegen dieses Projekts einen BVT zu entwickeln, der für psychische Erkrankungen (z.B. Depression) sowie für die Patienten der Rehabilitation geeignet ist. Die Validierung des Verfahrens stellt eine methodische Schwierigkeit dar (Kool, Meichtry, Schaffert & Rüesch, 2008), da Simulation und Aggravation naturgemäß nicht direkt erfragt werden können. Außerdem liegt für die indirekte Erfassung kein Goldstan275 Beschwerdenvalidierung in der medizinischen Rehabilitation dard vor. Aus diesem Grund wurde sich im Rahmen des Projekts für eine Analogstudie entschieden, die sich an bewährte Studien zur Entwicklung der BVT von Blaskewitz und Merten (2006) sowie Tydecks, Merten und Gubbay (2006) anlehnt. 7.3 Stand der Forschung Eine Forderung nach geeigneten Messmethoden zur Erfassung der Beschwerdenvalidität ist nachvollziehbar, wenn Untersuchungen über die Prävalenz von negativen Antwortverzerrungen hinzu gezogen werden. Bisherige Ergebnisse vergleichbarer Studien lassen auf einen beträchtlichen Anteil von Simulation und Aggravationen im Begutachtungskontext schließen. In US-amerikanischen Studien (Mittenberg, Patton, Canyock & Condit, 2002) werden Simulationsraten von 8 bis 30% berichtet. Diese Zahlen schwanken je nach Kontext der Begutachtung (30% bei Arbeitsunfähigkeit, 29% bei Körperverletzungen, 19% in der forensischen Abklärung, 8% bei körperlichen Beschwerden). In ersten Studien in Deutschland fanden Merten, Friedel und Stevens (2006) bei 44,3% von 235 Begutachtenden einen Verdacht auf unzureichende Kooperativität. Auf Grund dieser Prävalenzen gibt es immer stärkere Forderungen nach geeigneten standardisierten Methoden, die die Beschwerdenschilderungen valide erfassen. Dabei nimmt der Störungsbereich der kognitiven Beeinträchtigungen eine besondere Stellung ein. Nach Merten, Stevens und Blaskewitz (2007) gehören kognitive Beeinträchtigungen bei vielen neurologischen Erkrankungen, psychischen Störungen sowie bei somatischen Krankheiten zum Beschwerdenbild dazu. Sie treten demzufolge häufig auf und können Ursache verschiedener Störungen sein. Jedoch wird der Einsatz von neuropsychologischen Instrumentarien für die Erkennung von psychosomatischen Symptomen kontrovers diskutiert (Noeker & Petermann, 2011), da diese Tests beispielsweise nicht die invalide Symptomdarstellung, sondern die Leistungsmotivation prüfen. Weiterhin wird durch Schmidt und Kollegen (2011) angeführt, dass die einfache Übertragung von neuropsychologischen BVT auf die Begutachtung psychischer Erkrankungen nicht ohne Weiteres möglich ist, da in diesem Kontext nicht zwangsläufig angenommen werden kann, dass es einen Zusammenhang zwischen guter Leistungsbereitschaft und authentischem Verhalten gibt. Außerdem sind Patienten, die keine kognitiven Einschränkungen wahrnehmen, oft wenig zugänglich für die Erfassung dieser Leistung. Für den Bereich der kognitiven Störungen wurden im Kontrast zu anderen Symptombereichen (z.B. Angstsymptome, depressive Symptome) Methoden entwickelt, die einen besseren Nachweis über bewusste Antwortmanipulationen geben können. Auf Grund der verschiedenen Untersuchungen über die Prävalenzen von negativen Antwortzerrungen ist anzunehmen, dass eine gewisse Zahl von Patienten im Rahmen der Begutachtung für Frühberentung Beschwerden und Symptome simuliert bzw. aggraviert. 276 Beschwerdenvalidierung in der medizinischen Rehabilitation 7.4 Ziele Das Ziel des Projektes ist es, einen BVT zu entwickeln und zu validieren, der für psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen) geeignet ist. Dieser Test soll die Begutachtung der Berentung auf Grund einer vollen Erwerbsminderung weiterhin optimieren und den Ärzten als zusätzliche Unterstützung - als Screening - zu Verfügung stehen. 7.5 Methodisches Vorgehen Der Fragebogen wurde anhand einer externalen Testkonstruktion entwickelt, da dieses Verfahren zwischen den beiden Gruppen - psychisch krank vs. simulierend differenzieren soll. Die Itemgenerierung erfolgt auf Grundlage verschiedener Strategien. Zum Einen wurde mit Hilfe der Critical Incident Technique (CIT) (Flanagan, 1954) Urteile von Experten eingeholt, indem sie zu ihren Erfahrungen mit Simulanten befragt wurden. Zum Anderen wurden schon vorhandene Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren, wie beispielsweise der SFSS (Cima et al., 2003) oder MMPI (Hathaway & McKinley, 1983), als Vorlage für den neu zu konstruierenden Fragenbogen genutzt. Das Verfahren wird entwickelt, um Patienten mit und ohne negative Antworttendenzen voneinander zu unterscheiden, daher wird keine Normierung vorgenommen, sondern ein Cut-Off Wert bestimmt. Die Validierungsstichprobe wird aus drei Gruppen bestehen, die sich aus instruierten Simulanten, psychisch Gesunden und psychisch Erkrankten zusammensetzt. Um eine gute Kriteriumsvalidität anzustreben, wurde sich bei der Validierung des neu zu konstruierenden Verfahrens für eine Analogstudie entschieden. Sie stellt nur eine mögliche Methode dar, ist zudem in der Beschwerdenvalidierung vermutlich die am häufigsten verwendete (Rogers, 1997). Der Versuchsplan lehnt sich an Studien von Blaskewitz und Merten (2006) sowie Tydecks, Merten und Gubbay (2006) an. Der Gruppe der instruierten Simulanten wird ein Szenario eines Patienten geschildert, der eine psychische Erkrankung in einer sozialmedizinischen Begutachtung vortäuscht, um eine Berentung auf Grund einer vollen Erwerbsminderung zu erlangen. Daran anschließend wird die Gruppe der instruierten Simulanten anhand eines Fragebogens zum Szenario befragt. Darüber hinaus erhält diese Gruppe am Ende der Testung einen Fragenbogen zur Rollenerfüllung. Die Gruppe der Nicht-Simulanten wird ausschließlich dazu aufgefordert die Fragebögen wahrheitsgemäß auszufüllen. Vor der eigentlichen Testung, also dem Bearbeiten des neuen Verfahrens sowie des HEALTH 49 (Rabung, 2009), sollten alle Probanden das Beck Depressionsinventar (BDI-II) (Kühner, Bürger, Keller & Hautzinger, 2007) und das Sreening für Somatoforme Störungen (SOMS) (Rief & Hiller, 2008) ausfüllen. Hierfür erhalten die Betroffenen die Instruktion, Fragebögen zu ihrem derzeitigen Lebensgefühl zu bearbeiten. 277 Beschwerdenvalidierung in der medizinischen Rehabilitation Diese Verfahren werden eingesetzt, um zu kontrollieren, ob in den jeweiligen Gruppen diese klar definierten Störungen vorliegen. Tabelle 1 ist der Studienablauf zu entnehmen. Tabelle 1: Eingesetzte Methoden in der Validierungsstudie. Methode Instruierte Psychisch Psychisch Simulanten Gesunde Erkrankte Vor Testung BDI-II, SOMS (randomisiert dargeboten), soziodemografischer Fragebogen Testung Schilderung des Szenarios Fragebogen zur Abklärung des Verständnisses des Szenarios neu entwickelter BVT und HEALTH-49 (randomisiert dargeboten) Nach Testung Fragebogen zur Rollenerfüllung 7.6 Ergebnisse Das Projekt ist zum jetzigen Zeitpunkt in der Phase der Expertenbefragung. Ergebnisse liegen bisher noch nicht vor. 7.7 Literatur Blaskewitz, N. & Merten, T. (2006). Validität und Reliabilität von Beschwerdenvalidierungstests und -indikatoren. Zeitschrift für Neuropsychologie, 17, 35-44. Cima, M., Hollnack, S., Kremer, K., Knauer, E., Schellbach-Matties, R., Klein, B. et al. (2003). Strukturierter Fragebogen Simulierter Symptome. Der Nervenarzt, 74, 977-986. Dohrenbusch, R., Henningsen, P. & Merten, T. (2011). Die Beurteilung von Aggravation und Dissimulation in der Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen. 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Die Rehabilitation, 51, 340-341. Walter, F., Petermann, F. & Kobelt, A. (2012). Beschwerdenvalidierung: Ein aktueller Überblick. Die Rehabilitation, 51, 342-348. 279 Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation 8 Evaluation einer kulturoffenen prästationären Informationsveranstaltung vor psychosomatischer Rehabilitation 8.1 Allgemeine Angaben Leitung PD Dr. Axel Kobelt Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiterin Dipl. Psych. Julia Göbber Zeitraum 01.09.2009 - 31.08.2012 Finanzierung Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover 8.2 Zusammenfassung In dem Projekt sollte geprüft werden, wie die Teilnahme an einer prästationären Informationsveranstaltung den Informationsstand, das Gesundheitswissen und die berufsbezogene Therapiemotivationen der Teilnehmer beeinflusst. Es wurden zu zwei Zeitpunkten demographische Angaben, die berufsbezogene Therapiemotivation sowie der subjektive Informationsstand und das Gesundheitswissen erhoben. Ergebnisse: Der subjektive Informationsstand und das Gesundheitswissen verbesserten sich signifikant starker bei den Patienten der Interventionsgruppe. Die Teilnahme hatte keinen Effekt auf die berufsbezogene Therapiemotivation. Es zeigten sich keine Unterschiede im Effekt zwischen Migranten und Deutschen. Prästationäre Informationsveranstaltungen verbessern den subjektiven Informationsstand und das Gesundheitswissen sowohl bei Deutschen, als auch bei Migranten. 281 Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation 8.3 Stand der Forschung Patienten, die vor dem Antritt einer psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung stehen, sind oftmals nur unzureichend über den Inhalt dieser Behandlung und auch über die ergänzenden Unterstützungsmöglichkeiten informiert. Nicht nur die Angebote des gegliederten Sozialsystems und die Behandlungsinhalte, sondern auch die eigenen Verantwortungsbereiche und die primären Ziele der Rehabilitationsbehandlung (Erhalt der Erwerbsfähigkeit) sind in vielen Fällen nur unzureichend bekannt (Best et al., 2009; Bischoff, Gönner, Erhardt & Limbacher, 2005). Eine gute Informiertheit ist jedoch zentral für die Gesundheitskompetenz (bzw. health literacy). Gesundheitskompetenz beschreibt die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken (Hartung, 2011). Dabei sind die Bereiche der persönlichen Gesundheit, der Systemorientierung, das Konsumverhalten, die Gesundheitspolitik und die Arbeitswelt eingeschlossen (Kickbusch, 2006). Die Gesundheitskompetenz steht mit gesundheitsrelevanten Outcomes in Zusammenhang und eine geringere Gesundheitskompetenz scheint außerdem mit einer geringeren Adhärenz zur Therapie und mit schlechteren Zugängen zu den Dienstleistungen des Gesundheitssystems in Verbindung zu stehen (Howard, Gazmarian & Parker, 2005; Sudore et al., 2006; Wagner, Steptoe, Wolf & Wardle, 2007). Empirische Ergebnisse haben einen Zusammenhang gezeigt zwischen einem geringen Gesundheitswissen und einem niedrigen Gesundheitszustand sowie einem schlechteren Wissen über Krankheitsprävention und -behandlung (Gazmararian et al., 1999; Rudd, Moeykens & Colton, 2000). Zudem zeigt sich, dass eine geringere Gesundheitskompetenz zu höheren Kosten für das Gesundheitssystem führt (Weiss & Palmer, 2004). Die vorhandenen Gesundheitskompetenzen wirken über die Gesundheits- und Krankheitsversorgung auf die Gesundheit (Hartung, 2011). Nach Ishikava und Yano (2008) hängt die Teilhabe im Behandlungsprozess und als Ergebnis die Gesundheit des Patienten dabei von drei Faktoren ab: dem zur Verfügung stehenden Wissen/dem Verständnis der Zusammenhange um Gesundheit, der Selbstwirksamkeitsüberzeugung und den Informationsquellen. Als vulnerable Gruppen in Bezug auf die Gesundheitskompetenz gelten neben Menschen mit geringem Einkommen auch Migranten (Kreps & Sparks, 2008; Walter, Salman, Krauth & Machleidt, 2007). Migranten haben größere Schwierigkeiten, Zugang zu relevanten Gesundheitsinformationen zu bekommen und sind häufiger fehlinformiert (Medicine, 2002). Eine gute Informiertheit über Unterstützungsangebote ist für die Selbstbestimmung und Selbstgestaltung von Gesundheit jedoch zentral (Walter et al., 2007). Hierbei ist die geringe Gesundheitskompetenz von Migranten nicht vorrangig durch ihren kulturellen Hintergrund begründet, sondern resultiert aus einer Vielzahl von Risikofaktoren. Migranten in der Bundesrepublik weisen tendenziell einen niedrigeren sozioökonomischen Status und damit eine erhöhte Anzahl von Risikofaktoren auf. In der psychosomatischen Rehabilitation zeigen sich bei Patienten mit Migrationshintergrund schlechtere Behandlungs- und Wiedereingliederungserfolge 282 Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation (Göbber, Pfeiffer, Winkler, Kobelt & Petermann, 2010; Kobelt, Göbber & Petermann, 2011; Koch & Petermann, 2011; Nickel et al., 2006). Informations- und Vorbereitungsgruppen Patienten kommen zum Teil ohne konkrete Erwartungen in die Rehabilitation; zudem bestehen zwischen den Zielvorstellungen der Behandler und der Patienten oft große Diskrepanzen (Meyer, Pohontsch & Raspe, 2009). Coulter und Ellins (2007) berichten, dass informationsvermittelnde Interventionen sich positiv auf Patientenwissen, den Nutzen von Gesundheitsdienstleistungen und das Gesundheitsverhalten sowie den Gesundheitsstatus auswirken. Informations- und Vorbereitungsgruppen setzen am Übergang aus der häuslichen Umgebung in die stationäre psychosomatische Rehabilitation an (Kobelt, Winkler & Petermann, 2011; Lange & Petermann, 2010). Dieser Übergang stellt zumindest für eine Teilgruppe von Patienten eine Barriere dar und ist bei diesen Personen durch ungünstige Einstellungen und Erwartungen sowie durch Ängste und Motivationsdefizite geprägt. Prästationäre Maßnahmen, beispielsweise in Gruppen, führen zu einer vergleichsweise besseren Informiertheit der Patienten über die Rehabilitationsmaßnahme und einem vergleichsweise besseren Befinden (Bischoff et al., 2005). Es liegen bereits verschiedene Interventionen vor, mit denen Patienten auf eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vorbereitet werden können, die ambulante Rehabilitationsvorbereitung in Form von Gruppen ist bisher jedoch kaum verbreitet und auch die Wirksamkeit strukturierter prästationärer Vorbereitungsveranstaltungen ist bisher kaum systematisch evaluiert (Petermann & Koch, 2009). Kobelt et al. (2006) untersuchten die Gründe, warum Patienten ein bewilligtes medizinisches Heilverfahren nicht antreten. Sie weisen in dieser Untersuchung auf die Notwendigkeit hin, Unsicherheiten der Versicherten möglichst schon im Vorfeld, beispielsweise durch Informationsveranstaltungen zu begegnen. Eine Informations- und Vorbereitungsgruppe bietet die Möglichkeit, die Gesundheitskompetenz der Patienten gezielt zu erhöhen. Dazu gehört auch, die Grenzen des Verantwortungsbereiches der Rentenversicherungsträger zu erläutern und Unterschiede zwischen der Akutversorgung und der Leistungen durch die Rentenversicherungsträger darzustellen. Patienten sollen so zu kompetenten Partnern und Experten werden, die Verantwortung für ihr Gesundheitsverhalten übernehmen, was auch den Empfehlungen von Dirmaier und Härter (2011) nach einer Stärkung der Selbstbeteiligung in der Rehabilitation entspricht. Patienteninformationen und Schulungsprogramme sollten die Themen „berufsbezogene Interventionen“, „Nachsorge“ und „Ziele“ beinhalten. Hierbei ist es wichtig, auch die Zielgruppen zu erreichen, die sich durch eine geringe Gesundheitskompetenz charakterisieren lassen. Hierzu zählen Patienten mit Migrationshintergrund. Um diese vulnerable Personengruppe zu erreichen und sie mit den nötigen Informationen zu versorgen, sind kultursensible Angebote notwendig (Kreps & Sparks, 2008; Kreuter & McClure, 2004). Ein Weg zum Abbau von Kommu283 Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation nikationsbarrieren ist die Informationsvermittlung in der Muttersprache (Walter et al., 2007). Neben der sprachlichen Verständigung ist ein niedrigschwelliger Zugang notwendig (Gardemann, 2001). Niedrigschwellige und kultursensible Angebote für den Bereich der psychischen Erkrankungen werden auch in den „12 Sonnenberger Leitlinien“ gefordert (Macheleidt, 2002). 8.4 Ziele In der vorliegenden Untersuchung wurde ein Angebot entwickelt und evaluiert, welches dem dargestellten Bedarf der Kultursensibilität und der sozialmedizinischen Informationsvermittlung nachkommt. Die Wirksamkeit bei Patienten mit und ohne Migrationshintergrund wurde anhand der folgenden Fragestellungen untersucht. 