Angstprävention im Kindes- und Jugendalter Möglichkeiten und Grenzen Franz Petermann ZKPR, Universität Bremen Altersbereich Alterstypische Ängste Alterstypische Angststörungen 0-6 Monate Intensive sensorische Eindrücke, Verlust an Zuwendung 6-24 Monate Fremde Menschen, Trennung 2-4 Jahre Phantasiekreaturen, Einbrecher, Dunkelheit Trennungsangst 5-7 Jahre Tiere, Naturkatastrophen, Verletzungen Tierphobien, Blutphobie 8-11 Jahre Schlechte Leistungen Schulphobie 12-18 Jahre Ablehnung durch Gleichaltrige Soziale Phobie, Agoraphobie, Panikstörung Frühe Angststörungen als Risikofaktor Bei ca. ¼ der Kinder sind die Angststörungen stabil bis ins Jugendalter Vorliegende Angststörungen erhöhen des Risiko für weitere komorbide psychische Erkrankungen, wie Depression oder Substanzstörungen Angststörungen im Kindesalter erhöhen Risiko für Angststörungen im Erwachsenenalter um das 2-3fache Bedeutung von Frühprävention Meist kostengünstiger als Behandlung Ziele: – Reduktion der Anzahl betroffener Kinder und Jugendlicher – Reduktion der Symptomatik betroffener Kinder und Jugendlicher – Stärkung allgemeiner sozialer und emotionaler Kompetenzen Begrifflichkeiten Prävention – Reduktion von Risikofaktoren Gesundheitsförderung – Förderung protektiver Faktoren und Ressourcen – Förderung gesundheitszuträglicher Lebensumwelten Krisenintervention/indikative Prävention – Vorbeugung der Verfestigung einer Störung bei ersten Störungsanzeichen Dimensionen von Prävention Spezifisch vs. unspezifisch – Spezifisch auf ein Ziel gerichtet (z.B. Angstprävention) – Allgemeine Förderung von Kompetenzen Zielgruppenspezifisch vs. populationsbezogen – Universell (Allgemeinbevölkerung) – Spezifisch (Risikogruppen) – Indiziert (bei ersten Krankheitszeichen) Personenorientiert vs. systemorientiert Beispiele für universelle Präventionsprogramme Programme Spezifisch für Altersbereich FRIENDS Angst 7-11 12-16 Penn Prevention Program Depression und Angst 6-15 Stressimpfungs-Training Angst 15-17 Gesundheit und Optimismus GO! Angst und Depression 14-18 FRIENDS for Life überprüftes Präventionsprogramm für Kinder im Alter von 7-11 und Jugendliche im Alter von 12-16 Jahren Beruht auf den Behandlungsansätzen „Coping Cat“ (Kendall) und „Coping Koala“ (Barrett et al., 1996) Universeller Ansatz zur Prävention von Angststörungen Schulbasiertes Vorgehen mit Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie Der FREUNDE-Plan F R E U N D E Fühlst Du Dich von Sorgen geplagt? Relax und lass es Dir gut gehen Eigene hilfreiche Gedanken und Selbstgespräche nutzen Untersuche, was Du tun kannst nach guter Arbeit kannst Du Dich belohnen Das Üben nicht vergessen Entspannt und ruhig bleiben Programminhalte Gefühle bei sich und anderen erkennen Körperreaktionen unter Stress kennen lernen und verstehen Entspannungsfähigkeiten einüben (Muskelentspannung, Bauchatmung) Zusammenhänge zwischen Gedanken und Gefühlen verstehen Handlungspläne für schwierige Situationen entwickeln (Ziele formulieren, sich Herausforderungen annähern, soziale Netzwerke bauen, sich selbst belohnen) FRIENDS-Management-Plan üben Programmdurchführung 10 (+2) wöchentliche Sitzungen mit 1 bis 1,5 Stunden Wird meist durch den Lehrer durchgeführt – Training erforderlich – Unter Verwendung von Manualen und Arbeitsbücher Regelmäßige Hausaufgaben, um neue Fertigkeiten einzuüben Modul für Eltern – 2 Sitzungen plus Informationsmaterialien Gesundheit und Optimismus GO! (Junge et al., 2002) Primärprävention von Angst und Depression Populationsbezogen, spezifisch, personenorientiert Schulbasiertes Vorgehen für Altersgruppe zwischen 14 und 18 Jahren Beruht auf Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie Programminhalte 1. Sitzung Let‘s GO! Einführung in das Programm, Was ist Stress?, Komponenten der Stressreaktion 2. Sitzung Denken, Fühlen, Handeln