- Lennep hat was

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Andreas Schwab
Thales von Milet
in der frühen christlichen Literatur
2
Studia Praesocratica
Herausgegeben von / Edited by
M. Laura Gemelli Marciano · Richard McKirahan
Denis O’Brian · Oliver Primavesi · Christoph Riedweg
David Sider · Gotthard Strohmaier · Georg Wöhrle
Band 3
De Gruyter
3
Thales von Milet
in der frühen christlichen Literatur
Darstellungen seiner Figur und seiner Ideen
in den griechischen und lateinischen Textzeugnissen
christlicher Autoren der Kaiserzeit und Spätantike
von
Andreas Schwab
De Gruyter
4
Gedruckt mit Hilfe der
Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung
für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
ISBN 978-3-11-024598-1
e-ISBN 978-3-11-024599-8
ISSN 1869-7143
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data
Schwab, Andreas, 1977 –
Thales von Milet in der frühen christlichen Literatur: Darstellungen seiner
Figur und seiner Ideen in den griechischen und lateinischen Textzeugnissen
christlicher Autoren der Kaiserzeit und Spätantike / Andreas Schwab.
p. cm. – (Studia Praesocratica; Bd. 3)
Includes bibliographical references and indexes.
ISBN 978-3-11-024598-1 (hardcover : alk. paper) -ISBN 978-3-11-024599-8 (e-ISBN)
1. Thales, ca. 634–ca. 546 B.C. I. Title.
B253.S39 2011
182’.1–dc23
2011039345
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet
über http://dnb.d-nb.de abrufbar
© 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston
Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde
Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
ÜGedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany
www.degruyter.com
5
Meinen Eltern in Dankbarkeit
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Vorwort
7
Vorwort
Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um die überarbeitete
Fassung meiner Dissertation in Klassischer Philologie, die im Juli 2009 an
der Universität Trier am Fachbereich II für Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften vorgelegt und angenommen wurde.
Mein herzlichster Dank gilt an erster Stelle meinen beiden Betreuern,
Herrn Prof. Georg Wöhrle (Trier) und Herrn Prof. Philip van der Eijk (Berlin). Durch seine Arbeit an der neuen Edition der Textzeugnisse über Thales
hat Herr Wöhrle meine Untersuchung entscheidend angeregt und von Beginn an mit großer Aufmerksamkeit gefördert und begleitet. Sowohl während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Editionsprojekt
in Tier als auch darüber hinaus hat er mich in vielfältiger Weise ermutigt und
unterstützt.
Wichtig für die Reifungs- und Reflexionsprozesse während der Arbeit
waren ebenso die Gespräche mit Philip van der Eijk, der mir insbesondere
während meines Forschungsaufenthaltes im Jahre 2008 an der School of
Historical Studies in Newcastle upon Tyne (UK) und auch danach stets mit
seiner konstruktiven Kritik und seinem Rat zur Seite stand. Dass sich die
Arbeit vor dem Hintergrund der Forschungslage zu Thales in einer zunächst
unvorhergesehenen Dynamik auf die christlichen Autoren der Kaiserzeit
und Spätantike konzentrierte, war nicht zuletzt eine Frucht des Patristischen
Forschungskolloquiums von Herrn Prof. Roland Kany in München, in dem
ich zweimal vor einem sehr interessierten theologischen Kreis meine
‚works-in-progress‘ vortragen durfte.
Meine Untersuchung, die im interdisziplinären Feld von frühgriechischer
Philosophie und Wissenschaft sowie frühchristlicher Religion und Theologie zu verorten ist, nahm ihren Ausgang von der Beschäftigung mit philologischen Fragen und Problemen der Überlieferungsgeschichte sowie der
Wirkung von Texten und Texteditionen. Vermutlich hätte ich die Arbeit so
nicht unternommen, wenn ich nicht bereits während meines Studiums in
München und Paris wegweisende Impulse von verschiedenen Seiten dazu
bekommen hätte: Prof. Martin Hose danke ich besonders dafür, dass er
meine Aufmerksamkeit nicht nur auf die klassischen Texte, sondern stets
auch auf entlegene Texte, wie z.B. die der christlichen Literatur, gelenkt hat;
8
Vorwort
Prof. Oliver Primavesi bin ich dankbar dafür, dass er uns bereits im Grundstudium mit der grundlegenden Bedeutung von Diels’ Doxographi Graeci
für die Überlieferungsgeschichte der antiken Philosophie sowie den hermeneutischen Problemen bei der Rekonstruktion frühgriechischer Philosophie
vertraut machte; Prof. Dieter Bremer schließlich förderte durch viele Gespräche bei der Mitarbeit an der Forschungsgeschichte zu den Vorsokratikern meine Begeisterung für die frühgriechische Philosophie sowie deren
reiche Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte. Alain Le Boulluec und Michel
Fédou S.J. haben in Paris mein Interesse an der patristischen Literatur weiter gefördert und mich durch ihr eigenes Forschen und Lehren sowie durch
persönliche Gespräche ermuntert. Prof. Rémi Brague danke ich für sein
kontinuierliches und lebhaftes Interesse an meiner Arbeit, seine Unterstützung und für wichtige ermutigende Gespräche.
Den methodischen Ansatz meiner Untersuchung sowie einzelne Kapitel
konnte ich bei Vorträgen in München, Newcastle upon Tyne (UK), Durham
(UK), Giessen, Trier, Berlin, Ascea (Italien), Heidelberg und Bonn vorstellen und diskutieren. Für die wertvollen Rückmeldungen, die ich dadurch
empfangen habe, bin ich sehr dankbar. Die Teilnahme an der ersten Konferenz der International Association for Presocratic Studies (IAPS) im Juli
2008 in Utah war dabei ein kleiner Höhepunkt; für die anregenden Gespräche und Diskussionsbeiträge bin ich allen Teilnehmern zu Dank verpflichtet, vor allem Alberto Bernabé, Patricia Curd, Daniel Graham, Serge Mouraview sowie insbesondere Tom Robinson, Livio Rosetti und Richard
McKirahan.
Mit Freude danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen besonders in
Trier und Heidelberg sowie meinen Freunden, die mir als Gesprächspartner
und kritische Leser zur Seite standen. Besonders erwähnen möchte ich die
unschätzbare Anteilnahme und Aufmerksamkeit von Prof. em. Hans-Otto
Kröner (Trier), der Kapitel um Kapitel las und sich kritisch, geistreich und
anspornend mit mir und meiner Arbeit auseinandersetzte.
Allen Herausgebern danke ich herzlich für die Aufnahme der Arbeit in
die Reihe ‚Studia Praesocratica‘. Ein besonderer Dank gebührt Frau Dr. Sabine Vogt, die das Projekt mit großem Interesse und ihrem allzeit guten Rat
kundig betreut hat.
Großen Dank für finanzielle Unterstützung schulde ich schließlich der
Karl und Gertrud Abel-Stiftung für die Finanzierung meiner Mitarbeiterstelle im Editionsprojekt zu Thales, dem Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) und der Nikolaus Koch Stiftung (Trier), die sowohl meinen Forschungsaufenthalt in Newcastle upon Tyne (UK) als auch
den Konferenzbesuch in Utah ermöglichten. Nicht zuletzt danke ich der
Vorwort
9
‚Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften‘,
die die Drucklegung der Arbeit mit einem Druckkostenzuschuß erfreulich
erleichtert hat.
Das Buch ist meinen Eltern gewidmet, die stets nicht nur meinen Studienweg auf vielfältige Art und Weise mit Wohlwollen begleitet und gefördert
haben.
Heidelberg, im Juni 2011
Andreas Schwab
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Vorwort
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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Forschungsstand und Methode . . . . . . . . . .
1.1 Die Fragmente der Vorsokratiker (1903) . .
1.2 Die Sammlung Traditio Praesocratica (2009)
1.3 Forschungsansatz und Methode . . . . . . .
1.4 Hinweise zur Benutzung . . . . . . . . . . .
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2. Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert .
2.1 Irenäus von Lyon (Th 145) . . . . . . . .
2.2 Tatian (Th 176) . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Athenagoras (Th 186) . . . . . . . . . .
2.4 Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
2.5 Hippolytos von Rom (Th 209–215) . . .
2.6 Tertullian (Th 216–222) . . . . . . . . .
2.7 Minucius Felix (Th 229) . . . . . . . . .
2.8 Hermias (Th 230) . . . . . . . . . . . . .
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3. Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert . .
3.1 Laktanz (Th 254–258) . . . . . . .
3.2 Arnobius (Th 259) . . . . . . . . .
3.3 Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
3.4 Ps.-Justin (Th 291–292) . . . . . .
3.5 Epiphanios von Salamis (Th 293) .
3.6 Hieronymus (Th 304–308) . . . . .
3.7 Ambrosius (Th 309) . . . . . . . .
3.8 Tyrannios Rufinos (Th 310) . . . .
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4. Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
4.1 Augustinus (Th 311–316) . . . . . . . . .
4.2 Nemesios von Emesa (Th 323–324) . . . .
4.3 Theodoret (Th 326–337) . . . . . . . . . .
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12
Inhaltsverzeichnis
4.4
4.5
4.6
4.7
4.8
Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
Sidonius Apollinaris (Th 385–389) . .
Aponius (Th 338) . . . . . . . . . . .
Iohannes Malalas (Th 454–455) . . .
Isidor von Sevilla (Th 473–475) . . .
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5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . .
5.1 Vom Kontext zum Diskursfeld . . . . .
5.2 Faktoren für die Thales-Darstellung . .
5.3 Homogenität der Thales-Darstellungen?
5.4 Neue Perspektiven auf Thales . . . . .
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6. Literaturverzeichnis .
6.1 Abkürzungen . .
6.2 Editionen . . . .
6.3 Sekundärliteratur
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355
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7. Appendix: Tabelle zu den verwendeten Attributen
in den Textzeugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
8. Register . . . . . . . . . .
8.1 Stellen . . . . . . . .
8.2 Namen . . . . . . . .
8.3 Sachen und Begriffe .
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387
400
403
Vorwort
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Dicit inter sapientes primus Thales ille Milesius deum antiquissimum, quia
ingenitus, mundum pulcherrimum, quia a deo factus. Quae verba dum in
Laërtio legerem, summe mihi placuere. Inspicio mundum pulcherrimum
miro ordine unitum, in quo summa summi dei bonitas, sapientia pulchritudoque relucet.
Thales von Milet, der erste unter den Weisen, nennt Gott den Uralten, da er
ungezeugt ist, die Welt aber urschön, da sie von Gott geschaffen ist. Als ich
diese Worte bei Laërtius las, fanden sie meinen vollen Beifall. Ich betrachte
die herrliche Welt, geeint in wunderbarer Ordnung, in der des höchsten Gottes höchste Güte, seine Weisheit und Herrlichkeit widerstrahlt.
Nikolaus von Kues, De venatione sapientiae, Cap. II.
Die griechische Philosophie scheint mit einem ungereimten Einfalle zu
beginnen, mit dem Satze, daß das Wasser der Ursprung und der Mutterschooß aller Dinge sei: ist es wirklich nöthig, hierbei stille zu stehen und
ernst zu werden? Ja, und aus drei Gründen: erstens weil der Satz etwas vom
Ursprung der Dinge aussagt und zweitens, weil er dies ohne Bild und Fabelei thut; und endlich drittens, weil in ihm wenngleich nur im Zustande der
Verpuppung der Gedanke enthalten ist: alles ist eins. Der erstgenannte
Grund läßt Thales noch in der Gemeinschaft mit Religiösen und Abergläubischen, der zweite aber nimmt ihn aus dieser Gesellschaft und zeigt uns ihn
als Naturforscher, aber vermöge des dritten Grundes gilt Thales als der erste
griechische Philosoph.
Friedrich Nietzsche,
Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen,
Fragment 1873, [813].
14
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
15
Einleitung
Das Zitat aus der Schrift des Philosophen, Theologen und Mathematikers
Nikolaus von Kues (1401–1464) sowie die pointierte Äußerung des Philologen und Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900) bezeugen exemplarisch die einzigartige Bedeutung des frühgriechischen Denkers, der nicht
nur als erster spekulativer Naturphilosoph und einer der Sieben Weisen, in
den Brunnen stürzender Astronom und Mathematiker, sondern auch als kluger Ratgeber und Ingenieur in jeder europäischen Philosophie-, Kultur- und
Wissenschaftsgeschichte einen prominenten Platz gefunden hat: Thales von
Milet.
Beide Texte präsentieren zwei Perspektiven auf das facettenreiche Phänomen ‚Thales‘ und zeigen auf, dass die dem jeweiligen Autor zur Verfügung stehenden Informationsquellen sowie sein Hintergrundwissen eine
wichtige Rolle spielen. So berichtet Nikolaus von Kues ausdrücklich von
seiner Lektüre des Diogenes Laertius (quae verba dum in Laërtio legerem),
während Nietzsche sich knapp vierhundert Jahre später in seinen philologischen Studien intensiv mit den Quellen des Diogenes Laertius auseinander
setzt. Sicherlich hätte Nikolaus von Kues, ausgehend von seiner Lektüre,
auch mehr und anderes über Thales schreiben können, doch er belässt es bei
der Mitteilung dieser dem Milesier zugeschriebenen gehaltvollen Aussage
über Gott und Welt, die ihn so anspricht, dass er damit das zweite Kapitel
seiner Schrift „Über die Jagd nach der Weisheit“ (De venatione sapientiae)
eröffnet. Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass für eine Untersuchung
zur Darstellung der Figur des Thales in den uns überlieferten Texten, sei es
aus der Antike, dem Mittelalter, der Neuzeit oder der Moderne, verschiedene Faktoren Beachtung verlangen.
Zunächst ist das Hintergrundwissen des Autors relevant, das durchaus
größer und vielschichtiger sein kann, als seine Darstellung des Thales zu
erkennen gibt. Weitere bedeutsame Aspekte für die Analyse des ‚ThalesBildes‘ sind das ‚intellektuelle Profil‘ des Autors, sein leitendes argumentatives Interesse, die von ihm gewählte Form des Ausdrucks und das Textgenre, so z.B. eine theologisch-philosophische Abhandlung bei Nikolaus
von Kues und ein Vorlesungsmanuskript bei Nietzsche. Für ein umfassendes Verständnis jeder Darstellung des Thales und der ihm zugeschriebenen
16
Einleitung
Ideen ist somit sowohl der textexterne als auch der textinterne Kontext, in
dem die Bezugnahme erfolgt, von grundlegender Bedeutung.
Die vorliegende Untersuchung zur Geschichte der Darstellungen des Thales
und seiner Ideen in den griechischen und lateinischen Textzeugnissen
christlicher Autoren der Kaiserzeit und Spätantike (vom 2.–7. Jahrhundert
n. Chr.) widmet sich deshalb besonders den folgenden drei Fragen:
(1) In welchen Zusammenhängen stehen die Bezugnahmen auf Thales und
seine Ideen bei den christlichen Autoren dieser Zeit?
(2) Welche Faktoren sind für die Darstellungen des Thales und seiner Ideen
von entscheidender Bedeutung?
(3) Kann von einem einheitlichen Bild des Thales in den Darstellungen der
christlichen Autoren gesprochen werden?
Um den Forschungsbeitrag der Arbeit sowohl in methodischer als auch in
forschungsgeschichtlicher Rücksicht ermessen zu können, werde ich zuerst
in zwei Schritten (1.1 und 1.2) die Aufmerksamkeit auf die philologischen
Grundlagen zur Erforschung des Milesiers lenken. Vor diesem Hintergrund
werde ich dann (1.3) die Ausrichtung und Methode meines Forschungsansatzes darlegen und (1.4) einige Hinweise zur Struktur und Benutzung
der Untersuchung geben. Der Hauptteil der Arbeit (2, 3, 4) besteht in einer
Falluntersuchung zu den griechischen und lateinischen Textzeugnissen
christlicher Autoren der Kaiserzeit und Spätantike, an denen ich meinen
Forschungsansatz erproben werde. Abschließend (5) sollen die erzielten Ergebnisse zusammengefasst und ein Ausblick auf weiterführende Forschungen gegeben werden.
Die Fragmente der Vorsokratiker (1903)
17
1. Forschungsstand und Methode
Die Forschungen zum ersten der so genannten ionischen Naturphilosophen
im 20. und 21. Jahrhundert sind auf den ersten Blick sehr umfangreich und
polyglott.1 Neben philologischen und philosophischen Untersuchungen stehen Studien aus kultur-, astronomie- und wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive. Fragt man nach der Textgrundlage dieser Studien, so zeigt sich,
dass die erstmals im Jahre 1903 von Hermann Diels publizierte Sammlung
Die Fragmente der Vorsokratiker eine entscheidende Rolle in der Forschungsgeschichte spielt.2 Daher werde ich in einem ersten Schritt (1.1) auf
die einzigartige Bedeutung der Sammlung von Diels sowie auf einige Merkmale derselben eingehen, um aufzuzeigen, inwiefern die gesamte Forschung zu Thales im 20. Jahrhundert (direkt oder indirekt) bis in die Gegenwart durch die Textsammlung von Diels geprägt wurde. In einem zweiten
Schritt (1.2) möchte ich die im Jahre 2009 publizierte, neue Perspektiven eröffnende Sammlung von Zeugnissen über Thales in der Reihe Traditio
Praesocratica vorstellen.
1.1 Die Fragmente der Vorsokratiker (1903)
Aufgrund des maßgeblichen Einflusses auf die Forschungsarbeiten zu Thales möchte ich zuerst auf drei Aspekte dieser Sammlung hinweisen, die
mir bedenkenswert erscheinen: das didaktische Anliegen von Diels bei der
Erstellung des Werkes, der Auswahlcharakter seiner Sammlung sowie die
zumeist fehlenden Kontexte der Textzeugnisse. Wie Diels bereits im Vorwort zur ersten Auflage der Fragmente der Vorsokratiker (1903) betont,
1
2
Cf. dazu die Bibliographien von Paquet/Roussel/Lafrance (1988) bes. 325–341 sowie
Navia (1993) 599–617.
Cf. dazu den Sammelband Hermann Diels (1848–1922) et la Science de l’Antiquité,
hrsg. von Mansfeld/Calder (1999), darin besonders den Aufsatz zu Diels’ Vorsokratiker von Burkert, 169–197 und die wertvolle Diskussion 198–206, sowie den Beitrag
von Mansfeld zu den Doxographi Graeci, 143–164 mit Diskussion 165–168. Cf. auch
Rösler (2009) 369–393. Cf. zur Erforschung der Vorsokratiker in den zwanziger Jahren allgemein Most (1995) 87–114.
18
Forschungsstand und Methode
hatte seine Sammlung zunächst einen praktischen Anlass und ein didaktisches Ziel:
Das vorliegende Buch ist zunächst bestimmt, Vorlesungen über griechische Philosophie zugrunde gelegt zu werden.3
Diels bemerkt weiter:
Willkürliche Auswahl der Fragmente wird stets als Hemmung und Bevormundung der
Lehrenden und Lernenden empfunden werden. Darum strebt diese Sammlung Vollständigkeit der eigentlichen Fragmente und Mitteilung des wesentlichen biographischen und doxographischen Materials an.4
Diels selbst wusste durch seine Studien zu den Doxographi Graeci (1879),5
dass er im Fall der Testimonien, die er mit dem Buchstaben „A“ bezeichnete, also dem biographischen und doxographischen Material, lediglich eine
Auswahl an Textzeugnissen präsentierte. Im Vorwort zur zweiten Auflage
der Vorsokratiker (1906) betont er die Begrenzung seiner Sammlung mit
den folgenden Worten:
Die getroffene Auswahl hat mich mehr Zeit und Mühe gekostet, als wenn ich mein gesammeltes Material vollständig in die Druckerei gesandt hätte. Ich glaube aber gerade
durch diese Beschränkung auf das Wesentliche und Alte den Anfängern, und nicht nur
diesen, einen Dienst geleistet zu haben. Es war meine Absicht, nur die Ähren in die
Scheune zu fahren, das Stroh aber draußen zu lassen, selbst auf die Gefahr hin, dass
hier und da ein gutes Korn darin bliebe.6
Die von Diels so genannte „Beschränkung auf das Wesentliche und Alte“
legt die Kriterien seiner Auswahl offen, die nicht nur durch den didaktischen Nutzen motiviert ist. Dahinter steht das Interesse des Quellenforschers am „Alten“ und „Originalen“,7 das eine Reduktion der Quellen auf
„das Wesentliche“ wünschenswert erscheinen lässt. Neben Diels’ didaktischem Anliegen und dem Auswahlcharakter der Sammlung ist der bei vielen Textzeugnissen fehlende Kontext zu bemerken.
An dieser Stelle geht es jedoch nicht um eine Kritik an der Sammlung von
Diels, die als Arbeitsergebnis eines einzigen Forschers eine überragende
Leistung darstellt. Wichtiger ist die Feststellung, dass diese Auswahl von
Textzeugnissen im Fall von Thales den Maßstab für dessen Erforschung
grundlegend absteckte und damit auch das Thalesbild in den letzten hundert
3
4
5
6
7
Diels (11903, 6ND 1956) Vorrede zur ersten Auflage, VII.
Ebd., VII.
Cf. dazu Mansfeld/Runia (1997) bes. 1–120 und Frede (1999) 135–149, bes. 136–138.
Diels (1906) Vorwort zur zweiten Auflage, IX.
Diels (1903) ist daran interessiert „an Hand der Originalurkunden den Entwicklungsprozess des griechischen Denkens in statu nascendi zu beobachten“, ebd. Vorrede.
Die Sammlung Traditio Praesocratica (2009)
19
Jahren wirksam prägte, wenn nicht gar ‚normierte‘.8 Denn wer auch immer
im 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart über Thales arbeitete, griff direkt
oder indirekt auf die Sammlung von Diels zurück: sei es auf eine der von
Diels selbst revidierten Ausgaben, sei es seit 1934 auf die Ausgaben, die von
seinem Schüler Walter Kranz herausgegeben wurden,9 sei es auf moderne
Übersetzungen ins Italienische, Französische, Spanische, Deutsche oder
Russische,10 oder besonders im englischen Sprachraum auf Sammlungen
wie die von Kirk/Raven und Schofield,11 die größtenteils auf der von Diels
getroffenen Vorauswahl basierten. Obgleich einige Forscher kritisch anmerkten, dass die Sammlung von Diels lediglich eine Auswahl darstelle und
somit unvollständig sei, hat kein anderer Editor nach Diels eine weit größere
oder vollständigere Sammlung von Zeugnissen über Thales erstellt.12
1.2 Die Sammlung Traditio Praesocratica (2009)
Die im Jahre 2009 als erster Band der Reihe Traditio Praesocratica veröffentlichte Sammlung der Textzeugnisse über Thales vereint zum ersten Mal
neben griechischen und lateinischen Texten auch eine Vielzahl von Zeugnissen aus der arabischen Tradition. Die Edition, die als Gemeinschaftsprojekt des Klassischen Philologen Georg Wöhrle und des Arabisten Gotthard
Strohmeier erarbeitet wurde, präsentiert die noch erhaltenen Textzeugnisse
8
9
10
11
12
Vor der Sammlung von Diels hatte bereits Fridericus Decker (1865) in seiner Hallenser
Dissertation De Thalete Milesio eine weitaus größere Anzahl von Zeugnissen über
Thales untersucht. Außer von Zeller (Bd. I, 1, 61919, ND 1963), der in seiner Philosophiegeschichte im Abschnitt über Thales die Arbeit von Decker erwähnt (z.B. 254
Anm. 4), wird dessen Untersuchung in späteren Arbeiten nicht mehr genannt.
Diels/Kranz (1934–7; 61952 und spätere ND).
Es folgt eine Auswahl von Sammlungen und Übersetzungen:
Italienisch: Maddalena (1963). Für eine vollständige italienische Übersetzung des
‚Diels/Kranz‘ cf. Reale et alii (2006). Spanisch: Eggers/Juliá et alii (1978–80) und
Bernabé (1988). Französisch: Dumont/Poirier/Delattre (1988 und ND). Englisch:
Freeman (1946) und die neue kommentierte Übersetzung von Graham (2010). Russisch: Lebedev (1989). Deutsch: Mansfeld (1983) und Gemelli (2007).
Kirk/Raven seit 1979 unter Mitarbeit von Schofield (11957, 1983 und ND; deutsche
Übersetzung der 2. Auflage von Hülser).
Zur Kritik an Diels cf. Dicks (1959) 294–309, 294 und Burkert (1999). Lediglich vereinzelt bemühten sich Forscher, weitere Zeugnisse zu Thales, die man z.B. ohne große
Mühe in Diels’ Doxographi Graeci hätte finden können, in ihren Arbeiten zu Thales
zu berücksichtigen. Eine positive Ausnahme bildet der RE-Artikel über Thales von
Milet von Classen (1965) 930–947. Darin führt Classen etliche Stellenangaben und
Zeugnisse über Thales an, die sich bei Diels (1903) nicht finden.
20
Forschungsstand und Methode
über Thales aus der griechischen, lateinischen und arabischen Tradition
vom 6. Jh. v. Chr. bis zum Mittelalter in chronologischer Reihenfolge mit
deutscher Übersetzung.13 Bei einem Vergleich der Sammlung von Diels mit
der neuen Edition ist ein Aspekt besonders hervorzuheben: ein zentraler Unterschied in der Methode, der weitreichende Konsequenzen sowohl für die
Anzahl der präsentierten Zeugnisse als auch für deren Anordnung hat. Die
neue Sammlung stellt gemäß dem Anspruch auf Vollständigkeit im Unterschied zu der Sammlung von Diels keine „rekonstruktive Auswahl“14 dar,
sondern es ist ein besonderes Anliegen der Editoren, so weit wie möglich
deskriptiv vorzugehen, die Textzeugnisse in chronologischer Reihenfolge
anzuordnen und damit den Blick auf die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des Thales zu ermöglichen.
Dieser Unterschied in der Methode hat erhebliche Konsequenzen für den
Umfang der Edition. Einige Zahlen sollen dies veranschaulichen: Während
in den Fragmente(n) der Vorsokratiker auf vierzehn Seiten 40 Testimonien
vornehmlich in griechischer Sprache über Thales zusammengestellt sind,
enthält die neue Sammlung auf mehr als 450 Seiten 561 griechische und lateinische Zeugnisse sowie 32 arabische. Dieser bemerkenswerte Unterschied betrifft im Besonderen Textzeugnisse aus der Epoche der Kaiserzeit,
der Spätantike sowie des Frühen und Hohen Mittelalters. Die Anzahl der
Zeugnisse zweier Autorengruppen stieg erheblich: zum einen die Zeugnisse
der christlichen Autoren, zum anderen die der so genannten AristotelesKommentatoren. Die christlichen Autoren vom 2. bis zum frühen 7. Jahrhundert sind allein mit 73 griechischen und 38 lateinischen Zeugnissen in
der Sammlung vertreten. Ein großer Teil dieser Zeugnisse ist zwar durch
Diels’ Doxographi Graeci seit dem Jahre 1879 bekannt, doch jene Zeugnisse christlicher Autoren zu Thales, die Diels (von wenigen Ausnahmen
abgesehen) weder in die Poetarum Philosophorum Fragmenta (1901) noch
in Die Fragmente der Vorsokratiker (1903) aufgenommen hat, waren bis
heute weder Gegenstand der Forschung noch überhaupt des Interesses.15
Dies ist ein Grund, weswegen ich meine Fallstudie an den Zeugnissen der
christlichen Autoren durchführe.16
13
14
15
16
Cf. dazu die Rezensionen von Dorandi (2009) und Panchenko (2011).
Cf. Wöhrle (2009) 2.
Eine Ausnahme stellen die Arbeiten zu Hippolytos von Osborne (1987) und Mansfeld
(1992) dar, die jedoch andere Schwerpunkte als Thales in ihren Untersuchungen gewählt haben.
Ähnlich verhält es sich mit den ca. 70 Zeugnissen der so genannten Aristoteles-Kommentatoren, die in der neuen Sammlung berücksichtigt sind. Die Zeugnisse reichen
von Alexander von Aphrodisias über Johannes Philoponus bis zu Albertus Magnus.
Forschungsansatz und Methode
21
Die veränderte Forschungslage zu Beginn des 21. Jahrhunderts lässt es in
philologischer und editorischer Hinsicht sinnvoll erscheinen, von einem
‚neuen‘ Thales zu sprechen. Doch welche Chancen bietet die neue Sammlung für die künftige Forschung? Auf diese Frage stellt der folgende Forschungsansatz und seine Erprobung mittels einer Fallstudie zu den Textzeugnissen über Thales bei den griechischen und lateinischen christlichen
Autoren eine erste mögliche Antwort dar.
1.3 Forschungsansatz und Methode
Für den Forschungsansatz und die Methode meiner Untersuchung ist eine
hermeneutische Vorüberlegung von entscheidender Bedeutung. Sie lässt am
besten den Unterschied der vorliegenden Untersuchung zu den bisherigen
Arbeiten über Thales erkennen. Ein wichtiges Merkmal der Überlieferungsgeschichte zu Thales ist die Tatsache, dass wir nur durch spätere Berichte
aus zweiter oder dritter Hand, Darstellungen oder kurze Anspielungen Informationen über den Milesier besitzen. Für Thales gibt es – anders als im
Falle des Parmenides und Empedokles – kein einziges Fragment irgendeines seiner Werke, wenn er denn überhaupt irgendwelche Werke verfasst hat.
Aus diesem Grund erscheint es mir angebracht, Textpassagen, die Bezugnahmen auf Thales enthalten, nicht als Fragmente, sondern als ‚Zeugnisse‘
(engl. testimonies, frz. témoignages) zu bezeichnen. Sie bezeugen zumindest explizit seinen Namen in Verbindung mit weiteren Prädikaten und Attributen, z.B. seine Aktivitäten im Bereich der Astronomie oder seine Rolle
in der frühen griechischen Philosophie.
Auf eine weitere Unterscheidung möchte ich nun mit der These hinweisen, dass ein Zeugnis über einen frühgriechischen Philosophen ein Zeugnis
in zweifacher Hinsicht darstellt: zum einen ein Zeugnis über den relevanten
frühgriechischen Denker und möglicherweise auch für dessen ‚Lehre‘, zum
anderen jedoch nicht weniger ein Zeugnis über den schreibenden oder auf
Thales anspielenden Autor selbst, sein Interesse und seine Einstellung gegenüber diesem.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegung kann nun der Forschungsansatz
meiner Untersuchung, der besonders in einem Perspektivenwechsel gründet, erläutert werden. Ein Blick auf die moderne Forschungsgeschichte zu
Thales macht deutlich, dass die Bemühungen der meisten Untersuchungen,
ausgehend von der Sammlung von Diels bis in die Gegenwart, gemäß dem
ersten Verständnis von ‚Zeugnis‘ unternommen wurden, d.h. einer Leseweise der Textzeugnisse mit der Absicht, die ‚originale Lehre‘ des Thales
22
Forschungsstand und Methode
näher zu bestimmen oder zumindest gewisse Elemente davon zu rekonstruieren.17
Mein Interesse hingegen gilt vielmehr dem zweiten Verständnis des Terminus ‚Zeugnis‘. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die über Thales
schreibenden Autoren, ihr Interesse, ihre Haltung gegenüber ihm und seiner
‚Lehre‘ sowie im Besonderen auf die verschiedenen textinternen Kontexte,
in denen die Bezugnahmen auf den Milesier stehen. Deswegen werde ich
nicht von der Rekonstruktion einer oder der ‚originalen Lehre‘ des Thales
sprechen, sondern vielmehr über die von der Nachwelt vorgenommene Darstellung seiner Figur und seiner Ideen. Ebenso strebe ich durch meine Arbeit
keine neue Rekonstruktion des ‚historischen Thales‘ an. Mein Forschungsinteresse konzentriert sich vielmehr darauf zu untersuchen, wie und, soweit
möglich, warum Thales zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Texten und Kontexten erscheint.18 Die Untersuchung leistet damit einen Beitrag
zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des Thales und der ihm zugeschriebenen Ideen in der frühen christlichen Literatur.
Dass sich eine derartige Untersuchung auf eine begrenzte Anzahl an
Textzeugnissen und Autoren konzentrieren und beschränken muss, ist angesichts der 592 Zeugnisse und der Vielzahl der Autoren vom 6. Jh. v. Chr.
bis ins Mittelalter nicht verwunderlich. Als Forschungsgegenstand habe ich
aus dieser Materialfülle die griechischen und lateinischen Textzeugnisse der
christlichen Autoren vom 2. bis zum frühen 7. Jahrhundert ausgewählt.
Dass diese Auswahl von insgesamt 111 Textzeugnissen bei 25 Autoren
durchaus sinnvoll ist, möchte ich durch zwei Gründe belegen:
(1) Wie bereits bei der Besprechung der Sammlung von Diels (in 1.1)
erwähnt, waren die christlichen Autoren abgesehen von wenigen Zeugnissen bis in die Gegenwart kein Gegenstand der Thales-Forschung.19 Eine
17
18
19
Zu monographischen Versuchen einer Gesamtrekonstruktion zu Thales und seiner
Lehre cf. Tezas (1990), O’Grady (2002) und Panchenko (2005).
Als eine ähnlich ausgerichtete Untersuchung dieser Art kann die des Philosophen
Hans Blumenberg (1987) angesehen werden, der in seinem Buch „Das Lachen der
Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie“ die Rezeptionsgeschichte der Anekdote
vom Brunnenfall des Thales bis zu Heidegger untersucht.
Dafür gibt es verschiedene Gründe, von denen ich lediglich drei anführen möchte: (1)
Das primäre Interesse der Thales-Forschung an der Rekonstruktion des ‚historischen
Thales‘ ausgehend von der Sammlung von Diels, die fast keine christlichen Zeugnisse
enthielt; (2) Philologische Gründe, darunter das Problem, dass viele Texte der christlichen Autoren bis heute weder in editorischer Hinsicht noch im Hinblick auf moderne
Übersetzungen und Kommentare hinreichend gut erschlossen sind; cf. dazu das Vorwort von Riedweg (1994) V zu seiner vorbildlichen Studie zu Ps.-Justin; (3) Theolo-
Forschungsansatz und Methode
23
eingehende Untersuchung der Textzeugnisse dieser Autoren ist somit ein
Desiderat der Forschung. Neuland wird auch bei denjenigen Autoren betreten, bei denen bisher vornehmlich das Interesse des Forschers an PlacitaMaterial dominierte.
(2) Überblickt man die Vielzahl von Autoren, die in ihren Texten auf
Thales Bezug nehmen, so wird deutlich, dass zu einer Unterscheidung und
weiteren Orientierung unter diesen Autoren die Anwendung von wissenssoziologischen Kriterien wie z.B. der Zugehörigkeit des Autors zu einer
philosophischen Schule oder zu einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Richtung hilfreich sein kann. Allen von mir ausgewählten Autoren kann ohne größere Schwierigkeiten das Prädikat ‚christlich‘ oder im
weitesten Sinne ‚mit der christlichen Religion sympathisierend‘ zugeschrieben werden. Damit soll weder eine Wertung noch eine Klassifizierung nach
spezifisch theologisch-dogmatischen oder kirchengeschichtlichen Kriterien
(wie die Bezeichnung als orthodox, heterodox, fundamentalistisch etc.) vorgenommen werden. Was jedoch alle diese Autoren verbindet, ist ihre Zugehörigkeit zur sich entwickelnden christlichen Religion in verschiedenen Regionen (Nordafrika, Griechenland, Syrien, Ägypten und anderen Bereichen)
des Römischen Reiches,20 mehreren Sprachzonen und verschiedenen
Zeiten. Das Textkorpus der christlichen Autoren erscheint zum einen also in
einer gewissen Homogenität; zum anderen aufgrund der unterschiedlichen
regionalen Herkunft der Autoren, deren unterschiedlichen Lebenszeiten sowie der Vielgestaltigkeit der verwendeten literarischen Genres ebenso als
heterogen. Eine Untersuchung zu den Textzeugnissen christlicher Autoren
mit Bezugnahmen auf die Figur des Thales, der in späterer Zeit zum Inbegriff griechischer Weisheit und Wissenschaft wird, ist gerade auch im Hinblick auf weltanschauliche, philosophische und ideologische Aspekte der
Auseinandersetzungen äußerst vielversprechend. Eine solche Untersuchung, die den Fokus auf die Darstellungen des Thales und seiner Ideen in
den bisher nur wenig beachteten griechischen und lateinischen Textzeugnissen dieser Autoren richtet, dürfte ertragreich sein, da sie neue Impulse für
die Erforschung nicht nur des Milesiers und anderer frühgriechischer Denker, sondern auch für das große Thema der Auseinandersetzung christlicher
Autoren mit der antiken Philosophie geben kann.
20
gisches Interesse und theologische Kompetenz, die für die Bearbeitung der Texte unabdingbar sind.
Cf. zur regionalen Diversität des frühen Christentums die instruktive Untersuchung
von Markschies (2006) 11–34.
24
Forschungsstand und Methode
Nachdem ich mit dieser Arbeit also bereits in der Auswahl der zu untersuchenden Textzeugnisse und Autoren Neuland betrete, werde ich im Folgenden die Methode vorstellen, mit der ebenfalls in neuer Weise eine Untersuchung der Bezugnahmen auf Thales durchgeführt wird. Sie versucht zum
einen der bereits erwähnten hermeneutischen Situation Rechnung zu tragen,
dass uns von Thales keine Fragmente mehr erhalten sind, sondern nur spätere Berichte aus zweiter oder dritter Hand sowie Darstellungen oder Anspielungen. Zum anderen sollen mit dieser Methode gerade die Darstellungen des Thales und seiner Ideen in den betreffenden Textzeugnissen, die
durch verschiedene Interessen und Absichten der Autoren bedingt sind, tiefer erforscht werden.
Die Untersuchung der Textzeugnisse sowie der jeweiligen Kontexte erfolgt in vier Schritten, die zum einen den unmittelbaren Kontext einer Bezugnahme auf Thales (Mikrokontext), zum anderen den nicht leicht abgrenzbaren weiteren Kontext (Makrokontext) in den Blick nehmen:
(1) Analyse und Auflistung der Attribute
(2) Analyse und Bestimmung des Kontextes
(3) Bestimmung der Funktion der Bezugnahme
(4) Synchroner und diachroner Vergleich
1. Schritt: Analyse und Auflistung der Attribute
Zuerst frage ich im unmittelbaren Kontext der Bezugnahme auf Thales,
welche Informationen dem jeweiligen Textzeugnis zu entnehmen sind. Die
Elemente oder Motive, die Thales in den knapp 600 Zeugnissen oftmals
wiederkehrend zugeschrieben werden, z.B. Thales als einer der Sieben Weisen, sein Name in Verbindung mit der ‚Wasserthese‘ (das Wasser als Prinzip
aller Dinge) oder der Vorhersage der Sonnenfinsternis, bezeichne ich als Attribute. Dieser erste Schritt stellt eine formale Annäherung an das jeweilige
Textzeugnis dar und kann später als Ausgangspunkt für Vergleiche dienen.
Durch die Auflistung der Attribute wird sofort deutlich, welche von diesen
bereits durch die vorausgehende griechische und lateinische Tradition bekannt sind und ob irgendwelche Attribute neu oder in anderer Form hinzutreten. Die Attribute entsprechen den in der Edition angezeigten Similien,
weisen jedoch in vielen Fällen auf weitere Nuancierungen und Besonderheiten des jeweiligen Textzeugnisses hin. Eine tabellarische Gesamtübersicht der verwendeten Attribute aller behandelten Textzeugnisse findet sich
im Anhang.
Forschungsansatz und Methode
25
2. Schritt: Analyse und Bestimmung des Kontextes
Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass jede Bezugnahme auf Thales in
einem größeren Zusammenhang steht,21 geht es in einem zweiten Schritt um
die Analyse und Bestimmung dieses Makrokontextes: In was für einer
Schrift steht sie, um was für ein Textgenre handelt es sich, in welchem Teil
der Schrift erfolgt die Bezugnahme auf Thales? Worin bestehen Ziel und
Zweck des argumentativen Textes, in dem auf Thales an einer bestimmten
Stelle Bezug genommen wird?
Eine Bezugnahme auf Thales und die ihm zugeschriebenen Attribute
können in unterschiedlichen Kontexten von völlig unterschiedlicher Bedeutung sein. So bildet beispielsweise ein polemischer und apologetischer
Traktat aus dem 2./3. Jh. mit einer Bezugnahme auf Thales als den ‚princeps
physicorum‘ einen anderen Kontext als ein literarisch kunstvoll gestalteter
Brief, in dem der Verweis auf Thales als einen der Sieben Weisen besonders
die hohe Kultur des Autors im späten 5. Jahrhundert unter Beweis stellen
soll. Die Differenzen zwischen dem Kontext einer ‚apologetischen Rede‘
z.B. Tertullians oder des Athenagoras, eines literarischen Briefes des Sidonius Apollinaris, einer Exegese des Hohen Liedes von Aponius oder einer
christlichen Chronologie sollen in diesem zweiten Schritt Beachtung finden.
3. Schritt: Bestimmung der Funktion der Bezugnahme
Nachdem die Attribute analysiert und der Makrokontext in Betracht gezogen worden sind, kann nun bestimmt werden, welche – in den meisten Fällen – argumentative Funktion die Bezugnahme auf Thales in ihrem weiteren
Kontext erfüllt: Aus welchen Gründen nimmt der Autor an einer bestimmten Stelle auf Thales Bezug und wie verwendet er die Attribute mit Rücksicht auf den spezifischen Kontext?
4. Schritt: Synchroner und diachroner Vergleich
In einem vierten Schritt kann zuletzt ein zweifacher Vergleich angestellt
werden: erstens ein synchroner Vergleich, d.h. wenn möglich ein Blick auf
weitere Bezugnahmen aus der gleichen Zeit bei demselben und anderen Autoren, zweitens ein diachroner Vergleich, d.h. mit Textzeugnissen aus anderen Zeiten. Dieser vierte Schritt wird nur in besonders interessanten Fällen
durchgeführt, z.B. wenn Thales in einem Textzeugnis bestimmte Attribute
21
Cf. dazu die Überlegungen von van der Eijk (2000) in der Einführung zu seiner Fragmentsammlung des Diokles von Karystos, xvii: „One of the most striking developments in fragment collecting over the last hundred years certainly is the increasing importance attached to the context in which a fragment is embedded.“
26
Forschungsstand und Methode
(z.B. einzelne Elemente aus seiner ‚Lehre‘) zugeschrieben werden, die ihm
in einem anderen Text ausdrücklich abgesprochen werden.
Nach diesen vier Schritten richtet sich die Untersuchung der Textzeugnisse,
die ich abschließend an einem Beispiel erläutern möchte, um somit zugleich
einige Hinweise zum Aufbau und zur Benutzung der vorliegenden Arbeit zu
geben.
1.4 Hinweise zur Benutzung
Auf (i) den Namen des Autors und die Nummer der jeweiligen Textzeugnisse (Th = Textzeugnis über Thales) nach der Edition von Wöhrle (2009)
folgt (ii) eine kurze Hinführung zum betreffenden Werk. Aus Gründen der
Leserfreundlichkeit (iii) werden der Originaltext des Textzeugnisses in griechischer oder lateinischer Sprache sowie eine deutsche Übersetzung angeschlossen.22 Die Analyse der einzelnen Textzeugnisse gliedert sich gemäß
den drei bzw. vier methodischen Schritten in die folgenden Unterpunkte: die
Erläuterung des Kontextes, die Auflistung der Thales zugeschriebenen Attribute,23 sowie einen Kommentar, der vor allen Dingen auf die Bestimmung der argumentativen Funktion der Bezugnahme auf Thales konzentriert ist. Für Leser, die an einem bestimmten christlichen Autor interessiert
sind, findet sich am Ende eines jeden Kapitels eine Auflistung der benutzten
und weiterführenden Literatur, die auch in der Gesamtbibliographie verzeichnet ist.24
Um möglichen Missverständnissen (z.B. bei Umfang und Gewichtung von
Kontext und Kommentar zur Funktion der Bezugnahme) vorzubeugen,
ist es mir ein Anliegen zu bemerken, dass ich in vielen Fällen der Beschreibung und der Erläuterung des Kontextes sehr viel mehr Raum eingeräumt
habe, als dies üblicherweise in Kommentaren der Fall ist. Für dieses Vorgehen gibt es zwei Gründe: Zum einen vertrete ich die Auffassung, dass die
22
23
24
Wenn nicht anders vermerkt, stammen die Texte und die deutschen Übersetzungen der
Thales-Zeugnisse aus der Edition von Georg Wöhrle (2009). Ihm und dem Verlag
danke ich sehr herzlich für die Erlaubnis des Wiederabdrucks.
Eine Gesamtübersicht der verwendeten Attribute in den untersuchten Textzeugnissen
der christlichen Autoren findet sich im Anhang.
Die Kapitel zu Clemens, Hippolytos, Tertullian, Eusebius und Theodoret werden jeweils durch eine Zusammenfassung beschlossen.
Hinweise zur Benutzung
27
meisten Bezugnahmen und Anspielungen auf Thales und seine Ideen nur
und erst dann im jeweiligen Kontext verstehbar werden, wenn sie vor dem
übergeordneten Argumentationsziel oder dem argumentativen Hintergrund
sichtbar gemacht werden. Zum anderen besteht immer noch ein großer
Mangel an einer angemessenen Berücksichtigung des Kontextes bei der Erforschung der frühgriechischen Philosophen, so dass ich durch meine Arbeit
ausdrücklich andere Akzente setzen möchte.
Angabe des Autors und der Textzeugnisse, Th…25
(i)
Bsp.
(ii)
Bsp.
Tertullian, Th 216–222
Kurze Hinführung zum betreffenden Werk
Tertullian, Ad nationes
(iii)
Analyse des Textzeugnisses
Bsp.
Th 216 Tertullian, Ad nationes 2.2.10–11
Kontext*
Originaltext (in lateinischer Sprache)
Deutsche Übersetzung
Attribute
Funktion der Bezugnahme*
* In einigen Fällen wurden die beiden Rubriken Kontext und Funktion
der Bezugnahme vereinigt, um Wiederholungen zu vermeiden.
25
Th = Textzeugnisse über Thales aus der Edition von Wöhrle (2009): Die Milesier.
Thales, Traditio Praesocratica. Textual Evidence on early Greek Philosophy and its
continuation / Zeugnisse frühgriechischer Philosophie und ihres Fortlebens, Bd. 1,
Berlin 2009.
28
Forschungsstand und Methode
Hinweise zur Benutzung
29
2. Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Übersicht der Autoren und Zeugnisse
Irenäus von Lyon
Tatian
Athenagoras
Clemens von Alexandrien
Hippolytos von Rom
Tertullian
Minucius Felix
Hermias
Insgesamt 31 Zeugnisse
Th 145
Th 176
Th 186
Th 197–208
Th 209–215
Th 216–222
Th 229
Th 230
30
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
2.1 Irenäus von Lyon (Th 145)
Der vermutlich vor 140 n. Chr. in Kleinasien geborene Irenäus (gest. um
200) verbrachte seine Jugend in Smyrna (heute: Izmir), wo er noch den Bischof Polykarp (gest. 156) erlebte.1 Er siedelte, möglicherweise aufgrund
einer kirchlichen Aufgabe, in den Westen des Römischen Reiches über und
reiste um das Jahr 177 als Presbyter der christlichen Gemeinde von Lyon zu
Bischof Eleutheros nach Rom. Nach seiner Rückkehr trat er die Nachfolge
des Lyoner Bischofs Pothinus an, der unter Kaiser Marc Aurel (161–180)
den Märtyrertod sterben musste.
Irenäus von Lyon, Adversus haereses
Irenäus schrieb sein Hauptwerk in griechischer Sprache in der Zeit von
180–185 unter dem Titel „Überführung und Widerlegung der fälschlich so
genannten Gnosis“.2 Das Werk umfasst fünf Bücher, die im griechischen
Original nur fragmentarisch erhalten sind.3 Vollständig ist die Schrift nur in
einer lateinischen Übersetzung aus dem vierten Jahrhundert überliefert.4 Sie
ist unter dem lateinischen Kurztitel Adversus haereses („Gegen die Häresien“) bekannt.5 Wie bereits die beiden Titel zu verstehen geben, sind „die
Gnosis“ und einzelne gnostische Vertreter als „Häretiker“ Gegenstand des
Werkes.6 Einen guten Überblick über die methodischen Probleme bei der
Beschäftigung mit der Gnosis – die bereits umstrittene Bedeutung von
„Gnosis“ sowie die problematischen Beschreibungskategorien dieses komplexen Phänomens – gibt Markschies, der bemerkt, dass das jeweilige Bild
von Gnosis wesentlich von der Definition abhänge, die vorausgesetzt wird.7
1
2
3
4
5
6
7
Cf. Brox (1993) 15–18, 15–16 und ders. ausführlicher (1998) 820–854 mit weiterführender Literatur.
Cf. den griechischen Titel: EEXOY KAI ANATOPH TH EYNYMOY NE BIBIA PENTE.
Der größte Teil dieser Bruchstücke findet sich in Form von Zitaten bei späteren christlichen Autoren wie Hippolytos, Eusebius, Epiphanios und Johannes von Damaskus;
cf. Hamm (1998) 311; vom fünften Buch sind größere Teile im sog. Jenaer Papyrus erhalten.
Cf. zur Überlieferung der lateinischen Irenäus-Übersetzung Lundström (1985). Weitere Fragmente des Werkes sind in armenischer und syrischer Sprache erhalten; cf.
Hamm (1998) 311.
Cf. zum „plus ancien traité antihérétique conservé“ Le Boulluec (1985) 113–188, 113.
Cf. zur Geschichte und Verwendung des Begriffs „Häresie“ Brox (1986) 248–297.
Markschies (2000) 1045–1053, 1045. Markschies konstatiert ebd. 1045: „Weitgehender Konsens der historischen Forschung ist, dass mit dem griech. Terminus
«/gnôsis, der das rationale Erfassen von Sachverhalten durch Einsicht („Er-
Irenäus von Lyon (Th 145)
31
Von grundsätzlicher Bedeutung ist, dass man „bei einer Rekonstruktion
der Frühgeschichte der christlichen Gnosis […] keinesfalls die häresiologischen Konstrukte der antiken christlichen Theologen einfach fortschreiben
oder unbewußt übernehmen“8 dürfe. Die Lehren der angeblichen Schulgründer Valentin und Basilides passen nach Markschies nur schlecht zu den
gnostischen Systemen ihrer Schüler, der Valentinianer und Basilidianer.9
Während sich Irenäus im ersten Buch besonders den Inhalten der gnostischen Lehrsysteme sowie deren Begründern (darunter auch Valentin10) widmet, befasst er sich im zweiten Buch mit der Widerlegung ihrer Anschauungen. In diesem Zusammenhang (haer. 2.14.2) steht das Zeugnis über
Thales und die Wasserthese.
Kontext zu Th 145
Nachdem sich Irenäus im ersten Abschnitt des zweiten Buches (haer.
2.1–11) gegen die valentinianischen Vorstellungen vom Pleroma und vom
Schöpfer gewendet hat, richtet er sich im zweiten Abschnitt (haer. 2.12–19)
gegen ihre Äonenlehre. In diesem Zusammenhang weist er auf die angeb-
8
9
10
kenntnis“) bezeichnet, in einer ausschließlich neuzeitlichen Verwendung ein bestimmtes Ensemble von Ideen oder Motiven in bestimmten Texten angesprochen wird (ein
gnost. „System“). „Gnosis“ ist also im strengen Sinne ein „typologisches Konstrukt“
neuzeitlicher Forschung (Michael A. Williams). In der Regel umfasst ein entsprechender Katalog folgende Punkte: 1. Die Erfahrung eines vollkommen jenseitigen, fernen
obersten Gottes; 2. die u.a. dadurch bedingte Einführung weiterer göttlicher Figuren
oder Aufspaltung der vorhandenen Figuren in solche, die dem Menschen näher sind;
3. die Einschätzung von Welt und Materie als böse Schöpfung; 4. die Einführung eines
eigenen Schöpfergottes («/demiurgós), der z.T. nur als unwissend (Jes
45,5a wird häufig als Aussage des Demiurgen zitiert), z.T. aber auch als böse geschildert wird; 5. die Erklärung dieses Zustandes durch ein mythologisches Drama eines
göttlichen Elementes, das aus seiner Sphäre in eine böse Welt fällt, als göttlicher
Funke in Menschen einer Klasse schlummert und daraus befreit werden kann; 6. eine
Erkenntnis (G.) über diesen Zustand, die aber nur durch eine jenseitige Erlösergestalt
zu bekommen ist, die aus einer oberen Sphäre hinab- und wieder hinaufsteigt; 7. die
Erlösung durch Erkenntnis des Menschen, „dass Gott (bzw. der Funke) in ihm ist“
(TestVer NHC XI,3 56,15–20) sowie schließlich 8. eine unterschiedlich ausgeprägte
Tendenz zum Dualismus, die sich im Gottesbegriff, in der Entgegensetzung von Geist
und Materie und in der Anthropologie äußern kann.“
Ebd. 1049.
Cf. ebd. 1049–1050. Markschies bemerkt zum valentinianischen System, dass dieses
wohl aus der 2. Hälfte des 2. Jh. stamme; die Referate des Irenäus über vorvalentinianische Gnostiker seien diesem erkennbar angepasst und deswegen von zweifelhaftem
historischen Wert.
Cf. zu Valentin und den Valentinianern Markschies (2001) 89–95 sowie ders. (1992).
32
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
liche Abhängigkeit der Valentinianer von der Philosophie (haer. 2.14.2–7)
hin. Zuvor hatte Irenäus behauptet (haer. 2.14.1–2), dass die Gnostiker (Valentinianer) das als ihr eigenes Gedankengut ausgeben (quasi propria proferentes), was sie bei den Komikern (apud comicos) gefunden hätten.11 Dieser Vorwurf kommt in der prägnanten Formulierung zum Ausdruck, dass die
Gnostiker alles, was allerorten in den Theatern von Komödianten in blendenden Worten vorgetragen wird, auf ihr Lehrsystem übertragen (transferentes in suum argumentum) und ihre Lehre mit denselben Argumenten
stützen (eisdem argumentis docentes) und nur die Namen dazu abändern
(tantum immutantes nomina).12 Zweitens behauptet er nun (haer. 2.14.2),
dass die Gnostiker auch (etiam) die Aussagen all der Leute (omnes) sammelten (congregant), die Gott nicht kennen (qui Deum ignorant) – die „sogenannten Philosophen“ (qui dicuntur philosophi).13 Irenäus charakterisiert
die Gnostiker weiter als solche, die „sich sozusagen aus vielen schlechtesten
Fetzen einen Lumpenrock zusammengeflickt und so ein Obergewand aus
scharfsinniger Rede geschaffen haben“ (haer. 2.14.2 quasi centonem ex
multis et pessimis panniculis consarcientes, finctum superficium subtili eloquio sibi ipsi praeparauerunt). Ihre Lehre (doctrinam) kennzeichnet er als
eigenartig, insofern er sie als neu (nouam), zugleich aber als alt (ueterem)
und wertlos (inutilem) bezeichnet: (1) Die Neuheit ihrer Lehre sieht Irenäus
darin, dass sie erst jetzt (nunc) mit neuartiger Geschicklichkeit (noua arte)
hergestellt worden sei (substituta sit). (2) Das Alter und die Wertlosigkeit
ihrer Lehre seien darauf zurückzuführen, dass sie von alten Dogmen (de ueteribus dogmatibus), die nach Unwissenheit (ignorantiam) und Gottlosigkeit (irreligiositatem) riechen (olentibus), gesäumt sei (subsuta sunt). Im
Anschluss an diese beiden Vorwürfe kommt Irenäus (haer. 2.14.2) auf Thales von Milet zu sprechen, nach dem das Wasser Ursprung und Anfang aller
Dinge sei (uniuersorum generationem et initium aquam). Er behauptet nun,
dass man (nach Meinung der Valentinianer) auch statt „Wasser“ „Bythos“14
11
12
13
14
Cf. dazu haer. 2.14.1 und Grant (1965) 157–159, der Parallelen zu haer. 2.14.1 auflistet. Irenäus beschließt mit dieser These den Abschnitt zu den Komikern und leitet den
Passus über die Philosophen ein (haer. 2.14.2).
Cf. haer. 2.14.1.
Cf. dazu Diels (1879) 171–172.
„Bythos“ (griech.), eigentlich „Abgrund“ oder „Tiefe“, z.B. die „Meerestiefe“, ist der
Name des obersten Gottes im valentinianischen System, cf. Markschies (2001) 91.
Markschies erläutert ebd.: „Damit wird bereits im Begriff signalisiert, dass der oberste
Gott unerforschlich ist und erst durch Offenbarung seines Sohnes zugänglich geworden ist. Dieses Gottesbild entspricht nicht nur bestimmten neutestamentlichen Schriften, sondern ist auch gemeinsame Auffassung vieler antiker Philosophien.“
Irenäus von Lyon (Th 145)
33
sagen könne (idem autem est dicere aquam et Bythum). Irenäus führt auch
den Dichter (poeta) Homer an, der – in Anspielung auf Ilias 14.20115 – gelehrt habe (dogmatizauit), dass Okeanos der Ursprung der Götter (Oceanum
deorum genesim) und Tethys ihre Mutter (et matrem Tethyn) sei. Diese
Lehre haben nach Irenäus die Valentinianer auf Bythos und Sige übertragen
(transtulerunt). Es folgen Bezugnahmen auf Anaximander, Anaxagoras
(haer. 2.14.2) sowie eine Reihe weiterer Philosophen wie Demokrit und
Epikur (haer. 2.14.3–7), Platon (haer. 2.14.3–4), Empedokles und die Stoiker (haer. 2.14.4), Hesiod, die Kyniker, Aristoteles (haer. 2.14.5) und die
Pythagoreer.16
Th 145 Irenäus, Adversus haereses 2.14.2 (ed. Brox)
Et non solum quae apud comicos posita sunt arguuntur quasi propria proferentes, sed etiam quae apud omnes qui Deum ignorant et qui dicuntur philosophi sunt dicta, haec congregant et, quasi centonem ex multis et pessimis
panniculis consarcientes, finctum superficium subtili eloquio sibi ipsi praeparauerunt, nouam quidem introducentes doctrinam, propterea quod nunc
noua arte substituta sit, ueterem autem et inutilem, quoniam quidem de ueteribus dogmatibus ignorantiam et irreligiositatem olentibus haec eadem
subsuta sunt. Thales quidem Milesius uniuersorum generationem et initium
aquam dixit esse: idem autem est dicere aquam et Bythum. Homerus autem
poeta Oceanum deorum genesim et matrem Tethyn dogmatizauit: quae quidem hi in Bythum et Sigen transtulerunt. Anaximander autem hoc quod immensum est omnium initium subiecit, seminaliter habens in semetipso omnium genesim, ex quo immensos mundos constare ait: et hoc autem in
Bythum et in Aeonas ipsorum transfigurauerunt.
Th 145 Irenäus, Gegen die Häresien 2.14.2
Und man ertappt sie nicht nur dabei, dass sie als eigenes Gedankengut ausgeben, was bei den Komikern vorgegeben ist, sondern auch die Aussagen all
der Leute, die Gott nicht kennen, der sogenannten Philosophen, die sammeln sie. Sie haben sich sozusagen aus vielen schlechtesten Fetzen einen
Lumpenrock zusammengeflickt und so ein Obergewand aus akkurater Rede
geschaffen. Die Lehre, die sie einführen, ist zwar neu, weil sie erst jetzt mit
neuartiger Geschicklichkeit hergestellt wurde; alt ist sie aber und wertlos,
weil sie von alten Dogmen, die nach Unwissenheit und Gottlosigkeit stinken, gesäumt ist. Nach Thales von Milet ist das Wasser der Ursprung und
15
16
Homer Il. 14.201 # λ T […].
Cf. dazu Le Boulluec (1985) 123–124.
34
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Anfang aller Dinge; statt Wasser kann man [nach Meinung der Valentinianer] aber auch Bythos sagen. Der Dichter Homer hat die Lehre vorgetragen,
der Okeanos [Ozean] sei der Ursprung der Götter und Tethys ihre Mutter.
Das haben die [Valentinianer] auf Bythos und Sige übertragen. Anaximander hat als Anfang von allem das Unermessliche gesetzt, das keimhaft den
Ursprung aller Dinge in sich trägt und aus dem nach seiner Lehre die unendlichen Welten entstanden. Auch das haben die [Valentinianer] in ihren
Bythos und ihre Äonen umgewandelt.17
Attribute
Milet
Philosoph
Prinzip Wasser: Wasser als Ursprung und Anfang aller Dinge
Gleichsetzung des Wassers mit Bythos
Wasserthese und Homer: Okeanos als Ursprung der Götter und Tethys als
ihre Mutter
Funktion der Bezugnahme
Außer der Angabe seiner Herkunft und der Wasserthese wird von Irenäus
nichts weiter über Thales mitgeteilt. Der Fokus des Interesses richtet sich
auf die Aussage über das Wasser, da Irenäus mit der These idem autem est
dicere aquam et Bythum das von Thales als Prinzip angenommene Wasser
mit Bythos, dem obersten Gott im valentinianischen System, gleichsetzt.
Mit dieser These veranschaulicht Irenäus die zwei zuvor geäußerten Vorwürfe an die Valentinianer: Erstens unterstreicht er das Alter ihrer vorgeblich neuen Lehre im Hinblick auf ein Grundelement (Bythos) ihres Lehrsystems, das bereits Thales und vor diesem sogar schon Homer in ihrer „Lehre“
vertreten haben sollen; zweitens behauptet Irenäus, dass die Valentinianer
lediglich einen anderen, neuen Namen für eine alte Sache verwendeten.
Dieses Argumentationsmuster kehrt auch in den folgenden Bezugnahmen
auf andere Philosophen (haer. 2.14.2) wieder. Insofern Thales als ein Vertreter der Philosophen angeführt wird, sind die Aussagen des Irenäus über
die Lehren der Philosophen ebenfalls von Bedeutung für die Konturen der
Figur des Thales und das Ansehen seiner Lehre.
(1) Über die Lehren der Philosophen äußert sich Irenäus deutlich negativ. Es handelt sich um „Leute, die Gott nicht kennen“ (qui Deum ignorant).
Ihren Beitrag zum Gewand der gnostischen Lehren bezeichnet er im Super-
17
Übersetzung Norbert Brox.
Irenäus von Lyon (Th 145)
35
lativ pessimis panniculis, also als „schlechteste“ oder „übelste Fetzen“. Des
Weiteren behauptet er von ihren „alten Dogmen“ (ueteribus dogmatibus),
dass diese sowohl nach Unwissenheit als auch nach Gottlosigkeit riechen
(ignorantiam et irreligiositatem olentibus). Thales’ „Lehre“ vom Wasser
wird von Irenäus mit deutlicher Geringschätzung unter diese alten Dogmen
gereiht, mit denen er explizit Unwissenheit und Gottlosigkeit verbindet. Bei
den philosophischen Kenntnissen des Irenäus handelt es sich wohl insgesamt um „ein Stück Allgemeinbildung“ und Handbuchwissen, das er polemisch und defensiv einzusetzen weiß.18
(2) Nach der metaphorischen und polemischen Ausdrucksweise des Irenäus bei der Charakterisierung der Lehre der Gnostiker19 kann die Aussageabsicht der Stelle über Thales und Homer folgendermaßen zusammengefasst werden: Die Valentinianer haben sich im Hinblick auf den Bythos
ihren Lumpenrock (= ihre Lehre) je aus einem schlechtesten Fetzen (= Lehrelement) des Thales und des Homer zusammengeflickt.20
(3) Die argumentative Strategie des Irenäus (bezüglich der Gleichsetzung des thaletischen Prinzips mit Bythos) ist zu vergleichen mit der Strategie des Hippolytos in Th 213, der gleichfalls in einem häresiologischen
Kontext – in seiner Argumentation gegen die gnostische Richtung der Ophiten – „die feuchte Wesenheit“ (κ !) des Thales mit der
Schlange der Ophiten identifiziert.21
Es ist festzuhalten, dass Thales im häresiologischen Kontext bei Irenäus
in polemischer Weise als Philosoph mit atheistischer Grundeinstellung und
als Inspirationsquelle der valentinianischen Gnostiker präsentiert wird.
Literatur
Brox, N., Art. Häresie, RAC 13, 1986, 248–297.
Brox, N. (Hrsg.), Fontes Christiani, Bd. 8/1 Irenäus von Lyon, Darlegung der Apostolischen Verkündigung. Gegen die Häresien I, Freiburg u.a. 1993.
Brox, N., Art. Irenaeus von Lyon, RAC 18, 1998, 820–854.
Diels, H., Doxographi Graeci, Berlin 1879, ND 1965.
Grant, R. M., Early Christianity and Greek Comic Poetry, CP 60, 1965, 157–163.
18
19
20
21
Cf. Brox (1998) 832–833.
Zur Vielfalt sophistischer Methoden und Strategien in den häresiologischen Diskursen
Brox (1986) 269 und 283–286.
Cf. dazu Mansfeld (1992) 157–160 und zu weiteren Vergleichsstellen für die Verbindung mit Homer Aristoteles Th 29 und die Sim. ‚Wasserhypothese geht auf erste
Theologen/Homer zurück‘; Heraclitus Stoicus Th 94, Ps.-Plutarch Th 147 und Alexander von Aphrodisias Th 189.
Cf. insgesamt die Bezugnahmen in den häresiologischen Diskursen bei Hippolytos
Th 209–215, Tertullian adv. Marc. Th 220 und Epiphanios Th 293.
36
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Hamm, U., Art. Irenaeus von Lyon, LACL, 1998, 311–315.
Le Boulluec, A., La notion d’hérésie dans la littérature grecque IIe–IIIe siècles, Tome I,
De Justin à Irénée, Paris 1985.
Lundström, S., Die Überlieferung der lateinischen Irenaeusübersetzung, Stockholm
1985.
Mansfeld, J., Heresiography in Context. Hippolytus’ Elenchos as a Source for Greek Philosophy, Leiden/New York/Köln 1992.
Markschies, C., Valentinus Gnosticus?, Tübingen 1992.
Markschies, C., Art. Gnosis/Gnostizismus, II. Christentum, RGG4 2000, Bd. 3,
1045–1053.
Markschies, C., Die Gnosis, München 2001.
Schoedel, W. R., Philosophy and Rhetoric in the Adversus Haereses of Irenaeus, VC 13,
1959, 22–32.
Tatian (Th 176)
37
2.2 Tatian (Th 176)
Der aus Ostsyrien stammende Tatian (auch „der Assyrer“ genannt) hatte
bereits das griechische Bildungssystem durchlaufen, als er sich als Schüler
des Märtyrers Justinus in der 2. Hälfte des 2. Jh. in Rom dem Christentum
zuwendete.22 Nach seiner Rückkehr aus Rom wirkte er (nach Irenäus, haer.