8.5 Methodisches Vorgehen Inhaltliche Darstellung der prästationären Informationsveranstaltung In der prästationären Informationsveranstaltung werden den Patienten in einem 45-minütigen Vortrag und anhand eines kurzen Filmes Grundlagen zu folgenden Themen vermittelt: • • • Einführung in die Begrifflichkeit und das Konzept „Psychosomatik“, Bedeutung von Arbeit, Ziele und Inhalte der Rehabilitationsbehandlung (Reha vor Rente, Erhalt und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, Forderung der Teilhabe, Mitwirkungspflicht), • „Das therapeutische Team“, • Abgrenzung zur Krankenbehandlung, • Unterstützungsmöglichkeiten nach dem Reha-Aufenthalt (Telefonische Nachsorge, Psychosomatisches Fallmanagement, Ambulante Psychosomatische Nachsorge, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Kobelt, Grosch & Lamprecht, 2002), • Organisatorisches (Zuzahlungen, Übergangsgeld und Krankengeldzeiten und • Begutachtung des Leistungsvermögens, Stufenweise Wiedereingliederung) Der Vortrag wird durch eine PowerPoint-Präsentation unterstützt. Die Folien werden den Patienten vor Beginn der Veranstaltung als Ausdruck zur Verfügung gestellt. Während und nach dem Vortrag haben die Patienten die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Die Gruppengröße ist flexibel, die Patienten können Angehörige/Vertraute zu der Veranstaltung mitbringen. Hierin liegt ein kultursensibler As284 Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation pekt der Veranstaltung. Bei Personen aus familienorientierten Kulturen, wie es bei den Haupteinwanderungsländern Deutschlands der Fall ist, ist das soziale System, die (Groß-)Familie von zentraler Bedeutung, vor allem im Krankheitsfall. In ihr findet der Betroffene mit übermäßiger Versorgung, der Begleitung zum Arzt und der ständigen Anwesenheit von Familienangehörigen, um Mitgefühl und Solidarität zu bekunden. Ein wie in der individualistisch denkenden deutschen Kultur üblicher weitestgehender Ausschluss der Familie birgt stets die Gefahr einer mangelnden Akzeptanz der Angebote. Weiter wurde die Präsentation, wie die Einladung und die Evaluationsfragebögen von einem Übersetzungsbüro ins Türkische übertragen. Dadurch werden auch die Patienten einbezogen, die über geringe Deutschkenntnisse verfügen. Es bietet den Patienten zudem die Möglichkeit, die wichtigsten Informationen noch einmal zu Hause nachzuvollziehen und verdeutlicht die Akzeptanz und Wertschätzung des kulturellen Hintergrundes der Patienten mit Migrationshintergrund. Die Kombination aus einer deutschsprachigen Informationsveranstaltung und muttersprachlichen Informationsmaterialien fördert die kultursensible Integration. Abgrenzung zu anderen Angeboten Zur Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation liegen bereits Angebote anderer Autoren vor. Hier sind z.B. das Bad Dürkheimer Prä-Post-Projekt (Bischoff et al., 2005) oder die patientenorientierte Vorbereitung auf psychosomatische Rehabilitation von Lange und Kollegen (2010) zu nennen. Das vorliegende Angebot grenzt sich von diesen Angeboten durch die klare sozialmedizinische Fokussierung mit dem Ziel der Wissens- und Informationsvermittlung ab. In Abgrenzung zu den bestehenden Angeboten werden keine inhaltlich-therapeutischen Themen behandelt. Das Angebot „Berufliche Zukunft“ des Rehazentrums Bad Eilsen hat ebenso wie das vorliegende Konzept eine sozialmedizinische Ausrichtung (Bönisch, Dorn & Ehlebracht-König, 2012). Es besteht jedoch aus mehreren Modulen und stellt eine Intervention während der Rehabilitationsbehandlung dar. Gerade in der Abgrenzung von Reha- und Akutbehandlung ist es jedoch wichtig, die Patienten schon vor Antritt der Behandlung über sozialmedizinische Inhalte aufzuklären. In keinem der uns bekannten Angebote werden Migranten, auch mit geringen Deutschkenntnissen, welche einen besonders hohen sozialmedizinischen Informationsbedarf haben, berücksichtigt. Datenerhebung Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Vollerhebung bei Versicherten der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover, deren Antrag auf psychosomatische Rehabilitation bewilligt wurde. Erfassung des Migrationshintergrundes. Zur Gruppe der Patienten mit Migrationshintergrund wurden gemäß der Definition von Schenk et al. (2006) Personen ge285 Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation zählt, die in einem anderen Land geboren wurden, eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit haben, von denen Eltern oder Großeltern nicht in Deutschland geboren wurden oder Deutsch nicht als Muttersprache erlernten. Konstruktion eines Schichtindex. Zur Bestimmung der sozioökonomischen Situation der Patienten wurde ein vertikaler Schichtindex anhand der Merkmale Schulbildung, Berufsstatus und Einkommen konstruiert (Deck, 2008). Mittels dieser Einteilung lässt sich ein Schichtindex von drei (ungünstigste Soziallage) bis neun (günstigste Soziallage) errechnen. Personen, die unter fünf Punkte erhalten, werden der Gruppe A (Unterschicht), Personen, die fünf oder sechs Punkte erreichen, der Gruppe B (Mittelschicht) und Personen, die mehr als sechs Punkte erreichen, der Gruppe C zugeordnet (Oberschicht) (Kobelt, Lieverscheidt, Grosch & Petermann, 2010; Kobelt, Winkler, Göbber, Pfeiffer & Petermann, 2010). Subjektive Prognose der Erwerbstätigkeit (SPE). Die vierstufige SPE-Skala umfasst drei Items, die eine Erfassung der subjektiven Prognose der Erwerbstätigkeit erlauben. Mittag und Raspe (2003) haben einen Grenzwert für die subjektive Prognose der Erwerbstätigkeit vorgeschlagen, anhand dessen die Gruppe der negativen und der positiven subjektiven Prognose der Erwerbstätigkeit gebildet werden können. Für Rehabilitanden mit einer negativen Prognose gilt, dass das Risiko, aus dem Erwerbsleben in den nächsten fünf Jahren auszuscheiden, ohne eine individuelle, auf ihre arbeitsplatzbezogenen Probleme zugeschnittene Betreuung, signifikant erhöht ist. Subjektiver Informationsstand. Der subjektive Informationsstand über die Möglichkeiten der psychosomatischen Rehabilitation und die Angebote der DRV wurde durch die Fragen „Ich weiß, was mich in einer psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung mehr oder weniger erwartet.“ und „Ich fühle mich gut informiert in Bezug auf Unterstützungsmöglichkeiten der Deutschen Rentenversicherung.“ erfasst. Die Patienten sollten hier jeweils auf einer vierstufigen Skala angeben, wie sehr sie der Aussage zustimmen. Zur Abbildung des subjektiven Wissenszuwachses wurde die Differenz des Prä-und Postwertes gebildet (Post minus Prä). Es konnten Werte zwischen -3 (maximale Wissensreduktion) und 3 (maximaler Wissenszuwachs) erreicht werden. Gesundheitswissen. Das Gesundheitswissen wurde mit Hilfe von 20 Items erhoben. Bei den Items handelte es sich um Aussagen zum Themenbereich der psychosomatischen Rehabilitation und den Unterstützungsmöglichkeiten der DRV. Die Patienten sollten jeweils ankreuzen, ob die Aussage korrekt oder falsch ist. Zur Erfassung des Wissenszuwachses wurde für jedes Itempaar (prä-post) eine neue Variable „Differenz Rehawissen prä-post“ gebildet. Die Einzelwerte dieser 20 neu gebildeten Variablen wurden summiert. Fragebogen zur berufsbezogenen Therapiemotivation (FBTM). Mit dem FBTM (Zwerenz, Knickenberg, Schattenburg & Beutel, 2005) liegt ein valides und reliables 286 Prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation Verfahren vor, das die berufsbezogene Behandlungsmotivation im Kontext der psychosomatischen Rehabilitation erfasst. Der Fragebogen zur berufsbezogenen Therapiemotivation besteht aus 24 Items. Es lässt sich ein sowohl in Gesamtscore, als auch vier Unterskalen berechnen. In der vorliegenden Untersuchung wurde der Gesamtscore verwendet. 8.6 Ergebnisse In der Kontrollgruppe musste nur eine von 86 Personen von der weiteren Analyse ausgeschlossen werden, hier wurde auf eine Analyse verzichtet. Zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe zeigten sich keine Unterschiede für das Alter, die Geschlechterverteilung, den Familienstand, den Ausbildungsstand und die subjektive Prognose der Erwerbstätigkeit. Allerdings fand sich in der Interventionsgruppe ein höherer Anteil von Personen mit Migrationshintergrund. Aufgrund der geringen Zahl von Patienten mit Migrationshintergrund in der Kontrollgruppe wurde nur für die Interventionsgruppe eine gesonderte Auswertung von Deutschen und Migranten vorgenommen. Es zeigten sich Unterschiede in der Schichtzugehörigkeit zwischen Interventions- und Kontrollgruppe. In der Interventionsgruppe war die Unterschicht weniger stark und die Mittelschicht stärker vertreten als in der Kontrollgruppe. 90,4% (Rehabilitationsbehandlung) bzw. 94,4% (Unterstützungsangebote DRV) der Patienten gaben an, nach der Teilnahme an einer prästationären Informationsbehandlung besser informiert zu sein. Es zeigt sich für den subjektiven Informationsstand und das Gesundheitswissen ein signifikant größerer Wissenszuwachs bei der Interventionsgruppe. Für den Gesamtscore des FBTM lasst sich weder ein Effekt des Messzeitpunkts, noch ein Interaktionseffekt der Zeit mit Versuchsgruppe nachweisen. Zwischen Migranten und Deutschen, die an der Informationsveranstaltung teilgenommen haben, zeigen sich keine Unterschiede in der Veränderung des subjektiven Informationsstandes und des Gesundheitswissens sowie der berufsbezogenen Therapiemotivation gemessen mit dem FBTM. 8.7 Literatur Best, M., Lange, M., Karpinski, N., Hessel, A., Söpper-Terborg, B., Sieling, W. et al. (2009). 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Regensburg: Roderer. 290 Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation 9 Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation 9.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiterinnen Dipl. Psych Maike Holtz Dr. Meike Lange Dr. Ulrike de Vries Kooperationspartner Rheumaklinik Bad Wildungen Zeitraum 01.10.2010 - 31.03.2013 Finanzierung Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen 9.2 Zusammenfassung Die Effektivität medizinischer Rehabilitation wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Dabei spielen nicht nur der Umfang und die Qualität der medizinischen Leistungen eine Rolle, sondern auch die Patientenzufriedenheit sowie die Beziehung zwischen dem Arzt und Patienten. In der vorliegenden Studie soll die Wichtigkeit unterschiedlicher Wirkfaktoren der Rehabilitation von Patienten eingeschätzt werden. Anhand strukturierter Interviews mit n=48 Patienten einer orthopädischrheumatologischen Rehabilitationsklinik wurden Wirkfaktoren der Rehabilitation erfragt. Ausgehend von diesen Ergebnissen wurde im zweiten Schritt ein Fragebogen entwickelt, mit dem die Wichtigkeit von 58 Wirkfaktoren bei n=77 Patienten erhoben wurde. Der zwischenmenschliche Umgang gefolgt von den gesundheitlichen Veränderungen wurden von den Patienten als wichtigste Wirkfaktoren in der 291 Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation medizinischen Rehabilitation eingeschätzt. Dabei war insbesondere „ausreichend Zeit für ärztliche Untersuchungen und Gespräche“ sowie die „Kompetenz des Klinikpersonals“ bedeutsam. Neben dem Leistungsangebot der Rehabilitation spielen auch allgemeine Aspekte aus Sicht der Patienten eine wichtige Rolle bei der Bewertung der Rehabilitation. 9.3 Stand der Forschung In Westeuropa leiden etwa 70 Millionen Menschen unter Schmerzen. In Deutschland wird die Zahl der chronischen Schmerzerkrankungen auf fünf bis acht Millionen geschätzt (Niesert & Zens, 2005). So zeigte eine Erhebung des Robert-Koch-Instituts, dass nur 12% der Männer und 6% der Frauen innerhalb eines Jahres keine Schmerzen hatten (Diemer & Burchert, 2002). Chronische unspezifische Rückenschmerzen sind auf keine eindeutige somatische Ursache wie Tumore oder entzündlicherheumatische Erkrankungen zurückzuführen. Die Schmerzen persistieren über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten (Kröner-Herwig, 2000). Neuhaus et al. (2005) kamen in ihrer Studie zur Prävalenz Rückenschmerzen auf eine 12-MonatesPrävalenz von 19%, wobei davon auszugehen ist, dass 85% der Rückenschmerzen unspezifisch sind (Kohlmann, 2003). Für die Behandlung von Rückenschmerzen wurden im Jahr 2005 insgesamt 2,2% des Bruttosozialprodukts in Deutschland ausgegeben (Wenig, Schmidt & Kohlmann, 2009). Zudem belegen empirische Studien, dass sich Rückenschmerzen in den westlichen Industrienationen zu einem erstrangigen Gesundheitsproblem entwickelt haben (Schmidt et al., 2005). Bei 5 bis 8% der Patienten mit akuten Rückenschmerzen entwickelt sich ein chronischer Verlauf (Kohlmann, 2003). Nach den Kriterien der IASP (International Association for the Study of Pain) gilt ein Schmerz als chronisch, wenn dieser länger als sechs Monate besteht. Während akute Schmerzen über alle Phasen des Erwachsenenalters hinweg vergleichbar häufig auftreten, treten bis zum 70. Lebensjahr vor allem chronische Schmerzen häufiger auf. Dies betrifft insbesondere Gelenk- und Kreuzschmerzen sowie Nacken- und Schulterschmerzen. Hierbei sind meist mehrere Schmerzregionen gleichzeitig betroffen. Die Hauptschmerzlokalisation stellt in epidemiologischen Studien und bei Studien zur Inanspruchnahme des Gesundheitssystems das muskuloskelettale System dar. Neben Gelenkschmerzen und Schmerzen in den Extremitäten treten vor allem Rückenschmerzen auf. In den meisten Studien sind Frauen häufiger von Schmerzen betroffen als Männer, eine Ausnahme bilden Rückenschmerzen (Nickel & Raspe, 2001). Guzman et al. (2001) zeigten in einer Übersichtsarbeit über randomisierte kontrollierte Studien, dass die Wirksamkeit in Form von Schmerzlinderung und Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit nur für multimodale Therapieprogramme mit einem zeitlichen Aufwand von über 100 Therapiestunden nachgewiesen 292 Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation werden kann. Somit ist die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen in der Behandlung von unspezifischen Rückenschmerzen bisher kaum nachgewiesen (Raspe, 2008). Um die Wirksamkeit von stationärer medizinischer Rehabilitation in Deutschland bei chronischen Rückenschmerzen zu untersuchen, führten Hüppe und Raspe (2005) eine systematische Literaturrecherche durch. Dabei wurden 16 Studien in Bezug auf die körperliche Funktionsfähigkeit, Katastrophisieren, Vitalität, Depressivität und Schmerzen chronischer Schmerzpatienten analysiert. Zusammenfassend konnten kleine (z.B. körperliche Funktionsfähigkeit) bis große Effekte (z.B. Vitalität) erzielt werden. Jedoch zeigen die beobachteten längerfristigen Effekte eine unbefriedigende Nachhaltigkeit der Rehabilitation. Bahrke et al. (2006) untersuchten den Rehabilitationserfolg von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, bei denen die Intervention an die suppressive Schmerzverarbeitung angepasst wurde. Die Behandlung umfasste einen dreiwöchigen multimodalen Rehabilitationsaufenthalt mit somatischen und psychosozialen Anteilen. Der Erfolg der stationären Rehabilitation erwies sich mit einer mittleren Effektstärke als gering. Die multimodale Behandlung unter Berücksichtigung der psychosozialen Faktoren zeigt im Vergleich zur Standardbehandlung einen stärkeren Rückgang der Symptome und funktionelle Aspekte verbessern sich deutlich. Im Bestreben um ein optimales Qualitätsmanagement der medizinischen Rehabilitation ist das Gesundheits- und Krankheitsverhalten der Patienten maßgeblich durch die subjektive Überzeugung bestimmt. Subjektive Vorstellung über eine Therapiemaßnahme und ihre Wirkungen wirken sich auf die Krankheitsverarbeitung und Compliance der Patienten aus (Horne & Weinman, 1999) und somit auch auf den Rehabilitationserfolg (Deck, Kohlmann & Raspe, 1998). Qualitätskonzepte und versorgungsbezogene Erwartungen unterscheiden sich zwischen behandelnden Ärzten und Patienten (Geraedts et al., 2007; Kaya et al., 2003). In diesem Zusammenhang untersuchten Grande und Romppel (2008) die subjektiven Qualitätsvorstellungen von Patienten, Ärzten und Sozialdienstmitarbeitern. Dabei zeigte sich, dass die „Kompetenz des Personals“ und die „Psychosoziale Ergebnisqualität“ von allen drei Gruppen als bedeutsam für den Reha-Verlauf eingeschätzt wurden. Ebenso wurden das Engagement und die Motivation des Personals sowie der Erfolg bei der Wiederherstellung der allgemeinen Leistungsfähigkeit im Alltag des Patienten als wichtig beurteilt. Um mögliche Gründe zu identifizieren, die einen Behandlungserfolg bei chronischen Rückenschmerzen vorhersagen können, führten Meyer et al. (2009) eine Analyse zum Wirksamkeitsproblem in der stationären Rehabilitation durch. Dabei wurden die Datensätze von 27.759 Patienten aus den Jahren 2003 und 2004 untersucht. Es zeigte sich, dass lange Arbeitsunfähigkeitszeiten und das Rentenbegehren sich ungünstig auf den Reha-Verlauf auswirkten. Ebenso spielten auf Seiten der Patientenmerkmale der Schulabschluss sowie das Alter eine Rolle. Der Umfang des Leistungsangebotes stand nur im geringen Zusammenhang mit einer erfolgreichen Be293 Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation handlung. Insbesondere konnte kein Hinweis darauf gefunden werden, dass das Ausmaß der Leistungen mit den Vorgaben der Prozessleitlinien für die Rehabilitation von Menschen mit chronischen Rückenschmerzen überstimmt, im Zusammenhang mit der Erfolgsbewertung der Patienten steht. Ein kleiner Effekt konnte für das Ausmaß bewegungstherapeutischer Maßnahmen festgestellt werden. Vielmehr wirkten sich die Beziehung zwischen Arzt/Therapeut und Patienten, das Ausmaß an Zuwendung des Personals an die Patienten sowie strukturelle Rahmenbedingungen des Rehabilitationsprozesses auf den Rehabilitationsverlauf aus. Die Bedeutung dieser Faktoren für die Erfolgsbewertung der Rehabilitation ist noch ungeklärt. 