Zusammenhang zwischen Gedanken, Verhalten, Körperreaktionen, Gefühlen 3. Sitzung Angst unter der Lupe Was ist Angst?, Erscheinungsformen, Unterscheidung normale vs. klinische Angst, Hyperventilationstest 4. Sitzung Sich in die Höhle des Löwen wagen Spezifische Ängste und Soziale Phobie, Vorbeugung und Bewältigung von Ängsten Programminhalte 5. Sitzung Depression – die schwarze Brille Depressive Stimmung und Depression, Aufrechterhaltung depressiver Stimmung, Vorbeugung und Bewältigung depressiver Stimmung 6. Sitzung Selbstsicherheit: sich erfolgreich durchsetzen Soziale Kompetenz, Selbstsicherheit trainieren 7. Sitzung Stressbewältigung – Achtung, Hochspannung! Stressbewältigung, systematisches Problemlösen, Entspannung 8. Sitzung Das war‘s! Wiederholung des Gelernten, Wissenstest, Wie helfe ich anderen und wer hilft mir? Programmdurchführung Durch trainiertes Personal Regelmäßige Hausaufgaben Umfangreiche Sammlung von Arbeitsblättern zur Durchführung Was nützt Angstprävention? Evaluation von Präventionsprogrammen Mit Ausnahme des FRIENDS-Programms sind Präventionsprogramme für Kinder und Jugendliche bislang nur unzureichend evaluiert – Meist nur 1 Studie – Follow-up Untersuchungen fehlen häufig Bislang zwei zusammenfassende Arbeiten, die zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen: – Neil & Christensen (2009): Systematisches Review – Pössel et al. (2006): Kosten-Nutzen-Evaluation Pössel et al. (2006) Programm Netto-Effektstärke Prä-Post Netto-Effektstärke FU Kosten/ Person 0,25-0,26* (Psychologen) 0,17 (Lehrer) - 10-26 € SIT 1,11-1,40* (State-Angst) 0,48-0,89 (Trait-Angst) -0,08 (State-Angst) -0,07 (Trait-Angst 61,60 € GO! -0,22 (Angst: BAI) -0,38 (Angst: BAI) 21,81 € FRIENDS * Signifikanter Netto-Effekt Limitationen bisheriger Untersuchungen Meist nur Wartekontrollgruppen Unzureichende Follow-up Zeiträume Durchführung durchs Forschungs-Team anstelle der eigentlichen Programmleiter (z.B. Lehrer) Fehlen von Adhärenz- und Compliance-Maßen FRIENDS Evaluation – Veränderungen in Symptommaßen Spence Children Anxiety Scale 35 30 VG KG 25 20 15 Prä Post 12-Mo-FU Was verändert sich durch Prävention? Beispiel GO! Untersuchung an 612 Gymnasiasten der Klassenstufen 9 und 10 (Manz et al., 2001), die einer Versuchs- und einer Kontrollgruppe zugewiesen wurden Baseline-Erhebung und Wiederholungsmessung nach der Intervention und im 6- und 15-Monats-FU Outcome-Parameter: – Programmumsetzbarkeit und Passung – Wissenszuwachs – Programmeffekte auf Angst und Depressionsmaße (BAI, BDI) Schlussfolgerungen der Autoren Programm eher Gesundheitsförderung als Prävention: – Bessere Ergebnisse für Gesunde als für Risikopopulationen – Keine Reduktion in Symptomvariablen Angst, sogar stärkere Reduktion in der Kontrollgruppe – dafür tendenzielle Effekte für sekundären Zielvariablen, wie Angstsensitivität und dysfunktionalen Einstellungen Zusammenfassung Angstprävention führt zur Reduktion von Risikofällen Häufig unspezifische Effekte Unklare Langzeitwirkungen der Programme Insgesamt noch relativ geringe Evidenzbasierung Indikative Programme Hintergrund: – Angststörung im Kindesalter häufig Vorläufer späterer psychischer Störungen – Frühintervention als Möglichkeit, späteren Erkrankungen vorzubeugen Zielgruppe: – Personen mit ersten Krankheitszeichen Ziel: – Reduktion der aktuellen Symptomatik – Prävention einer Symptomverschlechterung Deutschsprachige Programme Trennungsangstprogramm für Familien TAFF (Schneider et al., in Vorb.) Training mit sozial unsicheren Kindern (Petermann & Petermann, 2006) Mutig werden mit Til Tiger (Ahrens-Eipper & Leplow, 2004) Beispiel TAFF „TrennungsAngstprogramm Für Familien“ TAFF Konzipiert für betroffene Kinder zwischen 5 und 7 Jahren 12-wöchiges Programm mit kognitivverhaltenstherapeutischer Konzeption – Kombination aus