1.28) als Enkratit, der Ehe, Wein- und Fleischgenuss verwarf.23
Tatian, Oratio ad Graecos
Seine in griechischer Sprache verfasste ‚Rede an die Griechen‘ nimmt unter
den christlichen Apologien des 2. Jh. eine hervorragende Stelle ein.24 Sie ist
nach Harnack „nicht nur eine der ältesten“, sondern „sie sticht auch von den
anderen durch die Schroffheit ab, in welcher der Verfasser seinen Bruch mit
der griechischen Bildung bekundet hat.“25 Pilhofer spricht zu Recht von
einer „offensive(n)“ und „aggressiven Apologetik“.26 Er macht jedoch
darauf aufmerksam, dass die Überlieferung des Werkes nicht so sehr dem
„aggressive(n) Ton der Polemik“ als vielmehr seinem Inhalt zu verdanken
sei und die Schrift „geradezu als ein Kompendium des Altersbeweises“ betrachtet werden könne.27
Kontext zu Th 176
Im ersten Teil seiner Oratio setzt sich Tatian mit theologischen Fragen vor
allem zur Schöpfungslehre auseinander und übt in kleinen Exkursen Kritik
22
23
24
25
26
27
Für weiterführende Informationen cf. Moreschini/Norelli (2007) 103–104, Whittaker
(1982) ix-xxii sowie die mit einem ausführlichen Quellenapparat versehene Ausgabe
von Marcovich (1995). Zur Datierung der Oratio cf. Marcovich (1995) 1–3, der feststellt, 3: „Now, since Tatian’s Oratio reflects both the presence of Justin’s teachings
and the environment of Rome, I think it is highly likely that it was written in Rome between ca. A. D. 165 and 172.“
Cf. Bruns (1998) 581.
Cf. dazu Harnack (1884) 3. Blumenberg (1987) 53 bemerkt zu Tatian und seiner Rede:
„Der Syrer Tatian konstruiert in seiner ‚Rede an die Griechen‘ den neuen Gegensatz
von Heiden und Christen nach dem Muster des alten von Hellenen und Barbaren.
Er kultiviert den Stolz des Barbaren gegen eine ihm hohl und verfallen erscheinende
Kulturwelt, wobei er deren rhetorisches Instrumentarium professionell, mit der Fertigkeit des Sophisten, handhabt. […] Neuere Liebhaber der Antike haben dem Verächter
des Gültigen mit harten Urteilen heimgezahlt und ihn ein ‚trauriges Original‘, einen
‚orientalischen Bildungsfeind‘, einen ‚wilden Stilisten‘ genannt.“
Harnack (1884) 3.
Pilhofer (1990) 253.
Ebd. 253–254.
38
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
an der Astrologie, Zauberei und Medizin. Im Stil asianischer Rhetorik polemisiert er gegen zahlreiche Aspekte der nicht-christlichen Kultur und
Lebenswelt: gegen die Mythologie, das Theaterwesen, die Philosophie,
die Rhetorik sowie die verschiedenartigen Gesetzgebungen (orat. 22–28).28
Im Anschluss an die Erzählung von seiner Konversion zum Christentum
(orat. 29–30) kommt er auf das chronologische Argument (orat. 31 und
orat. 36–41) zu sprechen: Darin plädiert er für die zeitliche Priorität des Moses gegenüber Homer (sog. ‚Altersbeweis‘).29
Thales wird im vorletzten Absatz (orat. 41.9–10) dieser chronologischen
Argumentation genannt. In orat. 31.1 gibt Tatian Auskunft über sein Interesse und den Zweck der Argumentation:
Doch jetzt halte ich es für angemessen, darzulegen, dass unsere Philosophie älter ist als die Bemühungen bei den Griechen. Ausgangspunkte
werden uns Moses und Homer sein.30 Denn da beide in die älteste Zeit gehören, der eine als der älteste von den Dichtern und Geschichtsschreibern, der andere als Begründer aller barbarischen Weisheit, so sollen sie
auch von uns jetzt verglichen werden. Denn wir werden herausfinden,
dass unsere Lehren nicht nur älter sind als die griechische Wissenschaft,
sondern sogar auch früher als die Erfindung der Buchstaben.
N" ξ %& !'( %) %* κ π
φ.φ! % ’ 6E.. /%0(. 6O ξ π1 ! M()« λ 6O«α )
!" 40 ρ %.!
λ µ ξ %
λ ¹
ρ %*, µ ξ %0«
**0 φ!« $8, λ φ’ π
" 9« %.28
29
30
Cf. zum Aufbau des Werkes Whittacker (1982) xviii-xx. Cf. als Beispiel für die Argumentationsweise Tatians die folgende antithetische Argumentation:
orat. 25.4. 0 « ρ . µ . , /Ω ’ $;α Ν. ρ µ
, /Ω ξ .α /%( $%*! «, /Ω ’ 90%=α
« ρ M!( λ >0, /Ω ’ µ µ α $%!'
κ ?8&, /Ω ξ λ µ @ 9
) !.
Cf. zur langen Geschichte dieser Argumentationsform in der griechischen, römischen,
jüdisch-hellenistischen und christlich-apologetischen Literatur die lehrreiche Untersuchung von Pilhofer (1990), zu Tatian ebd. 253–260, sowie bes. zur jüdisch-christlichen
Apologetik Droge (1989), zu Tatian ebd. 82–101. Pilhofer formuliert ebd. 8–9 vier
zur Funktion und zum Verständnis des ‚Altersbeweises‘ nötige Sätze: „(I) Was alt ist,
ist gut.“, „(II) Was älter ist, ist besser.“ und deren Umkehrung „(III) Was neu ist, ist
schlecht.“, „(IV) Was neuer ist, ist schlechter.“.
Cf. zu der Gegenüberstellung von Homer und Moses Pilhofer (1990) 255, bes.
Anm. 8.
Tatian (Th 176)
39
*(α & )« >E..&( %!« % ’
π1, D ξ λ )« 0( (« $;.31
Tatian spricht bei der jüdisch-christlichen Lehre von „unserer Philosophie“
(κ π φ.φ!), der die „Bemühungen bei den Griechen“ (
% ’ 6E.. /%0() gegenübergestellt werden sollen. Für die
Methode seiner Argumentation ist die folgende Bemerkung (orat. 31.2) zur
Verwendung von Quellentexten wichtig:
Zu Zeugen werde ich nicht unsere Gewährsmänner nehmen, sondern
mich vielmehr auf die Griechen berufen.
0« ’ @« F %.&?, *1« ξ ».. 6E..
!"8&.
Durch diese Art der Beweisführung beabsichtigt Tatian seine Gegner mit ihren eigenen Waffen ( ( Ρ%.() zu bekämpfen und Beweise
(@« /.8«) vorzubringen, die sie nicht beargwöhnen könnten.32 Ähnliche Formulierungen zur Verwendung von nicht-christlichen Quellentexten
bei der chronologischen Argumentation finden sich auch später z.B. bei Eusebius (PE 1.6.8–9) und Ps.-Justin (coh. Gr. 9.1–10.1).
Tatian vertritt die These, dass Moses nicht nur älter als Homer gewesen
sei (orat. 41.1), sondern ebenso die angeblich vorhomerischen Autoren wie
z.B. Linos, Orpheus und Musaios überrage (orat. 41.1ff.).33 Die Argumentation mündet in den „Beweis“ (κ $%=), dass Moses auch älter sei
als diejenigen, die für weise gehalten werden (
'( φ
,
orat. 41.6–7). Zuerst werden die Gesetzgeber Minos, Lykurg, Drakon, Solon und der Philosoph Pythagoras angeführt, darauf Thales, der als ältester
der Sieben Weisen auf die 50. Olympiade datiert wird.34
Th 176 Tatian, Oratio ad Graecos 41.9–10 (ed. Marcovich)
0( ξ %λ #O.%0 κ λ /0 ! ;«,
.( %λ «, P« %λ =* (« ’ #O.%0« J #I.
D $%!= !« !« 4%0). Kλ κ
31
32
33
34
Orat. 31.1.
Cf. orat. 31.2.
Cf. zu Orpheus De Jáuregui (2010) 140–141.
Zur Beschäftigung mit der Chronologie im jüdischen Hellenismus cf. Walter (1964)
47ff.
40
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
( J(« $%(, *8( D λ %λ )« 4%
φ
π.!« $0?. T" %*0 %(
L0.« %λ κ %κ #O.%0, λ %λ ’ µ 8µ π1 (« F.
Th 176 Tatian, Rede an die Griechen 41.9–10
Man findet, dass Drakon um die neununddreißigste Olympiade [624/3–
621/20] gelebt hat, Solon um die sechsundvierzigste [594/3–591/90], Pythagoras um die zweiundsechzigste [532/1–529/8]. Wir haben gezeigt, dass die
Olympiaden 407 Jahre von der Zeit des trojanischen Krieges an datieren.
Nach diesen Beweisen will ich auch noch kurz auf die Lebenszeit der Sieben Weisen eingehen. Da der Älteste von ihnen, Thales, um die fünfzigste
Olympiade [580/79–577/6] lebte, ist auch über seine Nachfolger ganz allgemein bereits gesprochen.
Attribute
Datierung (um die 50. Olympiade)
Ältester der Sieben Weisen
Funktion der Bezugnahme
Hinter dem offensichtlichen Argumentationsziel, das Tatian verfolgt, steht
die Überzeugung, dass nur Moses Glauben geschenkt werden dürfe, da
er älter sei als die Griechen, und diese, ohne rechte Einsicht ( ’
/%!(), aus ihm als Quelle schöpften.35 Thales wird als ältester (%*0) Vertreter der Sieben Weisen genannt. Indem Tatian zeigen kann,
dass auch Thales viele hundert Jahre später als Moses lebte, hat er sein Argumentationsziel erreicht, insofern sowohl die anderen Weisen als auch die
auf Thales folgenden Philosophen zeitlich nach Moses anzusetzen sind.
Merkwürdig ist, dass der vor Thales genannte Solon früher (um die 46. Ol.)
datiert wird und Thales dennoch als der älteste der Sieben Weisen angeführt
wird.36 Die folgende Übersicht soll die chronologischen Angaben des Tatian
(mit Parallelen bei Clemens, str. 1) veranschaulichen:
Datierungen nach Tatian (orat. 41.9–10):
Moses: 400 Jahre vor dem Trojanischen Krieg [1183 v. Chr. + 400 Jahre]
1583 v. Chr.
x
35
36
Cf. orat. 40.1–2 λ 8κ )
%* κ π.! % Q% 1« !³«"
$%µ [)«] %)« $« 6E.. ’ /%!( /! .
Cf. zu Solon bei Tatian Opelt (1980) 29–30.
Tatian (Th 176)
x
x
x
x
x
x
41
Einnahme Trojas (cf. orat. 39): [1. Olympiade 776 + 407 Jahre] 1183 Jahre
v. Chr.
Olympiadenzählung: [407 Jahre nach der Einnahme Trojas] 776 v. Chr.
Drakon: um die 39. Ol. = 624/3–621/20 v. Chr.37
Solon: um die 46. Ol = 594/3–591/90 v. Chr.38
Thales: um die 50. Ol. = 580/79–577/6 v. Chr.39
Pythagoras: um die 62. Ol. = 532/1–529/8 v. Chr.40
Es ist festzuhalten, dass Thales bei Tatian zum ersten Mal in der uns erhaltenen griechischen christlichen Literatur in einem chronologischen
Kontext erscheint. Die Datierung des Thales als des Ältesten der Sieben
Weisen erfüllt eine wichtige argumentative Funktion, da für das chronologische Argument des Tatian der Hinweis zu genügen scheint, dass alle
anderen griechischen Weisen und Philosophen später als Thales gewesen
seien.41
Neben der expliziten Bezugnahme auf Thales in Th 176 spielt Tatian in seiner Polemik gegen die Philosophen (orat. 26) auf die Brunnenfall-Anekdote
an (cf. Th 19 Platon, Theaitetos), jedoch ohne seinen Namen ausdrücklich
zu nennen. In der genannten Passage (orat. 26.2) heißt es: „Während ihr danach forscht, wer Gott sei, wisst ihr nicht einmal, was in euch selbst ist. Ihr
begafft mit offenem Munde (8«) den Himmel und fallt dabei in die
Gruben.“42
Literatur
Blumenberg, H., Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie, Frankfurt a.
M. 1987.
Bruns, P., Art. Tatian der Syrer, LACL, 1998, 581.
De Jáuregui, M. H., Orphism and Christianity in Late Antiquity, Sozomena 7, Berlin 2010.
Droge, A. J., Homer or Moses? Early Christian Interpretations of the History of Culture,
Tübingen 1989.
Harnack, A., Tatian’s Rede an die Griechen. Übersetzt und eingeleitet, in: FS Sr. Königl.
Hoheit dem Grossherzoge von Hessen und bei Rhein Ludewig IV, Giessen 1884.
37
38
39
40
41
42
Cf. Clem. str. 1.21.107.5.
Cf. Clem. str. 1.14.65.3.
Cf. Clem. str. 1.21.129.3 (Th 205).
Cf. Clem. str. 1.14.65.2 und str. 1.21.129.3 (Th 205).
Cf. für weitere Bezugnahmen innerhalb chronologischer Argumentationen Tertullian,
Clemens, Eusebius, Theodoret, Kyrill und Augustinus.
Orat. 26.2 '"« !« ² «, ! / 1 !1«" $1α 8« ’ 9«
µ µ *0( %!%.
42
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Marcovich, M., Tatiani Oratio ad Graecos, Berlin 1995.
Moreschini, C., Norelli, E., Handbuch der antiken christlichen Literatur, Darmstadt
2007.
Opelt, I., Das Bild Solons in der christlichen Spätantike, VC 34, 1980, 24–35.
Pilhofer, P., Presbyteron Kreitton. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, Tübingen 1990.
Walter, N., Der Thoraausleger Aristobulos. Untersuchungen zu seinen Fragmenten und
zu pseudepigraphischen Resten der jüdisch-hellenistischen Literatur, Berlin 1964.
Whittaker, M., Tatian, Oratio ad Graecos and Fragments, Oxford 1982.
Athenagoras (Th 186)
43
2.3 Athenagoras (Th 186)
Athenagoras, Legatio pro christianis
Die ‚Bittschrift für die Christen‘ (Legatio pro Christianis)43 des christlichen
Philosophen Athenagoras aus Athen aus dem Jahre 177 ist an Kaiser Marc
Aurel und seinen Sohn Commodus adressiert.44 In seiner Schrift versucht
Athenagoras zu zeigen, dass die Verfolgung der Christen ungerecht ist. Insbesondere bemüht er sich, die drei Hauptanklagepunkte gegen die Christen
zu widerlegen: den Vorwurf des Atheismus (leg. 4–30), der Inzucht (leg.
32–34) und den des Kannibalismus (leg. 35–36).
Kontext zu Th 186
Der erste Hauptteil der Apologie (leg. 4–30) stellt eine Widerlegung der
Hauptanklage des Atheismus dar. Nachdem Athenagoras bereits ausgeführt
hat, dass die Christen keine Atheisten, sondern Monotheisten seien, wird in
einem ersten Teil (leg. 13–30) für die These argumentiert, dass sich die
Christen als Monotheisten in ihrer Opferpraxis von den Nicht-Christen unterscheiden. Sie glaubten nicht an deren Götter. In einer längeren Argumentation (leg. 18ff.) wird die These begründet, dass weder hinter dem Namen
der Götter noch hinter ihren Bildern etwas Göttliches stehe. Unter anderem
werden die Gestalten (leg. 20) und Taten der Götter (leg. 21) erörtert und
kritisiert. Als personifizierte Naturvorgänge sind die von einigen Götterbildern ausgehenden Wirkungen Gegenstand der Diskussion (leg. 22). In Kapitel 23 stellt sich Athenagoras der Frage, wie es sich erklärt, dass einige
Götterbilder wirksam sind, wenn diejenigen, zu deren Ehren die Statuen
errichtet wurden, gar keine Götter seien? Wenn von einigen Götterbildern
auffallende Wirkungen ausgehen sollten, was er konzediert, so sei dies auf
Dämonen zurückzuführen, die sich hinter diesen Götterbildern verbergen.
Bei dem Nachweis, „wer die in den Bildern Wirkenden sind und dass sie
keine Götter sind“ (leg. 23.1 !« ¹ /%λ 1« 9;.« /"« λ Ρ
κ !), führt Athenagoras (leg. 23.2) zwei Philosophen, Thales und Platon, sowie deren Ausführungen über die Dämonen ins Feld.45 Thales unterscheide als Erster (leg. 23.2 %
« L.)« 1) nach Auskunft derer,
die seine Lehren genau kennen (leg. 23.2 ³« ¹ /! $*"«
43
44
45
Der griechische Titel lautet: ALHNAOOY ALHNAIOY RIOOROY XITIANOY PEBEIA PEI XITIANN.
Cf. dazu Moreschini/Norelli (2007) 249–251, 249 und die umfassende Untersuchung
von Pouderon (1989) Athénagore d’Athènes. Philosophe chrétien.
Cf. leg. 23.1 %8&! λ $%µ φ.φ!« 0.
44
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
), zwischen Gott (), Dämonen (!«) und Heroen
(S(«); während er Gott als den Geist der Welt ansehe, verstehe er die Dä-
monen als seelische Substanzen und die Heroen als die abgetrennten Seelen
von Menschen – die guten Heroen als gute Seelen und die schlechten Heroen als schlechte Seelen. Es folgen die Unterscheidungen, die Platon zugeschrieben werden, sowie in leg. 24 eine Darlegung des christlichen Verständnisses von guten und bösen Engeln.
Th 186 Athenagoras, Legatio pro Christianis 23.2 (ed. Marcovich)
P
« L.)« 1, ³« ¹ /! ["«]46 $*"«
, 9« , 9« !«, 9« S(«. #A.. µ ξ µ
" " Ν, !« ξ !« 1 ?80«, λ S(« «
8(« ?8« $;%(, $@« ξ « $0«, @«
ξ « φ.«.
Th 186 Athenagoras, Bittschrift für die Christen 23.2
Als Erster unterscheidet Thales, wie diejenigen berichten, die seine Lehren
genau kennen, Gott, Dämonen und Heroen. Als Gott achtet er den Geist des
Kosmos (cf. Th 149), als Dämonen stellt er sich seelische Substanzen und
als Heroen von den Menschen getrennte Seelen vor, und zwar als gute, wenn
die Seelen gut, als schlechte, wenn sie schlecht sind (cf. Th 150).
Attribute
Philosoph (explizit im vorausgehenden Kontext)
Gott, Dämonen und Heroen
Gott [als Geist des Kosmos]
Funktion der Bezugnahme
Die Informationen zu Thales’ Dreiteilung wird Athenagoras, wie seine
Worte (¹ /! $*"«) zu erkennen geben, vermutlich einem
Handbuch der Placita-Tradition wie den Placita philosophorum des Ps.-Plutarch entnommen haben.47 Bereits in leg. 6.2 weist Athenagoras ausdrücklich darauf hin, dass er sich, um seine Argumentation zu stützen, „den Mei-
46
47
Geffcken (1907) 212 Anm. 1 schrieb mit Gesner $*"«, indem er das davorstehende "« der Handschrift als ein Glossem deutete. Sowohl Schoedel (1972)
54–55, der ähnlich wie Wöhrle übersetzt („as those who know his doctrines well record“), als auch Pouderon (1992) 157 („comme le rappellent les spécialistes“), schließen sich der Konjektur von Gesner an.
Cf. dazu Diels (1879) 4–5.
Athenagoras (Th 186)
45
nungen zugewendet habe“ (/%λ « =« /%). Seine Aussage zu
Thales hat Ähnlichkeiten mit einer Zusammenführung zweier Lemmata aus
der Placita-Sammlung des Ps.-Plutarch (im letzteren Fall mit einer Reduktion der angegebenen Namen zu einem):
1.7.11 ('´. T!« ² «) […] L.)« " " . (= Th 149)
1.8.2 (´. Pλ ( λ π;() […] L.)« P« P.0(
¹ (λ !« %08 !« ?80«α ρ ξ λ S(« «
8(« ?8« (0(, λ $@« ξ « $« @« ξ « φ.«.48 (= Th 150)
Die Bezugnahme auf Thales erscheint in diesem Kontext durchaus positiv.
Athenagoras argumentiert für die These, dass jene Wesen, für die Götterbilder errichtet werden, keine Götter sind. (1) Es ist festzuhalten, dass Athenagoras die auf Thales zurückgeführte dreifache Unterscheidung bezüglich
der Heroen, Dämonen und Gott fruchtbar für seine Argumentation und Verteidigung benutzt.49 Sie ist mit Bedacht ausgewählt und hat die Funktion,
den Gedankengang des Athenagoras mit einer griechischen, nicht-christlichen Autorität zu stützen, die bei dem Philosophenkaiser wohl Anerkennung finden dürfte.
(2) Insofern die Bezugnahme auf Thales rein formal und ausdrücklich
durch den Rekurs auf eine nicht-christliche Quelle (in Form eines doxographischen Handbuches) erfolgt, gewinnt sie weiter an Gewicht. Denn damit
wird – wie an mehreren Stellen der Legatio – die Aufmerksamkeit auf das
philosophische Wissen der griechischen Tradition gelenkt, das den Herr-
48
49
Cf. dazu Diels (1879) 4–5, 301 und 307. Diels ebd. 4 war der Meinung, dass „contracta
sunt Plutarchi I 7 11 […] et I 8 2 […]“. Cf. dazu Mansfeld/Runia (1997) 75, 124–125
und 312–314, die ebd. 125 bemerken: „In the case of Athenagoras, however, we disagree with Diels’ solution, who concluded that he too used P, and thus was able to
reach a t.a.q. of 177 (DG 4–5). The parallels to which he draws attention are too general to allow this conclusion beyond all doubt. We prefer to regard these as drawing on
the broader tradition of A […].“ Nach einer Auflistung aller Passagen aus der Schrift
des Athenagoras (ebd. 312–313), die eine Beziehung zur Placita-Tradition haben, konstatieren Mansfeld/Runia ebd. 314: „It can be conceded to Diels that the majority of
passages referring to the Placita could come from P. Yet the evidence is not conclusive. […] Athenagoras’ references form an interesting example of how the Placita
could be put to use in practice.“
Cf. zur Problemlage allgemein Colpe/van der Nat (1976) 546–553, zu Athenagoras
bes. 707–710, 740–741.
46
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
scher und Philosophen Marc Aurel als einen der Hauptadressaten mit dem
Christen und Philosophen Athenagoras verbindet.
(3) In Anbetracht der Thales zugeschriebenen Attribute ist auffällig, dass
Athenagoras als Erster der christlichen Autoren Thales die ,Gott-istGeist‘-These zuschreibt.50 Athenagoras charakterisiert ihn somit in diesem
protreptisch-apologetischen Kontext an der Seite Platons als einen Philosophen, nicht jedoch wie Tertullian als einen Atheisten, Agnostiker oder
Materialisten, sondern vielmehr als einen überlegten Theisten, auf dessen
Unterscheidungen sich der christliche Autor vor dem Philosophenkaiser in
seiner Argumentation zu berufen versucht.
Literatur
Colpe, C., van der Nat, P. G. et al., Art. Geister (Dämonen), RAC 9, 1976, 546–761.
Diels, H., Doxographi Graeci, Berlin 1879, ND 1965.
Geffcken, J., Zwei griechische Apologeten, Leipzig/Berlin 1907.
Mansfeld, J., Runia, D. T., Aëtiana. The Method and Intellectual Context of a Doxographer, Vol. 1. The Sources, Leiden/New York/Köln 1997.
Mansfeld, J., Runia, D. T., Aëtiana: The Method and Intellectual Context of a Doxographer, Vol. 2: The Compendium, 2. Bde., Leiden/Boston 2009.
Moreschini, C., Norelli, E., Handbuch der antiken christlichen Literatur, Darmstadt
2007.
Pouderon, B., Athénagore d’Athènes. Philosophe chrétien, Paris 1989.
Pouderon, B., Supplique au sujet des chrétiens et sur la résurrection des morts, SC 379,
Paris 1992.
Schoedel, W. R., Athenagoras. Legatio and De resurrectione, Oxford 1972.
50
Cf. dazu Cicero Th 72, Ps.-Plutarch Th 149, Minucius Felix Th 229, Clemens Th 207,
Hippolytos Th 210, Laktanz Th 254, Th 258, Eusebius Th 272, Th 275, Aponius
Th 338, Kyrill Th 375, Isidor Th 475 und insgesamt die Sim. ‚Gott [als Geist des Kosmos]‘; dagegen Tertullian Th 216, 218, 219 und Augustinus Th 311. Für eine mögliche Erklärung der Genese der ‚Gott-ist-Geist‘-These cf. Mansfeld/Runia (2009)
177–180.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
47
2.4 Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
Der um 140/150 n. Chr. möglicherweise in Athen geborene Titus Flavius
Clemens lässt sich nach ausgedehnten Studienreisen, die ihn nach Griechenland, Unteritalien, Syrien und Palästina führen, zwischen 175 und 180
in Alexandrien nieder.51 Dort arbeitet er bei seinem verehrten Lehrer Pantainos an der theologischen Hochschule, deren Leitung er auch von diesem
übernimmt.52 Im Jahre 202 verlässt er Alexandrien und verbringt den
Rest seines Lebens an verschiedenen Orten, darunter Jerusalem, wo er als
Priester bezeugt ist. Er stirbt um das Jahr 220.53 Clemens zeichnet sich besonders durch seine große Kenntnis klassischer Literatur aus. Es ist anzunehmen, dass er aufgrund seiner Lehr- und Forschungstätigkeit in Alexandrien Zugang zu einer gut bestückten Bibliothek hatte.54 Bemerkenswert ist
die sein Gesamtwerk durchziehende offene und relativ positive Haltung
gegenüber der griechischen Philosophie.55 Die zahlreichen Bezugnahmen
auf Thales bei Clemens stehen mit Ausnahme eines Zeugnisses (Th 197),
das aus dem Protrepticus stammt, in den so genannten ‚Teppichen‘ (Stromateis).
Clemens, Protrepticus
Mit seiner ‚Mahnrede an die Griechen‘, die in der Form eines philosophischen Protreptikos abgefasst ist, richtet sich Clemens vor allen Dingen an
nicht-christliche Leser.56 Es handelt sich um „eine christliche Missions- und
Werbeschrift, die, bei Anerkennung eines relativen Wahrheitsgehaltes der
Philosophie, den Leser auffordert, sich von der Torheit und Unmoral des
51
52
53
54
55
56
Zu Leben und Werk cf. Wyrwa (1998) 128–131 sowie Früchtel (1957) 182–188.
Cf. dazu mit weiterführender Literatur Scholten (1995) 16–37. Scholten kritisiert den
Begriff der alexandrinischen „Katechetenschule“ und schlägt vor, von der „theologische(n) Hochschule der dortigen Kirche“ zu sprechen, ebd. 37. Cf. dazu auch Runia
(1993) 132–135, van den Hoek (1990) 190 und Le Boulluec (2003) 576–621 und
(2006). Zu Alexandrien cf. Schubart (1950) 271–283.
Cf. zum Nachleben des Clemens und seiner Reputation in späterer Zeit den informativen Beitrag von Knauber (1970) 289–308.
Cf. Runia (1993) 132–135, Le Boulluec (2003) und (2006).
Cf. zur Rezeption und dem Missverständnis seiner Werke Knauber (1970) 304–308.
Zu den Adressaten der Schrift bemerkt Mondésert (1949) 27–28: „Alexandrins de
toutes origines sans doute, mais pour la plupart Grecs de culture, élevés dans les traditions religieuses de l’hellénisme, qu’ils gardent par habitude sociale, par routine et par
paresse, plus souvent que par conviction personnelle, et pourtant déjà à moitié sceptiques.“
48
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
heidnischen Götterglaubens loszusagen und sich zur Anerkennung der vollen Offenbarung des Logos-Christus zu bekehren“.57
Kontext zu Th 197
Nachdem sich Clemens in den ersten Kapiteln seiner Schrift mit den nichtchristlichen Orakeln, einigen Mysterienkulten wie z.B. den eleusinischen,
den griechischen Göttern und deren Verehrung sowie der religiösen Bedeutung von Statuen auseinandergesetzt hat, kommt er im fünften Kapitel auf
die griechischen Philosophen und deren Meinungen (« =«) über die
Götter (%λ ) zu sprechen.58 Clemens fragt kritisch, (1) ob die
Philosophie selbst um der leeren Eitelkeit willen (=!« U) den
Stoff (κ J.) zu einem Bild der Gottheit hervorbringe ($(.%") oder (2) ob sie irgendwelche Dämonen ( Ν) vergöttliche
(/0'), weil sie die Wahrheit nur im Traum sehe.59
Es folgt eine erste Reihe frühgriechischer Philosophen,60 welche nach der
Meinung von Clemens die Elemente (81) als Prinzipien oder Urgründe
($80«) zuließen ($%.%, auch: zurück- oder übrig ließen). Thales „preise
lauthals“ (/=&«) das Wasser, Anaximenes und später Diogenes, der
Apolloniate, die Luft. Des Weiteren werden angeführt Parmenides, der Feuer
und Erde als Götter einführe (@« 9&), Hippasos und Heraklit, die
beide nur das Feuer als Gottheit annähmen, sowie Empedokles, „der gleich in
die Vollen ging“, und zu den vier Elementen Streit und Liebe hinzurechne.61
Th 197 Clemens, Protrepticus 5.64.2 (ed. Mondésert)
81 ξ σ $8« $%.% /=&« L.)« ² M.&« µ
J( λ #A=« ² λ µ« M.&« µ $, W
) « J ² #A%..(0« ..
57
58
59
60
61
Wyrwa (1998) 129. Cf. auch die Einleitung und den Kommentar zum Protrepticus von
De Jáuregui (2008).
Prot. 5.64.1 #E%0( , 9 *., λ φ.φ( « =«, Ρ«
8" %λ […].
Prot. 5.64.1 F %(« λ φ.φ! κ =!« U $(.%"
κ J. /φ(, ν λ Ν /0' %κ %) \; κ $.&.
Zu den möglichen Quellen der in prot. 5.64–66 angeführten Informationen über die
Philosophen cf. Diels (1879) 129–132. Diels ging berechtigterweise davon aus, dass
Clemens aus mehr als nur einer Quelle schöpfte.
Prot. 5.64.2 P!« ξ ² #E.0« @« 9& %" λ ), 0 ξ
1 , µ %", µ %.&φ 6I%%« ² M%1« λ ² #Eφ« >H0.«α #E%.)« ² #A1« 9« %.)« /%Ω %µ«
1« 8!« « 1« λ φ.! 1.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
49
Th 197 Clemens, Ermahnungsschrift 5.64.2
[Folgende] ließen die Elemente als Prinzipien zu und priesen sie laut: Thales aus Milet das Wasser und Anaximenes, selbst auch Milesier, die Luft,
dem später der Apolloniate Diogenes folgte.
Attribute
Milet
Prinzip Wasser
Philosoph (im darauffolgenden Kontext)
Funktion der Bezugnahme
(1) Die Stelle lässt in der Wortwahl Clemens’ Polemik und Spott gegenüber den genannten Philosophen erkennen, z.B. das Thales, Anaximenes
und Diogenes von Apollonia zugeschriebene „lautstarke Preisen“
(/=&«) der Elemente als Prinzipien oder „die Einführung“ von
Feuer und Erde als Götter (@« 9&).
(2) Auffällig ist, dass Anaximander nicht mit Thales und Anaximenes gemeinsam genannt wird, sondern erst ein wenig später (aufgrund der ihm zugeschriebenen Annahme des apeiron) mit Anaxagoras und Archelaos in
prot. 5.66.1 zu den Philosophen gezählt wird, die „über die Elemente hinausgehend“ ( 81 %*0«) „mit Mühe nach etwas Höherem
und Besserem suchten“.62 Bereits dieser Aspekt zeigt, dass Clemens in prot.
5.64.1 zuerst nur eine bestimmte Auswahl an Philosophen präsentiert und
diese kritisiert.
(3) Betrachtet man den darauffolgenden Kontext (prot. 5.64.3–65.4), so
wird deutlich, dass Clemens den in Th 197 genannten Philosophen zusammenfassend einen Vorwurf macht, indem er sie als Ν, d.h. als „Gottlose“
bezeichnet.63 Den Vorwurf der „Gottlosigkeit“ begründet er damit, dass die
λ $φ)
() „den
Philosophen aufgrund „einer törichten Weisheit“ (φ!)
Stoff verehrten“ (κ J. %&«): Zum einen beteten sie zwar
nicht Steine und Holz an, doch hätten sie deren „Mutter, die Erde, vergöttert“ (/0«), zum anderen „schufen sie“ ($%.0«) zwar
keinen Poseidon, beteten (%%) aber das Wasser selbst an.64
62
63
64
Cf. prot. 5.66.1.
Prot. 5.64.3: 5A ξ κ λ ^, φ!)
λ $φ)
( κ J. %&«
λ .!« ξ ν =. &«, ) ξ κ ( /0« λ
P
ξ $%.0«, J( ξ µ %%.
Cf. zum Begriff der ‚Gottlosigkeit‘ auch prot. 2.23.1–2, wo Clemens von einer zweifachen Gottlosigkeit bei den Anhängern von Mysterienkulten spricht: „Das sind die
50
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Mit dieser zugespitzten, kontrastierenden Kritik vergleicht Clemens die Annahmen der Philosophen aus einer religionsgeschichtlichen Perspektive mit
den Gottesbildern der Mythen und im Falle von Holz und Stein einer (aus
seiner Sicht) noch primitiveren Stufe der Verehrung von Idolen.65 In seiner
Erklärung unterstellt er den Philosophen, dass sie einem Götzendienst anhingen, der durch die Elemente nur verschleiert werde.66 Nachdem er in der
folgenden Argumentation (prot. 5.65.1–4) in einigen Vergleichen, wie z.B.
mit den Persern, religionsethnologisches Material herangezogen hat, vertritt
er abschließend zwei Thesen (prot. 5.65.4), zum einen im Hinblick auf die
Genese der Lehrmeinungen der Philosophen, zum anderen bezüglich deren
Gotteserkenntnis:67
(a) Zuerst fordert er, dass die Philosophen eingestehen sollten, dass ihre
Lehrer die Perser oder die Sauromaten oder die Magier gewesen seien, von
denen sie „die gottlose Lehre“ (κ $) von den ihnen verehrungswürdigen Urstoffen erlernt hätten (&).
(b) Zweitens behauptet er, dass die Philosophen kein Wissen gehabt hätten ($"«) vom Schöpfer aller Dinge, der auch die Urstoffe selbst ge-
65
66
67
Mysterien der Gottlosen; gottlos nenne ich aber mit Recht die, welche den wahrhaft
seienden Gott nicht kennen, dagegen ein von den Titanen zerrissenes Kind und ein
trauerndes Weib und Glieder, die man in der Tat vor Scham nicht nennen kann, schamlos verehren, so dass sie in doppelter Gottlosigkeit (9
) 9
) $) befangen sind,
(a) einmal weil sie von Gott nichts wissen, den wahrhaft seienden Gott nicht kennen;
(b) der zweite Irrtum aber ist, dass sie die nicht Seienden für seiend halten und sie Götter nennen, sie, die nicht wirklich sind, vielmehr überhaupt nicht sind, sondern nur den
Namen erhalten haben.“ Übersetzung Stählin (1934).
Prot. 2.23.1–2 T" $( &α $« ξ 9(« $%.
«,
θ µ ξ `(« ` µ &, %! ξ %µ T0( %; λ
%" λ Ν ³« $.
« %’ 98« $8(« *) /8 9
) $, %)
, ’ b $" µ , µ
, 9
`(« ` κ (!'« , 4)
ξ λ )
cκβ 9
c9
)β %.09
@« `« ³« `« !'« λ @« « \0'« @« `(« `«, (».. ξ ξ `«), ξ " \« 8«.
Cf. dazu Droge (1989) 125–138, bes. 129–130 und 138.
So bemerkt Clemens in prot. 5.64.4 rhetorisch geschickt: T! 0 /! % U
² P
ν 0 « ! / )« %(« \%; „Denn was ist
Poseidon anderes als ein flüssiges Element, benannt nach dem Wort „Posis“ ()«
%(«, dt. „Trinken“)?“
Cf. prot. 5.65.4 >O.( ! ¹ φ.φ @« 0.« @« φ
P« ν 0« ν M0«, % ’ W κ $ *!( 1«
& $8
, Ν8 µ %0( %κ λ $8
µ $"«, µ Ν8 , ξ „%(8“ " λ „$)“, 9
e φ
² $%.«, 9« κ $;%( %! %% „81“ %%.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
51
macht habe. Sie wussten nicht vom anfanglosen Gott (µ Ν8 ),
sondern hätten die „armseligen und schwachen Elemente“ ( ξ %(8
" λ $), in offensichtlicher Anspielung auf Gal 4,9), die zum
Dienst der Menschen geschaffen seien, angebetet (%%).68
Mit der ersten These behauptet Clemens die Abhängigkeit der frühgriechischen Philosophen in ihrer Lehre von den Persern, Sauromaten oder den
Magiern. Es geht ausdrücklich nicht um irgendeine innovative Leistung
oder Entdeckungen, die Thales zugeschrieben werden, sondern vielmehr
um die Relativierung seiner Weisheit und der Annahme seines Prinzips im
ethnologischen Vergleich. Thales wird gemeinsam mit den anderen genannten Philosophen sowohl aufgrund der als rudimentär dargestellten Divinisierung der Elemente als auch wegen seiner Unkenntnis des wahren Gottes
nicht nur (wie die anderen genannten frühgriechischen Philosophen) als
„gottlos“ bezeichnet; er wird auch gemäß der ersten These von der Lehrabhängigkeit implizit als Schüler pseudo-religiöser, nicht-griechischer Vorstellungsweisen dargestellt, die als primitiv qualifiziert werden.69
*
Clemens, Stromateis
Die meisten Zeugnisse über Thales (Th 198–205) stehen im ersten Buch
der Stromateis,70 in dem es grundlegend um Weisheit und Philosophie, deren Geschichte, Ursprung und Wert sowie um das Verhältnis von hebräischer Weisheit zu griechischer Philosophie geht.71 Von den übrigen Zeugnissen (Th 206–208) befindet sich je eines in den Büchern 2, 5 und
68
69
70
71
Cf. Gal 4,3 J(« λ π1«, Ρ f &%, %µ 81 " Q .(·
„So waren auch wir, solange wir unmündig waren, Sklaven der Elementarmächte.“
Gal 4,8–9 #A.. ξ 9« µ /. 1« φ κ σ
1«·(9) " ξ « , ».. ξ (« %µ ", %
« /%φ
%0. /%λ $) λ %(8 81, g« %0. Ν( . .;
„Doch als ihr einst Gott noch nicht kanntet, wart ihr Sklaven der Götter, die in Wirklichkeit keine sind. (9) Wie aber könnt ihr jetzt, da ihr Gott erkannt habt, vielmehr von
Gott erkannt worden seid, wieder zu schwachen und armseligen Elementarmächten
zurückkehren? Warum wollt ihr von neuem ihre Sklaven werden?“
Cf. zu dieser Argumentation auch Clemens str. 1.11.52.4 (Th 198) und Tertullian adv.
Marc. 1.13.3 (Th 220).
Cf. zum Titel Méhat (1966) 96–114. Cf. auch Le Boulluec (2006) 95–108. Méhat bietet auf der Basis seiner umfangreichen Analyse des Werkes eine Übersicht über dessen
Inhalt, 276–279.
Cf. Méhat (1966) 276–277.
52
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
6. Hauptthemen dieser Bücher sind u.a. der Glaube und die Tugenden (str.
2), „die Bedeutung des Symbolischen im Rahmen einer biblischen Hermeneutik“,72 das Geheimnis Gottes und der Diebstahl der Hellenen (str. 5) sowie „das Portrait des wahren Gnostikers“ (str. 6–7). Aufgrund der antiken
Gattung der Buntschriftstellerei, „die es erlaubt, Wissenswertes aus allen
erdenklichen Bereichen in bunter Mischung und ohne feste Gedankenführung zu unterbreiten“,73 ist es im Falle der Stromateis besonders schwierig, jeweils einen sinnvollen Einschnitt im Hinblick sowohl auf den vorausgehenden als auch auf den nachfolgenden Kontext der Zeugnisse über
Thales zu finden.
Kontext zu Th 198
Die Bezugnahme auf Thales und die weiteren Philosophen steht in einem Abschnitt, in dem sich Clemens insgesamt mit den Begriffen Weisheit und Philosophie beschäftigt. Im vorausgehenden Kontext (str. 1.11.50.1–52.4) erklärt
er den Sinn einiger Aussagen aus den so genannten Paulusbriefen (v.a. 1 Kor
3,19–21, 2 Kor 1,9f., 1 Kor 2,5 und 15, Kol 2,4 und 2,6–8). Bei der Behandlung der „Weisheit der Welt, die Torheit in Gottes Augen ist“ (1 Kor 3,19)
kommt Clemens auf die Rolle und die Bedeutung der Philosophie zu sprechen.74 Die Äußerung (str. 1.11.50.5) aus Kol 2,8 „Sehet also zu, dass euch
niemand als Beute fortschleppe durch Philosophie und eitlen Trug, der sich
auf menschliche Überlieferung, auf die Elementarmächte der Welt und nicht
auf Christus gründet“, wird von Clemens so verstanden (str. 1.11.50.6), dass
Paulus damit nicht jegliche Philosophie schlecht machen wolle, sondern nur
zwei Arten oder Richtungen von Philosophie: zum einen die epikureische, die
Paulus in der Apostelgeschichte (Apg 17,18) erwähnt habe, „weil sie die Vorsehung leugne und die Lust vergöttere“, zum anderen „jede andere Philosophie, die den Elementen übermäßige Ehre erwiesen“ habe, anstatt die schöpferische Urkraft über sie zu stellen, und kein Auge für den Schöpfer hatte.75
Es folgt (str. 1.11.52.3) eine Darlegung der auf Christus gegründeten Lehre,
die „den Schöpfer als Gott verehrt“ und eine bis auf das Einzelgeschehen sich
erstreckende Vorsehungslehre vertritt.76 In der folgenden Kritik (in Th 198)
72
73
74
75
76
Wyrwa (1998) 130.
Ebd. 129–130.
Cf. zum Thema der Weisheit der Welt Brague (2006) bes. 73–75.
Cf. str. 1.11.50.6–51.1 φ.φ! ξ %», $.. κ #E%, e« λ
/ 1« P0= $%.( ² P".«, *0..(, % $" λ πκ /0', λ 9 & « Ν.. 81 /! κ
/%& κ %κ 9! «, ξ /φ0 µ .
Cf. str. 1.11.52.3 π $.« X)
.! λ µ µ /-
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
53
an Diogenes von Apollonia, Thales, Hippasos und besonders den Atomisten
geht es (wie bereits in Th 197) um den Aspekt der ‚Verehrung‘ der Elemente.
Th 198 Clemens, Stromateis 1.11.52.4 (ed. Stählin/Treu)
81 ξ * « ξ µ $, L.)« ξ µ J(, 6I%%«
ξ µ %", λ ¹ « $« $8« %, φ.φ!« `
%, Ν! « $(%! λ φ.&.
Th 198 Clemens, Teppiche 1.11.52.4
Als Elemente verehren Diogenes die Luft, Thales das Wasser, Hippasos das
Feuer und diejenigen, die die Atome als Prinzipien postulieren, die sich den
Namen ‚Philosophie‘ beiziehen, irgendwelche gottlosen, lustergebenen
Menschlein.
Attribut
Prinzip Wasser: Thales verehrt das Wasser
Funktion der Bezugnahme
Clemens’ Kritik an den Philosophen ist vor dem oben skizzierten Hintergrund zu verstehen. Warum und in welchem Punkt kritisiert er Thales? Die
so genannte „christliche Lehre“ hinsichtlich der Elemente (str. 1.11.52.3) ist
zu beachten. Ihr zufolge ist der „Schöpfer“ («) „als Gott“ zu verehren; die Elemente sind „ihrer Natur nach veränderlich und geworden“
(λ %κ λ κ […] κ 8!( φ).
Vor diesem Hintergrund ist auch die polemische Kritik an Thales im Protrepticus 5.64.2 (= Th 197) zu verstehen. Wie in Th 197 (/=&«)
zeigt sich bereits in Clemens’ auf die religiöse Sphäre abzielender Wortwahl die offenkundige Polemik gegen diese Vertreter der griechischen Philosophie: Diogenes, Thales und Hippasos „verehren“ (*) jeweils ein
Element (Luft, Wasser oder Feuer); besonders polemisiert Clemens jedoch
gegen die Atomisten, die als „gottlose und der Lust ergebene Menschlein“
(Ν! « $(%! λ φ.&) bezeichnet werden, die sich den
Namen der Philosophie nur anmaßen. Er gibt weiter mit einer Äußerung aus
Phil 1.9–10 zu bedenken: „Deswegen bete ich, dass eure Liebe immer mehr
und mehr wachse in der Erkenntnis und aller Erfahrung, damit ihr das prüfen könnt, worauf es ankommt.“ Zu Thales lässt sich festhalten, dass er an
0' λ κ % 8 « Ν λ %κ λ κ ρ
κ 8!( φ λ %. 9« /=(κ )
)
0 λ κ 9! ³« πµ )« 4%0« %! %!«.
54
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
dieser ersten Stelle in den Stromateis wie bereits in Th 197 als ‚Elementenverehrer‘ charakterisiert wird.
*
Kontext zu Th 199
Clemens vertritt im vorausgehenden Zusammenhang die These (str.
1.13.57.1), dass es nur eine Wahrheit gebe und die verschiedenen Richtungen (¹«) der griechischen und barbarischen Philosophie diese in
viele Teile zerrissen hätten. Er vergleicht diesen Vorgang (0%) metaphorisch mit dem der Bakchen, welche die Glieder des Pentheus zerrissen hätten.77 Ausgehend von diesem Bild erläutert er, dass nun jede einzelne Richtung das Stück, das sie zufällig erhalten habe, prahlend für die
ganze Wahrheit erkläre. Clemens ist jedoch überzeugt, dass (in Anspie)) alles
lung auf Joh 1,9) „durch den Aufgang des Lichtes“ (φ(µ« $.9
erleuchtet werde. Er vertritt zum einen die These, dass die so zerrissene
„ewige Wahrheit“ ($! $.&) nicht zu der Sage von Dionysos,
sondern „zur Gotteslehre des immerseienden Wortes gehöre“ ()« ξ "
. " `« $λ .!«). Zum anderen vertritt er die Überzeugung, dass derjenige, der die einzelnen Teile wieder zusammenfüge und
vereinige (λ« σ« λ 4%&«), „unfehlbar die vollkommene
Lehre (. µ .), die Wahrheit, schauen wird (?, κ
$.&)“.78
Unmittelbar bevor sich Clemens den Anfängen der Weisheit bei den
Griechen (= Th 199) zuwendet, ermuntert er den Leser (str. 1.13.58.4)
unter Bezugnahme auf Spr 8,9–11 dazu, „lieber Bildung und nicht
Silber, lieber Erkenntnis anstelle von Gold“ zu wählen – „denn Weisheit (φ!) ist mehr wert als kostbare Steine“.79 Darauf folgt sein Referat
77
78
79
Cf. str. 1.13.57.1–2 M»« ! Κ« )« $.!« (µ ?"« !« /%« D8), 0% ¹ *08 " P(« φ& . ¹ )« φ.φ!« )« **0 )« >E..)« ¹«, 40 Ρ% D.8 ³« %»
81 κ $.&α φ(µ« ’, ρ, $.9
) %0 φ(!'.
Cf. dazu auch Eusebius, PE 11.2 (Attikos) = Eusebius Th 267 und Attikos Th 169.
Cf. str. 1.13.57.6–58.1 J(« σ S *0*« S >E..κ φ.φ! κ
$! $.& % , )« .!«, )« ξ " .
" `« $λ .!« %%!. ² ξ 9
λ« σ« λ 4%&« . µ . $(« σ F’ Ρ ?, κ $.&.
Spr 8,9–11 %0 /;% 1« " λ \ 1« ! . .0*
%! λ κ $ λ %ξ 8! , $1
ξ F 8! "α !( φ! .!( %..
, %» ξ
! Ν= )« /.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
55
über die Anfänge der Weisheit bei den Griechen (str. 1.14.59.1 =
Th 199).80
Th 199 Clemens, Stromateis 1.14.59.1
Rλ ξ 6E..« 0 #Oφ λ ! λ @« %.0«
% φ! %« /%λ φ!)
%;« ) @« 4% @«
/%.« φ«, W « ξ $%µ #A!« f, L.)« ²
M.&« λ B!« ² P@« λ Pµ« ² M.1« λ K.*.« ² !«, ξ $%µ E;%«, .( ² #A1« λ
X!.( ² «, µ ξ U* θ ξ P! ρ . µ K!, θ ξ #A08 µ , θ ξ #E%! µ
K) […].
Th 199 Clemens, Teppiche 1.14.59.1
Doch die Griechen sagen, dass zumindest nach Orpheus, Linos und den ältesten von ihren Dichtern als Erste wegen ihrer Weisheit die so genannten
Sieben Weisen bewundert wurden; von ihnen waren vier aus (Klein-)Asien,
sowohl Thales aus Milet als auch Bias aus Priene, Pittakos aus Mytilene sowie Kleobulos aus Lindos, zwei aus Europa, Solon aus Athen und Chilon aus
Lakedaimon; als Siebenten nennen die einen Periander aus Korinth, andere
Anacharsis, den Skythen, und wiederum andere Epimenides aus Kreta.81
Attribute
Milet
Einer der Sieben Weisen
Asiate
Funktion der Bezugnahme
Nach Auskunft der Griechen, auf die sich Clemens bezieht, folgten auf
Orpheus, Linos und die ältesten Dichter (Homer und Hesiod) „die so genannten Sieben Weisen“, die als Erste (%;«) aufgrund ihrer Weisheit
) bewundert wurden. Clemens unterteilt diese Gruppe von Wei(/%λ φ!)
sen nach geographischen Gesichtspunkten zunächst in zwei Lager (Kleinasien – Europa): Zu den Weisen Kleinasiens zählt er Thales aus Milet,
Bias aus Priene, Pittakos aus Mytilene und Kleobulos aus Lindos; Europa
zugehörig sind Solon der Athener und Chilon der Lakedaimonier. Der
siebte Kandidat variiere: sei es Periander aus Korinth, Anacharsis der
80
81
Cf. dazu Wyrwa (1983) 71–73.
Übersetzung Schwab.
56
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Skythe oder Epimenides aus Kreta,82 den der Apostel Paulus in seinem
Brief an Titus erwähne (Tit 1,12 ff.).83 Clemens verweist darauf, dass er an
späterer Stelle darlegen werde, dass die griechischen Weisen erst nach der
Zeit des Moses gelebt hätten.84 Doch bereits jetzt müsse betrachtet werden, dass die Art und Weise (%«) der frühen griechischen Philosophie
wie die hebräische in Rätselworte (9;«) gekleidet sei.85 Zur
Illustration dieser These führt Clemens sogleich einige Beispiele an (cf.
Th 200–201).
*
Kontext zu Th 200 / Th 201
In beiden Zeugnissen geht es um Spruchweisheiten, die in diesem Zusammenhang sowohl Thales als auch anderen prominenten Vertretern des griechischen Geisteslebens zugeschrieben werden. Clemens vertritt die These
(str. 1.14.60.1ff.), dass die Philosophie der griechischen Weisen „der Art
und Weise nach“ der hebräischen ähnlich und in Rätselworte gekleidet
war.86 Er referiert, dass sie mit Vorliebe kurze Sätze (*8.!) verwendeten – eine Redeform, die besonders für Ermahnungen (κ %&)
geeignet und sehr vorteilhaft sei.87 Unter Bezugnahme auf Platon88 behauptet Clemens, dass diese Redeweise in alter Zeit beliebt gewesen sei, und
zwar überhaupt bei allen Griechen, besonders aber bei den Lakedaimoniern
und Kretern, die die besten Gesetze gehabt hätten.89 Es folgt der erste
Spruch „Erkenne dich selbst“ (Th 200), der von einigen Chilon, von dem
Peripatetiker Chamaileon jedoch in seiner Schrift Über die Götter (Th 40)
Thales zugeschrieben werde. Aristoteles hingegen schreibe den Spruch der
Pythia zu.
82
83
84
85
86
87
88
89
Cf. str. 1.14.59.2.
Cf. auch str. 1.14.59.5, wo auch noch Akusilaos von Argos, Pherekydes von Syros und
Myson von Chios als Kandidaten genannt werden.
Cf. zur chronologischen Argumentation auch Tatian Th 176, Tertullian Th 218, und
Eusebius Th 264.
Str. 1.14.60.1–2 ² ξ %« )« % ’ 1« φ.φ!«, ³« >E*=µ« λ 9;«, Q /%%«.
Cf. dazu Wyrwa (1983) 71–73.
Str. 1.14.60.2 *8.! " %0' κ %&, κ kφ.(0.
Cf. Plat. Prt. 343a-b, Lg.1.641e; dazu Wyrwa (1983) 71–73.
Str. 1.14.60.2 ! P.0( %0. [µ] %)« µ %
., « ξ %» 6E.., /=(« ξ !« λ Kλ 1«
(0«.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
57
Th 200 Clemens, Stromateis 1.14.60.3
Tµ ξ σ „
µ“ θ ξ X!.(« %.&φ, X.(
(Th 40) ξ / )
%λ L.", #A.« ξ )« P!«.
Th 200 Clemens, Teppiche 1.14.60.3
Einige nehmen an, dass der Spruch „Erkenne dich selbst“ von Chilon
stamme, Chamaileon (Th 40) aber in seiner Schrift Über die Götter nimmt
an, von Thales, und Aristoteles [fr. 3.2 Rose3, 29.1 Gigon] von der Pythia.
Th 201 Clemens, Stromateis 1.14.61.2–3
Tµ ’ „/, %0 ’ Ν“ K.« ξ / )
%λ >H >O&)
(
φλ %) (α […] θ ξ %λ #A. X!.(« µ
!', !« (Th 84) ξ L." [61.3] φ ρ κ %!.
Th 201 Clemens, Teppiche 1.14.61.2–3
Kleomenes sagt in seiner Schrift über Hesiod, dass der Spruch „Bürge, und
schon ist das Unheil da“ von Homer vorweggenommen worden sei […].
Aristoteles und seine Schule glauben, er stamme von Chilon [4 R3, 29.2 Gigon]. Didymos (Th 84) aber sagt, dass die Ermahnung [„Bürge, und schon
ist das Unheil da“] von Thales stamme.
Attribute
Spruchweisheit „Erkenne dich selbst“
Spruchweisheit „Bürge, und schon ist das Unheil da“
Funktion der Bezugnahmen
Neben der unterschiedlichen Zuschreibung des Spruches liefert Clemens im
Folgenden auch eine Deutung des Spruches.90 Er deutet ihn im Sinne einer
Ermunterung oder Aufforderung (/.), nach Erkenntnis (κ
) zu streben (;). Denn, so Clemens, es sei nicht möglich,
ohne die Kenntnis des Wesens des Ganzen die Teile zu kennen. Demnach
müsse man die Entstehung der Welt zu erforschen suchen, wodurch es möglich werde, auch das Wesen des Menschen zu verstehen.91 Nach den beiden
Spruchweisheiten „Nichts zu viel“ und „Maß ist das Beste“ geht es Clemens
in str. 1.14.61.2 (Th 201) um den Spruch „Bürge, und schon ist das Unheil
90
91
Cf. dazu Courcelle (1974) bes. 77–80.
Str. 1.14.60.4 ξ κ /. ;. D Ν
)« Ρ.( !« 9 α 1 κ κ " %.%), ’ e« λ κ " $;% φ 1 /=.
58
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
da“, der nach dem Zeugnis des Didymos (Th 84) von Thales stamme. Clemens hebt wiederum ausdrücklich die unterschiedlichen Zuschreibungen
für diesen Ausspruch (an Homer oder Chilon) hervor. Dabei kann er sich auf
griechische, nicht-christliche Quellen stützen. In Übereinstimmung mit der
zuvor geäußerten Auffassung dieser Sprüche als „Ermahnungen“ oder „Ermunterungen“ spricht Clemens an dieser Stelle explizit von %!«.
*
Kontext zu Th 202
Im Anschluss an die Ausführungen zu den griechischen Weisen sowie deren
Spruchweisheiten (cf. Th 200–201) folgt ein Referat über die griechische
Philosophie der Folgezeit.92 Clemens unterscheidet nach geographischen
Gesichtspunkten drei Schulen: die Italische von Pythagoras ausgehend, die
Ionische von Thales und die Eleatische von Xenophanes (cf. dagegen Diogenes Laertius 1.13ff. = Th 236).93 Danach wird die Aufmerksamkeit auf
die Herkunft von Pythagoras und Thales gelenkt (cf. Th 204 und Eusebius
Th 262). Pythagoras ist nach Meinung der meisten Gewährsmänner, die
Clemens anführt, ein Nichtgrieche (*0* µ «) – sei es, dass er als
ein Tyrrhener, Syrer oder Tyrer bezeichnet wird (str. 1.14.62.2).94 Analog
dazu referiert Clemens auch im Falle des Thales verschiedene ihm zugängliche Informationen über dessen Herkunft: So sei Thales nach den Angaben
von Leandros (Th 50) und Herodot (Th 12) ein Phönizier, nach Meinung
anderer jedoch ein Milesier. Es folgt der Zusatz, dass Thales mit den Priestern/Propheten der Ägypter oder bei den Ägyptern (1« A9%!(
%φ&«) zusammengekommen sei und dass kein Lehrer von ihm verzeichnet werde. Ebensowenig sei ein Lehrer von Pherekydes von Syros bekannt, dessen Schüler Pythagoras gewesen sei.95
92
93
94
95
Cf. dazu von Kienle (1961) 11–12, 32ff.
Von Kienle (1961) 32 bemerkt zum dreireihigen Schema bei den Diadochien der Philosophen: „Wird eine Beziehung zwischen Pythagoras und Xenophanes nicht angenommen, so muß ein dreireihiges Schema entstehen mit drei zeitlichen Anfängen:
Thales, Pythagoras, Xenophanes. Da bei drei Reihen der Platz hinter Pythagoras „frei“
wird, ergibt sich die Möglichkeit, einen weiteren berühmten Philosophen in das System einzugliedern: Empedokles, der im zweireihigen Schema fehlt.“
Str. 1.14.62.2 P« ξ σ M08 0«, —« φ >I%%*«, ³« ξ
#A=« / )
P *!)
( λ #A!8« λ L%%«, Tµ«
f, ³« ξ N0«. « ν T«, — ρ @« %.!« µ P *0* µ «.
Cf. dazu Diels (1879) 178, 244–245.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
59
Th 202 Clemens, Stromateis 1.14.62.1–63.2
R.φ!« ! @« %« Ν« 1« 8λ /%; %( %λ ?« ?, #I.κ ξ π $%µ P, #I(κ ξ π $%µ L.", #E.κ ξ π $%µ mφ0«. […]
[62.3] $.. λ L.)«, ³« « (FGrHist III B 491–2 F 17, s. Th 50)
λ >H« (Th 12) ¹", R1= f, ³« « %.&φ,
M.&«. [62.4] « ^« 1 1« A9%!( %φ&« **., 0.« ξ " λ« $0φ, […] [63.2]
#A=!« ξ P=0 M.&« L.) 8, " ξ
#A=« E0 M.&«, ’ χ #A=« >H*. K.'«.
Th 202 Clemens, Teppiche 1.14.62.1–63.2
Nach den zuvor genannten Männern (sc. den Sieben Weisen) hat es drei
Schulen der Philosophie gegeben, die ihre Beinamen von den Orten erhielten, an denen sie sich aufhielten, die Italische, die von Pythagoras ausging,
die Ionische von Thales und die Eleatische von Xenophanes.96 Aber auch
Thales, wie Leandros (Th 50) und Herodot (Th 12) berichten, war ein Phönizier, wie aber einige annehmen, ein Milesier. Nur er scheint mit den Priestern der Ägypter zusammengetroffen zu sein, es wird aber kein Lehrer von
ihm aufgeführt […]. Anaximander, der Sohn des Praxiades, der Milesier,
folgt ihm als Schüler, diesem [folgt] Anaximenes, der Sohn des Eurystratos,
aus Milet, danach der Klazomenier Anaxagoras, der Sohn des Hegesibulos.
Attribute
Ionische Schule: Thales als Gründer
Phönizisch
Milet
Ägyptischer Einfluss: Zusammentreffen mit Priestern
Thales ohne Lehrer
Anaximander folgt auf Thales
Funktion der Bezugnahme
Mit den von Clemens referierten Hintergrundinformationen wird nicht nur
eine Verbindung von Thales mit Ägypten hergestellt, sondern auch eine potentielle (Lehr-)Abhängigkeit von den Priestern bzw. Propheten in Ägypten
plausibel gemacht. Mehrdeutig ist jedoch der Ausdruck in attributiver Stel-
96
Übersetzung Schwab.
60
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
lung ¹ A9%!( %φ). Durch die grammatische Stellung sowie
die zweifache Bedeutung von %φ&« als „Priester“ oder „Prophet“ bieten sich folgende Verständnismöglichkeiten an: (a) die Priester/Propheten
der Ägypter, (b) die Priester/Propheten bei den Ägyptern (d.h. die in Ägypten lebenden jüdischen Propheten). Neben der Äußerung über das Zusammentreffen mit den Priestern/Propheten in Ägypten ist weiter die Bemerkung von Gewicht, dass für Thales kein namentlicher Lehrer verzeichnet
werde ($0φ). So kommen allein die Priester/Propheten in Ägypten als mögliche „Lehrer“ des Thales in Betracht.97 Insgesamt gesehen
macht Clemens mit seinen sorgfältig dargelegten Informationen mindestens
drei Punkte deutlich:
(1) Zum einen argumentiert er durch die von Leandros (Th 50) und Herodot (Th 12) bezeugte phönizische Abkunft des Thales mit griechischen
Quellen98 für den nicht-griechischen Ursprung der griechischen Philosophie, soweit diese von Thales stamme.
(2) Zum anderen erhält durch den referierten Kontakt mit den Priestern/
Propheten in Ägypten dieser nicht-griechische Ursprung eine weitere Dimension: Zu der phönizischen Herkunft kommt der Einfluss oder gar eine (an
dieser Stelle) nicht weiter explizierte Abhängigkeit von den Priestern/Propheten in Ägypten.99
(3) Durch diese Argumentationsstrategie macht er darauf aufmerksam,
dass die Anfänge der griechischen Weisheit und Philosophie eigentlich auf
eine als göttlich-inspiriert oder auch religiös-legitimiert angesehene Gruppe
zurückzuführen ist, seien es nun ägyptische Priester oder in Ägypten lebende
jüdische Propheten, von denen Thales seine Weisheit beziehen konnte. Die
strategische Argumentationsweise von Clemens zeigt sich auch darin, dass
er, um die nicht-griechische Herkunft des Thales plausibel zu machen, für
die ‚Phönizier-These‘ ausdrücklich zwei bekannte griechische Autoritäten
anführt, während er bei der ‚Milesier-These‘ nur unbestimmt von „einigen“
spricht, die diese bezeugten.
*
97
98
99
Clemens referiert weiter, dass Anaximander Nachfolger des Thales gewesen sei
(8). Es folgen Anaximenes und Anaxagoras aus Klazomenai, der die Schule
aus Ionien nach Athen überführte.
Cf. dazu z.B. Tatian Th 176, der sich in seiner chronologischen Argumentation explizit auf die Zeugnisse griechischer Quellen beruft.
Cf. dazu Art. s. v. Prophetes/Prophetis, RE 23.1, 797–816.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
61
Kontext zu Th 203
Im Anschluss an die Übersicht zur Geschichte der ionischen und eleatischen
Schulen (Xenophanes, Parmenides, Zenon etc. bis zu Epikur) konstatiert
)) die ReihenClemens (str. 1.14.64.5), dass dies „im Auszug (/ /%9
folge (π ξ 8&) der griechischen Philosophen“ sei.100 Im Folgenden
möchte er „die Zeiten der Begründer ihrer Philosophie“ (¹ 8 ξ %=0( )« φ.φ!« ) anführen, damit im Vergleich
(/ !) bewiesen werden könne ($%!=(), dass die hebräische
Philosophie um viele Geschlechterfolgen (%..1« 1«) älter ist. Damit
wird das Argumentationsziel an dieser Stelle klar formuliert.
Th 203 Clemens, Stromateis 1.14.65.1
[…] L.) ξ EΚ« / 1« #A.1« ¹!« κ D.? " π.! %%1 φ (s. Th 45) ’ ?« 8« )?
08 %µ« $..&.« M)! λ λ *.« K=0« ξ
" #A0« %µ« M&(, #A.0 ξ " K! .
)
0 ξ )
λ >H« / 9
) %;9
(Th 10). 9λ ξ ¹ 8
$φλ κ %κ \.%0.
Th 203 Clemens, Teppiche 1.14.65.1
[…] Eudemos (s. Th 45) sagt in seinen Astronomischen Forschungen,101
Thales habe die Sonnenfinsternis vorausgesagt, die zu der Zeit eintrat, als
die Meder und die Lyder eine Schlacht gegeneinander begannen. Kyaxares,
der Vater des Astyages, war damals König der Meder, Alyattes, der Vater
des Kroisos, [war König] der Lyder. Herodot in seinem ersten Buch stimmt
mit ihm [Eudemos] überein (Th 10 [1.74]). Es sind die Jahre um die
50. Olympiade [580–577 v. Chr.].
Attribute
Vorhersage der Sonnenfinsternis
Datierung der Sonnenfinsternis
Datierung (um die 50. Olympiade)
100
101
Str. 1.14.64.5 Kλ π ξ 8κ % ’ 6E.. φ.φ( ³« / /%9
) S,
¹ 8 ξ %=0( )« φ.φ!« 4%(« ., o
κ / ! $%!=( %..1« 1« %* κ >E*!«
φ.φ!.
Oder: Geschichte der Astronomie. Cf. Bowen (2002) 308 Anm. 2.
62
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Funktion der Bezugnahme
Für die zeitliche Verortung des Thales, die Clemens in str. 1.14.65.1 vornimmt, führt er zuerst die Voraussage (%%1) der Sonnenfinsternis nach
dem Zeugnis des Eudemos (Th 45) in dessen Geschichte der Astronomie
(1« #A.1« ¹!«) an. Dieses Ereignis wird synchron mit der
Schlacht der Meder gegen die Lyder angesetzt. Im Hinblick auf diese Datierung stimme Herodot (in seinem ersten Buch; cf. Th 10) mit Eudemos über0). Die Blütezeit ($&) des Thales wird von Clemens auf die
ein ()
Zeit um die 50. Olympiade [580–577 v. Chr.] bestimmt. Pythagoras wird
(str. 1.14.65.2) mit dem Tyrannen Polykrates um die 62. Olympiade datiert.