9.4 Ziele Das beantragte Forschungsprojekt hat zum Ziel, den Einfluss von allgemeinen Wirkfaktoren auf den Rehabilitationserfolg zu untersuchen. Zudem sollen die Auswirkungen der Arzt/Therapeut-Patienten-Beziehung und die Patientenzufriedenheit hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Rehabilitationsprozess analysiert werden. Es soll den folgenden Fragestellungen nachgegangen werden: • • • • 9.5 Welche Parameter schätzen Patienten der stationären Rehabilitation für ihren Reha-Erfolg als wichtig ein? Beeinflussen diese Parameter den objektiven Reha-Erfolg? Wirkt sich die Patientenzufriedenheit auf den Rehabilitationsverlauf aus? Welchen Einfluss hat die Arzt/Therapeut-Patienten-Beziehung auf den objektiven Reha-Erfolg der Patienten? Methodisches Vorgehen In einer Bedarfs- und Wirksamkeitsanalyse mit einer 6-monatigen Katamneseerhebung soll der Einfluss von zuvor identifizierten Wirkfaktoren, die Patientenzufriedenheit sowie die Arzt/Therapeut-Patienten-Beziehung bei Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen im Rahmen stationärer Rehabilitation untersucht werden. Die Studie gliedert sich in eine 6-monatige Vor- und eine 24-monatige Hauptstudie. In der Vorstudie sollen anhand qualitativer Verfahren allgemeine Wirkfaktoren identifiziert werden. Die Patienten schätzen Parameter hinsichtlich ihrer subjektiven Wichtigkeit ein. Hierzu zählen beispielsweise die Wichtigkeit von Unterstützung bei beruflichen Problemen, - bei der Bewältigung von komorbiden psychosozialen Belastungen, Kompetenz des Personals, psychosoziale Ergebnisqualität, Engagement und Motivation des Personals, Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit, Essen in der Klinik usw. (vgl. Grande & Romppel, 2008). Zudem werden weitere Wirkfaktoren 294 Analyse unspezifischer Wirkfaktoren orthopädischer Rehabilitation in Form von offenen Fragestellungen erhoben, die von den Patienten als bedeutsam für ihre Genese eingeschätzt werden. Für die Hauptstudie werden die wichtigsten Wirkfaktoren (nach Häufigkeit der Nennungen und eingeschätzter Wichtigkeitsgrad) identifiziert. In der Hauptstudie werden die Parameter Patientenzufriedenheit, PatientenArzt/Therapeut-Beziehung (Vertrauen in den Arzt (VIA) von Glattacker, Gülich, Farin & Jäckel, 2007), identifizierte allgemeinen Wirkfaktoren (Vorstudie), medizinischer Erfolg, Entlassungsform, Nachsorge sowie KTL (entnommen aus den Klinikdaten) erhoben. Die Katamnese-Erhebung erfolgt 6 Monate nach Reha-Ende. Eingeschlossen werden alle Patienten in der stationären Rehabilitation mit der Diagnose Unspezifische Rückenschmerzen (M54 ICD-10) ab dem 18. Lebensjahr mit ausreichenden deutschen Sprachkenntnissen. Als Stichprobenumfänge sind N=60 (für die Vorstudie) und N=120 (für die Hauptstudie) vorgesehen. Die Datenerhebung findet konsekutiv in der Rheumaklinik Bad Wildungen statt. Alle in der Klinik aufgenommenen Patienten, die die definierten Einschlusskriterien erfüllen, werden bis zum Erreichen der angestrebten Stichprobengröße in die Studie aufgenommen. Die Erhebung der Daten erfolgt anhand standardisierter Fragebögen sowie selbstentwickelter Items zu den allgemeinen Wirkfaktoren und offenen Antwortmöglichkeiten. Die Ermittlung der gesundheitsökonomischen Parameter erfolgt über Fragebögen bzw. Abfrage der AU-Daten über die Krankenkassen. 9.6 Ergebnisse Das Projekt befindet sich derzeit in der Datenauswertung. 9.7 Literatur Bahrke, U., Bandemer-Greulich, U., Fikentscher, E., Müller, K., Schreiber, B. & Konzag, T.A. (2006). Chronischer Rückenschmerz mit suppressiver Schmerzverarbeitung - Zur Optimierung des Rehabilitationserfolgs einer bislang vernachlässigten Rehabilitandengruppe. 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Aktuelle Rheumatologie, 36, 54-60. 297 Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation 10 Entwicklung eines Programms zur manualgestützen Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation 10.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann MitarbeiterInnen Dipl. Psych. Maren Prinz Dr. Meike Lange Dr. Norbert Karpinski Zeitraum 01.04.2008 - 30.04.2012 Kooperationspartner Marbachtalklinik Bad Kissingen Finanzierung Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen 10.2 Zusammenfassung Im Rahmen des Projektes wurde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Rentenversicherung Oldenburg-Bremen und der Marbachtalklinik Bad Kissingen eine standardisierte (manualisierte) Vorbereitung auf die stationäre psychosomatische Rehabilitation entwickelt, erprobt und evaluiert. Die Überprüfung der Effekte unterschiedlicher Formen der Reha-Vorbereitung erfolgte im Rahmen eines kontrollierten, prospektiven Designs mit vier Messzeitpunkten und drei Untersuchungsgruppen. Auf der Basis von uni- und multivariat durchgeführten Varianzanalysen konnte der Vorteil der manualisierten Vorbereitung gegenüber einem Einzelgespräch nicht eindeutig festgestellt werden. 299 Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation 10.3 Stand der Forschung Um die Wirksamkeit der psychosomatischen Rehabilitation zu steigern, werden immer häufiger Aspekte der langfristigen Betreuung diskutiert. Deck, Hüppe und Arlt (2009) zeigte, dass eine langfristige Begleitung von den Patienten gut angenommen wird und erste Erfolge erkennbar sind. Auch Vorbereitungsmaßnahmen werden zur Effektivitätssteigerung der stationären Rehabilitation aktuell mehr beachtet. In diesem Zusammenhang untersuchten Bischoff, Gönner, Ehrhardt und Limbacher (2005) den gezielten Einfluss von Vorbereitungsmaßnahmen. Die Patienten nahmen an Informationsveranstaltungen und mindestens einem Einzelberatungsgespräch mit dem Bezugstherapeuten teil. Die Informationsabende wurden von den Patienten positiv bewertet (nach der Schulnoten-Skala: M=2,19) und sie erleichterten aus Sicht der Patienten den Einstieg in eine stationäre Rehabilitation. Zudem wurden die körperliche Anspannung und das Allgemeinbefinden günstig beeinflusst. Allerdings wirkten sich die Maßnahmen weder positiv auf die Therapiemotivation noch auf die Einstellung gegenüber den Beschwerden aus. Um die psychosomatische Rehabilitation optimal an die Patienten anzupassen, schlagen Bückers et al. (2001) eine prästationäre Diagnostik der Therapiemotivation vor. In anderen Studien wurde ebenfalls die prästationäre Diagnostik, in Form einer Volitionsdiagnostik, als wichtige Komponente für die individuelle Therapieplanung von psychosomatischen Patienten empfohlen (Kuhl, 2001). 10.4 Ziele Im Rahmen des Projektes soll die bisherige Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation durch Einführung eines standardisierten und manualgestützten Programms optimiert werden. Die Implementation und die Effekte der optimierten Vorbereitungsmaßnahme sollen anhand rehaspezifischer Effekte evaluiert werden. 10.5 Methodisches Vorgehen Die vorliegende Studie wurde im Rahmen eines Projekts „Zugang zur stationären psychosomatischen Rehabilitation“ der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Oldenburg-Bremen durchgeführt. Bei diesem Projekt sollte die Wirksamkeit von zwei Vorbereitungsmaßnahmen miteinander vergleichen werden. Die Studie stellte drei Gruppen gegenüber. Die erste Gruppe bestand aus unvorbereiteten Patienten (=Kontrollgruppe). Diese Patienten gingen ohne vorherige Vorbereitungsmaßnahme, so wie es bislang bei den meisten Rehabilitationskliniken üblich ist, in den stationären Aufenthalt. Eine zweite Patientengruppe nahm zur Vorbereitung an einem 300 Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation Einzelberatungsgespräch teil. Diese Art der prästationären Maßnahme wurde bislang den Patienten der DRV Oldenburg-Bremen angeboten. Die dritte Gruppe bestand aus Patienten, die an einer neuentwickelten manualisierten Gruppenvorbereitung teilnehmen. Um den „Vorbereitungsbedarf“ von psychosomatischen Patienten zu analysieren, wurde ein Fragebogen zur Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation entwickelt, der zur prästationären Diagnostik eingesetzt werden soll. Dieser Fragebogen wurde konzipiert, um den Informationsstand, die Motivation, Stigmatisierungsängste und Befürchtungen der Patienten im Vorfeld einer stationären psychosomatischen Rehabilitation einschätzen zu können (vgl. Bischoff et al., 2005). Auf diese Weise sollen wichtige Aspekte einer prästationären Maßnahme erfasst werden. Zudem sollte die Patientenzufriedenheit und die Effekte einer prästationären Einzelberatung auf die Einstellung zur psychosomatischen Rehabilitation überprüft werden. Im weiteren Verlauf sollte der „Vorbereitungsbedarf“ von Patienten, die unmittelbar vor einer stationären psychosomatischen Rehabilitation stehen, untersucht werden. Es wurden folgenden Fragestellungen überprüft: • Können mit dem Fragebogen zur Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation klinisch relevante Facetten des krankheitsbezogenen Wissens und Einstellungen der Patienten zur psychosomatischen Rehabilitation abgebildet werden? • Wie zufrieden sind Patienten mit einem Einzelberatungsgespräch zur Vorbereitung auf die stationäre psychosomatische Rehabilitation? • Geben Patienten mit einer Vorbereitungsmaßnahme eine günstigere Einstellung zur psychosomatischen Rehabilitation an als Patienten ohne Vorbereitungsmaßnahme? • Lassen sich mit dem Fragebogen zur Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation Aspekte abbilden, die den Bedarf der Patienten in Bezug auf prästationäre Maßnahmen widerspiegeln? Behandlung in der psychosomatischen Rehabilitation Die Patienten blieben durchschnittlich sechs Wochen in der Reha-Einrichtung und nahmen an den folgenden Behandlungsmaßnahmen teil: • • • • • • • Gruppentherapie 3-mal wöchentlich à 60min Einzelpsychotherapie 1-mal wöchentlich à 60min Patientenschulung je nach Störungsbild 2-3-mal wöchentlich à 60 min Physiotherapie 3-mal wöchentlich à 60min Entspannungstraining in der Gruppe (Progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder Autogenes Training) 2-mal wöchentlich à 60min Frühbewegung 5-mal wöchentlich à 30min Sporttherapie je nach Störungsbild 3-mal wöchentlich à 60-90min 301 Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation • Lernkurs Nordic Walking 1-mal wöchentlich à 90min. Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation: Einzelberatung Die Patienten der IGI nahmen an einem aufklärenden und motivationsfördernden Einzelberatungsgespräch teil, das der Sozialpädagoge der DRV Oldenburg-Bremen führte. Das Gespräch fand in Absprache mit den Patienten entweder im häuslichen Umfeld der Patienten, in den Räumen der DRV oder telefonisch statt. Das Beratungsgespräche wurde patientenbezogen geführt und knüpfte am Vorwissen, an der Lebens- und Motivationslage der Patienten an; dabei wurden Prinzipien der motivierenden Gesprächsführung herangezogen (Rau & Petermann, 2008). Es wurde über die Möglichkeit der psychosomatischen Rehabilitation informiert, organisatorische und finanzielle Fragen wurden geklärt und Hilfen im Umgang mit Stigmatisierungsängsten angeboten. Vorbereitung auf die psychosomatischen Rehabilitation (MaReVo) Die Patienten der IGII nahmen an einer manualisierten Gruppenvorbereitung (MaReVo) teil. Innerhalb einer Gruppensitzung von 120 Minuten wurden die Patienten auf den stationären Aufenthalt vorbereiten. Das Ziel dieser prästationären Maßnahme war es das Wissen über die psychosomatische Rehabilitation, das Vertrauen der Patienten in die Maßnahmen und die Motivation an den Maßnahmen teilzunehmen zu fördern. Die Gruppenvorbereitung umfasst fünf Module, die mit Hilfe einer Präsentation und motivationaler Gesprächsführung den Patienten vermittelt wurden. Im ersten Modul „Rund um die Rehabilitation“ wurden Informationen zur Organisation und finanzielle Fragen geklärt. Das zweite Modul „Die Rehabilitation“ klärt über die unterschiedlichen Interventionen einer psychosomatischen Rehabilitation auf und vermittelt den Aufbau eines psychosomatischen Krankheitsmodells. Eine Hinführung zu ersten Therapiezielen erfolgt im dritten Modul „Was bringt mir die psychosomatisch Rehabilitation“. Im vierten Modul „Welche positiven Erwartungen, welche Befürchtungen habe ich?“ soll eine realistische Erwartungseinschätzung der Patienten aufgebaut werden. Im letzten Modul „Was kann nach der Rehabilitation kommen?“ werden Informationen zur Nachsorge wie IRENA, Psychotherapie, Selbsthilfegruppen etc. besprochen. Erhebungsinstrumente Die Datenerhebung erfolgte zu Reha-Beginn (T1), Reha-Ende (T2) und (postalisch) zwölf Monate nach Reha-Ende (T3). Die soziodemografischen Daten wurden dem Anamnesebogen der Klinik entnommen. Die Erfassung der Schwere depressiver Beschwerden erfolgte anhand des Beck Depressionsinventars-II (Hautzinger, Kühner & Keller, 2006). In 21 Gruppen von Aussagen, die typische Depressionssymptome beschreiben, wählt der Patient aus vier Antwortmöglichkeiten (0=nicht vorhanden, 302 Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation 1=leichte Ausprägung, 2=mäßige Ausprägung, 3=starke Ausprägung; bezogen auf die letzten zwei Wochen). Der Summenwert drückt die Schwere der gegenwärtigen depressiven Symptomatik aus. Werte unter 13 Punkten gelten im BDI-II als keine bzw. minimale depressive Symptome. Werte zwischen 14 und 19 Punkten weisen auf eine milde Ausprägung depressiver Symptome hin, Werte zwischen 20 und 28 Punkten auf eine moderate Ausprägung. Punktwerte zwischen 29 und 63 gelten als Hinweis auf eine schwere depressive Symptomatik. Zur Erfassung der psychischen Beeinträchtigung wurde das Brief Symptom Inventory (BSI, Kurzform der SCL-90-R, s. Prinz et al., 2008) eingesetzt. Dieser Fragebogen erfasst mit neun Skalen („Somatisierung“, „Zwanghaftigkeit“, „Unsicherheit im Sozialkontakt“, „Depressivität“, „Ängstlichkeit“, „Aggressivität/Feindseligkeit“, „Phobische Angst“, „Paranoides Denken“ und „Psychotizismus“) das Ausmaß der Beeinträchtigungen in unterschiedlichen Bereichen. Zudem kann der Global Severity Index zur Einschätzung der grundsätzlichen psychischen Belastung herangezogen werden. Die psychosoziale Gesundheit wurde mit den Hamburger Modulen zur Erfassung allgemeiner Aspekte psychosozialer Gesundheit für die therapeutische Praxis (HEALTH-49, Rabung et al., 2009) erhoben. Die HEALTH-49 erfasst mit 49 Items auf neun Skalen „Somatoforme Beschwerden“, „Depressivität“, „Phobische Angst“, „Psychisches Wohlbefinden“, „Interaktionelle Schwierigkeiten“, „Selbstwirksamkeit“, „Aktivität und Partizipation“, „Soziale Unterstützung“ und „Soziale Belastung“, wobei höhere Werte für eine bessere psychosoziale Gesundheit sprechen. Der Fragebogen zur Erfassung der prästationären Patienten-Einstellung (10 Items) (Karpinski et al., 2009) enthält die Skalen Wissen über die Reha-Maßnahme, RehaMotivation und Vertrauen in die Rehabilitation. 10.6 Ergebnisse Zu T1 lagen die Daten von insgesamt 440 Patienten zwischen 19 und 62 Jahren (M=44,3; SD=8,9) vor. Der Anteil der männlichen Patienten lag mit 54,4% etwas über dem der Frauen. Zu allen Messzeitpunkten liegen die Daten von 69 Patienten im Alter von 24 bis 60 Jahren vor (M=44,45; SD=8,1). Davon sind 46,4% männlich. Wissen über die Reha-Maßnahme. Bei allen Gruppen nimmt das Wissen zum Beginn der Reha im Vergleich zur Vorerhebung (T0) signifikant zu (F=3,197; p= .042). Der Mittelwert der IGI liegt bei Beginn der Reha signifikant über dem der KG. Die IGII (manualisierte Vorbereitung) unterscheidet sich nicht signifikant von der IGI und der KG. Reha-Motivation. Die Gruppenfaktor dieses Modells wird mit F=4,123(p= .017) signifikant. Dabei liegt der Mittelwert der IGI vor Beginn der Rehabilitation signifikant 303 Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation unter dem der KG (p= .005) und zum Beginn der Rehabilitation signifikant über dem der KG (p= .008). IGI und IGII unterscheiden sich nicht signifikant. Vertrauen in die Rehabilitation. Das Vertrauen steigt bei allen Gruppen zu Rehabilitationsbeginn signifikant an (F=24,873; p= .000). Ein Gruppeneffekt kann mit F=2,970 (p= .052) nicht bestätigt werden. Depressive Belastung (BDI-II). Die depressive Belastung nimmt bei allen Gruppen über den gesamten Erhebungszeitraum signifikant ab (F=97,720; p= .000). Ein Gruppeneffekt kann mit F=2,970 (p= .052) nicht signifikant bestätigt werden. Gesamtwert der psychischen Beeinträchtigung (BSI). Der Gesamtwert der psychischen Belastungen nimmt über alle drei Messzeitpunkte signifikant ab (F=86,662; p= .000). Ein Unterschied zwischen den Interventionsgruppen kann aber nicht bestätigt werden (F=516; p= .724). Psychosoziale Gesundheit (HEALTH-49). Auf multivariater Ebene (alle Subskalen) ergibt sich ein Interaktionseffekt zwischen Zeit und Vorbehandlung (F=5,35; p<0.01). Die univariaten Befunde dieses Modells ergeben Unterschiede bei den Skalen „Selbstwirksamkeit“ (F=3,47; p= .01) und „Soziale Unterstützung“ (F=3,66; p= .01). Danach verbessern sich Patienten mit einer ambulanten psychotherapeutischen Vorbehandlung deutlich stärker als jene Patienten ohne Vorbehandlung. 10.7 Literatur Bischoff, C., Gönner, S., Erhardt, M. & Limbacher, K. (2005). Ambulante vor- und nachbereitende Maßnahmen zur Optimierung der stationären psychosomatischen Rehabilitation - Ergebnisse des Bad Dürkheimer Prä-Post-Projektes. Verhaltenstherapie, 15, 78-87. Bückers, R., Kriebel, R. & Paar, G.H. (2001). Der „geschickte“ Patient in der psychosomatischen Rehabilitation - Leitlinien für die sozialmedizinische Beurteilung und Behandlung von fremdmotivierten Patienten. Die Rehabilitation, 40, 65-71. Deck, R., Hüppe, A. & Arlt, C. (2009). Optimierung der Rehabilitationsnachsorge durch eine längerfristige Begleitung der Rehabilitanden - Ergebnisse einer Pilotstudie. Die Rehabilitation, 48, 39-46. Hautzinger, M., Kühner, C. & Keller, F. (2006). Beck-Depressionsinventar (BDI-II) (2. Aufl.). Frankfurt: Pearson Assessment. Kuhl, J. (2001). Motivation und Persönlichkeit: Interaktion psychischer Systeme. Göttingen: Hogrefe. Prinz, U., Nutzinger, D.O., Schulz, H., Petermann, F., Braukhaus, C. & Andreas, S. (2008). Die Symptom-Checkliste-90-R und ihre Kurzversionen: Psychometrische Analysen bei Patienten mit psychischen Erkrankungen. Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin, 18, 337-343. 304 Manualgestützte prästationäre Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation Rabung, S., Harfst, T., Kawski, S., Koch, U., Wittchen, H.U. & Schulz, H. (2009). Psychometrische Überprüfung einer verkürzten Version der „Hamburger Module zur Erfassung allgemeiner Aspekte psychosozialer Gesundheit für die therapeutische Praxis (HEALTH-49)“. Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 55,162-179. Rau, J. & Petermann, F. (2008). Motivationsförderung bei chronischen Schmerzpatienten. Der Schmerz, 22, 209-217. Publikationen Best, M., Lange, M., Karpinski, N., Hessel, A., Söpper-Terborg, B., Sieling, W. et al. (2009). Psychosomatische Rehabilitation: Effekte einer prästationären Beratung durch die Rentenversicherung. Die Rehabilitation, 48, 283-287. de Vries, U., Lange, M., Franke, W. & Petermann, F. (2011). Differenzielle Effekte stationärer psychosomatischer Rehabilitation. Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin, 21, 290-295. Karpinski, N., Lange, M., Petermann, F., Hessel, A., Lampe, P. & Best, M. (2009). Einstellung zur psychosomatischen Rehabilitation: Entwicklung eines PatientenFragebogens. Die Rehabilitation, 48, 263-269. Lange, M., Best, M., Hessel, A. & Petermann, F. (2010). Vorbereitung zur psychosomatischen Rehabilitation: Entwicklung eines Patienten-Fragebogens. DRVSchriften, 88, 123-124. Lange, M., Best, M., Hessel, A., Sieling, W. & Petermann, F. (2010). Patientenorientierte Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation. In F. Petermann (Hrsg.), Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation (S. 113-132). Regensburg: Roderer. Lange, M., Franke, W., Hessel, A. & Petermann, F. (2011). Wer profitiert von Vorbereitungsmaßnahmen auf die psychosomatische Rehabilitation? DRV-Schriften, 93, 60-61. Lange, M., Franke, W. & Petermann, F. (2012). Wer profitiert nicht von der psychosomatischen Rehabilitation? Die Rehabilitation, 51, Heft 6.. Lange, M., Karpinski, N., Best, M. & Petermann, F. (2010). Beeinflusst die Beschäftigung mit der Erkrankung die Behandlung von Patienten mit psychosomatischen Störungen? Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 58, 137144. Lange, M. & Petermann, F. (2010). Psychosomatische Rehabilitation. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 58, 207-218. 305 Teil IV: Einrichtungen, Studiengänge und Qualifikationsarbeiten Teil IV: Einrichtungen, Studiengänge und Qualifikationsarbeiten In den folgenden Kapiteln werden • die Einrichtungen im Verantwortungsbereich des ZKPR, • der Masterstudiengang „Klinische Psychologie“ • die Doktorandenkollegs „Klinische Kinderpsychologie“ und „Klinische Psychologie“ • der Norddeutsche Verbund für Kinderverhaltenstherapie • die Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen und • abgeschlossene Promotionen und Habilitationen vorgestellt. 307 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter 1 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter 1.1 Einrichtungen Psychologische Kinderambulanz am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR), Universität Bremen Psychotherapeutische Ambulanz für Kinder und Jugendliche am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR), Universität Bremen Norddeutscher Verbund für Kinderverhaltenstherapie (NOKI) - Ausbildungsstätte zur Erlangung der Approbation zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Universität Bremen Psychotherapeutische Ambulanz für Kinder und Jugendliche am NOKI, Universität Bremen 1.1.1 Organisation Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Prof. Dr. Ulrike Petermann MitarbeiterInnen Dr. Stephanie Ender, Dipl.-Psych. Christin Fischer, Dipl.-Psych. Christina HillebrandtWegener, Dipl.-Psych. Katja Hustedt, Dr. Claus Jacobs, Dr. Anja Lepach, Dipl.-Psych. Lydia T. Linnemann, Dipl.-Psych. Lyuba Kharchenko, Dipl.-Psych. Wiebke Schlagheck, Dr. Sören Schmidt, Dipl.-Psych. Lars Tischler, Dipl.-Psych. Laura Wintjen, Dr. Jan Witthöft Kooperationspartner Prof. Dr. Wolf-Dieter Gerber (Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel), Dr. Gabriele Gerber-von Müller (Ambulanz für Verhaltensprävention in Familien [ViFa] Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel), Prof. Dr. Michael Siniatchkin (Zent309 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter rum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Frankfurt am Main), Prof. Dr. Reiner Hanewinkel (Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, Institut für Therapieforschung [IFT-Nord], Kiel), Vorwerker Fachklinik (Diakonie) für Kinder und Jugendpsychiatrie, Lübeck, Gesundheit Nord Klinikum Bremen-Ost gGmbH, Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Bremen, MediClin MüritzKlinikum GmbH, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Röbel (Müritz), Universitätsklinikum Rostock (Anstalt öffentlichen Rechts), Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter, Rostock, Evangelisch-Lutherische Diakonissenanstalt zu Flensburg, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Flensburg, Klinik für Neuropädiatrie am Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Kiel, Reinhard-Nieter Krankenhaus Städtische Kliniken gGmbH, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Wilhelmshaven, Regio Kliniken GmbH - Klinikum Elmshorn, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Elmshorn, Kinderkrankenhaus Auf der Bult Akademisches Lehrkrankenhaus, Hannover, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Wichernstift gGmbH, Ganderkesee, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Tagesklinik und Institutsambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Bremerhaven, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie der Asklepsios Klinik Hamburg-Harburg, Fachabteilung für Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in der Klinikum Region Hannover Wunstorf GmbH, Wunstorf, Psychiatrische Klinik Lüneburg gemeinnützige GmbH - Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Marienkrankenhaus Papenburg-Aschendorf GmbH Zeitraum Psychologische Kinderambulanz seit 1991 fortlaufend Psychotherapeutische Ambulanz seit 2008 fortlaufend NOKI seit 2011 fortlaufend Psychotherapeutische Ambulanz des NOKI seit 2012 fortlaufend 1.2 Wissenschaftlicher Hintergrund Fast 60 Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden bis zum 21. Lebensjahr an psychischen Problemen. Deutschlandweit leiden 21,9 Prozent unter behandlungsbedürftigen emotionalen- und Verhaltensstörungen (10 Prozent Ängste, 7,6 Prozent Störungen des Sozialverhaltens, 5,4 Prozent Depressionen). Etwa 3 bis 4 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind von einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) betroffen und fast jedes dritte Kind in Deutschland leidet an wiederkehrenden Kopfschmerzen oder Störungen der Atemwege und Hauterkrankungen. Drastisch gestiegen sind zudem Internetsucht und Fettleibigkeit (Adipositas), 310 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter wobei letztere mit einem hohen Diabetesrisiko einhergeht. Im Rahmen der verhaltenstherapeutischen Versorgung ist das Angebot für betroffene Familien jedoch seit Jahrzehnten unzureichend und steht in einem krassen Gegensatz zum Behandlungsbedarf. Monatelange Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz für Kinder und Jugendliche sind für viele verzweifelte Eltern und Kinder häufig Alltagsrealität und gesundheitspolitisch höchstproblematisch. Neben der ambulanten Versorgung, sind dabei auch Universitäten mit entsprechender besonders Expertise gefordert, was am ZKPR zu der Etablierung verschiedener Versorgungs- und Ausbildungseinrichtungen führte, die im Folgenden ausführlicher beschrieben werden. 1.3 Psychologische Kinderambulanz Bereits 1991 wurde mit der Etablierung einer verhaltenstherapeutischen Ambulanz am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen ein wichtiger Schritt zu einer umfassenden Versorgung psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen unternommen. Neben dem Fokus auf internalisierende und externalisierende Störung bietet diese Einrichtung ein breites Versorgungsspektrum, welches neuropsychologische und lerntherapeutische Leistungen gleichermaßen umfasst. Im Einzelnen handelt es sich dabei um • • • • • • • • ausführliche psychometrische (auch computergestützte) Diagnostik, Entwicklungsdiagnostik, Diagnostik und Beratung bei Hochbegabung, Gruppentherapie für aggressive, sozial unsichere und/ oder aufmerksamkeitsgestörte Kinder, neuropsychologisch, verhaltenstherapeutisch und lerntherapeutisch fundierte Therapie von Lese-Rechtschreibstörung und Rechenstörung, neuropsychologische Therapien von Patienten mit Zustand nach SchädelHirn-Verletzungen (auch Erwachsene), Elternberatung und Elterntrainings sowie Begutachtungen bei verschiedenen Fragestellungen (etwa §35a SGBVIII). Die langjährigen diagnostischen und therapeutischen Erfahrungen der Mitarbeiter führten zur Entwicklung und Publikation verschiedener Testdiagnostika (z.B. BASICMLT, Lepach & Petermann, 2008; RZD-2-6, Jacobs & Petermann, 2005) und Therapieprogramme (z.B. Training für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen - ATTENTIONER, Jacobs & Petermann, 2008; Training für Kinder mit Gedächtnisstörungen REMINDER, Lepach & Petermann, 2010; Training für Kinder mit räumlichkonstruktiven Störungen - DIMENSIONER, Muth-Seidel & Petermann, 2008). 311 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter 1.4 Psychotherapeutische Ambulanz für Kinder und Jugendliche Im Jahre 2008 folgte die Ermächtigung der Psychotherapeutischen Ambulanz für Kinder und Jugendliche, die nach § 117 SGB V als Hochschulambulanz für Forschung und Lehre. Als Teil der kassenärztlichen Versorgungeinrichtungen im Lande Bremen nahm die Ambulanz unmittelbar und in einem hohen Umfang psychisch kranke Kinder und Jugendliche auf und konnte eine Versorgung im Rahmen entsprechender Forschungsprojekte gewährleisten. Besondere Behandlungsschwerpunkte liegen in der • • • • Abklärung von Behandlungsbedürftigkeit, Diagnose und Aufklärung über Behandlungsmöglichkeiten, ergänzende Schuleingangsuntersuchung bei Vorschulkindern mit Verdacht auf emotionale und psychosoziale Beeinträchtigungen, Behandlung im Rahmen spezieller Studienprogramme. Im Berichtszeitraum Behandlungsstudien zu emotionalen Störungen im Kindesalter mit Trennungsangst bzw. sozialer Ängstlichkeit, zur Störung des Sozialverhaltens und zur einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, Behandlung im Rahmen von Effectiveness-Studien. Behandlung von psychischen Störungen mit Prä-, Verlaufs- und Postdiagnostik sowie katamnestische Untersuchungen sowie eEpidemiologischen Untersuchungen zu Auftretenshäufigkeit und Auftretensbedingungen psychischer Störungen. Durch Forschungsprojekte werden kontinuierlich Nachweise zur Wirksamkeit der entsprechenden Maßnahmen erbracht und entsprechend publiziert. Dies hat zur Folge, dass seit der Gründung der Einrichtung die Nachfrage zur Teilnahme an den Therapieprogrammen im gesamten norddeutschen Raum kontinuierlich zunimmt. Ein weiteres Merkmal dieser Einrichtung ist die enge Verzahnung der praktischen Arbeit mit den Ausbildungsinhalten in den psychologischen Studiengängen der Universität Bremen (Diplom, Bachelor und Master). So besteht für Studenten innerhalb entsprechender Studienprojekte, die Möglichkeit zur stillen Beobachtung von Diagnostik- und Therapiesitzungen über Einwegscheiben. 1.5 Norddeutscher Verbund für Kinderverhaltenstherapie Im Rahmen einer engen Kooperation mit dem Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie (IMPS) der Universität Kiel wurde ein Ausbildungsgang zur Erlangung der Approbation in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie etabliert. Dies führte zur Gründung des Norddeutschen Verbunds für Kinderverhaltenstherapie (NOKI), welcher im März 2011 als staatlich anerkanntes Ausbildungsinstitut nach § 2 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Kinder- und Jugendlichenpsycho312 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter therapeuten (KJPsychTh-AprV) durch die Senatorische Behörde für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen zugelassen wurde. Die Umsetzung der Ausbildung wird zu gleichen Anteilen in Bremen und Kiel realisiert und ist strukturell und inhaltlich den Vorgaben der KJPsychTh-AprV vom 18. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3761), zuletzt geändert durch Artikel 34b des Gesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2515), unterlegen (s. Tab. 1). Die strukturelle und organisatorische Verwaltung des NOKI erfolgt ausschließlich durch die Universität Bremen. Tabelle 1: Struktur eine KJP-Ausbildung entsprechend der Vorgaben der KJPsychThAprV. Praktische Tätigkeit Theoretische Ausbildung Praktische Ausbildung Selbsterfah- Supervision Freie Spitze rung 1200 Stunden in kinder- und jugendpsychiatrischer psychotherapeutischer klinischer Einrichtung 600 Stunden Unterricht innerhalb der ersten drei Ausbildungsjahre 600 Stunden psychotherapeutische Behandlung 600 Stunden in einer von einem Sozialversicherungsträger anerkannten Einrichtung, die der psychotherapeutischen oder psychosomatischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen dient. 200 Stunden Grundlagenunterricht (Vorcurriculum) 40 Stunden therapeutenzentrierte Selbsterfahrung in der Gruppe 80 Stunden patientenzentrierte Selbsterfahrung in der Gruppe ∑ 1.800 Std ∑ 600 Std ∑ 600 Std ∑ 120 Std Gesamtumfang der Ausbildung: 4.200 Stunden 100 Stunden Supervision in der Gruppe 50 Stunden Einzelsupervision z.B. Arbeitsgruppe (345-500 Std), Fortbildungen in Kliniken, Weiterbildung, Kongresse, Literaturstudium (200 Std), Überhänge aus der Praktischen Tätigkeit, Prüfungsfallvorbereitung (80 Std). ∑ 150 Std ∑ 930 Std Die Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten besteht aus einer praktischen Tätigkeit, einer theoretischen Ausbildung, einer praktischen Ausbildung mit Krankenbehandlung unter Supervision sowie einer Selbsterfahrung, die die Ausbildungsteilnehmer zur Reflexion eigenen therapeutischen Handelns befähigt. Hinzu kommen weitere 930 Stunden, die als „Freie Spitze“ angerechnet werden und die in der Ausbildung geforderten theoretischen und praktischen Anteile inhaltlich ergänzen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Vor- und Nachbereitung der Seminare 313 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter beziehungsweise der Vertiefung von konkreten Themen in Arbeitsgruppen. PädagogInnen (Diplom oder Master) und SozialpädagogInnen (Diplom und Master) sowie diejenigen Berufsgruppen, die entsprechend der Hinweise zu § 5 Abs. II Nr. 2 (KJPsychTh-AprV) zulassungsberechtigt sind absolvieren ein einführendes Spezialcurriculum zur Erarbeitung psychologischer Grundlagen in Entwicklungspsychologie, Lernpsychologie, Kognitionspsychologie und Psychobiologie, das der kinder- und jugendlichenpsychotherapeutischen Ausbildung vorgeschaltet wird. Damit sollen die durch das Psychologiestudium abgedeckten psychologischen Grundlagen ergänzt werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt nehmen knapp 60 Personen an der Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten Teil. Diese verteilen sich auf drei Ausbildungskohorten. Die Vermittlung der theoretischen Ausbildungsanteile erfolgt durch insgesamt 22 Dozenten. Diese wurden auf der Basis ihrer fachlichen Expertise für einen bestimmten Themenkomplex ausgewählt und qualifizieren sich in der Regel zudem durch die Approbation zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie entsprechende Forschungs- und Praxisaktivitäten. 1.6 Literatur Jacobs, C. & Petermann, F. (2005). RZD 2-6 - Rechenfertigkeiten- und Zahlenverarbeitung Diagnostikum für die 2. bis 6. Klasse. Göttingen: Hogrefe. Jacobs, C. & Petermann, F. (2013). Training für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen. Das neuropsychologische Gruppentraining ATTENTIONER (3., überarb. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Lepach, A.C. & Petermann, F. (2008). BASIC-MLT - Battery for Assessment in Children - Merk- und Lernfähigkeitstest für 6- bis 16-Jährige. Bern: Huber. Lepach, A.C. & Petermann, F. (2010). Training für Kinder mit Gedächtnisstörungen. Das neuropsychologische Einzeltraining REMINDER (2., überarb. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Muth-Seidel, D. & Petermann, F. (2008). Training für Kinder mit räumlich-konstruktiven Störungen Das neuropsychologische Einzeltraining DIMENSIONER II. Göttingen: Hogrefe. Publikationen Gerber-von Müller, G., Petermann, U., Petermann, F., Niederberger, U., Stephani, U., Siniatchkin, M. et al. (2009). Das ADHS-Summercamp - Entwicklung und Evaluation eines multimodalen Programms. Kindheit und Entwicklung, 18, 162-172. Gerber, W.-D., Gerber-von Müller, G., Andrasik, F., Niederberger, U., Siniatchkin, M., Kowalski, J.T. et al. (2012). The impact of a multimodal summer camp training on neuropsychological functioning in children and adolescents with ADHD: An 314 Psychotherapeutische Einrichtungen - Kindes- und Jugendalter exploratory study. Child Neuropsychology, 18, 242-255. Möller, C. & Petermann, U. (2011). Kurz- und langfristige Effekte des Trainings mit sozial unsicheren Kindern. Verhaltenstherapie, 21, 15-22. Ortbandt, C. & Petermann, U. (2009). Effekte des Trainings mit sozial unsicheren Kindern. Kindheit und Entwicklung, 18, 21-29. Petermann, U. Nitkowski, D., Polchow, D., Pätel, J., Roos, S., Kanz, F.-J. et al. Langfristige Effekte des Trainings mit aggressiven Kindern. Kindheit und Entwicklung, 16, 143-151. Petermann, U., Petermann, F., Büttner, P., Krause-Leipoldt, K. & Nitkowski, D. (2008). Effektivität kinderverhaltenstherapeutischer Maßnahmen in der Jugendhilfe: Das Training mit aggressiven Kindern. Verhaltenstherapie, 18, 101-108. Toussaint, A., Petermann, F., Schmidt, S., Petermann, U., Gerber-von Müller, G., Sinatchkin, M. et al. (2011). Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Maßnahmen auf die Aufmerksamkeits- und Exekutivfunktionen bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 59, 25-36. Schmidt, S., Ender, S., Schultheiß, J., Gerber-von Müller, G., Gerber, W. D., Steinmann, E. et al. (2012). Das ADHS-Camp: Langzeiteffekte einer intensivverhaltenstherapeutischen Maßnahme bei Kindern mit ADHS. Kindheit und Entwicklung, 21, 90-102. Siniatchkin, M., Glatthaar, N., von Müller, G., Prehn-Kristensen, A., Wolff, S., Knöchel, S. et al. (2012). Behavioural treatment increases activity in the cognitive neuronal networks in children with attention deficit/hyperactivity disorder. Brain Topography, 25, 332-344. 315 Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie 2 Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, Institut Bremen 2.1 Modelleinrichtungen Psychotherapeutische Ambulanz (ZKPR) der Universität Bremen im Bereich Psychologische Psychotherapie im Erwachsenenalter 2.1.1 Organisation Leitung Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Franz Petermann Instituts- und Ambulanzleitung: Dipl.