Neuö Zürcör Zäitung Donnerstag, 26. November 2015 UNTERNEHMENSPRAXIS 29 Wirtschaftsinteressen in der Politik Gespannt warten Unternehmer, wie das neue Parlament, dessen Ausrichtung sich leicht nach rechts verschoben hat, wirtschaftliche Themen angehen wird. Die direkte Partizipation am politischen Prozess ist für Firmenbesitzer allerdings anspruchsvoll. Wie das Beispiel von Nationalrat Alois Gmür zeigt, ist man als Unternehmer angreifbar. Im Zwiespalt zwischen Geschäft und Politik Der Brauerei-Unternehmer und Nationalrat Alois Gmür ist ein begeisterter Politiker, als Geschäftsmann aber oft in einer heiklen Lage Politik und Unternehmertum sind schwierig zu vereinen. Am meisten Mühe bereitet Alois Gmür aber, wenn politische Gegner ihn wirtschaftlich unter Druck setzen. ren die Funktion des Braumeisters und hat den Vater so entlastet. Diese Konstellation hat laut Gmür den Vorteil, dass in der Firma keine Diskussionen über Überstunden aufkommen, wenn er von der Politik stark beansprucht wird. Das Problem wird in der Familie gelöst. Finanziell verletzlich DANIEL IMWINKELRIED Der Terminkalender von Alois Gmür war in den vergangenen sieben Tagen prallvoll. Der Schwyzer CVP-Nationalrat und Brauereiunternehmer nahm an einer mehrtägigen Sitzung der Finanzkommission teil, besuchte später die Fraktionssitzung seiner Partei und markierte darauf mehrere Tage an der Igeho (internationale Fachmesse für Hotellerie, Gastronomie und Ausser-HausKonsum) in Basel Präsenz. Die Woche ging mit einer Sitzung der Einsiedler Ortspartei zu Ende. Doppelt gefordert Gedrängte Termine sind das Los von Unternehmern, die sich politisch betätigen. Gmür wird kommende Woche in Bern seine zweite Legislatur in Angriff nehmen. In den ersten vier Jahren widmete er bis zu 70% seiner Zeit der Politik, in den kommenden vier Jahren soll dieser Anteil auf 60% sinken. Weil er je einer Spezialkommission und einer Arbeitsgruppe angehörte, war der Aufwand für das politische Amt grösser als erwartet. Für die kommenden Jahre ist es sein Wunsch, nur noch der Finanzkommission anzugehören, zumal deren Agenda reich befrachtet sein wird. Der Bund wird sparen müssen, weil alles nach sinkenden Steuereinnahmen aussieht. Zudem gilt es, die Ausfälle der Unternehmenssteuerreform III zu kompensieren. Ebenso anspruchsvoll präsentiert sich für Gmür allerdings das Geschäftsleben. Da der Bierkonsum in der Schweiz stagniert und die Brauereien mit Lagerbier keinen Staat mehr machen können, Alois Gmür ist Nationalrat und besitzt in Einsiedeln eine Brauerei. müssen sie sich immer wieder neue Spezialitäten einfallen lassen, um zu bestehen. Der Brauerei Rosengarten in Einsiedeln, Gmürs Firma, scheint das zu gelingen. Sie hat im vergangenen Geschäftsjahr mit 20 000 hl so viel Bier gebraut wie nie zuvor. Offensichtlich hat man Marktanteile gewonnen. Oft heisst es, Unternehmer zögen sich aus den Parlamenten zurück, weil sich die Anforderungen des Geschäfts und der Politik nicht mehr vereinbaren liessen. Gmür sagt zwar, die ersten vier Jahre in Bern seien hart gewesen; gleichwohl scheint es ihm Spass zu machen, zwischen den beiden Sphären zu pendeln. Politik ist seit dreissig Jahren Teil seines Lebens, zuerst als Gemeinde-, dann als Kantonsrat und nun in Bern. Wie viele Unternehmer dem National- und dem Ständerat angehören, lässt sich nur schwer beziffern. Laut Schätzungen dürften es rund dreissig Personen sein, wobei die exakte Zahl davon abhängt, was man unter einem Unternehmer versteht. Zählt man auch selbständige Berater zu ihnen, oder darf das Etikett nur beanspruchen, wer eine verhältnismässig grosse Gesellschaft besitzt und leitet? DANIEL KELLENBERGER / FRESHFOCUS Wie schwierig die Abgrenzung ist, zeigt auch das Beispiel von Gmür. Mit etwas über zwanzig