Clemens weist im Folgenden (str. 1.15.72.4) darauf hin, dass er sich (wie
Tatian Th 176 sowie später Eusebius und Kyrill) in seiner chronologischen
Argumentation auf nicht-christliche Autoren berufen kann.
*
Kontext zu Th 204
Im Anschluss an die chronologische Argumentation versucht Clemens in str.
1.15.66.1ff. die zweifache These zu illustrieren, dass die meisten der ältesten
griechischen Weisen und Philosophen (1) nicht nur ihrer Herkunft nach
Nichtgriechen (*0* µ «) waren, sondern auch (2) bei Nichtgriechen ihre Bildung erhielten (% **0« %«).102 Nachdem
er zuerst in Kürze die nicht-griechische Herkunft des Pythagoras,103 des Antisthenes und des Orpheus hervorgehoben und ohne Belege behauptet, dass
„die meisten Homer als einen Ägypter“ (str. 1.15.66.1) bezeichneten, kommt
Clemens in str. 1.15.66.2 auf die Herkunft des Thales zu sprechen.
Th 204 Clemens, Stromateis 1.15.66.2
L.)« ξ R1= φ µ « λ 1« A9%!( %φ&« **. F, 0% λ ² P« 1« «, […].
Th 204 Clemens, Teppiche 1.15.66.2
Thales war phönizischer Abstammung und soll mit den Priestern der Ägypter zusammengekommen sein, wie auch Pythagoras zumindest mit denselben […].
102
103
Str. 1.15.66.1 Oo ξ ¹ 8 % ’ 6E.. %*0( φ
λ φ.φ(. ³« ξ ¹ %.1 *0* µ « λ % **0« %« […].
Cf. dazu Riedweg (2007) 19–21.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
63
Attribute
Phönizisch
Ägyptischer Einfluss: Zusammentreffen mit Priestern
Funktion der Bezugnahme
Auffällig ist, dass Clemens die phönizische Herkunft des Thales an dieser
Stelle als Faktum ausgibt und im Gegensatz zu Th 202 (str. 1.14.62.3) Milet
nicht einmal mehr thematisiert. Im Anschluss an Pythagoras104 widmet sich
Clemens ausführlicher Platons Wertschätzung der Nichtgriechen.
*
Kontext zu Th 205
Die Bezugnahme auf Thales (str. 1.21.129.3–4) steht im Rahmen einer langen chronologischen Übersicht, die veranschaulichen soll, in welcher Zeit
Moses lebte, um die These von der Priorität der hebräischen Philosophie zu
stützen (Altersbeweis).105 Clemens bemerkt (str. 1.21.101.1), dass die (griechischen) Philosophen ihre Lehren () bei den Hebräern zusammengesucht hätten; bevor er jedoch darüber spreche, müsse er davon handeln, in
welcher Zeit Moses lebte; dadurch werde unbestreitbar erwiesen, dass die
hebräische Philosophie älter als jede andere Weisheit sei.106
Th 205 Clemens, Stromateis 1.21.129.3–4
#A%! ! ¹ /%λ ! " >Y0% %φ«
µ D« )« *.!« " #A1« λ Z8!« λ ²
104
105
106
Bemerkenswert und kurios ist die Bemerkung zu Pythagoras, der ebenfalls mit den
Propheten der Ägypter verkehrt haben soll: Er habe sich angeblich ihretwegen beschneiden lassen (%), um (o) in die geheimsten Tempelräume ( Ν)
zugelassen zu werden und die „Geheimphilosophie der Ägypter“ (κ κ % ’
A9%!( […] φ.φ!) kennen zu lernen. Diogenes Laertius 8.3 berichtet zum
Leben des Pythagoras ebenfalls von einem Ägyptenaufenthalt des Pythagoras zur Zeit
des Polykrates, der ihn durch ein Schreiben dem Amasis empfohlen haben soll. Pythagoras soll die ägyptische Sprache erlernt, Zutritt zu den heiligsten Stätten gehabt sowie sich mit den geheimnisvollen Lehren über die Götter bekannt gemacht haben. Von
der bei Clemens genannten Beschneidung ist bei Diogenes nicht die Rede.
Cf. dazu Droge (1989) 124–152, bes. 144–146.
Cf. str. 1.21.101.1 Kλ %λ ξ " % ’ >E*!( φ.φ( /() µ J .?, % , Ρ% $. f,
%λ M( 8( Q ., ’W 8& $φ!(«
%0« φ!« $80 π >E*!« φ.φ!.
64
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
/ ; 5A.« µ %
D« )« \« λ )« \.%0« %φ« %* ρ P "
κ λ 4=κ \.%0 φ λ " %*0 % ’ 6E.. φ
L." %λ κ %κ \.%0 . [129.4] 8 ξ ¹ .« φλ )
L.1, —« φ 5A( / )
T!% (Th 24).
Th 205 Clemens, Teppiche 1.21.129.3–4
Es ist nun gezeigt, dass die Propheten zur Zeit des Dareios, des Sohnes des
Hystaspes, im zweiten Jahr seiner Königsherrschaft, Aggäus [Haggai] und
Zacharias, und der Engel [Maleachi] aus dem Kreis der Zwölf [kleinen Propheten], die im ersten Jahr der 48. Olympiade prophezeiten, älter sind als
Pythagoras, der während der 62. Olympiade gelebt haben soll, und als der
Älteste der griechischen Weisen, Thales, der um die 50. Olympiade lebte.
Zur gleichen Zeit lebten die mit Thales zusammen aufgezählten Weisen, wie
Andron im Dreifuß sagt (Th 24).
Attribute
Ältester der griechischen Weisen
Datierung (um die 50. Olympiade)
Funktion der Bezugnahme
Clemens konstatiert, dass zur Zeit des Dareios (Sohn des Hystaspes) die
Propheten Aggäus (Haggai), Zacharias und ein „Angelos“ (5A.«, d.h.
„Bote“) Genannter aus dem Kreis der zwölf (kleinen) Propheten, die im ersten Jahr der 48. Olympiade prophezeiten, älter sind als Pythagoras (62. Ol.)
und als der älteste der griechischen Weisen, Thales, der um die 50. Olympiade gelebt haben soll. Zur gleichen Zeit sollen nach Andron (Th 24) die
mit Thales zusammen aufgezählten Weisen gelebt haben. Mit dem als 5A.« bezeichneten Propheten aus dem Kreis der Zwölf (kleinen) Propheten
ist der Prophet Maleachi (hebr. = der Bote) gemeint. 107 Die Bezugnahme auf
Thales ist ein Bestandteil der übergeordneten Argumentation des Altersbeweises.
*
107
Hieronymus bemerkt (in Malachiam prol.), dass die LXX „Maleachi“ (hebr.) mit
Ν.« (gr.) übersetzt habe. Der Hinweis geht auf Herrn Prof. Fiedrowitz (Trier) zurück. Cf. Augustinus civ. 15.23 und 20.25 sowie Tertullian adv. Jud. 5.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
65
Kontext zu Th 206
Hauptthemen des zweiten Buches der Stromateis sind zum einen der Entwurf einer Theologie des Glaubens, zum anderen eine Übersicht über die
Tugenden des Gnostikers.108 Die einzige Bezugnahme auf Thales im zweiten Buch steht in einem Zusammenhang (str. 2.4.14.1–2), in dem Clemens
verschiedene epistemische Zustände und Begriffe wie sinnliche Wahrnehmung, Denken, Wissen, Vermuten und besonders Glauben sowie ihr Verhältnis zueinander behandelt. Bei seiner Erörterung greift er mehrmals zurück auf Grundbegriffe, Definitionen und Textpassagen sowohl antiker
Philosophen wie z.B. der Epikureer, der Stoiker, Platons oder Aristoteles’
als auch auf Zitate biblischer Texte des Alten und Neuen Testamentes (v.a.
der Paulusbriefe). Aufgrund seiner kompositorischen Technik lässt sich jedoch nicht immer eindeutig feststellen, welchen Wert er der jeweiligen
Quelle und dem jeweiligen Konzept beimisst.109
Im Folgenden soll zumindest in Grundzügen die komplexe Argumentationsstruktur erhellt werden, in der die Bezugnahme auf Thales steht. Clemens gibt Folgendes zu bedenken (str. 2.4.12.1): „Wir aber, die wir durch
die (Heiligen) Schriften von dem Herrn die Lehre übernommen haben, dass
den Menschen die Möglichkeit selbstständiger (&) Wahl
zwischen Annehmen und Ablehnen gegeben ist, wollen uns auf den Glau) %!) als untrüglichen Maßstab unseres Urteils ($%;)
(
ben (9
!)
() verlassen, da wir den Geist dadurch als willig (µ %
%) bewiesen haben, dass wir das Leben wählten und zum Glauben
an Gott durch die Stimme von jenem ( )« /! φ()«) kamen. Wer
.)
( %«), der weiß,
seinen Glauben dem Wort geschenkt hat (² )
dass sein Inhalt wahr ist; denn Wahrheit ist das Wort (² .«).“110
108
109
110
Zu einer Analyse des gesamten zweiten Buches cf. Prümm (1937) 17–57, Camelot/
Mondésert (1954) 12–26, weitere Literaturhinweise ebd. 12.
Camelot (1954) bemerkt zum zweiten Buch der Stromateis, 15: „On voit la méthode
de notre auteur, qui cite un peu pêle-mêle les textes de l’Écriture et les définitions des
philosophes.“ Zum Problem der Textanalyse und Interpretation merkt er an, ebd. 15
Anm. 1: „On est toujours tenté de se demander quelle est la valeur respective qu’il (sc.
Clement) accorde à chacune de ces deux sources.“
Str. 2.4.12.1 >H1« ξ ¹ κ o λ φκ 1« $;%« κ % " ! φ
%.φ« $%;)
(
!)
( 9
) %! /%%;, „µ % %“ /=0, Ρ
¹. κ '(κ λ )
)
)« /! φ()« %%α λ ² )
.)
( %« ρ µ %» $.«α $.& ² .«.
66
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Nachdem Clemens den Glauben an das ‚Wort‘ (.«)111 so positiv charakterisiert hat, konstatiert er unter Bezugnahme auf den Hebräerbrief (Hebr
11,3f.): „Durch Glauben (%!) begreifen wir ("), dass die Aeonen112 durch Gottes Wort (q& ") geschaffen wurden, so dass aus Unsichtbarem das Sichtbare (µ *.%) entstanden ist.“113 Die Wahrheit
zeige sich in vier Bereichen (str. 2.4.13.2):114 in der sinnlichen Wahrnehmung, im Denken, im Wissen und im Vermuten.115 Während nach Clemens
(str. 2.4.13.3) die sinnliche Wahrnehmung (F«) eine Vorstufe zum
Wissen (/%*0 )« /%&«) sei, lasse der Glaube (π %!«), der
durch die sinnlich wahrnehmbaren Dinge seinen Weg genommen habe
(²), das Vermuten (κ %.?) hinter sich und schreite rasch
vorwärts zu dem Untrüglichen ( $?)) und bleibe schließlich bei der
Wahrheit (κ $.&) stehen.116
Bevor Clemens seine an dieser Stelle grundlegende Glaubensthese vertritt (str. 2.4.14.1 = Th 206), dass es allein durch den Glauben (%!) möglich sei, zum Prinzip aller Dinge ()« Ρ.( $8)«) zu gelangen, wendet
er sich einem hypothetischen Einwand (9 ) im Hinblick auf das Wissen
zu. Es geht ihm um die Entkräftung der Annahme (str. 2.4.13.4), dass Wissen mittels einer Begründung beweisfähig sei ($%κ ρ .).117 Gegenüber dieser Annahme vertritt er die im Folgenden wichtige
These, dass auch die Prinzipien (¹ $8!) unbeweisbar ($%)
seien. Diese These ist für die spätere Bezugnahme auf Thales ausschlaggebend. Clemens versucht jedoch zuerst in zweifacher Weise (str. 2.4.13.4) die
Unbeweisbarkeit der Prinzipien plausibel zu machen. Er behauptet, dass die
) noch (b) durch die praktische
Prinzipien (a) weder durch die Kunst (89
111
112
113
114
115
116
117
Cf. die französische Übersetzung Camelot/Mondésert (1954): „et celui qui a cru au
Logos sait que la chose est vraie: le Logos, en effet, est verité.“
In der Übersetzung Luthers: „Welt“.
Übersetzung Overbeck (1936). Str. 2.4.12.2 „%! " ! @«
9
« q& " 9« µ κ / φ( µ *.% “, φλ ²
$%.« […].
Str. 2.4.13.2 0( ξ `( / g« µ $.«, 9&(«, ", /%&«,
%.&?(« […].
Cf. Horn/Rapp (2002) Artikel zu „aisthêsis“ 23–24, „nous“ 297–301, „epistême“
146–150, „hypolêpsis“ 213–214.
Str. 2.4.13.3–4 $..’ π ξ F« /%*0 )« /%&«, π %!« ξ 9
² $%.!% κ %.?, %µ« ξ $?) % λ 9«
κ $.& . Diese Argumentation findet sich in ähnlicher Form bereits
bei Sext. Emp. adv. math. 7.218.
Str. 2.4.13.4 9 « . κ /%& $%κ ρ .,
$0( Ρ λ ¹ $8λ $%. Cf. dazu Platon Tht. 201c-210b.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
67
Vernunft (φ&) erfasst oder erkannt werden ((!). Denn während
es (b) die praktische Vernunft mit dem zu tun habe, was sich auch anders
verhalten könne, sei (a) die Kunst nur imstande, etwas hervorzubringen
(%κ ), nicht aber auch etwas wissenschaftlich zu erkennen
((&).118
Vor diesem Hintergrund ist die Formulierung von Clemens’ Glaubensthese (str. 2.4.14.1) zu verstehen. Er artikuliert sie in Abgrenzung zum Begriff des Wissens und betont damit zugleich den Vorrang des Glaubens: dass
) durch den Glauben möglich sei, zum Prinzip aller
es allein oder nur (9
Dinge zu gelangen.
Th 206 Clemens, Stromateis 2.4.14.1–2
P! σ /φ 9
g )« Ρ.( $8)«. %» /%& & /α µ ξ µ / %(. %; ξ π Ρ.( $8κ 1« 6E.., Κ’ σ L.9
) J( /%)
( κ %; 9! Κ 1« Ν..« [1«] φ1« 1« 4=)«.
Th 206 Clemens, Teppiche 2.4.14.1–2
Durch Glauben allein kann man also das Prinzip aller Dinge erreichen. Alles
Wissen ist nämlich lehrbar. Das Lehrbare aber baut auf vorher Erfasstem
auf. Das Prinzip aller Dinge war aber von den Griechen nicht vorher erfasst,
weder also von Thales, der der Meinung war, dass das Wasser die erste Ursache sei, noch von den anderen Naturphilosophen nach ihm.
Attribute
Das Prinzip aller Dinge wurde durch Thales nicht erfasst
Prinzip Wasser: Wasser als erste Ursache
Funktion der Bezugnahme
(1) In Anspielung auf Aristoteles119 begründet (0) Clemens, dass (i) jedes
Wissen lehrbar sei, (ii) alles Lehrbare aber auf vorher Erkanntem/Erfasstem
(%() beruhe.120
118
119
120
Str. 2.4.13.4–14.1 Κ 89
Κ κ φ& (!. b ξ %λ /80 / Ν..(« D8, b ξ %κ , 8λ ξ λ (&.
Cf. Arist. Metaph. 1.992b30–31.
Cf. str. 2.4.14.1–2 %» /%& & /α µ ξ µ / %(.
68
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
(2) Nachdem er bereits im vorausgehenden Kontext (str. 2.4.13.4) für die
Unmöglichkeit, die Prinzipien zu beweisen, argumentiert hat, wendet er
nun seine These konkret im Hinblick auf die Griechen an: Von ihnen sei das
Prinzip aller Dinge (π Ρ.( $8&) nicht vorher erfasst worden (
%;), weder von Thales, der eigentlich nicht gewusst habe, dass
die erste Ursache (κ %; 9!) das Wasser sei, noch von den anderen Naturphilosophen nach ihm.121 Grundlegend an dieser Stelle ist die positive Rolle, die Clemens in seiner Argumentation dem Glauben zuschreibt.122 Die Aufwertung des Glaubens gegenüber dem Wissen ist gerade
für die Bezugnahme auf Thales von entscheidender Bedeutung. In dieser
Hinsicht sollte festgehalten werden, dass Clemens sowohl Thales (Κ’ σ
L.9
) J( /%)
( κ %; 9!) als auch seinen naturphilosophischen Nachfolgern das Wissen um die referierten Prinzipienannahmen
abspricht. Thales wird in diesem Zusammenhang gerade darum genannt,
weil er mit seiner These vom Wasser als Erster eine Aussage über „die erste
Ursache“ (κ %; 9!) gemacht haben soll. Die ihm zugeschriebene
Annahme einer sinnlich-wahrnehmbaren Ursache (Wasser) als erster Ursache schlechthin widerspricht jedoch Clemens’ grundsätzlichem Verständnis
des ersten Prinzips, das in Übereinstimmung mit dem Hebräerbrief (Hebr
11,3ff.) gerade nicht als sinnlich-wahrnehmbar gedacht werden kann. Bei
seiner Begründung stützt sich Clemens zuerst auf Argumente aus der Tradition der Skeptiker und bei der entscheidenden Argumentation gegenüber
dem Wissensbegriff auf eine Äußerung aus Aristoteles’ Metaphysik (Met.
1.992b30–31). Als eine Ausnahme wird zwar Anaxagoras (str. 2.4.14.2) genannt, der als Erster den Geist (µ ") über die Dinge gestellt habe. Doch
auch er wird von Clemens im Hinblick darauf kritisiert, dass er nicht an
der alles bewirkenden Ursache (κ 9! κ %&) festhalte, sondern gewisse geistlose Wirbel (!« « $&«) vor die Augen
) und Geistlosigkeit
male, in Verbindung mit der Untätigkeit ($%=!)
123
) des Geistes. Die Erörterung der epistemischen Begriffe ist damit
($!)
noch nicht zu Ende. Clemens spricht in Anlehnung an ein Schriftwort die
Mahnung aus (Mt 23,8): „Ihr sollt euch nicht selbst auf Erden Lehrer nennen.“ Darauf (str. 2.4.14.3) kontrastiert er nochmals Glauben und Wissen,
121
122
123
Str. 2.4.14.2 %; ξ π Ρ.( $8κ 1« 6E.., Κ’ σ L.9
)
J( /%)
( κ %; 9! Κ 1« Ν..« [1«] φ1« 1« 4=)«.
Cf. dazu Prümm (1937) 17–57 und Völker (1952).
Str. 2.4.14.2–3 /%λ !9" λ #A=« %
« /% µ " 1«
%0, $..’ ξ ^« /& κ 9! κ %&, !« «
$&« $'(φ
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) " " $%=!)
λ $!)
.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
69
indem er in Anspielung auf Aristoteles (EN 1139b31) Wissen als „ein Verhalten“ (U=«) beschreibt, „das mit Beweisen wirkt“ ($%&), während der Glaube „ein Geschenk“ (80«) sei, „das aus Unbeweisbarem zum
Allgemeinen das Einfache emporführt, das weder mit Stoff verbunden noch
selbst Stoff noch vom Stoff abhängig ist“.124
*
Kontext zu Th 207
Die Bezugnahmen auf die beiden Spruchweisheiten, die Thales zugeschrieben werden, stehen im fünften Buch, in dem Clemens unter anderem wieder
das Thema des ‚Diebstahls‘ oder der ‚Abhängigkeit‘ aufnimmt.125 Er versucht an zahlreichen Textausschnitten, wörtlichen Zitaten sowie grundlegenden Konzepten und Gedanken griechischer Philosophen die These zu illustrieren, dass die griechische die „barbarische“ Philosophie bestohlen
habe (cf. dazu str. 5.14.89.1ff.). Nach mehreren Textpassagen und Zitaten
aus den Werken Platons führt Clemens die beiden dem Thales zugeschriebenen Spruchweisheiten an.
Th 207 Clemens, Stromateis 5.14.96.4
T! ’; 8λ $1 " L0.« / Q; µ 9« @« 9
«
9;( =0' µ µ λ µ „;“ .
%µ« π
Ν« 4. /(λ« ² L0.«, ! / µ
1, „µ & $8&“, Dφ, „& .« D8.“ % ξ 4, 9
.0 µ 1 %0( Ν(%«, „λ %
«,“ ρ%, „Ρ« ξ
«;“
Th 207 Clemens, Teppiche 5.14.96.4
Was aber? Beruhen nicht auch jene Worte des Thales darauf [nämlich auf
der Einsicht, dass der Mensch zum Ziel gelangt, wenn er sein Denken mit
dem Gegenstand des Denkens in Übereinstimmung bringt]? Dass Gott auf
Ewigkeit gepriesen wird und dass er von uns „Herzenskündiger“126 genannt
wird, legt er geradewegs aus. Jedenfalls hat Thales auf die Frage, was das
124
125
126
Cf. dazu auch Theodoret cur. 1.90–91: Mλ« !, τ φ!., !( )«
%!(«. Kλ κ κ %! #A.« & /%&« /0.· ² #E%!« %.? !« κ /0.· κ ξ %.?, %.*" κ , 0.? !.
Cf. dazu Ridings (1995) 59–60 und die Übersicht ebd. 112–117.
Cf. Apg 1,24; 15,8.
70
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Göttliche sei, gesagt (vgl. Th 210; Th 237 [D. L. 1.36]; Th 564 [321d]):
„Was weder Anfang noch Ende hat.“ Und auf die weitere Frage, ob der
Mensch etwas unbemerkt vor dem Göttlichen tun könne, sagte er: „Wie
sollte er, wo er es doch nicht einmal im Gedanken kann?“ (vgl. Th 96;
Th 237 [ebd.]; Th 564 [316]).
Attribute
Spruchweisheit: Das Göttliche ist ohne Anfang und Ende
Spruchweisheit: Dem Göttlichen bleibt nichts verborgen
Funktion der Bezugnahme
Clemens vertritt die These (str. 5.14.96.4), dass die Spruchweisheiten von
Schriftworten abhängig seien. Thales erläutere (4) die christlichen
Überzeugungen, „dass Gott auf Ewigkeit gepriesen“127 werde und „dass er
von uns ‚Herzenskenner‘128 genannt“ werde. Die Aussagen betreffen (1)
den Lobpreis der Ewigkeit Gottes sowie (2) die Gott zugeschriebene
‚Kenntnis‘ der menschlichen Herzen – Gott als ‚Herzenskenner‘ (;«). Entsprechend der ersten Aussage wird die erste Spruchweisheit
des Thales präsentiert, seine Antwort auf die Frage, was die Gottheit / das
Göttliche sei (! / µ 1): „Das, was weder einen Anfang noch ein
Ende hat.“ (Cf. Hippolytos Th 210 und Diogenes Laertius Th 237 (1.36),
dagegen Tertullian Th 216, 218, 219). Der zweiten Aussage über die ‚Herzenskenntnis oder -kennerschaft Gottes‘ entspricht die folgende Spruchweisheit des Thales auf die Frage, ob der Mensch etwas unbemerkt vor dem
Göttlichen tun könne. Die Antwort des Thales: „Wie sollte er, wo er es doch
nicht einmal im Gedanken kann?“ (cf. Cicero Th 76, und Diogenes Laertius
Th 237 (1.36)). Thales wird an dieser Stelle aufgrund der zwei ihm zugeschriebenen Spruchweisheiten geradezu als ‚Übersetzer‘ (cf. 4)
der zwei christlichen Überzeugungen präsentiert. Das übergeordnete Argumentationsziel von Clemens besteht darin, den Nachweis dafür zu erbringen, dass sich neben vielen anderen auch der als weise geltende Thales bei
näherer Betrachtung als von der Heiligen Schrift abhängig erweist. Die bei127
128
Cf. zur Doxologie Gal 1,5, Phil 4,20, 1 Tim 1,17, 2 Tim 4,18, Hebr 13,21 und Röm
16,27. Le Boulluec (1981) bemerkt dazu in seinem Kommentar, 305: „Si elle (sc. la
doxologie) n’apparaît pas littéralement dans la Septante, elle a des antécédents vétéro-testamentaires et Clément en est conscient quand il évoque cet emprunt de Thalès.“
Zum Epitheton ;« cf. Apg 1,24 und 15,8 sowie Acta Pauli et Theclae
24,7. Clemens verwendet das Wort an zwei weiteren Stellen: str. 2.13.56.2 und str.
6.12.101.5.
Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
71
den Spruchweisheiten finden sich mit Zuschreibung an Thales auch im Gnomologium Vaticanum 316 und 321d (= Th 564).
*
Kontext zu Th 208
In str. 6.7.57.2 stellt Clemens die folgende Überlegung an: Wenn es so sei,
dass aus dem Lernen (/ &(«) die Erkenntnis und das Wissen
(π « λ π /%&) erwachse, müsse, insofern es ein Lernen gebe,
auch notwendigerweise nach dem Lehrer gefragt werden ('1 $0
µ 0.).129 Im Anschluss an diese Überlegung folgt (str. 6.7.57.3)
die Auflistung einer Reihe griechischer Philosophen, die jeweils mit ihrem
Lehrer genannt werden.
Th 208 Clemens, Stromateis 6.7.57.3
K.0« ξ Z&( /%0φ λ Lφ« #A.
M(« #E%! λ P.0( (0α $.. s /%λ P D.( λ R λ L0. λ @« %;« φ«,
o µ ( 0. '
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« s #I@« s B*.(!« s @« M0« «, % µ
( 0. $%
, $0( λ /%λ κ %; $;%(, $1 Ν8 '1, !« ² 0.«;
Th 208 Clemens, Teppiche 6.7.57.3
Kleanthes beansprucht den Zenon als Lehrer, Theophrast den Aristoteles,
Metrodor den Epikur und Platon den Sokrates. Aber wenn ich auch zu Pythagoras komme und Pherekydes und Thales und zu den ersten Weisen,
halte ich stand bei der Suche nach deren Lehrer. Wenn du die Ägypter
nennst und die Inder und die Babylonier und die Magier selbst, werde ich
nicht aufhören, nach deren Lehrern zu fragen. Ich führe dich aber zur ersten
Generation der Menschen und beginne da zu fragen: Wer war ihr Lehrer?
Attribut
Thales hatte auch Lehrer
129
Cf. str. 6.7.57.2 9 ξ ", / &(« π « λ π /%&. &(« ’
Κ« '1 $0 µ 0..
72
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Funktion der Bezugnahme
In der Reihe griechischer Philosophen, die jeweils mit ihrem Lehrer genannt
werden, befinden sich Kleanthes mit Zenon, Theophrast mit Aristoteles,
Metrodor mit Epikur sowie Platon mit Sokrates. Clemens bekundet, dass er
auch bei Pythagoras, Thales und den ersten Weisen die Frage nach deren
Lehrer stellen werde, ebenso bei den Ägyptern, Indern, Babyloniern und
den Magiern. Seine Frage führt Clemens über die erste Generation der Menschen und über die Engel hinaus (str. 6.7.58.1–2) zu Gott, der „von Anfang
an seit dem Beginn der Erschaffung der Welt ‚vielfältig und auf vielerlei
Weise‘ (Hebr 1,1) erzogen“ (%%!) habe und „zur Vollendung“
führe (.1).130 Aus diesem Grund, so konstatiert Clemens, sei zu Recht
(in Anspielung auf Mt 23,8–10) gesagt: „Nennt niemand auf Erden euren
Lehrer.“131 An seine Leser adressiert er das folgende Fazit: „Du siehst, woher die wahre Philosophie ihre Grundlagen hat.“132
Zusammenfassung
Die Textzeugnisse aus dem Protrepticus und den Stromateis zeigen, dass die
Haltung des Clemens zu Thales nicht als eindeutig negativ, sondern vielmehr als ambivalent zu bestimmen ist. Zum einen wird Thales besonders
wegen seiner Prinzipienannahme des Wassers mit anderen zum Gegenstand
des Spotts und der Kritik, zum anderen wird er als einer der Sieben Weisen
vorgestellt und mit einem gewissen Respekt behandelt. Seine Spruchweisheiten werden in der Nähe zur und Abhängigkeit von der jüdisch-christlichen Weisheit betrachtet. Die folgenden Beobachtungen sollen zusammenfassend das mehrschichtige Thales-Bild bei Clemens veranschaulichen.
(1) Thales wird bei Clemens als einer der Sieben Weisen (Th 199, 205)
und in seiner philosophiegeschichtlichen Bedeutung als Begründer der Ionischen Schule (Th 202) vorgestellt. Die Vorhersage der Sonnenfinsternis
erwähnt Clemens nur im Zusammenhang eines chronologischen Vergleichs
(Th 203, 205) zwischen griechischer Philosophie und hebräischer Weisheit.
Im Rahmen dieses ‚Altersbeweises‘ zeigt Clemens, dass Thales als der älteste der griechischen Weisen jünger als einige aus dem Kreis der zwölf Propheten sei.
(2) Auf die Annahme des Wassers als Prinzip kommt Clemens mehrmals
zu sprechen (Th 197, 198, 206).
130
131
132
Str. 6.7.58.2 χ ξ Ν( / %;« *.)« „%.%(« λ %.
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Clemens von Alexandrien (Th 197–208)
73
(a) In den betreffenden Textpassagen wird Thales (Th 197, 198) an der
Seite weiterer frühgriechischer Philosophen mit der Angabe ihrer jeweiligen Prinzipienannahmen genannt. Dabei benutzt Clemens vornehmlich
doxographische Informationen, die er jedoch in überlegter Weise und als
Bekräftigung seiner Argumentation präsentiert.
(b) Im Zusammenhang mit der Zuschreibung der Wasserthese wird Thales in leicht spöttischer und polemischer Weise teils implizit (Th 197 und
Kontext), teils explizit (Th 198) der Vorwurf gemacht, das Element Wasser
gottgleich zu verehren. Auf dieser Annahme beruht auch der Vorwurf der
Gottlosigkeit (Th 197 und Kontext).
(c) Im Rahmen der epistemologischen Diskussion (Th 206) bestreitet
Clemens, dass Thales überhaupt eine Erkenntnis des ersten Prinzips gehabt
haben könne.
(3) Der auf literarische Quellen gestützten phönizischen Herkunft des
Thales (Th 202, 204) kommt bei Clemens zum ersten Mal in der griechischen apologetischen Literatur eine wichtige argumentative Funktion zu
(cf. dazu später Eusebius Th 262 und Theodoret Th 327). Clemens versucht
durch diesen ausdrücklichen Hinweis die Aufmerksamkeit auf die nichtgriechischen Ursprünge der griechischen Philosophie zu lenken. In diesem
Zusammenhang weist er auch darauf hin, dass für Thales kein (griechischer)
Lehrer bezeugt werde (Th 202). Dieser schlichte Hinweis erhält seine argumentative Funktion im Zusammenhang mit der referierten Zusammenkunft
des Thales mit den ägyptischen Priestern (Th 202, 204).
(4) Im Zusammenhang mit der Darstellung des Thales als eines Weisen
(Th 199, 202, 204), der sich durch seine Spruchweisheiten auszeichnet,
ist zu bemerken, dass Clemens diese Spruchweisheiten (Th 200, 201, 207)
allgemein in ihrer rätselhaften Art (Th 199) mit der hebräischen Weisheit
vergleicht. Im fünften Buch (Th 207) versucht er zu zeigen, dass Thales
in seinen (theologischen) Spruchweisheiten Ähnliches aussage wie die jüdisch-christliche Weisheit.
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Hippolytos von Rom (Th 209–215)
75
2.5 Hippolytos von Rom (Th 209–215)
In der nur fragmentarisch erhaltenen Schrift ‚Widerlegung aller Häresien‘
(Refutatio omnium haeresium)133 des Hippolytos von Rom134 finden sich
insgesamt sieben Zeugnisse über Thales (Th 209–215). Als einflussreicher
Presbyter in Rom verfasste Hippolytos135 (etwa 160–235) neben exegetischhomiletischen, kirchenrechtlichen und chronographischen Schriften auch
polemische, darunter die wahrscheinlich nach 222 verfasste Schrift.136 Von
den ursprünglich zehn Büchern des antihäretischen Werkes, das gewisse
Ähnlichkeiten mit der Schrift des Irenäus von Lyon (cf. Th 145) aufweist,137
sind nur die Bücher 1 und 4–10 erhalten. Vier Bezugnahmen auf Thales
(Th 209–212) sind im ersten Buch, weitere drei (Th 213–215) in den Büchern 5, 9 und 10 enthalten. Während das erste Buch eine Art Summe der
griechischen Philosophie gibt und Buch 4 der Astrologie und Magie gewidmet ist, enthalten die Bücher 5–9 eine Beschreibung von 33 ‚gnostischen
Systemen‘. Das zehnte Buch bietet zuletzt neben einer Epitome der Philosophen (haer. 10.6–8) und der Häretiker (haer. 10.9–29) eine Zusammenfassung der ‚richtigen‘ christlichen Lehre (haer. 10.32–34).
Hippolytos, Refutatio omnium haeresium
Wichtig zum Verständnis des Werkes ist das Proömium, in dem sich Hippolytos über Absicht und Zweck seiner Schrift äußert: Er will zum einen die
Gottlosigkeit der Häretiker in ihrer Denkart, ihrem Charakter und ihrer
Handlungsweise aufzeigen ($« @« /%!=( λ ;
λ % λ D), zum anderen die Quellen, aus denen
sie ihre Erfindungen ( /%8&) schöpften.138 Die von ihm als
‚Häretiker‘ Bezeichneten139 seien „ohne Anlehnung an die Heilige Schrift
133
134
135
136
137
138
139
Cf. die Erläuterungen zum griechischen Titel >O %
¹( D.8« bei
Marcovich (1986) 8–9.
Cf. zu Hippolytos Suchla (1998) 296–299 und Scholten (1991) 492–551. Zu seiner
Methode und seinen Quellen cf. die wertvolle Untersuchung von Mansfeld (1992) mit
Besprechung weiterführender Literatur, Appendix I, 317–325, Osborne (1987), die
sich besonders auf Empedokles und Heraklit konzentriert, und Mueller (1992).
Zum Problem der Einheit des Autors cf. Scholten (1991) 501–504.
Cf. Suchla (1998) 296–299, 298.
Einen Vergleich zwischen Irenäus und Hippolytos im Hinblick auf ihr häresiologisches Interesse am gnostischen System bietet Koschorke (1975) 37–41.
Cf. haer. pro. 1.8.
Cf. z.B. haer. 1.26.4 ¹ ¹!. Cf. für weitere Belege den Index bei Marcovich
(1986) 438.
76
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
und ohne Berufung auf einen Heiligen“ an den Entwurf ihrer Lehren gegangen. Ihre Lehren stammten vielmehr aus der Weisheit der Griechen, aus philosophischen Anschauungen, aus Mysterien und aus der Irrwege gehenden
Astrologie.140
Aus den referierten Absichten ergibt sich auch der Aufbau des Werkes:
Zuerst sollen die Lehren der griechischen Philosophen dargelegt und
den Lesern bewiesen werden, dass diese Lehren „älter und dem Göttlichen
würdiger sind“ (%. λ %µ« µ 1 ) als die der Häretiker. Hippolytos beabsichtigt, die einzelnen ‚Häresien‘ miteinander zu
vergleichen (*.1) und zu sehen, wie sich ihre Stifter über die griechische Philosophie hermachten, deren Grundprinzipien (« $80«) für
sich aufnahmen und aus diesen immer tiefer sinkend ihre Lehre zusammenschmiedeten.141
Kontext zu Th 209
Das Zeugnis Th 209, in dem Thales vor Pythagoras und Empedokles als
Erster der Naturphilosophen (φ!) genannt wird, ist der erste Teil einer
Inhaltsangabe des ersten Buches (pinax), die vor dem Proömium steht.142 Im
Anschluss an eine Liste von Naturphilosophen von Thales bis zu Hippon
folgt eine Aufzählung der „Ethiker“ und „Dialektiker“. Die Untersuchung
beginnt mit Thales, dem der erste Paragraph gewidmet ist (cf. Th 210).143
140
141
142
143
Cf. haer. pro. 1.8 6I σ, Ω« φ0« F%, $« @« /%!=(
λ ; λ % λ D, Ρ /%8&
1« , λ Ρ ξ /= 4!( φ
.*« " /%8!, Q
« 4! 8κ φ.0=« /%λ " —, $..’ D 1« =' !κ" $8κ ξ / )« >E..&( φ!« .*, / 0( φ.φ( λ !( /%8( λ $.( q*(α
Cf. haer. pro. 1.8–9 1 σ % /« = 1« >E..&(
φ.φ« /%1= 1« /80 ` ( %. λ %µ« µ
1 , D% *.1 40 o 40)
( !*" ³« « 1«
/%8& /%*.« ² %(&« )« ¹(« /%.
[.*«] « $8« λ / ( /%λ 8! ²λ« !µ" &.
Cf. dazu Diels (1879) 144–156, Mansfeld (1992) bes. 1–56 und Osborne (1987)
187–211 sowie von Kienle (1961) 24.
Cf. zur Liste der Sukzessionen Mueller (1992) 4357–4374, von Kienle (1961) 21–22
und grundlegend Mansfeld (1992) 1–56. Auf Thales folgen Pythagoras, Empedokles
und Heraklit. Die folgende Darlegung wird mit den beiden Milesiern, Anaximander
als Schüler des Thales und Anaximenes, über Anaxagoras bis zu Archelaos fortgesetzt. Die Epoche der Naturphilosophie reiche von Thales bis zu Archelaos, dessen
Schüler Sokrates gewesen sei. Bevor jedoch (in haer 1.17ff.) die Rede auf Sokrates
und Platon kommt, werden noch in Kürze Parmenides, Leukipp, Demokrit, Xenopha-
Hippolytos von Rom (Th 209–215)
77
Th 209 Hippolytos, Refutatio omnium haeresium 1. pinax 3 (ed.
Marcovich)
Rλ ξ σ L.)«, P«, #E%.)«, >H0.«,
#A=!«, #A=«, #A=«, #A8.«, P!«,
%%«, «, mφ0«, 5Eφ«, 6I%%(.
Th 209 Hippolytos, Widerlegung aller Häresien 1. pinax 3
Naturphilosophen sind nun Thales, Pythagoras, Empedokles, Heraklit, Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras, Archelaos, Parmenides, Leukipp, Demokrit, Xenophanes, Ekphantos, Hippon.
Attribut
Naturphilosoph
*
Kontext zu Th 210
Die Untersuchung nimmt ihren Ausgang von der Frage (haer. pro. 1.11),
wer bei den Griechen zuerst Naturphilosophie gelehrt habe (!« ¹ % ’
6E.. %
φ.φ! φκ /%!=«). Hippolytos vertritt
die These, dass die Sektengründer (¹ ¹( %(&«)
ihre Lehren von den Naturphilosophen gestohlen hätten (.?!.).144
Diese These versucht er durch den gegenseitigen Vergleich zu beweisen (/
9
) %µ« $..&.« *.9
) /%!=). Indem er jedem „sein geistiges
Eigentum“ ( F) zuteile, sollen die Häresiarchen (@« ¹08«) in
144
nes aus Kolophon, Ekphantos aus Syrakus und Hippo aus Rhegion genannt. Auf Sokrates und Platon (18–19) folgen Aristoteles (20), die Stoiker (21), Epikur (22), die
Schule der Akademie bzw. die Pyrrhonischen Philosophen (23), darauf die indischen
Brahmanen (24) und die Druiden bei den Kelten (25), die angeblich unter dem Einfluss der pythagoreischen Philosophie stehen. Auch Hesiod (26) wird zuletzt angeführt.
Das erste Buch schließt mit der Bemerkung, dass sich alle diese Männer zwar über
Natur und Entstehung des Alls geäußert hätten, jedoch keiner bis zum wahren Gott
aufgestiegen sei. Die genannten Philosophen hätten sich zwar damit beschäftigt, das
Wesen der gewordenen Dinge zu untersuchen und hätten dabei über „die Größe der
Schöpfung“ (haer. 1.26) gestaunt. Sie werden jedoch dafür kritisiert, dass sie diese
selbst für die Gottheit hielten, „wobei der eine diesen, der andere jenen Teil der
Schöpfung höher einschätzte; ihren Gott und Schöpfer erkannten sie nicht“, haer.
1.26 mit Anspielung auf Röm 1,25.
Cf. zu diesem von Hippolytos geprägten Neologismus Lampe, 756, s. v. .?!.«,
stealing arguments, plagiaristic sowie Marcovich (1986) 35–38.
78
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
ihrer schamlosen Nacktheit dargestellt werden (@« λ $8&«
%&).145
Th 210 Hippolytos, Refutatio omnium haeresium 1.1
L.) µ M.&, U 4% φ
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/%8 φ.φ! φ&. ^« Dφ $8κ " %µ« ρ λ
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Th 210 Hippolytos, Widerlegung aller Häresien 1.1
Man sagt, dass Thales aus Milet, einer der Sieben Weisen, sich als Erster mit
Naturphilosophie befasst habe. Er behauptete, Ursprung und Ziel des Alls
sei das Wasser; denn aus ihm [dem Wasser] entstünden alle Dinge, indem es
sich verfestige und indem es sich wieder verflüssige. Auch seien alle Dinge
auf ihm platziert. Davon kämen die Erdbeben, die Zusammenballungen der
Winde und die Bewegungen der Gestirne. Und alle Dinge bewegten sich
und seien im Fluss in Übereinstimmung mit der Natur des ersten Urhebers
ihres Werdens. Das aber, was weder Ursprung noch Ende habe, sei Gott
(vgl. Th 207; Th 237 [Diog. Laert. 1.36]; Th 564 [321d]). Er (Thales) beschäftigte sich mit der Erklärung und der Erforschung der Gestirne und
wurde so für die Griechen der Archeget dieser Disziplin. Er, der zum Himmel blickte und behauptete, die Dinge oben sorgsam zu erkennen, und dabei
in einen Brunnen fiel. Da lachte ihn eine Magd mit Namen Thraitta aus und
sagte: „Was am Himmel ist, begehrte er zu sehen, und sah nicht, was vor seinen Füßen ist.“ Er lebte zur Zeit des Kroisos.
145
146
Haer. pro. 1.11 $=0 ! /", !« ¹ % ’ 6E.. %
φ.φ! φκ /%!=« – ( 0. .?!. ¹ ¹( %(&«, ³« % / 9
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( %=( F $%« @« λ
$8&« @« ¹08« %&.
!9« µ 81" ex. gr. supplevit Mansfeld (1985) 121.
Hippolytos von Rom (Th 209–215)
79
Attribute
Milet
Einer der Sieben Weisen
Erster Naturphilosoph
Prinzip Wasser: Wasser als Anfang/Prinzip und Ziel
Aggregatzustände: These der Verdichtung und Verflüssigung147
Alle Dinge sind auf dem Wasser
Erklärung: (i) für Erdbeben,
(ii) für die Zusammenballungen der Winde,
(iii) für die Bewegungen der Gestirne
Alle Dinge bewegen sich und fließen in Übereinstimmung mit der Natur des
ersten Urhebers ihres Werdens
Gott: Gott ist das, was weder Ursprung noch Ende hat
Astronomie: Erklärung und Erforschung der Gestirne
Astronom
Brunnenfall-Variante: Magd mit Namen Thraitta
Datierung (zur Zeit des Kroisos)
Funktion der Bezugnahme
Das erste Buch beginnt mit einem Referat zu Thales. Hippolytos macht
keine Angaben, woher er die Informationen zu Thales bezieht.148 Seine
Ausführungen sind an dieser Stelle sachlich und ohne erkennbare Polemik.
Nach der Kennzeichnung des Thales als Mitglied der Sieben Weisen wird
auf seine Rolle als Erster bei der Beschäftigung mit der Naturphilosophie
hingewiesen. Darauf lassen sich in der Makrostruktur des Textzeugnisses
zwei Abschnitte unterscheiden: Ein erster Abschnitt, in dem ausgehend und
abhängig von ^« Dφ („dieser sagte, dass“) Thales bestimmte Aussagen
zugeschrieben werden. Der sich anschließende zweite Abschnitt wird wiederum mit ^« eingeleitet. Darin geht es um die weitere Kennzeichnung
des Thales als Astronom.
Im 1. Abschnitt (^« Dφ – µ & $8κ & .κ D8) werden
Thales folgende Aussagen zugeschrieben: (1) die Wasserthese in einer alternativen Formulierung (Ursprung und Ende (.«) sei das Wasser), die Explikation bzw. Begründung (0) dieser These durch den Zusatz (a) insofern alles
aus Wasser bestehe und sich verdichte und wieder verflüssige, und die These,
(b) dass sich alles auf ihm bewege (cf. Sim. ‚Erde ruht auf dem Wasser‘).
147
148
Cf. zur Textkritik Mansfeld (1985) 121.
Cf. dazu Mansfeld (1992) 20–26 und Osborne (1987) 187–211.
80
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Darauf wird der Erklärungswert bzw. die Plausibilität dieser Hypothese
($φ’^) an drei empirischen Phänomenen veranschaulicht: (i) Erdbeben,
(ii) den Zusammenballungen von Winden und (iii) den Bewegungen der Gestirne.
Es folgt die Thales zugeschriebene These, (2) dass alles bewegt und im
Fluss sei und in Übereinstimmung mit der Natur des ersten Urhebers ("
%; $8") ihres Werdens von Nutzen sei (φ). Diese
zweite These, die bereits den ‚Archegeten‘ thematisiert, leitet zur ausdrücklichen These über Gott über: Gott sei dasjenige, was weder Anfang noch
Ende habe (µ ξ "’ ρ, µ & $8κ & .κ D8).
Zum 2. Abschnitt (^« %λ µ Ν( . – / ξ K1.): Zuerst wird von Thales berichtet, dass er sich mit der Erklärung
und der Erforschung der Gestirne149 beschäftigt habe und deswegen der
„erste Urheber“ dieser Wissenschaft unter den Griechen geworden sei. Es
folgt eine weitere Kennzeichnung seiner Person (Ρ«) als Astronom durch ein
Kurzreferat mit der Anekdote vom Brunnenfall. Die Darlegung zu Thales
schließt mit seiner Datierung in die Zeit des lydischen Königs Kroisos.
Es hat den Anschein, dass Hippolytos an dieser Stelle beabsichtigt, seinen
Bericht durch die weitgehend deskriptive Weise der Darstellung als möglichst glaubwürdig auszugeben. Schließlich setzt sein übergeordnetes Argumentationsziel im Folgenden – die Kritik an den Gnostikern – die von ihm
gegebenen Angaben als Basis voraus. Betrachtet man die Stelle vor diesem
Hintergrund, so erscheint die Präsentation und Einführung des Thales und
der ihm zugeschriebenen Lehren an erster Stelle im ersten Buch erstaunlich
positiv. Es geht Hippolytos an dieser Stelle nicht darum, Thales zu kritisieren. Es ist darauf hinzuweisen, dass seine Darstellung der Figur und ‚Lehre‘
des Thales insgesamt bereits mehr als diejenigen Aspekte umfasst, auf die er
sich später bei seiner Kritik an den Gnostikern (in Buch 5, Th 213, und
Buch 9, Th 214) beziehen wird.
Auffällig an der Bezugnahme auf den Brunnenfall des Thales ist, dass
Hippolytos (gegenüber Platon Th 19) nicht von einer thrakischen Magd,
sondern von einer „Magd mit dem Namen Thraitta“, d.h. mit dem Namen
‚die Thrakerin‘,150 berichtet. Die Herkunftsbezeichnung der Magd wird somit zu ihrem Eigennamen.151 Dass Hippolytos die Anekdote überhaupt anführt, liegt sicherlich nicht nur an den ihm zur Verfügung stehenden Quel149
150
151
Mit .« könnte hier auch spezifischer die „Verhältnisbestimmung“ gemeint sein.
Cf. LSJ s. v. L)
», π, Att. L)
», esp. as Subst., Thracian slave-girl.
Blumenberg (1987) ist der Meinung, dass das entsprechende Attribut bei Platon „offenkundig […] missverstanden wurde.“
Hippolytos von Rom (Th 209–215)
81
len. Es ist durchaus plausibel, dass die Bezugnahme auf den Brunnenfall des
ersten Naturphilosophen auch mit Hippolytos’ grundlegendem Vorwurf gegenüber den Gnostikern zusammenhängt, dass deren Grundgedanken unter
anderem auf die griechische Philosophie und Astronomie zurückzuführen
seien.152
Die Aussage über Gott, die Hippolytos Thales zuschreibt (cf. dazu auch
den Kommentar zu Th 207 = Clem. str. 5.14.96.4; cf. auch Diogenes Laertius 1.36 = Th 237) ist ebenso bemerkenswert. Was bei Clemens und Diogenes Laertius als Spruchweisheit des Thales auf die Frage ! (mit / bei
Clemens) µ 1; („Was ist das Göttliche?“) präsentiert wird, erscheint bei
Hippolytos als eine definitionsgleiche These (µ ξ "’ ρ, µ &
$8κ & .κ D8). Die Aussage scheint ganz klar: Gott ist dasjenige, was keinen Ursprung und kein Ende hat. Doch bei näherer Betrachtung ist nicht eindeutig, ob Hippolytos mit dieser Aussage auf das zuvor genannte Wasser anspielt, das er als Ursprung und Ziel des Alls ($8κ "
%µ« ρ λ .« µ J() vorgestellt hat. So vertritt z.B. Mueller die
durch „perhaps“ gemilderte These: „Thales’ water is characterized as the
beginning and end of the universe, perhaps to insure its identification with
god, who is said to be what has neither beginning nor end, a statement commonly ascribed to Thales.“153
*
Th 211 Hippolytos, Refutatio omnium haeresium 1.5.1–6.1
#A..’ /%λ . π 8.κ %..! ¹ %
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152
153
Cf. dazu in pointierter Weise Blumenberg (1987) 52: „Für Hippolytos stehen Himmelsbeobachtung und Sturz in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vorwurf, die
von ihm bekämpfte gnostische Mythologie sei aus der Philosophie und vor allem der
Astronomie der Griechen hervorgegangen. Die gnostischen Spekulationen sind nun
das Äquivalent des Fernliegenden: Vernachlässigung der Heilssorge infolge übersteigerter Wissensbedürfnisse.“
Mueller (1992) 4322 mit Verweis auf D. L. 1.36 = Th 237.
82
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Th 211 Hippolytos, Widerlegung aller Häresien 1.5.1–6.1
Doch da die Schule insgesamt nicht klein war, sind auch viele der späteren
Naturphilosophen aus ihr hervorgegangen, andere, die auf andere Weise
über die Natur des Alls berichteten, und es scheint uns die von Pythagoras
dargelegte Philosophie in Reihen hinunterzugehen bis154 zu den Meinungen
derer nach Thales, und weil sie dieses aussprachen, kamen sie sowohl zur
ethischen als auch logischen Philosophie; während Sokrates mit der ethischen Philosophie anfing, eröffnete Aristoteles die dialektische. Anaximander war wiederum Schüler des Thales.155
*
Th 212 Hippolytos, Refutatio omnium haeresium 1.10.1
>H ξ σ φκ φ.φ! $%µ L0.« U(« #A8.0 α
! (0« $&«.
Th 212 Hippolytos, Widerlegung aller Häresien 1.10.1
Die Naturphilosophie reichte von Thales bis Archelaos [Schüler des Anaxagoras]; dessen Schüler war Sokrates.
Attribute
Naturphilosoph
Lehrer des Anaximander
Funktion der Bezugnahmen
Zeugnis Th 211 markiert den Übergang von dem in haer. 1.4 behandelten
Heraklit (in der Tradition des Pythagoras) zu den in haer. 1.6–9 referierten
„Ansichten der auf Thales folgenden Denker“: Anaximander (haer. 1.6) als
Hörer des Thales (L." ! #A=!« ! $&«), Anaximenes (haer. 1.7), Anaxagoras (haer. 1.8) und Archelaos (haer. 1.9). Diese
Reihe von Naturphilosophen endet in haer. 1.10 (= Th 212) mit Archelaos
(>H ξ σ φκ φ.φ! $%µ L0.« U(« #A8.0 ),
dessen Schüler bzw. Hörer Sokrates war ( ! (0«
$&«).
*
154
155
Cf. zur Bedeutung von $1 /%! Mansfeld (1992) 14–18. Eine nützliche Auflistung verschiedener Übersetzungen findet sich ebd. 16 Anm. 66.
Übersetzung Schwab.
Hippolytos von Rom (Th 209–215)
83
Kontext zu Th 213
Das fünfte Buch enthält detaillierte Darstellungen zu vier gnostischen Sekten: den Naassenern, den Peratai oder Peratikoi, den Sethianern, und einem
ansonsten unbekannten Justin, der die einzige Quelle für alle vier darstellt.156 Mueller bemerkt: „In all of these sects the snake of the garden of
Eden had a significant place because of its association with the knowledge
of good and evil, but […] the important part of their doctrines, as depicted
by Hippolytus, is an elaborate cosmogonical theory based on an allegorical
reading of the bible and focusing on the notion of the world as a fallen place
and on the need for humans to be redeemed and restored.“157
Die Naassener, so Hippolytos, sollen sich „selbst Gnostiker genannt haben“ (haer. 5.1). Ihre Lehre sei dieselbe wie die der griechischen Philosophen und der Lehrer der Geheimwissenschaften – diese legten die Naassener schließlich ihrer Häresie zugrunde.
Das Zeugnis Th 213 steht im Kontext des Referates zu der gnostischen
Richtung158 der „Naassener“ bzw. der „Ophiten“.159 Diese haben ihren Namen laut Hippolytos von der ausschließlichen Verehrung des Naas. Naas bedeute „die Schlange“ (0« / ² `φ«), nach der alle Tempel (0)
unter dem Himmel ihren Namen hätten.160 Dem Naas allein sei jedes Heiligtum, jegliche Weihe und jegliches Geheimnis geweiht. Hippolytos berichtet von einer Nähe der Anhänger zu den Mysterien der Großen Mutter
und kritisiert die von ihnen vorgeschriebene Enthaltsamkeit.161
Th 213 Hippolytos, Refutatio omnium haeresium 5.9.13
Eρ ξ µ `φ . ^ κ !, 0% λ L.)«
!Dφ" ² M.&«, λ ξ `( Ρ.(«, $0( ν
, [
] /?8( ν $?8(, 8(λ« ".
156
157
158
159
160
161
Cf. Mueller (1992) 4320.
Mueller (1992) 4320.
Cf. zur Gnosis den Kommentar zu Irenäus Th 145 mit weiterführender Literatur.
Cf. zu den Naassenern Bruns (1998) 447 und den Art. „Naassener“ von J. Holzhausen, DNP, Bd. 8, 655–656. Der Name beruht auf hebräisch > t n na. haš, „Schlange“.
Cf. für weiterführende Literatur Förster (1968) 21–33, Bergman (1977) 87–92 sowie
die Kritik von Mueller (1992) 4321 Anm. 31 an Bergman.
Haer. 5.9.11–12 T
ξ Ν.. ν µ 0« ^, N!"λ .. 0« / ² `φ«α
Cf. haer. 5.9.
84
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Th 213 Hippolytos, Widerlegung aller Häresien 5.9.13
Sie [die Naassener / Gnostiker] sagen, die Schlange sei die feuchte Wesenheit, wie es auch Thales aus Milet sagte, und ohne ihn [den Naas] könne
überhaupt nichts von dem Seienden bestehen, weder von den Unsterblichen
noch von den Sterblichen, von den Beseelten oder Unbeseelten.162
Attribute
Prinzip Wasser: Gleichsetzung der ‚feuchten Wesenheit‘ mit Naas
Milet
Funktion der Bezugnahme
Die Pointe – zumindest im Hinblick auf Thales – liegt in folgender Äußerung: „Die Naassener (^) sagen, dass die Schlange (µ `φ) die feuchte
Wesenheit (κ !) sei, wie es auch Thales aus Milet (0%
λ L.)«) sagte.“ Auf diese Aussage folgt der Zusatz, dass ohne den Naas
(8(λ« ") überhaupt nichts von dem Seienden bestehen könne, weder
von den Unsterblichen noch von den Sterblichen, von den Beseelten oder
Unbeseelten.163 Interessanterweise findet sich außer dieser namentlichen Bezugnahme auf Thales keine weitere Äußerung, die expressis verbis auf die
angebliche gedankliche Aneignung der thaletischen Einsicht durch die Naassener hinweisen würde.164 Vergleicht man diese Bezugnahme auf Thales mit
dem zu Beginn von Buch 1 gegebenen Referat zu Thales, so ist Folgendes
leicht zu bemerken: Unter Annahme der Diebstahlhypothese des Hippolytos
zeigt sich für den mit dem ersten Buch vertrauten Leser, dass die Naassener
also lediglich ein zentrales Element aus der ‚Lehre‘ des Thales zu übernehmen scheinen. Wichtig ist der Gedanke der Absolutsetzung eines Prinzips sowie die Feststellung, dass schon viele hundert Jahre vor den Naassenern Thales diesen Gedanken gelehrt haben soll. Thales und seine Wasserthese dienen
an dieser Stelle als Vehikel, um die Naassener zu diskreditieren.
*
162
163
164
„Ophiten [zu griech. óphis = Schlange] (Naassener), Sammelbez. für die Anhänger
einer in unterschiedl. Gruppen im Orient vertretenen Richtung der Gnosis. In ihren
Systemen, die Gedankengut aus griech. Mysterien, oriental. Kultmythen, hellenist.
Theologie und AT enthielten, hatte die Schlange sowohl als Vermittlerin der Erkenntnis […] als auch als Bringerin des Verderbens eine zentrale Stellung.“ Brunner/Flessel/Hiller (1993) 69.
Mansfeld (1992) 46 Anm. 8 meint die „carefully arranged pairs of opposites suggest
hymnic religious language, not doxographic prose“.
Cf. dazu auch Mansfeld (1992) 47: „Yet the learned reference remains surprisingly
unexploited: no explicit accusation of thieving practices!“
Hippolytos von Rom (Th 209–215)
85
Kontext zu Th 214
Das neunte Buch handelt unter anderem von der „gotteslästerlichen Torheit des Noëtus“ aus Smyrna, der vielmehr den „Lehren des Heraklit“ als
der Lehre Christi angehangen haben soll.165 In haer. 9.13 und haer. 9.15–17
geht es um die Lehren eines Buches, das dem Elchasai (aus Serri) offenbart
wurde. Nach der lebhaften Schilderung des Hippolytos soll dieses Buch des
Elchasai mitsamt seinen Lehren durch Alkibiades (aus Apameia in Syrien)
in Rom eingeführt worden sein (haer. 9.13).166 Die „großen und verborgenen Geheimnisse“ ( 0. λ $% &) dieses Buches,
so Hippolytos, sollen auf den Rat des Alkibiades hin „wie kostbare Perlen“
(³« %..1« !«) behütet werden (haer. 9.17).167 Der geheime
und elitäre Charakter dieser Gruppe um Alkibiades wird durch die referierte
Aussage unterstrichen: „Dieses Buch leset nicht allen Menschen vor, und
diese Lehren hütet wohl, weil nicht alle Männer gläubig sind und nicht alle
Frauen rechtschaffen“ (haer. 9.17).168
Die folgende Argumentation des Hippolytos, in der er sich zum einen auf
die ägyptischen Weisen, zum anderen auf Pythagoras, Thales, Solon, Platon
und die übrigen griechischen Weisen bezieht, versucht durch einen hypothetischen Vergleich die Anmaßung des Alkibiades zu veranschaulichen.
Zuerst vertritt Hippolytos die These, dass weder die ägyptischen Weisen
165
166
167
168
In der Reihe auf Noëtus folgen Epigonus, der nach Rom kam, und dessen Schüler
Kleomenes mit seiner einflussreichen Schule in Rom (haer. 9.7ff.).
Cf. zu Elchasai mit weiterführender Literatur Schmidt (1998) 187–188: „Elchasai
war das Haupt der Elchasaiten, einer judenchr.-gnostischen Sekte, die sich vom 3. bis
zum 10. Jh. nachweisen lässt. E. verfasste die ihm geoffenbarte Schrift vermutlich
101 im südlichen Ostjordanland als Apokalypse oder Geheimlehre für die judenchr.synkretistische Gruppe der *! (Gebadete). Der Inhalt der verlorenen griech.
Übersetzung des aramäischen Originals kann mittels Exzerpten des Hippolyt (haer.
9,13.15.16.17) und Berichten des Epiphanios (haer. 19; 30) rekonstruiert werden und
bietet eine Mischung aus jüd., chr., heidnisch-naturalistischen, gnostischen, astrologischen und magischen Elementen: u.a. zweite Taufe und wiederholte Taufbäder zur
Dämonenabwehr; Verwerfung der Opfer; Anrufung der Elemente; Astrologie; Gebet
nach Jerusalem; Sabbat; Beschneidung; Gericht; Engellehre; Verwerfung einiger Perikopen des AT und NT (Paulinische Briefe).“
Cf. haer. 9.17 T" ! () (0). ()λ $% & Ν.
π« %1 ν 9« %..@« %()!, *. ³« %..1« !« φ.0 […].
Haer. 9.17 […] J( .(α „" ξ µ . κ $; %» $;%«, λ « « /.« φ.0= /%.
«, Ρ %0« Ν« %λ
ξ %» 1« \!“.
86
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
(A9%!( φ!) noch der Weise Pythagoras von den Griechen (² φµ«
>E..&( P«) zu derartigen Mysterien vorgeschritten seien.169
Darauf folgt der hypothetische Vergleich (9 0): Angenommen, in der Zeit
der ägyptischen Weisen und des Pythagoras wäre bereits Elchasai aufgetreten, so hätten Pythagoras,170 Thales, Solon171 oder der weise Platon und die
übrigen griechischen Weisen, die nach Alkibiades eine derartig große Weisheit besitzen (D8« κ λ φ! % #A.*09
), doch keine Veranlassung gesehen, als Schüler zu den ägyptischen
Priestern zu gehen.
Th 214 Hippolytos, Refutatio omnium haeresium 9.17.2–3
T" ξ ! &" ξ A9%!( φλ / $« /8;,
ξ ² φµ« >E..&( P« /8;, !χ« " #H.8η
%« fα" 9 !)
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¹", D8« κ λ φ! % #A.*09
,
(0)
( 41 " & #H.8u;
[3] [ψ] )
Th 214 Hippolytos, Widerlegung aller Häresien 9.17.2–3
Solche Mysterien haben nicht einmal die ägyptischen Weisen in ihren Tempeln, noch der Weise der Griechen, Pythagoras, erfasst, der früher als Elchasai172 lebte. Wenn nämlich in der Tat zu jener Zeit Elchasai aufgetreten
wäre, welche Notwendigkeit hätte bestanden, dass Pythagoras oder Thales
oder Solon oder der weise Platon oder die übrigen Weisen der Griechen
Schüler der ägyptischen Priester werden, die nach Alkibiades, dem erstaunlichen Ausleger des unglücklichen Elchasai, eine derartig große Weisheit
besitzen?
Attribute
Weiser
Ägyptischer Einfluss: Thales als Schüler der Priester
169
170
171
172
Cf. haer. 9.17.
Zu Pythagoras und Platon cf. haer. 6.21ff.
Zu Solon cf. haer. 6.22.
Cf. haer. 9.13.
Hippolytos von Rom (Th 209–215)
87
Funktion der Bezugnahme
Der hypothetische Vergleich zeigt, dass Hippolytos eine Lehrer-Schüler-Beziehung zwischen den griechischen Weisen wie Pythagoras, Thales, Solon,
Platon sowie anderen griechischen Weisen und den ägyptischen Priestern
voraussetzt.173 An dieser Stelle wird Pythagoras, anders als in Th 209, vor
Thales genannt. Mansfeld bemerkt zu Recht, dass im Thalesreferat des ersten Buches (Th 211) nicht auf die Verbindung des Thales mit Ägypten eingegangen wird.174 Diese Tatsache könnte damit zusammenhängen, dass
Hippolytos, wie wir annehmen dürfen, durchaus mehr weiß oder über mehr
Hintergrundinformationen verfügt, als er in seiner Darstellung zu Thales an
entsprechender Stelle mitteilt.
Die Bezugnahmen auf Thales in Th 213 und Th 214 sind im Vergleich
zu denen auf Heraklit,175 Pythagoras oder Empedokles sicherlich von geringerer Bedeutung für die gesamte Argumentation des Hippolytos gegen
die Gnostiker. Dennoch veranschaulichen sie exemplarisch das Interesse
an dem ersten Vertreter der griechischen Naturphilosophie sowie dessen
systematische Inanspruchnahme für argumentative Zwecke zu Beginn des
3. Jh. n. Chr. im Rahmen des häresiologischen Diskurses.
*
Kontext zu Th 215
Das zehnte Buch besteht aus einer kurzen Zusammenfassung (/%&)
„aller Philosophen“ (haer. 10.6–8) und „aller Häresien“ (haer. 10.9–29);176
abschließend legt Hippolytos dar (haer. 10.32–34), „welches die wahre
Lehre“ (!« ² )« $.!« .«) sei.177
Zu Beginn konstatiert er, dass die griechischen Lehrer die Philosophie in
drei Bereiche unterteilt hätten: Physik/Naturlehre, Ethik und Dialektik
(haer. 10.6.4–6). Im Folgenden werden bestimmte Lehrmeinungen über die
Natur, die das Entstehen und Vergehen der Dinge und des Universums (cf.
Sext. Emp. adv. math. 10.310–318)178 betreffen, referiert.
173
174
175
176
177
178
Cf. dazu auch Clemens Th 202 und Th 204 sowie Sim. ‚ägyptischer Einfluss‘.
Mansfeld (1992) 47. Zu Solon als einem Schüler der Ägypter äußert sich Hippolytos
in haer. 6.22 in Anspielung auf Platons Timaios.
Cf. zu Heraklit Mouraview (1992) 4375–4402.
Haer. 10.2–3.
Haer. 10.4.
Cf. die Quellenangaben und den textkritischen Apparat bei Marcovich (1986) 380.
88
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Th 215 Hippolytos, Refutatio omnium haeresium 10.6.4
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Th 215 Hippolytos, Widerlegung aller Häresien 10.6.4
Aus einem unbestimmten und folglich auch einzigen Körper stellten die
Stoiker die Entstehung der ganzen Dinge zusammen. Denn das Prinzip der
ganzen Dinge ist nach ihnen die unbestimmte und durch die ganzen Dinge
hindurch veränderliche Materie, und indem sie sich selbst wandelt, entstehen Feuer, Luft, Wasser und Erde. Die um Hippasos, Anaximander (sic!)
und Thales aus Milet wollen hingegen, dass aus einem einzigen, und sogar
bestimmten Körper die ganzen Dinge entstanden seien. Von ihnen erklären
Hippasos aus Metapont und Heraklit aus Ephesos die Entstehung (der ganzen Dinge) aus dem Feuer, Anaximander (sic!) hingegen aus der Luft, Thales aus dem Wasser und Xenophanes aus der Erde.181
Attribute
Milet
Prinzip Wasser
Funktion der Bezugnahme
Die Bezugnahme auf Thales ist Bestandteil einer größeren Dihairese, die
fast wörtlich mit einer Textpassage bei Sext. Emp. (adv. math. 10.310–318)
übereinstimmt.182 Hippolytos referiert, dass „diejenigen um“ (o %!)