-Psych. Thomas Lang Mitarbeiterinnen Dr. Anne Kordt, Dipl. Psych. Maxie von Auer, Dr. Sylvia Helbig-Lang Kooperationspartner Universität Münster (Klinische Psychologie) und Universitätsklinikum Münster (Psychiatrie); Institut für Psychologische Psychotherapieausbildung der Universität Münster; Universität Bielefeld (Klinische Psychologie); Institut für Psychologische Psychotherapieausbildung Universität Bielefeld; Institut für Psychologische Psychotherapieausbildung Halle; Institute der Christoph-Dornier-Stiftung in Münster, Bielefeld, Tübingen, Köln; Zentrum für Psychotherapie der Humboldt Universität Berlin (ZPHU), Charité Berlin (Psychiatrische Klinik) und Freie Universität Berlin (Klinische Psychologie); Universitätsklinikum Lübeck; Universität Hamburg (Klinische Psychologie); Universität Würzburg (Klinische Psychologie und Psychophysiologie) und Universitätsklinikum Würzburg (Psychiatrie); Universität Frankfurt (Klinische Psychologie); Universitätsklinikum Aachen (Klinik für Psychiatrie); Universität Marburg (Klinische Psychologie) und Universitätsklinikum Marburg (Klinik für Psychiatrie), Universität Braunschweig (Klinische Psychologie), Universität Greifswald (Klinische Psychologie und Psychophysiologie), Universität zu Köln (Klinische Psychologie), Technische Universität Dresden (Klinische Psychologie und Psychotherapie), Universität Mannheim (Klinische Psychologie) 317 Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie 2.2 Wissenschaftlicher Hintergrund Stiftungszweck der Christoph-Dornier-Stiftung ist die Förderung der Klinischen Psychologie in Wissenschaft und Praxis. Zur Erfüllung ihres Stiftungszweckes baut die Christoph-Dornier-Stiftung Modellambulanzen an Universitäten auf und unterstützt diese mit Knowhow, Personal- und Sachmitteln. Die Christoph-Dornier-Stiftung baute bisher solche Modellambulanzen an folgenden deutschen Universitäten auf: Bielefeld, Braunschweig, Köln, Münster, Dresden, Tübingen, Düsseldorf und seit 2007 Bremen. Grundlage der Zusammenarbeit zwischen der Universität Bremen und der Christoph-Dornier-Stiftung bildet ein Kooperationsvertrag vom 01.03.2007. In diesem wurde festgelegt, dass die Christoph-Dornier-Stiftung zur Förderung der Klinischen Psychologie an der Universität Bremen ein Therapiezentrum einrichten und betreiben wird. Entsprechend wurden ab 2007 die folgenden Einrichtungen durch die Christoph-Dornier-Stiftung aufgebaut: 2.3 Hochschulambulanz für Forschung und Lehre Die Psychotherapeutische Ambulanz (ZKPR) der Universität Bremen, Bereich Psychologische Psychotherapie im Erwachsenenalter wurde 2008 gegründet und von der Christoph-Dornier-Stiftung mit Personal- und Sachmitteln ausgestattet. Neben der Anmietung und Einrichtung der Räumlichkeiten mit Möbeln und notwendiger Technik wurden Promotionsstipendien an Diplom-Psychologen mit dem Vertiefungsfach Klinische Psychologie vergeben sowie eine Ambulanz- und Institutsleitungsstelle eingerichtet. Aufgrund der durch die Christoph-Dornier-Stiftung eingebrachten Expertise in der Behandlung von Angst- und Zwangsstörungen gelang es bereits kurz nach der Ermächtigung der Forschungs- und Lehrambulanz zur Patientenbehandlung, die Ambulanz als Behandlungszentrum des vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung geförderten Paniknetzes zu etablieren. Dadurch wurde die Ambulanz Teil der bisher Weltweit größten Studie zu Veränderungsmechanismen bei Panikstörung und Agoraphobie. Der Einbezug in diese Studie bildet im Bereich der Panikforschung auch eine zentrale Entwicklungslinie der Ambulanz in verschiedensten Bereichen wie Lehre, Forschung, Patientenbehandlung aber auch im Hinblick auf Kooperationen und Weiterentwicklungen von Behandlungsstrategien. So wurde die Ambulanz über Bremen hinaus sowohl für Betroffene als auch für Ärzte, Kliniken, Psychotherapeuten und Medien eine wichtige Anlaufstelle für Informations- und Behandlungsanfragen. Allein im Bereich Panikstörung wurden bisher 415 Patienten im Rahmen von Studien untersucht und behandelt. Neben dem Forschungsschwerpunkt Panikstörung und Agoraphobie gehören Forschungsarbeiten in den Bereichen Epidemiologie, Diagnostik (insbesondere verhaltensbezogene Diagnostik mittels Ecological Momentary Assessment, EMA) sowie die Therapieprozessforschung zu den Schwerpunkten der Ambulanz. 318 Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie 2.4 Modellambulanz der Christoph-Dornier-Stiftung, Institut Bremen In der Modellambulanz werden Intensivbehandlungen von ein bis zwei Wochen durchgeführt, die einer tagesklinischen Betreuung nahe kommen. Dieses weltweit einmalige Konzept erlaubt eine schnelle und kompakte Behandlung bestimmter psychischer Störungen - wobei therapeutische Praxis und wissenschaftliche Erkenntnisse die Grundlage der Behandlungsplanung darstellen. Entsprechend wird diese Spezialform der Behandlung auch von Patienten aus dem In- und Ausland, aber auch von international tätigen Konzernen für ihre Mitarbeiter nachgefragt. Entsprechend des Stiftungszweckes werden die Intensivbehandlungen wissenschaftlich begleitet. Zur Förderung von Wissenschaft und Praxis im Bereich der Klinischen Psychologie gehört auch der Aspekt Öffentlichkeitsarbeit. Neben Fachveröffentlichungen und Kongressbeiträgen wurden durch die Ambulanzmitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch Vorträge in Selbsthilfegruppen, Fernseh- und Radiobeiträge sowie Artikel in der regionalen und überregionalen Presse realisiert. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurde gemeinsam mit dem AMEOS Klinikum Dr. Heines das Bremer Symposium für Psychiatrie und Klinische Psychologie ins Leben gerufen, das 2012 zum fünften Mal stattfand. Dort werden aktuelle Themen der Klinischen Psychologie aus Forschungs- und Praxisperspektive im Rahmen von Vorträgen einer breiten Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht. Durch die enge Verknüpfung der verschiedenen Einrichtungen der ChristophDornier-Stiftung für Klinische Psychologie und der damit verbundenen Synergieeffekte bieten die Einrichtungen eine Plattform für Forschung und Lehre auf internationalem Niveau. Publikationen Emmrich, A., Beesdo-Baum, K., Gloster, A. T., Knappe, S., Höfler, M., Arolt, V. et al. (2012). Depression does not affect the treatment outcome of CBT for panic and agoraphobia: Results from a multicenter randomized trial. Psychotherapy and Psychosomatics, 81, 161-172. Gloster, A.T., Wittchen, H.-U., Einsle, F., Höfler, M., Lang, T., Helbig-Lang, S. et al. (2009). Mechanism of action in CBT (MAC): Methods of a multi-center randomized controlled trial in 369 patients with panic disorder and agoraphobia. European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience, 259, 155-166. Gloster, A.T., Wittchen, H.-U., Einsle, F., Lang, T., Helbig-Lang, S., Fydrich, T. et al. (2011). Psychological treatment for panic disorder with agoraphobia: A randomized controlled trial to examine the role of therapist-guided exposure in situ in CBT. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 79, 406-420. Helbig-Lang, S., Cammin, S. & Petermann, F. (2011). Angstbezogene Verhaltenswei319 Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie sen in einer nicht-klinischen Stichprobe: Geschlechtsspezifische Zusammenhänge zu Risikofaktoren für Angststörungen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 59, 145-154. Helbig-Lang, S., Hagestedt, D., Lang, T. & Petermann, F. (2012). Therapeutische Hausaufgaben in der klinischen Praxis: Einsatz, Erledigung und Beziehungen zum Therapieverlauf. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 60, 111-119. Helbig-Lang, S., Lang, T., Petermann, F. & Hoyer, J.(2012). Anticipatory anxiety as a function of panic attacks and panic-related self-efficacy: An ambulatory assessment study in panic disorder. Behavioural and Cognitive Psychotherapy, 40, 590-604. Helbig, S., Lang, T., Swendsen, J., Hoyer, J. & Wittchen, H.-U. (2009). Implementierung, Akzeptanz und Informationsgehalt eines Ecological Momentary Assessment (EMA)-Ansatzes bei Patienten mit Panikstörung und Agoraphobie. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 38, 108-117. Helbig-Lang, S. & Petermann, F. (2009). Gibt es die Panikstörung im Kindesalter? Kindheit und Entwicklung, 18, 122-129. Helbig-Lang, S. & Petermann, F. (2009). Innovative Ansätze in der klinischen Angstdiagnostik. Verhaltenstherapie, 19, 145-151. Helbig-Lang, S. & Petermann, F. (2009). Zum empirischen Aussagegehalt des Konzepts "Chronische Depression". Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 57, 235-243. Helbig-Lang, S. & Petermann, F. (2010). Hausaufgaben in der Psychotherapie. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 60, 89-91. Helbig-Lang, S. & Petermann, F. (2010). Safety behaviors across anxiety disorders: Tolerate or eliminate? Science and Practice, 17, 218-233. Kämpfe, C.K., Gloster, A.T., Wittchen, H.-U., Helbig-Lang, S., Lang, T., Gerlach, A.L. et al. (2012). Experiential avoidance and anxiety sensitivity in patients with panic disorder and agoraphobia: Do both constructs measure the same? International Journal of Clinical and Health Psychology, 12, 5-22. Lang, T., Helbig-Lang, S, Gloster, A.T., Richter, J., Hamm, A.O., Fehm, L. et al. (2012). Effekte therapeutenbegleiteter versus patientengeleiteter Exposition bei Panikstörung mit Agoraphobie. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 41, 114-124. Lang, T., Helbig-Lang, S. & Petermann, F. (2009). Was wirkt in der Kognitiven Verhaltenstherapie der Panikstörung mit Agoraphobie? Ein systematisches Review. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 57, 161-175. Lang, T., Helbig-Lang, S., Westphal, D., Gloster, A.T. & Wittchen, H.-U. (2012). Expositionsbasierte Therapie der Panikstörung mit Agoraphobie. Ein Behandlungsmanual. Göttingen: Hogrefe. Ley, P., Helbig-Lang, S., Czilwik, S., Lang, T., Worlitz, A., Brücher, K. et al. (2011). Phenomenological differences between acute and chronic forms of major 320 Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie depression in inpatients. Nordic Journal of Psychiatry, 65, 330-337. Ley, P., Helbig-Lang, S. & Petermann, F. (2009). Kann man chronische Depressionen effektiv psychotherapeutisch behandeln? Evidenzbasierung psychotherapeutischer Ansätze. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 57, 253-263. Lueken, U., Muehlhan, M., Wittchen, H.-U., Kellermann, T., Reinhardt, I., Konrad, C. et al. (2011). (Don´t) panic in the scanner! How panic patients with agoraphobia experience a functional magnetic resonance imaging session. European Neuropsychopharmacology, 21, 516-525. Petermann, F. & Lang, T. (2009). Angststörungen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 57, 147-148. Richter, J., Hamm, A. O., Pané-Farré, C.A., Gerlach, A.L., Gloster, A.T., Wittchen, H.U. et al. (2012). Dynamics of defensive reactivity in patients with panic disorder and agoraphobia: Implications for the etiology of panic disorder. Biological Psychiatry, 72, 512-520. Von Auer, M., Neubauer, K., Murray, E., Petermann, F., Gerlach, A.L. & Helbig-Lang, S. (2011). Alles eine Frage der Aufmerksamkeit? Übersicht zu den Effekten der computergestützten Modifikation von Aufmerksamkeitsverzerrungen auf Ängstlichkeit und Angststörungen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 59, 213-255. 321 Masterstudiengang: Klinische Psychologie 3 Masterstudiengang: Klinische Psychologie (Master of Science) 3.1 Organisation Hochschullehrer Prof. Dr. Franz Petermann Prof. Dr. Ute Koglin Prof. Dr. Ulrike Petermann Prof. Dr. Hans-Christian Waldmann N.N. Professur für Klinische Psychologie des Erwachsenenalters PD Dr. Peter Büttner PD Dr. Monika Daseking PD Dr. Axel Kobelt PD Dr. Christiane Lange-Küttner PD Dr. Meinolf Noeker Eckdaten Fachwissenschaftliche Zuordnung: Psychologie Regelstudienzeit: 4 Semester Anzahl der ECTS-Credits: 120 Studiengebühren: keine Studienform: Vollzeit 3.2 Module Pflichtbereich 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Grundlagen der Klinischen Psychologie Statistik und Forschungsmethoden Klinische Diagnostik Spezielle Grundlagen der Klinischen Psychologie: Biologische und Entwicklungspsychologie Klinische Neuropsychologie Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters I: Störungen und Modelle Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters II: Anwendungen Wahlpflichtmodul: Gesundheitspsychologie / Klinische Psychologie des Erwachsenenalters / Rehabilitationspsychologie Praktikum Master-Arbeit 323 Masterstudiengang: Klinische Psychologie Wahlpflichtbereich Das Modul 8 ist ein Wahlpflichtmodul, das eine freie Setzung des dritten Studienschwerpunkts ermöglicht. Ausgewählt können zwei von drei Vertiefungsschwerpunkten aus den Anwendungsbereichen Gesundheitspsychologie, Klinische Psychologie des Erwachsenenalters und Rehabilitationspsychologie. 3.3 Ziele Die Klinische Psychologie stellt seit Jahrzehnten das größte und wichtigste Anwendungsgebiet der Psychologie dar. Sie beschäftigt sich in ihrem Schwerpunkt mit psychosozialen Problemen, Auffälligkeiten und Störungen des Menschen über die gesamte Lebensspanne hinweg. Darüber hinaus befasst sich die Klinische Psychologie auch mit den psychischen Aspekten körperlicher Erkrankungen und den Folgen besonderer Belastungen und Krisen, die zu Anpassungsproblemen und psychischen Schwierigkeiten führen können. Psychische Probleme sind in allen Alters- und Gesellschaftsgruppen weit verbreitet. Laut Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählen psychische Störungen, wie zum Beispiel Depressionen, Alkoholmissbrauch, Schizophrenie oder Angststörungen, weltweit zu den häufigsten und schwerwiegendsten Ursachen für ein Leben mit alltäglichen Beeinträchtigungen. Die individuelle und gesellschaftliche Bedeutung vieler psychischer Störungen ist dabei größer als die verschiedener schwerer körperlicher Erkrankungen, Verletzungen oder Unfälle. Auch unter Kindern und Jugendlichen haben unterschiedliche Auffälligkeiten und Probleme, wie etwa aggressives Verhalten, ADHS, Suizidalität oder Drogenkonsum zunehmend an öffentlichem Interesse und Bedeutung gewonnen. Berufliche Perspektiven: Tätigkeitsfelder Klinischer Psychologinnen und Psychologen Die Mehrheit aller Diplom-Psychologinnen und -Psychologen in Deutschland arbeitet in einem klinischen Berufsfeld. Das Berufsfeld beinhaltet eine große Bandbreite möglicher Tätigkeiten, denen die Beschäftigung mit psychischen Störungen, ihren Folgen oder ihrer Verhütung gemeinsam ist. Der Master „Klinische Psychologie“ qualifiziert damit zum einen für Tätigkeiten in der Forschung an Universitäten sowie außeruniversitären Einrichtungen (z.B. Max-Planck-Institute, Helmholtz-Institute, Leibniz-Institute) und insbesondere zur beruflichen Weiterqualifikation (Promotion). Zum anderen bestehen mit dem Abschluss des Masters zahlreiche Möglichkeiten für eine selbständige oder angestellte Tätigkeit. Darüber hinaus bildet „eine im Inland an einer Universität oder gleichstehender Hochschule bestandene Abschlussprüfung im Studiengang Psychologie, die das Fach Klinische Psychologie einschließt 324 Masterstudiengang: Klinische Psychologie […]" (§ 5 des PsychThG) die Voraussetzung für den Zugang zu einer Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten. Dies bedeutet, dass der Studienabschluss die Klinische Psychologie als den Schwerpunkt ausweisen muss, damit die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind. Das 1999 in Kraft getretene „Psychotherapeutengesetz“ (PsychThG) bildet die Grundlage für die Integration nicht-ärztlicher Psychotherapeuten in die vertragsärztliche psycho-therapeutische Versorgung. Hierdurch wurde neben dem medizinischen ein zweiter, gleichberechtigter Heilberuf geschaffen. Nach dem PsychThG ist die Berufsbezeichnung Psychologischer Psychotherapeut geschützt und darf nur von Diplom-Psychologen bzw. mit einem Master im Fach Psychologie nach einer umfassenden fachlichen Weiterbildung geführt werden. Psychologen mit diesen Abschlüssen können sich nach dem Studium in einem wissenschaftlich anerkannten Verfahren zum „Psychologischen Psychotherapeuten“ oder „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten“ weiterbilden. Dies berechtigt sie zur selbständigen Ausübung heilkundlicher Psychotherapie und ist Voraussetzung zur kassenärztlichen Abrechnung entsprechend dem Niederlassungsgesetz. 3.4 Konzept Das Studium im Master of Science „Klinische Psychologie“ ist in drei thematische Blöcke mit insgesamt zehn Modulen unterteilt: • Grundlagenveranstaltungen: Grundlagen der Klinischen Psychologie, Forschungsmethodik und Diagnostik (Module 1-4) • Anwendungsbezogene Veranstaltungen: Störungsbezogenes Wissen, Prävention, Intervention und Rehabilitation bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (Module 5-8) • Praxisbezug: Praktikum und Masterabschlussarbeit (Module 9 und 10) Das Studium dieser Module erfordert explizite Vorkenntnisse in der Klinischen Psychologie und/oder Klinischen Kinderpsychologie, die in einem Bachelor-Studium der Psychologie erworben werden müssen (im Umfang von 15 CP). So sollten die grundlegenden Methoden der psychologischen Diagnostik exemplarisch bekannt sein (z. B. Exploration, Anamnese, Gesprächsführung, Befunderstellung). Der Umgang mit klinisch-diagnostischen Instrumenten (wie z. B. Interviews, Fragebögen, psychometrische Tests) sollte erlernt sein und Kenntnisse der aktuellen Klassifikationssysteme psychischer Störungen (zurzeit ICD-10, DSM-IV-TR) vorliegen. 