Kinder-, Eltern- und Familiensitzungen Inhalte TAFF 1. Therapiephase (4 Wochen): – Wöchentliche Einzelsitzungen mit dem Kind – Wöchentliche Elternsitzungen – Inhalte v.a. Psychoedukation 2. Therapiephase (8 Wochen): – Wöchentliche Familiensitzungen mit anschließendem Elternkurzkontakt – Planung von Expositionen und kognitive Umstrukturierung (bei Eltern) Vorläufige Ergebnisse Separation Anxiety Inventory 3 2,5 VG Kind VG Mutter KG Kind KG Mutter 2 1,5 1 0,5 0 Prä Post Effektstärke: Kind: d = 0,98 Mutter: d = 1,31 Training mit sozial unsicheren Kindern (Petermann & Petermann, 2006) Seit mehr als 25 Jahren bewährtes Trainingsprogramm Parallele Durchführung eines Kindertrainings und einer Elternberatung Versionen für Vorschul- und für Schulkinder Ziele: – Schulung der Selbstwahrnehmung und Wahrnehmung anderer – Aufbau angemessener Selbstverbalisationen – Training sozialer Fertigkeiten Trainingskonzeption Kindertraining Einzeltraining Vorschulkinder: min. 6 Sitzungen Schulkinder: min. 4 Sitzungen Elternberatung Elternberatung Min. 4 Sitzungen mit den Eltern oder der ganzen Familie Gruppentraining Kennlernphase: 2 Sitzungen Vorschulkinder: min. 6 Sitzungen Schulkinder: min. 6 Sitzungen Nachgespräch 8 Wochen nach Trainingsende Durchführung des Einzeltrainings Sitzung Ziel Methoden 1 Bewusstmachen unsicheren Verhaltens; Auslösesituationen und Gründe des Verhaltens Detektivbogen Bearbeitung von Video- oder Fotogeschichten 2 Sensibilisierung der Wahrnehmung für zwischenmenschliche Situationen und Interaktionsabläufe Gesichtsausdrücke diskriminieren 3 Reflexion der Erwartung im Hinblick auf das Verhalten anderer, Reflexion des eigenen Verhaltens Micky-Maus-Spiel/ Wovor habe ich Angst-Spiel 4 Reflexion von Kriterien, nach denen Sozialverhalten beurteilt wird, Alternativen zu unsicherem Verhalten Comics die mit Gedanken oder Sätzen ergänzt werden müssen In jeder Sitzung: Ruhe- und Entspannungsübung, Spielminuten, Tokenprogramm Detektivbogen Selbstbeobachtung ausgewählter Verhaltensweisen Fotogeschichten Identifikation des sozialen „Problems“ Besprechung von Verhaltensalternativen und Lösungen Gesichter diskriminieren Gesichtsausdrücken Gedanken zuordnen Bilder in eine Reihenfolge bringen Comic Geschichte Kind soll fehlende Sprechblasen zu einer Geschichte ergänzen Lösung wird besprochen hinsichtlich der Kriterien, die ein Kind zur Auswahl seiner Lösung herangezogen hat Durchführung des Gruppentrainings Sitzung Ziele Methoden im Training 1 Positive Gefühle zum Ausdruck bringen - 2 Durchsetzen eigener Ansprüche, Erkennen der Ansprüche anderer 3 Kontaktaufnahme zu Fremden, Umgang mit Kritik 4 Angemessene Selbstbehauptung, Förderung von Empathie 5 Umgang mit sozialer Hervorhebung, 6 Äußern von Meinungen, Kritik, Gefühlen Detektivbogen zur Selbstbeobachtung - Entspannungsübungen - Rollenspiele - Fotogeschichten - Hausaufgaben Ziele der Elternberatung Sensibilisierung der Eltern für problematische Verhaltensweisen des Kindes Wissensvermittlung über das Störungsbild Vermittlung neuer Problemlösestrategien Einbindung in die Erarbeitung von Wochenplänen Ergebnisse der Evaluation (Ortbandt & Petermann, 2009) Soziale Angst (DSYPS-KJ) 2 1,5 VG KG 1 0,5 0 Prä Post Effektstärke: d = 0,50 Ergebnisse der Evaluation (Ortbandt & Petermann, 2009) Trennungsangst (DSYPS-KJ) 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 VG KG Prä Post Effektstärke: d = 0,98 Zusätzliche Ergebnisse aus Einzelfallstudien Training effektiv unabhängig vom Trainer oder vom Setting Motivation der Eltern mit entscheidend für den Erfolg Jüngere und lernbehinderte Kinder weisen verzögerte, aber gleichwertige Trainingseffekte auf Bei mehrfach beeinträchtigten Kindern werden Generalisierungseffekte auf andere Symptome beobachtet, d.h. andere Probleme reduzieren sich durch das Training dauerhaft