Hippasos, Anaximander (sic!) und Thales im Gegensatz zu den zuvor ge179
180
181
182
#A=! haben sowohl P (Codex Parisinus, der als einziger die Bücher 4–10
enthält) als auch die Mss. zu Sextus Empiricus.
#A=!« sowohl in P als auch in den Mss. zu Sextus Empiricus.
Übersetzung Schwab. Für einen Vergleich des Textes mit dem des Sextus Empiricus
adv. math. 10.312–318 cf. den textkritischen Apparat bei Marcovich (1986) 381.
Mansfeld (1992) 45 Anm. 5 bemerkt zu Recht, „that the summary of Greek philosophy in Ref. X does not derive from Ref. I but from an independent source, viz. Sextus
or – less likely – a Skeptical source common to Sextus and Hippolytus.“ Cf. dazu auch
ebd. 56 und Appendix 1, 318.
Hippolytos von Rom (Th 209–215)
89
nannten Stoikern die These vertreten hätten, dass alles aus einem einzigen
bestimmten Stoff (/= 4µ« ξ λ %"), bei Thales aus Wasser (/=
J«), entstanden sei. Der unbestimmten Materie der Stoiker wird das bestimmte, doch ebenfalls stoffliche Prinzip der Naturphilosophen gegenübergestellt. Es ist festzustellen, dass diese spezifische Gegenüberstellung nicht
weiter kommentiert wird.183
Die Einschätzung, die Hippolytos auf das gesamte Referat (haer. 10.8)
folgen lässt, artikuliert jedoch eine klare Haltung. Hippolytos stellt fest,
dass keiner der Philosophen zum wahren Gott aufgestiegen sei, weil sie sich
vielmehr damit beschäftigten, das Wesen der gewordenen Dinge zu untersuchen und voll Staunen über die Größe der Schöpfung diese selbst für die
Gottheit hielten. Dabei habe der eine diesen, der andere jenen Teil der
Schöpfung höher eingeschätzt. Für das ganze Verständnis der Argumentation des Hippolytos sind zuletzt die zwei folgenden Thesen hervorzuheben,
mit denen er seinen Ausblick auf die Philosophen beschließt: (1) Die Philosophen erkannten ihren Gott und Schöpfer nicht;184 (2) von den Ansichten
der Philosophen gingen die Häretiker aus.185
Zusammenfassung
Wie bereits der Titel seines Werkes ,Widerlegung aller Häresien‘ anzeigt,
stehen die sieben Bezugnahmen auf Thales im häresiologischen Diskurs gegen die Gnostiker. Dennoch ist es sinnvoll, zwischen (1) den kurzen Erwähnungen des Thales im Rahmen von Aufzählungen (Th 209, 211, 212, 215),
(2) dem an Informationen reichen Referat zu Beginn des ersten Buches
(Th 210) und (3) den beiden interessanten Zeugnissen des fünften (Th 213)
und neunten Buches (Th 214) zu unterscheiden.
(1) Die kurzen Erwähnungen (Th 209, 211, 212) sind Bestandteile von
Aufzählungen, in denen Thales als erster Naturphilosoph und als Lehrer des
Anaximander charakterisiert wird. Nur im zehnten Buch (Th 215), das sehr
große Ähnlichkeiten mit Sextus Empiricus aufweist, wird im Zusammenhang einer großen Dihairese auf die Wasserthese des Thales angespielt. Im
anschließenden Kontext dieser Bezugnahme gibt Hippolytos eine klare Bewertung der Philosophen, indem er behauptet, dass keiner von ihnen zum
wahren Gott aufgestiegen sei.
183
184
185
Es ist wahrscheinlich, dass in der Wahl des Verbes . (wörtl: „sie wollen,
dass“; Sext. Emp. hingegen $%.%) eine gewisse Abwertung den referierten Ansichten gegenüber zum Ausdruck kommt.
Cf. dazu ähnlich Clemens Th 197 und Irenäus Th 145.
Cf. dazu Irenäus Th 145.
90
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
(2) Das lange Referat über den Milesier (Th 210) hat für den Aufbau des
Werkes von Hippolytos eine wichtige Funktion, indem es als Referenzpunkt
für die Bezugnahmen auf Thales im fünften und neunten Buch dient. Einen
Schwerpunkt des Referates bilden die astronomischen und kosmologischen
Aspekte, die für Thales angeführt werden. In diesem Zusammenhang wird
er als Weiser und Naturphilosoph bezeichnet. Aufgrund des fehlenden zweiten und dritten Buches können leider keine weiteren (möglichen) Bezüge zu
diesen Mitteilungen aufgezeigt werden.
(a) Wichtig ist die Formulierung, dass Thales das Wasser sowohl als Prinzip/Anfang als auch als Ziel des Alls angesehen habe (cf. Diogenes Laertius
Th 237, Clemens Th 207). Das sehr umfassend skizzierte kosmologische
sowie ontologische Verständnis des Wassers als Prinzip ist für den späteren
Vergleich des thaletischen Prinzips mit dem Naas der Naassener im fünften
Buch (Th 213) von Bedeutung.
In diesem Zusammenhang wird zum ersten Mal in der christlichen Tradition die Konzeption von Aggregatzuständen bei Thales (cf. Sim. ‚Aggregatzustände‘ und z.B. Nemesios Th 324) als Begründung seiner Wasserthese
angeführt.
(b) Besondere Bedeutung kommt der Thales zugeschriebenen ‚Definition‘ von Gott, der weder Anfang noch Ende haben soll, zu. Durch die (auch
sprachliche) Nähe zur Definition des Wassers als Prinzip könnte damit signalisiert werden, dass Thales bereits das Wasser als Gott angenommen
habe – diese Deutung ist jedoch nicht zwingend.
Dem Referat des ersten Buches kommt insgesamt – ebenso wie den Referaten über andere frühgriechische Philosophen – auch die Funktion zu, die
Leser mit der eigenen Gelehrsamkeit zu beeindrucken.
(3) Von dem aus verschiedenen Quellen gespeisten Referat Th 210 unterscheiden sich die Zeugnisse Th 213 und Th 214 merklich. Bei seiner Bezugnahme auf Thales im fünften Buch (Th 213) spielt Hippolytos auf das
Wasser als Prinzip an. Genau genommen ist von der „feuchten Wesenheit“
die Rede, die Hippolytos mit dem Naas der Naassener gleichsetzt. Damit
versucht er die Naassener als ‚Häretiker‘ in ihrer Abhängigkeit von den
griechischen Philosophie bloß zu stellen. Diese Bezugnahme hat in ihrer argumentativen Funktion große Ähnlichkeit mit dem Zeugnis des Irenäus
(Th 145).
Mit der Erwähnung des Thales im neunten Buch (Th 214) schließlich
spielt Hippolytos auf den Ägyptenaufenthalt des Thales und weiterer griechischer Philosophen an (cf. Clemens Th 202, 204), um im Vergleich dazu
die Weisheit des Elchasai zu relativieren. Festzuhalten ist, dass der Ägyptenaufenthalt für Thales im Referat des ersten Buches nicht erwähnt wird.
Hippolytos von Rom (Th 209–215)
91
Literatur
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M. 1987.
Brunner, H., Flessel, K., Hiller, F. (Hrsg.), Lexikon Alte Kulturen III (N-Zz), Mannheim/
Leipzig/Wien/Zürich 1993.
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Diels, H., Doxographi Graeci, Berlin 1879, ND 1965.
Förster, W., Die Naassener, Studi di storia religiosa della tarda antichità, 1968, 21–33.
Koschorke, K., Hippolyt’s Ketzerbekämpfung und Polemik gegen die Gnostiker. Eine tendenzkritische Untersuchung seiner „Refutatio omnium haeresium“, Wiesbaden 1975.
Mansfeld, J., Aristotle and others on Thales, or the Beginning of Natural Philosophy,
Mnemosyne 38, 1985, 109–129.
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Marcovich, M., Hippolytus. Refutatio omnium haeresium, Berlin 1986.
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haer. IX 8–10), ANRW II, 36.6, 1992, 4375–4402.
Mueller, I., Hippolytus’ Refutation of all heresies, ANRW II, 36.6, 1992, 4309–4374.
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Suchla, B. R., Art. Hippolyt, LACL, 1998, 296–299.
Von Kienle, W., Die Berichte über die Sukzessionen der Philosophen in der hellenistischen und spätantiken Literatur, Berlin 1961 (= Diss. Berlin 1959).
92
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
2.6 Tertullian (Th 216–222)
Der Nordafrikaner Quintus Septimius Florens Tertullianus (ca. 160–220)
gilt als „der Begründer einer christlich-literarischen Tradition in lateinischer
Sprache“.186 Die Liste seiner zahlreichen Schriften umfasst sowohl kurze
Mahn- und Streitschriften als auch längere theologische Abhandlungen.187
In vier Schriften des aus Karthago stammenden Christen finden sich
sieben Bezugnahmen auf Thales: Je zwei Zeugnisse stammen aus den
apologetischen Schriften Ad nationes (Th 216–217) und Apologeticum
(Th 218–219), eines aus der häresiologischen Schrift Adversus Marcionem
(Th 220); wiederum zwei Bezugnahmen auf Thales stehen in der Abhandlung De anima (Th 221–222). Tertullian zeichnet sich als christlicher, lateinischer Schriftsteller nicht zuletzt dadurch aus, dass er mit der griechischen
Sprache vertraut ist und seine Schriften eine breite Kenntnis philosophischer Autoren und Positionen widerspiegeln.188
Tertullian, Ad nationes
Die im Jahre 197 verfasste Schrift Ad nationes (,An die Heiden‘) besteht
sowohl in einer Verteidigung der christlichen Religion als auch in einer Anklage der römischen sittlichen und religiösen Verkommenheit.189 Die beiden
Bezugnahmen auf Thales (Th 216–217) stehen im zweiten Buch dieser
Schrift. Darin führt Tertullian eine in philosophie- und religionsgeschichtlicher Hinsicht „bedeutsame Auseinandersetzung mit den antiken Denkern,
Dichtern und staatlichen Kultdienern“.190 Die Schärfe der Kritik Tertullians
zeigt sich bereits an seinen einleitenden Worten: „Jetzt wünscht unsere Verteidigungsschrift über eure Götter (de deis uestris), bedauernswerte Völker,
in einen Kampf mit euch einzutreten; sie ruft geradewegs euer eigenes Bewusstsein auf, ein Gutachten abzugeben, ob wahrhaft Götter existieren (an
uere dei), wie ihr euch in den Kopf setzt, oder nur fälschlich (an falso), wie
ihr euch einzugestehen sträubt.“191 Zusammenfassend wendet sich Tertul186
187
188
189
190
191
Cf. Dihle (1989) 359, zu Tertullian 359–366.
Cf. dazu Dihle (1989) 360–366.
Cf. die Untersuchung von Steiner (1989) zu Tertullians Verhältnis zur griechischen
Paideia sowie die umfangreiche Studie von Fredouille (1972).
Cf. Schulz-Flügel (1998) 583.
Haidenthaller (1942) 7. Das zweite Buch enthält wertvolles Quellenmaterial zur altrömischen Religion.
Ad nat. 2.1.1 Nunc de deis uestris, miserandae nationes, congredi uo!bi"scum defensio nostra desiderat, prouocans ipsam conscientiam uestram !ad re"censendum, an
uere dei, ut uultis, an falso, ut scire non uultis.
Tertullian (Th 216–222)
93
lian „gegen (aduersus) die Einrichtungen der Vorfahren, das Ansehen des
Eingebürgerten, die Gesetze der Herrschenden und die Darlegungen der Gescheiten; gegen die Berufung auf Alter, Gewohnheit und Zwang, gegen Beispiele, Zeichen und Wunder, was alles diese unechte Götterwelt befestigt
hat“.192 Beim Aufbau des zweiten Buches orientiert er sich (ad nat.
2.1.8–11) an Varros libri rerum divinarum und setzt sich insofern (ad nat.
2.1.10) mit dessen dreifacher Unterscheidung bei der Klassifizierung der
Götter auseinander:193 der ‚physischen Theologie‘, welche die Philosophen
behandeln, der ‚mythischen‘, welche zwischen den Dichtern „hin und her
gewälzt wird“ (uolutatur) und der ‚gentilen‘, die sich jedes Volk für sich
(populi sibi) ausgewählt hat.194 Die Textzeugnisse über Thales befinden sich
im ersten Abschnitt (ad nat. 2.2–6), in dem Tertullian die Elementar- und
Gestirngottheiten der Naturphilosophen und Philosophen seiner Kritik unterzieht. Im Anschluss behandelt er in ad nat. 2.7 die Göttervorstellungen
der Dichter, in ad nat. 2.8 die kultischen Einrichtungen einzelner Staaten
und Städte.
Kontext zu Th 216
Im zweiten Kapitel setzt sich Tertullian mit den Ansichten einiger griechischer Philosophen über die Götter auseinander. Er weist auf die Schwäche ihrer Weisheit (infirmitas sapientiae) hin, welche bereits die Vielfalt an
Meinungen (uarietas opinionum) bezeuge (contestatur). Die Vielfalt an
Meinungen komme von ihrer Unkenntnis der Wahrheit (ignorantia ueritatis
ueniens). Tertullian stellt deshalb die nicht nur rhetorische Frage (ad nat.
2.2.2): „Doch wer kann sich als weise (sapiens) ausgeben, der ohne Anteil
(expers) an der Wahrheit ist, der gerade den Vater und Herrn der Weisheit
und Wahrheit, Gott, nicht kennt (ignoret)?“195 Tertullians Argumentation
beruht auf der Überzeugung, dass der Anfang der Weisheit (initium sapien-
192
193
194
195
Ad nat. 2.1.7 Aduersus haec igitur nobis negotium est, aduersus institutiones maiorum, auctoritates receptorum, leges dominantium, argumentationes prudentium;
aduersus uetustatem, consuetudinem, necessitatem; aduersus exempla, prodigia, miracula, quae omnia adulterinam istam diuinitatem [istam] corroborauerunt.
Cf. dazu ad nat. 2.1.8.12–9.16 „[…] Der Abkürzung wegen habe ich mir die Werke
Varros gewählt (elegi), der in seinen Büchern über die göttlichen Dinge aus allen Ausführungen der Vergangenheit schöpfte und sich als geeignetes Ziel darbot. (9) Wenn
ich diesen frage, wer die Götter eingeführt hat, so bezeichnet er die Philosophen (aut
philosophos), die Völker (aut populos) oder die Dichter (aut poetas).“
Cf. für die Unterscheidung ad nat. 2.1.10.
Ad nat. 2.2.2 Quis autem sapiens, expers !ueri"tatis, qui ipsius sapientiae ac ueritatis
patrem et dominum Deum ignoret?
94
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
tiae) in der Gottesfurcht (!metus" in Deum) liege. Diese Überzeugung bezieht er aus einem Spruch Salomons (Spr 9,10196 sowie Ps 111,10 „Die
Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang“). Die Furcht, so Tertullian, habe
jedoch ihren Ursprung (timoris origo) im Wissen (notitia). Wie soll nun jemand das fürchten, was er gar nicht kennt? Tertullian behauptet, dass die
Einsicht in die Gottesfurcht den griechischen Philosophen aus verschiedenen Gründen gefehlt habe.197 Er präsentiert in Kürze (ad nat. 2.2.8) zuerst
Gottesvorstellungen bei den Platonikern, Epikureern und den Stoikern. Er
konstatiert, dass diese Philosophen Gott weder kennen (neque nosse) noch
fürchten (neque timere) und daher auch nicht verstehen (nec inde sapere)
konnten, weil sie vom Anfang der Weisheit (ab initio sapientiae), d.h. von
der Gottesfurcht (id est metu in Deum), abgewichen (exorbitantes) seien.
Tertullian behauptet, dass es Zeugnisse dafür gebe (exstant testimonia), dass
es unter den Philosophen sowohl Unwissen (tam ignoratae) als auch Zweifel (quam dubitatae) im Hinblick auf die Gottheit (diuinitatis) gegeben
habe. Für diese Haltung des Zweifels und der Unwissenheit führt er drei
Exempla an (ad nat. 2.2.10–12): den Kyniker Diogenes,198 den Milesier
Thales und Sokrates.199
196
197
198
199
Ähnlich auch zu Beginn von Spr 1,7: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis. Die Toren verachten Weisheit und Zucht.“
Nach Tertullian (ad nat. 2.2.4) hat der Gottesfürchtige, mag er auch allseits noch so
unwissend sein, in Gott die Kenntnis und Wirklichkeit von allem erreicht. Er wird die
vollständige und vollendete Weisheit gewinnen. In ad nat. 2.2.5 äußert sich Tertullian
über die Neugierde (curiositatem) der Philosophie, jegliches Schrifttum einzusehen
(inspiciendae). Dabei sollen die Philosophen auch auf die Heilige Schrift (diuinis
quoque scripturis), die älter (antiquioribus) sei, gestoßen sein (incursasse) und daraus manches entnommen haben (dempsisse). Ad nat. 2.2.5 „Da sie jedoch anderes
weglassen, geben sie zu erkennen, dass sie nicht alles sorgfältig durchschaut oder
nicht allem geglaubt haben – schwankt doch auch sonst aus ängstlicher Genauigkeit
(per scrupulositatem) die schlichte Wahrheit (ueritatis simplicitas) im Glauben
(fide) – und dass sie somit das Vorgefundene unter Hinzutritt der Ruhmsucht (libidine
gloriae) ihren eigenen Geistesschöpfungen (ad proprii ingenii opera) angepasst haben (mutasse).“
Cf. D. L. 6.39.
Sokrates (ad nat. 2.2.12) soll sich „quasi gewiss“ (quasi certus) negativ über die Existenz „dieser Götter“ (istos deos) geäußert haben (negabat), obgleich er mit der gleichen Gewissheit (quasi certus) verlangt habe, dass dem Gott Asklepios ein Hahn
geopfert werden solle.
Tertullian (Th 216–222)
95
Th 216 Tertullian, Ad nationes 2.2.10–11 (ed. Borleffs CCL I, 43)
Diogenes consultus, quid in caelis agatur, ‚numqu!am"‘, inquit, ‚ascendi‘.
Item, an dei essent, ‚nescio‘, inquit, ‚nisi, ut sint, expedire‘. [11] Thales Milesius Croeso sciscitanti, quid de deis arbitraretur, pos!t ali"quot deliberandi commeatus, ‚nihil‘ renuntiauit.
Th 216 Tertullian, An die Heiden 2.2.10–11200
Diogenes sagte auf die Frage, was im Himmel vor sich gehe: „Ich habe ihn
niemals erstiegen.“ Ebenso sagte er auf die Frage, ob es Götter gebe: „Ich
weiß nur, dass es förderlich ist, dass es sie gibt.“ Thales aus Milet antwortete
nach einigem Überlegen dem Kroisos auf seine Frage, was er über die Götter glaube: „Nichts“.201
Attribute
Milet
Begegnung mit Kroisos
Götter: Meinung des Thales: „nichts“ (cf. dazu Th 218, Th 219)
Funktion der Bezugnahme
Diogenes (ad nat. 2.2.10.5–7) antwortet auf die Fragen bezüglich des Himmels (quid in caelis agatur) und der Existenz der Götter (an dei essent), dass
er zum einen niemals den Himmel erstiegen habe und zum anderen nur
wisse, dass die Existenz von Göttern nützlich sei (ut sint, expedire). Thales
(ad nat. 2.2.11.7–9) wird mit der Frage des lydischen Königs Kroisos konfrontiert, was er über die Götter glaube (quid de deis arbitraretur). Die Aussage über Thales’ lang überlegte Antwort lässt sich aufgrund der Mehrdeutigkeit des lateinischen Textes auf zwei verschiedene Arten lesen: Lesart 1:
Thales gab keine Antwort auf die Frage (d.h. „Er antwortete dem Kroisos
nichts.“); Lesart 2: Thales äußert, dass er über die Götter „nichts“ glaube
oder annehme (d.h. „Er antwortete: ‚Nichts.‘“).
Beide Lesarten sind sinnvoll und können als Belege für eine Haltung des
Zweifels, der Unsicherheit oder auch der Unwissenheit in der Frage über die
Götter gelten. Doch ist es aufgrund der Äußerung post aliquot deliberandi
commeatus (nach einigem Überlegen) plausibel, dass Thales nicht einfach
stumm blieb, sondern vielmehr „Nichts“ geantwortet habe (Lesart 2).
Tertullian äußert im Anschluss an die drei Exempla (ad nat. 2.2.13) folgende kritische Überlegung: Wenn die Philosophie bereits bei der Bestim200
201
Cf. dazu Tibiletti (1967/8).
Oder: „Er antwortete dem Kroisos nichts.“
96
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
mung Gottes (definiendi de deo) eine derartige Unsicherheit/Ungewissheit
(incerta) zeige, welche „Furcht“ könne sie dann noch vor demjenigen gehabt haben, den sie gar nicht zuverlässig (non liquido) habe bestimmen (determinare) können?
Eine ähnliche Frage-Antwort-Situation wie die zwischen Thales und
Kroisos findet sich, allerdings mit anderer ‚Rollenbesetzung‘ (Simonides –
Hieron) sowohl bei Cicero (nat. deor. 1.22.60)202 als auch bei dem christlichen Autor Minucius Felix (Oct. 13.4):203 Während bei Cicero die Frage
des Hieron an Simonides quid aut quale sit deus lautet, was und wie (beschaffen) Gott sei (im Singular), formuliert Minucius Felix mit dem gleichen Verb (arbitrari) wie Tertullian im Plural: quid et quales arbitraretur
deos, d.h. was Simonides über die Natur (quid) und die Beschaffenheit
(quales) der Götter denke (im Plural). Vergleicht man dazu die Fassung der
Anekdote bei Tertullian, zeichnet sich diese – abgesehen von der anderen
personellen Besetzung – durch eine größere Prägnanz aus.
In einem weiteren Zeugnis über Thales im Apologeticum 19.1.4*
(Th 218) erscheint dasselbe Frage-Antwort-Schema mit dem Paar Kroisos –
Thales in leicht veränderter Form (nihil – nihil certum; cf. Kommentar zu
Th 218).204
*
Kontext zu Th 217
Diese Bezugnahme auf Thales im vierten Kapitel des zweiten Buches ist
von besonderem Interesse für die Rezeptionsgeschichte der Anekdote vom
202
203
204
Nat. deor. 1.22.60 Roges me quid aut quale sit deus: auctore utar Simonide, de quo
cum quaesivisset hoc idem tyrannus Hiero, deliberandi sibi unum diem postulavit;
cum idem ex eo postridie quaereret, biduum petivit; cum saepius duplicaret numerum
dierum admiransque Hiero requireret cur ita faceret, ‚quia quanto diutius considero‘
inquit ‚tanto mihi spes videtur obscurior‘.
Cf. Min. Fel. Oct. 13.3–4 quid? Simonidis melici nonne admiranda omnibus et
sectanda cunctatio? qui Simonides, cum de eo, quid et quales arbitraretur deos, ab
Hierone tyranno quaereretur, primo deliberationi diem petiit, postridie biduum prorogavit, mox alterum tantum admonitus adiunxit; postremo, cum causas tantae morae
tyrannus inquireret, respondit ille: quod sibi, quanto inquisitio tardior pergeret, tanto
veritas fieret obscurior. Cf. dazu Beaujeu (1964) 93–94. Für weitere ähnliche Stellen
cf. Pease (1955) 349.
Der im Apologeticum 19.1.4* (Th 218) als physicorum princeps bezeichnete Thales
antwortet (respondit) auf die Frage de divinitate, also „über die Gottheit“, nihil certum, nichts Bestimmtes oder Gewisses. Bemerkenswert ist die darauf folgende Erläuterung Tertullians; cf. dazu den Kommentar zu Th 218.
Tertullian (Th 216–222)
97
Brunnenfall, da Tertullian eine bemerkenswerte Variante bietet. Der nähere
Kontext ist ein polemischer, in dem Tertullian (ad nat. 2.4.17) die als „Mutmaßungen“ oder „Hypothesen“ (coniecturae) bezeichneten Meinungen
einiger Philosophen205 über die Welt und himmlische Phänomene, wie z.B.
die Größe der Sonne, kommentiert. Er stellt die Frage, welche Weisheit es in
diesem Verlangen (libido) nach Mutmaßungen (coniecturarum) gebe. Außerdem kritisiert Tertullian (ad nat. 2.4.17) die Neugierde und das Wortgedrechsel (eloquii artificio) der Philosophen.206 Es folgt die Bezugnahme auf
den Brunnenfall des Thales.
Th 217 Tertullian, Ad nationes 2.4.18–19 (Borleffs CCL I, 47–48)
Merito ergo Milesius Thales, !dum t"otum caelum examinat et ambulat
oculis, in puteum cecidit !turpite"r, multum inrisus Aegyptio illi: ,in terra‘,
inquit, ,nihil perspici!ens cae"lum tibi speculandum existimas?‘ [19] Itaque
casus eius per figuram !philosoph"os notat, scilicet eos, qui stupidam exerceant curiositatem207 !in res" naturae quam prius in artificem eius et praesidem, in uacuum !......."dum208 habituros.
Th 217 Tertullian, An die Völker 2.4.18–19
Verdient fiel also der Milesier Thales, während er den ganzen Himmel musterte und mit seinen Augen abwanderte, schmachvoll in einen Brunnen und
erntete den heftigen Spott von jenem Ägypter: „Glaubst du“, sagte er, „dass
du, weil du auf der Erde nichts erkennst, den Himmel beobachten musst?“
[19] Sein Fall kennzeichnet also sinnbildlich die Philosophen, diejenigen
freilich, die eine törichte Neugier im Blick auf die Naturdinge anstatt auf deren Schöpfer und Lenker an den Tag legen, um damit ihre Bemühungen auf
einen vergeblichen Zweck zu richten.
Attribute
Milet
Brunnenfall
Ägyptischer Einfluss: Verspottung durch einen Ägypter
205
206
207
208
In ad nat. 2.4.16 werden z.B. namentlich die Peripatetici genannt.
Tertullian kritisiert weiter ad nat. 2.4.17: !Qui"d probat tanta praesumptione asseuerationis otium affectatae !mor"ositatis [jedoch nach Reifferscheid: curiositatis] eloquii artificio adornatum?
Komma nach curiositatem bei Borleffs.
Die Übersetzung folgt der Konjektur von Oehler für die Überlieferungslücke: suum
studium.
98
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Funktion der Bezugnahme
Der Milesier Thales sei also (ergo) verdientermaßen (merito) und schmachvoll (turpiter) in den Brunnen gefallen (in puteum cecidit), während (dum)
er den ganzen Himmel (totum caelum) musterte (examinat) und mit seinen
Augen abwanderte (ambulat oculis). Thales soll dabei den heftigen Spott
von jenem Ägypter (multum inrisum Aegyptio illi) geerntet haben, der dessen Sturz folgendermaßen kommentiert habe: „Glaubst du (existimas), weil
du auf der Erde nichts erkennst (in terra nihil perspiciens), dass du den
Himmel beobachten musst (tibi caelum speculandum)?“ Anschließend deutet Tertullian die so erzählte, oder besser so konstruierte, Erzählung über den
Brunnenfall des Thales. Seine Deutung gibt einiges über seine Auffassung
und Wertschätzung der Philosophen zu erkennen: Der Fall des Thales (casus eius) kennzeichnet (notat) sinnbildlich (per figuram) die Philosophen,
zumindest diejenigen (scilicet eos), die in ihrer törichten Neugierde (stupidam curiositatem) ihre Bemühungen auf die natürlichen Dinge (!in res" naturae) richten (exerceant), als zuvor (quam prius) auf deren Schöpfer und
Lenker (in artificem eius et praesidem), um damit ihre Bemühungen auf
einen vergeblichen Zweck (in uacuum) zu richten.
Anstelle der thrakischen Magd (cf. Platon Th 19 und Sim. ‚Brunnenfall‘)
ist es an dieser Stelle ein Ägypter, dessen heftigen Spott (multum inrisum)
Thales erntet.209 Aus Tertullians Angaben geht zwar nicht hervor, ob er sich
die Szenerie in Ägypten oder z.B. in Kleinasien vorstellt, doch liegt es nahe,
die Szenerie nach Tertullian am besten in Ägypten anzusiedeln. Als ein
möglicher Hintergrund und als ein Motiv für Tertullians Variante mit dem
spottenden Ägypter kann die Verbindung des Thales mit Ägypten gesehen
werden. Die Kenntnis der Ägyptenreise des Thales und dessen angeblicher
Aufenthalt und seine Ausbildung bei den ägyptischen Priestern kann bei
Tertullian vorausgesetzt werden (cf. z.B. Flavius Josephus Th 108, Plutarch
Th 115, Th 116 und Sim. ‚ägyptischer Einfluss‘).
Die Brunnenfallszene stellt damit anschaulich und lebendig das (auch an
einigen anderen Stellen in der apologetischen Literatur) betonte Gefälle
zwischen früher orientalischer (ägyptischer) Weisheit und den davon abhängigen Anfängen der Wissenschaft in Griechenland dar. Die Textpassage
kann auch als gelungene Adaption der Brunnenfall-Anekdote an den nordafrikanischen Kontext Tertullians betrachtet werden.210
Des Weiteren betont Tertullian, dass der Fall des Thales (casus eius) per
figuram für die Philosophen stehe, worunter er diejenigen versteht, die eine
209
210
Cf. dazu Alfonsi (1950).
Cf. dazu Blumenberg (1987) 49–51.
Tertullian (Th 216–222)
99
törichte Neugierde haben. Der Brunnenfall des Thales wird also an dieser
Stelle – ähnlich generalisierend wie bei Platon (cf. Th 19), jedoch mit
durchaus anderer Einfärbung – gegen die Philosophen verwendet.211
*
Tertullian, Apologeticum
In seiner als Apologeticum (197 n. Chr.) bezeichneten Schrift, die formal
nach der Art einer Gerichtsrede abgefasst ist, beabsichtigt Tertullian, den
Kern der christlichen Religion bekannt zu machen, damit diese nicht ungekannt und unrechtmäßig verurteilt wird.212 Er vereinigt im Apologeticum
Verteidigungsschrift und Werberede.213 Die beiden Bezugnahmen auf Thales stehen in unterschiedlichen Kontexten: Das erste Zeugnis Th 218214
steht im 19. Kapitel im Rahmen einer (chronologischen) Argumentation, in
der für das hohe Alter der Schriften des Moses im Vergleich mit den nichtchristlichen Schriftdokumenten argumentiert wird; das zweite Zeugnis
Th 219 findet sich gegen Ende der Schrift im 46. Kapitel, in dem Tertullian
für die These argumentiert, dass die christliche Religion nicht nur eine neue
Art von philosophischer Lehre ist (die sich zu denselben Tugenden wie die
Philosophie bekennt und zur Sittlichkeit, Gerechtigkeit, Geduld, Mäßigkeit
und Keuschheit ermahnt), sondern vielmehr etwas Göttliches sei und hoch
über der Philosophie stehe.215
Kontext zu Th 218
Im achtzehnten Kapitel seiner Apologie behandelt Tertullian die Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift. Er betont (apol. 18.2), dass Gott von
Anfang an (a primordio) Männer, die um ihrer Gerechtigkeit und Tadellosigkeit willen würdig waren (iustitiae innocentia dignos), ihn zu erkennen
(Deum nosse) – mit dem göttlichen Geist überströmt (spiritu diuino inundatos) – in die Welt gesandt habe (in saeculum emisit), um ihre Gotteserkenntnis auch anderen Menschen bekannt zu machen (ostendere). Sie sollten ver211
212
213
214
215
Cf. dazu auch Tertullian Th 222: Sed enormis intentio philosophiae solet plerumque
nec prospicere pro pedibus (sic Thales in puteum).
Cf. Schulz-Flügel (1998) 583.
Cf. von Albrecht (1992) 1217.
Das Textzeugnis Th 218 (19.1.4*) ist Teil des so genannten „fragmentum Fuldense“,
das nach Becker (1954) 149–162 Tertullian zugeordnet werden kann. Nach Becker
ebd. 162 ist das Fragment „eine zwischen Ad nationes und dem Apologeticum entstandene Skizze, die gewiß nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte“.
Zu den Quellen Tertullians cf. Waltzing (1931) 132–134.
100
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
kündigen (praedicarent), dass ein einziger Gott sei (Deum unicum esse),
welcher alles erschaffen (qui uniuersa condiderit) und den Menschen aus
Erde gebildet habe (hominem de humo struxerit).216 Den so charakterisierten Gott bezeichnet Tertullian pointiert (apol. 18.2.8) als den „wahren Prometheus“ (uerus Prometheus). Nachdem er in Kürze die Rolle Gottes im
Hinblick auf die letzten Dinge thematisiert hat, gibt er zu erkennen (apol.
18.4.17–18):
Diese Dinge haben einst auch wir verlacht. Wir sind aus eurer Mitte hervorgegangen; man wird Christ, man wird aber nicht als solcher geboren.
Haec et nos risimus aliquando. De uestris sumus: fiunt, non nascuntur
Christiani.
Darauf kommt Tertullian (apol. 18.5) auf die Propheten als Verkünder
(praedicatores) zu sprechen. Ihre Aussprüche (uoces) und tugendhaften
Taten (uirtutes), die sie zum Beweis ihrer göttlichen Sendung (ad fidem
diuinitatis) verrichteten, seien in den Schätzen der Schriften (in thesauris litterarum) aufbewahrt (manent) und diese seien nicht unzugänglich.
Nach einem Exkurs (apol. 18.5.22–9.42) zur Entstehung der ‚Septuaginta‘
am Hofe des alexandrinischen Herrschers Ptolemaios II. Philadelphus
(308–246 v. Chr., seit 283/2 Alleinherrscher)217 auf Anraten (ex suggestu)
des damals bewährtesten Grammatikers (grammaticorum tunc probatissimi), des Demetrios Phaleron, betont Tertullian im neunzehnten Kapitel,
dass zuerst das hohe Alter (summa antiquitas) diesen Zeugnissen (instrumentis istis), d.h. den Heiligen Schriften des Alten Testamentes, ihre Autorität (auctoritatem) verleihe. Er weist darauf hin, dass diese Ansicht auch
von den Nicht-Christen (apud uos) geteilt werde.218 In der anschließenden
chronologischen Argumentation (apol. 19.1.1*–10*) veranschaulicht Tertullian das hohe Alter der Schriften des Moses, des ersten Propheten (primus
enim prophetes), im Vergleich mit den nicht-christlichen Schriftdokumenten.219 In seinen grundlegenden Schriften lege Moses (neben der Erschaf-
216
217
218
219
Cf. apol. 18.2.4–10 Viros enim iustitiae innocentia dignos Deum nosse et ostendere,
a primordio in saeculum emisit spiritu diuino inundatos, quo praedicarent Deum unicum esse, qui uniuersa condiderit, qui hominem de humo struxerit (hic enim est uerus
Prometheus, qui saeculum certis temporum dispositionibus et exitibus ordinauit) […].
Zur Entstehung der Septuaginta cf. Harl/Dorival/Munnich (1988) bes. 39–82.
Cf. apol. 19.1.2–3 Apud uos quoque religionis est instar, fidem de tempore adserere.
Cf. dazu Pilhofer (1990) 276–279.
Tertullian (Th 216–222)
101
fung der Welt und dem Heranwachsen der Menschheit etc.) auch eine Abfolge der Zeit (temporum ordo) dar und habe damit die Berechnung der
Dauer der Welt (digestus ab initio, supputationem saeculi) vermittelt.
Die von Tertullian angegebenen Zeitangaben, bei denen er sich auf seine
Vorläufer, wie namentlich Flavius Josephus,220 berufen kann, sind (gemäß
apol. 19.1.1*–4*) folgender Art:
x
x
x
x
Die Lebenszeit des Moses dient als ein erster Bezugspunkt.
300 oder 400 Jahre später soll Danaus, der älteste Grieche, nach Argos
gekommen sein.
1000 Jahre später wird der Trojanische Krieg angesetzt.
322 Jahre vor dem Untergang Trojas (Iliacum exitum) werden sowohl
Saturn (und der Kampf der Titanen mit Jupiter) als auch Belus, der König
der Assyrer, (nach dem Geschichtswerk des Thallus) angesetzt.
Tertullian bemerkt zum einen (apol. 19.1.2.*16–17), dass Moses den
Juden (Iudaeis) das ihnen eigene Gesetz (lex propria) von Gott (a
Deo) gebracht habe (missa est). Zum anderen hebt er hervor (apol.
19.1.4.*17–18), dass es in der Reihenfolge nach Moses viele andere Propheten (multa et alii prophetae) gegeben habe, welche älter (uetustiores)
als „eure Urkunden/Schriften“ (litteris uestris) gewesen seien. Zum Beweis für diese These führt er schließlich den letzten (ultimo) Propheten
Zacharias (hebr. Sacharja)221 an, der nach Tertullian entweder (aut) ein
klein wenig vorausging (aliquantulo praecucurrit) oder (aut) mit Gewissheit (certe) demselben Zeitalter angehört haben soll (concurrit aetate) wie
die Begründer der Weisheit (sapientiae auctoribus) und Gesetzgeber (latoribus legis). Der letzte Prophet namens Zacharias wird (apol. 19.1.4*)
zum einen synchron angesetzt zur Regierungszeit (regno) der Perserkönige Kyros II. (559–529 v. Chr.) und Dareios (522–486 v. Chr.), zum anderen mit Thales als dem physicorum princeps, dem Ersten der Naturphilosophen, und dem lydischen König Kroisos.
220
221
Cf. apol. 19.6. Tertullian nennt dort unter anderem Manetho, den Ägypter, Berossos,
den Chaldäer, und zuletzt den Iudaeus Iosephus, antiquitatum Iudaicarum uernaculus
uindex. Dazu Pilhofer (1990) 276–278.
Prophet am Ende des 6. Jh. v. Chr., mit Haggai am Wiederaufbau des Tempels beteiligt (520–515).
102
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Th 218 Tertullian, Apologeticum 19.1.4*
(ed. Dekkers CCL I.119–120)222
[4*] Deinceps multa et alii prophetae, uetustiores litteris uestris; nam et qui
ultimo cecinit, aut aliquantulo praecucurrit aut certe concurrit aetate
sapientiae auctoribus, etiam latoribus legis. [4*] Cyri enim et Darii regno
fuit Zacharias, quo in tempore Thales, physicorum princeps, sciscitanti
Croeso nihil certum de diuinitate respondit, turbatus scilicet uocibus prophetarum. Solon eidem regi finem longae uitae intuendum praedicauit, non
aliter quam prophetae.
Th 218 Tertullian, Apologeticum 19.1.4*
Danach [nach Moses] haben Vieles auch andere Propheten [verkündet],
die älter sind als eure Schriften; denn auch der, welcher zuletzt geweissagt
hat, geht entweder um etwas voraus oder gehörte wenigstens demselben
Zeitalter an wie eure Weisen und sogar Gesetzgeber. Denn Zacharias lebte
unter der Regierung des Kyros und Dareios, zur Zeit als Thales, der erste
Naturphilosoph, auf die Frage des Kroisos nichts Bestimmtes über die
Gottheit antwortete; er war natürlich durch die Aussprüche der Propheten
in Verwirrung gesetzt. Solon hat demselben König den Rat gegeben, man
müsse das Ende des langen Lebens im Auge behalten, nicht anders als die
Propheten.
Attribute
Datierung
Begegnung mit Kroisos
Erster Naturphilosoph
Gottheit: Frage über die Gottheit
Thales durch die Propheten verwirrt
Funktion der Bezugnahme
(1) Die Datierung des letzten Propheten Zacharias unter der Regierung der
persischen Könige Kyros und Dareios223 und zur Zeit des Thales steht im
222
223
Fr. Fuld. 4 Dekkers CCL I 120 (Zuordnung zu Tertullian nach Becker (1954)
149–162): Cyri enim et Darii regno fuit Zacharias, quo in tempore Thales physicorum
princeps sciscitanti Croeso nihil certum de divinitate respondit, turbatus scilicet
vocibus prophetarum.
Cf. Sach 1,1.
Tertullian (Th 216–222)
103
Rahmen der chronologischen Argumentation. Als typische Vertreter der
Gruppe der Weisen und der Gesetzgeber werden exemplarisch Thales
einerseits und Solon andererseits genannt.224 Das Argumentationsziel Tertullians ist klar: Wenn bereits der jüngste Prophet früher oder zumindest
zeitgleich mit den ersten Weisen und Gesetzgebern anzusetzen ist, dann
sind die Heiligen Schriften (der Hebräer) insgesamt früher als die griechische Weisheit.
(2) Thales wird an dieser Stelle als princeps physicorum, d. h. als
„Erster“ oder als „Begründer“ der Naturphilosophen bezeichnet. Mit der
Figur des Thales wird zum Zweck des chronologischen Vergleichs deutlich der Anfang der Philosophie und Naturforschung bei den Griechen
markiert.
(3) Tertullian greift ähnlich wie in ad nat. 2.2.10–11 (Th 216) die Frage
des Kroisos an Thales im Hinblick auf die Gottheit (de diuinitate) auf.
Sowohl die Frage des Kroisos als auch die Antwort des Thales in Th 216
unterscheiden sich jedoch von der Szene in Th 218. Während in Th 216
die Frage an Thales lautet, was er „über die Götter“ meine (quid de deis
arbitraretur), so geht es in Th 218 um die Frage de diuinitate, also um die
Gottheit oder das Göttliche. Die Antwort in Th 218 ist nihil certum, d.h.
„nichts Bestimmtes“ oder „nichts Gewisses“ soll er gesagt haben. Diese
dem Thales zugeschriebene Antwort wird von Tertullian durch den folgenden Zusatz noch weiter charakterisiert.
(4) Besondere Aufmerksamkeit verdient die mit scilicet („natürlich, freilich“) eingeleitete Begründung Tertullians für die kurze und zurückhaltende
Antwort des ersten Naturphilosophen: Thales sei durch die Stimmen der
Propheten (uocibus prophetarum) verwirrt gewesen (turbatus). Diese Begründung, mag sie für den heutigen Leser auch sehr konstruiert oder erfunden klingen, steht wiederum in voller Übereinstimmung mit der von Tertullian zuvor entworfenen Chronologie und seinem Argumentationsziel, die
Vorzeitigkeit der mit Moses einsetzenden hebräischen Weisheit aufzuzeigen. Wenn die Propheten früher oder zumindest zur gleichen Zeit wie Thales lebten, konnte dieser nach Tertullian mit diesen oder zumindest ihren
Schriften in Kontakt gekommen und in seiner Antwort nach der Gottheit
verwirrt worden sein. Nach Tertullian manifestiert sich also bereits bei Thales der Einfluss der biblischen Tradition, insofern der Milesier durch die
224
Cf. zu Solon bei Tertullian die Untersuchung von Opelt (1980) 25 und 27.
104
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Lehre der Propheten in seinem Nachdenken über die Gottheit als ein Verwirrter erscheint.225
*
Kontext zu Th 219
Nachdem Tertullian in apol. 46.1 zuerst die Widerlegung aller Anklagen,
die gegen die Christen erhoben wurden, konstatiert, äußert er sich nochmals
grundlegend zum Verhältnis von christlicher Religion und Philosophie
(apol. 46.2–48.15). Im Folgenden versucht er durch mehrere Vergleiche zu
zeigen, dass die christliche Religion mehr ist als nur „eine Art von Philosophie“ (philosophiae genus, apol. 46.2.12). Er referiert die Meinung (apol.
46.2.12–14), dass sich Christen und Philosophen zu denselben Tugenden
bekennen (profitentur) und zu diesen ermahnen (monent): zur Sittlichkeit,
Gerechtigkeit, Geduld, Mäßigung und Keuschheit.226 Sogleich stellt er die
rhetorisch geschickte Frage (apol. 46.3.15–16): „Warum also (cur ergo)
werden wir mit diesen gleichgestellt in Bezug auf unsere Lehre (disciplina),
nicht aber ebenso gleichgesetzt (adaequamur) in Bezug auf Erlaubnis und
Freiheit der Lehre?“227 Im Hinblick auf die Wahrheit macht Tertullian den
Philosophen den Vorwurf (apol. 46.7.35–39), dass sie diese „in theatralischer Weise affektieren und durch ihr Affektieren fälschen, weil sie nur von
Ruhmsucht geleitet sind“ (ut qui gloriam captant). Die Christen hingegen
suchten dieselbe Wahrheit „mit Notwendigkeit und treten für sie ein mit voller Kraft, weil sie um ihr Heil besorgt sind“.228 Die Bezugnahme auf Thales
wird mit der grundlegenden These (apol. 46.8.40–41) eingeleitet, dass sich
225
226
227
228
Als weiteres Beispiel für den Einfluss der biblischen Tradition führt er Solon an: Dieser habe – hier liegt die Pointe – nicht anders als die Propheten (non aliter quam prophetae) demselben König Kroisos gepredigt (praedicauit), man müsse das Ende des
langen Lebens im Auge haben. Zusammenfassend behauptet Tertullian (apol.
19.1.5.*25–27), dass „sowohl euer Rechtswesen als auch eure Wissenschaften von
dem göttlichen Gesetz und der göttlichen Lehre befruchtet worden sind. Was das Frühere ist, muss auch der Same sein (Quod prius est, hoc sit semen necesse est.). Von
dort habt ihr manches mit uns oder doch fast wie wir.“
Apol. 46.2.12–14 Eadem, inquit, et philosophi monent atque profitentur, innocentiam,
iustitiam, patientiam, sobrietatem, pudicitiam.
Apol. 46.3.15–16 Cur ergo quibus comparamur de disciplina, non proinde adaequamur de licentia et immunitate disciplinae?
Apol. 46.7.35–39 Quam et illusores et contemptores inimice philosophi affectant
ueritatem et affectando corrumpunt, ut qui gloriam captant, Christiani et necessario
appetunt et integre praestant, ut qui saluti suae curant.
Tertullian (Th 216–222)
105
die Christen weder im Hinblick auf die Weisheit (scientia) noch in Bezug
auf ihre Lehre (disciplina) mit den Philosophen vergleichen lassen (aequamur).
Th 219 Tertullian, Apologeticum 46.8–9 (Dekkers CCL I.161)
Adeo neque de scientia neque de disciplina, ut putatis, aequamur. Quid enim
Thales, ille princeps physicorum, sciscitanti Croeso de diuinitate certum renuntiauit, commeatus deliberandi saepe frustratus? [9] Deum quilibet opifex Christianus et inuenit et ostendit et exinde totum, quod in Deum quaeritur, re quoque assignat; licet Plato affirmet factitatorem uniuersitatis neque
inueniri facilem et inuentum enarrari in omnes difficilem.
Th 219 Tertullian, Apologeticum 46.8–9
Daher lassen wir uns weder hinsichtlich der Weisheit noch der Moral, wie
ihr annehmt, vergleichen. Denn was hat Thales, jener erste Naturphilosoph,
auf die Frage des Kroisos nach der Gottheit mit Bestimmtheit geantwortet,
nachdem dieser durch eine Bedenkzeit oft hingehalten worden war? (vgl.
Th 218) [9] Jeder beliebige christliche Handwerker aber hat Gott bereits gefunden, tut ihn kund und besiegelt in der Folge alles, was man in Bezug auf
Gott fragen kann, durch die Tat; Platon mag immerhin behaupten, dass man
den Schöpfer des Weltalls nicht leicht finden und, wenn man ihn gefunden
habe, nur schwer allen verkünden könne.
Attribute
Erster Naturphilosoph
Begegnung mit Kroisos
Gottheit: Frage nach der Gottheit. Antwort: Nichts Sicheres.
Funktion der Bezugnahme
Im Anschluss an diese These spielt Tertullian auf Thales und seine zögerliche Antwort auf die Frage des lydischen Königs Kroisos nach der Gottheit
(de diuinitate) an. Tertullian formuliert seine Bezugnahme auf Thales in
Form einer rhetorischen Frage (apol. 46.8.41–43): „Denn was (quid enim)
hat Thales, jener erste Naturphilosoph, auf die Frage des Kroisos nach der
Gottheit mit Bestimmtheit (certum) geantwortet (renuntiauit), nachdem dieser durch eine Bedenkzeit oft hingehalten worden war?“ Eine explizite Antwort auf diese Frage gibt Tertullian an dieser Stelle nicht. Er scheint bei seinen Lesern vorauszusetzen, dass diese mit der Anekdote vertraut sind und
sich selbst eine Antwort auf die Frage geben können. Denkbar wäre z.B.
eine skeptische oder explizit agnostische Antwort (cf. Th 216 und Th 218).
106
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Zwei Aspekte sind in diesem Kontext wichtig. Der als der Begründer der
Naturphilosophie vorgestellte Thales gibt bei der Frage des lydischen Königs keine gute Figur ab und kann nicht gerade eine erkenntnisreiche Antwort im Hinblick auf die Gottheit geben. Im folgenden Satz (apol. 46.9.
43–45) wird die unausgesprochene Antwort des Thales mit der von Tertullian referierten Erfahrung und Erkenntnis eines beliebigen (quilibet) christlichen Handwerkers (opifex Christianus) kontrastiert. Darin liegt die Pointe
seines Argumentes (apol. 46.9.43–45): Jeder beliebige christliche Handwerker, so die Behauptung Tertullians, habe Gott bereits gefunden (inuenit),
verkünde (ostendit) ihn und besiegle in der Folge alles, was man in Bezug
auf Gott fragen kann, auch (quoque) durch die Tat (re). Seine Gotteserkenntnis hat also auch Folgen für seinen praktischen und ethischen Lebensvollzug, was einen weiteren Kontrast zum ratlosen Thales (und dessen
Brunnenfall cf. Th 217) markiert.
*
Tertullian, Adversus Marcionem
Mit seiner fünf Bücher umfassenden häresiologischen Schrift ,Gegen Marcion‘229 wendet sich Tertullian gegen dessen theologische Prinzipien und
gegen seine Anhänger, die Marcioniten.230 Im ersten Buch seiner Schrift,231
in der die Bezugnahme auf Thales steht, setzt sich Tertullian mit Marcions
Grundunterscheidung zwischen einem guten Gott (verkündigt in den Schriften des Neuen Testamentes) und einem bösen Schöpfergott des Alten Testamentes, der für Schöpfung, Gesetz und Gericht verantwortlich sein soll,
auseinander.232 Während die Verteidigung des Schöpfergottes Gegenstand
des zweiten Buches ist, widmet sich Tertullian im dritten Buch der Vorstel-
229
230
231
232
Zur Datierung und der komplexen Entstehungsgeschichte von Adversus Marcionem
cf. Braun (1990) 7–83, 92–94. Zu Marcion (um 85–160 n. Chr.) cf. König (1998)
421–423 und Moreschini/Norelli (2007) 82–84. Zu Tertullians Streitschrift gegen
Marcion als ‚Paradigma der Selbstvergewisserung der Orthodoxie gegenüber der Häresie‘ cf. Lukas (2008).
Cf. Braun (1990) 66: „De fait, à partir de I, 13, c’est-à-dire de la critique de la création, l’Aduersus Marcionem est aussi un Aduersus Marcionitas.“
Cf. zu adv. Marc. 1–2 die Untersuchung von Meijering (1977).
Moreschini/Norelli (2007) 83: „Ausgangspunkt für Marcion war der paulinische Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium. Er war überzeugt von ihrer Unvereinbarkeit und führte sie somit auf zwei verschiedene Götter zurück. […] Marcion war […]
der Erste, der in gewisser Weise einen Kanon der christlichen Schriften entwickelte.“
Tertullian (Th 216–222)
107
lung von Christus bei Marcion. Die Bücher vier und fünf haben Marcions
Auffassung vom Evangelium und den paulinischen Briefen zum Thema.
Kontext zu Th 220
Im zweiten Hauptteil des ersten Buches geht es unter anderem um ein angemessenes Verständnis des Schöpfergottes und dessen Schöpfung (adv.
Marc. 1.8–21). Tertullian wendet sich im dreizehnten Kapitel (adv. Marc.
1.13.1) grundsätzlich gegen die von den Marcioniten betriebene Zerstörung
der Werke des Schöpfers (destructionem operum Creatoris). Er vertritt die
These (adv. Marc. 1.13.2), dass die Welt durchaus Gottes würdig sei (nec
mundus Deo indignus), denn (etenim) Gott habe nichts (nihil) seiner Unwürdiges vollbracht, obgleich (etsi) er erstens die Welt für den Menschen
(mundum homini) und nicht für sich gemacht habe (non sibi fecit), und zweitens (etsi) jedes Werk geringer (omne opus inferius) als sein Schöpfer (suo
artifice) sei.233
In der folgenden Argumentation (adv. Marc. 1.13.3) widmet sich Tertullian der angeblichen Unwürdigkeit der Welt (de isto huius mundi indigno).
Erstens weist er darauf hin, dass bei den Griechen (apud Graecos) der Name
(nomen) „Welt“ (mundus = griech. «) die Bedeutung von „Schmuck“
(ornamentum) oder „Zierde“ (cultum) habe und nicht etwa „Schmutz“ (non
sordium). In einem zweiten Schritt beruft sich Tertullian auf die Auffassung
der von ihm so genannten „Lehrer der Weisheit“ (sapientiae professores),
von deren Gedanken (de quorum ingeniis) jede Häresie belebt werde (omnis
haeresis animatur).234 Jene Lehrer der Weisheit selbst (ipsi illi) haben nach
Tertullian die unwürdigen Substanzen (indignas substantias) freilich (uidelicet) für Götter ausgegeben (deos pronuntiauerunt). Es folgt eine Aufzählung von griechischen Philosophen mitsamt des von ihnen angenommenen
Urelementes: Thales (Wasser, aquam), Heraklit (Feuer, ignem), Anaximenes (Luft, aërem), Anaximander (alle Himmelskörper, uniuersa caelestia),
Straton (Himmel und Erde, caelum et terram), Zenon (Luft und Äther, aërem et aetherem), Platon (Gestirne, sidera).
233
234
Tertullian schließt die folgende Überlegung an (adv. Marc. 1.13.3): Wenn es Gottes
unwürdig sein sollte, etwas geschaffen zu haben, mag es sein, so gering es will, so
wäre es jedenfalls Gottes noch viel unwürdiger (indignius), gar nichts geschaffen zu
haben, nicht einmal etwas seiner Unwürdiges. Denn dann könnte man doch immer
noch hoffen, er werde später bessere Dinge schaffen.
Irenäus sagt dasselbe von den Häretikern in haer. 2.18.2. Cf. auch Tertullian apol.
47.9; praescr. 7.3; adv. Herm. 1.3; adv. Marc. 4.25.3.
108
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Th 220 Tertullian, Adversus Marcionem 1.13.3 (ed. Braun)
Vt ergo aliquid et de isto huius mundi indigno loquar, cui et apud Graecos
ornamenti et cultus, non sordium, nomen est, indignas uidelicet substantias
ipsi illi sapientiae professores, de quorum ingeniis omnis haeresis animatur,
deos pronuntiauerunt, ut Thales aquam, ut Heraclitus ignem, ut Anaximenes aërem, ut Anaximander uniuersa caelestia, ut Strato caelum et terram,
ut Zeno aërem et aetherem, ut Plato sidera […].
Th 220 Tertullian, Gegen Marcion 1.13.3
Um also auch etwas über die angebliche Unwürdigkeit dieser Welt zu
sagen, die auch bei den Griechen den Namen Schmuck und Zierde,
nicht Schmutz, trägt, so haben auch jene Lehrer der Weisheit selbst, von
deren Gedanken alle Häresien belebt werden, die unwürdigen Substanzen
freilich als Götter ausgegeben, so z. B. Thales das Wasser, Heraklit das
Feuer, Anaximenes die Luft, Anaximander alle Himmelskörper, Straton
den Himmel und die Erde, Zenon die Luft und den Äther, Platon die Gestirne […].
Attribute
Lehrer der Weisheit
Prinzip Wasser: Bezeichnung unwürdiger Substanzen als Götter
Funktion der Bezugnahme
(1) Thales wird als Erster in der Reihe der „Lehrer der Weisheit“ (sapientiae
professores) angeführt, von deren Gedanken „jede Häresie“ (omnis haeresis) belebt werde.
(2) Die Bezugnahme auf Thales und die weiteren Vertreter der griechischen Philosophie ist in diesem argumentativen Kontext mehrdeutig. Mindestens drei Aspekte lassen sich unterscheiden: (a) das etymologische Argument, (b) die These von der Bezeichnung der unwürdigen Substanzen als
Götter durch die griechischen Philosophen sowie (c) die sich anschließende
genetische Erklärung dieser These.
(a) Mit Hilfe des etymologischen Argumentes – der Erläuterung der positiv aufgeladenen Wortbedeutung von „Welt“ bei den Griechen mittels der
Etymologie von „Kosmos“ (als ornamentum und cultus)235 – stützt Tertullian zunächst seine eigene Argumentation gegenüber den Marcioniten und
235
Cf. dazu Brague (2006) 31–32 und Schwab (2009) 62–64.
Tertullian (Th 216–222)
109
deren Abwertung der Schöpfung.236 Bereits der griechische Wortgebrauch
veranschaulicht die Würde der Schöpfung.
(b) Die Bezugnahme auf Thales und die anderen Vertreter der griechischen Philosophie hat die Funktion eines Gegenargumentes gegenüber der
‚Weltanschauung‘ der Marcioniten. Sie zeigt, dass selbst die griechischen
Philosophen selbstverständlich (uidelicet) „unwürdige Substanzen“ (indignas substantias) als Götter (deos) ausgegeben haben (pronuntiauerunt).
Diese These gibt zu erkennen, dass die Philosophen den Substanzen und
damit implizit auch der Welt einen großen Wert beimaßen. Dieser Aspekt
stützt die Grundrichtung von Tertullians Argumentation, wie auch die folgende Aussage (adv. Marc. 1.13.5) nochmals unterstreicht: „Bezüglich der
an Stellung und Rang höheren Substanzen genügt es mir, dass man sie lieber
für Götter gehalten hat als für Gottes unwürdig.“
(c) Die Bezugnahme auf die Philosophen ist zugleich mit einer Kritik an
diesen verbunden. Die Kritik schließt an die namentliche Aufzählung der
Vertreter an. Denn Tertullian belässt es nicht bei dieser Aufzählung, sondern
er versucht auch eine genetische Erklärung dafür zu geben, warum die
Philosophen diese Substanzen als Götter ausgegeben haben (adv. Marc.
1.13.3): Indem die Philosophen an der Welt (mundum) die Größe (magnitudinem), Macht (uim), Kraft (potestatem), Herrlichkeit (honorem), Schönheit
(decorem) etc. und die Regelmäßigkeit der einzelnen Elemente (opem fidem
legem singulorum elementorum) sowie deren grundlegende Funktionen
(Hervorbringen, Erhalten, Vollenden, Wiederherstellen) betrachtet haben,
sollen sie gefürchtet haben, bei der Welt einen Anfang und ein Ende festzustellen, damit nicht etwa ihre Bestandteile (substantiae eius), die so groß
und erhaben sind (tantae), als weniger göttlich erschienen.237
*
Tertullian, De anima
Die Schrift ,Über die Seele‘ verfasste Tertullian vermutlich zwischen
Anfang 210 und 213 n. Chr.238 Im ersten Satz seiner programmatischen
Einleitung (anim. 1–3) bringt Tertullian zum Ausdruck, dass er bereits mit
236
237
238
Cf. Braun (1990) 157 Anm. 4: „Le décri de l’œuvre du Créateur est un thème habituel
du marcionisme; il révèle l’appartenance gnostique de cette doctrine […].“
Daran schließt sich ein ethnologischer Vergleich (adv. Marc. 1.13.3) von Anschauungen bei den Persern (Magiern), Ägyptern (Hierophanten) und Indern (Gymnosophisten) an. Cf. dazu Clemens Th 197.
Cf. Waszink (1947) 5–6, ders. (1980) 35 und (1933) 9–10.
110
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Hermogenes über den Ursprung (censu) der Seele in Streit geraten sei und
dass er sich jetzt (nunc) den übrigen Problemen (ad reliquas […] quaestiones), welche die Seele betreffen, zuwende.239 Dabei werde er viel
(plurimum) mit den Philosophen zu kämpfen haben (cum philosophis
dimicaturus).240 Seine Erörterungen über die Seele führt Tertullian also
besonders in Auseinandersetzung mit den Vertretern der nicht-christlichen
Philosophie, die er als die „Patriarchen der Häretiker“ (patriarchis […]
haereticorum, anim. 3.1.32) bezeichnet. Tertullian weist bereits in der
Einleitung (anim. 2.6) explizit darauf hin, dass er sich auch mit der Medizin, der Schwester der Philosophie, beschäftigt habe, da auch sie diesen
Gegenstand für sich beanspruche.241 Wegen der Sorge um den Körper
(corporis curam) beschäftige sich die Medizin mehr (magis) mit der Lehre
von der Seele (animae ratio). In diesem Zusammenhang ist zu bemerken,
dass eine von Tertullians Hauptquellen der Mediziner Soranus242 (1.
Hälfte des 2. Jh.) ist, aus dessen vier Büchern über die Seele (%λ ?8)«)
Tertullian doxographisches Material z. B. zur Körperlichkeit der Seele
(anim. 6) entnimmt.243
In seiner Einleitung vertritt Tertullian die bemerkenswerte und ironische
These (anim. 3.3.6–8), dass die göttliche Lehre (diuina doctrina) dadurch
„einen schweren Fehler begangen habe (deliquit), dass sie von Judäa
239
240
241
242
243
Zu Hermogenes cf. Markschies (1998) 283–284, Waszink (1933) 198 und ders.
(1956).
Anim. 1.1.3–4 […] nunc ad reliquas conversus quaestiones plurimum videbor cum
philosophis dimicaturus.
Anim. 2.6.14–15 Sed et medicinam inspexi, sororem, ut aiunt, philosophiae, sibi quoque hoc negotium vindicantem.
Zu Soranus, den Tertullian in anim. 6.6.5–6 als „den gelehrtesten Schriftsteller der
methodischen Medizin“ („Sorano methodicae medicinae instructissimo auctore“)
bezeichnet, cf. Hanson/Green (1994). Zu Tertullians De anima und seiner Benutzung
Sorans cf. van der Eijk (1999) 402–403 mit weiterführender Literatur ebd. 402
Anm. 20.
Cf. dazu Waszink (1947) 21–47, ders. (1933) 10–15, Diels (1879) 203–214 sowie
Mansfeld/Runia (1997) 80. Bezüglich Tertullians Quellen ist bemerkenswert, dass er
Soranus auch für mehrere doxographische Notizen in anim. 12, 14 und 15 sowie für
das doxographische Material über den Schlaf (anim. 42–45) benutzt. Weitere Informanten insbesondere zur Darstellung der gnostischen Systeme (anim. 23, 34, 35) sind
vermutlich Irenäus und Justin. Von den klassischen Autoren ist Tertullian mit Varro
(cf. auch Kommentar zu nat. = Th 216–217), Cicero und Plinius vertraut. Die Informationen zu Platon (und dessen Dialogen Phaidon, Phaidros, Staat, Theaitetos und
Timaios) stammen möglicherweise aus der Lektüre des Albinus oder sind ebenfalls
durch Soranus vermittelt. Cf. dazu Waszink (1933) 11–12.
Tertullian (Th 216–222)
111
und nicht von Griechenland ausging“ (ex Judaea potius quam ex Graeca
oriens). Auch Christus habe einen Irrtum begangen, indem er Fischer eher
zum Predigen aussandte als einen Sophisten.244
Seine Aufgabe als schreibender Christ bestimmt Tertullian vor diesem
Hintergrund folgendermaßen (anim. 3.3.8–12): „Wenn etwa also in dieser
Weise durch die Nebel der Philosophie der strahlende und reine Himmel der
Wahrheit einigermaßen verdüstert wird, so wird diese Dunkelheit durch die
Christen vertrieben werden müssen, indem sie die Argumentationen (argumentationes) über den Ursprung der Seele, d.h. die der Philosophen (id est
philosophicas), zerschlagen (percutientibus) und ihnen die Lehren des Himmels (definitiones caelestes), d.h. jene des Herrn (id est dominicas), entgegensetzen (opponentibus).“ Mit dieser Strategie versucht Tertullian ein
zweifaches Ziel (anim. 3.3.12–3) zu erreichen: Zum einen soll das, wodurch die Nicht-Christen von der Philosophie gefangen werden, vernichtet
werden. Zum anderen soll auch das, wodurch die Gläubigen (fideles) sich
von den Häretikern (ab haeresi) in ihrem Glauben erschüttern lassen, zurückgewiesen werden (retundantur). Die beiden Bezugnahmen auf Thales
(Th 221–222) stehen im ersten Hauptteil der Abhandlung (anim. 4.1–22.1),
in dem Tertullian die Beschaffenheit (status) der Seele behandelt:245 Das
Zeugnis Th 221 steht im fünften Kapitel (anim. 5.2), Th 222 im sechsten
Kapitel (anim. 6.8).
Kontext zu Th 221
Zu Beginn seiner Erörterung über die Seele (anim. 4.1) vertritt Tertullian die
These, dass die Seele aus dem Hauch Gottes (ex dei flatu) entstanden sei.246
Daraus folge, dass ihr auch ein Anfang (initium) zuzuschreiben sei. Als
einen Gegner dieser Ansicht benennt er Platon, der diese Möglichkeit
ausschließe (hoc excludit) und stattdessen „wolle“ (uolens), dass die Seele
(animam) ungeworden und ungemacht sei (innatam et infectam). Tertullian
wendet sich im Folgenden gegen Platon und argumentiert für die These
(anim. 4.1.24), dass die Seele sowohl entstanden (et natam) als auch gemacht sei (et factam) aufgrund der Beschaffenheit ihres Anfangs (ex initii
constitutione). Im fünften Kapitel (anim. 5.1–6) geht es um die Streitfrage,
244
245
246
Cf. anim. 3.3.7–8 Erravit et Christus piscatores citius quam sophistam ad praeconium emittens.
In anim. 22.1–2 fasst Tertullian die im ersten Hauptteil erörterten Probleme zusammen und zählt die Bestimmungen der Seele auf.
Cf. bereits am Ende der Einleitung, anim. 3.4.15 […] quia animam ex dei flatu, non ex
materia vindicamus […].
112
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
ob die Seele körperlich ist. Tertullian unterscheidet zwei Gruppen (anim.