325 Masterstudiengang: Klinische Psychologie 3.5 Erreichung der Studiengangsziele Der Studiengang widmet sich in zwei Unterrichtssäulen: • den allgemeinen Grundlagen und Methoden sowie der Diagnostik in der Klinischen Psychologie und • den Anwendungsgebieten mit dem Schwerpunkt „Klinische Kinderpsychologie“ Durch die umfangreichen Forschungsprojekte und -felder und der räumlichen Nähe der o.a. Kooperationspartner ist ein enger und direkter Bezug zu aktuellen wissenschaftlichen Inhalten und therapeutischen Praktiken gegeben. Dabei findet auch eine direkte Betreuung der frühen Praxisphasen im Masterstudiengang durch die Verzahnung der Mitarbeiter der Kooperationseinrichtungen mit dem Lehrstuhl statt. 3.6 Lernziele, Modularisierung, ECTS Modularisierung. Der Studiengang ist vollständig modularisiert. Die Module sind mehrheitlich über ein Studiensemester angelegt und widmen sich abgeschlossenen Themengebieten und Inhalten. Es wird empfohlen, die Module in der vorgesehenen zeitlichen Reihenfolge zu studieren, da die erlernten Fähigkeiten und Kompetenzen (z.B. in den Grundlagenmodulen) das Studium der anwendungsorientierten klinischen Module wesentlich erleichtern. Die Grundlagenmodule überlappen sich zum Teil im 2. Fachsemester mit den dort beginnenden anwendungsbezogenen Modulen, so dass Querbezüge zwischen den Modulen hergestellt werden können und eine multidisziplinäre Sicht- und Arbeitsweise gefördert wird. Neben den Pflichtmodulen bietet der Master ein Wahlpflichtmodul (Modul 8) in dem die Studierenden zwei weitere Anwendungsschwerpunkte neben der Klinischen Psychologie im Kindes- und Jugendalter vertiefen können. Dabei stehen die Module „Gesundheitspsychologie“, „Klinische Psychologie des Erwachsenenalters“ sowie „Rehabilitation“ als wesentliche Anwendungsgebiete der Klinischen Psychologie zur Auswahl. Damit besteht die Möglichkeit, eine breite Qualifikation im Bereich Klinischer Psychologie zu erwerben, die gute Voraussetzungen für eine spätere Tätigkeit in vielfältigen Berufsfeldern bietet. Aus den beschriebenen Aufgaben der Klinischen Psychologie ergibt sich, dass im Studium der Klinischen Psychologie verschiedene Inhalte bearbeitet werden. Dazu gehören der Erwerb theoretischer Grundlagen und die kritische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung, die Beschäftigung mit klinisch-diagnostischen und interventionsbezogenen Basiskompetenzen und praktischen Methoden und die Reflektion der eigenen Rolle in einer möglichen beruflichen Zukunft im Bereich der Klinischen Psychologie. 326 Masterstudiengang: Klinische Psychologie Praxisbezogene Kompetenzen und Methoden umfassen grundlegende Aspekte, wie den Einsatz und die Auswertung diagnostischer Instrumente, die Anwendung klinisch-psychologischer Basisinterventionen sowie die Planung und Durchführung von Evaluations- vorhaben. Für die Beschäftigung mit entsprechenden Methoden und Basiskompetenzen eignen sich v. a. feste Lerngruppen, die möglichst früh im Rahmen des Studiums etabliert werden sollen oder praxisbezogene Seminare, in denen verstärkt praktische und interaktive Lernformen, wie Rollenspiele verwirklicht werden können. Bei der Durchführung kleinerer, klinisch-psychologischer Forschungsvorhaben kann zudem eine vertiefte Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden in der klinischen Praxis erfolgen. Schwerpunkt Klinische Kinderpsychologie und -psychotherapie. Einen besonderen Schwerpunkt in Forschung und Lehre am Studiengang Psychologie der Universität Bremen stellt die Klinische Kinderpsychologie und -psychotherapie dar (vertreten durch Frau Prof. Dr. U. Petermann). Das gegebene Studienangebot und seine spezielle Ausrichtung bieten die Möglichkeit, sich vertiefte Kompetenzen in diesem Bereich und besondere Voraussetzungen für eine entsprechende spätere Berufstätigkeit anzueignen. Der Schwerpunkt Klinische Kinderpsychologie ist interdisziplinär ausgerichtet, verhaltenstherapeutisch orientiert und den aktuellen Befunden der wissenschaftlichen Forschung verpflichtet. An der Schnittstelle zwischen Entwicklungspsychologie und Klinischer Psychologie finden sich unter anderem Forschungsund Lehrinhalte in den verschiedenen Anwendungsbereichen Prävention und Gesundheitsförderung (z.B. Prävention von Verhaltensstörungen im Kindergarten und in der Schule), Kinderpsychotherapie (z.B. Training mit aggressiven Kinder, Training mit sozial unsicheren Kindern, Training mit Jugendlichen) und Kinderrehabilitation (z.B. eltern- und kindbezogene Beratungs- und Trainingsangebote bei Diabetes, Asthma oder Übergewicht und im Bereich Entwicklungsstörungen). 3.7 Lernkontext Lehr- und Lernformen, die im Studium zum Einsatz kommen, sind vielfältig, um dem Anspruch gerecht zu werden, umfassendes Theoriewissen zu vermitteln und ebenso Handlungskompetenz - vor dem Hintergrund der übergeordneten Zielsetzung einer Verbindung von Theorie, Methodik und Anwendungsbezug. Insofern finden sich in den einzelnen Modulen u.a. von den Lehrenden gehaltene Vorlesungen, von den Studierenden mit eigenen Beiträgen gestaltete Seminare, selbstständiges Erarbeiten fachlicher Inhalte im Selbststudium unter begleitender Beratung durch die Lehrenden oder das Arbeiten in Teams z.B. im Rahmen von Projektarbeiten. 327 Masterstudiengang: Klinische Psychologie 3.8 Exemplarische Modulbeschreibung Modul 1 Modulbezeichnung Modulverantwortlicher Dazugehörige Lehrveranstaltungen, Veranstaltungsformen und SWS Pflicht/ Wahlpflicht Zuordnung zum Studienprogramm Dauer/Lage des Moduls Arbeitsaufwand (workload) / Berechnung der Kreditpunkte Grundlagen der Klinischen Psychologie (GL 1) 9 CP Prof Dr. Franz Petermann Grundlagen der Klinischen Psychologie, 2 SWS, Vorlesung Perspektiven der Klinischen Psychologie, 3 SWS, Seminar Pflichtmodul MSc. Psychologie Einsemestriges Modul im 1. Fachsemester Vorlesung 1. Sem 3 CP Präsenzzeit (14 x 2 SWS): 28 Arbeitsstunden Vor- und Nachbereitung: 30 Arbeitsstunden Erstellung und Ergänzung Wissensspeicher: 32 Arbeitsstunden gesamt: 90 Arbeitsstunden Seminar 1. Sem. 5 CP Präsenzzeit (14 x 3 SWS): 42 Arbeitsstunden Übungen in Kleingruppen: 50 Arbeitsstunden Kurzreferat: 30 Arbeitsstunden Selbststudium: 28 Arbeitsstunden gesamt: 180 Arbeitsstunden Prüfungsvorbereitung 1 CP: 30 Arbeitsstunden Zusammen 9 CP 270 Arbeitsstunden Voraussetzungen Zulassung zum Studiengang MSc. Psychologie Häufigkeit Jährlich zum Wintersemester Sprache Deutsch und Englisch Lernziele/Kompetenzen (Learning Outcome) • Definitionen von (psychischer) Gesundheit und Krankheit • Faktoren des allgemeinen Diathese-Stress-Modells psychischer Störungen, inklusive genetischer Faktoren, biochemischer und neuropsychologischer Abläufe, sozialpsychologischer Faktoren, intrapsychischer Unterschiede sowie individueller Lernerfahrungen • Wichtige Ätiologiemodelle der Klinischen Psychologie • Klassifikationsansätze für psychische Störungen • Systematik und Ansatzpunkte psychologischer Interventionen in den Bereichen Prävention, Therapie und Rehabilitation • Weitere Anwendungsfelder der Klinischen Psychologie Inhalte Vgl. Beschreibung der Lehrveranstaltungen Prüfungsleistungen Klausur 328 Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie 4 Doktorandenkolleg: Klinische Kinderpsychologie (2006 - 2011) 4.1 Allgemeine Angaben Sprecher Prof. Dr. Franz Petermann Kollegkoordination Prof. Dr. Ute Koglin (bis 31.10.2010) Dr. Anne Toussaint (seit 01.11.2010) Laufzeit 01.09.2006 - 31.03.2011 StipendiatInnen Julia Danielsson, Linda Pauline Fröhlich, Johanna Helmsen, Julia Kastner, Christine Ortbandt, Stefan Rücker, Lars Tischler, Jan Witthöft 4.2 Hintergrund Das Doktorandenkolleg „Klinische Kinderpsychologie“ wurde im September 2006 am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) der Universität Bremen initiiert. Das Forschungsprogramm des Doktorandenkollegs „Klinische Kinderpsychologie“ beinhaltet Themenstellungen aus den beiden Schwerpunkten • • Entwicklungs- und Intelligenzdiagnostik sowie Diagnostik und Intervention bei Verhaltensstörungen. Diese Bereiche stellen auch die Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte des Zentrums für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR) dar. Innerhalb des Kollegs konnten acht Doktorandenstipendien vergeben werden. Im Laufe der Jahre gab es innerhalb des Kollegs einige personelle Änderungen sowohl auf Seiten der StipendiatInnen als auch auf bei der Kollegkoordination (vgl. Tab. 2). Frau Dr. Ute Koglin trat im Juni 2007 die Nachfolge von Frau Dr. Judith Barmer als Kollegkoordinatorin an. 329 Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie 4.3 Forschungsprogramm des Doktorandenkollegs Die Klinische Kinderpsychologie entstand als Teildisziplin der Psychologie an der Schnittstelle zwischen Klinischer Psychologie und Entwicklungspsychologie. In Abgrenzung zur Entwicklungspsychologie, die sich mit der normalen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beschäftigt, untersucht die Klinische Kinderpsychologie die Entstehung und Auswirkungen von psychischen Störungen. Die Fragestellungen aus dem Bereich der Klinischen Kinderpsychologie nehmen Bezug auf die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche in ihrem Entwicklungsverlauf altersspezifische Aufgaben und Anforderungen bewältigen müssen und zudem von ihren erwachsenen Bezugspersonen abhängig sind. Aus diesen Konstellationen ergeben sich spezifische Fragestellungen, mit denen sich die Klinische Psychologie des Erwachsenenalters nicht auseinandersetzen muss. Im Folgenden werden einige Fragestellungen beispielhaft aufgelistet. • • • • Welche Merkmale bilden Frühindikatoren für psychische Störungen und wie früh kann man solche „Vorläufer“ zuverlässig bestimmen? Welche entwicklungs- bzw. altersbedingten Vulnerabilitäten kennzeichnen die frühe Entwicklung eines Kindes und aufgrund welcher Mechanismen treten Entwicklungsabweichungen auf? Von welchen Bedingungen hängt die psychische Widerstandsfähigkeit eines Kindes im Kontext der Alltags-, Krankheits- und Krisenbewältigung ab? Welche Faktoren bestimmen das Belastungsempfinden und die Bewältigungskompetenz eines Kindes und wie wird dies durch familiäre Prozesse moderiert? Diese und ähnliche Fragestellungen wurden im Rahmen des Kollegs spezifiziert und bearbeitet. Die Klinische Kinderpsychologie wendet sich gemeinsam mit ihren Nachbardisziplinen vor allem der Ätiologieforschung, der Diagnostik und der Intervention zu. Für die Anwendungsgebiete lassen sich die folgenden Bereiche unterscheiden: • • • • • Prävention und Gesundheitsförderung im Kindesalter Klinische Kinderneuropsychologie Pädiatrische Psychologie Kinderpsychotherapie Kinderrehabilitation Den StipendiatInnen wurde eine theoretische und empirische Fundierung ihrer Arbeit auf Basis dieser Schwerpunkte ermöglicht, wobei gleichzeitig ein Praxisbezug hergestellt wurde. Durch den Praxistransfer hatten die StipendiatInnen die Möglichkeit, Fertigkeiten und Kompetenzen zur diagnostischen oder therapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aufzubauen. Hierzu wurde den StipendiatInnen je nach inhaltlicher Ausrichtung die Möglichkeit zur aktiven Mitarbeit oder Hospita330 Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie tion in der Klinischen Kinderambulanz, der Hochschulambulanz für Forschung und Lehre oder an anderen Kliniken eingeräumt. Durch die Ausgestaltung des Studienprogramms sollten die StipendiatInnen zum selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten geführt werden. Es wurden Fertigkeiten und Kompetenzen vermittelt, die von praktischen Herangehensweisen bei der Organisation eines Forschungsprojekts (z. B. Bahnung von Kooperationen, Stichprobenrekrutierung) bis hin zur wissenschaftlichen Publikation führten. Die StipendiatInnen wurden dabei unterstützt, eine unabhängige Einschätzung wissenschaftlicher Befunde zu erlangen und diese kritisch zu diskutieren. 4.4 Studienprogramm des Kollegs Nachdem vor allem in der Anfangsphase des Kollegs einige personelle Veränderungen stattfanden, im Zuge derer einige freie Stellen später neu besetzt wurden, wiesen die StipendiatInnen nicht zu jedem Zeitpunkt den gleichen Wissens- und Forschungsstand auf. Die Studienangebote wurden daher in einem flexiblen Baukastensystem angeboten, indem zum Teil verbindliche, aber auch individuell zugeschnittene Pflicht- oder Wahlveranstaltungen angeboten wurden. Auch die inhaltliche Ausgestaltung der einzelnen Fragestellungen veränderte sich durch die Rückmeldungen der StipendiatInnen sowie durch aktuelle Anforderungen der Forschungsvorhaben im Laufe der Zeit. Es konnten alle StipendiatInnen des Kollegs ihre Forschungsprojekte erfolgreich abschließen und ihre Dissertationen fertig stellen. Die Promotionsverfahren sind bis auf eine Ausnahme abgeschlossen. Auch die Kollegkoordinatorin Frau Prof. Dr. Ute Koglin wurde Ende 2011 im FB 11 habilitiert. Die StipendiatInnen wurden nach der inhaltlichen Ausrichtung ihrer Arbeit verschiedenen Arbeitsgruppen des ZKPR zugeordnet. Dadurch wurde gewährleistet, dass ein regelmäßiger und intensiver Austausch zwischen Wissenschaftlern mit ähnlichen Fragestellungen stattfand. Die Arbeitsgruppen wurden angeleitet durch • Gruppe A: Frau Prof. Dr. Ulrike Petermann: Klinische Kinderpsychologie • Gruppe B: Frau PD Dr. Monika Daseking: Testentwicklung • Gruppe C: Frau Dr. Ute Koglin: Prävention und Verhaltenstrainings Die Doktoranden nahmen an Methoden- und Statistikfortbildungen von Herrn Prof. Dr. H.-C. Waldmann teil, die sie befähigen, selbstständig und korrekt mit Daten umzugehen; dazu gehörten die Themen Datenkodierung, Datenbanken, Umgang mit Missing Values in Datensätzen sowie explorative Datenanalyse mit SPSS. Damit wurden Grundalgen abgedeckt, die notwendige Voraussetzung für die Datenaufbereitung und erste Auswertungen sind und die Datenqualität entscheidend beeinflussen. Individuell wurde für drei StipendiatInnen die Gelegenheit zur praktischen Tätigkeit unter Anleitung und Hospitation in kooperierenden Einrichtungen ermög331 Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie licht. Zudem wurden die StipendiatInnen dabei unterstützt, Publikationen anzufertigen. Dazu wurden sie in Publikationen der Lehrstuhlinhaber einbezogen oder es wurden erste Publikationen zum Dissertationsthema angefertigt. Es fand ein individuelles Coaching durch Prof. Dr. Franz Petermann statt. Es wurde zudem eine Vernetzung der Forschungsschwerpunkte der StipendiatInnen mit dem Diplomstudiengang Psychologie angestrebt. Dazu wurden Studenten aus dem Hauptstudium eingebunden, die auf diese Weise die Möglichkeit bekamen, ihre Diplomarbeiten durch die Bearbeitung aktueller Fragestellungen zu verfassen. Die Diplomarbeiten wurden von den StipendiatInnen in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Arbeitsgruppenleitern betreut. 4.5 Dissertationsthemen der StipendiatInnen Tabelle 1 führt die die Dissertationsthemen der einzelnen StipendiatInnen auf. Tabelle 1: StipendiatInnen und Thema der Dissertation. StipendiatInnen Danielsson, Julia Fröhlich, Linda Paulina Helmsen, Johanna Kastner, Julia Thema Klinische Validierungsstudie einer neuropsychologischen Testbatterie bei Kindern mit Rolando-Epilepsie im Kindergarten- und Grundschulalter Sprachentwicklungsrisiken und Förderung bei Vorschulkindern Einfluss emotionaler und sozial-kognitiver Prozesse auf das aggressive Verhalten bei Kindern im Kindergartenalter Entwicklungsbedingte Koordinationsstörungen: Eine Kohorten-Vergleichsstudie zum Ausmaß kognitiver und psychosozialer Beeinträchtigungen Möller (geb. Ortbandt), Überprüfung der Wirksamkeit des „Trainings mit sozial Christine unsicheren Kindern“ Rücker, Stefan Tischler, Lars Witthöft, Jan Konzept und Durchführung einer Katamnese-Studie zum Verlauf erzieherischer Hilfen nach KJHG Evaluation des Gruppentrainings „ATTENTIONER“ für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen Aggressives Verhalten im Kindes- und Jugendalter Publikationen Büttner, P., Rücker, S., Petermann, U. & Petermann, F. (2010). Anschlusshilfen als 332 Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie Parameter für die Wirksamkeit teilstationärer Jugendhilfe-Maßnahmen: Eine Vergleichsstudie. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 37, 551-557. Büttner, P., Rücker, S., Petermann, U. & Petermann, F. (2011). Jugendhilfe und Therapie: Effekte aus kombinierten Maßnahmen in der Gegenüberstellung mit Hilfen ohne Therapieangebot. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 60, 224-238. Danielsson, J., Daseking, M. & Petermann, F. (2009). Komorbide Beeinträchtigungen bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen. Monatsschrift Kinderheilkunde, doi: 10.1007/s00112-009-2133-4. Danielsson, J., de Boer, M., Petermann, F. & Daseking, M. (2009). Nikotinexposition während der Schwangerschaft – Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung im Kindergartenalter. Geburtshilfe und Frauenheilkunde, 69, 692-697. Danielsson, J. & Petermann, F. (2009). Cognitive Deficits in children with benign rolandic epilepsy of childhood or rolandic discharges: A study of children between 4 and 7 years of age with and without seizures compared with healthy controls. Epilepsy and Behavior, 16, 646-651. Danielsson, J. & Petermann, F. (2009). Kognitive Defizite bei Kindern mit benigner Epilepsie des Kindesalters mit zentrotemporalen Spitzen. Aktuelle Neuropsychologie, 36, 126-135. Fröhlich, L.P., Koglin, U. & Petermann, F. (2010). Zusammenhang zwischen phonologischer Bewusstheit und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern im Vorschulalter. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 38, 283-290. Fröhlich, L.P., Metz, D. & Petermann, F. (2009). Kindergartenbasierte Förderung der phonologischen Bewusstheit "Lobo vom Globo". Kindheit und Entwicklung, 18, 204-212. Helmsen, J., Koglin, U. & Petermann, F. (2012). Emotion regulation and aggressive behavior in preschoolers: The mediating role of social information processing. Child Psychiatry and Human Development, 43, 87-101. Helmsen, J., Lehmkuhl, G. & Petermann, F. (2009). Kinderpsychiatrie und Klinische Kinderpsychologie im Dialog. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 57, 285-296. Helmsen, J. & Petermann, F. (2010). Emotionsregulationsstrategien und aggressives Verhalten im Kindergartenalter. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 59, 775-791. Helmsen, J. & Petermann, F. (2010). Soziale Informationsverarbeitung bei körperlich und relational aggressiven Vorschulkindern. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 38, 211-218. Helmsen, J., Petermann, F. & Wiedebusch, S. (2009). Erhebung der sozial-emotionalen Kompetenz im Rahmen der ärztlichen Schuleingangsuntersuchung. Das Gesundheitswesen, 71, 669-674. Jacobs, C., Tischler, L. & Petermann, F. (2009). Typische klinische Problemkonstella333 Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie tionen aus der Inanspruchnahmestichprobe der Psychologischen Kinderambulanz der Universität Bremen. Verhaltenstherapie, 19, 22-27. Kastner, J., Mayer, H., Walther, A. & Petermann, F. (2010). Motorisch-koordinative Leistungsfähigkeit adipöser Jugendlicher: Zur klinischen Aussagekraft der Movement ABC-2. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 58, 227233. Kastner, J. & Petermann, F. (2009). Entwicklungsbedingte Koordinationsstörungen. Psychologische Rundschau, 60, 73-81. Kastner, J. & Petermann, F. (2010a). Entwicklungsbedingte Koordinationsstörungen: Zum Zusammenhang von motorischen und kognitiven Defiziten. Klinische Pädiatrie, 222, 26-34. Kastner, J. & Petermann, F. (2010b). Entwicklungsbedingte Koordinationsstörungen: Zur Bedeutung kognitiver Beeinträchtigungen im Zusammenhang motorischkoordinativer Defizite und psychischer Verhaltensauffälligkeiten. Zeitschrift für Sportpsychologie, 17, 36-49. Kastner, J. & Petermann, F. (2010c). Zeigen Kinder mit entwicklungsbedingten Koordinationsstörungen auch auffälliges Lernverhalten? Monatsschrift Kinderheilkunde, 158, 455-462. Kastner, J., Petermann, F. & Petermann, U. (2010). Motorische Leistungsfähigkeit adipöser Kinder und Jugendlicher. Monatsschrift Kinderheilkunde, 158, 449-454. Koglin, U. (2008). Entwicklungsbeobachtung und -dokumentation von Kleinkindern. Klein & groß, 9, 20-21. Koglin, U., Barquero, B., Mayer, H., Scheithauer, H. & Petermann, F. (2007). Deutsche Version des Strenghts and Difficulties Questionnaire (SDQ-Deu): Psychometrische Qualität der Lehrerversion für Kindergartenkinder. Diagnostica, 53, 175183. Koglin, U., Fröhlich, L.P., Metz, D. & Petermann, F. (2008). Elternbezogene Förderung der phonologischen Bewusstheit im Kindergartenalter. Kindheit und Entwicklung, 17, 173-181. Koglin, U., Fröhlich, L.P., Metz, D. & Petermann, F. (2008). „Lobo vom Globo“ – Elternorientierte Förderung der Phonologischen Bewusstheit von Vorschulkindern. Kindheit und Entwicklung, 17, 137-181. Koglin, U., Janke, N. & Petermann, F. (2009). Werden IQ-Veränderungen vom Kindergarten- zum Schulalter durch psychosoziale Risikofaktoren beeinflusst? Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 41, 132-141. Koglin, U. & Petermann, F. (2004). Das Konzept der Inhibition in der Psychopathologie. Zeitschrift für Klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, 52, 91117. Koglin, U. & Petermann, F. (2006). Verhaltenstherapeutisches Förderprogramm im Kindergarten. Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen, 2, 87-95. Koglin, U. & Petermann, F. (2006). Verhaltenstraining im Kindergarten. Ein Programm zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenz. Göttingen: Hogrefe. 334 Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie Koglin, U. & Petermann, F. (2007). Psychopathie im Kindesalter. Kindheit und Entwicklung, 16, 260-266. Koglin, U. & Petermann, F. (2008). Gewalterfahrungen von Jugendlichen. Zeitschrift für Klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, 56, 133-140. Koglin, U. & Petermann, F. (2008). Inkonsistentes Erziehungsverhalten – Ein Risikofaktor für aggressives Verhalten? Zeitschrift für Klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, 56, 287-293. Koglin, U. & Petermann, F. (2008). Kindergarten- und Grundschulalter: Entwicklungsrisiken und Entwicklungsabweichungen. In F. Petermann (Hrsg.), Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie (6., vollst. veränd. Aufl., S. 81-98). Göttingen: Hogrefe. Koglin, U. & Petermann, F. (2008). Vorläufersyndrome von Suchtstörungen. In M. Klein (Hrsg.), Kinder und Suchtgefahren (S. 61-71). Stuttgart: Schattauer. Koglin, U. & Petermann, F. (2009). Psychopathic Personality Inventory-Revised (PPIR). Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 57, 137-139. Koglin, U. & Petermann, F. (2011). The effectiveness of the behavioural training for preschool children. European Early Childhood Education Research Journal, 19, 97111. Koglin, U., Petermann, F. & Petermann, U. (2010). Entwicklungsbeobachtung und dokumentation EBD 48-72 Monate. Eine Arbeitshilfe für pädagogische Fachkräfte in Kindergärten und Kindertagesstätten. Berlin: Cornelsen Scriptor. Koglin, U., Witthöft, J. & Petermann, F. (2009). Gewalthaltige Computerspiele und aggressives Verhalten im Jugendalter. Psychologische Rundschau, 60, 163-172. Metz, D., Fröhlich, L.P., Rißling, J.-K. & Petermann, F. (2011). Kurz- und Langzeiteffekte einer Förderung der phonologischen Bewusstheit bei Schulanfängern. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 59, 65-72. Möller, C. & Petermann, U. (2011). Kurz- und langfristige Effekte des Trainings mit sozial unsicheren Kindern. Verhaltenstherapie, 21, 15-22. Ortbandt, C. & Petermann, U. (2009). Effekte des Trainings mit sozial unsicheren Kindern. Kindheit und Entwicklung, 18, 21-29. Petermann, F., Fröhlich, L.P., Metz, D. & Koglin, U. (2009). Elternbasierte Sprachförderung im Vorschulalter. Das Lobo-Programm. Göttingen: Hogrefe. Petermann, F., Fröhlich, L.P., Metz, D. & Koglin, U. (2009). Für Drachen-Freunde. Materialien zum Lobo-Programm „Elternbasierte Sprachförderung im Vorschulalter“. Göttingen: Hogrefe. Petermann, F., Helmsen, J. & Koglin, U. (2010). Expansive Verhaltensstörungen. Monatsschrift Kinderheilkunde, 158, 22-27. Rücker, S., Petermann, U., Büttner, P. & Petermann, F. (2010). Ambulante und teilstationäre Jugendhilfe-Maßnahmen: Aussagen zur langfristigen Wirksamkeit. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 38, 429-437. Rücker, S., Petermann, U., Büttner, P. & Petermann, F. (2010). Differentielle Wirksamkeit der Jugendhilfe: traditionelle und zerbrochene Familien im Vergleich. 335 Doktorandenkolleg Klinische Kinderpsychologie Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 59, 253-265. Tischler, L., Karpinski, N. & Petermann, F (2011). Evaluation des neuropsychologischen Gruppenprogramms ATTENTIONER zur Aufmerksamkeitstherapie bei Kindern und Jugendlichen. Zeitschrift für Neuropsychologie, 22, Vol. 2. Tischler, L., Schmidt, S., Petermann, F. & Koglin, U. (2010). ADHS im Jugendalter. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 58, 23-34. Witthöft, J., Koglin, U. & Petermann, F. (2010). Zur Komorbidität von aggressivem Verhalten und ADHS. Kindheit und Entwicklung, 19, 218-227. Witthöft, J., Koglin, U. & Petermann, F. (2011). Neuropsychologische Korrelate aggressiv-dissozialen Verhaltens. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 59, 11-23. 336 Doktorandenkolleg Klinische Psychologie 5 Doktorandenkolleg: Klinische Psychologie (2012-2016) 5.1 Allgemeine Angaben Sprecher Prof. Dr. Franz Petermann Kollegkoordination N.N. Laufzeit 01.07.2012 - 31.03.2016 StipendiatInnen Lobeck, Annette, Kullik, Angelika, Korsch, Franziska, Pauls, Franz, Piegza, Magdalena, Theiling, Johanna, Walter, Franziska, Weber, Hanna, Göbber, Julia 5.2 Ziele, Konzepte und Methodik Aufgrund der inhaltlichen Erweiterung findet die zweite Förderperiode des Doktorandenkollegs unter dem Titel „Klinische Psychologie“ statt. Unter diesem Titel lassen sich Forschungsthemen von hoher gesellschaftlicher Relevanz zusammenfassen. Die meisten psychischen Störungen des Erwachsenenalters haben ihren Ursprung im Kindes- und Jugendalter, wobei die Auftretensraten von Verhaltens- und Leistungsstörungen in dieser Altersgruppe besorgniserregend hoch sind. Da dennoch bislang nur relativ wenig darüber bekannt ist, welche Faktoren dazu beitragen, dass ein Kind einen fehlangepassten Entwicklungsweg einschlägt. Als zentrale Risikofaktoren gelten sozial- und migrationsbedingte Benachteiligungen. Innerhalb der Bremer Interventionsstudie sollen die Effekte vorschulischer Interventionsmaßnahmen auf soziale und kognitive Entwicklungsprozesse von Kindern anhand einer umfangreichen Datenbasis im Längsschnitt untersucht werden. Da Risikofaktoren und entsprechend auch Interventionsmaßnahmen abhängig vom Alter bzw. Entwicklungsstand eines Kindes unterschiedliche Wirkungen entfalten können, wird durch eine längsschnittliche Untersuchung die Zeit als zusätzlicher Faktor mit erfasst. Auch für den Erwachsenenbereich werden die Themen der sozialen und Ungleichheit und die Migrationsproblematik aufgegriffen. Im Rahmen der Raheforschung 337 Doktorandenkolleg Klinische Psychologie werden dabei vor allem kulturelle und soziale Einflüssen bei psychischen Störungen sowie die kultursensible Versorgung von Migranten/innen mit psychischen Störungen untersucht. Ein zweiter Schwerpunkt soll in der Entwicklung eines Beschwerdevalidierungstests liegen. Tests dieser Art werden in der psychiatrischen Begutachtung häufig eingesetzt, werden aber immer noch kritisch diskutiert. Die Tests können ein suboptimales Leistungsverhalten und eine negative Antwortverzerrung feststellen, erlauben aber keine Unterscheidung zwischen bewusster Simulation bzw. Aggravation und unbewussten Symptomen wie sie bei der somatoformen Störung vorkommen. Dem Kolleg werden daher zwei StipendiatInnen aus dem Bereich der Rehabilitationspsychologie angegliedert. Als PromotionsstipendiatInnen der Deutschen Rentenversicherung Hannover-Braunschweig werden sie inhaltlich von Herrn Prof. Dr. Axel Kobelt betreut und angeleitet, der sich schwerpunktmäßig mit der Effektivität psychosomatischer Rehabilitation und sozialer Ungleichheit, der Flexibilisierung psychosomatischer Rehabilitation, der medizinisch-beruflichen Rehabilitation, der psychosomatischen Nachsorge und dem Fallmanagement, der Reintegration von Menschen mit einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund psychischer Krankheiten und der Beschwerdevalidierung beschäftigt. Entsprechend leitet er folgende Projekte: • • • • • • Verbesserung der Erwerbsprognose durch gezielte medizinisch-berufliche Rehabilitation in der Psychosomatik Flexibilisierung psychosomatischer Rehabilitation mit Fallmanagement für Versicherte mit negativer Erwerbsprognose Migranten in der psychosomatischen Rehabilitation Evaluation eines Fallmanagements im Rahmen psychosomatischer Nachsorge Telefonische Nachsorge Beschwerdevalidierung im Rehaantragsverfahren Die Teilnehmer/innen des Kollegs werden entweder Doktorandenstipendien erhalten oder als wissenschaftliche Mitarbeiter/innen (50% Beschäftigung) am ZKPR angestellt werden. Die Stipendien und Stellen sollen zwischen April und Juli 2011 besetzt werden. Von den zukünftigen Promovierenden wird erwartet, dass sie sich im Rahmen des Doktorandenkollegs „Klinische Psychologie“ wissenschaftlich weiterqualifizieren. 5.3 Themenschwerpunkte Tabelle 1 gibt einen Überblick über die StidpendiatInnen und Themenbereiche der zweiten Förderphase. 338 Doktorandenkolleg Klinische Psychologie Tabelle 1: StipendiatInnen und Thema der Dissertation. StipendiatInnen Themenschwerpunkt Lobeck, Annette Kullik, Angelika Korsch, Franziska Pauls, Franz Prävention im Kindesalter Förderung von benachteiligten Kindern Entwicklungsauffälligkeiten bei Schulanfängern Gedächtnis im Erwachsenenalter Evaluation des Fallmanagements nach psychosomatischer Rehabilitation Intelligenzdiagnostik Beschwerdevalidierung Assessment in der Jugendhilfe Migration und Gesundheit Piegza, Magdalena Theiling, Johanna Walter, Franziska Weber, Hanna Göbber, Julia 5.4 Studienprogramm Die ersten beiden Semester dienen als Eingangs- und Einarbeitungsphase. Es ist eine intensive Betreuung der Doktoranden durch die Kollegkoordinatorin und ein Betreuungsteam von Experten geplant. Dabei soll der durch die Ausschreibung bekannte thematische Rahmen der Dissertation zu einem inhaltlich und methodisch sinnvollen sowie zeitlich realisierbaren Versuchsplan spezifiziert werden sowie jeweils ein Exposé zum Forschungsvorhaben erstellt werden, damit die Mitarbeiter/innen vom Promotionsausschuss Dr. rer. nat. als Doktoranden an der Universität Bremen angenommen werden und sich entsprechend als PromotionsstudentInnen einschreiben können. Dabei sollen Qualitätsstandards wie das Erarbeiten von Betreuungsvereinbarungen, Zeit- und Entwicklungsplänen und die Berichtspflicht umgesetzt werden, um eine strukturierte Promotionsausbildung zu gewährleisten. Durch Prof. Dr. H.-C. Waldmann werden auch weiterhin Veranstaltungen zur Methoden- und Statistikkompetenz angeboten werden. Dabei werden Grundlagen vermittelt, die Voraussetzung für eine selbstständige wissenschaftliche Arbeit und eigenständige kritische Reflexion von Studienergebnissen sind. Die Doktoranden erhalten zudem die Möglichkeit, am Online-Teaching teilzunehmen. Es handelt sich dabei um einen in Deutschland einmaligen Katalog und Zugang zu statistischen Verfahren, der ein selbstgesteuertes und individuelles Lernen ermöglicht (http://samson.fire.uni-bremen.de/waldmann/courses/index.html). Dabei werden Kenntnisse in und der Umgang mit innovativer Kommunikationstechnologie gefördert. Zum Online-Teaching wird ebenfalls eine Einführungsveranstaltung für die StipendiatInnen angeboten. Zusätzlich wird jedem Doktoranden eine individuelle Methoden- und Statistikbetreuung angeboten. Neben diesem institutsinternen Programm wird eine intensive Inanspruchnahme 339 Doktorandenkolleg Klinische Psychologie und Zusammenarbeit mit den an der Universität Bremen bestehenden Angeboten für Promovierende erwartet. Hierbei werden vor allem die Angebote des Promotionszentrums der Universität Bremen ProUB genutzt. Als Servicestelle macht das Promotionszentrum diverse Angebote zur Förderung von Promovierenden. Die Teilnehmer/innen des Doktorandenkollegs „Klinische Psychologie“ sollen ermuntert werden, die entsprechenden Beratungsangebote und das Qualifizierungsprogramm des Zentrums in Anspruch zu nehmen. Sie erhalten dort eine gute Möglichkeit der Orientierung zu Promotionsbeginn sowie die Chance sich in Doktorandennetzwerken zu organisieren und interdisziplinär auszutauschen. Im Rahmen des Qualifizierungsprogramms erscheinen vor allem Workshops wie Promotionserfolgsteams (Peer-to-Peer-Coaching), Promotionsmanagement und Arbeitsstrategien, Wissenschaftliches Arbeiten, Kommunikation und Präsentation aber auch Hochschuldidaktik als viel versprechende Ergänzungen zu dem fachspezifischen Betreuungsangebot am ZKPR. Zudem sollen auch die speziell für den Fachbereich 11 angebotenen Unterstützungsangebote genutzt werden. Die Doktoranden/innen können sich auf der Stud.IP-Seite der Universität Bremen für die Veranstaltung [email protected] registrieren und werden dort über aktuelle Angebote informiert. Unter anderem werden dort Coaching-Sprechstunden für Promotionsinteressierte und Promovierende des Fachbereichs 11 angeboten, in denen es um Entscheidungs- und Themenfindung, Projektentwicklung, Entwicklung von Forschungsfragen, Konzept, Design, Aufbau, kreative Umsetzungsmöglichkeiten, aber auch um Selbstmanagement, Selbstmotivation und Selbstdisziplin, Entspannung und Wohlbefinden, Strategien zum Konfliktmanagement und guter Kommunikation sowie Arbeits- und Schreibtechniken sowie den Umgang mit Schreibblockaden, Erschöpfung und Burnout geht. Auch in Bezug auf die Vorbereitung auf das Promotionskolloquium und anschließende Karriereplanungen werden hier Hilfestellungen angeboten. 340 Promotionen und Habilitationen 6 Promotionen und Habilitationen Von 2005 bis 2012 wurden im ZKPR 45 Promotionen erfolgreich abgeschlossen und folgende Personen konnten im Berichtszeitraum erfolgreich ihr Habilitationsverfahren abschließen: PD Dr. Dieter Büttner Zur Wirkungsforschung in der Jugendhilfe: Positionsbestimmung und empirische Studien aus der Perspektive der Psychologie PD Dr. Monika Daseking Psychologische Diagnostik: Ansätze und Trends der Entwicklungs- und Intelligenzdiagnostik PD Dr. Axel Kobelt Verbesserung der Situation psychisch Kranker durch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation PD Dr. Ute Koglin Aggressives Verhalten im Kindesalter: Aktuelle Forschungstrends und Prävention PD. Dr. Christiane Lange-Küttner Objekte, Orte und Raumsysteme in Entwicklung und Lernen PD Dr. Meinolf Noeker Funktionelle und somatoforme Störungen im Kindes- und Jugendalter PD Dr. Matthias Spranger Neurotoxische und neuroprotektive Faktoren bei ZNS-Läsionen 341 Teil V: Symposien und Kongresse Teil V: Symposien und Kongresse Der Rehabilitationswissenschaftliche Forschungsverbund Niedersachsen/Bremen veranstaltete von 2005 bis 2009 folgende Symposien zu folgenden Themen: • „Gesundheitsökonomie und Reha-Ökonomie“ (2005) • „Medizinische Rehabilitation von Jugendlichen (2006) • „Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation“ (2009) Ein Bericht des letztgenannten Symposiums aus dem Jahre 2009 („Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation“) wird auf den folgenden Seiten abgedruckt. Unter Mitwirkung des ZKPR (gemeinsam mit der DRV Oldenburg-Bremen und DRV Bund) wurde zudem das 17. Rehabilitationswissenschaftliche Kolloquium mit dem Thema „Evidenzbasierte Rehabilitation zwischen Standardisierung und Individualisierung“ vom 03. bis 05.03.2008 mit 1300 Teilnehmern in Bremen realisiert. Die Krönung der Aktivitäten während dieser Berichtsperiode bildet zweifellos der 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie mit 3000 Teilnehmern und über 2500 Vorträgen/Postern (Kongresspräsident: Prof. Dr. Franz Petermann; Kongressorganisation: Prof. Dr. Franz Petermann, Prof. Dr. Ute Koglin). Auch zu diesem Kongress findet sich auf den folgenden Seiten ein kurzer Bericht. 