Mitarbeitern ist die Brauerei Rosengarten mehr als nur ein kleiner Gewerbebetrieb. Gmür ist im Unternehmen allerdings nicht der Alleinherrscher. Die Last der Führung ist auf mehrere Schultern verteilt. Den Leitungsgremien gehören ausschliesslich sieben Familienmitglieder an, wobei der 92-jährige Alois Gmür senior, der Vater des Nationalrats, Verwaltungsratspräsident ist. Gmür junior ist noch für den Verkauf zuständig. Sein Sohn, Alois Gmür jun. jun., übernahm vor drei Jah- Trotzdem kommt es vor, dass Gmür in Bern das Gefühl beschleicht, er habe wenig bewegt, während in Einsiedeln die Arbeit wartet. Seiner Meinung nach gib es im Nationalrat zu viele Kollegen, die sich mit chancenlosen Vorstössen profilieren möchten. Ausgeufert sei auch das Mitberichtswesen. Zu allen möglichen Geschäften würden inzwischen die finanziellen Folgen abgeklärt, und das beanspruche in der Finanzkommission viel Zeit und Energie. Für diese Mühsal würden Unternehmer entschädigt, indem sie geschäftlich von ihrer politischen Arbeit profitierten, lautet ein Klischee. Gmür teilt diese Ansicht nicht. Man lerne als Nationalrat zwar viele Leute kennen und sei am Puls des Geschehens. Regional verankerte Firmen machten sich in der kleinräumigen Schweiz jedoch auch angreifbar, wenn sie politische Vorhaben unterstützten, die Kunden nicht passten. Gmür hat das schon früh in seiner politischen Karriere erlebt. Als Einsiedler Gemeinderat war er für die Einführung der Sackgebühr im Ort zuständig. Darauf hagelte es Prostete von Beizern, und Einzelne drohten sogar damit, einen anderen Bierproduzenten zu berücksichtigen. Auch als Nationalrat ist Gmür schon in einen Zwiespalt geraten, zumal Organisationen mit ganz anderer politischer Ausrichtung zu seinen guten Kunden zählen, etwa die Berner Reithalle. Bei der Abstimmung zum Waffenausfuhrgesetz habe er sich der Stimme enthalten, sagt Gmür, und möglicherweise werde er das künftig bei weiteren Fragen tun müssen, um sein Unternehmen vor Druckversuchen zu schützen. «Es wird einfacher werden, Mehrheiten zu finden» Das neue Parlament verspricht, per saldo ein bisschen KMU-freundlicher zu sein Die leichte Rechtsverschiebung im Parlament mag bei Kleinund Mittelbetrieben Hoffnungen auslösen. Vielleicht bremst das Wahlergebnis die Regulierungslust der Politiker ein wenig. HANSUELI SCHÖCHLI Aus der Sicht von Klein- und Mittelbetrieben (KMU) brachten die Parlamentswahlen einen Schritt in die richtige Richtung. Zumindest liesse sich dies vermuten, wenn man das KMU-Rating des Gewerbeverbandes für bare Münze nimmt. Im Rating für 2011 bis 2014 schnitt die SVP bezüglich «KMUFreundlichkeit» von allen grösseren Parteien klar am besten ab, nach ihr die FDP. Diese beiden Parteien haben mit den Wahlen von diesem Herbst zugelegt. Besonders augenfällig sind die Gewinne der SVP im Nationalrat (11 Sitze). Das ist kein Erdbeben – Parlamentswahlen bringen in der Schweiz keine Erschütterungen –, hat aber doch gewisse Bedeutung. Zusammen mit der FDP und zwei kleinen Rechtsparteien reicht dies für eine knappe Mehrheit von 101 von 200 Sitzen. Im Ständerat dürfte sich dagegen wenig verändern; grob gesagt, gab es eine Verschiebung zweier Sitze von der Mitte nach rechts (zur FDP), doch Mitte-Links (CVP/SP) hält weiterhin eine Mehrheit. Relativierte Hoffnungen Die leichte Rechtsverschiebung im Parlament ist aus KMU-Sicht auch aus zwei anderen Gründen zu relativieren. Zum einen könnte die Stärkung der SVP Lösungen in einer der zentralen Fragen – der Europapolitik – noch erschweren. Und zum andern dürfte das Abstimmungsverhalten der SVP im Parlament zuweilen auch durch das Wissen geprägt gewesen sein, dass die Partei in der Minderheit bleiben würde – was das KMURating verfälschen mag. Ein Beispiel ist die Vorlage gegen