5.1/5.2–6): Zum einen (anim. 5.1.1–2) führt er diejenigen (Eubulus, Kritolaus, Xenokrates und Aristoteles) an, die wohl im Verbund mit seinem
Hauptgegner Platon vielleicht noch mehr herausgestrichen würden (exstruentur), um die Körperlichkeit der Seele zu entfernen (ad auferendam animae corpulentiam), wenn man nicht (si non) andere im Gegenteil (alios e
contrario) in Augenschein nehme.247 Zum anderen (anim. 5.2–6) nennt er
die gegnerische Gruppe von zahlreichen Vertretern, die der Seele einen Körper zuschreiben (corpus animae uindicantes, anim. 5.1.4). Zu dieser zweiten Gruppe, mit der Tertullian sympathisiert, zählt er mehrere (plures): (a)
zuerst (anim. 5.2.4–9) eine Anzahl von Vertretern, welche die Seele „aus
handgreiflichen Körpern“ bildeten (de manifestis corporalibus effingunt),
wie ‚Hipparch‘248 und Heraklit aus Feuer (ex igne), Hippon249 und Thales
aus Wasser (ex aqua), Empedokles und Kritias aus Blut (ex sanguine), wie
Epikur aus Atomen (ex atomis), wenn die Atome durch ihren Zusammenstoß einen Körper aufbauen können, wie Kritolaus und „seine Peripatetiker“
(et Peripatetici eius) aus irgendeiner fünften Substanz (ex quinta nescio qua
substantia), zumindest wenn auch diese ein Körper ist, weil sie Körper
einschließe. (b) Zweitens beruft sich Tertullian (anim. 5.2.10–5.6) auf
die Stoiker (sed etiam Stoicos allego). Da sie die Seele (animam) als Odem
(spiritum) bezeichnen (praedicantes), „fast wie wir“ (paene nobiscum) –
mit der Ergänzung, dass Hauch (flatus) und Odem (spiritus) eng miteinander verwandt (proxima inter se) seien – könnten sie jemanden leicht von der
Körperlichkeit der Seele überzeugen (corpus animam facile persuadebunt).
Als einzelne Vertreter der stoischen Schule führt er darauf Zenon (anim.
5.3), Kleanthes (anim. 5.4–5) und Chrysipp (anim. 5.6) an.
Th 221 Tertullian, De anima 5.2 (ed. Waszink)
Nec illos dico solos qui eam de manifestis corporalibus effingunt, ut Hipparchus et Heraclitus ex igni, ut Hippon et Thales ex aqua, ut Empedocles et
Critias ex sanguine, ut Epicurus ex atomis […].
247
248
249
Cf. dazu Waszink (1947) 125–128, ders. (1933) 203–204 und Diels (1879) 212–214.
Statt des Astronomen Hipparchus ist wohl der griechische Mathematiker und Pythagoreer Hippasos von Metapont gemeint, cf. Diels (1879) 212–213.
Hippon von Rhegion (ca. 470–400), Naturphilosoph und vermutlich Arzt, erneuerte,
von physiologischen Beobachtungen am Menschen ausgehend, die alte Lehre des
Thales, der Ursprung aller Dinge sei das Wasser (cf. Arist. Met. 1.984a3–5 = Th 29).
Tertullian (Th 216–222)
113
Th 221 Tertullian, Über die Seele 5.2
Und ich meine nicht bloß die, welche sie aus handgreiflich körperlichen Elementen bestehen lassen, wie Hipparch und Heraklit aus Feuer, wie Hippon
und Thales aus Wasser, wie Empedokles und Kritias aus Blut, wie Epikur
aus den Atomen […].
Attribute
Prinzip Wasser
Seele: Thales und Hippon sagen, dass die Seele aus Wasser sei
Funktion der Bezugnahme
(1) Thales wird in diesem Zusammenhang nicht als Erster in der Reihe derjenigen genannt, die nach Tertullian eine materialistische Seelenkonzeption
vertreten, d.h. bei Thales eine aus Wasser bestehende Seele. Da Tertullian
wesentlich gegen die platonische Seelenkonzeption argumentiert, stützen
die angeführten ‚Vertreter materialistischer Seelenkonzeptionen‘ insgesamt
seine Argumentation. Die Bezugnahme auf Thales bekräftigt vor diesem
Hintergrund die Argumentationsstrategie Tertullians, obgleich er inhaltlich
vor allen Dingen seine Nähe (paene nobiscum) zur stoischen Seelenkonzeption betont.
(2) Die stilistisch auffällige Anhäufung von Namen, zunächst von wenigen, die mit Platon übereinstimmen, darauf von mehreren Vertretern einer
materialistischen Seelenkonzeption, lässt die für Tertullian typische Argumentationsweise des ‚akkumulativen‘ Stils erkennen.250
(3) Thales und Hippon werden auch z.B. bei Philoponus in dessen Kommentar zu De anima (= Th 440) gemeinsam für die Position einer ‚WasserSeele‘ angeführt.251
*
Kontext zu Th 222
Die zweite Bezugnahme auf Thales im sechsten Kapitel ist äußerst prägnant
(sic Thales in puteum, anim. 6.8.25). Dabei richtet sich die Argumentation
Tertullians noch immer (wie bereits in anim. 4 und 5) gegen die Seelenkonzeption Platons und der Platoniker (anim. 6.1.2), denen er vorwirft, dass sie
eher (potius) durch Scharfsinn und Spitzfindigkeit (subtilitate) als durch
250
251
Cf. auch Th 220 und die Stilanalyse von Braun (1990) 68–69.
Cf. dazu die Sim. ‚Seele aus Wasser‘. Differenzierter äußert sich Philoponus in
Th 442 und Th 443.
114
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Wahrheit (quam veritate) Verwirrung stiften (conturbant). Nach mehreren
Beweisführungen gegen die Platoniker beruft sich Tertullian in anim. 6.6–7
auf den Mediziner Soranus, um das folgende Argument (anim. 6.6.2–5) zu
entkräften: Jeder Körper ernähre sich von Körperlichem (omne corpus corporalibus), die Seele (animam) aber ernähre sich, weil unkörperlich (ut incorporalem), durch „Unkörperliches“ (incorporalibus), und zwar durch das
Streben nach Weisheit (sapientiae studiis). Soranus, den Tertullian als „den
gelehrtesten Schriftsteller der methodischen Medizin“ (Sorano methodicae
medicinae instructissimo auctore) bezeichnet, erklärt dagegen, dass die
Seele auch durch Körperliches genährt (corporalibus quoque ali) und im
Schwächezustand (deficientem) meistens durch Speise (a cibo) erhalten
werde (anim. 6.6.7–11). Aus der Erklärung des Mediziners leitet Tertullian
auch die Forderung ab (anim. 6.7.12–14), die er an die Philosophen richtet.
Wie also (sicut ergo) Soranus selbst zeige (rebus ostendit), dass sich die
Seele durch körperliche Dinge ernähre, so solle auch der Philosoph zeigen
(exhibeat), dass sie durch Unkörperliches genährt werde. In einem weiteren
Schritt (anim. 6.7.22–23) führt Tertullian auch die Meinung der Stoiker ins
Feld, dass die Künste körperlich seien (artes Stoici corporales affirmant).
Nach dieser Ansicht sei die Seele auch dann körperlich, wenn man annehme, dass sie auch durch die Künste genährt werde.252
Der folgende Abschnitt wird von einer zweifachen Kritik an der Philosophie eingeleitet. Tertullian kritisiert erstens (anim. 6.8.24–25) „den großen
Eifer der Philosophie“ (enormis intentio philosophiae), die meistens (plerumque) gar nicht (nec) auf das vor ihren Füßen (pro pedibus) Liegende zu
schauen pflege (solet prospicere). Als Exemplum für diese Haltung nennt er
Thales und den Brunnenfall. Zweitens (anim. 6.8.25–27) wirft er der Philosophie vor, wenn sie ihre eigenen Aussprüche (sententias suas) nicht verstehe (non intellegendo), ein Verderben der Gesundheit zu vermuten. Als
Exemplum für diese Haltung wird der Stoiker Chrysipp angeführt, der zur
Nieswurz gegriffen haben soll.253
Th 222 Tertullian, De anima 6.8
Sed enormis intentio philosophiae solet plerumque nec prospicere pro pedibus (sic Thales in puteum). Solet et sententias suas non intellegendo valetudinis corruptelam suspicari (sic Chrysippus ad elleborum).
252
253
Anim. 6.7.23 Adeo sic quoque anima corporalis, si et artibus ali creditur.
Cf. dazu Waszink (1947) 143–144.
Tertullian (Th 216–222)
115
Th 222 Tertullian, Über die Seele 6.8
In ihrem gewaltigen Eifer pflegt die Philosophie meist nicht auf die Füße zu
schauen (so fiel Thales in den Brunnen). Sie pflegt auch, wenn sie ihre eigenen Meinungen nicht versteht, ein Verderben der Gesundheit zu vermuten
(so griff Chrysipp zum Nieswurz).
Attribut
Brunnenfall
Funktion der Bezugnahme
Die Bezugnahme auf Thales ist so kurz, dass selbst dessen Sturz in den
Brunnen (in puteum) nicht eigens erwähnt wird. Tertullian wird davon ausgehen, dass seinem Leser diese gedrängten Informationen – sic Thales in
puteum – genügen, um das Bild des in den Brunnen stürzenden Thales in Erinnerung zu rufen und die damit verbundene Kritik an der Philosophie zu
verstehen.254 Mit der an zwei Vertretern exemplifizierten Kritik an der Philosophie leitet Tertullian zu einem interessanten psychologischen Problem
über, an dem er die bereits exemplifizierte Weltfremdheit der Philosophie
bzw. der Philosophen deutlich macht. Es geht um die Leugnung der Existenz von zwei Körpern in einem (cum duo in unum corpora negavit).255
Die Philosophen, so der Vorwurf Tertullians (anim. 6.8.27–30), seien dabei
nicht darauf gekommen, auf die schwangeren Frauen zu achten und an sie
zu denken, die täglich nicht nur einen Körper, sondern auch zwei und drei
im Bereich einer einzigen Gebärmutter mit sich herumtragen.
Die geäußerte Kritik an der Philosophie sowie die exemplarische Bezugnahme auf Thales können also im Vorfeld dieser Argumentation so verstanden werden, dass sie der kritischen Einstimmung des Lesers gegenüber den
philosophischen Argumentationen dienen sollen.
Zusammenfassung
(1) Besonders bemerkenswert sind bei Tertullian erstens die verschiedenen
Kontexte, in denen er auf Thales Bezug nimmt: zum einen im Rahmen der
apologetisch-polemischen Werke Ad nationes (Th 216–217) und Apologeticum (Th 218–219), zum anderen im häresiologischen und innerchristli254
255
Cf. Waszink (1947) 144: „[…] both Thales and Chrysippus have only been mentioned
in passing for the purpose of instancing the foolishness of pagan philosophy; then
Tert. returns to philosophy in general (by which, however, he means Platonism in the
first place) […].“ Cf. dazu auch Blumenberg (1987) 51–52.
Cf. Waszink (1947) 144–145.
116
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
chen Diskurs der Schrift Gegen Marcion (Th 220) sowie in der stärker theologisch-philosophischen Auseinandersetzung Über die Seele (Th 221–222).
(2) Im Hinblick auf die von Tertullian verwendeten Attribute zeigt sich,
dass die folgenden von besonderer Bedeutung sind: (a) der Brunnenfall des
Thales (Th 217, 218, 222), (b) die Frage nach den Göttern (Th 216) oder der
Gottheit (Th 218, 219) sowie drittens (c) die Charakterisierung des Thales
allgemein als eines Materialisten (Th 220) oder mit einer materialistischen
Einstellung im Hinblick auf die Seele (Th 221).
(a) Der Brunnenfall des Thales ist nicht nur wegen der eigentümlichen
Variante mit dem Ägypter, sondern ebenso wegen der expliziten Verallgemeinerung auf die Philosophie und die Philosophen insgesamt von Interesse
(„casus eius per figuram !philosoph"os notat“, nat. 2.4.19).
(b) Noch markanter ist die in vier Zeugnissen auftauchende Gottesfrage
oder die Frage nach den Göttern (Th 216, 218, 219, 220). Dieses Attribut ist
nicht zuletzt aufgrund der feinen Unterschiede in den einzelnen Zeugnissen
kommentierungswürdig. In Th 216 geht es um die Frage nach der Existenz
der Götter (im Plural), d.h. der Frage nach dem Polytheismus und seiner Berechtigung. Die Antwort des Thales, er glaube an „nichts“, charakterisiert
Thales als einen Skeptiker oder Agnostiker.
In Th 218 (Apologeticum) geht es um die Frage nach der Gottheit, worauf
Thales keine bestimmte oder keine gewisse (nihil certum) Antwort zu geben
weiß. An diesem Textzeugnis ist von besonderem Interesse die folgende Erklärung, die Tertullian für die unbestimmte Antwort des Thales gibt: die
Verwirrung durch die Propheten. Nach der Darstellung Tertullians ist Thales
durch den Kontakt mit den Propheten zumindest unsicher in dieser Frage.
Zu diesem Erklärungsansatz, der gerade in seiner Pointierung auf den ersten
Blick sehr konstruiert oder phantasievoll anmutet, konnte Tertullian jedoch
aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Quellen in der griechischen
Überlieferung kommen. Angesichts der Informationen über die berichtete
Begegnung des Thales mit den Propheten oder Priestern (in Ägypten) in der
griechischen Überlieferung (cf. z.B. Flavius Josephus Th 108 und die Sim.
‚ägyptischer Einfluss‘), d.h. angesichts der überlieferten Informationen
über Thales sowie der von Tertullian vorgestellten Chronologie, erscheint
seine Erklärung im Kontext seiner Zeit plausibel.
In Th 219 (Apologeticum) referiert Tertullian die Frage des Kroisos nach
der Gottheit und betont zum einen die lange Bedenkzeit des Thales (commeatus deliberandi saepe frustratus); zum anderen deutet er die von Thales
gegebene Antwort lediglich an. An dieser Stelle lässt Tertullian den Inhalt
der Antwort des Thales offen; doch aus dem weiteren Kontext, dem kontrastiven Vergleich mit der Gotteserkenntnis des christlichen Handwerkers,
Tertullian (Th 216–222)
117
geht klar hervor, dass Thales hier wiederum in einer skeptischen oder agnostischen Haltung gezeichnet wird.
(c) Auffällig ist nicht zuletzt die Charakterisierung des Thales als eines
Materialisten (Th 220) oder (in Th 221) eines Philosophen mit einer materialistischen Einstellung im Hinblick auf die Seele. Beiden Bezugnahmen ist
gemeinsam, dass sie für Tertullian als Argumente gegen andere Positionen
oder Weltanschauungen dienen: im ersten Fall gegenüber der gnostischen
Theologie Marcions und auch im wörtlichen Sinne deren Weltanschauung,
im zweiten gegenüber einer Betrachtung der Seele als immateriell.
Der für Thales behauptete ‚psychische Materialismus‘ im argumentativen Zusammenhang (über die Seele) entspricht den Erwartungen und dem
Interesse Tertullians, der diese philosophische Position gegen eine immaterielle Sichtweise der Seele vorträgt. Es ist festzuhalten, dass sich Tertullian
sein sicherlich auch aus griechischen Quellen gespeistes Wissen über Thales zu Nutze macht und dabei seine eigene Argumentation genau im Blick
hat.
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Minucius Felix (Th 229)
119
2.7 Minucius Felix (Th 229)
Der Dialog Octavius des Marcus Minucius Felix enthält ein Zeugnis über
Thales von Milet.256 Die Bezugnahme auf Thales ist von besonderem Interesse, da sie eine durchaus positive und integrative Sichtweise der griechischen Philosophie bei einem frühen christlichen Autor erkennen lässt. Denn
der Octavius steht am Beginn einer neuen Entwicklung in der lateinischen
Apologetik. Er wendet sich in der literarischen Form des Dialoges in Anlehnung an Cicero an ein gebildetes, nicht-christliches Publikum, verzichtet
aber auf eine nähere Darlegung eigentlich christlicher Glaubensinhalte. Der
Erzähler Marcus Minucius Felix und seine Freunde, Octavius Ianuarius,
ebenfalls ein Christ, und der Nicht-Christ Caecilius Natalis, sind die Gesprächspartner des Dialoges, der mit dem Übertritt des Caecilius zum Christentum endet.
Im ersten Teil des Dialoges (Oct. 5–13) stellt sich Caecilius als Anhänger
der skeptischen Richtung der Philosophie vor und kritisiert neben dem
Verhalten einiger Atheisten sowohl die christliche Religion als auch deren
Anhänger (Oct. 8–13). Im Anschluss an ein kurzes Zwischenspiel („Interludium“, Oct. 14), in dem sich Minucius Felix über die Macht der Rhetorik
äußert, folgt die zweite Rede (Oct. 16–38). In dieser versucht der Christ
Octavius Ianuarius die gegen die Christen geäußerten Vorwürfe zu widerlegen und für die Überlegenheit der christlichen Lehre und Lebensführung zu
argumentieren. Die Funktion des Dialoges ist also sowohl apologetisch als
auch protreptisch, wie die Bekehrung des Caecilius Natalis am Ende des
Dialoges (Oct. 39–40) veranschaulicht.
Kontext zu Th 229
Caecilius Natalis argumentiert in seiner Rede unter anderem für eine mechanistische Kosmologie, die keines planenden oder ‚künstlerischen‘ Gottes bedürfe (Oct. 5.6–9) und die Annahme einer göttlichen Vorsehung ausschließe (Oct. 5.10–13). Dagegen betont der Christ Octavius die Ordnung
und Harmonie des Universums, welche die Existenz Gottes beweise und
die Annahme einer göttlichen Vorsehung voraussetze (Oct. 17–18). Für die
256
Über die Person und das Leben des Marcus Minucius Felix ist nur sehr wenig bekannt. Die meisten Informationen sind nur aus seiner Schrift Octavius zu gewinnen.
Für weiterführende Literatur cf. Windau (1998) 441–442. Zur Textgeschichte des
Octavius und einigen textkritischen Problemen cf. Abel (1967) bes. 248–249. Für
eine Auswahl an Editionen, Kommentaren und Übersetzungen cf. Pellegrino (1963),
Beaujeu (1964), Clarke (1974) 263–265 sowie Kytzler (1965).
120
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Plausibilität seiner Weltanschauung beruft sich Octavius sowohl auf die
Dichter als auch auf die Philosophen (Oct. 19–20.1). Bei den Dichtern (poetas) trifft Octavius auf die Vorstellung von einem Gott, der auch als spiritus
(Geist) und mens (Verstand) bezeichnet wird.257 Im Anschluss an die Dichter (Oct. 19.3) werden die Philosophen zum Thema der ‚Einheit Gottes‘ befragt.
Gehen wir, wenn es genehm ist, die Lehre der Philosophen durch. Du
wirst finden, dass sie zwar in der Ausdrucksweise verschieden sind, aber
sich dennoch der Sache nach in dieser einen Ansicht zusammenfinden
und übereinstimmen.
Recenseamus, si placet, disciplinam philosophorum: deprehendes eos,
etsi sermonibus variis, ipsis tamen rebus in hanc unam coire et conspirare sententiam.258
Die als „ungeschliffen“ (rudes) und „alt“ (veteres) bezeichneten Philosophen, „die sich wegen ihrer Aussprüche (de suis dictis) den Namen der Weisen (sapientes) erworben haben“, werden an dieser Stelle von Octavius ausgelassen (omitto).259 Die Aufzählung der Philosophen beginnt mit Thales
(omnium primus). Er soll als Erster von allen (primus omnium) eine Erörterung über die himmlischen Dinge angestellt haben (disputavit de caelestibus). Auf ihn folgen Anaximenes, Diogenes von Apollonia, Anaxagoras
und weitere Philosophen aus der frühgriechischen, klassischen und hellenistischen Zeit, die jeweils mit ihrer Meinung über Gott angeführt werden.
Th 229 Minucius Felix, Octavius 19.4–5 (ed. Kytzler)
Sit Thales Milesius omnium primus, qui primus omnium de caelestibus disputavit. idem Milesius Thales rerum initium aquam dixit, deum autem eam
257
258
259
Cf. Oct. 19.1–2 Audio poetas quoque unum patrem divum atque hominum praedicantes, et talem esse mortalium mentem, qualem parens omnium diem duxerit. quid?
Mantuanus Maro nonne apertius proximius verius „principio“ ait „caelum ac terras“ et cetera mundi membra „spiritus intus alit et infusa mens agitat, inde hominum
pecudumque genus“ et quicquid aliud animalium? idem alio loco mentem istam et
spiritum deum nominat. haec enim verba sunt: „deum namque ire per omnes terrasque tractusque maris caelumque profundum, unde homines et pecudes, unde imber et
ignes.“ quid aliud et a nobis deus quam mens et ratio et spiritus praedicatur?
Cf. dazu Beaujeu (1964) 107–108 und Clarke (1974) 263–265.
Oct. 19.3.
Oct. 19.4 Omitto illos rudes et veteres, qui de suis dictis sapientes esse meruerunt.
Minucius Felix (Th 229)
121
mentem, quae ex aqua cuncta formaverit. esto260 altior et sublimior aquae et
spiritus ratio, quam ut ab homine potuerit inveniri, a deo traditum; vides
philosophi principalis nobiscum penitus opinionem consonare. [5] Anaximenes deinceps et post Apolloniates Diogenes aera deum statuunt infinitum
et inmensum; horum quoque similis de divinitate consensio est.
Th 229 Minucius Felix, Octavius 19.4–5
Thales von Milet möge zuerst genannt sein, der als Erster von allen eine
Erörterung über himmlische Dinge angestellt hat. Eben dieser Thales aus
Milet sagte, dass das Wasser das Prinzip aller Dinge sei, Gott aber der Geist,
der aus Wasser alles gebildet habe. Gut, eine Theorie von Wasser und Geist,
höher und erhabener, als dass sie von einem Menschen erfunden werden
könnte; von Gott wurde sie übergeben.261 Du siehst, dass die Meinung des
Vaters der Philosophie ganz mit der unsrigen in Einklang steht. [5] Anaximenes darauf und später Diogenes der Apolloniate erklären die Luft für
einen unendlichen und unermesslichen Gott; auch sie haben also eine ähnlich übereinstimmende Ansicht über die Gottheit.
Attribute
Milet
Philosoph: Erster und Ältester der Philosophen
Prinzip Wasser
Gott [als Geist des Kosmos]
Gott als Schöpfergeist, der aus Wasser alles gebildet hat
Funktion der Bezugnahme
Neben der einführenden Charakterisierung des Thales als einen Himmelsforscher werden ihm von Octavius zwei Thesen zugeschrieben: (1) Erstens
die Wasserthese (rerum initium aquam); (2) zweitens die These, dass Gott
Geist sei (deum autem eam mentem). Diese beiden Thesen werden kombiniert und weiter spezifiziert, insofern Octavius hinzufügt, dass Gott jener
260
261
esto Vahlen: eo cod. Wöhrle (2009) liest mit Vahlen (1970) 651–657, „esto“: „esto altior et sublimior aquae et spiritus ratio, quam ut ab homine potuerit inveniri, a deo
traditum.“ Vahlen bemerkt ebd. 656: „Denn dürfte man annehmen, nicht eo, sondern
ēo sei geschrieben gewesen, d. i. esto (wie in der Pariser Handschrift selbst ē für est
geschrieben wird), so wäre dem Gedankengefüge die einräumende Form gewonnen,
nach der wir suchten.“ Clarke (1974) 83, der die Stelle selbst mit einer Crux versieht,
übersetzt ähnlich wie Wöhrle (2009): „We must confess that it is a theory of water and
spirit at once too profound and too lofty for human discovery; it was taught by God.“
Siehe dazu Buchheit (2006) 350–358.
122
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Geist sei, der alles aus dem Wasser geformt habe (eam mentem quae ex aqua
cuncta formaverit). Aufschlussreich ist ein Vergleich dieser Stelle mit Cicero, De natura deorum 1.10.25 = Th 72, genauer mit dem Referat, das der
Epikureer Velleius in polemischer Absicht dort gibt:262
Thales enim Milesius, qui primus de talibus rebus quaesivit, aquam dixit
esse initium rerum, deum autem eam mentem, quae ex aqua cuncta fingeret: […].
Es folgt zum Vergleich der Text des Octavius 19.4 = Th 229:263
(i) sit Thales Milesius omnium primus, qui primus omnium de caelestibus
disputavit. (ii) idem Milesius Thales rerum initium aquam dixit, deum
autem eam mentem, quae ex aqua cuncta formaverit. (iii) esto altior et
sublimior aquae et spiritus ratio, quam ut ab homine potuerit inveniri, a
deo traditum.
Vergleicht man die ersten beiden Sätze (i) und (ii) des Octavius mit der Aussage bei Cicero, so könnte man denken, dass die beiden Fassungen nur stilistisch voneinander abweichen.264 Bei diesen Aussagen (i) und (ii) handelt
es sich ähnlich wie bei Cicero um eine Verbindung der Wasserthese mit der
‚Gott-ist-Geist‘-These. Die Verbindung dieser beiden Aussagen findet sich
in der lateinischen Tradition zum ersten Mal bei Cicero (später auch bei
Laktanz Th 254, dagegen Augustinus Th 311). In der griechischen Tradition findet sich die ‚Gott-ist-Geist‘-These (in der Formulierung: L.)«
" " ) in der doxographischen Literatur zum ersten Mal
bei Ps.-Plutarch, Plac. 1.7 unter der Überschrift T!« ² «.265
262
263
264
265
Für weitere Parallelstellen und mögliche Quelltexte cf. den Kommentar von Clarke
(1974) 265 Anm. 236.
Cf. Kytzler (1965) 112; einen Überblick zur Textgeschichte bis zur Budé-Ausgabe
von Beaujeu (1964) gibt Abel (1967) 248–249, zur oben genannten Stelle 264–266.
Es zeigen sich die folgenden Unterschiede:
(1) die zwei hervorgehobenen chiastischen Figuren im Octavius: Thales Milesius –
Milesius Thales, omnium primus – primus omnium,
(2) die unterschiedlichen Verben: quaerere – disputare, fingere – formare (mit Tempuswechsel),
(3) an Stelle von de talibus rebus bei Cicero de caelestibus im Octavius,
(4) die Wortstellung und die Gliederung der Aussage ist verschieden.
Cf. dazu Becker (1967) 10–12.
Für eine mögliche Erklärung der Genese der ‚Gott-ist-Geist‘-These cf. Mansfeld/
Runia (2009) 177–180. Cf. auch Ps.-Plutarch Th 149, Athenagoras Th 186, Clemens
Minucius Felix (Th 229)
123
In der abschließenden Stellungnahme (iii) des Octavius zeigt sich die Beurteilung der zuvor genannten Aussagen, die Thales zugeschrieben werden.266 Octavius konstatiert zum einen, dass die Theorie des Thales höher
und feiner sei (altior et sublimior), als dass sie von einem Menschen (quam
ut ab homine) erfunden werden könnte (potuerit inveniri). Mit dieser Aussage weist Octavius darauf hin, dass die Überlegung des Thales nicht von
diesem selbst stamme, sondern auf eine Offenbarung Gottes zurückgehe
(a deo traditum).267 Als einen möglichen Vergleichstext aus der jüdischchristlichen Tradition ist an den Schöpfungsbericht Gen 1,2 („[…] und der
Geist Gottes schwebte auf dem Wasser“) zu denken. Clarke ist der Meinung,
dass die Textpassage auch auf „the waters of baptism“ anspiele.268
In seiner abschließenden Äußerung betont Octavius, dass die Meinung
(opinionem) des Urhebers der Philosophie (philosophi principalis) ganz
(penitus) im Einklang mit der Meinung derjenigen stehe (consonare), die er
in diesem weltanschaulichen Diskurs vertrete (nobiscum). Der Sprecher
Octavius geht von einer Übereinstimmung zwischen den Vorstellungen
auch der folgenden frühgriechischen Philosophen und den christlichen Vorstellungen im Hinblick auf die Einheit Gottes aus.
Im Anschluss an Thales werden Anaximenes und Diogenes von Apollonia genannt, welche die Luft für einen unendlichen und unermesslichen
Gott erklärt hätten. Auch bezüglich dieser beiden hebt Octavius hervor, dass
sie eine ähnlich übereinstimmende Ansicht über die Gottheit haben (similis
de divinitate consensio est). Bemerkenswert ist dabei, dass bei der Aufzählung auf Thales nicht Anaximander, sondern Anaximenes folgt.
Zuletzt sind zwei weitere Aspekte anzumerken: (1) Erstens ist auf den gewichtigen Unterschied in der Thales-Darstellung des Octavius im Vergleich
zu der bei Cicero (Th 72) hinzuweisen. Cicero lässt den Epikureer Velleius
die absurden Annahmen und Widersprüche aller Philosophen im Gegensatz
zur Lehre Epikurs vortragen; bei Minucius Felix hingegen dient der Ab-
266
267
268
Th 207, Hippolytos Th 210, Laktanz Th 254, Th 258, Eusebius Th 272, Th 275,
Aponius Th 338, Kyrill Th 375, Isidor Th 475 und insgesamt die Sim. ‚Gott [als
Geist des Kosmos]‘; dagegen Tertullian Th 216, 218, 219 und Augustinus Th 311.
Zu dieser Stelle, die verschieden korrigiert und verbessert wurde, cf. Vahlen (1970),
Abel (1967) 264–266 und Clarke (1974) 266 Anm. 239 mit weiterführender Literatur.
Cf. zum Ausdruck a deo traditum die Überlegungen von Buchheit (2006) 353–354,
der annimmt, dass „hinter a Deo traditum […] der biblisch fundierte Glaube“ steht,
„dass alle Weisheit von Gott stammt: omnis sapientia a Domino Deo est (Eccl 1,1),
ein Fundamentalsatz des frühen Christentums, der immer wieder betont wird, wenn
der Wahrheitsgehalt antiker Dichtung und Philosophie zur Diskussion steht“.
Cf. Clarke (1974) 266 Anm. 239.
124
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
schnitt nicht der Polemik, sondern soll gerade die Übereinstimmung (consensio/consonare) zwischen den Meinungen der Philosophen und der Lehre
der Christen erkennen lassen.
(2) Nachdem sich Octavius gegen Ende seiner Auflistung der Philosophen zuletzt mit einem gewissen Enthusiasmus auf Platon und besonders
auf dessen Ausführungen im Timaios bezieht, stellt er in Oct. 20.1 fest, dass
er die Meinungen fast (ferme) sämtlicher Philosophen von Rang vorgetragen habe, „die alle den einen Gott (deum unum), wenn auch unter vielerlei
Namen, gelehrt“ haben.269 Pointiert schließt er seine Darlegung zu den Philosophen mit der folgenden These, die sehr aussagekräftig für sein Verständnis der dem Christentum vorausgehenden griechischen Philosophie ist
und sein Selbstverständnis als christlicher Intellektueller näher beleuchtet:
Ja, man könnte meinen, die Christen wären die Philosophen von heute,
oder die Philosophen wären schon damals Christen gewesen!
[…] ut quivis arbitretur aut nunc Christianos philosophos esse aut philosophos fuisse iam tunc Christianos.270
Festzuhalten ist, dass Minucius Felix bereits Thales als dem ersten und ältesten der griechischen Philosophen eine geistige Konzeption Gottes zuschreibt
und diese mit der Wasserthese zur Vorstellung eines Schöpfergottes verbindet.
Literatur
Abel, K., Minucius Felix: „Octavius: Das Textproblem“, Rheinisches Museum für Philologie 110, 1967, 248–283.
Beaujeu, J., Minucius Felix. Octavius, Paris 1964.
Becker, C., Der ‚Octavius‘ des Minucius Felix, München 1967.
Buchheit, V., Vergil und Thales bei Minucius Felix, Rheinisches Museum für Philologie
149, 2006, 350–358.
Clarke, G. W., Octavius, New York u.a. 1974.
Kytzler, B., Octavius, München 1965.
Mansfeld, J., Runia, D. T., Aëtiana. The Method and Intellectual Context of a Doxographer, Vol 2: The Compendium, Part One, Leiden/Boston 2009.
Pellegrino, M., M. Minucii Felicis. Octavius, Corpus Scriptorum Latinorum Paravianum,
Turin 1963.
Vahlen, J., Gesammelte philologische Schriften, 1. Teil, Schriften der Wiener Zeit
1858–1874, Berlin/Leipzig 1911, ND Hildesheim/New York 1970.
Windau, B., Art. Minucius Felix, LACL, 1998, 441–442.
269
270
Cf. Oct. 20.1 Exposui opiniones omnium ferme philosophorum, quibus inlustrior gloria est, deum unum multis licet designasse nominibus […].
Oct. 20.1.
Hermias (Th 230)
125
2.8 Hermias (Th 230)
Hermias, Irrisio gentilium philosophorum
Die dem ansonsten unbekannten Philosophen Hermias zugeschriebene
Verspottung der nicht-christlichen Philosophen (irrisio gentilium philosophorum)271 wird mit einer Anspielung auf ein Zitat aus dem ersten Korintherbrief des Apostels Paulus eingeleitet.272 In seiner Mahnung an die
Korinther, dass „die Weisheit dieser Welt Torheit vor Gott ist“ (1 Kor 3,19)
soll der Apostel vom Abfall der Engel ausgegangen sein,273 der die Ursache
dafür sei, dass die Philosophen untereinander weder Übereinstimmendes
noch Einstimmiges in der Darlegung ihrer Lehrsätze ( ) hervorbrächten.274 Dem Genre der Verspottung gemäß verfolgt die Schrift das
Ziel, die Meinungen der griechischen Philosophen durchzugehen, um den
bestehenden Gegensatz (/) zwischen ihren Lehren bloßzustellen. Ihre Erforschung der Dinge schreite ins End- und Raumlose fort und ihr
Ziel (µ .«) sei ohne Begründung und ohne Nutzen ($ λ
Ν8), da es sich auf keine feste Tatsache und keine klare Begründung
stütze.275
Kontext zu Th 230
Nachdem bereits zu Beginn der Schrift eine Reihe divergierender Ansichten
über die Seele und deren Natur aneinandergereiht wurden, wird in polemischem Ton bemerkt: „Wie soll man das nun nennen? Wie mir scheint Gaukelei oder Unverstand oder Wahnwitz oder Streit oder alles zugleich.“276
271
272
273
274
275
276
Griechischer Titel: EMEIOY RIOOROY µ« D=( φ.φ(.
Zur Frage, ob die Schrift ursprünglich ein nicht-christliches skeptisches Werk war, zu
dem ein christliches Vorwort hinzugefügt wurde, cf. Mansfeld/Runia (1997) 314–315,
bes. Anm. 71, Hanson (1993) und Kindstrand (1980). Cf. allgemein zu Hermias Skeb
(1998) 283, Waszink (1988) 808–815, Diels (1879) 259–263, Text 649–656, und
Mansfeld/Runia (1997) 314–317.
Cf. dazu Hanson (1993) Appendix I, L’apostasie des anges, source de la philosophie,
123–128.
Cf. irris. 1.4–7 1 0 κ $8κ 9.φ $%µ )« $.( $%!«. ’ b 9! ξ φ( ξ ². ¹ φ.φ %µ« $..&.«
.« /! .
Cf. irris. 19.1–5 T" ξ ! =). *.« 1= κ / 1« σ / λ ³« 9« Ν% 1« λ $ % π
'&« %0( λ µ .« $ λ Ν8, D)
(
λ %&.)
( λ .)
( φ1 **.
Irris. 4.1–2 T" σ ! 8κ .1; ³« ξ /λ 1, ! ν Ν ν
! ν 0 ν ²" %0.
126
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Hermias fordert: „Wenn sie irgendetwas Wahres gefunden haben, so sollen
sie miteinander übereinstimmen oder zusammenstimmen, dann werde auch
ich ihnen mit Freude Glauben schenken.“277 Der Hauptteil der Schrift besteht aus einer Präsentation von Meinungen griechischer Philosophen über
die Prinzipien der Natur (irris. 6.1 %λ « $8« )« φ(«). Bemerkenswert ist dabei zweierlei: (1) Die jeweilige Meinung oder These eines
Philosophen wird zuerst in Kürze als plausibel vorgestellt, um sie dann
durch die alternative These des folgenden Philosophen zu relativieren;
(2) bei dieser Art der Präsentation von Meinungen griechischer Philosophen
wird nicht strikt chronologisch vorgegangen.278 So wird insbesondere
Thales nach Protagoras und Pherekydes nach Aristoteles genannt. Nachdem
bei Protagoras die Relativität und die Anthropozentrik der Erkenntnis betont wurden, kommt die Rede auf Thales und dessen These vom Wasser als
Prinzip.
Th 230 Hermias, Irrisio gentilium philosophorum 10
(ed. Hanson)
#A..8 L.)« κ $.& ²'« J( "
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Th 230 Hermias, Verspottung der heidnischen Philosophen 10
Andernorts nickt mir Thales die Wahrheit zu, indem er das Wasser als das
Prinzip des Alls definiert. Und aus dem Feuchten entsteht alles und in das
Feuchte löst es sich auf, und die Erde bewegt sich auf dem Wasser. Weshalb
also soll ich nicht Thales, dem älteren der Ionier, vertrauen? Aber sein Mitbürger Anaximander sagt, dass die ewige Bewegung ein älteres Prinzip sei
als das Feuchte, und dass durch sie das eine entstehe, das andere zugrunde
gehe. Und also soll Anaximander vertrauenswürdig sein.
277
278
Irris. 4.2–4 E9 $.ξ« &, ²0( ν (,
$Ω Ν« 1« %& […].
Auf Anaxagoras folgen Melissos und Parmenides, Anaximenes, Empedokles, Protagoras, Thales, Anaximander, Archelaos, Platon, Aristoteles, Pherekydes, Leukipp,
Demokrit, Heraklit, Epikur, Kleanthes, sodann Karneades und Kleitomachos („welche alle Lehren der übrigen vernichteten“), Pythagoras und Epikur.
Hermias (Th 230)
127
Attribute
Prinzip Wasser
Alle Dinge entstehen aus dem Feuchten und lösen sich wieder ins Feuchte auf
Erde ruht auf dem Wasser
Ionier
Funktion der Bezugnahme
Hermias präsentiert die These vom Wasser als Prinzip in Form einer Definition (irris. 10.1 ²'«), die in Kürze expliziert wird: Alles entstehe
aus dem Feuchten und es löse sich auch wieder darin auf. Auch bewege sich
die Erde auf dem Wasser.279 Hermias stellt nun die rhetorische Frage, weshalb er nicht „Thales, dem älteren der Ionier“ vertrauen solle. Diese beantwortet er mit der als Antithese gegen Thales präsentierten Meinung dessen
„Mitbürgers“ Anaximander (irris. 10.4 $..’ ² %.!« "), der Hermias
zufolge die ewige Bewegung (irris. 10.5 κ $! !) als früheres
Prinzip gegenüber dem Feuchten annehme. Damit scheint der Zweck und
das Ziel der Argumentation erfüllt: Die verschiedenen Antworten bezüglich
der Prinzipien der Natur dienen dazu, die Inkohärenz der griechischen Philosophen untereinander zu veranschaulichen.280 Mansfeld/Runia kommen
zu dem Schluss, dass das Werk des Hermias zwar Material enthalte, das
Ähnlichkeit zu Ps.-Justin und Nemesios aufweise und in Verbindung mit der
breiteren Placita-Tradition stehe, jedoch keine direkte Verbindung zum
Kompendium des Aëtios zeige.281
Wie bereits bei Tatian (orat. 26.2), so findet sich auch bei Hermias (irris.
5.3–7) eine Formulierung, die scheinbar topisch – ohne auf die BrunnenfallAnekdote und den Namen des Thales anzuspielen – Kritik an dem naturphilosophischen und theologischen Interesse sowie der Wissbegierde der Philosophen im Allgemeinen übt:
Denn sie besitzen die Kühnheit, um nicht zu sagen die Unverfrorenheit,
dass sie, die nicht einmal imstande sind, ihre eigene Seele zu erforschen,
Untersuchungen über die Natur der Götter selbst anstellen und sich, obwohl sie über ihren eigenen Körper nichts wissen, um die Natur des Weltalls abmühen.
279
280
281
Cf. dazu Aristoteles Th 27 und die Sim. ‚Erde ruht auf dem Wasser‘.
Cf. zu den möglichen Quellen des Hermias Skeb (1998) 283.
Cf. Mansfeld/Runia (1997) 314–317, bes. 316–317 mit Verweis auf Hanson (1993)
28–32. Cf. dazu auch Diels (1879) 259–263.
128
Textzeugnisse aus dem 2. und 3. Jahrhundert
Kλ !κ" $! D8, o κ κ /%.=! F%(.
O¹ κ 9! ?8κ 1 0, '" κ , λ ¹ µ F 9« κ " φ %0'.282
Diese satirische Äußerung veranschaulicht nochmals die Gesamteinschätzung der Philosophen in der Darstellung des Hermias. Es ist festzuhalten,
dass der namentlichen Bezugnahme auf Thales und die weiteren Philosophen im Rahmen der Argumentation des Hermias die Funktion zukommt, in
polemischer und äußerst verkürzter Form die Meinungsverschiedenheiten
unter den Philosophen herauszustellen und so diese selbst sowie ihre Lehrmeinungen zu diskreditieren.
Literatur
Diels, H., Doxographi Graeci, Berlin 1879, ND 1965.
Hanson, R. P. C. et al. (Hrsg.), Hermias. Satire des philosophes païens, SC 388, Paris
1993.
Kindstrand, J. F., The date and character of Hermias’ Irrisio, VC 34, 1980, 341–357.
Mansfeld, J., Runia, D. T., Aëtiana. The Method and Intellectual Context of a Doxographer, Vol. 1. The Sources, Leiden/New York/Köln 1997.
Skeb, M., Art. Hermias, LACL, 1998, 283.
Waszink, J. H., Art. Hermias, RAC 14, 1988, 808–815.
282
Irris. 5.3–7.
Hermias (Th 230)
129
3. Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Übersicht der Autoren und Zeugnisse
Laktanz
Arnobius
Eusebius von Cäsarea
Ps.-Justin
Epiphanios von Salamis
Hieronymus
Ambrosius
Rufinos
Insgesamt 42 Zeugnisse
Th 254–258
Th 259
Th 260–285
Th 291–292
Th 293
Th 304–308 (= Th 281–285)
Th 309
Th 310
130
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
3.1 Laktanz (Th 254–258)
Im Werk des um 250 in Nordafrika in der Nähe von Karthago geborenen
Lucius Caecilius Firmianus Lactantius finden sich insgesamt fünf Zeugnisse über Thales.1 Der für seine Nachahmung Ciceros bekannte Laktanz
war vermutlich ein Schüler des Arnobius in Sicca Veneria.2 Zwischen 290
und 300 wurde er von Kaiser Diokletian als Lehrer für lateinische Rhetorik
(rhetor latinus) nach Nikomedien in Bithynien berufen. Nachdem Laktanz
während der diokletianischen Christenverfolgung (Beginn 303) seine
Lehrtätigkeit aufgegeben hatte, setzte er sich fortan als Schriftsteller für die
christliche Religion ein. Wlosok bemerkt treffend, dass Laktanz gegenüber
seinen Vorgängern Tertullian, Minucius Felix und Cyprian, die er selbst
nennt, „die apologetische Aufgabe aus seiner besonderen Situation und den
Bedürfnissen der Zeit heraus neu konzipiert und in den Institutionen das
Programm einer an römische Kreise gerichteten Gebildetenmission, also
einer protreptischen Apologetik, aufgestellt und verwirklicht“3 habe. „Dazu
gehören das Eingehen auf Vorstellungswelt, Denk- und Redeweise der
anderen Seite, die Auseinandersetzung auf literarischer Ebene und dem
Bildungsniveau des Gegners.“4 Im Jahre 314/5 wurde er von Konstantin
als Erzieher des Crispus nach Gallien (wahrscheinlich Trier) geholt. Hieronymus schreibt dazu in De viris inlustribus: „In seinem hohen Alter war
er in Gallien Erzieher des Caesars Crispus, des Konstantinsohnes, der später von seinem Vater umgebracht wurde.“5 In seinem Hauptwerk, den Divinae institutiones (Göttliche Unterweisungen), finden sich insgesamt vier
Bezugnahmen auf Thales (Th 254–257).6 Die Kurzform seines Hauptwerkes, die so genannte Epitome,7 enthält hingegen nur ein Zeugnis über Thales (Th 258).
1
2
3
4
5
6
7
Cf. zu Leben und Werk Fàbrega (2008) 795–825 und Wlosok (1989).
Cf. Hier. vir. ill. 80 Firmianus, qui et Lactantius, Arnobii discipulus, sub Diocletiano
principe accitus cum Flavio grammatico […].
Wlosok (1989) 380.
Ebd. 380.
Hier. vir. ill. 80 […] Hic in extrema senectute magister Caesaris Crispi, filii Constantini, in Gallia fuit, qui postea a patre interfectus est. Cf. dazu Steinhausen (1951)
126–154.
Der Titel lehnt sich an juristische Handbücher wie die Institutiones des Ulpianus oder
des Gaius an.
Cf. dazu Dammig (1957), Perrin (1987) und Opelt (1962) 944–973.
Laktanz (Th 254–258)
131
Laktanz, Divinae Institutiones
In den Divinae institutiones bezieht sich Laktanz in drei Büchern insgesamt
vier Mal auf Thales: Im ersten Buch Über die falsche Religion (de falsa religione), im zweiten, das Von der Quelle des Irrtums (de origine erroris)
handelt, sowie im vierten Buch, in dem er seine Überlegungen Über die
wahre Weisheit und Religion (de vera sapientia et religione) ausführt.8 Das
Werk, das sich an „ein breites, intellektuell interessiertes Publikum von
Christen und Heiden (inst. 5.1.8f.)“9 wendet, verfasste Laktanz während der
Großen Verfolgung (303–313); die genaue Datierung ist jedoch umstritten.10
Kontext zu Th 254
Im ersten Buch der „göttlichen Unterweisungen“ handelt Laktanz von der
falschen Religion (de falsa religione). Zu Beginn des fünften Kapitels
(inst. 1.5.1) betont er, dass er bei seiner Beweisführung (probatio) auf die
Zeugnisse der Propheten verzichten und diese vollkommen übergehen
wolle (omittamus sane testimonia prophetarum), da ihnen wenig Glauben
geschenkt werde.11 Stattdessen möchte er (inst. 1.5.2) sich den Autoren
(auctores), den Dichtern und Philosophen, zuwenden und eben diese zum
Erweis der Wahrheit (ad ueri probationem) als Zeugen zitieren (testes citemus), die man gewöhnlich gegen die Christen (contra nos) gebrauche (uti
solent).12 Laktanz vertritt dazu die folgende These (inst. 1.5.2):
Aus diesen müssen wir den einen Gott beweisen, nicht weil jene die
Wahrheit als erkannte in ihrem Besitz gehabt hätten, sondern weil die
Kraft der Wahrheit selbst so groß ist, dass niemand so blind sein kann,
den sich seinen Augen aufdrängenden göttlichen Glanz nicht zu sehen.
ex his unum Deum probemus necesse est, non quod illi habuerint cognitam ueritatem, sed quod ueritatis ipsius tanta uis est, ut nemo possit esse
tam caecus, quin uideat ingerentem se oculis diuinam claritatem.
8
9
10
11
12
Zu einer Gesamtgliederung der Institutiones sowie der einzelnen sieben Bücher cf.
Pichon (1901) 267–283, bes. 275–279.
Fàbrega (2008) 797.
Cf. ebd. 797.
Cf. inst. 1.5.1 Sed omittamus sane testimonia prophetarum, ne minus idonea probatio
uideatur esse de his quibus omnino non creditur.
Cf. inst. 1.5.2 ueniamus ad auctores et eos ipsos ad ueri probationem testes citemus,
quibus contra nos uti solent, poetas dico ac philosophos.
132
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Obwohl die Dichter (inst. 1.5.3) in ihren Liedern (carminibus) die Götter
verherrlichten (ornauerint) und ihre Taten (eorum res gestae) mit höchstem
Lob rühmten (amplificauerint), hätten sie sich dennoch (tamen) nach der
Einschätzung des Laktanz sehr oft (saepissime) dazu bekannt (confitentur),
dass durch einen Hauch oder Geist (spiritu uel mente una) alles zusammengehalten und regiert werde (contineri regique omnia). Somit befasst sich
Laktanz, ähnlich wie Minucius Felix im Octavius 19.1–2, zuerst mit den
Dichtern, jedoch insgesamt um einiges ausführlicher. Während Laktanz auf
die griechischen Dichter Orpheus, Homer und Hesiod sowie die lateinischen Dichter Vergil und Ovid eingeht, bezieht sich Minucius Felix im
Octavius 19.2 lediglich auf Vergil („Mantuanus Maro“) und drei Textpassagen aus seinen Werken.13
Bereits bei Orpheus (inst. 1.5.4–7), dem ältesten der Dichter (uetustissimus poetarum) und „einem Zeitgenossen der Götter selbst“ (aequalis ipsorum deorum) kann Laktanz Tendenzen eines Henotheismus ausmachen.14
Bei Homer (inst. 1.5.8) hingegen stellt er fest, dass dieser nichts zur Annäherung an die Wahrheit beitragen könne, da er eher über Menschliches als
über Göttliches geschrieben habe.15 Auch Hesiod (inst. 1.5.8–10) könne
trotz seines Werkes, das er über die Entstehung der Götter (deorum generationem) verfasst habe, nichts beitragen, weil er nicht von einem Schöpfergott ausging (non a deo conditore sumens exordinum), sondern vom Chaos
(sed a chao), von dem er jedoch nicht weiter erklärte (explanare), woher,
wann und wie (unde quando quomodo) dieses selbst zu sein oder zu bestehen angefangen habe. Der lateinische Dichter Vergil hingegen (inst.
1.5.11–12), den Laktanz als „Ersten der Unseren“ (nostrorum primus) bezeichnet,16 sei nicht weit von der Wahrheit entfernt gewesen (non longe afuit
13
14
15
16
Cf. zum Verhältnis des Laktanz zur Dichtung Messmer (1974), Goulon (1978)
107–152, bes. 122ff. und Diskussion 153–156, Hose (2006) 81–84, 88 sowie zu seiner
Poetologie und apologetischen Strategie bezüglich der Dichterzitate die Untersuchung
von Walter (2006) 96–129.
Cf. dazu inst. 1.5.4 […] deum uerum et magnum %( appellat, quod ante ipsum nihil sit genitum, sed ab ipso sint cuncta generata. eundem etiam R0 nominat, quod cum adhuc nihil esset, primus ex infinito apparuerit et extiterit.
Inst. 1.5.6 […] natura igitur et ratione ducente intellexit esse praestantissimam potestatem, caeli ac terrae conditricem.
Inst. 1.5.7 […] haec eum ratio perduxit ad deum illum primogenitum, cui adsignat et
tribuit principatum.
Cf. dazu Walter (2006) 125–126 Anm. 143.
Cf. inst. 1.5.8 Homerus nihil nobis dare potuit quod pertineat ad ueritatem, qui humana potius quam diuina conscripsit.
Cf. dazu Courcelle (1964) 34–42.
Laktanz (Th 254–258)
133
a ueritate), insofern er (inst. 1.5.11) den höchsten Gott (de summo deo) als
Geist (mentem) und Hauch (spiritum) bezeichnet habe (nominauit).17
Schließlich spreche auch Ovid (inst. 1.5.13) davon, dass die Welt (mundum)
von Gott, den er „Bildner der Welt“ (fabricatorem mundi) und „Werkmeister der Dinge“ (rerum opificem) nenne, erstellt worden sei. Zusammenfassend stellt er zu den Dichtern fest (inst. 1.5.14):
Wenn Orpheus oder diese Unsrigen das, was sie durch die Führung der
Natur erkannt haben, beständig verteidigt hätten, hätten sie dieselbe
Lehre, der wir folgen, wenn sie die Wahrheit ganz erfasst hätten, festgehalten.
quodsi uel Orpheus uel hi nostri quae natura ducente senserunt in perpetuum defendissent, eandem quam nos sequimur doctrinam comprehensa
ueritate tenuissent.
Im Anschluss an die Dichter kommt Laktanz in inst. 1.5.15 auf die Philosophen zu sprechen.18 Er hebt hervor, dass ihr Ansehen (auctoritas) gewichtiger (grauior) und ihr Urteil (iudicium) sicherer (certiusque) sei. Für diese
Auffassung liefert er die folgende Begründung: Von den Philosophen
glaube man (creduntur), dass sie nicht „fiktive“ oder „erdichtete“ Gegenstände erforschten, sondern sich vielmehr ernsthaft um die Erforschung der
Wahrheit bemühten (inuestigandae ueritati studuisse). Thales von Milet
wird als erster der Philosophen angeführt.
Th 254 Laktanz, Divinae institutiones 1.5.15–16
(ed. Heck/Wlosok)
Sed hactenus de poetis. ad philosophos ueniamus, quorum grauior est
auctoritas certiusque iudicium, quia non rebus commenticiis, sed inuestigandae ueritati studuisse creduntur. [16] Thales Milesius qui unus e septem
sapientium numero fuit quique primus omnium quaesisse de causis naturalibus traditur, aquam esse dixit ex qua nata sint omnia, deum autem esse
17
18
Cf. inst. 1.5.11 nostrorum primus Maro non longe afuit a ueritate, cuius de summo
deo, quem mentem ac spiritum nominauit, haec uerba sunt (Verg. Aen. 6.724–727):
„principio caelum ac terras camposque liquentis
lucentemque globum lunae Titaniaque astra
spiritus intus alit totamque infusa per artus
mens agitat molem et magno se corpore miscet.“
Cf. den Philosophenkatalog inst. 1.5.15–23 mit Min. Fel. Oct. 19.3–10.
134
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
mentem quae ex aqua cuncta formauerit. ita materiam rerum posuit in
umore, principium causamque nascendi constituit in deo.
Th 254 Laktanz, Göttliche Unterweisungen 1.5.15–16
Aber soweit zu den Dichtern. Kommen wir zu den Philosophen, deren Autorität von größerem Gewicht und deren Urteil zuverlässiger ist, weil man
meint, dass sie sich nicht um fiktive Dinge, sondern um die Erforschung der
Wahrheit bemüht haben. [16] Thales von Milet, der einer aus der Zahl der
Sieben Weisen war und der als Erster über die Ursachen in der Natur geforscht haben soll, sagte, dass es das Wasser sei, aus dem alle Dinge entstanden seien, dass Gott aber der Geist sei, der alles aus dem Wasser gebildet
habe (vgl. Th 72). So verlegte er den Stoff der Dinge in die Feuchtigkeit,
und das Prinzip und die Ursache ihrer Entstehung legte er in Gott.
Attribute
Philosoph
Milet
Einer der Sieben Weisen
Naturphilosoph
Erforschung der Ursachen in der Natur
Prinzip Wasser: Wasser als Grundstoff, aus dem alles hervorgegangen ist
Gott: Gott-ist-Geist-These
Schöpferthese: Gott hat als Geist alles aus dem Wasser gebildet
Materie der Dinge liegt in der Feuchtigkeit
Prinzip und Ursache der Entstehung liegen in Gott
Funktion der Bezugnahme
Die Ähnlichkeiten der Textstelle sowohl mit der Textpassage aus Ciceros
De natura deorum (Th 72) als auch dem Octavius des Minucius Felix
(Th 229) sind offensichtlich. Thales wird zuerst in seiner ‚Brückenstellung‘
als einer der Sieben Weisen (unus e septem sapientium) und als der Erste
von allen (primus omnium) bezeichnet, der über die Ursachen in der Natur
(de causis naturalibus) Fragen angestellt oder geforscht habe (quaesisse).
Das, was Laktanz berichtet, werde so überliefert (traditur). Wichtig ist jedoch, im Folgenden darauf zu achten, was Laktanz ausdrücklich oder in anderer Weise als Cicero und Minucius Felix artikuliert, sowie auf das, worüber er schweigt. Denn das Besondere des folgenden Referates bei Laktanz
besteht gerade darin, dass er zwar bereits bekannte Elemente aus der lateinischen Überlieferung zu Thales anführt, jedoch diese dem übergeordneten
Ziel und Zweck seiner Argumentation anpasst.
Laktanz (Th 254–258)
135
(1) Zwar referiert Laktanz die These, dass alle Dinge aus dem Wasser entstanden sind (aquam esse dixit ex qua nata sint omnia), doch bezeichnet er
das Wasser dabei – im Gegensatz zu Cicero (Th 72) und Minucius Felix
(Th 229) – ausdrücklich nicht als initium rerum (Cicero) oder rerum initium
(Minucius Felix), d.h. als Anfang oder Ursprung der Dinge.
(2) In einem zweiten Schritt äußert er sich fast im gleichen Wortlaut wie
Cicero und Minucius Felix über die theologische Aussage, die Thales zugeschrieben wird: dass Gott der Geist sei, der aus dem Wasser alles gebildet habe
(deum autem mentem quae ex aqua cuncta formauerit). Während Cicero
(Th 72) das Verb fingere (formen, gestalten, bilden) in der Imperfektform fingeret verwendet, benutzen die beiden christlichen Autoren hingegen das Verb
formare (gestalten, bilden, ordnen) in der Perfektform (formauerit).19
(3) Von besonderem Interesse ist die Erläuterung, die Laktanz auf die
Gott-ist-Geist-These und die Gott-ist-Schöpfer-These folgen lässt. Sie wird
mit ita eingeleitet:
Ita materiam rerum posuit in umore, principium causamque nascendi
constituit in Deo.20
Laktanz schreibt Thales in seiner Erläuterung ausdrücklich einen MaterieGeist-Dualismus zu:
a) materia rerum:
b) principium causamque nascendi:
Feuchtigkeit, Wasser
Gott als mens (Geist)
D.h. als Stoff oder Materie (materia rerum) wird gemäß Laktanz die Feuchtigkeit bestimmt, das Prinzip und die Ursache des Entstehens (principium
causamque nascendi) hingegen wird Gott zugeschrieben. In dieser differenzierenden Erläuterung, die sich so weder bei Cicero noch bei Minucius Felix
findet, liegt der Beitrag des Laktanz. Die Aussage des Laktanz hat die größte
Ähnlichkeit mit der Äußerung des Stobaios (Th 340), der Thales wie Ps.Plutarch (Th 149, Lemma 1.7 !« / ² «) zwar zuschreibt, dass Gott
der Geist des Kosmos sei, jedoch im Unterschied zu diesem die Äußerung
anschließt, dass „das elementartige Feuchte eine Kraft“ durchdringe, „die es
in Bewegung setze“.21
19
20
21
Becker (1967) 11 Anm. 13 bemerkt zum Tempuswechsel, dass das Perfekt formauerit
vielleicht auf den einmaligen Schöpfungsvorgang hinweisen könnte.
Inst. 1.5.16.
Stobaios Anth. 1.1.29b = Th 340. Cf. dazu auch die Sim. ‚Gott [als Geist des Komsos]‘.
136
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Bemerkenswert für den argumentativen Zusammenhang des Laktanz ist,
dass er in seinem Referat klar herausstellt, dass Thales von einem Gott als
Geist (mens) ausgegangen sein soll. Es ist weiter wichtig zu sehen, dass
Laktanz im darauffolgenden Kontext in einem ersten Fazit (inst. 1.5.21)
darauf aufmerksam macht,22 dass zwar die Lehre aller Philosophen unsicher
(incerta) sei, sie jedoch alle darin übereinstimmten (consentiant), dass
es eine Vorsehung gebe (prouidentiam unam).23 Laktanz gibt dazu die folgende Begründung (inst. 1.5.21):
Denn man mag es Natur oder Äther oder Sinn oder Verstand oder Schicksalsnotwendigkeit oder göttliches Gesetz oder irgendetwas anderes nennen, es ist dasselbe, was von uns Gott genannt wird.
siue enim natura siue aether siue ratio siue mens siue fatalis neccessitas
siue diuina lex siue quid alius dixeris, idem est quod a nobis dicitur deus.
*
Kontext zu Th 255
Im zweiten Buch handelt Laktanz Über den Ursprung des Irrtums (de origine erroris).24 In inst. 2.9.1 äußert er, dass er sich in diesem Kapitel der
göttlichen Schöpfung der Welt (ad divinam mundi fabricam) zuwende, die
in den geheimnisvollen Schriften der heiligen Religion überliefert werde (in
arcanis religionis sanctae litteris traditur). Der französische Übersetzer
Monat bemerkt zur Grundstruktur des Kapitels: „Tout au long de ce chapitre, Lactance présente un monde créé par Dieu sur un modèle binaire, composé de couples d’éléments fondamentaux et antagonistes.“25 Im unmittelbaren Kontext der Bezugnahme auf Thales geht es um die Entstehung aller
Dinge. Laktanz vertritt die These (inst. 2.9.15), dass es zwei grundlegende
Prinzipien (duo illa principalia) gebe: die Wärme/Hitze (calor) einerseits
und die Feuchtigkeit (umor) andererseits, wobei beide unterschiedliche und
einander entgegengesetzte Vermögen besäßen. Gott habe diese in wunder22
23
24
25
Cf. inst. 1.5.21 horum omnium sententia quamuis sit incerta, eodem tamen spectat, ut
prouidentiam unam esse consentiant.
Zur natürlichen Gotteserkenntnis bei Laktanz cf. Bender (1983).
Zur Absicht des zweiten Buches cf. inst. 2.1.1 […] hic secundus liber fontem ipsum
patefaciet errorum causasque omnes explicabit, quibus decepti homines et primitus
deos esse crediderint et postmodum persuasione inueterata in susceptis prauissime religionibus perseuerarint.
Monat (1987) 138 Anm. 2. Cf. dazu auch Perrin (1981) 352–356.
Laktanz (Th 254–258)
137
barer Weise (mirabiliter) ersonnen (excogitauit), um alle Dinge entstehen
und erhalten zu lassen (ad sustentanda et gignenda).26 Weiter bemerkt er
(inst. 2.9.16), dass sich die Kraft Gottes (uirtus dei) in der Hitze und im
Feuer (in calore et igni) befunden habe. Nichts (nec) hätte jedoch entstehen
(nasci) noch (nec) erhalten (cohaerere) bleiben können, ohne sogleich (statim) durch eine Verbrennung (conflagratione) getötet zu werden, wenn Gott
nicht (nisi) die Glut und Kraft durch Hinzumischung von feuchter und kalter
Materie (umoris ac frigoris materia) temperiert hätte (temperasset). Aus
diesem Grund (unde), so behauptet Laktanz (inst. 2.9.17), hätten sowohl
gewisse Philosophen wie Dichter davon gesprochen (dixerunt), dass die
Welt (mundum) aus einer discordi concordia, einer „Einheit der Gegensätze“, bestehe (constare).27 Doch den Grund dafür hätten sie ganz und gar
nicht gesehen (sed rationem penitus non uidebant). Im Anschluss an diese
These führt Laktanz die Prinzipienannahmen des Heraklit und des Thales an
(inst. 2.9.18): Nach Heraklit seien alle Dinge (omnia) aus Feuer hervorgegangen (ex igni nata esse), nach Thales jedoch aus dem Wasser (ex aqua).
Laktanz urteilt, dass jeder von den beiden (uterque) frühgriechischen Philosophen zwar etwas sah (uidit aliquid), sich aber dennoch ein jeder von beiden (uterque) irrte (errauit). Er begründet (quod) sein Urteil ausgehend von
der folgenden Annahme über die beiden Elemente „Wasser“ und „Feuer“:
Wenn nur (si solum) eines von beiden (alterutrum) existiert hätte (fuisset),
hätte weder (neque posset) Wasser aus Feuer, noch umgekehrt (nec rursus)
Feuer aus Wasser entstehen können (nasci posset). Laktanz hält die Ansicht
für wahrscheinlicher (uerius), dass alle Dinge (cuncta) zusammen aus einer
Mischung der beiden (simul ex utroque permixto) erzeugt werden (generari).28
26
27
28
Cf. inst. 2.9.15 duo igitur illa principalia inueniuntur, quae diuersam et contrariam
sibi habent potestatem, calor et umor, quae mirabiliter deus ad sustentanda et gignenda omnia excogitauit. Zu beachten ist die Hysteron-Proteron-Stellung ad sustentanda et gignenda.
Cf. dazu Perrin (1981) 354.
Die Argumentation gegenüber der Annahme des Heraklit und des Thales ist mit dieser
ersten Annahme (inst. 2.9.18, si) noch nicht beendet. Laktanz begründet im folgenden
Kontext (inst. 2.9.19), dass sich das Feuer nicht mit dem Wasser verbinden könne,
da sich die beiden Elemente feindlich seien (quia sunt utraque inimica). Mit einer
zweiten Annahme (inst. 2.9.19) behauptet er: Angenommen (si), die beiden Elemente
kämen in Kontakt miteinander (comminus uenerint), überrage (superauerit) notwendigerweise (necesse est) eines von den beiden (alterutrum) das andere und verzehre
es (conficiat). Es sei jedoch möglich, dass sich ihre Substanzen (eorum substantiae)
vermischen (permisceri possunt), da die Substanz des Feuers die Hitze/Wärme (substantia ignis calor est), diejenige des Wassers das Feuchte (aquae umor) sei.
138
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Th 255 Laktanz, Divinae institutiones 2.9.18 (ed. Heck/Wlosok)
Heraclitus ex igni nata esse dixit omnia, Thales ex aqua. uterque uidit aliquid, sed errauit tamen uterque, quod alterutrum si solum fuisset, neque
aqua nasci posset ex igni neque rursus ignis ex aqua. sed est uerius simul ex
utroque permixto cuncta generari.
Th 255 Laktanz, Göttliche Unterweisungen 2.9.18
Heraklit sagte, dass aus dem Feuer alle Dinge entstanden seien, Thales aus
dem Wasser. Jeder sah etwas, aber dennoch irrte jeder. Wenn nur ein Element existiert hätte, könnte weder das Wasser aus dem Feuer noch umgekehrt Feuer aus dem Wasser entstehen. Es ist aber wahrscheinlicher, dass
alle Dinge aus einer Mischung der beiden erzeugt werden.
Attribut
Prinzip Wasser
Funktion der Bezugnahme
Durch die Bezugnahme auf Thales und Heraklit sowie deren Prinzipienannahmen veranschaulicht Laktanz im Rahmen seiner Argumentation, wie bereits zwei frühgriechische Philosophen seines Erachtens von einer partiell
zwar richtigen Ansicht ausgingen, jedoch zugleich irrten, indem sie diese,
nur eingeschränkt richtige Ansicht vertraten, die von Laktanz als einseitig
und unhaltbar vorgestellt wird. Der von Laktanz konzipierte Widerspruch
zwischen den beiden Prinzipienannahmen (Wasser) des Thales und (Feuer)
des Heraklit basiert (inst. 2.9.19) auf der Unterscheidung zwischen (a)
Feuer und Wasser als Prinzipien einerseits, die nicht gegenseitig auseinander hervorgehen können, weil sie sich feindlich gesinnt sind, und (b) den
Substanzen (substantiae) des Feuers bzw. des Wassers andererseits, die sich
als Hitze (calor als Substanz des Feuers) und Feuchtigkeit (umor als Substanz des Wassers) miteinander verbinden können. Unmittelbar im Anschluss an diese Distinktionen zitiert Laktanz (inst. 2.9.20) vier Verse aus
den Metamorphosen Ovids (Met. 1.430–433), in denen dieser nach Laktanz
„auf richtige Art und Weise“ (recte igitur Ouidius) über die Zusammensetzung der Welt aus einer Mischung des Feuchten (umor) und der Hitze/Glut
(calor) sowie von einer discors concordia, einer zwieträchtigen Eintracht,
spricht:
Denn es befruchten sich ja, wenn die richtige Mischung gefunden,
Feuchte und Glut
Laktanz (Th 254–258)
139
und entsteht aus diesen beiden doch alles.