343 Symposium des RFNB 1 Symposium des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen (RFNB): Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation 1.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Mitarbeiter Dr. Ulrike de Vries Kooperationspartner Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen Finanzierung Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen 1.2 Tagungsbericht Am 4. Dezember 2009 fand das von knapp 90 Teilnehmern besuchte Symposium zum Thema Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation in Bremen statt. Neben dem Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbund Niedersachsen/Bremen (geschäftsführender Sprecher: Prof. Dr. F. Petermann) war die Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen Mitveranstalter. Nach einem Grußwort von Frau Priv. Doz. Dr. Aike Hessel (Deutsche Rentenversicherung OldenburgBremen) und einer Einführung von Herrn Prof. Dr. Petermann wurde in acht Plenarvorträgen die Thematik repräsentativ zur Diskussion gestellt. Vor dem Hintergrund, dass psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung kontinuierlich zunehmen und Jahre 2020 psychische Störungen die zweithäufigste Ursache für Arbeitsausfälle sein werden, sind nachhaltige Strategien zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit und des Arbeitsplatzes dringend erforderlich (Petermann & Koch, 2009). Jedoch wird immer noch ein zu geringer Erwerbsbezug in der medizinischen Rehabilitation bei gleichzeitiger Verbesserung der psychischen und somatischen 345 Symposium des RFNB Funktionsfähigkeit beklagt. Dr. Axel Kobelt (Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover) stellte in seinem Beitrag „Erwerbsbezug in der psychosomatischen Rehabilitation“ zur Diskussion, ob problematische Patientencluster von der psychosomatischen Rehabilitation profitieren können und ob sich „sozialmedizinisch problematische“ Patienten dazu motivieren lassen, ihre Erwerbstätigkeit wiederaufzunehmen bzw. ins Erwerbsleben zurückzukehren. Die in Zusammenarbeit mit der Klinik Am Hasenbach (Clausthal-Zellerfeld) erhobenen Daten von 199 Patienten zeigten, dass eine Verbesserung der psychischen und somatischen Funktionsfähigkeit nicht zu einer verbesserten Arbeitsmotivation führt. Darüber hinaus profitieren sozialmedizinisch problematische Patienten besser als erwartet von einer psychosomatischen Rehabilitation, haben jedoch bei Entlassung einen hohen Beschwerdedruck. Unklar bleibt, welche nachhaltigen Effekte berufsbezogene Behandlungsprogramme haben. Dem bleibenden Schnittstellenproblem soll in Zukunft ein individuelles Fallmanagement der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover entgegengesetzt werden. Vor dem Hintergrund eines steigenden Anteils von Rehabilitanden mit Migrationshintergrund widmete sich Dr. Wolfgang Pfeiffer (Klinik Am Hasenbach, ClausthalZellerfeld) in seinem Beitrag der psychosomatischen Rehabilitation von Migranten. Anhand von Daten einer Stichprobe von 625 Patienten der Klinik Am Hasenbach sollte der Frage nachgegangen werden, ob und in welcher Weise der Migrationshintergrund einen Rehabilitationserfolg beeinträchtigt im Hinblick auf soziodemografische und erwerbsbezogene Merkmale sowie Hemm- und Förderfaktoren. Es zeigten sich deutliche Unterschiede in den Hemm- (Bildungsstand, erwerbsbezogene Attribute, Rentenbezug) und Förderfaktoren (soziale Unterstützung) zwischen Patienten mit und ohne Migrationshintergrund. Die Ergebnisse unterstreichen die besonderen Bedürfnisse dieser Rehabilitanden, etwa im Hinblick auf den Ausbau von genderspezifischen Angeboten, spezifischen psychoedukativen Maßnahmen oder der verstärkten Nutzung sozialer Ressourcen. Frau Dina Barghaan (UKE Hamburg Eppendorf) referierte über die Entwicklung von Therapiestandards in der Rehabilitation von Patienten mit Depression. Es handelt sich dabei um ein von der DRV Bund gefördertes Projekt. Seit 1998 wird die Entwicklung Reha-Therapiestandards in der medizinischen Rehabilitation massiv gefördert. Es liegen Standards für verschiedene Indikationsbereiche bereits in der Routine bzw. in Pilotphasen vor (z.B. koronare Herzerkrankung, Diabetes mellitus Typ 2, chronische Rückenschmerzen, Brustkrebs, Alkoholabhängigkeit). Die hier dargestellte Entwicklung der Reha-Therapiestandards Depression folgte einem von der DRV entwickelten vierstufigen Vorgehen (Literaturanalyse und Formulierung von evidenzbasierten Therapiemodulen (ETM), Analyse des aktuellen Versorgungsgeschehens bezogen auf die ETM anhand von Daten der Klassifikation Therapeutischer Leistungen (KTL-Analyse), Ausgestaltung einer Pilotversion der RehaTherapiestandards unter Einbezug relevanter Berufsgruppen, medizinischer Fachgesellschaften und Patienten (Expertenkonsensus) sowie Implementierung der Leitli346 Symposium des RFNB nie im Rahmen einer Pilotphase mit Evaluation der Akzeptanz). Herr Prof. Dr. Claus Bischoff (AHG Klinik für Psychosomatik, Bad Dürkheim) griff in seinem Beitrag „Selbstfürsorglich im Alltag: Akzeptanz einer durch elektronisches Coaching unterstützten Kurzintervention für stationär psychosomatische RehaPatienten mit hoher Verausgabungsbereitschaft“ ein neues Medium in der Nachsorge nach stationärer psychosomatischer Rehabilitation auf. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „Wirksamkeit von Handheld-gestütztem Selbstmanagement (E-Coaching) in der RehabilitationsNachsorge“ der Deutschen Rentenversicherung wurde die Praktikabilität, Akzeptanz und Effektivität eines Handheld-Computers analysiert, der den Patienten in seinem Alltag mehrmals am Tag auffordert, sein Befinden zu überprüfen und gegebenenfalls sein Verhalten zu verändern, um sein Befinden zu verbessern. Grundlegende Wirkmechanismen dieses Gerätes sind Selbstberuhigung und Handlungsjustierung, wobei das Angebot keine Ersetzung der herkömmlichen Reha-Nachsorge darstellt sondern bei den Patienten eingesetzt werden kann, die aus persönlichen oder organisatorischen Gründen nicht an einem herkömmlichen Nachsorgeprogramm teilnehmen können. Über ein Projekt zur internetgestützten Nachsorge nach psychosomatischer Rehabilitation berichtete im Anschluss Herr Golkaramnay aus der Klinik Alpenblick in Isny. Das Projekt beinhaltet therapeutisch begleitete Internet-Chatgruppen, in denen sich die Patienten in halboffenen Gruppen zu festgelegten Terminen unter Moderation des (ihnen persönlich bekannten) Therapeuten austauschen. Neben der Möglichkeit eines kontinuierlichen Online-Ergebnismonitorings, das in herkömmlichen Gesprächsgruppen so nicht realisierbar ist, bieten Chatgruppen weitere Vorteile, jedoch auch Grenzen, wie Herr Golkaramnay eindrucksvoll darstellen konnte. Die Akzeptanz dieses Mediums konnte in der vorliegenden Studie als hoch bezeichnet werden (z.B. geringe Abbrecherquote), gleichfalls zeigten sich auch gegenüber einer unbehandelten Kontrollgruppe signifikante Verbesserungen in den Bereichen psychische Beeinträchtigung und Depressivität. Neben der Nachsorge nach psychosomatischer Rehabilitation steht aktuell zur Diskussion, ob und welche Art von Vorbereitungsmaßnahmen sinnvoll sind, um dem Patienten den Zugang zur stationären psychosomatischen Rehabilitation zu erleichtern und die Effekte der Maßnahme sowohl zu verbessern als auch zu verstetigen (Best et al., 2009). Frau Meike Lange (Universität Bremen) stellte hierzu in ihrem Beitrag „Patientenorientierte Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation“ eine spezielle Vorbereitungsmaßnahme der Deutschen Rentenversicherung Oldenburg-Bremen vor, in der Rehabilitanden eine individualisierte Einzelberatung im Vorfeld ihres stationären Aufenthaltes erhielten. Im Vergleich zur unvorbereiteten Kontrollgruppe zeigten diese Patienten zu Beginn der Maßnahme signifikant höhere Ausprägungen in den Bereichen Wissen, Motivation und Vertrauen. Die Intervention (Einzelberatung) wird zurzeit manualisiert und nochmals evaluiert. 347 Symposium des RFNB Einen weiteren innovativen Ansatz auf dem Weg zur optimierten psychosomatischen Rehabilitation stellte Herr Prof. Dr. Manfred Zielke (Universität Mannheim) und Herr Matthias Gasche (AHG Gesundheitszentrum Düsseldorf) dar. In ihrem Vortrag „Ganztägig ambulante Rehabilitation im Fachbereich Psychosomatik“ referierten die Autoren über die Struktur und den Ablauf einer im Medizinischen Zentrum für die ambulante Rehabilitation von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen in Düsseldorf angebotenen Maßnahme. Anhand der Daten von 183 Patienten wurden sowohl deskriptive Analysen (Erkrankungsspektrum, Altersverteilung, Behandlungsdauer) als auch Daten zur Veränderungsbeurteilung der Behandler referiert. Hierbei zeigte sich, dass die ganztägig ambulante Rehabilitation ein vielversprechender Ansatz zur Verfahrensoptimierung darstellt. Abschließend wandte sich Herr Dr. Krohn-Grimberghe (Rheumaklinik Bad Wildungen) mit seinem Beitrag dem Thema „Das Fibromyalgiesyndrom in der medizinischen Rehabilitation“ zu. Neben grundsätzlichen Informationen zum Krankheitsbild Fibromyalgiesyndrom (FMS) und dem aktuellen Stand der Leitlinienentwicklung, berichtete der Referent über ein aktuelles Projekt der Rheumaklinik Bad Wildungen in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen. Hierbei handelt es sich um eine kontrollierte Studie zur Effektivität einer im Rahmen der stationären Rehabilitation durchgeführten Fibromyalgie-Patientenschulung (vgl. auch Lange et al., 2009). Im Vergleich zur unbehandelten ambulanten Kontrollgruppe konnte in der Interventionsgruppe die durchschnittliche Schmerzstärke, Angst und Depression der Patienten langfristig signifikant verringert werden. 1.3 Literatur Best, M., Lange, M., Karpinski, N., Hessel, A., Söpper-Terborg, B., Sieling, W. & Petermann, F. (2009). Psychosomatische Rehabilitation: Effekte einer prästationären Beratung durch die Rentenversicherung. Die Rehabilitation, 48, 283-287. Lange, M., Karpinski, N., Krohn-Grimberghe, B. & Petermann, F. (2009). Patienten mit Fibromyalgiesyndrom: Der Einfluss von Depressivität auf die Einstellung zur Schmerzbewältigung. Die Rehabilitation, 48, 306-311. Lange, M., Krohn-Grimberghe, B. & Petermann, F. (2009). Patienten mit Fibromyalgiesyndrom: Der Einfluss von Depressivität auf den Rehabilitationserfolg. Die Rehabilitation, 48, 298-305. Petermann, F. & Koch, U. (2009). Psychosomatische Rehabilitation: Quo vadis? Die Rehabilitation, 48, 257-262. Publikationen Petermann, F. (2010) (Hrsg.). Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation. Regensburg: Roderer. 348 DGP-Kongress 2 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie: Erklären, Entscheiden, Planen 2.1 Allgemeine Angaben Leitung Prof. Dr. Franz Petermann Prof. Dr. Ute Koglin Finanzierung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs), Europäische Union (EU) 2.2 Tagungsbericht Vom 26. bis 30. September 2010 fand in Bremen der 47. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie statt. Durch die Wahl des Veranstaltungsortes, dem Kongresszentrum in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof, handelte es sich in der Tat um eine Veranstaltung der kurzen Wege. Es wurde eine Programm zusammengestellt, das sich zum Ziel gesetzt hat, dem gesellschaftlichen Anspruch unseres Faches und den Anforderungen der Gesellschaft an unsere Disziplin gerecht zu werden (vgl. schon Deutsche Gesellschaft für Psychologie, 2000). Das Motto und ein Anspruch unseres Kongresses bestehen darin, die Kompetenzen, die unsere Disziplin repräsentiert, angemessen zu kommunizieren. Wir werden auch die aktuelle Diskussion zwischen angewandter und Grundlagenforschung in unserer Disziplin umfassend aufgreifen (vgl. Kanning et al., 2007, 2008). Zur Resonanz des Kongresses. Für einen nationalen Psychologiekongress ist es in idealer Weise gelungen, eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen zu aktivieren. Dies drückt sich allein schon in der Anzahl der angemeldeten Beiträge aus; die Anzahl beträgt ungefähr 2500 - eine bisher noch niemals erreichte Resonanz bei einem nationalen Psychologiekongress! Ungefähr 83% der Anmeldungen stammen aus Deutschland, ca. 8% aus der Schweiz und über 5% aus Österreich, jeweils 1% aus den Niederlanden und Luxemburg; insgesamt wurden Beiträge aus 20 Ländern eingereicht. Die meisten Beiträge mit jeweils ungefähr 200 Anmeldungen lassen sich den folgenden sechs Disziplinen zuordnen: • Allgemeine Psychologie, 349 DGP-Kongress • • • • • Arbeits- und Organisationspsychologie (Wirtschaftspsychologie), Pädagogische Psychologie, Klinische Psychologie, Entwicklungspsychologie und Sozialpsychologie. Besonders stark war das Interesse aus dem Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie (Wirtschaftspsychologie). Mittagsvorlesungen. Als eine besonders bewährte Veranstaltungsform hatte sich in den letzten Jahren das Angebot „Mittagsvorlesung“ gezeigt. Aus diesem Grund wurde diesem Angebot eine besondere Stellung zugewiesen, wobei mit Unterstützung der DFG auch eine Vielzahl internationaler Referenten gewonnen wurde. Diese Experten stehen in der Regel im Anschluss ein bis zwei Stunden einem interessierten Publikum in lockerer Atmosphäre für Fragen und einer umfassenden Diskussion zur Verfügung (= Meet the Experts). Hierzu sind Studierende und jüngere Wissenschaftler besonders eingeladen. Unter den Referenten der Mittagsvorlesungen befinden sich auch unsere beiden diesjährigen Leibnitz-Preisträger (Jan Born, Lübeck; Ulman Lindenberger, Berlin). Symposien und Arbeitsgruppen. Es wurden über 200 Symposien und Arbeitsgruppen angemeldet. Sehr bedeutsam sind hierbei Themen, die sich mit einer aktuellen Positionsbestimmung unseres Faches auseinandersetzen und/oder sich grundlegend mit der Ausbildungssituation der Psychologie („Zwangsjacke Bachelorstudium?“) beschäftigen. Unter dem Blickwinkel der Positionsbestimmung nimmt die Frage nach der Bedeutung der Neurowissenschaften und die Relation „Biologie versus Psychologie“ eine besonders große Rolle ein. Hiermit beschäftigen sich mehrere Symposien; dieser Trend kann am Beispiel des Symposiums „Wie viel Biologie braucht die Psychologie?“ illustriert werden. Psychologische Diagnostik - eine unterbewertete Kernkompetenz. Von großer Bedeutung war es, das Kongressmotto „Psychologischen Kompetenz - Erklären, Entscheiden, Planen“ durch Themen und Beiträge aus dem Sektor der Psychologischen Diagnostik entscheidend zu gestalten. Dies ist uns in der Regel gut gelungen. So beschäftigen sich gut 12% aller Vorträge, Arbeitsgruppen/Symposien mit diagnostischpsychologischen Fragestellungen - in der Regel im Kontext unterschiedlicher Anwendungsbeispiele der Psychologie. Dialog mit den Nachbardisziplinen. Auf die Bedeutung einer interdisziplinären Sichtweise wurde im Rahmen der Kongressvorbereitung vielfach hingewiesen. Konkret wird dies am 28. und 29. September 2010 mit zwei Sonderveranstaltungen, das heißt mit jeweils vier Symposien zu aktuellen Themen umgesetzt. Am 28. September werden sich die Rehabilitationswissenschaften präsentieren; am 29. September wird dies mit einem „Psychiatrie-Tag“ fortgeführt. Auch hier werden vier Symposien unter dem Vorsitz von führenden Repräsentanten der Deutschen Gesellschaft für 350 DGP-Kongress Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) realisiert. Wir danken in diesem Zusammenhang dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW), Uwe Koch (Universitätsklinikum Eppendorf, Universität Hamburg), und dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), Frank Schneider (RWTH Aachen), für ihre Unterstützung und die Kooperationsbereitschaft. Selbstverständlich weist der Kongress eine Vielzahl weiterer Angebote im Grenzgebiet Klinische Psychologie/ Psychiatrie, Psychosomatik/Rehabilitation/ Psychotherapie oder auch zu den Erziehungswissenschaften auf. Die Sonderveranstaltungen dienen vor allem der Fokussierung einiger Perspektiven im klinisch-psychologischen Bereich. 2.3 Literatur Deutsche Gesellschaft für Psychologie (2000). Empfehlungen des Vorstands für die Organisation künftiger Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Psychologische Rundschau, 51, 161-163. Kanning, U.P., von Rosenstiel, L., Schuler, H., Petermann, F., Nerdinger, F., Batinic, B. et al. (2007). Angewandte Psychologie im Spannungsfeld zwischen Grundlagenforschung und Praxis - Plädoyer für mehr Pluralismus. Psychologische Rundschau, 58, 238-248. Kanning, U.P., von Rosenstiel, L., Schuler, H., Petermann, F., Nerdinger, F., Batinic, B. et al. (2008). Reaktionen auf die Diskussionsbeiträge zum Artikel „Angewandte Psychologie im Spannungsfeld zwischen Grundlagenforschung und Praxis - Plädoyer für mehr Pluralismus. Psychologische Rundschau, 59, 175-178. Publikationen Petermann, F. (2009). 47. Kongress der DGPs in Bremen 2010: Psychologische Kompetenz - Erklären, Entscheiden, Planen. Psychologische Rundschau, 60, 107-109. Petermann, F. & Koglin, U. (2010). Erklären, Entscheiden, Planen: 47. Kongress der DGPs 2010. Psychologische Rundschau, 60, 151-155. 351