die Geldwäscherei, wo es sich die SVP als Minderheit leisten konnte, sich um globale Standards zu foutieren. Trotz alldem löst die Neubesetzung des Parlaments in Gewerbekreisen gewisse Hoffnungen aus. «Es wird einfacher werden, für wirtschaftspolitische Anliegen Mehrheiten zu finden», sagt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Gewerbeverbands und Neo-Nationalrat der FDP. Das Kerngeschäft des Gewerbeverbands ist laut Bigler «die Reduktion unnötiger Regulierungen». Interessant könnte aus dieser Sicht besonders die Blockademacht der rechten Parteien im Nationalrat sein. Dies mag wenigstens gewisse zusätzliche Regulierungen verhindern. Das könnte zum Beispiel eine Rolle spielen bei den interventionistischen Vorlagen des Bundesrats zum Aktienrecht und zur Lohnpolizei. Der von der FDP und vom Gewerbeverband gewünschte Einheitssatz der Mehrwertsteuer dürfte dagegen nach wie vor nicht mehrheitsfähig sein, da die CVP und die Mehrheit der SVP eine solche Reform entgegen ihren Sonntagsreden in Sachen «Bürokratieabbau» bekämpfen. Ein zentrales Dossier aus Sicht des Gewerbes ist für Verbandsdirektor Bigler auch die Altersvorsorge. Der Bundesrat will die Hypotheken vor allem den kommenden Generationen aufbürden, der Ständerat hat die Vorlage mit der Erhöhung der AHV-Renten sogar noch verschlimmert. Hier dürfte der Nationalrat versuchen, etwas Gegensteuer zu geben, doch der Ständerat bleibt eine grosse Hürde. Laut Gewerbedirektor Bigler sollte man «nicht alles über Steuer- und Beitragserhöhungen finanzieren», sondern es brauche eine Opfersymmetrie. Und: «Wir kommen nicht um eine Diskussion des Rentenalters herum.» Auch im neuen Parlament dürfte allerdings eine allgemeine Erhöhung des Pensionierungsalters chancenlos sein. Chancenreich erscheint dagegen eine Lockerung des Arbeitsgesetzes in Sachen Zeiterfassung. Die Idee, dass für den Übergang zur Vertrauensarbeitszeit anstelle eines Gesamtarbeitsvertrags eine Vereinbarung des Arbeitgebers mit dem Betroffenen bzw. mit einer betriebsinternen Arbeitnehmervertretung genügen würde, geniesst auch Sympathien in der CVP und könnte daher in beiden Räten mehrheitsfähig sein. Zu den strategischen Zielen des Gewerbeverbands zählt seit 2014 auch die ZAHL ZUM THEMA 50% Wie anspruchsvoll ein Mandat als Nationalrat ist, hängt stark von der jeweiligen Person und ihren Ambitionen ab. Allgemein gilt, dass es sich mindestens um ein 50%-Amt handelt. Eher noch mehr Zeit beansprucht die Funktion des Ständerats, weil in diesem Amt tendenziell mehr Kommissionsarbeit anfällt. Ohne starke Entlastung in der Firma ist ein Parlamentsmandat somit kaum tragbar. Aussenwirtschaftspolitik. Denn KMU sind nicht gleichzusetzen mit Binnenwirtschaft, wie Verbandsdirektor Bigler betont: Ein Drittel der KMU habe einen Exportanteil von über 50% und ein weiteres Drittel von 10% bis 50%. Das macht die SVP-Haltung zu Europa auch für viele KMU problematisch. Grosse contra Kleine? Zu reden gaben in den vergangenen Jahren auch Differenzen zwischen KMU und Grossfirmen. Zu 80% seien die Interessen deckungsgleich, betont Bigler. Zur Minderheit der Fälle gehöre etwa das Finanzdienstleistungsgesetz, bei dem grosse Anbieter den ausländischen Marktzugang höher gewichteten als den drohenden Regulierungsschub im Inland, während kleinere Finanzdienstleister eine andere Sicht hätten. Der Gewerbeverband war bisher schon mit seinem Präsidenten, dem SVP-Nationalrat Jean-François Rime, im Parlament vertreten. Nun stösst auch noch der Direktor dazu. Die Einsitznahme im Parlament hat laut HansUlrich Bigler für den Verband vor allem zwei Vorteile: «Man ist näher bei den Informationen und kann die Lobbyingarbeit intensivieren.» Welche konkreten Ergebnisse dies bringt, mögen die kommenden vier Jahre zeigen.