Und, ist das Feuer dem Wasser auch feind, so schafft doch die feuchte
Wärme alles
und frommt zwieträchtige Eintracht Geburten.29
quippe ubi temperiem sumpsere umorque calorque,
concipiunt et ab his oriuntur cuncta duobus.
cumque sit ignis aquae pugnax, uapor umidus omnes
res creat et discors concordia fetibus apta est.
*
Kontext zu Th 256
Das dritte Buch der Divinae institutiones, das zwei Zeugnisse über Thales
enthält, handelt Von der falschen Weisheit (de falsa sapientia). Laktanz setzt
sich darin zuerst mit dem Begriff der Philosophie, darauf mit den Meinungen der Philosophen und den verschiedenen Schulen zur Erkenntnis, Moralphilosophie, vor allem der Frage nach dem höchsten Gut (summum bonum),
und zur Logik auseinander. In inst. 3.11.2 konstatiert er, dass der Mensch
nach seiner von Gott gewollten Natur nach zwei Dingen streben und verlangen solle, nach Religion und Weisheit (religionis et sapientiae).30 Doch begingen die Menschen einen Fehler (falluntur), weil sie entweder (aut) die
Religion verteidigten (religionem suscipiunt) und sich unachtsam gegenüber der Weisheit verhielten (omissa sapientia), oder (aut) weil sie sich nur
um die Weisheit bemühten (sapientiae soli student) und die Religion außer
Acht ließen (omissa religione), obgleich das eine nicht ohne das andere
(cum alterum sine altero) wahr sein könne (uerum esse non possit). In inst.
3.13 wird Cicero, den Laktanz zuvor als „den größten Autor der römischen
Sprache“ (ipse ille Romanae linguae summus auctor) bezeichnet, unter anderem für sein überschwängliches Lob der Philosophie in den Tusculanen
(Tusc. 5.5) kritisiert. Im Anschluss an diese Kritik kommt Laktanz auf Lukrez (inst. 3.14.1) zu sprechen, der sowohl gelobt als auch getadelt wird.31
Lukrez gehe einerseits im Vergleich zu Cicero „richtiger“ (rectius itaque
Lucretius) vor, weil er denjenigen preise (cum eum laudat), der die Weisheit
29
30
31
Ovid Met. 1.430–433. Übersetzung Rösch (1961).
Cf. inst. 3.11.2 naturam hominis deus hanc esse uoluit, ut duarum rerum cupidus et
appetens esset, religionis et sapientiae.
Cf. allgemein zum Verhältnis des Laktanz zu Lukrez Pichon (1901) 237–239 und Hagendahl (1983) 45, sowie zur Epikurrezeption bei Laktanz Althoff (1999).
140
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
als Erster erfunden habe (qui sapientiam primus inuenit); andererseits sei
seine Überlegung unpassend (sed hoc inepte), weil (quod) er geglaubt habe
(putauit), dass die Weisheit von einem Menschen erfunden worden sei (ab
hominem inuentam).
Th 256 Laktanz, Divinae institutiones 3.14.4–6
Sed ille ut hominem laudauit, qui tamen ob id ipsum deberet pro deo haberi,
quod sapere inuenerit. nam sic ait:
‚nonne decebit
hunc hominem numero diuum dignarier esse?‘
[5] unde apparet aut Pythagoram uoluisse laudare, qui se primus ut dixi
philosophum nominauit, aut Milesium Thalen, qui de rerum natura primus
traditur disputasse.
Th 256 Laktanz, Göttliche Unterweisungen 3.14.4–6
Aber er [Lukrez] pries ihn wie einen Menschen, der doch gerade deswegen
für einen Gott gehalten werden müsste, weil er die Weisheit fand; denn er
sagt:
„wird sich’s nicht ziemen
dass in der Götter Zahl dieser Mann gewürdiget werde?“ [Lukrez, De
rerum natura 5.50f.]
Daher hat er offenbar entweder Pythagoras preisen wollen, der sich, wie
gesagt, als Erster Philosoph genannt hat, oder Thales von Milet, der sich als
Erster über die Natur der Dinge ausgelassen haben soll.
Attribute
Milet
Naturphilosoph: Thales forscht als Erster über die Natur der Dinge
Funktion der Bezugnahme
Laktanz macht Lukrez den Vorwurf, dass er den Erfinder der Weisheit wie
einen Menschen gelobt habe (ut hominem laudauit), der doch gleichwohl
(tamen) für einen Gott gehalten werden müsse (deberet pro deo haberi),
weil er das Wissen erfand (sapere inuenerit). An diesen Vorwurf schließt
sich das Zitat aus Lukrez (de rer. nat. 5.50b-51). Laktanz kommentiert
diese Aussage folgendermaßen: Lukrez habe an dieser Stelle offenbar (apparet) entweder (aut) Pythagoras preisen wollen, der sich als Erster Philosoph genannt habe (qui se primus […] philosophum nominauit), oder
(aut) Thales von Milet, der sich als Erster über die Natur der Dinge ausgelassen haben soll (de rerum natura primus traditur disputasse). Laktanz
Laktanz (Th 254–258)
141
kritisiert im Anschluss an dieses Zitat, dass Lukrez, insofern er den Menschen zu erheben suchte, die Sache selbst erniedrigt habe. Denn die Weisheit sei nicht groß, wenn sie von einem Menschen entdeckt werden
konnte.
Beide Bezugnahmen auf Lukrez und das fünfte Buch von De rerum natura entstammen dem Proömium (de rer. nat. 5.1–90), das Lukrez einem
Lobpreis Epikurs widmet.32 An beiden Stellen wird im ursprünglichen Kontext bei Lukrez auf Epikur angespielt, der erstens einem Gott gleiche (de rer.
nat. 5.6–8), zweitens aufgrund seiner Leistungen unter die Zahl der Götter
gezählt werden solle (de rer. nat. 5.50b-51). Diese Hintergrundinformationen genügen, um zu verstehen, wie Laktanz durch seine Kommentierung
der zweiten Textpassage aus Lukrez (de rer. nat. 5.50b-51) eine andere Leseweise dieser Verse konstruiert: Nach Laktanz handelt es sich bei dem
Menschen, der „in der Götter Zahl […] gewürdiget werde“, offensichtlich
(apparet) entweder (aut) um Pythagoras oder (aut) Thales. Seine Äußerung
über Pythagoras bezieht sich auf die zu Beginn des dritten Buches (cf. inst.
3.2.6) gemachte Äußerung über den Erfinder des Namens „Philosophie“.33
Der alternativ zu Pythagoras genannte Thales wird wie in Th 254 (cf. auch
Th 257) als erster angeführt, der sich über die Natur der Dinge ausgelassen
haben soll. Welche Funktion hat die Bezugnahme auf die beiden frühgriechischen Philosophen im Zusammenhang mit dem Zitat aus Lukrez (de rer.
nat. 5.50b-51)? Für die Verse, die bei Lukrez fester Bestandteil des Lobes
auf Epikur sind, bietet Laktanz eine Leseweise und Interpretation, bei der
Epikur überhaupt nicht erwähnt wird, sondern an seiner Stelle die zwei frühgriechischen Philosophen angeführt werden. Laktanz passt also das Zitat an
seinen Kontext an. Diese Technik ermöglicht es ihm, Kritik sowohl an Lukrez als auch an den frühgriechischen Philosophen zu üben. Denn indem
Laktanz bemerkt, dass es keine große Sache sei, wenn die Weisheit von
einem Menschen entdeckt worden wäre (non est enim magna, si ab homine
potuit inueniri), gibt er zweierlei zu erkennen: erstens, dass er die Auffassung des Lukrez über die Rolle Epikurs im Hinblick auf die Weisheit an dieser Stelle ignoriert, und zweitens, dass die Auffindung der Weisheit gemäß
der griechischen Tradition ebenfalls nicht die Wahrheit enthält. Dass die
32
33
Cf. zur Gliederung des fünften Buches Erler (1994) 425–427.
Cf. inst. 3.2.6 immo uero Pythagoras, qui hoc primus nomen inuenit, cum paulo plus
saperet quam illi priores qui se sapientes putauerant, intellexit nullo humano studio
posse ad sapientiam perueniri et ideo non oportere incomprehensae atque imperfectae
rei perfectum nomen imponi. itaque cum ab eo quaereretur quemnam se profiteretur,
respondit philosophum, id est quaesitorem sapientiae.
142
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
von Laktanz geäußerte Kritik an Lukrez nicht zu streng bewertet werden
sollte, darauf verweist seine Aussage in inst. 3.14.7, Lukrez solle vergeben
werden, da er ein Dichter sei.34
*
Kontext zu Th 257
Im Zusammenhang mit der zweiten Bezugnahme auf Thales geht es in inst.
3.16.10 um die beiden Begriffe Weisheit (sapientia) und Philosophie (philosophia), deren Stellenwert Laktanz in Auseinandersetzung unter anderem mit ausgewählten Passagen aus Ciceros Dialog Hortensius erörtert.35
Zu bemerken ist, dass der literarischen Figur des Hortensius in dem gleichnamigen, nur fragmentarisch erhaltenen Dialog Ciceros die Rolle eines
Kritikers der Philosophie zukommt.36 Im vorausgehenden Kontext der
Bezugnahme auf Thales bezeichnet Laktanz die Philosophie als eine „Erfindung des menschlichen Denkens“ (humanae cogitationis inuentio est).
Er vertritt die These, dass die Christen die Weisheit (sapientiam) verteidigten (defendimus), weil sie eine göttliche Überlieferung sei (quia diuina traditio est). Darüber hinaus bezeugten die Christen (testamur), dass diese
Weisheit von allen angenommen werden solle (eamque ab omnibus suscipi
oportere). Im Hinblick auf die Figur des kritischen Hortensius, der im ciceronischen Dialog die Philosophie beseitige und nichts Besseres an ihre
34
35
36
Cf. inst. 3.14.7 uerum potest ut poetae dari uenia.
Für die Zeugnisse aus Ciceros Dialog Hortensius im dritten Buch der Institutiones divinae des Laktanz cf. Straume-Zimmermann (1990): Zeugnis 18 (Grilli 55) = Lact.
inst. 3.16.3–6, Zeugnis 49 (Grilli 54) = Lact. inst. 3.16.7–11 und Zeugnis 52 (Grilli 52)
= Lact. inst. 3.16.12–16 = Th 257 sowie die Einzelkommentierung bei Grilli (1962).
Allgemein zum Verhältnis von Laktanz zu Cicero cf. Pichon (1901) 246–266. Zum
dritten Buch der inst. bemerkt Pichon ebd. 259: „Dans le livre III, Lactance est presque
toujours d’accord avec Cicéron, malgré les éloges excessifs que celui-ci donne à la
philosophie. C’est qu’à côté de ces éloges, – le pour et le contre se coudoyant sans
cesse chez lui, – il y a les objections de l’Hortensius, la satire des vices des philosophes
dans les Tusculanes […], toutes choses que Lactance ramasse pour les tourner à son
dessin.“
Cf. dazu die Werkbeschreibung des Hortensius von Gawlick (1994) 1050. Gawlick
bemerkt ebd. zu den Argumenten, die Hortensius vorgebracht haben soll: „Die Philosophie ist im Gegensatz zur Rhetorik nutzlos; sie ist auch überflüssig, weil die
Natur als Lehrmeisterin genügt; ihr spätes Auftreten in der Geschichte widerlegt
schon ihre Unentbehrlichkeit. Der Gegensatz von Theorie und Praxis macht die Philosophie unglaubwürdig. Die Dialektik vernichtet sich selbst, und auf einigen Gebieten wie dem der Theologie führt das philosophische Denken zu paradoxen Resultaten.“
Laktanz (Th 254–258)
143
Stelle setze, bemerkt Laktanz, dass dieser damit auch die Weisheit (sapientiam) selbst zu beseitigen scheine und umso leichter widerlegt werde, weil
klar sei, dass der Mensch nicht zur Torheit, sondern zur Weisheit geboren
sei.37
Th 257 Laktanz, Divinae institutiones 3.16.12–13
Praeterea illud quoque argumentum contra philosophiam ualet plurimum,
quo idem est usus Hortensius, ‚ex eo posse intellegi philosophiam non esse
sapientiam, quod principium et origo eius appareat‘. [13] ‚quando‘ inquit
‚philosophi esse coeperunt? Thales ut opinor primus. recens haec quidem
aetas; […]‘
Th 257 Laktanz, Göttliche Unterweisungen 3.16.12–13
Außerdem hat das Argument, das eben jener Hortensius verwendet [Fr. 52
Grilli], auch starkes Gewicht gegenüber der Philosophie: Weil ihr Anfang
und ihr Ursprung offensichtlich sei, könne ersehen werden, dass die Philosophie keine Weisheit sei. „Wann“, sagte er, „traten die Philosophen auf?
Thales war, wie ich vermute, der Erste. Das ist noch nicht lange her. […].“
Attribut
Erster Philosoph
Funktion der Bezugnahme
Nach Laktanz (inst. 3.16.12) habe das folgende Argument (argumentum)
gegen die Philosophie (contra philosophiam) ein sehr starkes Gewicht (ualet plurimum), das Hortensius in Ciceros gleichnamiger Schrift verwendet
habe (quo idem est usus Hortensius). Es folgt zuerst ein Satz in indirekter
Rede, der das Argument des Hortensius – eine These und ihre Begründung –
enthält:
Weil ihr Anfang und Ursprung offensichtlich sei, könne ersehen werden,
dass die Philosophie keine Weisheit sei.
ex eo posse intellegi philosophiam non esse sapientiam, quod principium
et origo eius appareat.
37
Cf. inst. 3.16.11 ille cum philosophiam tolleret nec melius aliquid adferret, sapientiam
tollere putabatur eoque facilius de sententia pulsus est, quia constat hominem non ad
stultitiam, sed ad sapientiam nasci.
144
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Im Anschluss an dieses Argument folgt ein Zitat in direkter Rede (zu beachten ist das Verb inquit = „sagt er“), das zwei Fragen und eine Antwort enthält:
„Wann“, sagt er, „traten die Philosophen auf? Thales war, wie ich vermute, der erste. Das ist noch nicht lange her. Wo war also bei den Alten
der Trieb, die Wahrheit aufzuspüren?“
,quando‘ inquit ,philosophi esse coeperunt? Thales ut opinor primus. recens haec quidem aetas; ubi ergo apud antiquiores latuit amor iste investigandae veritatis?‘
Laktanz antwortet auf die zuletzt aufgeworfene Frage mit weiteren Zitaten
unter anderem aus Lukrez (idem Lucretius ait)38 und Seneca (et Seneca ,[…]‘
inquit). Das Attribut, als erster (primus) Philosoph aufgetreten zu sein, ist an
dieser Stelle für die Äußerung im Hinblick auf Thales zentral. Folgt man der
Interpunktion der Edition von Heck/Wlosok (so auch in Th 257), lässt sich
der Abschnitt inst. 3.16.13 als Zitat aus dem ciceronischen Dialog Hortensius verstehen.39 Für diese Leseweise spricht das angeführte inquit – „er (sc.
Hortensius) sagt“. Wenn es sich um ein Zitat aus dem Hortensius handelt,
wird sowohl die (rhetorische) Frage, wann die Philosophen aufgetreten
seien, als auch die Antwort (Thales ut opinor primus) von der literarischen
Figur des Hortensius und nicht von Laktanz geäußert. Laktanz kennzeichnet
an anderer Stelle Thales als Mitglied der Sieben Weisen und führt ihn zugleich als Ersten in der Reihe der Philosophen an (cf. Th 254).
*
Kontext zu Th 258
In der ‚Kurzform‘ (Epitome)40 der Göttlichen Unterweisungen, die Laktanz
auf Bitte eines als Bruder angeredeten Pentadius verfasste, findet sich lediglich ein Zeugnis über Thales.41 Bei dieser Schrift, die zwischen 314 und 324,
38
39
40
41
Lukrez de rer. nat. 5.335–337.
Cf. dieselbe Interpunktion bei Straume-Zimmermann (1990) 60, Zeugnis 52, anders
jedoch Grilli (1962) 31, Zeugnis 52, der die Passage ab „quando […]“ nicht als Zitat
aus dem Hortensius versteht.
Cf. dazu grundlegend Dammig (1957) und Heck/Schickler (2001) 30–37, zum Begriff
„Epitome“ allgemein Opelt (1962) 944–973, bes. 966f., Mansfeld/Runia (1997)
182–183, speziell zu Laktanz Perrin (1987) 20–36.
Cf. dazu Fàbrega (2008) 799.
Laktanz (Th 254–258)
145
wohl um 320,42 entstanden ist, handelt es sich nicht nur um einen ‚Auszug‘
aus seinem umfassenden Hauptwerk, sondern auch um eine „revidierte Neuausgabe des größeren Werkes“.43 In der Vorrede betont Laktanz die schwierige Aufgabe, „das, was in sieben sehr großen Buchrollen entwickelt ist, in
eine zusammenzuführen“.44 Im Anschluss an die Praefatio behandelt Laktanz zuerst zwei Fragen: Die erste Frage (epit. 1.1 […] sitne aliqua prouidentia, quae aut fecerit aut regat mundum), ob es irgendeine Vorsehung gibt,
die die Welt entweder geschaffen hat oder lenkt, behandelt Laktanz nur kurz
und positiv (epit. 1.1–2.1); in einem zweiten Schritt versucht er die Frage zu
klären (epit. 2.1 utrumne deus unus an plures), ob es denn nur einen Gott gibt
oder mehrere. Zu Beginn des dritten Kapitels steht ein klares Bekenntnis
zum Monotheismus (Gott sei einer, vollkommen, ewig, unvergänglich, unfähig zu leiden etc.),45 das auch durch die Meinungen der Dichter (epit.
3.3–5), namentlich Orpheus, Vergil („unser Maro“) und Ovid, bezeugt
werde.46 Im Anschluss an die Dichter geht Laktanz im vierten Kapitel auf
die Meinungen der Philosophen ein, deren Autorität (auctoritas) für sicherer
(certior) gehalten werde als die der Dichter (quam poetarum). An erster
Stelle nennt er Platon, Aristoteles und Antisthenes, die jeweils mit einer kurzen These erwähnt werden. Darauf führt er nur die Namen, nicht aber die
einzelnen Thesen einiger frühgriechischer Philosophen (Thales, Pythagoras,
Anaximenes) und späterer (die Stoiker Kleanthes, Chrysipp und Zenon) sowie in deren Nachfolge Seneca (nostrorum Seneca Stoicos secutus) und Cicero (et ipse Tullius) „über den höchsten Gott“ (de summo deo) an.
Th 258 Laktanz, Epitome divinarum institutionum 4.3
(ed. Heck/Wlosok)
Longum est recensere, quae de summo deo uel Thales uel Pythagoras et
Anaximenes antea uel postmodum Stoici, Cleanthes et Chrysippus et Zeno,
uel nostrorum Seneca Stoicos secutus et ipse Tullius praedicauerint, cum hi
42
43
44
45
46
Cf. Heck/Schickler (2001) 30.
Heck/Schickler (2001) 19.
Cf. epit. Pr. 2 faciam quod postulas, etsi difficile uidetur ea, quae septem maximis uoluminibus explicata sunt, in unum conferre.
Cf. epit. 3.1 Unus igitur deus est, perfectus, aeternus, incorruptibilis, impassibilis,
nulli rei potestatiue subiectus, ipse omnia possidens, omnia regens, quem nec aestimare sensu ualeat humana mens nec eloqui lingua mortalis. sublimior enim ac maior
est quam ut possit aut cogitatione hominis aut sermone comprehendi.
Die Propheten werden von Laktanz in seiner Epitome nur kurz erwähnt („um zu schweigen von den Propheten, den Rühmern des einen Gottes“, epit. 3.2). Sie werden erst in
epit. 37.7 als Zeugen Christi angeführt; cf. dazu Heck/Schickler (2001) 56 Anm. 2.
146
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
omnes et quid sit deus definire temptauerint et ab eo solo regi mundum adfirmauerint nec ulli subiectum esse naturae, cum ab ipso sit omnis natura
generata.
Th 258 Laktanz, Epitome der Göttlichen Unterweisungen 4.3
Es wäre zu weitläufig, durchzugehen, was Thales, Pythagoras, Anaximenes
zuvor oder später die Stoiker, Kleanthes, Chrysipp und Zenon, oder von den
Unsrigen in der Nachfolge der Stoiker, Seneca, und unser Tullius [Cicero]
selbst über den höchsten Gott behauptet haben. Sie alle haben versucht zu
bestimmen, was Gott sei, und haben versichert, dass von ihm allein die Welt
regiert werde und dass er nicht Subjekt einer Natur sei, da von ihm selbst
jede Natur erschaffen sei.
Attribute
Gott: Versuch zu bestimmen, was Gott sei
Gott: er regiert die Welt und ist nicht einer anderen Natur unterworfen
Funktion der Bezugnahme
Die Reihe der Philosophen beginnt im Unterschied zu den Institutiones47
nicht mit den frühgriechischen Philosophen Thales, Pythagoras und Anaxagoras, sondern mit Äußerungen zu Platon, Aristoteles und Antisthenes.
Laktanz bemerkt, dass es zu weitläufig wäre, durchzugehen (longum est
recensere), was über den höchsten Gott (de summo deo) etwa Thales oder
Pythagoras und Anaximenes zuvor oder später die Stoiker etc. geäußert hätten (praedicauerint). Mit anderen Worten: Die in seinem Hauptwerk aufgelisteten Thesen zu diesen Philosophen werden aus pragmatischen Gründen
an dieser Stelle nicht nochmals aufgeführt. Anstelle einer Auflistung von
einzelnen Thesen gibt Laktanz eine prägnante Zusammenfassung (epit. 4.3).
Sie umfasst drei wichtige Aspekte, die nach Laktanz alle diese Philosophen
(hi omnes) vertreten haben sollen (et […] et […] nec): (1) Alle hätten
versucht zu bestimmen (definire temptauerint), was Gott sei (quid sit deus),
und bekräftigten (adfirmauerint) im Hinblick auf Gott zwei Aspekte:
(2) zum einen, dass von Gott allein (ab eo solo) die Welt regiert werde (regi
mundum); (3) zum anderen, dass Gott nicht (nec) einer Natur unterworfen
sei (ulli subiectum esse naturae), sondern dass von ihm selbst (ab ipso) jede
Natur (omnis natura) hervorgebracht worden sei (sit […] generata). Durch
diese zusammenfassende Aussage über die genannten Philosophen vertritt
Laktanz im Hinblick auf Thales (auch in Übereinstimmung mit der Bezug47
Cf. inst. 1.5.15ff. = Th 254.
Laktanz (Th 254–258)
147
nahme im ersten Buch seines Hauptwerkes, inst. 1.5.16 = Th 254) eindeutig
die drei Thesen: Dass sich Thales nicht nur (1) mit einer Bestimmung oder
Definition Gottes befasste, sondern (2) eine monotheistische Gottesvorstellung vertrat und (3) annahm, dass Gott selbst Urheber und Ursache aller
Dinge und nicht selbst irgendeiner Natur unterworfen sei.
Literatur
Althoff, J., Zur Epikurrezeption bei Laktanz, in: Fuhrer, T., Erler, M. (Hrsg.), Zur Rezeption der hellenistischen Philosophie in der Spätantike, Stuttgart 1999, 33–53.
Becker, C., Der ‚Octavius‘ des Minucius Felix, München 1967.
Bender, A., Die natürliche Gotteserkenntnis bei Laktanz und seinen apologetischen Vorgängern, Frankfurt a. M./Bern/New York 1983.
Courcelle, P., Virgile et l’immanence divine, in: Stuiber, A. (Hrsg.), Mullus. Festschrift
Theodor Klauser, Münster 1964, 34–42.
Dammig, J., Die Divinae Institutiones des Laktanz und ihre Epitome. Ein Beitrag zur Geschichte und Technik der Epitomisierung, Münster 1957.
Erler, M., Art. Lukrez, Ueberweg: Antike 4/1, Basel/Stuttgart 1994, 381–490.
Fàbrega, V., Art. Lactantius, RAC 22, 2008, 795–825.
Gawlick, G., Art. Cicero, Ueberweg: Antike 4/2, Basel/Stuttgart 1994, 981–1168.
Goulon, A., Les Citations des Poètes latins dans l’œuvre de Lactance, in: Fontaine, J.
(Hrsg.), Lactance et son temps, Paris 1978, 107–152.
Grilli, A., M. Tulli Ciceronis Hortensius, Mailand 1962.
Hagendahl, H., Von Tertullian zu Cassiodor: die profane literarische Tradition in dem
lateinischen christlichen Schrifttum, Göteborg 1983.
Heck, E., Schickler, G., Göttliche Unterweisungen in Kurzform, München 2001.
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Mansfeld, J., Runia, D. T., Aëtiana. The Method and Intellectual Context of a Doxographer, Vol. 1. The Sources, Leiden/New York/Köln 1997.
Messmer, E., Laktanz und die Dichtung, München 1974.
Monat, P., Lactance. Institutions divines II, SC 337, Paris 1987.
Opelt, I., Art. Epitome, RAC 5, 1962, 944.
Perrin, M., L’homme antique et chrétien: L’anthropologie de Lactance, Paris 1981.
Perrin, M., Lactance, Épitomé des Institutions Divines, SC 335, Paris 1987.
Pichon, R., Lactance, Paris 1901.
Rösch, E., Ovid. Metamorphosen, München 1961.
Schwab, A., Gregor von Nazianz. Über Vorsehung, Tübingen 2009.
Steinhausen, J., Hieronymus und Laktanz in Trier, Theologische Zeitschrift 20, 1951,
126–154.
Straume-Zimmermann, L. et alii, Marcus Tullius Cicero. Hortensius, Lucullus Adademici
libri, München/Zürich 1990.
Walter, J., Pagane Texte und Wertvorstellungen bei Lactanz, Göttingen 2006.
Wlosok, A., Art. L. Caecilius Firmianus Lactantius, HLL 5, 1989, § 570, 375–403.
148
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
3.2 Arnobius (Th 259)
Über Arnobius schreibt Hieronymus in seinem Werk De viris inlustribus,
79: „Arnobius war zu Zeiten des Kaisers Diokletian ein äußerst brillanter
Lehrer der Rhetorik in der afrikanischen Stadt Sicca48 und schrieb Bücher
gegen die Heiden, die weite Verbreitung fanden.“49 In seiner sieben Bücher
umfassenden Streitschrift Adversus nationes (Gegen die Heiden) geht es
ihm nicht nur um eine Verteidigung der christlichen Religion.50 Mit den
Mitteln seiner rhetorischen Kunst brilliert er mit scharfer Polemik gegen die
nicht-christlichen Adressaten. Ausgangspunkt ist im ersten Buch die Verteidigung der Christen gegenüber dem antichristlichen Topos, dass die Entstehung des Christentums für alles Unglück und Elend auf der Welt verantwortlich sei. Das zweite Buch hat unter anderem die Inkarnation Christi
zum Gegenstand.51 Angesichts des nicht selbstverständlichen Glaubens an
die Inkarnation Gottes setzt sich Arnobius grundlegend in mehreren Beweisführungen mit epistemischen Zuständen wie Glauben, Vertrauen und
Überzeugung auseinander. Das Textzeugnis über Thales Th 259 steht im
zweiten Buch (nat. 2.9–10) in diesem Kontext. In den Büchern 3–7 versucht
Arnobius, die impietas des traditionellen Götterglaubens aufzuweisen, indem er sowohl Kritik an der Vorstellungsweise und den Mythen der Götter
übt (nat. 3–5) als auch gegen den nicht-christlichen Kult (nat. 6–7) polemisiert.52
48
49
50
51
52
Die Stadt gehörte zur römischen Provinz Africa proconsularis und lag an der Stelle des
heutigen El Kef in Tunesien.
Hier. vir. ill. 79: Arnobius sub Diocletiano principe Siccae apud Africam florentissime
rhetoricam docuit, scripsitque Adversum gentes volumina, quae vulgo extant. Cf.
dazu die Untersuchung von Simmons (1995) 94–130. Simmons bemerkt ebd. 1–2 zur
ambivalenten Erforschung des Arnobius und seines Werkes, dass „scholars have
called Arnobius ‚everything in the book‘ from a Platonist, to an Epicurean, a Marcionite, a Gnostic, a Hermetist, an orthodox Christian (!), a ‚pessimist‘, and even a pagan
who simply desired to write a rhetorical exercise.“
Cf. Jakobi (1998) 52–53, Moreschini/Norelli (2007) 217–219 und Hagendahl (1983)
32–38. Zur Wirkungsgeschichte der Schrift in den theologischen und philosophischen
Diskussionen des 16. bis 18. Jh. cf. Krafft (1966).
Cf. zum zweiten Buch insgesamt den Kommentar von Gierlich (1985).
Bei den Ausführungen zur römischen Religion und den Mysterienkulten stützt sich
Arnobius mitunter auf Varro, während er im Hinblick auf die griechische Welt den
Protrepticus des Clemens von Alexandrien gekannt zu haben scheint. Cf. Jakobi
(1998) 53, Hagendahl (1983) 33–34 und 123 Anm. 142–145 sowie die Untersuchung
von Simmons (1995).
Arnobius (Th 259)
149
Arnobius, Adversus nationes
Zu Beginn des zweiten Buches (nat. 2.1–5) legt Arnobius zuerst dar, dass es
unbegründet sei, Christus als den Vernichter der Götterkulte zu hassen. Mit
einer großen Zahl rhetorischer Fragen wendet er sich (nat. 2.5–6) an die
nicht-christlichen Adressaten, um deren Bedenken und Ressentiments gegenüber den Christen zu hinterfragen. Ein Auszug aus dem fünften Kapitel
zeigt die typische Art und Weise seiner polemischen Argumentation:53
Nun, was erwidert ihr, ihr unwissenden Leute (o nescii), wert, bemitleidet
und beweint zu werden? Fürchtet ihr nicht, dass die Dinge, die ihr verachtet (quae sunt despectui vobis) und verlacht (risus), wahr (vera) sein
könnten? Hegt ihr nicht wenigstens in dunklen Gedanken die Besorgnis,
dass die spätere Zeit eure jetzige hartnäckige Ungläubigkeit züchtigen
und mit unnachsichtiger Reue strafen werde? Werdet ihr nicht wenigstens
durch diese Beweise (argumenta) zum Glauben (credendi) bewogen,
dass in einem so kurzen Zeitraum (in tam brevi temporis) die Geheimnisse seines erhabenen Namens schon durch alle Welt (iam per omnes terras) verbreitet sind? Dass es keine auch noch so unkultivierte und wilde
Nation gibt, welche nicht, durch seine Liebe (eius amore) bekehrt (versa),
ihre Grausamkeit gemildert und in dem erlangten Frieden sich sanfteren
Gefühlen zugewandt hat? Dass so hoch begabte Redner, Gelehrte, der Beredsamkeit, des Rechts und der Heilkunst Meister, und selbst die Erforscher der Geheimnisse der Philosophie diese Lehren suchen, und das, worauf sie vordem ihr Vertrauen setzten (fidebant), hintanstellen?
Die Textpassage lässt exemplarisch einen Grundzug der argumentativen
Technik des Arnobius erkennen, der auch im Kontext der beiden Bezugnahmen auf Thales von entscheidender Bedeutung ist: der Gebrauch von zahllosen rhetorischen Fragen.54
Zu Beginn des achten Kapitels polemisiert Arnobius gegen die Gewohnheit der Nicht-Christen, den Glauben der Christen (nostram fidem) zu verlachen (ridere) und ihre „Leichtgläubigkeit“ (credulitatem) unbarmherzig mit
Sticheleien zu verwunden.55 Mit der folgenden Argumentation (nat. 2.8–10)
richtet er sich gegen eine einseitige Abwertung des Glaubensbegriffes. Den
„mit dem Trank der Weisheit Benetzten und Gesättigten“ (sapientiae tincti
53
54
55
Nat. 2.5.10–26 in der leicht veränderten Übersetzung von Alleker (1858).
Cf. dazu auch die Einschätzung von Norden (1958) 605 Anm. 1.
Cf. nat. 2.8 Et quoniam ridere nostram fidem consuestis atque ipsam credulitatem
facetis iocularibus lancinare, dicite […].
150
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
et saturi potu) gibt er zu bedenken (nat. 2.8.1–4), ob es im Leben (in vita)
überhaupt irgendeine Art von Tätigkeit und Betriebsamkeit gebe, welche
von denen, die sie ausüben (actores), ohne vorhergehenden Glauben (non
fide praeeunte) übernommen und angegriffen werde.56
Für diese als rhetorische Frage formulierte Eingangsthese (nat. 2.8.1–4)
argumentiert Arnobius im Folgenden anhand von sieben weiteren rhetorischen Fragen (zu beachten ist die jeweils wiederkehrende Wendung „(non)
credentes“).57 In den Fragen führt er topisch eine Reihe von Beispielen
aus der Lebenswelt an, die jeweils zeigen, wie der Mensch in sehr vielen
lebenspraktischen Situationen und Entscheidungsprozessen (besonders
im Hinblick auf die Zukunft) auf Glauben, Vertrauen und Überzeugungen
angewiesen ist, um überhaupt leben zu können.58 In einer zugespitzten Formulierung könnte die von Arnobius im achten Kapitel exemplifizierte
Grundthese lauten: Keine menschliche Handlung, Unternehmung und insbesondere die Zukunft betreffende Entscheidung ist ohne Glauben oder
ohne Überzeugung/en möglich.
Kontext zu Th 259
Das Zeugnis Th 259 enthält zwei Bezugnahmen auf Thales, die demselben
Kontext (nat. 2.9–10) angehören, jedoch unterschiedlichen Stufen und
Kapiteln in der Argumentation des Arnobius zuzuordnen sind, dem neunten
sowie dem zehnten Kapitel. Nach der eindrücklichen Illustration durch
lebenspraktische Beispiele im vorausgehenden Kontext (nat. 2.8) lenkt
Arnobius im neunten Kapitel die Aufmerksamkeit der Leser auf ein weiteres Phänomen: die Notwendigkeit epistemischer Zustände wie Glauben und
Überzeugung als Voraussetzung für vornehmlich geistige und intellektuelle
Tätigkeiten wie z.B. Schreiben und Lesen, deren Gegenstände gerade nicht
sinnlich gegeben sind.59 Arnobius wendet sich wiederum zuerst in Form
56
57
58
59
Nat. 2.8.2–4 […] estne operis in vita negotiosum aliquod atque actuosum genus, quod
non fide praeeunte suscipiant sumant atque adgrediantur actores?
Nat. 2.8.4–18
Die Beispiele in nat. 2.8.4–18 sind (1) die Unternehmung einer Schiffsreise im Vertrauen
auf die Heimkehr, (2) Bewirtschaftung der Erde im Vertrauen auf die Ernte, (3) das Eingehen einer ehelichen Bindung im Vertrauen auf die Treue des Partners, (4) die Erziehung von Kindern im Glauben an die Gesundheit und Entwicklungsfähigkeit der Kinder,
(5) der Besuch eines Arztes bei Krankheit im Vertrauen auf Schmerzlinderung oder Heilung, (6) bei der Führung eines Krieges der Glaube an den Sieg, (7) die Verehrung und
Anbetung der Götter im Vertrauen auf deren Existenz sowie deren „offenes Ohr“.
Cf. nat. 2.9.19–21 Quid? illa de rebus ab humana cognitione sepositis, quae conscribitis ipsi, quae lectitatis, oculata vidistis inspectione et manibus tractata tenuistis?
Arnobius (Th 259)
151
einer suggestiven Frage an die Leser: Schenke nicht jeder von ihnen, wer
auch immer es sein möge, „diesem oder jenem Autor (huic vel illi auctoribus) Glauben (credit)“?60 „Verteidigt nicht einer das, wovon er überzeugt ist
(quod sibi persuaserit), dass es von einem anderen (ab altero) wahr (verum)
gesagt ist, mit einer gewissen glaubensgleichen Beistimmung (quadam fidei
astipulatione)“?61
Th 259 Arnobius, Adversus nationes 2.9–10 (ed. Marchesi)
Nonne vestrum quicumque est huic vel illi credit auctoribus? non quod sibi
persuaserit quis verum dici ab altero velut quadam fidei astipulatione tutatur? Qui cunctarum !rerum" originem !ignem" esse dicit aut aquam, non
Thaleti aut Heraclito credit? qui causam in numeris ponit, non Pythagorae
Samio, non Archytae? qui animam dividit et incorporales constituit formas,
non Platoni Socratico? […]. [10] Ipsi demus principes et praedictarum patres sententiarum, nonne ea quae dicunt suis credita suspicionibus dicunt?
Vidit enim Heraclitus res ignium conversionibus fieri, concretione aquarum
Thales, Pythagoras numeros coire, incorporales formas Plato, individuorum Democritus concursiones?
Th 259 Arnobius, Gegen die Heiden 2.9–10
Glaubt nicht ein jeder von euch diesem oder jenem Autor? Verteidigt nicht
einer das, wovon er überzeugt ist, dass es von einem anderen wahr gesagt
ist, mit einer gewissen glaubensgleichen Beistimmung? Wer sagt, dass aller
Dinge Ursprung das Feuer sei oder das Wasser, glaubt der nicht Thales oder
Heraklit? Wer die Ursache von allem in die Zahlen legt, nicht dem Samier
Pythagoras, nicht Archytas? Wer die Seele teilt und unkörperliche Formen
ansetzt, nicht dem Sokratiker Platon? […] [10] Sagen schließlich nicht die
Urheber und Väter der erwähnten Ansichten das, was sie sagen, weil sie an
ihre [eigenen] Vermutungen glauben? Sah denn Heraklit die Dinge aus den
Wandlungen des Feuers entstehen, Thales aus der Verdichtung des Wassers?
Sah Pythagoras die Zahlen sich vereinigen? Sah Platon die unkörperlichen
Formen, Demokrit das Zusammentreffen der Atome?
Attribute
Prinzip Wasser
Aggregatzustände
60
61
Nat. 2.9.22–23 nonne vestrum quicumque est huic vel illi credit auctoribus?
Nat. 2.9.23–24 non quod sibi persuaserit quis verum dici ab altero velut quadam fidei
astipulatione tutatur?
152
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Funktion der Bezugnahme
Unmittelbar auf diese Frage, ob einer nicht das von anderen für wahr
Gehaltene überzeugt verteidige, folgt die Bezugnahme auf Thales und Heraklit: „Wer (qui) das Feuer oder Wasser für den Ursprung (originem) aller
Dinge hält, glaubt der nicht (non […] credit) dem Thales oder Heraklit?“
Gemäß diesem Schema – „Wer (qui) x annimmt, glaubt der nicht dem Philosophen A oder B?“ – folgen sechs weitere, jeweils mit qui eingeleitete,
rhetorische Fragen. Wer (qui) die Ursache (causam) in die Zahlen lege
(in numeris ponit), glaube dem Samier Pythagoras und Archytas, wer
(qui) die Seele teile (animam dividit) und unkörperliche Formen (incorporales formas) annehme, glaube dem sokratischen Platon (Platoni Socratico) etc.62
(1) Mit seiner Argumentation demonstriert Arnobius bereits durch die
Vielzahl der in den rhetorischen Fragen angeführten Namen von Philosophen, wie vertraut er mit der nicht-christlichen Kultur und Philosophie ist,
und mit welcher rhetorischen Leichtigkeit er sich nicht nur der Namen,
sondern auch der Meinungen und Thesen der Philosophen zu bedienen
weiß. Bei seiner Aufzählung nennt er neben Thales und Heraklit auch Pythagoras und Archytas, den „sokratischen“ Platon, Aristoteles, „den Vater
der Peripatetiker“, die Stoiker Panaitios, Chrysipp und Zenon, die Atomisten Epikur, Demokrit und Metrodoros (von Chios), die Schule der älteren
oder neueren Akademie, Arkesilaos und Karneades.63
(2) Arnobius stilisiert die Philosophen als die großen Autoritäten bei den
Nicht-Christen. Wenn einer deren Lehrmeinungen übernehme und vertrete,
ist er nach Arnobius auch einer, der dem jeweiligen Philosophen seinen
Glauben schenkt (credit).
Während er sich mit diesen rhetorischen Fragen im neunten Kapitel
an seine gegenwärtigen Leser richtet, führt er im zehnten Kapitel seine
Argumentation noch einen Schritt weiter. Er versucht nun, die Philosophen
selbst zu treffen und somit die nicht-christlichen geistigen Autoritäten
direkt in Frage zu stellen oder zumindest zu relativieren. Zu Beginn des
zehnten Kapitels vertritt er die These, dass die Urheber und Väter der erwähnten Ansichten das, was sie sagen (ea quae dicunt), aufgrund ihres
Glaubens (credita) an ihre eigenen Vermutungen (suis suspicionibus) sagen
(dicunt).64 Der von Arnobius erhobene Vorwurf wird sogleich exemplarisch
62
63
64
Cf. nat. 2.9.1–13.
Cf. dazu Diels (1879) 172–173.
Nat. 2.10.14–16 Ipsi demus principes et praedictarum patres sententiarum, nonne ea
quae dicunt suis credita suspicionibus dicunt?
Arnobius (Th 259)
153
vorgeführt. So habe z.B. weder Heraklit gesehen (vidit), dass die Dinge
(res) durch Verwandlung des Feuers (ignis conversionibus), noch Thales,
dass sie aus der Verdichtung des Wassers (concretione aquarum) entstanden seien.65 Denselben Vorwurf macht er auch den Pythagoreern, Platon
und Demokrit (nat. 2.10.18–19): „Sah Pythagoras die Zahlen sich vereinigen (numeros coire)? Sah Platon die unkörperlichen Formen (incorporales
formas), Demokrit das Zusammentreffen der Atome (individuorum concursiones)?“
Mit dieser Argumentation richtet er sich gegen die philosophischen Autoritäten selbst. Arnobius relativiert ihr Wissen und ihre Weisheit, insofern
er auch bei ihnen ‚Glauben‘ an ihre eigenen Vermutungen (suis suspicionibus) konstatiert. Pointiert formuliert: Selbst die Philosophen sind den anderen Menschen, die glauben, gleich, insofern sie zumindest an ihre eigenen
Vermutungen glauben (müssen), wenn sie diese äußern. Für Arnobius steht
mithin fest, dass bereits der Äußerung von Erkenntnissen Glaube und Überzeugung vorangehen müssen.
Im Anschluss an diese Kritik an den Philosophen richtet er sich mit einer
kritischen Anfrage an seine Adressaten: „Da ihr also keine Gewissheit
(comperti nihil) und Überzeugung habt, und alles, was ihr schreibt und in
tausend Büchern niederlegt, unter Leitung der Leichtgläubigkeit (credulitate […] duce) festhaltet: Wie höchst ungerecht (tam iniusta) ist also das Urteil (iudicatio), wodurch ihr unseren Glauben (nostram fidem) verspottet
(derideatis), da ihr doch einseht, dass ihr eben so gut wie wir gläubig (in credulitate) sein müsst?“66
Des Weiteren charakterisiert er die Philosophen, die „in jeder Wissenschaft unterrichteten Männer“, abschließend als solche, die nichts wissen
(nihil sciscunt) und nichts offenbaren (nec pronuntiant), welche für ihre Ansichten mit den Gegnern Krieg (bella cum adversantibus) führen und immer
mit feindlicher Heftigkeit kämpfen, welche, indem einer des anderen Lehrsätze (decreta) wankend machte, niederriss und zerstörte, alles unsicher
gemacht (cuncta incerta fecerunt) und an ihrer Uneinigkeit gezeigt haben
65
66
Cf. dazu die Sim. ‚Aggregatzustände‘ und Diels (1879) 173, der (auf Zeller verweist und) bemerkt: „si Thaletis concretionem credit, posteriorum coniecturas sequitur“.
Nat. 2.10 Cum igitur comperti nihil habeatis et cogniti omniaque illa quae scribitis et
librorum comprehenditis milibus credulitate adseveritis duce, quaenam haec est iudicatio tam iniusta, ut nostram derideatis fidem, quam vos habere conspicitis nostra in
credulitate communem?
154
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
(ex ipsa dissensione monstrarunt), dass man nichts wissen könne (nec posse
aliquid sciri).67
Es schließt sich die Argumentation des elften Kapitels an, mit der Arnobius nun explizit auf die parallelen Strukturen bezüglich des Glaubens bei
Nicht-Christen und Christen zu sprechen kommt: Während die Nicht-Christen nach Arnobius einem Philosophen wie Platon oder Numenius Glauben
schenkten, glaubten die Christen an Christus. Beide Parteien stützen sich
auf Autoritäten, an die geglaubt wird. Doch betont Arnobius weiter, dass die
Nicht-Christen nicht hören und beachten wollten, „was aus Christi Mund
kommt.“68
Festzuhalten ist, dass Thales im skizzierten Zusammenhang bei Arnobius
gemeinsam mit weiteren Philosophen als wichtige geistige Autoritäten
der Gegner des Arnobius angeführt wird. Durch die Bezugnahme stellt Arnobius zum einen seine Kenntnisse der griechischen Philosophie unter
Beweis, zum anderen versucht er exemplarisch zu zeigen, wie bereits die
Äußerung von Vermutungen eine Art von Glauben und Überzeugung voraussetzt.
Literatur
Alleker, J., Arnobius. Sieben Bücher gegen die Heiden, Trier 1858.
Diels, H., Doxographi Graeci, Berlin 1879, ND 1965.
Gierlich, G., Arnobius von Sicca. Kommentar zu den ersten beiden Büchern seines Werkes „Adversus Nationes“, Diss. Mainz 1985.
Hagendahl, H., Von Tertullian zu Cassiodor: die profane literarische Tradition in dem
lateinischen christlichen Schrifttum, Göteborg 1983.
Jakobi, R., Art. Arnobius der Ältere (von Sicca), LACL, 1998, 53.
Krafft, P., Beiträge zur Wirkungsgeschichte des älteren Arnobius, Wiesbaden 1966.
Moreschini, C., Norelli, E., Handbuch der antiken christlichen Literatur, Darmstadt
2007.
Norden, E., Die antike Kunstprosa, Bd. 2, Darmstadt ND 1958.
Simmons, M. B., Arnobius of Sicca. Religious Conflict and Competition in the Age of
Diocletian, Oxford 1995.
67
68
Cf. nat. 2.10 Nempe illis, qui nihil sciscunt nec pronuntiant unum, qui pro suis sententiis bella cum adversantibus conserunt et pervicacia semper digladiantur hostili, qui
cum alter alterius labefactant destruunt convelluntque decreta, cuncta incerta fecerunt nec posse aliquid sciri ex ipsa dissensione monstrarunt.
Cf. nat. 2.11 […] vobis velitis dari quod ita ab illis dicatur accipere, nos ea quae proferuntur a Christo audire et spectare nolitis?
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
155
3.3 Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
Eusebius (260–339) wächst in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts
in der palästinischen Provinzhauptstadt Cäsarea auf.69 Als Schüler des Origenesschülers Pamphilus70 erhielt er eine breit angelegte Ausbildung, die
ihn auch mit der Sammlung von Akten, Urkunden, Texten und Exzerpten
von Werken unterschiedlicher Art vertraut machte. Im Jahre 314 wurde er
zum Bischof von Cäsarea geweiht.71 Eusebius verkehrte in Nikomedien und
Konstantinopel am Hof von Kaiser Konstantin, der seit 324 Herrscher über
das gesamte Reich war.72
Bei Eusebius, der auch als ‚Vater der Kirchengeschichte‘ bekannt ist, finden sich insgesamt 26 Zeugnisse über Thales in zwei Werken: 21 davon in
der Praeparatio Evangelica, einem seiner Hauptwerke (verfasst zwischen
312 und 322),73 das fünfzehn Bücher umfasst und besonders für die Philosophie- und Religionsgeschichte bedeutsam ist; fünf weitere Zeugnisse sind
in der nur in lateinischer und armenischer Übersetzung fragmentarisch erhaltenen Chronik überliefert.74 In den Fragmente(n) der Vorsokratiker von
Diels finden sich zu Thales nur zwei Zeugnisse unter dem Namen des Eusebius (zur Vorhersage der Sonnenfinsternis und der Datierung des Thales)
aus der Chronik (DK 11 A5 und A7 = Th 307, Th 306, Th 373). Einige der
zahlreichen Bezugnahmen aus der Praeparatio, bei denen Eusebius explizit
Passagen z.B. aus den Placita des Ps.-Plutarch zitiert, ordnet Diels entweder unter dem Namen des Aëtios ein (mit Verweis auf seine Doxographi
Graeci 273ff.) oder sie finden sich nur in den Doxographi Graeci.
Die einundzwanzig Zeugnisse aus der Praeparatio Evangelica (Th 260–
280) werden im Folgenden kommentiert, während die fünf Bezugnahmen
aus der Chronik (Th 281–285) bei Hieronymus (Th 304–308) behandelt
werden.
69
70
71
72
73
74
Cf. Ulrich (1998) 209–214, Moreau (1966) 1052–1088, Schwarz (1907) 1370–1439
und Sirinelli/Des Places (1974) 7–89.
Moreau bemerkt ebd. 1054–1055, dass der aus Phönizien stammende Pamphilus in Cäsarea die Tradition des Origenes fortsetzte, dessen Bibliothek pflegte und erweiterte.
Cf. Elliger (2001) 1026–1057.
Cf. seine Rede zum dreißigjährigen Regierungsjubiläum des Kaisers (laus Constantini) sowie das Enkomion auf denselben (vita Constantini). Zu seinem Verhalten im
Zuge der trinitätstheologischen Streitigkeiten um die Lehre des Presbyters Arius cf.
Ulrich (1998) 210 und 212.
Cf. Mras (1982) LIV-LV.
Cf. zur Chronik Mosshammer (1979) bes. 1–83, 128–168, zur Version des Hieronymus 67–73, zur armenischen Version 73–79.
156
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Eusebius, Praeparatio Evangelica
Mit seiner ‚Vorbereitung der frohen Botschaft‘ (TH EYAEIKH
POPAAKEYH) wendet sich Eusebius gegen Einwände, die von
Nicht-Christen und Juden gegen die Christen und ihre Religion vorgebracht
werden. Er nennt vornehmlich drei Punkte: (1) das Aufgeben der Religion
der griechischen Vorfahren, (2) das Annehmen fremder Lehren von den
„Barbaren“, d.h. in diesem Kontext der jüdischen Tradition, sowie (3) die
Inkonsequenz der Christen, einerseits die jüdischen Opfer, Riten sowie
die jüdische Lebensform abzulehnen, andererseits sich deren Heilige Schrift
und die versprochene Heilszusage anzueignen. Während die ersten beiden
Punkte Gegenstand der Praeparatio sind, wird der dritte Kritikpunkt vor
allen Dingen in der Demonstratio Evangelica75 behandelt. Die weltanschauliche Spannung und Problematik, in der die Christen nach Eusebius leben,
veranschaulicht die folgende Bemerkung: Man nehme die Christen wahr als
solche, die weder mit den Meinungen der Griechen noch mit den Bräuchen
und Riten der „Barbaren“ völlig übereinstimmten.76
Über die Anordnung seines Werkes äußert er sich in Buch 15.1:77
1–3:
das dreifache ‚System‘ nicht-christlicher Theologie: mythische,
allegorische und politische Theologie. Das erste Buch enthält ein
Zeugnis über Thales (Th 260).
4–6:
eine Auflistung der bedeutendsten Orakel; über die Anbetung von
Dämonen; die verschiedenen Meinungen der griechischen Philosophen über die Lehren von Schicksal und freiem Willen. In diesen
Büchern wird Thales nicht erwähnt.
7–9:
Begründung, warum die Christen die Religion der Hebräer bevorzugen. Anhand des Zeugnisses mehrerer Autoren werden die Exzellenz und die Wahrheit der hebräischen Schriften aufgewiesen.
Im siebten Buch kommt er auf Thales zu sprechen (Th 261).
10–12: Eusebius argumentiert dafür, dass die Griechen die alte Theologie
und Philosophie von den Hebräern entlehnt hätten und insbesondere Platon in der Abhängigkeit von Moses stünde. Insgesamt fin-
75
76
77
Die Demonstratio, die ursprünglich 20 Bücher umfasste (zehn Bücher und ein Fragment zum 15. Buch sind erhalten), bildet mit der Praeparatio eine konzeptionelle Einheit; cf. dazu Sirinelli/Des Places (1974) 38–42.
Cf. PE 1.2.1–2.
Cf. PE 15.1. Cf. Barnes (1981) 179ff. und das Vorwort von Gifford (1903) sowie jeweils die einleitenden Passagen der Bücher 1, 4, 7, 10, 13 und die Zusammenfassung
in PE 15.1.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
157
den sich 5 Zeugnisse über Thales im zehnten, je 2 Zeugnisse im
elften und zwölften Buch (Th 262–270).
13–15: Zum einen wird der Vergleich von Platon mit Moses fortgeführt;
zum anderen werden die wechselseitigen Widersprüche der anderen griechischen Philosophen, besonders der Peripatetiker und
Stoiker, herausgestellt.78 Insgesamt stehen zwei Zeugnisse über
Thales in Buch 14, acht Zeugnisse im 15. Buch.
Insofern sich teils mehrere Bezugnahmen in ein und demselben Buch befinden, wird bei den Angaben zum Kontext der einzelnen Zeugnisse gelegentlich auf die Ausführungen zu vorhergehenden Zeugnissen verwiesen, um
Wiederholungen zu vermeiden.
Kontext zu Th 260
Die erste Bezugnahme auf Thales steht zu Beginn des achten Kapitels des
ersten Buches mit der Überschrift: „Wie viel Uneinigkeit es unter den Naturphilosophen über die Prinzipien gibt; [Meinungen der Philosophen über
die Zusammensetzung des Universums] und wie wir uns nach einer kritischen Sichtung von ihnen entfernen.“79 Das Argumentationsziel besteht darin aufzuzeigen, warum die Christen von den Lehren der Naturphilosophen
Abstand genommen hätten. Im vorausgehenden Kontext (PE 1.7.1–15)
zitiert Eusebius einen Auszug über die ersten Kosmogonien aus dem ‚historischer Bücherschrank‘ genannten Werk des Gelehrten Diodor von Sizilien.
Er bemerkt dazu kritisch (PE 1.7.16), dass der Name Gottes in dieser
kosmogonischen Darstellung nicht erwähnt werde und die Organisation
des Universums in gewisser Weise als kontingent (8κ ) und
selbstständig () präsentiert werde.80 Nach der Meinung des
Eusebius stimmten damit auch die meisten der griechischen Philosophen
überein (φ;«).81 Aufschlussreich für die Methode des Eusebius ist
die folgende Überleitung (PE 1.7.16), in der er betont, dass er die Lehren
78
79
80
81
Cf. zu den Büchern 14–15 die Beobachtungen und Analysen zur Verwendung der Placita des Ps.-Plutarch von Mansfeld/Runia (1997) 130–141.
PE 1.8.1 '2. OA TOI RYIKOI RIOOROI PEI AXN IAPERNHTAIα [OmAI RIOORN PEI TH TOY PANTO YTAEα] KAI TOYTN META KIE APETHMEN.
PE 1.7.16 T" ξ ² .(λ« φ«, ξ 8« \« " "
« / 9
) !)
, 8κ λ 90«
κ " %µ« .
PE 1.7.16 )
( ’ s J« φ;« λ @« %.!« % ’ 6E..
φ.φ( […]
158
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
der griechischen Philosophen über die Prinzipien (« %λ $8
=«)
mit ihren gegenseitigen Differenzen und Unstimmigkeiten (« %µ«
$..&.« 0« λ φ(!«) präsentieren werde. Diese Lehren
entsprängen bloßen Vermutungen und nicht einem wirklichen Verständnis.
Typisch für die Argumentation des Eusebius – wie sich auch in vielen
weiteren Fällen zeigen wird – ist seine explizite Quellenangabe: Für das folgende Referat stützt er sich auf die Stromateis eines Pseudo-Plutarch.82 Bevor er die Inhalte der Quelle präsentiert, wendet er sich mit einer bemerkenswerten Anweisung an seine Leser (PE 1.7.16):
Du aber, betrachte nicht nebenbei, sondern mit Muße und mit Überlegung
die wechselseitigen Differenzen der aufgeführten Philosophen.
@ ξ κ %(«, 8.9
) ξ λ ." .(
κ %µ« $..&.« 0.
Im Referat der Stromateis werden zwölf „Naturphilosophen“ (PE 1.8.1–12)
mit den ihnen zugeschriebenen Meinungen über den Aufbau des Universums in teils sehr unterschiedlicher Länge vorgestellt. Unter diesen befindet
sich an erster Stelle Thales, nach ihm der als sein Gefährte (41) angeführte Anaximander sowie Anaximenes (PE 1.8.1–3). Nur kurz ist die Notiz
über Thales und die ihm zugeschriebene Annahme des Wassers als Prinzip
aller Dinge im Vergleich mit den ausführlichen Ausführungen zu Anaximander (sowohl im Hinblick auf das „Unendliche“ als auch die These von
den „unendlichen Welten“) und darauf zu Anaximenes (über dessen These
von der Luft als Prinzip).
Th 260 Eusebius, Praeparatio Evangelica 1.7.16–8.2
(ed. Des Places), zitiert Plut. Str. Fr. 179.1–15 Sandbach (Th 135)
T)
( ’ s J« φ;« λ @« %.!« % ’ 6E..
φ.φ(, W /; « %λ $8
=« λ « %µ« $..&.«
0« λ φ(!«, / 8
, $..’ $%µ .&?(«
²!«, $%µ P.08 (( /%λ " %«
/&. @ ξ κ %(«, 8.9
) ξ λ ." 82
PE 1.7.16 / 8
, $..’ $%µ .&?(« ²!«, $%µ P.08 (( /%λ " %« /&.
Cf. dazu Diels (1879) 156–161, 579–583 und Sandbach (1967) Moralia 7, fr. 179. Cf.
dazu Mansfeld/Runia (1997) 212 Anm. 67 und Mras (1955) bes. 96–97, der die Schrift
für eine Materialsammlung Plutarchs hielt.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
159
.( κ %µ« $..&.« 0. [1.8.1] L0. %
%0( φλ $8κ Ρ.( %& µ J(α /= " ρ %0 λ 9« µ 8(1. [2] ’ χ #A=!, L0.«
41 , µ Ν% φ0 κ %» 9! D8 )« "
%µ« ;« λ φ»«, /= ^ & φ « @« $%! λ . @« Ϊ%« $%!« `« «.
Th 260 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 1.7.16–8.2
Du wirst finden, dass die meisten griechischen Philosophen mit ihm [Diodor] übereinstimmen. Ich werde dir ihre Prinzipienlehren mit ihren Differenzen und Unstimmigkeiten, die [bloßen] Vermutungen und nicht klarem
Verständnis entspringen, bei dieser Gelegenheit aus Plutarchs Stromateis
präsentieren. Du beachte sorgfältig und mit aufmerksamer Überlegung die
wechselseitigen Differenzen der zitierten Autoren. [1.8.1] Thales soll als
Erster das Wasser als Prinzip aller Dinge angesetzt haben; denn alles sei aus
ihm und kehre auch wieder dahin zurück. [1.8.2] Nach ihm [Thales] sage
Anaximander, der ein Gefährte des Thales war, dass das Unendliche die gesamte Ursache für das Werden und Vergehen des Alls enthalte. Aus ihm,
sagt er, hätten sich alle Himmel ausgesondert und überhaupt alle Welten, die
unendlich seien.
Attribute
Prinzip Wasser
Anaximander als Gefährte des Thales
Funktion der Bezugnahme
Eusebius benennt wie in vielen weiteren Fällen ausdrücklich seine Quelle.
Durch seine oben zitierte Leseanweisung lenkt er den Blick auf die bereits
bei den drei Milesiern anzutreffende Unstimmigkeit bzw. auf deren Differenzen im Hinblick auf das jeweils angenommene Prinzip sowie dessen
Eigenschaften. An dieser Stelle soll exemplarisch veranschaulicht werden,
wie der christliche Autor aus der reihenweisen Anordnung und Präsentation
der Meinungen der Philosophen sein argumentatives Ziel erreicht. Nachdem im Folgenden (PE 1.8.4–12) eine Reihe weiterer Philosophen83 angeführt worden ist, bezieht Eusebius anschließend (PE 1.8.13–14) Stellung
zum Inhalt des Zitates. Vier Aspekte sind dabei von Bedeutung:
83
Xenophanes von Kolophon, Parmenides und Zenon von Elea, Epikur von Athen, Aristipp von Kyrene, Empedokles von Agrigent, Metrodor von Chios sowie Diogenes von
Apollonia.
160
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
(1) Auf den Inhalt der Meinungen bezogen konstatiert er (PE 1.8.13),
dass die so genannten Naturphilosophen (
κ φ
φ.φ(
/%.() bei der Organisation des Universums und der ersten Kosmogonie weder einen Demiurgen noch irgendeinen Schöpfer des Universums, auch nicht einmal Gott erwähnten, sondern die Ursache des Univer ξ 9
) $.)
( φ)
») und dem
sums nur der unvernünftigen Bewegung (9
) 0)
( &) zuschrieben.84
selbsttätigen Impuls (9
(2) In einem methodisch wichtigen zweiten Schritt (PE 1.8.14) hebt Eusebius nochmals die Widersprüchlichkeit (/«) der Meinungen der
Philosophen untereinander hervor, die durch ihren Kampf (08«) und ihre
Differenzen (φ(!«) das All erfüllt hätten.85
(3) In einem dritten Schritt (PE 1.8.14ff.) lässt Eusebius – argumentativ
geschickt – die Naturphilosophen durch Sokrates, genauer durch zwei Bezugnahmen auf die Figur des Sokrates, kritisieren. Sokrates habe die Dummheiten all dieser getadelt (λ %0« (!« $%&.8) und
gesagt, dass es keinen Unterschied zwischen den Naturphilosophen und Verrückten gebe.86 Auf diese Äußerung folgen Zitate aus Xenophons Memorabilien (mem. 1.1.11 und 1.1.13–14) und aus Platons Phaidon (96a5-c7).87
(4) Eusebius kommt nach den Texten Xenophons und Platons in PE
1.8.19 zu folgendem Schluss: Wenn selbst „der unter allen Griechen berühmte Sokrates“ derartig über die „Physiologie“ der referierten Philosophen urteile, so scheine es ihm ganz angemessen, wenn auch die Christen
die Gottlosigkeit ($) all dieser zurückweisen, da auch ihr Irrtum bezüglich des Polytheismus dem Gesagten nicht sonderbar zu sein scheint.88
84
85
86
87
88
Cf. PE 1.8.13 T λ %φ( >E..&( κ φ
φ.φ(
/%.( π %λ )« 0(« " %µ« λ )« %;« !«
0.?«, , %& Ρ.( %(, $..’ ’
Ρ.(« " & %(, 9
ξ 9
) $.)
( φ)
» λ 9
) 0)
( &
κ 9! " %µ« $(.
PE 1.8.14 ξ λ π %µ« $..&.« /«, / ξ
λ $..&.« %φ((, 08« ξ λ φ(!« %0 $%%.((.
Cf. PE 1.8.14 D λ ² 0« (0« λ %0« (!«
$%&.8 λ ( ’ ξ D. φ, 9 & 0«
$=8(« mφ
/ #A% .( J(« […].
Cf. dazu PE 15.62.1–6 und Theodoret cur. 4.27–29 und cur. 2.11 sowie die Kommentare zu Theodoret Th 335 und Th 329.
Cf. PE 1.8.19 T" (0« µ« /1« ² %» $!« 6E... Ρ !
λ )
.)
( φ.φ)
( 0 / ρ )« .(( φ),
.!«, 9(« λ π»« κ ( 4%0( $ %9
/%λ λ )« %. %.0« D ρ $.. 9(.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
161
Der zuletzt genannte Aspekt soll nach Eusebius erst später Gegenstand der
Widerlegung in Buch 14 sein (cf. dazu den Kommentar zu PE 14.14.1 =
Th 271). In diesem Kontext werde er auch darlegen, dass Anaxagoras als
Erster vom Geist als der Ursache des Universums gewusst habe.89
Zu Th 260 ist im Hinblick auf Thales, dessen Prinzipienlehre nur ganz
knapp referiert wird, Folgendes festzuhalten: Der Aufweis der Unstimmigkeit/en zwischen Thales, Anaximander und Anaximenes wird von Eusebius
durch drei Faktoren auf der literarisch-rhetorischen Ebene bewirkt: (1)
Durch die ausdrückliche Leseanweisung als Hinleitung, (2) die nicht-christliche Quelle, die den Eindruck vermittelt, unideologisch zu sein, (3) durch
die qua dieser Quelle in nüchterner Weise bezeugten Unterschiede zwischen Thales und Anaximander. Die ebenfalls bezeugte „Gefährtenschaft“
(41) des Anaximander mit Thales akzentuiert die divergierenden Auffassungen in der Lehre.
*
Kontext zu Th 261
In den Büchern 7–9 führt Eusebius mehrere Gründe dafür an, warum die
Christen die Religion der Hebräer gegenüber der griechischen Philosophie
bevorzugten. In Buch 7 ist zuerst von der Lebensweise und der Religion der
Patriarchen sowie den Lehren des Moses und der Propheten die Rede. Nachdem Eusebius in PE 7.9–11 die Gotteslehre der Hebräer und einige Aspekte
ihrer Vorsehungslehre dargestellt hat, stellt er in PE 7.11.13 die Frage, ob
ein Vergleich (/ !) der Theologie der Hebräer mit den „Theologien der Weisen aus Griechenland“ (« φ
>E..&( .!«)
lohnend sei.90 Kurz werden nun einige philosophische Positionen zur Frage
nach Gott und seinem Verhältnis zur Welt (ohne deren Vertreter namentlich
zu nennen) skizziert.91 Sie werden jedoch nicht weiter diskutiert oder kriti89
90
91
Cf. PE 1.8.19 " ξ σ /%λ " " %&« /.8&, ’ χ
$%!= Ρ %
« >E..&( #A=« " /%) 9
) " %µ«
9!)
. Cf. dazu PE 14.14.8.
Cf. PE 7.11.13. T" ξ σ $%µ !( Ρ( )« >E*!( .!« /!(. Θ ’ σ Ν= / ! %*0.. 1« « φ
>E..&(
.!« […].
PE 7.11.13 […] ξ ’ Ρ.(« ρ µ $%φ(, ξ @« $«
ρ φ(, ?« λ « 80 %« S.( λ %0.(
! /%%« )
)
, ξ %" ρ 8µ ²)
*!', λ
(, ξ
ξ κ %!)
" 1 µ , φ $.)
ξ 0 %µ " 1, κ λ /%λ )«, λ %0.
162
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
siert. Eusebius erklärt in PE 7.11.14, dass er sich im Folgenden damit auseinandersetzen möchte, was die Hebräer über das Prinzip der gewordenen
Dinge (%λ )« $8)«) dachten.92 Zu Beginn werden jedoch
zuerst in einem Satz folgende griechische Vertreter mit der Annahme
ihres Prinzips bzw. ihrer Prinzipien angeführt: Thales (Wasser), Anaximenes (Luft), Heraklit (Feuer), Pythagoras (Zahlen), Epikur und Demokrit
(unteilbare Körper), Empedokles (vier Elemente).
Th 261 Eusebius, Praeparatio Evangelica 7.12.1
L.)« ξ ² M.&« $8κ 4%0( µ J( ρ $%φ&,
#A=« ξ µ $, >H0.« µ %", P«
$« […].
Th 261 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 7.12.1
Thales aus Milet legte dar, dass das Wasser das Prinzip aller Dinge sei,
Anaximenes aber [legte dar, dass] die Luft [das Prinzip sei], Heraklit das
Feuer, Pythagoras die Zahlen […].
Attribute
Prinzip Wasser
Milet
Funktion der Bezugnahme
Die Aussage über die Annahmen der genannten griechischen Philosophen
scheint an dieser Stelle nur als Kontrastfolie zu den von Eusebius vorgetragenen philosophischen Meinungen der Hebräer über Gott und insbesondere
deren Annahme einer zweiten Substanz zu dienen. Zur Frage nach der
Quelle sowie der Funktion dieses Abschnittes vermutet der französische
Übersetzer Schrœder, diese „doxographie semble être un résumé partiel des
citations des Placita du Pseudo-Plutarque qu’Eusèbe donne en PE I, 8 et
XIV, 14 (Anaximandre est omis, Pythagore ajouté). Cette énumération très
92
$ ρ µ λ &’ Ρ.(« %µ " , 0(« ξ λ
8
« φ0, ξ /= $( λ .%
(0( $?8( λ
$.( κ " %µ« ; Cf. dazu Schrœder (1975) 221–222
Anm. 3.
PE 7.11.14 1 ξ U% λ µ Ρ.( µ %λ )« $8)« >E*!« %φ.φ.
Wie bereits die Überschrift von PE 7.12 ankündigt (PEI TH TOY EYTEOY
AITIOY LEOOIA), geht es um „die Theologie der zweiten Ursache“, bei den
Hebräern nach Eusebius das Wort und die Weisheit Gottes.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
163
schématique des doctrines grecques a pour but de montrer la φ(! des
philosophes, avant de leur opposer la pieuse et cohérente doctrine des Hébreux.“93 Diese Einschätzung ist zu ergänzen. Der Vergleich mit den zwei
genannten, sehr ausführlichen Abschnitten aus Buch 1 und 14 zeigt klar,
dass z.B. im Unterschied zu der Aufzählung im ersten Buch (PE 1.8) auch
Xenophanes, Parmenides, Zenon und weitere Philosophen nicht genannt
werden. Gibt es Gründe dafür, warum Eusebius gerade die anderen sieben
Philosophen mit ihren Prinzipienannahmen an dieser Stelle anführt?
Durch die Betrachtung des weiteren Zusammenhangs kann eine Antwort
skizziert werden. Erst in PE 7.14.2 kommt Eusebius auf den Vergleich mit
den griechischen Anschauungen zurück. Dabei bestimmt er die Prinzipienannahmen der Philosophen mit zwei Adjektiven als „leblose und vernunftlose Elemente“: In einer rhetorischen Frage vertritt er die These, ob es nun
nicht die „Gott angemessenste“ (%%«) Aussage oder Lehre sei,
das Prinzip bzw. den Anfang der Konstitution des Universums der logoshaften und allwissenden Macht Gottes zuzuschreiben, noch genauer, derselben
Weisheit und demselben Logos Gottes, anstatt den leblosen und vernunftlosen Elementen (ν 1« $?8« λ $.« 8!«).94 Denn von solcher
Art sei das Prinzip bzw. der Anfang bei den Hebräern. Durch diese Bestimmungen lässt sich nun besser verstehen, warum Eusebius zuvor in seiner
„énumération très schématique“ (Schrœder) nur solche Philosophen ausgewählt hatte, deren Prinzipienannahmen entweder als leblos, vernunftlos
oder beides ausgewiesen werden können.
Neben der Diaphonie zwischen den Philosophen und der damit verbundenen Schwächung ihrer Erklärungsansätze liegt das Ziel der Argumentation in der klaren Abgrenzung und Abwertung der Lehren der Philosophen
aufgrund ihrer als leblos und vernunftlos bestimmten Elemente im Gegensatz zur ‚hebräischen Lehre‘ von der logoshaften und allwissenden Macht
Gottes.
*
93
94
Schrœder (1975) 223 Anm. 1.
PE 7.14.2 T" ξ σ λ " %λ " λ %1« >E*!( %φ.φ&. Θ ’ σ 8 ^« .( F s ² %%«, 0 "
.9
) λ %φ)
(, ».. ξ 9
) φ!)
λ )
" .)
( κ $8κ
$λ« )« " %µ« 0(« ν 1« $?8« λ $.« 8!«; $..
" % ’ >E*!« λ %λ )« Ρ.( $8)«.
164
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Kontext zu Th 262
In den Büchern 10–12 argumentiert Eusebius unter anderem dafür, dass
die Griechen die alte Theologie und Philosophie von den Hebräern entlehnt
hätten. Zuerst (PE 10.1) geht er darauf ein, wie bedeutende Zweige des Wissens von den Nicht-Griechen zu den Griechen gelangt seien und betont
dabei das hohe Alter der Hebräer.95 Darauf versucht er, den Plagiarismus der
griechischen Autoren untereinander sowie deren Entlehnungen von den viel
älteren Schriften der Hebräer anhand von Textauszügen u.a. aus Clemens
von Alexandrien (PE 10.2) und Porphyrius (PE 10.3) zu belegen. In PE 10.4
gibt Eusebius eine Skizze von den Anfängen der Theologie und Philosophie
in Griechenland: Den Griechen fehlte eine wahre Theologie.96 Aus diesem
Grund erscheint es ihm offenkundig, dass sich die Philosophie als „nackt“
(&) und „mittellos sowohl an eigenen Lehren als auch an eigenem Wissen“ den „fremden und barbarischen“ Systemen zuwandte und von allen
Seiten entlieh und sammelte, was ihr nützlich erschien.97 Eine weitere Kernthese ist, dass diejenigen griechischen Philosophen, die im Hinblick auf Gott
mehr und Besseres als die Masse aussagten, keine anderen wahren Lehren
entdeckt hätten als solche, die bereits unter den Hebräern anerkannt waren.98
Neben fortwährenden Bezugnahmen auf seine eigene relative Chronologie kommt Eusebius, ausgehend von den ältesten ‚Theologen‘ (Orpheus,
Linos und Musaios) und im Anschluss an die (nicht einzeln angeführten)
Sieben Weisen (PE 10.4.10–12) auf die Philosophen und die Genealogie der
griechischen Philosophenschulen zu sprechen. Zuerst (PE 10.4.13–16) ist
von Pythagoras als dem ersten Philosophen die Rede, der als Schüler des
Pherekydes den Namen „Philosophie“ erfunden und sich bei den persischen
Magiern und den ägyptischen „Propheten“ aufgehalten haben soll.99 Im un95
96
97
98
99
Cf. dazu Droge (1989) 168–193 und Pilhofer (1990).
PE 10.4.10 σ )« $."« .!« .!% 0 1«
6E.., $.. λ Ν..( 8
λ /%
*(φ..
PE 10.4.9 […] ξ \1 .%µ λ *0*, g0 « κ λ 9!(
& ( 0 8& %%(8 .( λ 0(, %9
8 49
) %!' 00 λ /', Ρ %ξ % ’ 40«
J /
.
PE 10.4.1 […] !« s Ω ³« λ >E..&( ¹ κ 0. \
φ.φ!« 4?0 ! %. λ 1' )« %& %λ $)« « ’ U % ’ 1« >E*!« %(( /φ"
$.) .
Cf. PE 10.4.14 λ µ R ξ $0φ, W
) " µ
P φ!. )
( ξ )
( ² P« ., 1? ξ λ % 1« P
0« λ 1« A9%!( ξ %φ&« "
[…]. Cf. dazu Riedweg (2007) 20–21, 76–77, 82–84.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
165
mittelbaren Zusammenhang mit der Nennung von Thales (PE 10.4.17–18)
kommt Eusebius auf die dreiteilige Entwicklung und Unterteilung der griechischen Philosophie nach Pythagoras (Italische Schule), Thales (Ionische
Schule) und Xenophanes (Eleatische Schule) zu sprechen. Von Thales, der
als einer der Sieben Weisen bezeichnet wird, ist weiter in PE 10.4.18 die
Rede.
Th 262 Eusebius, Praeparatio Evangelica 10.4.17–18
>O ξ σ P« "«. P; ’ / )« 8)« π
.1 #I.κ φ.φ! , )« /%(!« / )« κ
#I.! *)« $=(1α ’ b π $%µ L." " 4% φ
4µ« #I(κ %1α Ν% π #E.&, mφ0 µ
K.φ; % /%?. [18] #A.. λ ² L.)«, —« « ¹", R1= f, ³« « %.&φ, M.&«α A9%!( ξ λ
^« . 1« %φ&« **..
Th 262 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 10.4.17–18
Pythagoras war nun so beschaffen. Als erste entstand in seiner Nachfolge
die so genannte „Italische“ Philosophie, die den Beinamen aufgrund ihrer
Schule in Italien zu Recht erhielt. Nach ihr entstand jene, die wegen Thales,
einem der Sieben Weisen, als „Ionische“ bezeichnet wurde. Und darauf die
Eleatische, die sich als Vater den Xenophanes von Kolophon zuschrieb.100
[18] Aber Thales war, wie einige berichten, Phönizier, wie andere wieder
vermutet haben, Milesier. Er soll auch mit den Priestern der Ägypter zusammengekommen sein.
Attribute
Begründer der Ionischen Schule
Phönizisch
Milet
Ägyptischer Einfluss: Begegnung mit den „Propheten“
Funktion der Bezugnahme
Die Thales zugeschriebenen Attribute gleichen schematisch den Informationen, die Eusebius im vorausgehenden und folgenden Zusammenhang zu
Pythagoras und Pherekydes gibt:
100
Übersetzung Schwab.
166
x
x
x
x
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Die Bedeutung des Philosophen: Einer der Sieben Weisen, Begründer der
Ionischen Schule,
Lehrer-Schüler-Verhältnis, d.h. Begründer der Ionischen Schule,
die Angabe einer zweiten, „fremden“ Herkunft (cf. Herodot Th 12 und
Clemens Th 202, 204),
das Studium außerhalb Griechenlands, d.h. die Zusammenkunft mit den
ägyptischen „Propheten“.
Eusebius äußert sich zwar an dieser Stelle nicht explizit zu seiner Quelle,
doch ist es aufgrund des Wortlautes wahrscheinlich, dass er Clemens
(cf. Th 202, 204) paraphrasiert. Während Clemens und Eusebius den Terminus „Propheten“ (%φ&«) verwenden, sprechen Plutarch (Th 115),
Hippolytos (Th 214) und Diogenes Laertius (Th 237, 1.27) von ¹"
(Priestern). Festzuhalten ist, dass dem Leser zu Thales ausgewählte Informationen präsentiert werden, die in Übereinstimmung mit der Argumentationsabsicht des Eusebius stehen.
*
Kontext zu Th 263
In PE 10.5–7 vertritt Eusebius die These, dass die Griechen in allen Dingen
von den „Barbaren“ (den Phöniziern, Ägyptern u.a.) profitiert haben sollen.
Während er in PE 10.6 seine These anhand mehrerer Auszüge aus Clemens’
Stromateis bekräftigt, zitiert er in PE 10.7 den jüdischen Historiker Flavius
Josephus.101 Nach seiner eigenen Auskunft entnimmt er den Textauszug aus
dem „zwei Bücher“ umfassenden Werk des Josephus Pλ )« #I!(
$8«, „Über das hohe Alter der Juden“.102 Dabei handelt es sich um
das letzte, apologetisch ausgerichtete Werk des Josephus, das dieser gegen
Ende des 1. Jh. n. Chr. veröffentlichte103 und das heute konventionell unter
dem (auf Hieronymus zurückgehenden) Titel contra Apionem („Gegen
Apion“)104 zitiert wird. In diesem Werk verteidigt Josephus „das Judentum
101
102
103
104
PE 10.6.15 1« ’ 9« σ D8 /%0? λ $%µ )«
#I(&% " >E*! φ)«, b Pλ )« #I!( $8« / λ
/% **.!« […].
Cf. zum Altersbeweis bei Josephus Pilhofer (1990) 193–206.
Cf. Schreckenberg (1996) 49. „Selbst ein Erscheinungsjahr zu Anfang des 2. Jahrhunderts ist nicht ganz auszuschließen.“ ebd. 49 und Anm.1.
Cf. ebd. 49–82, bes. 49 und 75–77. Deutsche Übersetzungen mit Kommentar bieten
Müller (1877) und Labow (2005). Für die französische Übersetzung cf. Reinach
(1930).
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
167
gegen Apion und andere Kritiker als alte, angesehene Religion mit philosophisch fundiertem Gottesbegriff und altehrwürdigem Kultus, als Religion,
die mit guten Gründen einen angemessenen Platz in der hellenistischen Welt
beanspruchen kann […]“.105
Die von Eusebius zitierte Textpassage stammt aus dem ersten Buch
contra Apionem (Ap. 1.6–26).106 Bevor Eusebius das Zitat anführt, macht er
auf drei Aspekte aufmerksam, die das Zitat aus Josephus verdeutlichen soll:
(1) dass die Griechen „jung“ seien, (2) dass sie bei den „Barbaren“ Hilfe
erhalten hätten und (3) dass sie sich in ihren eigenen Schriften gegenseitig
widersprächen.107 Darauf folgt eine Anweisung (PE 10.6.15) an den Leser,
der auf das hören solle, was Josephus „wortwörtlich“ schreibe (Ν
! g λ ^« 0φ %µ« .=). Nachdem Josephus darauf hingewiesen hat (PE 10.7.8), dass bei den Griechen kein anerkanntes Schriftstück ausfindig gemacht werden könne, das älter als die Dichtung Homers
sei, erwähnt er (PE 10.7.9) namentlich zwei frühe Geschichtsschreiber,108
bevor er in PE 10.7.10 auf Pherekydes, den Syrer, Pythagoras und Thales zu
sprechen kommt, die als Erste bei den Griechen „über himmlische und göttliche Dinge philosophiert“ haben sollen.
Th 263 Eusebius, Praeparatio Evangelica 10.7.10
(= Flavius Josephus Th 108)
#A.. κ λ @« %λ !( λ !( %;« % ’
6E.. φ.φ&«, g R µ λ P λ L0., %0« φ;(« ²." A9%!( λ
X.!( « « \.! 0?α λ " 1« 6E.. ρ 1 %0( $8 λ .« % %’
/!( 0φ.
105
106
107
108
Schreckenberg (1996) 50.
Eusebius zitiert auch an mehreren anderen Stellen seines Werkes Josephus. Cf. für die
Zitate in den Büchern 8–10 der PE den Index des Citations d’auteurs anciens bei
Schrœder/Des Places (1991) 482. Allgemein für Exzerpte des Eusebius aus Josephus’
contra Apionem cf. Labow (2005) XLVIII-L.
PE 10.6.15 […] %λ " « @« 6E..« λ % **0(
kφ.) 0φ(0 41« φ.
Kadmos aus Milet, Sohn des Pandion, nach antiker Ansicht ältester griechischer
Historiker, Verfasser einer Prosaschrift über die Gründung Milets und ganz Ioniens,
und Akusilaos von Argos (5. Jh.).
168
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Th 263 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 10.7.10
Aber die über himmlische und göttliche Dinge als Erste bei den Griechen
philosophiert haben, wie Pherekydes von Syros und Pythagoras und Thales,
diese waren nach einhelliger Meinung Schüler der Ägypter und Chaldäer
und haben wenig geschrieben. Diese Schriften sind in den Augen der Griechen die ältesten von allen und man hält sie kaum für authentisch.
Attribute
Ägyptischer Einfluss: Schüler der Ägypter und Chaldäer
Schrift: Thales, Pherekydes und Pythagoras haben wenig geschrieben
Funktion der Bezugnahme
Das Zeugnis über Pherekydes, Pythagoras und Thales aus Flavius Josephus
(contra Apionem 1.7 = Th 108) dient in idealer Weise dazu, die übergeordnete Argumentation des Eusebius zu bekräftigen (cf. Kommentar zu
Th 262). Vier Aspekte sind besonders hervorzuheben: Für die Argumentation insgesamt von großer Bedeutung ist die Aussage, dass „alle“ (%0«)
über die folgenden zwei Thesen „miteinander übereinstimmen“ (φ;(« ²."): (1) Pherekydes, Phythagoras und Thales seien
Schüler (0«) der Ägypter und Chaldäer gewesen; (2) diese hätten
wenig geschrieben (\.! 0?). Die folgenden zwei Thesen verstärken die Argumentation des Eusebius: (3) das von ihnen Geschriebene scheine den Griechen von allem das älteste zu sein; (4) sie (sc. die
Griechen) glaubten jedoch kaum (.«), dass diese Texte von jenen
geschrieben worden seien (%’ /!( 0φ). Die Textpassage aus
Josephus passt vortrefflich in den argumentativen Zusammenhang bei
Eusebius. Die Zitate und Argumentationen aus Clemens und Josephus bekräftigt Eusebius in PE 10.8.1–16 mit weiteren Textauszügen aus Diodors
Bibliothek.
*
Kontext zu Th 264
In PE 10.9 geht es um Fragen der Chronologie, insbesondere um das
Alter des Moses und das der Propheten. Eusebius hebt hervor, dass er
sich dabei sogar (PE 10.9.11–13) auf die Angaben seines „Feindes“ Porphyrius (und dessen nur fragmentarisch erhaltenes Werk ,Gegen die
Christen‘) stütze. Nachdem er die Angaben des Porphyrius erläutert
hat, stellt er in PE 10.9.25 fest, dass Moses und die Propheten jenem
zufolge 1500 Jahre früher (%1) als die griechischen Philosophen
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
169
gewesen seien.109 In den Büchern 10–13 führt Eusebius weitere Zeugnisse
chronologischen Inhalts seiner apologetischen Vorgänger an, die seine
Einsichten bekräftigen und veranschaulichen.110 Diese Autoren können
sich wiederum auf andere Zeugen und Untersuchungen berufen. In PE
10.10 zitiert er u. a. aus der Chronographie des Iulius Africanus, in PE
10.11 aus der Oratio ad Graecos des Tatian (cf. Kommentar zu Th 176),111
in PE 10.12 aus den Stromateis des Clemens von Alexandrien und in PE
10.13 wiederum aus Flavius Josephus.
Th 264 Eusebius, Praeparatio Evangelica 10.11.34
(= Tatian Th 176)
Kλ κ ( J(« $%( *8( D λ %λ )« 4% φ
π.!« $0?. " %*0 %( L0.« %λ κ %κ #O.%0 λ %λ ’ µ 8µ π1 (« F.
Th 264 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 10.11.34
Nach diesen Beweisen will ich auch noch kurz auf die Lebenszeit der Sieben Weisen eingehen. Da der älteste von ihnen, Thales, um die fünfzigste
Olympiade [580/79–577/6] lebte, ist auch über seine Nachfolger ganz allgemein bereits gesprochen.
Attribute
Einer der Sieben Weisen
Datierung (auf die 50. Ol.)
Funktion der Bezugnahme
Wie in Th 263 (= Th 108, Flavius Josephus) handelt es sich bei diesem
Zeugnis über Thales um eine Textpassage, die Eusebius aus einem Text
eines anderen Autors anführt, in diesem Fall aus der apologetischen Schrift
des Tatian (= Th 176).112 Sie unterstützt das übergeordnete Argumentationsziel. Inhaltlich geht es um die Lebenszeit der Sieben Weisen, die mit Hilfe
109
110
111
112
PE 10.9.25 %1 Ν M()« λ ¹ ’ µ >E*!( %φ) ! % ’ 6E.. φ.φ( 8.!« %!« D κ "
.(« $µ« ².!.
Cf. PE 10.9.26.
Cf. PE 10.11.1–5 = Tatian orat. 31, PE 10.11.6–35 = Tatian orat. 36–42.
Cf. die Überschrift des Kapitels PE 10.11: ´. APO TOY PO EHNA
TATIANOY.
170
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
der Lebenszeit des Thales datiert werden. Thales, der als „der älteste von
ihnen“ bezeichnet wird, soll um die fünfzigste Olympiade (580/79–577/6)
gelebt haben (cf. dazu den Kommentar zu Tatian Th 176).
Eusebius äußert sich in PE 10.9.28 ausdrücklich über die Gründe für
seine literarische Technik, bei seiner chronologischen Argumentation
aus den Werken früherer Autoren zu zitieren. Die Grundgedanken dieser bemerkenswerten Textpassage sind für das Verständnis der Argumentationsweise des Eusebius von großem Interesse. Eusebius erklärt (PE 10.9.28),
dass er in der gegenwärtigen Argumentation (µ % .) besonders den Stimmen seiner Vorgänger Platz einräume, damit zum einen
„die Väter der Argumentationen“ (¹ .( %«) nicht
ihrer eigenen Früchte beraubt würden, zum anderen, damit durch mehrere Zeugen ( %.( () und nicht nur durch ihn allein
„die Zusammenstellung der Wahrheit“ (π « )« $.!«)
eine unbestreitbare Bekräftigung erhalte ($φ!. .0* κ
/%().113
*
Kontext zu Th 265 / Th 266
Die übrigen beiden Zeugnisse über Thales (Th 265, Th 266) aus dem zehnten Buch stehen im gleichen Kontext. Im letzten Kapitel (PE 10.14) bietet
Eusebius eine Synthese der vorausgehenden chronologischen Argumentation, nämlich die Priorität des Moses und der Propheten gegenüber den griechischen Philosophen:
Es war unsere Aufgabe, zu beweisen, dass die Schriften des Moses und
die der Propheten älter als die der Griechen sind.
113
Cf. PE 10.9.26 ? ξ µ« λ « %µ π
%λ )« )«
%(« $%!=«. κ % ’ π1 . Ν« λ $%µ
%!« µ« 1« !« %(« (.«, θ λ
κ %" % /%’ $*ξ« &« 9
) % ’ >E*!« λ %!.9
9
) 8 )« $% $8.!)
, %.!)
!=(«.
Cf. PE 10.9.28 µ λ 0. 1« π0 1 %8() φ(1«
µ % ., Ρ%(« ²" 9!( κ $%1 %
¹ .( %« λ %.( (, $.. κ ’ 4µ« /", π « )«
$.!« $φ!. .0* κ /%(. Cf. zur Methode seiner Vorgänger
PE 10.9.27.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
171
%Κ ξ π1 M((« λ %φ
%.! >E..
$%1=.114
Darauf spannt Eusebius nochmals den chronologischen Bogen von Moses
(PE 10.14.3) über zahlreiche Herrscher des jüdischen Volkes bis zur
Einnahme Ilions (PE 10.14.3), von der Lebenszeit der ersten Propheten
bis zum Babylonischen Exil zur Zeit der Propheten Daniel und Ezechiel
(PE 10.14.7). Das Ende des Exils wird mit der Herrschaft des Kyros in Persien in Verbindung gebracht (PE 10.14.8). Zu dieser Zeit sollen zum einen
die letzten Propheten Haggai, Zacharia und Maleachi gelebt haben, zum anderen Solon von Athen sowie die „bei den Griechen so genannten Sieben
Weisen“.115 Eusebius bemerkt weiter im Hinblick auf die Sieben Weisen,
dass bei den Griechen keines Philosophen gedacht werde, der als noch älter
(%.«) als diese gelte. Von den Sieben Weisen wird in PE 10.14.10
besonders Thales hervorgehoben, der als erster Physiker oder Naturphilosoph (φµ« %
«) bezeichnet wird.
Th 265 Eusebius, Praeparatio Evangelica 10.14.10–12
T( κ 4% L.)« ² M.&« φµ« %
« >E..&(
Ω« %λ %
π.! λ /.!?(« λ φ(
.&« λ
9!« .8α / ’ ² $κ /%« / 1« 6E...
[11] L0.( ξ ! $κ« #A=!«, P=0 ξ %1«,
« ξ λ µ« M.&«. ^« %
« ;« %µ« 0( %
π.! λ 8( λ ³
λ 9!«.
[12] #A=0 ξ ;« / #A=« E0
M.&«α ξ #A=« >H*. K.'«.
Th 265 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 10.14.10–12
Unter diesen Sieben Weisen hat Thales aus Milet als erster Naturphilosoph
der Griechen die Wenden der Sonne, die Eklipse, die Mondphasen und die
Tag-und-Nacht-Gleiche erörtert. Er war der herausragendste Mann bei den
Griechen. [11] Hörer des Thales aber war Anaximander, Sohn des Praxiades, seiner Abstammung nach aber auch selbst ein Milesier. Dieser richtete
als Erster Gnomones ein zur Erkenntnis der Wenden der Sonne und der Zeitdauer, der Jahreszeiten und der Tag-und-Nacht-Gleiche. [12] Ein Bekannter
114
115
PE 10.14.1.
PE 10.14.9 ξ K" .( #A1« /(!' λ ¹ .« 4%
φλ % ’ 6E.., W %.« λ« % ’ 1« φ.φ« .
172
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
[Freund] des Anaximander aber war Anaximenes, der Sohn des Eurystratos,
der Milesier; von ihm aber [war ein Bekannter (Freund)] Anaxagoras, der
Sohn des Hegesibulos, der Klazomenier.
Attribute
Einer der Sieben Weisen
Milet
Erster Naturphilosoph
Astronomie
Erforschung der Sonnenwenden
Erforschung der Sonnenfinsternis
Erforschung der Mondphasen
Erforschung von Tag-und-Nacht-Gleiche
Thales herausragend bei den Griechen
Anaximander als Hörer des Thales
Funktion der Bezugnahme
Bemerkenswert an diesem Zeugnis über Thales ist zum einen, dass es auf
den ersten Blick keine erkennbare Polemik enthält, zum anderen, dass
einige insbesondere astronomische Informationen über Thales referiert werden. Auffällig ist, dass ihm weder die Wasserthese zugeschrieben noch
er selbst als Philosoph, sondern als erster Physiker oder Naturphilosoph
(φµ« %
«) bezeichnet wird. Wichtig scheint in diesem Zusammenhang für Eusebius besonders die Aussage zu sein (PE 10.14.9), dass bei
den Griechen keines Philosophen (λ« […] φ.φ«) gedacht werde
(), der als noch älter (%.«) als die Sieben Weisen
gelte. Die Aufmerksamkeit wird auf Thales gerichtet, der sich durch seine
astronomischen Forschungen bei den Griechen ausgezeichnet habe
(/ ’ ² $κ /%« / 1« 6E..). Im Folgenden wird
Anaximander als „Hörer“ des Thales eingeführt. Auch die Informationen
über ihn konzentrieren sich auf seine astronomischen Leistungen: Er soll als
Erster Gnomones zur Erkenntnis der Wenden der Sonne und der Zeitdauer,
der Jahreszeiten und der Tag-und-Nacht-Gleiche eingerichtet haben. Von
seiner Prinzipienannahme ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede.116
*
116
In PE 10.14.12 wird im Anschluss an Anaximenes Anaxagoras genannt, dem in diesem Zusammenhang im Vergleich zu seinen Vorgängern unter anderem die bedeutende Aussage über die ordnende Rolle des Geistes ("«) zugeschrieben wird.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
173
Kontext zu Th 266
Nachdem Eusebius die Reihe der Philosophen bis zu Sokrates fortgeführt
hat (cf. Th 265), konstatiert er in PE 10.14.16 nochmals, dass alle Naturphilosophen vor Sokrates, angefangen bei Thales (%0« $%µ L."
$=0), ihre Blütezeit später (;) als der Perserkönig Kyros
gehabt hätten.
Th 266 Eusebius, Praeparatio Evangelica 10.14.16
T ξ %%« $κ« , !%% ξ «, ^
P(«, ’ χ Q (0«. λ Ν..« ξ %0 D
1 φ@« φ.φ« %µ (0« «α %.κ $..
%0« $%µ L." $=0 ; K " P
*.(«
φ! «. ² ξ K"« %.1 )« 9« B*.
98.(!« " #I!( D« ).« / ;« […].
Th 266 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 10.14.16
Dessen (sc. Zenons) Schüler war Leukipp; Schüler von Leukipp aber war
Demokrit; dessen Schüler war Protagoras, zu dessen Zeit Sokrates seine
Blütezeit hatte. Man kann auch andere, einzelne Naturphilosophen finden,
die vor Sokrates gelebt haben. Gleichwohl aber haben anscheinend alle, beginnend mit Thales, später als Kyros, dem König der Perser, ihre Blütezeit
gehabt. Es ist jedoch offensichtlich, dass Kyros sehr lange nach der Babylonischen Gefangenschaft des Volkes der Juden gelebt hat […].117
Attribute
Alle Naturphilosophen haben nach Thales gelebt
Datierung (zur Zeit nach der Babylonischen Gefangenschaft)
Funktion der Bezugnahme
Mit der Datierung des Thales sowie seiner Klassifizierung als erster Naturphilosoph/Physiker (φµ« %
«) wird ein für Eusebius bedeutsamer
Einschnitt in der Geistesgeschichte markiert. In PE 10.14.16 wendet er sich
nochmals an seinen Leser:
Und so wirst du zustimmen, dass das Entstehen der griechischen Philosophie und besonders der Philosophie Platons um vieles jünger als Moses
und die nach ihm kommenden Propheten ist.
117
Übersetzung Schwab.
174
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
— ².1 %.@ ; M((« λ ’ µ %φ
)« >E..&( φ.φ!« λ 0. )« P.0( […].
In dieser These kündigt sich bereits das Thema der Bücher 11–15 an, die besonders der Auseinandersetzung mit der Philosophie Platons und der griechischen Philosophie allgemein gewidmet sind.
*
Kontext zu Th 267
Im elften Buch untersucht Eusebius vor allen Dingen, wie Platon als herausragender Repräsentant der griechischen Philosophie in den wesentlichen
Punkten der Philosophie der Hebräer gefolgt sei.118 Dem elften Buch kommt
aufgrund seines Inhaltes und seiner Stellung innerhalb der Praeparatio eine
besondere Rolle zu. Es leitet den Vergleich zwischen griechischer Philosophie und hebräischem Denken ein und stellt den letzten Abschnitt vor der
Überleitung zur Demonstratio Evangelica dar.119 Das Buch „joue donc un
rôle d’introduction, en présentant les conditions dans lesquelles Eusèbe entend mener cette comparaison, et il en entame la première partie: la mise en
parallèle des traits semblables entre les deux familles de pensée, avec le seul
Platon pour témoin de la philosophie grecque“.120 In seiner Einleitung
betont Eusebius, dass er um der Klarheit des Denkens Platons willen auch
diejenigen „Zeugen“ benutzen werde, die seine Philosophie bewunderten.121 Ihre „Stimmen“ (φ(0«) werde er zur Bestärkung seiner Ansichten
präsentieren. Das erste Kapitel (PE 11.1) steht unter dem programmatischen
Titel „wie die Philosophie Platons der Philosophie der Hebräer in den
wesentlichen Punkten gefolgt ist“.122
118
119
120
121
122
Cf. zum elften Buch der PE die Einleitung von Favrelle (1982) 7–42 sowie ebd. ihren
Kommentar „Le Platonisme d’Eusèbe“, 239–391.
Cf. Favrelle (1982) 41.
Ebd. 41. Favrelle bemerkt ebd. 42 zusammenfassend: „Le livre XI est, pour l’essentiel, une démonstration de l’«hébraïsme» de Platon, un traité de la doctrine chrétienne
vu dans son reflet chez le philosophe, un commentaire enthousiaste et une anthologie
des textes platoniciens, les plus beaux aux yeux d’Eusèbe.“
PE 11. pr. 4 9 % , φ!« U )« " $µ« !«, λ 1« κ
’ µ /'.( φ.φ! 0 8&, « /«
φ(« /%λ 0 " %.
Eusebius behauptet, dass Platon im Hinblick auf die ganze Philosophie drei Teile
(9« ! […] ) – Physik, Ethik und Logik – unterscheide, die Physik dabei noch-
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
175
Eusebius weist (PE 11.1.2) darauf hin, dass er sich bei der Vorstellung
der Meinungen Platons ( $ P.0() auf die Darstellungen
der Verehrer/Anhänger seiner Lehre (
" %*() stützen werde, zu denen er u.a. auch den platonischen Philosophen Attikos
zähle.123
Das zweite Kapitel eröffnet Eusebius (PE 11.2) mit einem Zitat aus einer
Schrift des Attikos %µ« @« #A.« P.0(«
%8« (Gegen diejenigen, welche versprechen, die Schriften Platons mit Hilfe der Schriften des Aristoteles zu interpretieren).124 Attikos
selbst wird von Eusebius als „ein glänzender Mann unter den platonischen
Philosophen“ (φκ« $κ P.(
φ.φ() eingeführt.
Das Kapitel steht unter der Überschrift: „Aus Attikos: Über die Dreiteilung
der Philosophie nach Platon“.
Th 267 Eusebius, Praeparatio Evangelica 11.2.2–3
(= Attikos Th 169)
6O ξ P.0( %
« λ 0. !« 9« ‘ %0 )«
φ.φ!« , (« / λ —% "
P(« ., 0% ρ% «, 0 λ ')
².. $%φ
κ φ.φ!, ). %λ .. [3] OΚ ¹ %λ L.) λ
#A= λ #A= λ Ρ µ «,
$" %λ κ %ξ )« φ(« `( ?
!?«.
123
124
mals in (a) die Betrachtung wahrnehmbarer Gegenstände und (b) die Untersuchung
körperloser Gegenstände aufteile. Diese dreiteilige Gestalt der Lehre (µ ξ«
" )« .!« ρ«) könne man auch bei den Hebräern finden, weil auch
bei ihnen die gleichen Gegenstände ( Ρ) vor der Geburt Platons (% ν
P.0( ) zum Gegenstand der Philosophie geworden seien. Cf. PE
11.1.1. Zuerst sei es lohnend, von den Lehren Platons zu hören, darauf sollten die
Lehren der Hebräer genauer betrachtet werden. Cf. PE 11.1.2 %
ξ P.0(« $" Ν=, ρ’ J(« λ >E*!( /%%).
PE 11.1.2 &( ξ $ P.0( $%µ " %*(, W
#Aµ« φκ« $κ P.(
φ.φ( W % " )
$λ =, / g« o ‚Pµ« @« #A.« P.0(«
%8«‘. Cf. zu Attikos mit weiterführender Literatur Karamanolis (2006)
150–190.
Cf. zum Problem des Titels Karamanolis (2006) 151–153, der ebd. 151 konstatiert:
„Scholars have often taken the phrase %µ« @« #A.« P.0(« %8« as the title of Atticus’ treatise, but most probably this is
not so.“
176
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Th 267 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 11.2.2–3
Dass Platon als Erster ganz vorzüglich alle Teile der Philosophie zu einem
Ganzen vereinigt, die bis dahin zerstreut und zerrissen waren wie die Glieder
des Pentheus, wie einer sagte, und dass er die Philosophie zu einem Körper
und einem vollkommenen Lebewesen gemacht hat, ist jedem einleuchtend,
der es hört. Auch verkennt man nämlich nicht, dass diejenigen um Thales,
Anaximenes und Anaxagoras und alle, die zur gleichen Zeit wie diese lebten, sich nur mit der Betrachtung der Natur des Seienden beschäftigten.125
Attribut
Naturphilosoph
Funktion der Bezugnahme
Die Bezugnahme auf Thales ist Bestandteil des Zitates aus Attikos (=
Th 169). Im Anschluss an die von Attikos konstatierte Dreiteilung der Philosophie Platons (in Ethik, Physik und Logik) macht er auf die große Leistung Platons im Hinblick auf die vor Platon disparaten Teile der Philosophie
aufmerksam. Attikos betont, dass Platon als Erster und in besonderem Maße
alle Teile der Philosophie zu einem Ganzen vereinigt habe, die zuvor zerstreut und durcheinander lagen wie die Glieder des Pentheus.126 Platon
habe, wie für jedermann offenkundig, die Philosophie als einen Körper und
ein vollständiges Lebewesen offenbart. Mit dieser für Platon beanspruchten
ganzheitlichen Sichtweise der Philosophie kontrastiert Attikos (PE 11.2.3)
die bekannte einseitige Ausrichtung „derjenigen um“ (¹ %!) Thales, Anaximenes sowie Anaxagoras und der vielen, die ihre Zeit nur mit der Betrachtung der Natur des Seienden verbrachten (%λ κ %ξ )« φ(«
`( ? !?«). Attikos kontrastiert ebenso mit Platons
synthetischer Leistung zum einen den einseitigen Fokus auf die politischen
Aktivitäten (9« %.!) bei Pittakos, Periander, Solon und Lykurg, zum
) 89
anderen die Konzentration auf die Kunst der Argumentation (/%λ 9
.() bei Zenon und in der eleatischen Schule.127
Festzuhalten ist, dass Thales an dieser Stelle aus der Perspektive des Attikos als ein Naturphilosoph präsentiert wird, der sich nur für die Betrachtung der Natur des Seienden interessiert habe. Von einer politischen Tätigkeit als Berater oder bestimmten ethischen Maximen ist in seinem Fall nicht
125
126
127
Übersetzung Schwab.
Cf. zu den „Gliedern des Pentheus“ Clemens str. 1.13.57.1 und Kontext Th 199.
Cf. PE 11.2.3 Z&( ξ λ %» µ #E.µ " .1 λ µ ; /%λ 9
) 89
.( 0. %0.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
177
die Rede. Eusebius, dessen übergeordnete Absicht auf eine Darstellung der
Philosophie Platons sowie den Vergleich derselben mit der „Philosophie“
der Hebräer abzielt, übernimmt die Darstellung des Attikos, die veranschaulicht, dass vor Platon noch nicht von einer ‚ganzheitlichen‘ Philosophie die
Rede sein kann.
*
Kontext zu Th 268
Bevor sich Eusebius in PE 11.4 und PE 11.5 der Philosophie der Hebräer,
ihren ethischen Lehren einerseits und der logischen Methode andererseits,
widmet, zitiert er im Anschluss an das Zitat aus Attikos in PE 11.2–3 eine
Textpassage aus dem Werk des Peripatetikers Aristokles von Messene
(= Th 97), der vermutlich um die Zeitenwende lebte.128
Th 268 Eusebius, Praeparatio Evangelica 11.3.1
(= Aristokles Th 97)
#Eφ.φ ξ P.0(, 9 ! « Ν..« %;%, !(« λ
.!(«. O¹ ξ $%µ L0.( φ."« ., ¹ ξ %λ
P /%? %0.
Th 268 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 11.3.1
Wenn überhaupt einer, so philosophierte Platon wahrhaft und vollgültig.
Thales nämlich und seine Schule haben nur Naturphilosophie betrieben, die
um Pythagoras aber haben alles verschleiert.
Attribut
Naturphilosoph
Funktion der Bezugnahme
Das Zeugnis über Thales steht innerhalb dieses Zitates aus Aristokles,
das Eusebius aus dem siebten Buch des Werkes „Über die Philosophie“
zitiert.129 Aristokles vertrete darin (PE 11.3.1) wörtlich (%µ« q)) die
These, dass Platon, wenn überhaupt irgendeiner jemals, wahrhaft und voll128
129
Cf. zu Aristokles und seinem Werk Karamanolis (2006) 37–41, Chiesara (2001) und
Moraux (1984) 83–207.
PE 11.2.6 T" ξ ² #A«α /%1 ξ 1« 1« λ ² P%µ«
( 0 W Pλ φ.φ!« = W .(
#A.)«, / 4*)
%µ« q)α
178
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
kommen (!(« λ .!(«) philosophiert habe. Die Vollkommenheit
von Platons Philosophie wird (PE 11.3.2) von Aristokles dreifach kontrastiert: erstens mit denjenigen, die ausgehend von Thales ($%µ L0.() nur
das Ziel verfolgten, die Natur zu erklären (φ."« .),
zweitens mit denjenigen um Pythagoras (¹ ξ %λ P), die alles
verschleiert hätten (/%? %0), und drittens mit Xenophanes
und seinen Nachfolgern (mφ0« ξ λ ¹ $%’ /!), die streitsüchtige Diskussionen geführt (@« /@« &« .«) und
bei den Philosophen mehr Schwindel (%.@ […] F.) erzeugt als Hilfe
geboten hätten.130
Obgleich es Eusebius nach seiner eigenen Auskunft (PE 11.3.10) bei diesem Zitat aus Aristokles vor allem um die (lobreiche) Darstellung der Philosophie Platons geht, fügt sich die Kritik an den drei bereits vor Platon einsetzenden Traditionssträngen, die auf Thales, Pythagoras und Xenophanes
zurückgeführt werden, gut in seine Argumentation ein. Die Abgrenzung der
als wahr und vollkommen betrachteten Philosophie Platons geschieht auch
bei Aristokles (ähnlich wie bereits bei Attikos Th 267) in Auseinandersetzung mit und Kritik an seinen Vorgängern, darunter Thales. Diese werden
als einseitig und streng begrenzt in ihren Forschungen präsentiert. Wiederum lässt sich an der raffinierten Technik der Zitation des Eusebius zeigen, dass er selbst nicht zu kritisieren braucht, sondern vielmehr durch seine
Zitate aus einem anderen Munde kritisieren lässt.
*
Kontext zu Th 269
Auch im zwölften Buch geht es Eusebius darum, Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen Platon und der Lehre der Hebräer aufzuzeigen. Eusebius
zitiert insbesondere Passagen aus Platons Staat und den Nomoi.131 Nachdem
er in PE 12.27 die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat, dass der eigentliche
Kampf des Menschen gegen sich selbst und die Leidenschaften in sich zu
führen sei, vertritt Eusebius in PE 12.28 die These, dass die Seele und nicht
130
131
PE 11.3.1 ¹ ξ $%µ L0.( φ."« ., ¹ ξ %λ P /%? %0α mφ0« ξ λ ¹ $%’ /! @« /@«
&« .« %.@ ξ /*. F. 1« φ.φ«, κ /%0
*&.
Cf. zum Platonismus des Eusebius Favrelle (1982) 239–391, zu den Platon-Zitaten
des 12. Buches die Einführung von des Places (1983) 8–12 sowie insgesamt die Auflistung der Themen und Quellen bei Breitenbach (2003) 111–112 Anm. 205.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
179
der Körper Ursache für gute und schlechte Handlungen sei. Gegenstand von
PE 12.29 ist der ernsthafte und aufrichtige Philosoph. Die Überschrift des
Kapitels lautet PEI TOY KALA RIOOROYNTO, „Über denjenigen, der makellos philosophiert“. Dieses Thema leitet Eusebius in PE
12.29.1 mit einem Zitat aus dem Alten Testament (Klgl 3,27–28) und einer
Charakterisierung der Propheten in Anspielung auf den Hebräerbrief (Hebr
11,38) ein, bevor er zum Vergleich mit Platon eine längere Passage aus dem
Theaitetos (Tht. 173ff.) zitiert. In ihr geht es um die Beschreibung desjenigen, der sich zur Höhe der Philosophie erhebt. Die hebräische (‚Heilige‘)
Schrift (Klgl 3,27–28) sage über die ernsthaft Philosophierenden:132
Gut ist es für den Mann, ein Joch zu tragen in seiner Jugend; er wird einsam sitzen und schweigen, wenn Gott es ihm auferlegt […].
#Aµ $λ Ρ Ν9
'µ / "α & « λ (%& Ρ f /φ’ 4)
[…].133
Diese erste Charakterisierung „der ernsthaft Philosophierenden“ verbindet
Eusebius mit einer Aussage „über die von Gott geliebten Propheten“ (%λ
φ.
%φ
), die in Anspielung auf den Hebräerbrief (Hebr
11,38) ihr Leben „in den Wüsten, auf Bergen und in Höhlen“ verbracht hätten, um die Höhe der Philosophie zu erlangen, indem sie ihre Gedanken nur
( )
)
κ 0 D8«).134 Anauf Gott allein richteten (%µ« )
schließend leitet Eusebius folgendermaßen zu Platon über:
Höre jetzt Platon, wie auch er diese Lebensweise vergöttlicht, indem er
die folgende Beschreibung desjenigen gibt, der sich zur Höhe der Philosophie erhebt.
#E%0 " P.0(« Ρ%(« λ µ« µ " *!
% /0', W % %λ " Ν(« φ.φ"« =;α135
132
133
134
135
PE 12.29.1 T)« % ’ >E*!« φ)« %λ " %9
) φ.φ"« φ«α
PE 12.29.1.
PE 12.29.1 […] λ %λ φ.
%φ
, ³« Ν ’ $ φ.φ!« / /!« λ ` λ %.!« ), %µ« )
( )
)
κ 0 D8« […].
PE 12.29.1.
180
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Darauf folgt das Zitat aus dem Theaitetos (173c6–177b7), in dem sich die
literarische Figur des Sokrates über diejenigen äußert, „die an der Spitze stehen“ (%λ φ!(), d.h. die nach Weisheit strebenden und sich
nicht um weltliche Belange kümmernden Philosophen. Deren Verhalten
wird unter anderem exemplifiziert am Brunnenfall des Thales (cf. Th 19),
der mit dem Typus des berechnenden Redners kontrastiert wird.
Th 269 Eusebius, Praeparatio Evangelica 12.29.4–5
(= Platon, Theaitetos Th 19)
P
« " .«, τ ;«; 6% λ L.) $", τ
L(, λ Ν( *.% % 9« φ L)
»0 « /.κ« λ
8! %λ« $%
? . ³« ξ / )
%1 9, ξ `% " λ % %« .0 .
µ ξ $1 /%λ %0« Ρ / φ.φ!)
0. )
` µ " ² ξ %.! λ ² !( .., Ρ %0, $..’ \.! λ 9 Ν(%« / Q Ν.. . ! %’
/λ Ν(%« λ ! 9
) 9
φ %& 0φ Ν..(
%1 ν %08α '1 λ %0’ D8 ;«. M0«
0 %, τ L(, ν Κ;
Th 269 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 12.29.4–5
Wie meinst du das, mein lieber Sokrates? Thales, mein lieber Theodoros,
fiel, als er sich mit den Sternen beschäftigte und nach oben blickte, in einen
Brunnen. Da soll ihn eine witzige und reizende thrakische Magd verspottet
haben, weil er zwar die Dinge am Himmel zu erkennen begehre, ihm aber,
was ihm vor den Füßen liege, entgehe. Dieser Spott gilt aber für alle, die in
der Philosophie leben. Denn in der Tat: Wer dazu gehört, weiß nichts von
seinem Nächsten und nichts von seinem Nachbarn. Nicht nur nicht, was dieser tut, sondern beinahe nicht einmal, ob er ein Mensch ist oder sonst ein Lebewesen. Was aber ein Mensch überhaupt ist und was seiner spezifischen
Natur im Unterschied zu den anderen Wesen zukommt zu tun oder zu leiden, danach sucht er und müht sich, es zu erforschen. Denn du verstehst
wohl, mein lieber Theodoros, oder nicht?
Attribute
Brunnenfall
Astronomie
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
181
Funktion der Bezugnahme
Bei diesem Zitat aus Platons Theaitetos geht es Eusebius um den übergeordneten Vergleich der göttlichen Lebensform des Philosophen, die sowohl
von Platon als auch von den Hebräern vertreten werde. Die Bezugnahme
auf Thales und die Brunnenfallanekdote ist damit Bestandteil dieses Vergleiches. Sie wird von Eusebius in diesem Zusammenhang als positives Pendant
zu den hebräischen Vorstellungen des ernsthaften Philosophen präsentiert.
*
Kontext zu Th 270
In PE 12.43ff. geht Eusebius auf weitere Ähnlichkeiten zwischen Platon
und den Hebräischen Schriften ein (cf. Th 269), z.B. im Hinblick auf die
Verwendung gleicher Beispiele.136 Er zitiert vor allem Stellen aus Platons
Gesetzen und dem Staat.137 Die Bezugnahme auf Thales (cf. Platon Th 22)
steht in PE 12.49 im Rahmen einer Textpassage aus dem zehnten Buch
von Platons Staat (Rep. 599b-601b). Eusebius versucht zu zeigen, wie Platon, nachdem er die Art und Weise der bei den Hebräern üblichen Erziehung
übernommen habe, die propädeutischen Lehren der Griechen zurückweise.138 Die Aufmerksamkeit richtet sich auf Homer, der mit Thales und
Anacharsis kontrastiert wird.
Th 270 Eusebius, Praeparatio Evangelica 12.49.6
(= Platon, Staat Th 22)
#A..’ g κ 9« D φ" $µ« %..λ /%! λ &8
9« 8« Q « Ν..« %0=« ., —% σ L0.; %
" M.! λ #A80« " ; O
« " .
136
137
138
Cf. die Überschrift zu PE 12.43 ´. OTI TOI AYTOI O PATN OI KAI H
PA’ EBAIOI ARH KEXHTAI PAAEIMAI.
Nachdem Eusebius in PE 12.47 in einem Vergleich mit Platons Gesetzen (Lg.
760b3–6) zuerst zu zeigen versucht hat, dass darin die Zahl „Zwölf“ ähnlich der Aufteilung des hebräischen Volkes in zwölf Stämme von zentraler Bedeutung sei, kommt
er in PE 12.48 auf Platons Ortsbeschreibung der Stadt zu sprechen, die nach Eusebius
dem einstigen Jerusalem gleiche.
Cf. PE 12.48.6 #A.. ( π1 λ 8 " $%( ?; Ρ%(« µ )« % ’ >E*!« %!« % ’ W 9& $%
0)
( )« P.!«
=0« µ >E..µ %1, 0φ( / )
Wα […]
182
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Th 270 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 12.49.6
Doch werden nun (von ihm; sc. Homer) wie im Hinblick auf die Werke
eines weisen Mannes viele geistreiche Erfindungen bezüglich der Künste
oder irgendwelche andere Taten erzählt, so wie wiederum von Thales aus
Milet oder dem Skythen Anacharsis?139 Keineswegs dergleichen.140
Attribut
Milet
Funktion der Bezugnahme
Durch die so zitierten Textpassagen aus Platons Staat (PE 12.49.1–2 = Rep.
595b4–c4 und PE 12.49.3–14 = Rep. 599b9–601b6) werden vornehmlich
Homer und die Dichter nach ihm u.a. für ihre konstatierte Wirkungslosigkeit im Bereich der Erziehung kritisiert. Die Dichter (PE 12.49.12)
seien im Hinblick auf die Tugend und andere in ihrer Dichtung behandelte
Gegenstände nichts als „Nachahmer von Trugbildern“.141 Diese kritischen
Ausführungen werden von der literarischen Figur des Sokrates gegenüber
Glaukon geäußert. In diesem Zusammenhang werden sowohl Thales als
auch der Skythe Anacharsis als im Vergleich (—%) zu Homer positive
Beispiele für ihre Erfindungen und Taten genannt.
*
Kontext zu Th 271
Zu Beginn des vierzehnten Buches erklärt Eusebius, dass er sich nach der
Besprechung der Philosophie Platons im Folgenden den übrigen Philosophenschulen zuwenden werde, die bei den Griechen zur Philosophie verhalfen (PE 14.1.1 " /%λ « .%« ¹« % ’ 6E..
/%λ φ.φ!)
*().142 Wie bereits in den vorangehenden Büchern
139
140
141
142
Wöhrle (2009) 45 Anm. 1: „Aus einer Königsfamilie stammender Skythe (cf. Herodot Hist. 4.46 u. 76ff.). Aufgrund seiner natürlichen Klugheit wurde er zum idealistischen Gegenbild der griechischen Zivilisation stilisiert und teilweise unter die
Sieben Weisen gezählt.“
Übersetzung Schwab.
Cf. PE 12.49.12 P0%, Dφ, 1« , τ ;«, $.) .. O"
$%µ >O& $=0 %0« @« %@« « 9;.( $)«
ρ λ Ν..( %λ W %", )« ’ $.!« 8 Ϊ%;
Cf. zu PE 14 und 15 Mansfeld/Runia (1997) 130–141. Zum Gebrauch der Terminologie der „dissensio philosophorum“, die in ihrem apologetischen Gebrauch bis auf
Philon zurückgeht, der diese von früheren skeptischen Attacken gegenüber der dogmatischen Philosophie aufgenommen hat, cf. Mansfeld (1988) 70–102.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
183
betont er (PE 14.1.2), dass nicht er selbst oder durch seine Vermittlung, sondern er durch das Zeugnis wiederum ihrer eigenen griechischen „Stimmen“
( ξ )« %0. >E..
φ(
!«) den „Abfall
von der Wahrheit“ (µ / )« $.!« `.) den Lesern zur Prüfung
vor Augen führen möchte.143 Obgleich Eusebius eingangs seine große Bewunderung ( ") für die Philosophen im Vergleich zu gewöhnlichen Menschen erwähnt, ist diese Bewunderung nur relativ im Vergleich
zu den Theologen und Propheten der Hebräer, insbesondere im Vergleich
zu Gott selbst, der mittels dieser sowohl seine Weissagungen mitteile
als auch Wunder vollbringe.144 Eusebius kündigt (PE 14.2.7) an, dass er bei
„allen namentlich genannten Physikern“ (
/%!. ξ φ
4%0() „sowohl die Widersprüche ihrer Lehren“ (
0( «
φ(!«) aufzuzeigen versuche als auch die Nutzlosigkeit (κ $80) ihrer eifrigen Studien. Seine Untersuchung führe er weder als
ein „Griechenhasser“ (..) noch als ein „Verächter der Vernunft“
(.«). Es gehe ihm vielmehr darum, jeden Grund der verleumderischen Anklage aus dem Weg zu räumen, dass die Christen die hebräischen
Propheten bevorzugt hätten, ohne mit der griechischen Kultur vertraut gewesen zu sein.145 Eusebius kontrastiert die besonders in PE 14.3.1–6 behauptete Übereinstimmung bzw. Harmonie (φ(!) im Hinblick auf die
Entwicklung der Lehrmeinungen bei den Hebräern, bei Moses, den (späteren) Propheten sowie den Christen mit den Gegensätzen, Widersprüchen
(φ(!) und dem „Kampf“ (08) bei den griechischen Philosophen.146
143
144
145
146
PE 14.1.2 λ ( σ %0. µ / )« $.!« `. µ« ξ % ’
/", ξ )« %0. >E..
φ(
!« %1 1«
/80 %µ \φ.
&(α
Cf. PE 14.1.2–3 […] ξ & $
$%8«, W λ " D8 ².
, Ρ κ 1« Ν..«, g0% $;%«, %*0..( @«
Ν«α /% ξ 1« >E*!( .« λ %φ&« )
)
(
λ ..( %&« λ 0( /%!=« %%)
(, $ κ λ
0( *
0( $.
.! **.)
(, ’
ρ! 1 .(« /%?, 9 µ %µ $;%( λ $.&
κ %µ .
λ 8
;.
Cf. PE 14.2.7 λ /%!. ξ φ
4%0( ²" 0( « φ(!« λ )« %)« κ $80 9« φµ F(, Κ ! %
.. ξ .« « z (%.." (), *.)« ’ 9! $%.«, Ρ κ )« >E..)« S φ!« %« >E*!( .
%&.
Cf. die Überschrift PE 14.3 ´. PEI TH TN KAL’ EBAIOY YMRNIA und die Ausführungen in PE 14.3.1–6. Cf. dazu die Überschrift PE 14.2 *´.
184
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
In PE 14.13.9 markiert Eusebius einen neuen Abschnitt in seiner Untersuchung, in der nun die wechselseitigen Gegensätze (%µ« $..&.« $=!«) in den Lehren (0«) der so genannten Naturphilosophen
betrachtet werden sollen.147 Eusebius stützt sich dabei nach eigenen Angaben auf die Schrift des Ps.-Plutarch, in der dieser unter dem Titel Pλ $( 1« φ.φ« φ
0( in mehreren Büchern
die Meinungen der verschiedenen Philosophen und Philosophenschulen zusammengetragen habe (« =« ;).148
Die Bezugnahme auf Thales in PE 14.14.1, die sich an diese Information
anschließt, steht zu Beginn der Textpassage, die Eusebius (mit kleinen,
aber unerheblichen Abweichungen) aus dem ersten Buch des Ps.-Plutarch
(Th 147) zitiert, das Eusebius unter dem Titel „Meinungen der Philosophen
über die Prinzipien“ (OmAI RIOORN PEI AXN) anführt.
Th 271 Eusebius, Praeparatio Evangelica 14.14.1
(cf. Ps.-Plutarch Th 147)
L.)« ² M.&«, g« 4% φ
, $8κ `( $%φ&
ρ µ J(. 1 ξ ² $κ ^« Ν= )« φ.φ!« λ $%’
" π #I(κ o« %α / %.1 8!.
φ.φ&« ξ / A9%)
( %*« f. 9« M!.. /= J«
φ %0 ρ λ 9« J( %0 $.. 80' ξ /
%; Ρ %0( ')
;( π κ $8& /, !α J(«
9µ« λ %0 /= " κ $8κ D8. α %0 φ
)
φ! λ %φ1, $" ξ =!. ! ,
Ρ λ µ µ %" µ " π.! λ Ν( 1« 0(
$0 φ λ µ« ² «. " λ 6O«
κ ; %! %λ " J«α „#, Ρ%
« %0 .“ " ξ ² L.)«.
147
148
PEI TH TN RIOORN PO AHOY IARNIA KAI
MAXH und die von Eusebius verwendete Terminologie in PE 14.2.1–7.
PE 14.13.9 ?; ) .%µ Q Ν( $=0 « 9(
φ
φ.φ( « %µ« $..&.« $=!«.
Cf. PE 14.13.9 0φ κ $(« 4%0( P.(
²" λ P!( D %*( φ
φ.φ( /%.( λ σ %0.
(( P%
λ (=
λ #E%!( « =« Ω ² P.8« / g« /%? „Pλ $( 1« φ.φ«
φ
0(,“ /= W %& "α
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
185
Th 271 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 14.14.1
„Thales aus Milet“, einer der Sieben Weisen, „legte dar, dass das Prinzip
alles Seienden das Wasser ist. Es scheint aber dieser Mann der Archeget der
Philosophie gewesen zu sein, und nach ihm erhielt die Ionische Schule ihren
Namen; denn es entstanden sehr viele Schulen [der Philosophie]. Nachdem
er in Ägypten philosophiert hatte, kam er in höherem Alter nach Milet
zurück. Aus dem Wasser, so sagt er, sei alles und in Wasser löse sich alles
wieder auf. Er schließt dies zunächst aus der Tatsache, dass der Same, eine
feuchte Substanz, das Prinzip aller Lebewesen ist. So ist es wahrscheinlich,
dass alle Dinge ihr Prinzip aus dem Feuchten haben. Zweitens [schließt er
dies aus der Tatsache], dass alle Pflanzen dank des Feuchten ernährt werden
und Frucht tragen, aber vertrocknen, wenn sie keinen Anteil [am Feuchten]
haben. Drittens [schließt er dies aus der Tatsache], dass auch das Feuer der
Sonne selbst und das der Gestirne durch die Ausdünstungen der Wasser ernährt werden, ebenso der Kosmos. Daher äußert auch Homer diese Ansicht
über das Wasser: „Der Okeanos, der der Ursprung von allem ist.“149 Soweit
Thales.
Attribute
Milet
Einer der Sieben Weisen
Archeget der Philosophie
Schule von Milet
Ägyptischer Einfluss: Ägyptenreise
Wasserthese in Verbindung mit Homer
Funktion der Bezugnahme
Wie bereits die Auflistung der zahlreichen Thales zugeschriebenen Attribute der Textpassage erkennen lässt, stellt dieses Zeugnis über Thales
das längste im Werk des Eusebius insgesamt dar. Neben biographischen Angaben enthält es drei Argumente für die Wasserthese und die angeführte
Verbindung zu Homer, die sich in anderer Form zum ersten Mal bei Aristoteles findet (cf. Th 29).150 Seine argumentative Funktion erhält die Bezug149
150
Homer Il. 14.246.
Arist. Met. 1.983b27–33 9λ « θ λ @« %%.!« λ %.@ %µ )«
" (« λ %;« .&« J(« F %λ )« φ(« %.*1α # λ T@ /%! )« (« %«, λ µ
Ρ J(, κ . %’ [
%
]α ; ξ µ %*, Ρ« ξ µ ; /.
186
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
nahme auf Thales (PE 14.14.1) jedoch erst durch den weiteren Kontext, in
dem mittels der Aufzählung von Anaximander (PE 14.14.2), Anaximenes
(PE 14.14.3), Heraklit und Hippasos (PE 14.14.4), Demokrit und Epikur
(PE 14.14.5) sowie Empedokles (PE 14.14.6) im Hinblick auf deren Prinzipienannahmen ein Dissens illustriert wird. Eusebius geht es vornehmlich
um die Veranschaulichung dieser Meinungsverschiedenheit. Bemerkenswert ist, dass er nur eine bestimmte Auswahl aus dem Placita-Lemma 1.3
über die $8! zitiert.151 Die von ihm so getroffene Auswahl scheint ihm
jedoch für seine erste Schlussfolgerung in PE 14.14.7 völlig hinreichend.
Nachdem er die Aufzählung bis zu Empedokles (PE 14.14.6) geführt hat,
stellt Eusebius in zweifacher Hinsicht fest (PE 14.14.7):
Zum einen ist die Unstimmigkeit unter den ersten Naturphilosophen so
groß, zum anderen ist deren Lehre über die Prinzipien so beschaffen, dass
sie weder einen Gott noch einen Schöpfer, keinen Demiurgen, noch irgendeine Ursache des Universums annehmen, weder Götter noch unkörperliche Kräfte noch intelligible Naturen, keine rationalen Wesenheiten
noch überhaupt irgendetwas in ihren ersten Prinzipien annehmen, das
jenseits des Bereichs der Sinne liege.
T ξ π %;( φ
φ.φ( φ(!, ξ λ π %λ $8
=, , %&, µ
Ρ.( F ξ κ @« ’ $(0« 0«, « φ«, .« !« ’ Ρ.(« /µ« 9&(«
/ 1« $81« %(.
In seiner Auswertung formuliert Eusebius seine Kritik in zweifacher Hinsicht: Zum einen hebt er zuerst in quantitativer Hinsicht den Dissens zwischen den Naturphilosophen im Hinblick auf ihre Prinzipienannahmen hervor (T ξ π […] φ(!), zum anderen kritisiert er die
präsentierten Meinungen inhaltlich ( ξ λ π %λ $8
=), indem er sie (auch in rhetorischer Akkumulation) als strikt materialistisch zu verstehen scheint.
Als Ausnahme führt Eusebius nur Anaxagoras (PE 14.14.8) an, der als
erster unter den Griechen in seiner Rede von den ersten Prinzipien erklärt
151
Cf. dazu Mansfeld/Runia (1997) 132–133, 132: „In Book XIV he (sc. Eusebius)
draws on the two longest chapters in P (sc. Ps.-Plutarch), 1.3 on the $8! and 1.7 on
theology. Of these chapters he makes selective use, not citing them in their entirety.“
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
187
habe, dass der Geist die Ursache aller Dinge sei.152 Anaxagoras sage insofern nicht nur etwas über die „Essenz“ der Dinge aus, sondern insbesondere
über die Ursache, die sie in Bewegung setze.153
Die Zusammenstellung von Lehrmeinungen der Naturphilosophen des
Ps.-Plutarch dient Eusebius (ähnlich wie bereits Th 260, Th 261) als ideale
Textgrundlage für seine argumentativen Zwecke. Mansfeld/Runia bemerken dazu treffend: „The use of P’s manual (sc. Ps.-Plutarch’s Placita) fits
extremely well into this programme. Merely by writing out the various collections of =, Eusebius can show how the philosophers are at loggerheads with themselves.“154
*
Kontext zu Th 272
In PE 14.15.1–10 wird jedoch auch Anaxagoras durch zwei Zitate aus Platons Phaidon (Phd. 97b-99b1, 99b6-c6) getadelt. Eusebius bemerkt darauf
(PE 14.15.11), dass Xenophanes und Pythagoras, die er an dieser Stelle als
Zeitgenossen des Anaxagoras bezeichnet,155 die „Unvergänglichkeit“ Gottes und die Unsterblichkeit der Seele zum Gegenstand der Philosophie gemacht hätten.156 In PE 14.15.11 kündigt Eusebius an, dass er nun wiederum
(%0.) ausgehend von Ps.-Plutarch (cf. Plac. Lemma 1.7) die Annahmen
der Philosophen „über die Götter“ (« %λ %.&?«) darzulegen
beabsichtige:157
Plutarch beschreibt nun wieder die Annahmen derselben über die Götter
auf diese Art und Weise: […].
%0. ’ σ ² P.8« « %λ %.&?«
" 0φ µ %α
152
153
154
155
156
157
PE 14.14.8 « ’ σ %
« >E..&( #A=« / 1«
%λ $8
.« N" µ %0( F $%φ&.
Interessant ist der folgende Kommentar von Eusebius PE 14.14.9–10 0
’ D ³« ^« %
« % ’ 6E.. " .&« µ %, =«
#A!« Ν« ρ, Ρ κ µ S. /., µ ξ π.! %&, "
1 .λ« D. Cf. dazu Breitenbach (2003) 117–118 und Mansfeld/
Runia (1997) 132–136, insbes. 134 Anm. 45.
Mansfeld/Runia (1997) 131.
Cf. dazu Mansfeld/Runia (1997) 134–135.
PE 14.15.11 %λ $φ!« " λ ?8)« $!« /φ.φα
Cf. Diels (1879) 301ff., Textvergleich bei Mansfeld/Runia (1997) 133, 135–136.
188
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Zuerst geht es um diejenigen (PE 14.16.1), welche die These verteten haben
sollen, dass es gar keine Götter gebe, wie Diagoras von Melos, Theodoros
von Kyrene und Euhemeros von Tegea, ebenso der Dichter Euripides
(cf. Ps.-Plutarch 1.7). Es folgt eine Kritik an Anaxagoras und Platon (cf. Ps.Plutarch 1.7). In PE 14.16.6 schließen sich die prägnanten Thesen zu Thales, Anaximander, Demokrit und Pythagoras an.158
Th 272 Eusebius, Praeparatio Evangelica 14.16.6
L.)« µ ρ µ .
Th 272 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 14.16.6
Thales sagte, dass der Kosmos Gott sei [vgl. Th 149].
Attribut
Gott: Der Kosmos ist Gott (sic!)
Funktion der Bezugnahme
Bemerkenswert sind mehrere Aspekte, die sowohl den Kontext als auch
die Thales zugeschriebene These betreffen. (1) Nach der Ankündigung
des Eusebius (cf. PE 14.15.11) und der Überschrift des Kapitels PE 14.16
geht es um „Meinungen der Philosophen über (die) Götter“ (OmAI RIOORN PEI LEN, im Plural), während das in großen Auszügen
zitierte Lemma bei Ps.-Plutarch folgendermaßen überschrieben ist: !« ²
«; d.h. „Wer ist Gott (bzw. „die Gottheit“)?“ (im Singular).
(2) Von besonderem Interesse ist die von Eusebius präsentierte Aussage
zu Thales. Wiederum besteht eine kleine, aber nicht unbedeutende Differenz zwischen dem Text des Ps.-Plutarch und dem des Eusebius, wie die Gegenüberstellung zeigt:
Ps.-Plutarch (1.7 = Th 149) L.)« " " .
Für Thales ist der Geist des Kosmos Gott.159
158
159
PE 14.16.6. L.)« µ ρ µ . #A=!« @« $«
!« «. « µ / %λ φ) κ ?8&. P« $8
κ 0 µ λ µ $, S« /λ π " 4µ« φ«,
µ« ² "«α κ ’ $ 0 λ ! λ µ , %λ S / µ
.µ %.)«. Cf. zu Demokrit Mansfeld/Runia (1997) 136.
Cf. die Überlegungen von Mansfeld zur Genese der Thales zugeschriebenen Doxa
in Ps.-Plutarch Plac. 1.7 (!« ² «) in Mansfeld/Runia (2009) 87 und bes. 177–180.
Interessant ist die resümierende allgemeiner formulierte Bemerkung von Mansfeld
ebd. 180: „So a new and spurious doxa may to some extent be spun out of other doxai,
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
Eusebius (PE 14.16.6)
189
L.)« µ ρ µ .
Thales sagte, dass der Kosmos Gott sei.
Die Differenzen sind offensichtlich: Der gravierendste Unterschied zwischen beiden Texten besteht darin, dass der Begriff des "« in der Aussage
bei Eusebius gar nicht vorkommt (Cf. dagegen Kyrill Th 375: L.)«
ξ σ ² M.&« " " φλ µ ). Wie ist die Aussage
des Eusebius zu verstehen? Es handelt sich um die These von der Identität
Gottes mit dem Kosmos. Eusebius präsentiert für Thales eine Gottesvorstellung, die man wörtlich als ‚Kosmotheismus‘ beschreiben könnte. Gott wird
dabei mit der Welt gleichgesetzt, d.h. er wird materialistisch oder (Welt-)
immanent verstanden. Thales wird damit an dieser Stelle als materialistischer Theist charakterisiert.
Zu bemerken ist, dass Eusebius auch bei Demokrit einen gegenüber dem
des Ps.-Plutarch leicht veränderten Text aufweist. Wiederum besteht der
größte Unterschied darin, dass der bei Ps.-Plutarch explizit genannte "« in
der Präsentation des Eusebius fehlt.160 Wie sind solche Veränderungen des
Textes zwischen Eusebius und Ps.-Plutarch zu erklären?
(1) Zum einen ist es natürlich möglich, dass Eusebius einen anderen Text
des Ps.-Plutarch vor Augen hatte als wir in der handschriftlichen Überlieferung.161
(2) Ebenso ist es denkbar, dass Eusebius beim Abschreiben ein Fehler
unterlief.162
160
161
162
and may be formulated according to the same pattern, a pattern which, by the way,
proves to have aquired canonical status. Tenets can be produced which, so to speak,
are pseudo-abridgements of an original, but they may also be abstracts and transformations of something intermediate, either hypothetical or founded in fact, between
the original and themselves.“
Mansfeld/Runia (1997) 136 bemerken dazu: „All Eusebius did was drop the word
".“
Cf. Mansfeld/Runia (1997) 138 zusammenfassend zu den „textual differences“ zwischen Eusebius und Plutarch v.a. mit Beispielen aus Buch 15 der PE: „In general one
observes a slight tendency to simplify or normalize the text. […] it is possible that
some of these differences are due to the fact that Eusebius had a different text than we
have received in the mss. tradition.“
Cf. Mansfeld/Runia (1997) 138: „But many of the simplifications can be explained as
occuring quite naturally when a text is being copied out, the precise wording of which
is not authoritative (as in the case of the Bible or a mayor text). Even in the case of Eusebius, who wishes to be a faithful recorder of the errors of others, the inherent fluidity
of the doxographical tradition is a factor to be reckoned with.“
190
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
(3) Wichtig ist jedoch wiederum der Blick auf den argumentativen Zusammenhang: In PE 14.16.11 zieht Eusebius ein zweifaches Fazit:
Von solcher Art sind nun die Unstimmigkeiten der Naturphilosophen und
die üblen Reden über Gott, von denen die Darstellung zeigt, dass als Erste
diejenigen um Pythagoras und Anaxagoras, Platon und Sokrates, einen
Geist und Gott über dem Kosmos anordneten.
T" ξ κ φ
φ.φ( λ ¹ %λ " 0«
λ φ!, W %;« ² .« ! @« $φλ µ P λ #A= P.0(0 λ (0 " λ µ
/%) )
)
(.
Für Eusebius ist also zum einen die Veranschaulichung des Dissenses wichtig, zum anderen der Nachweis, wann die Vorstellung von Gott als einem
Geist in der griechischen Philosophie auftrat. Wie Eusebius weiter ausführt,
seien jedoch auch die namentlich Genannten in chronologischer Hinsicht
nichts als „Kinder“ im Vergleich zu der „Archäologie“, „der alten Erzählung“ der Hebräer.163 Unter Berücksichtigung dieses argumentativen Zusammenhangs ist der Erklärungsversuch von Mansfeld/Runia überzeugend:
„It is theoretically not impossible, we realize, that the text given by Eusebius
was present in his copy, but it would be a remarkable coincidence that it fits
in so well with his preconceived view that none of the φ! before Anaxagoras regarded the $8& (i. e. God) as a "«. We prefer the conclusion
that the bishop has adapted his text to the requirements of his theological perspective.“164 Die Redeweise der „Adaptation“ verdient aus überlieferungsgeschichtlicher und hermeneutischer Perspektive in diesem Zusammenhang
den Vorzug vor der Klassifikation als Manipulation oder Konstruktion.165
*
Kontext zu Th 273–280
Allen acht Zeugnissen über Thales aus dem letzten, dem fünfzehnten Buch
der Praeparatio Evangelica ist gemeinsam, dass es sich um wörtliche Zitate
163
164
165
PE 14.16.11 ^ κ 9
) %1« 1« 8« $%! , ’
?« 8« J ¹1 )« >E*!( $8.!«.
Mansfeld/Runia (1997) 136.
Cf. zu dieser Aussage auch Cicero Th 72, Augustinus Th 311 sowie die weiteren
Textzeugnisse zur Sim. ‚Gott [als Geist des Kosmos]‘.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
191
aus den Placita des Ps.-Plutarch handelt. Sie sind als Resultate der von Eusebius angewandten Methode zu verstehen, seine Argumentation primär mit
Zeugnissen anderer Autoren (im 15. Buch häufig die Sammlung des Ps.Plutarch)166 zu stützen. Insofern die einzelnen Textzeugnisse über Thales
sehr kurz sind und jeweils im gleichen Makrokontext stehen, sollen sie gemeinsam kommentiert werden. Das Interesse gilt dabei besonders dem
übergeordneten Argumentationsziel. Zu Beginn des fünfzehnten Buches rekapituliert Eusebius den Plan und das apologetische Grundanliegen seiner
Untersuchung. Das fünfzehnte Buch soll nochmals der Untersuchung der
griechischen Philosophie gewidmet sein. Zuerst geht er auf Aristoteles, die
Peripatetiker und die stoische Philosophie ein. Nachdem er in PE 15.22.68
die Darstellung und Kritik der peripatetischen und stoischen Philosophie
beendet hat, wendet er sich wieder den „staunenswerten physischen Erklärungen“ (« « […] φ.!«) „der edlen Philosophen“ (
!( φ.φ() zu.167 Als Gründe führt er zuerst die folgende These
an, dass alle Griechen gemeinsam die Götter («) für sichtbar hielten
bzw. an sichtbare Götter glaubten (π&) und sowohl Sonne und Mond
als auch die Gestirne sowie die übrigen Teile des Kosmos verehrten (/φ), und zumindest die mythischen und sinnentleerten Erzählungen
über ihre „polytheistische Irrfahrt“ (%λ )« %. %.0«) in ehrwürdigere und natürliche Erklärungen (&« « κ λ φ1«) bezüglich der Grundelemente und Teile des ganzen Kosmos übertrugen. Im Hinblick auf seine Gründe und seine Quelle erklärt Eusebius weiter
(PE 15.22.69):
Deswegen scheint es mir notwendig zu sein, auch deren Meinungen
darüber zugleich zusammenzutragen und sowohl ihre Unstimmigkeiten
als auch die Sinnlosigkeit ihrer Eitelkeit sorgfältig zu betrachten. Auch
dieses werde ich aus der Schrift des Plutarch anführen, in der er die Meinungen über diese ganzen Dinge zugleich sowohl der älteren als auch der
jüngeren Philosophen zusammenträgt und auf diese Art und Weise aufschreibt: […].
166
167
Cf. jedoch auch in Buch 15 der PE die Bezugnahmen z.B. auf Plotin, Aristokles, Attikos, Porphyrius oder Numenius.
Cf. PE 15.22.68 […] — %0. /%. !( φ.φ( ²"
%0( « « /%? φ.!«, Ρ 0. « %0«
6E..« @« ²@« S. λ .& λ @« .%@« $« 0 Ν..
" π& λ /φ, λ 0« « λ .;«
%λ )« %. %.0« &« « κ λ φ1«
$% /%λ 81 λ " %µ« 8.
192
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
$1 ρ 1 λ « %λ =« ²" 1 0« 0« λ " φ µ 0 /%().
&( ξ λ " $%µ )« P.08 φ)«, / 9
e « %λ (
4%0( ²" %*( λ ( =« Ω " 0φ µ %α
Im Folgenden führt Eusebius über viele Seiten Auszüge von verschiedenen
Meinungen der Philosophen aus der Schrift des Ps.-Plutarch an.
Th 273 Eusebius, Praeparatio Evangelica 15.29.3 (= Th 159)
L.)« λ ¹ $%’ " $%µ " π.! φ(!' κ .&.
Th 273 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 15.29.3
Thales und seine Schule nehmen an, dass der Mond von der Sonne beleuchtet wird.168
*
Th 274 Eusebius, Praeparatio Evangelica 15.30.1 (= Th 157)
L.)« ; , D% ξ Ν.
Th 274 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 15.30.1
Nach Thales sind die Gestirne erdartig und feurig.
Attribute
Mond: Licht des Mondes Th 273 (= Th 159)
Gestirne: Natur der Gestirne Th 274 (= Th 157)
Kontext und Funktion der Bezugnahmen
Nachdem Eusebius zuerst in Auszügen die Meinungen der Philosophen
über die Sonne (PE 15.23), deren Größe und Gestalt (PE 15.24–25)169
referiert hat, kommt er auf die Ansichten über den Mond (PE 15.26–29),
seine Größe, Gestalt und seine Lichtquelle zu sprechen.170 Die erste Bezugnahme auf Thales (Th 273) erfolgt in PE 15.29 bei der Frage nach der
Lichtquelle des Mondes (PEI RTIMN EHNH). Bemerkenswert an diesem Lemma ist die offenkundig nicht chronologische Anord168
169
170
Cf. dazu Panchenko (2002) 223–236.
Cf. dazu Mansfeld/Runia (2009) 514–551.
Cf. dazu Ps.-Plutarch Plac. 2.20f. und Mansfeld/Runia (2009) 572–612.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
193
nung der Meinungen, die Anaximander, Antiphon, Thales („und die um
ihn“) und Heraklit zugeschrieben werden.171 Ein Dissens wird bereits
durch die unterschiedlichen Meinungen der beiden Milesier, des Anaximander (PE 15.29.1 F κ D8 φ
«) und des Thales (PE 15.29.3
$%µ " π.! φ(!' κ .&), demonstriert. Während Anaximander die These vertreten haben soll, dass der Mond sein eigenes Licht
habe, soll Thales nach Ps.-Plutarch mit anderen als Lichtquelle des Mondes die Sonne angenommen haben, d.h. die These des Heliophotismus vertreten haben.172
Die zweite Bezugnahme (Th 274) findet sich in PE 15.30 (cf. dazu Ps.Plutarch Plac. 2.13): Es geht um die Substanz der Gestirne, der Planeten und
der Fixsterne (TI H OYIA TN ATN PANHTN KAI
APANN).173 Die zuerst angeführte Meinung (; , D% ξ
Ν / „die Gestirne sind erdartig und feurig“) wird Thales zugeschrieben. Im Kontrast zu seiner These steht bereits die zweite These, für die Empedokles angeführt wird.174
Nachdem Eusebius in PE 15.31 die Meinungen der Stoiker und des Anaximenes zur Gestalt der Sterne referiert hat, kommentiert er (PE 15.31):
Von solcher Art sind die Erfindungen bei den wunderlichen Philosophen
über das, was sie sichtbare Götter nennen.
T" 1« 1« φ.φ« %λ W φ φ(
/=.
Im Folgenden widmet sich Eusebius den Meinungen über die Welt (PE
15.32ff.). In diesem Zusammenhang (PE 15.32.9–10) findet sich eine interessante Bemerkung zu Ps.-Plutarch und dessen Sammlung. Sie zeigt, warum die Placita für die Argumentation des Eusebius von so großem Nutzen
sind: Plutarch, so Eusebius, habe diese Fragen, die von der Philosophie in
zahllosen Wegen behandelt wurden, in wenigen konzisen Worten zusammengetragen und die Meinungen von allen und ihre Widersprüche zusammengestellt. Aus diesem Grund sei es gewinnbringend (für „uns“), wenn die
Meinungen jeweils mit einem Blick auf ihre Widerlegung aus vernünftigen
171
172
173
174
Cf. zu diesem Lemma ebd. 601–612.
Cf. dazu Graham (2001).
Cf. zu diesem Lemma Mansfeld/Runia (2009) 453–469.
Cf. dazu Mansfeld/Runia (2009) 453–469.
194
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Gründen präsentiert werden.175 Damit gibt Eusebius ausdrücklich zu verstehen, worin der spezifische Nutzen der Placita-Sammlung für seine eigene
Darstellung besteht.
*
Kontext zu Th 275 / Th 276
Weitere Bezugnahmen auf Thales, die zusammenfassend kommentiert werden, finden sich sowohl im Kapitel „Über Dämonen und Heroen“ (´.
PEI AIMONN KAI HN) in PE 15.43176 als auch im darauffolgenden Kapitel „Über die Materie“ (´. PEI YH).
Th 275 Eusebius, Praeparatio Evangelica 15.43.2 (= Th 150)
L.)«, P«, P.0(, ¹ (=λ !« %08 !« ?80«α ρ ξ λ S(« « 8(« ?8« (0(, λ
$@« ξ « $0«, @« ξ « φ.«.
Th 275 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 15.43.2
Thales, Pythagoras, Platon und die Stoiker nehmen an, dass die Dämonen
seelische Substanzen seien. Die Heroen aber seien von den Körpern getrennte Seelen und zwar gute, wenn die Seele gut, schlechte, wenn sie
schlecht ist.
*
Th 276 Eusebius, Praeparatio Evangelica 15.44.2 (= Th 151)
O¹ $%µ L0.( λ P λ ¹ (=λ %κ λ $..(κ λ
qκ Ρ. ’ Ρ.( κ J..
Th 276 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 15.44.2
Thales und seine Schule, Pythagoras und seine Schule und die Stoiker sagen, dass die Materie umwandelbar, veränderbar, modifizierbar und im
Fluss in ihrem ganzen Umfange sei.
175
176
Cf. PE 15.32.9 " ξ %0 !( 1« %λ W ² .« /%κ Ω ² P.8« / \.!« 1., /%λ µ ²" Ω «
4%0( $%φ0« λ « φ(!« , π" λ π1 Ν8
& % 9« κ Κ. %!.
Cf. PE 15.43.1 P(« ξ )
%λ .)
( µ %λ !( λ"
π;( ¹.
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
195
Attribute
Dämonen und Heroen Th 275 (= Th 150)
Materie: Die Materie ist umwandelbar, veränderbar, modifizierbar und im
Fluss Th 276 (= Th 151)
*
Kontext zu Th 277–Th 280
Nachdem Thales wiederum an erster Stelle in PE 15.50 „Über die Eklipse
der Sonne“ (´. PEI EKEIE HIOY) angeführt wird,177 bemerkt Eusebius in PE 15.54.3, dass er die Aufmerksamkeit im Folgenden
(PE 15.55–57) auf die Differenzen bei den Meinungen über die Erde lenken
werde. Thales wird zuletzt dreimal in Kontexten genannt, in denen es um
die Erde (PE 15.55,Th 278), ihre Gestalt (PE 15.56, Th 279) und ihre Position im Universum (PE 15.57.1, Th 280) geht.
Th 277 Eusebius, Praeparatio Evangelica 15.50.1 (= Th 158)
L.)« %
« Dφ /.!% µ S. )« .&« µ %8«
0, Κ« φ ;«α *.% ξ " %
«,
%)
(178 )
!)
(.
Th 277 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 15.50.1
Thales sagte als Erster, dass sich die Sonne verfinstere, wenn der von Natur
erdartige Mond sie senkrecht schneide; man beobachtet das im Spiegelbild,
indem man die [mit einer Flüssigkeit gefüllte] Schale unten hinlegt.
*
Th 278 Eusebius, Praeparatio Evangelica 15.55.1 (= Th 160)
L.)« λ ¹ $%’ " ! ρ κ ).
Th 278 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 15.55.1
Thales und seine Schule nahmen an, dass es eine Erde gebe.
*
177
178
Cf. dazu Ps.-Plutarch Plac. 2.24.
Anstelle des überlieferten %. Vgl. zu Th 158.
196
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Th 279 Eusebius, Praeparatio Evangelica 15.56.1 (= Th 161)
L.)« λ ¹ (=λ φ) κ ).
Th 279 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 15.56.1
Thales und die Stoiker nahmen an, dass die Erde kugelförmig sei.179
*
Th 280 Eusebius, Praeparatio Evangelica 15.57.1 (= Th 162)
O¹ $%µ L0.( κ ) .
Th 280 Eusebius, Evangelische Vorbereitung 15.57.1
Thales und seine Schule nahmen an, dass die Erde im Zentrum sei.
Attribute
Ursache der Sonnenfinsternis Th 277 (= Th 158)
Beschaffenheit des Mondes Th 277
Erde: Eine Erde Th 278 (= Th 160)
Kugelförmige Erde Th 279 (= Th 161)
Erde: im Zentrum des Universums Th 280 (= Th 162)
Funktion der Bezugnahmen
Festzuhalten ist, dass die angeführten Zeugnisse über Thales Zitate
aus der Sammlung des Ps.-Plutarch darstellen und als Bestandteile der
argumentativen Strategie des Eusebius zu verstehen sind, einen klaren
Dissens zwischen den verschiedenen Meinungen der Philosophen herauszustellen.
*
Th 281–285 Eusebius, Chronik = Hieronymus Th 304–308
Fünf weitere Bezugnahmen auf Thales finden sich im zweiten der zwei Bücher umfassenden Chronik des Eusebius, die er um 311 verfasste. Das erste
Buch enthielt eine Chronologie, die nach Völkern separierte Herrscherlisten
und deren Herrschaftszeit präsentierte; das wirkungsgeschichtlich bedeutsamere zweite Buch bestand aus einer synchronistischen Darstellung der
179
Vgl. hierzu O’Grady (2002) 95ff. (Argumente für eine Zuweisung dieser Theorie an
Thales).
Eusebius von Cäsarea (Th 260–285)
197
Weltgeschichte in Parallelkolumnen.180 Diese „Chronik“ ist in griechischer
Sprache nur fragmentarisch überliefert.181 Das zweite Buch entfaltete jedoch durch die lateinische Übersetzung und weitere Bearbeitung des Hieronymus eine große Wirkungsgeschichte, indem es als wichtige Informationsquelle bis zum Ende des Mittelalters diente. Vollständig liegt die Chronik
des Eusebius nur in einer armenischen Übersetzung vor.
Zusammenfassung
Bei den vielen Zeugnissen über Thales in der Praeparatio Evangelica
des Eusebius ist auffallend, dass es sich bei fast allen Bezugnahmen um
wörtliche Zitate vor allem aus nicht-christlichen Werken Platons, Flavius
Josephus’ und insbesondere der doxographischen Sammlung des Ps.-Plutarch handelt. Bemerkenswert ist, dass Eusebius selbst ausdrücklich seine
Quellen benennt. Dieser Befund lässt die große Gelehrsamkeit des Eusebius
erkennen, die das Fundament seines umfangreichen Werkes darstellt.
Die zahlreichen wörtlichen Zitate sind jedoch vor allen Dingen mit seiner
literarischen Technik und Argumentationsstrategie zu erklären, die er an
mehreren Stellen seines Werkes expliziert (cf. z.B. Th 260, Th 263, Th 264,
Th 267, Th 268, Th 271 und die betreffenden Kontexte). Ein wichtiges
Merkmal seiner Argumentationsstrategie besteht darin, nicht direkt, sondern mittels ausgewählter Zeugen und Texte seine argumentativen Ziele zu
erreichen.
Bei den Bezugnahmen auf Thales in PE 14 und PE 15 (= Th 271–280)
verarbeitet Eusebius in großem Masse doxographisches Quellenmaterial,
das er der Sammlung des Ps.-Plutarch entnimmt. Thales wird dabei immer
im Verbund mit weiteren Philosophen und deren Meinungen angeführt. Das
ausgewählte Textmaterial wird in diesem Zusammenhang gezielt angeführt,
um die ‚Diaphonie‘ (Unstimmigkeit) unter den griechischen Philosophen zu
erweisen. Ein weiteres Beispiel für seine ‚indirekte‘ Argumentationsweise
bietet Eusebius, indem er mittels Sokrates und seiner Kritik an den Naturphilosophen bei Xenophon (Kommentar zu Th 260, cf. dazu auch Theodoret
Th 335) Kritik an den Erklärungsansätzen frühgriechischer Philosophen übt.
Noch mehr als bei jedem anderen Werk ist deshalb der jeweils übergeordnete argumentative Zusammenhang bei Eusebius zu beachten. So stehen
alle Zeugnisse aus dem zehnten Buch im übergeordneten Zusammenhang
180
181
Cf. dazu Helm (1956), Mosshammer (1979) 29–83, 128–168 und den Überblick von
Breitenbach (2003) 27–34 zur Einordnung der Chronik in ihren literaturgeschichtlichen Kontext.
Cf. Wöhrle (2009) Anm. zu Th 281 und Th 304–308 sowie insgesamt Helm (1956).
198
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
(a) der chronologischen Argumentation, dass Moses und die Propheten früher als die griechischen Philosophen gelebt und gewirkt haben und (b) unter
der Gesamtperspektive einer Abhängigkeit der griechischen Philosophen
von der Weisheit des Orients. Vor diesem Hintergrund erscheint Thales als
Begründer der Ionischen Schule (Th 262), im Lehrer-Schüler-Verhältnis
mit Anaximander und als erster Naturphilosoph (Th 262). Eusebius verweist wie bereits Clemens von Alexandrien (cf. Th 202 und Th 204) in diesem Zusammenhang (ähnlich wie bei Pherekydes und Pythagoras, Th 263)
neben der Angabe der milesischen Herkunft des Thales auch explizit auf
die ebenso bezeugte nicht-griechische, phönizische Herkunft (Th 263),
die mit der Schülerschaft bei den Ägyptern und Chaldäern verbunden wird
(Th 263). Mit diesen Elementen wird die These von den nicht-griechischen
Ursprüngen der griechischen Philosophie weiter veranschaulicht und als
plausibel dargestellt. Im Rahmen der chronologischen Argumentation
zitiert Eusebius zahlreiche Abschnitte anderer Autoren (wie z.B. Flavius
Josephus, Th 263, oder zur Datierung des Thales, Tatian, Th 264), auf die er
seine Argumentation stützt. Für die chronologische Zuordnung des Thales
ist entscheidend, dass er unter den Sieben Weisen (Th 264) zugleich als erster Naturphilosoph (Th 266) bekannt wurde.
Für das Verständnis der Zitate in PE 11 und PE 12 (aus Attikos, Aristokles und Platon = Th 267–270) ist jeweils der übergeordnete Zweck der
Argumentation zu berücksichtigen: zum einen die Darstellung der Vollkommenheit von Platons Philosophie im Kontrast zur Einseitigkeit seiner Vorgänger (Th 267–268), zum anderen die Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen Platons Philosophie und der Weisheit der Hebräer (Th 269–270).
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200
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
3.4 Ps.-Justin (Th 291–292)
Ps.-Justin, Cohortatio ad Graecos
Die Schrift des Ps.-Justin,182 die in der kritischen Edition von Marcovich
(1990) noch traditionell als Cohortatio ad Graecos bezeichnet wird, nach
der grundlegenden Untersuchung von Riedweg (1994) als Ad Graecos de
vera religione, ist nicht nur ein Text, der für die argumentative Auseinandersetzung eines Vertreters der christlichen Religion mit der griechischen
Philosophie und Dichtung im Allgemeinen von großem Interesse ist.183 Das
Werk ist auch für die Rezeptionsgeschichte des Thales bedeutsam, da es
zwei Zeugnisse Th 291–292 enthält, die das kreative Rezeptionsverhalten
und die rhetorische Finesse dieses Autors unter Beweis stellen. Bis in die
Gegenwart sind Datierung und Autorschaft der Schrift umstritten.184 Nach
den Forschungen von Riedweg scheint sie in die frühen Dekaden des vierten
Jahrhunderts angesetzt werden zu können.185 Thema der im Genre der sym182
183
184
185
Cf. Riedweg (2001) 848–873, bes. 861–866.
Cf. Marcovich (1990) und die Untersuchung von Riedweg (1994). Cf. zu Riedweg
Runia (1997) 100–107 und van der Horst (1997) 366–367. Runia bemerkt ebd.
103–104 zu Riedwegs Titelvorschlag: „The suggestion is bold and not implausible. It
would be strengthened if other cases could be shown where title and first introduction
of the main theme are identical in this way. All things considered, I think the attempt
to supplant a traditional and well-known title by replacing it with an unproven conjecture (no matter how plausible) is a little too bold, and may well cause confusion in
scholarly circles.“
Cf. dazu ausführlich Riedweg (1994) 28–53. Die Untersuchung Riedwegs zu den
literarischen Abhängigkeiten führt zu den Jahren 221 (Chronographie des Julius
Africanus) und 440 n. Chr. (Kyrill) als sicheren Eckdaten für die Entstehung von Ad
Graecos de vera religione. Als terminus post quem ermittelt er das Jahr 275 n. Chr.
(Porphyrius). Riedweg bemerkt ebd. 51: „Versucht man, die Abfassungszeit innerhalb dieses relativ weiten Rahmens von 275 bis 440 n. Chr. noch näher zu bestimmen,
so müssen inhaltliche Überlegungen den Ausschlag geben. Aus den engeren Berührungen mit Porphyrius möchte man schließen, dass Ps.-Justin seine Rede entweder
noch zu Lebzeiten dieses einflussreichen antichristlichen Philosophen (gest. um 310)
oder nur wenig danach geschrieben hat.“ Er wendet sich gegen eine deutlich spätere
Datierung – etwa in die Zeit Julians –, gegen die weitere Gründe wie z.B. die mittelplatonische Prägung von Ps.-Justins Platonbild sprechen; cf. dazu ebd. 52.
Cf. Riedweg (1994) 52. Die zahlreichen Übereinstimmungen der Schrift des Ps.Justin mit Eusebius’ Praeparatio evangelica sowie zugleich deren Unabhängigkeit
voneinander könnten darauf hindeuten, dass beide Autoren ungefähr derselben Generation von Apologeten angehören. „Auch die Tatsache, dass in Eusebios’ breit angelegter Apologie wie bei unserem Autor die Verfolgungen insgesamt keine Rolle mehr
spielen und die Auseinandersetzung zwischen Heidentum und Christentum zu einer
rein geistigen Angelegenheit geworden ist, deutet darauf hin, dass Ad Graecos de
Ps.-Justin (Th 291–292)
201
buleutischen Rede186 verfassten Schrift ist die „wahre Religion“ bzw. die
„wahre Frömmigkeit“ ()« $."« *!«), deren existentielle Bedeutung durch den Hinweis auf das von „Hellenen“ und Christen gleichermaßen verkündete Gericht unterstrichen wird. Die bekundete Absicht der
Schrift ist die Prüfung der „Lehrer“ der griechischen und der christlichen
Religion: „wer sie sind, wie viele an Zahl und zu welcher Zeit sie gelebt
haben“.187 Der Zweck dieser Prüfung sei vornehmlich, „dass diejenigen,
welche früher die fälschlich so genannte Religion von den Vorfahren übernommen haben, dies jetzt wenigstens wahrnehmen und sich von jener alten
Verirrung trennen“.188
Die Schrift lässt sich in zwei große Argumentationsteile untergliedern:
Während im ersten Argumentationsgang (coh. Gr. 2–13) griechische
Dichter und Philosophen als griechische Religionslehrer den „heiligen
Männern“, insbesondere Moses, gegenübergestellt werden, wird im zweiten
Argumentationsgang (coh. Gr. 14–34) aufgezeigt, dass die griechischen
Religionslehrer von denjenigen, mit denen der Autor sympathisiert (insbesondere wiederum Moses), abhängig sind.189
Auf Thales wird an zwei Stellen im ersten Teil der Argumentation Bezug
genommen: zuerst (coh. Gr. 3–4) im Rahmen einer Präsentation von Prinzipienannahmen einiger Naturphilosophen, die dazu dienen soll, die chaotische Meinungsvielfalt unter diesen zu veranschaulichen; die zweite Bezugnahme auf Thales, die argumentativ eine wichtige Funktion erfüllt, erfolgt
im nächsten Argumentationsschritt (coh. Gr. 5–7.1), in dem gezeigt werden
soll, dass sich selbst die beiden großen Philosophen Platon und Aristoteles
widersprechen und sich sogar in ihren eigenen Lehren nicht immer treu
bleiben.
Kontext zu Th 291
Nachdem die Dichter als Religionslehrer untersucht worden sind, soll nun
von den ältesten und ersten ($%µ %.
λ %;() Weisen gehan-
186
187
188
189
vera religione etwa im gleichen Zeitraum entstanden sein dürfte wie Eusebios’ Praeparatio evangelica, d.h. ca. 312–322 n. Chr.“ ebd. 52.
Cf. Riedweg (1994) 69–70.
Cf. coh. Gr. 1.2.15–17 […] D= .
« D8, %
ξ @« )« *!« π
λ /=0 0.«, o« λ Ρ λ ’ ?«
8« […].
Coh. Gr. 1.2.17–19 […] o’ ¹ ξ % κ ?; * % %( %.φ«, " " 9 )« %.»« /!« $%..
%.0«, […].
Cf. zur Gliederung Riedweg (1994) 18.
202
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
delt werden. Die Lehre jedes einzelnen (κ 40 =) wird im Vergleich mit der (in coh. Gr. 2 behandelten) Theologie der Dichter weiter qualifiziert und bewertet: Jede von ihnen sei „um vieles bzw. in vielem
.) als die Theologie der Dichter ()« lächerlicher (%..)
%
.!«)“. Es folgt eine katalogartige Aneinanderreihung der
jeweiligen „Lehren“, die lediglich das jeweils angenommene Prinzip
($8&) referiert. Auf Thales (Wasser, µ J() folgen Anaximander (das
Apeiron, µ Ν%), Anaximenes (Luft, $), Heraklit (Feuer, /
%«), Anaxagoras (gleichartige Teile, « ²!«) und Archelaos
(unendliche Luft, $ Ν%). All diese seien der von ihnen so genannten Naturphilosophie nachgegangen (κ φκ %’ .
). φ.φ!).
Th 291 Ps.-Justin, Cohortatio ad Graecos 3.1–2 (ed. Marcovich)
O" /%&% $%µ %.
λ %;( !φ
" Ν=
%&, /" $=0« κ 40 = /&, %..)
. )« %
.!« σ. [2] L.)« ξ ²
M.&«, ² %
« )« φ)« φ.φ!« Ν=«, $8κ ρ `( 4%0( $%φ& µ J(α /= J« 0 φ %0 ρ
λ 9« J( %0 $.. […] O^ %0«, $%µ L." «
8« /8«, κ φκ %’ . ). φ.φ!.
Th 291 Ps.-Justin, Mahnung an die Griechen 3.1–2
Da man bei den alten und ersten Weisen beginnen soll, werde ich dort beginnend die Lehre jedes einzelnen darlegen, die um vieles lächerlicher als
die Theologie der Dichter ist. [2] Denn Thales aus Milet (vgl. Th 147), der
Archeget der Naturphilosophie, bezeichnete das Wasser als Prinzip aller
Dinge; denn aus dem Wasser, sagt er, sei alles und in Wasser löse sich alles
wieder auf [es folgen die Lehren von Anaximander und Anaximenes]. Diese
alle befleißigten sich in der Nachfolge des Thales der von ihnen so genannten Naturphilosophie.
Attribute
Milet
Archeget der Naturphilosophie
Prinzip Wasser
Begründung: Aus dem Wasser sei alles und in Wasser löse sich alles wieder
auf
Ps.-Justin (Th 291–292)
203
Funktion der Bezugnahme
Es folgen Bemerkungen zu (1) den gelieferten Informationen, (2) der Strategie des Ps.-Justin und dem so genannten Widerspruchsargument sowie (3)
zu einer Besonderheit im Hinblick auf den Rückgriff auf Ps.-Plutarch.
(1) Die von Ps.-Justin referierten Lehrmeinungen entsprechen weitgehend dem Referat bei Ps.-Plutarch Plac. 1.3 Pλ $8
! 9.190 Im
Unterschied jedoch zu Eusebius PE 14.14 (= Th 271), der dieselbe Stelle
ausdrücklich aus Ps.-Plutarch zitiert, gibt Ps.-Justin seine Quelle nicht an.191
(2) Zur argumentativen Strategie bei der Anordnung des doxographischen Materials ist zu bemerken, dass die referierten „Lehren“ der Philosophen nicht unmittelbar kritisiert werden; vielmehr werden die verschiedenartigen Akzentuierungen der einzelnen Philosophen im Hinblick auf ihre
unterschiedlichen Prinzipienannahmen besonders klar und anschaulich herausgestellt. Die starke Verschiedenheit der Meinungen und die Widersprüchlichkeit unter den Philosophen über die ersten Prinzipien sollen als
Beweis für die Falschheit ihrer religiösen Spekulationen dienen.192 So mündet die Argumentation in ein erstes Fazit (coh. Gr. 4.2), das mit einer suggestiven Frage verbunden wird:
Seht euch das Chaos der bei euch als Weise Geltenden an, von denen ihr
behauptet, sie seien eure Lehrer der Religion! Die einen erklären das
Wasser zum Prinzip von allem, die anderen die Luft, andere das Feuer,
wiederum andere sonst etwas vom eben Gesagten, und sie alle gebrauchen einnehmende Worte zur Darstellung ihrer unrichtigen Meinungen
und versuchen so den eigenen Lehrsatz als vorzüglicher zu erweisen. Das
sind ihre Äußerungen! Wie könnte es also, ihr Hellenen, für Leute, die gerettet werden wollen, ungefährlich sein zu glauben, man könne die wahre
Religion von ihnen lernen (κ $.) * 0) – sie, die
nicht einmal sich selbst zu überreden vermochten, nicht gegeneinander zu
streiten und offen ihre Ablehnung der Meinung der anderen zu zeigen?193
>O» κ $=! % ’ 1 ( ) φ
,
?« 0.« )« *!« )! φ, ξ
J( $%φ( $8κ 4%0( ρ, ξ $, ξ %",
190
191
192
193
Zur Analyse der Quellen cf. Riedweg (1994) 229–231 und Mansfeld/Runia (1997)
164–166.
Cf. dazu Riedweg (1994) 229.
Cf. dazu ebd. 109–115.
Übersetzung Riedweg (1994) Appendix II, 587.
204
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
ξ Ν.. %(, λ %0( ( %1« .« %µ« κ κ .
« =0( 1« 8((
λ µ F % /%8( . T"’ %’
F. P
« σ $φ.«, τ Ν« 6E..«, 1« )
;'
*.« % ( F κ $.) *
0, ’ 4@« %1 ( µ κ %µ« $..&.«
0' ’ /!!«" )« $..&.( φ! =«;
Diese Form der Argumentation findet sich bereits in der Schule der Skeptiker
und wird vielfach auch von anderen Autoren wie z.B. Eusebius verwendet.194
(3) Das Muster der Argumentation ist ähnlich der Kritik, die Clemens an
Thales und weiteren frühgriechischen Philosophen wegen ihrer angeblichen
‚Verehrung der Elemente‘ in Th 197 und Th 198 äußert. Riedweg bemerkt
zu Ps.-Justin, dass dessen Ziel eigentlich die Darstellung der Theologie der
Philosophen sei. Man könne daher einen Auszug aus dem Kapitel T!« ²
« (Ps.-Plut. Plac. 1.7) erwarten, doch stattdessen werden die = der
Philosophen Pλ $8
vorgeführt. Offensichtlich konnte man die Prinzipien als etwas Göttliches und damit als Bestandteil der Theologie betrachten. Diese Gleichsetzung der Prinzipien mit Göttern ist besonders bei den
jüdisch-christlichen Apologeten häufig anzutreffen.195
*
Kontext zu Th 292
Anhand des zweiten Zeugnisses Th 292 lässt sich in besonderer Weise zeigen, wie die Bezugnahme auf Thales eine bestimmte Funktion im Rahmen
der Argumentation erfüllt. Vorweg jedoch eine Bemerkung: Wenn im Folgenden von „Platon“ und „Aristoteles“ sowie deren „Lehren“ die Rede ist,
so ist besonders zu beachten, dass damit der Argumentation des Textes und
der Perspektive des Ps.-Justin gefolgt wird.196
Nach den Lehren der Naturphilosophen scheint es ihm nun notwendig,
sich den Lehren von Platon und Aristoteles zuzuwenden und diese zu prüfen
194
195
196
Zur Herkunft, Verbreitung und Transformation dieses Arguments cf. Riedweg (1994)
109–115.
Cf. ebd. 230–231 mit der Angabe weiterer Stellen. Cf. dazu auch Tertullian Th 220
und Clemens Th 197 und Th 198.
Cf. zum Platonbild und den mittelplatonischen Elementen im ersten Teil der Argumentation coh. Gr. 5–7.1 Riedweg (1994) 71–101, bes. 76–80 sowie 235–266, bes.
235–246.
Ps.-Justin (Th 291–292)
205
(« ( /=0 =«),197 da diese bei den Griechen im größten Ansehen stünden,198 als sittlich vollkommen gälten und beide sich „die vollkommene und wahre Religion“ (κ .! λ $.) […] *)
erworben hätten. Die Untersuchung zu Platon und Aristoteles ist erstens
durch die Frage motiviert, von wem diese letztlich ihr Wissen erworben hätten (coh. Gr. 5.1). Diese Frage wird von der Annahme bestimmt, dass sie das
Wissen von „so großen und göttlichen Dingen“ (@« J( 0. λ
1) nicht ohne eine Vermittlung durch andere Wissende erlernen konnten.199 Zweitens sollen die Lehren der beiden Philosophen im Hinblick auf
Widersprüche zwischen ihnen untersucht werden (coh. Gr. 5.2). Wenn bei
ihnen keine gegenseitige Übereinstimmung (φ("« $..&.«)
aufgefunden werden könne, so sei es leicht möglich, „ihre Unwissenheit
ebenfalls klar zu erkennen“.200 Mit diesen Voraussetzungen und Erwartungen wird die Untersuchung (coh. Gr. 5.2–7.1) eingeleitet.
Einen ersten Widerspruch (coh. Gr. 5.2) erkennt Ps.-Justin darin, dass
Aristoteles im Unterschied zu Platon den obersten Gott nicht in der feurigen
Substanz ansetze, sondern in einem von ihm erfundenen „fünften, ätherischen und unveränderlichen Körper“.201 Diese These versucht Ps.-Justin
(coh. Gr. 5.2) zunächst durch ein entstelltes Zitat aus Ps.-Arist. (cf. De
mundo 2.392a5ff.) zu stützen.
197
198
199
200
201
Cf. coh. Gr. 5.1.
Cf. coh. Gr. 5.1 #A..’ F(« ¹ )« $8!« λ %.»« /!« $%) κ
*. %.0« Κ φ % %(, $.. % /=0( λ .0( / $9
) ( ρ % ’ 1« φ.φ(,
µ %λ )« *!« %.φ ., P.0(« λ #A.«α
« κ .! λ $.) φ *.
Cf. coh. Gr. 5.1 #EΩ ξ %
ξ π(« s %! " .(,
% !( @« « 9 φ!· $ @« J( 0. λ 1 κ %0 ( 9( « ν @« 9 ν 4«
0 \
«.
Cf. coh. Gr. 5.1 ξ ρ 1 λ « ( /=0 =«· 9
0 9 κ λ ( 40« $! )
( φ& .(. E9 ξ λ
« κ φ("« $..&.« J, q)
0 ρ λ κ (
Ν ; φ
«.
Cf. coh. Gr. 5.2 P.0( ξ 0, ³« Ν( ..Ω« λ / 1«
Ϊ% $*
« 4(;«, µ $(0( µ / 9
) %; !)
ρ ..
#A.« , / )
%µ« #A.= µ M .)
( )«
4" φ.φ!« /« Ρ, φ
« λ φ
« κ P.0(« $1
=, / 9
) %; !)
µ µ ρ .(· $..0, %% 9 ( µ ρ! φ. Cf. dazu Riedλ $0*. $%.0( , / )
weg (1994) 238–241.
206
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
In einem zweiten Schritt (coh. Gr. 5.3 = Th 292) gibt er kritisch zu bedenken, dass Aristoteles – „um Platon zu beschimpfen“ – seine These mit einem
Rekurs auf ein Homerzitat Il. 15.192 beweisen wolle:
Mit einem Zeugnis aus Homer will er seine eigene Lehre als glaubwürdig
erweisen und verkennt dabei, dass, wenn er Homer zum Zeugen für den
Beweis der Wahrheit seiner Worte nimmt, sich offenbar viele seiner eigenen Lehren als nicht wahr erweisen werden.
*.« !ξ" / )« >O& !« $=% κ 4"
=, $
!’" Ρ, 9 >O&)
( %µ« $%= "
$.) 4µ . 0 8)
, %.. )
=0( $.) φ& `.
Ps.-Justin lenkt damit den Blick auf Homer als einen problematischen Zeugen für die Argumentation des Aristoteles (gegenüber Platon). Im unmittelbaren Anschluss folgt die Bezugnahme auf Thales.
Th 292 Ps.-Justin, Cohortatio ad Graecos 5.3–4
φ 0α OJ(« " λ 6O« Dφα
Z@« ’ D.8’ µ @ / 9 λ φ.9
α [Il. 15.192]
*.« !ξ" / )« >O& !« $=% κ 4"
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( %µ« $%= " $.)
4µ . 0 8)
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φ& `. [4] L.)« ² M.&«, ² %
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$& =«. A" [#A.«] µ λ J. $8« ρ %0( 9« ²
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$. %0. 80' ξ %
ξ $%µ " %0( ')
;( κ &, $8κ σ, ρα ξ Ρ %0 φ )
φ λ %φ1, $" ξ " " =!. Eρ’, —% κ $« g« 80', λ µ 6O ³«
$=% J(« .α
#«, Ρ% « %0 . [Il. 14.246]
P
« σ 9(« ² L.)« %µ« µ φ&α ’ b 9!, τ
#A.«, « ξ P.0(« $1 /.( =«, ³« $.
%8« >O&)
(, π
ξ κ /! $%φ0« = $. 6O F;
Ps.-Justin (Th 291–292)
207
Th 292 Ps.-Justin, Mahnung an die Griechen 5.3–4
[Aristoteles] hat nämlich geschrieben:202 „So sagte ja auch Homer: ‚Zeus
aber erlangte den Himmel, den breiten, in Äther und Wolken‘ [Il. 15.192].“
Mit einem Zeugnis aus Homer will Aristoteles seine eigene Lehre als glaubwürdig erweisen und verkennt dabei, dass, wenn er Homer zum Zeugen für
den Beweis der Wahrheit seiner Worte nimmt, sich offenbar viele seiner
eigenen Lehren als nicht wahr erweisen werden. Thales von Milet, der erste
Begründer ihrer Philosophie, wird nämlich unter Berufung auf ihn [Homer]
Aristoteles’ Grundlehren über die Prinzipien verwerfen. Denn während
Aristoteles gesagt hat, Gott und Materie seien die Prinzipien aller Dinge,
sagt der älteste unter allen ihren Weisen, das Prinzip der seienden Dinge sei
das Wasser; denn aus dem Wasser, behauptet er, sei alles und in Wasser löse
sich alles wieder auf (vgl. Th 147). Er geht dabei zunächst von der Tatsache
aus, dass der Same aller Lebewesen, ihr Prinzip, feucht ist. Zweitens, dass
alle Pflanzen dank des Feuchten ernährt werden und Frucht tragen, aber vertrocknen, wenn sie keinen Anteil am Feuchten haben. Schließlich begnügt
er sich nicht mit seinen Mutmaßungen und ruft noch als glaubwürdigen
Zeugen Homer an, der folgendermaßen spricht: „Okeanos, der doch der
Ursprung ist von allen“ [Il. 14.246]. Wird nun Thales nicht billigerweise
zu ihm [Aristoteles] sagen: „Weshalb, Aristoteles, hältst du dich, wenn du
Platons Lehren widerlegen willst, an Homer als einen Mann, der die Wahrheit spricht, glaubst aber, wenn du gegen uns eine Lehre aufstellst, dass Homer nicht wahr rede?“
Attribute
Milet
Ältester der griechischen Philosophen
Prinzip Wasser
1. Argument: Same als Prinzip aller Lebewesen ist feucht
2. Argument: Bedeutung von Feuchtigkeit für alle Pflanzen
3. Argument: Wasserthese und Homer
Funktion der Bezugnahme
Im Zentrum der Auseinandersetzung um die Frage nach den Prinzipien aller
Dinge (coh. Gr. 5.4) stehen sich nun Thales und Aristoteles gegenüber. Während Aristoteles angeblich Gott und die Materie als Prinzipien annähme,203
202
203
Ps.-Arist. De mundo 6.400a19.
Cf. dazu Riedweg (1994) 252–253.
208
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
spreche sich Thales als ältester der griechischen Philosophen für das Wasser
als das Prinzip der seienden Dinge aus. Die These des Thales wird zuerst mit
zwei Argumenten aus der Naturbetrachtung (%
– ; cf.
Th 147 Ps.-Plut. Plac. 1.3, das dritte Argument wird nicht genannt!) gestützt.204 Die Pointe entsteht nun dadurch, dass sich Thales im Anschluss an
die zwei referierten Argumente explizit auch noch auf ein Zitat Homers
(„dass der Okeanos Ursprung von allem sei“; cf. Th 147 Ps.-Plut. Plac. 1.3,
dort jedoch eingeleitet mit ") berufen haben soll. Somit entsteht nun
eine Opposition der Autorität des Thales mit dem noch älteren Homer gegenüber Aristoteles. Die Kritik an Aristoteles liegt rein formal darin, dass
dieser zum einen zuvor mittels eines Zitates Homer als Zeugen und Autorität
für seine Kosmologie bzw. Theologie gegen Platon anruft (coh. Gr. 5.3) und
zum anderen nun bei der Frage nach den Prinzipien (Gott und Materie bei
Aristoteles gegenüber dem Wasser bei Thales) mit demselben Homer, der
als Autorität für die Prinzipienannahme des Thales von Milet stehe, in Widerspruch gerate. Ps.-Justin ist mit dieser Argumentation noch nicht am
Ende. Seine gegenüber Aristoteles artikulierte Kritik legt er der Figur des
Thales in den Mund. Denn dieser könne sich nun wohl mit der berechtigten
Frage an Aristoteles wenden (coh. Gr. 5.4):
„Weshalb, Aristoteles, hältst du dich, wenn du Platons Lehren widerlegen
willst, an Homer als einen Mann, der die Wahrheit spricht, glaubst aber,
wenn du gegen uns eine Lehre aufstellst, dass Homer nicht wahr rede?“
’ b 9!, τ #A.«, « ξ P.0(« $1 /.(
=«, ³« $. %8« >O&)
(, π
ξ κ /! $%φ0« = $. 6O F;
Riedweg spricht bei dieser Textpassage treffend von einem „belebenden
Gedankenspiel“ des Ps.-Justin, insofern Thales mit gleichem Recht Aristoteles’ Lehre unter Berufung auf Homer widerlegen könne.205 Im Hinblick
auf die Figur des Thales ist festzuhalten, dass ihm von Ps.-Justin an dieser
Stelle eine gewichtige Autorität zugeschrieben wird, die mitunter durch das
Attribut „des Ältesten“ (der Philosophen) und die Bezugnahme auf Homer
204
205
Cf. Aristoteles Th 29 und dazu Mansfeld (1985).
Riedweg (1994) 235–236 spricht von einem „Interludium“, das formal „als eine Art
Sequenz“ bezeichnet werden könne: „Das Motiv Y (Arist.) mit Homer gegen Z
(Plat.)“ (5,3) wird auf einer andern Stufe wiederholt: „X (Thales) mit Homer gegen Y
(Arist.)“ (5,4).“
Ps.-Justin (Th 291–292)
209
noch gesteigert wird. Interessant ist, dass Ps.-Justin, seinem doxographischen Quellenmaterial folgend, die Bezugnahme auf Homer Thales selbst
zuschreibt. Bei der gesamten Konfrontation platonischer und aristotelischer
Auffassungen in coh. Gr. 5.2–6.2 scheint er sich an einer mittelplatonischen
Quelle zu orientieren, die ihrerseits doxographisches Material (unter anderem aus Ps.-Plut. Plac.) in der Absicht aneinanderreiht, die Gegensätze zwischen Platon und Aristoteles zu dokumentieren.206
Für den mit Aristoteles und der doxographischen Tradition vertrauten Leser, der das Thales-Referat Th 29 aus der Metaphysik kennt, mag diese Passage beim ersten Lesen zunächst befremdlich erscheinen. Berücksichtigt
man jedoch das ausdrücklich artikulierte argumentative Interesse des Ps.Justin sowie seine doxographischen Quellen, so ist die Textpassage ein
schönes Beispiel für die Rezeptions- und Transformationsgeschichte des
Thales und seiner Ideen.
Literatur
Mansfeld, J., Aristotle and others on Thales, or the Beginning of Natural Philosophy,
Mnemosyne 38, 1985, 109–129.
Mansfeld, J., Runia, D. T., Aëtiana. The Method and Intellectual Context of a Doxographer, Vol. 1. The Sources, Leiden/New York/Köln 1997.
Marcovich, M., Pseudo-Iustinos. Cohortatio ad Graecos. De Monarchia. Oratio ad
Graecos, Berlin 1990.
Riedweg, C., Pseudo-Justin (Markell von Ancyra?), Ad Graecos de vera Religione (bisher: „Cohortatio ad Graecos“), Einleitung und Kommentar, 2 Bde., Basel 1994.
Riedweg, C., Art. Iustinus Martyr II (Pseudo-justinische Schriften) in: RAC 19, 2001,
848–873.
Runia, D. T., Review [zu Riedweg, C., Ps.-Justin […], Basel 1994], Vigiliae Christianae
51, 1997, 100–107.
Van der Horst, P. W., Rezension [zu Riedweg, C., Ps.-Justin […], Basel 1994], Mnemosyne 50, Fasc. 3, 1997, 366–367.
206
Cf. dazu Riedweg (1994) 76–80 und 241–246.
210
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
3.5 Epiphanios von Salamis (Th 293)
Epiphanios, der zwischen 310 und 320 nahe Eleutheropolis in Palästina geboren wurde, scheint sich bereits in jungen Jahren dem monastischen Leben
zugewandt zu haben.207 Nachdem er als junger Mann in Ägypten Kontakt
zu monastischen Kreisen gepflegt hatte, soll er mit ca. zwanzig Jahren selbst
ein Kloster in Besanduc (Palästina) gegründet und geleitet haben.208 Im
Jahre 367 wird er zum Bischof von Salamis, dem heutigen Constantia auf
Zypern, gewählt. Dieses Amt versieht er bis zu seinem Tode im Jahre
403.209 Hieronymus, mit dem er im so genannten ersten origenistischen
Streit gegen Ende des 4. Jh. zusammenarbeitet, äußert sich in einem Brief an
Rufinus über die Fünfsprachigkeit des Epiphanios (Hebräisch, Syrisch,
Koptisch, Griechisch und Latein).210
Epiphanios, Haereses / de fide
Sein in den Jahren 374–377 verfasstes Hauptwerk trägt den symbolträchtigen griechischen Titel Panarion (‚Arzneikasten‘) und gilt als „die bedeutendste und umfangreichste häresiologische Enzyklopädie der Alten
Kirche“.211 Quasten bemerkt, der griechische Titel „finds its explanation
in the authors’s intention to furnish an antidote to those who have been bitten by the serpent of heresy and to protect those who have remained sound
in their faith“.212 Das Werk, das auf Bitten von Freunden geschrieben worden sein soll, wird gewöhnlich unter dem lateinischen Titel (Adversus)
Haereses zitiert. Epiphanios behandelt darin in drei Büchern achtzig ‚Häresien‘. Zu dieser Zahl bemerkt Schneemelcher: „Die Zahl stammt, wie
Epiphanios selbst darlegt […] aus Cant. 6,7: die 80 Nebenfrauen stehen
der einen reinen und vollkommenen ‚Taube‘, der Kirche, gegenüber (ebd.
de fide 6.6). Unter dem Zwang, diese vorgegebene Zahl auszufüllen, wird
der Begriff der Häresie sehr weit gefasst: nach den allgemeinen Häresien
B*«, «, >E..« und #I« erscheinen
Stoiker, Platoniker, Pythagoräer und Epikuräer als hellenistische ‚Häresien‘. Es folgen nach einer erneuten Behandlung des Judentums die Sama-
207
208
209
210
211
212
Zu Leben und Werk cf. Schneemelcher (1962) 909–927.
Cf. ebd. 910–911.
Cf. Löhr (1998) 196–198, 196.
Cf. Hieron. adv. Ruf. 2.22; 3.6.
Löhr (1998) 196.
Quasten (1992) 387. Cf. dazu Epiphanios haer. prooem. 1.1.2.
Epiphanios von Salamis (Th 293)
211
ritaner, Essener, Sebuäer […]. Insgesamt werden vor der D« %-
! Christi 20 Häresien aufgezählt.“213
Kontext zu Th 293
Das Panarion wird durch eine zusammenfassende „wahre“ Darstellung
über den Glauben der katholischen und apostolischen Kirche («
$.κ« .« %λ %!(« .)« λ $%.)« /.!«)214
abgeschlossen, die jedoch auch noch polemische und antihäretische Exkurse enthält. In diesem letzten Abschnitt des Werkes, der auch unter dem
Titel De fide bekannt ist, steht die kurze Bezugnahme auf Thales und weitere Philosophen. Epiphanios beabsichtigt, die Namen und Lehrmeinungen
( \ λ « =«) der griechischen Philosophen, die ihm bekannt
sind, aufzuführen.215
Th 293 Epiphanios, Haereses 3.504.32–505.3 = De fide 9.4–6
(ed. Dummer)
λ 9λ ξ ¹ /= >E..&( o, W %; 0= $%’ $8)« κ
L." " M.! ; λ =. [505] Aµ« L.)«
² M.&«, g« φ 4% φ
, $8 %0( $%φ&
µ J(α /= J« 0 φ %0 ρ λ 9« J( %0.
$..
Th 293 Epiphanios, Über den Glauben 3.504.32–505.3 = De fide
9.4–6
Auch gibt es die folgenden von den Griechen stammenden Ansichten, unter
denen ich wohl als Erstes von Anfang an die Ansicht und Lehre des Thales
von Milet anordnen würde. Denn Thales selbst, der Milesier, der einer der
Sieben Weisen war, erklärte das Wasser zum Urprinzip von allem. Denn aus
Wasser, sagte er, sei alles und in Wasser löse es sich wieder auf.216
Attribute
Milet
Einer der Sieben Weisen
Prinzip Wasser: Alles besteht aus Wasser und löst sich wieder dahinein auf
213
214
215
216
Schneemelcher (1962) 916. Schneemelcher bemerkt, dass Epiphanios diesen erweiterten Begriff der Häresie von Hippolytos übernommen habe.
Cf. haer. 3.496.13–14 = de fide 1.
Cf. haer. 3.504.26–32 = de fide 9.2–4.
Übersetzung Schwab.
212
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Funktion der Bezugnahme
Epiphanios führt an erster Stelle seiner Liste griechischer Philosophen
die Einsicht und Meinung (; λ =) des Thales an, den er als
einen der Sieben Weisen einführt. Als dessen Lehre präsentiert er die Wasserthese.217 Festzuhalten ist, dass Thales an dieser Stelle ähnlich wie bei
Irenäus (Th 145) und Hippolytos (Th 209–215) in einem häresiologischen
Kontext erscheint. Die Bezugnahme ist Bestandteil einer Aufzählung griechischer Philosophen (de fide 9.4 bis zu Epikur in de fide 9.48), wird jedoch
selbst nicht unmittelbar für die Argumentation nutzbar gemacht.218 Epiphanios stellt abschliessend fest, dass es auch viele andere Philosophen
und Philosophien bei den „Barbaren“ und den griechischen Teilen des römischen Reiches sowie in anderen Teilen der bewohnten Welt gebe.219 Daran
schliessen sich weitere Aufzählungen z.B. der verschiedenen „Philosophien“ Indiens an.
Literatur
Diels, H., Doxographi Graeci, Berlin 1879, ND 1965.
Löhr, W. A., Art. Epiphanius von Salamis, LACL, 1998, 196–198.
Quasten, J., Patrology, Bd. 3, 1992.
Schneemelcher, W., Art. Epiphanius von Salamis, RAC 5, 1962, 909–927.
Williams, F., The Panarion of Epiphanius of Salamis. Books II/III (Sects 47–80, De
Fide), Leiden/New York/Köln 1994.
217
218
219
Cf. dazu Sim. ‚Prinzip Wasser‘.
Eine Zusammenstellung der Abfolge der Philosophen bietet Diels (1879) 175–177,
bes. 176.
Cf. haer. 3.509.24–25 = de fide 10.1.
Hieronymus (Th 304–308)
213
3.6 Hieronymus (Th 304–308)
Sophronios Eusebius Hieronymus wurde um 347 in einer christlichen
Grundbesitzerfamilie in Stridon (Dalmatien) geboren. „Als Bibelübersetzer
und Exeget, Vorkämpfer des Mönchtums und der Orthodoxie, Gelehrter und
Vermittler zwischen Orient und Abendland, Antike und Christentum ist
Hieronymus (gest. 419 oder 420) der weitaus vielseitigste unter den christlich-lateinischen Schriftstellern des Altertums und nächst Augustin auch ihr
produktivster […].“220 Er wirkte in bedeutenden Zentren des römischen
Reiches, vor allem in Rom, Trier (wo er zur mönchischen Lebensform
konvertierte), Antiochien und Konstantinopel, später auch in einem Kloster
in Bethlehem.221 Erst in der Mönchszelle, so Hagendahl und Waszink,
soll Hieronymus in vollem Umfang seine literarische Tätigkeit entfaltet
haben.222 In seiner Eigenschaft als Übersetzer ist Hieronymus durch seine
lateinische Übersetzung und Weiterführung der Chronik des Eusebius für
die Rezeptionsgeschichte des Thales von Bedeutung. Seiner Übersetzung
verdanken wir fünf Zeugnisse über Thales (cf. Eusebius Th 281–285 = Hieronymus Th 304–308).
Hieronymus, Interpretatio Chronicae Eusebii
Die fünf Bezugnahmen auf Thales stehen im zweiten der zwei Bücher umfassenden Chronik des Eusebius, die dieser um 311 verfasste.223 Das erste
Buch enthielt eine Chronologie, die nach Völkern separierte Herrscherlisten
und deren Herrschaftszeit präsentierte; das wirkungsgeschichtlich bedeutsamere zweite Buch bestand aus einer synchronistischen Darstellung der
Weltgeschichte in Parallelkolumnen.224 Diese „Chronik“ ist in griechischer
Sprache nur fragmentarisch überliefert. Das zweite Buch entfaltete jedoch
durch die lateinische Übersetzung und weitere Bearbeitung des Hieronymus
eine große Wirkungsgeschichte, indem es als wichtige Informationsquelle
bis zum Ende des Mittelalters diente.225 Vollständig liegt die Chronik nur in
220
221
222
223
224
225
Hagendahl/Waszink (1991) 117–139, 117; cf. auch Fürst (1998) 286–290.
Cf. Hagendahl/Waszink (1991) 117.
Cf. ebd. 117.
Cf. zur Chronik des Eusebius Mosshammer (1979) 31–37 sowie Mansfeld (1990)
313–318.
Cf. dazu Helm (1956) und Mosshammer (1979) 29–83, 128–168.
Cf. z.B. das Chronicon universale von Ekkehard von Aura (Migne PL 154, 541). Cf.
für weitere Beispiele die Anmerkungen bei Wöhrle (2009) zu Th 304–308.
214
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
einer armenischen Übersetzung vor.226 Mosshammer bemerkt zur Übersetzung des Hieronymus: „This version, presented as showpiece to the Roman
synod of 382, was a vulgate edition of the most substantial portion of Eusebius’ work – the Chronological Canons. Jerome continued the chronicle
to his own times ending with the Battle of Adrianople in 378. He also expanded its scope to include more information of interest to Latin readers
than Eusebius had, especially in the field of literary history.“227 Bedeutsam
für die Wirkungsgeschichte der griechischen Chronik des Eusebius ist auch
die folgende Einschätzung von Mosshammer: „Jerome’s version of the
Chronicle of Eusebius, composed little more than fifty years after the Vicennalia with which his exemplar ended, entirely supplanted the Greek Eusebius, at least in the Latin-speaking world, and rapidly became the standard
encyclopedia of chronology in the West.“228
Alle Textzeugnisse über Thales bei Hieronymus sind als feste Bestandteile der lateinischen Übertragung und Aneignung der chronologischen Gelehrsamkeit des Eusebius anzusehen.229 Auf ihre Funktion wird abschliessend in einer kurzen Zusammenfassung eingegangen.
Kontext zu Th 304
Die erste Bezugnahme auf Thales stammt aus der Übersetzung des Vorwortes des Eusebius. Bezeugt wird die Zeitgenossenschaft Solons mit Thales,
die, mit weiteren fünf anderen, als die Sieben Weisen bezeichnet werden
(septem sapientes appellati sunt); es wird konstatiert, dass Homer viel
früher (Homerus autem […] multo prior) als diese Gruppe der Sieben Weisen lebte.
Th 304 Hieronymus, Interpretatio Chronicae Eusebii –
interpretata Eusebii praefatio (13.19–14.1 ed. Helm)
Homerus autem Solone et Thalete Milesio ceterisque, qui cum his septem
sapientes appellati sunt, multo prior repperitur.230
226
227
228
229
230
Cf. zur Geschichte der armenischen Übersetzung Mosshammer (1979) 41ff. und
73ff.
Mosshammer (1979) 29.
Ebd. 38.
Cf. zu allen Zeugnissen unter Berücksichtigung der hellenistischen Quellen Mosshammer (1979) 255–273, zu Thales in der Chronik Apollodors Jacoby (1902)
175–183.
Cf. Frechulf von Lisieux Historiae (Allen CCL 169A, 953C)
Hieronymus (Th 304–308)
215
Th 304 Hieronymus, Übersetzung der Chronik des Eusebius
13.19–14.1
Es wird berichtet gefunden, dass Homer viel früher als Solon und Thales
von Milet und die übrigen, die zusammen mit diesen die Sieben Weisen genannt werden, lebte.
Attribute
Milet
Datierung
Einer der Sieben Weisen
*
Kontext zu Th 305
In diesem Zeugnis wird Thales auf das Jahr 747 v. Chr. datiert; zu dieser Zeit
soll er als „Naturphilosoph“ (physicus philosophus) bekannt gewesen sein
(agnoscitur).231
Th 305 Hieronymus, Interpr. Chron. Eus. – Chronicorum canones
ad ann. a. Chr. n. 747 (88b.19)
Thales Milesius physicus philosophus agnoscitur.232
Th 305 Hieronymus, Übersetzung der Chronik des Eusebius zum
Jahr 747 v. Chr.
Thales von Milet ist als Naturphilosoph bekannt.
Attribute
Milet
Datierung
Naturphilosoph
*
231
232
Auf diese Datierung stützt sich vermutlich auch Augustinus in civ. 18.24 (= Th 313).
In der Suda Th 495 wird diese Datierung in Zusammenhang mit der Angabe des Phlegon von Tralleis (cf. Th 166) gebracht. Jacoby (1902) 182 bemerkte zur Angabe des
Phlegon: „Die Rechnung ist thöricht, ihre Entstehung unsicher.“
Cf. Ekkehard von Aura Chronicon universale (Migne PL 154.541). Cf. Th 495.
216
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Kontext zu Th 306
Nach diesem Zeugnis wird die Lebenszeit des Thales bestimmt. Er wird als
Sohn des Examyas (Examyis filius) und als der erste Naturphilosoph (primus physicus philosophus) bezeichnet; zu dieser Charakterisierung wird
auch seine Lebenszeit (uixisse) angegeben: Thales soll bis zur (usque ad)
58. Olympiade (548/7–545/4 v. Chr.) gelebt haben.233
Th 306 Hieronymus, Interpr. Chron. Eus. – Chron. canones ad
ann. a. Chr. n. 640 (96a.9–12)
Thales Milesius, Examyis filius, primus physicus philosophus agnoscitur,234
quem aiunt vixisse usque ad LVIII olympiadem.
Th 306 Übersetzung der Chronik des Eusebius zum Jahr 640
v. Chr.
Thales von Milet, Sohn des Examyas, ist als der erste Naturphilosoph bekannt;235 er soll bis zur 58. Olympiade [548–545] gelebt haben.236
Attribute
Milet
Sohn des Examyas
Erster Naturphilosoph
Datierung (der Lebenszeit bis zur 58. Ol.)
*
233
234
235
236
Gleichung zur Zeitbestimmung mittels der Olympiadenberechnung:
776 v. Chr. (= 1. Jahr der 1. Olymp.) – Anzahl der Olympiaden × 4 = Ergebnis (+ 4,3,2,1)
Bsp. 58. Ol.: 776 – 58 × 4 = 544 + 4 (+3,+2,+1) = 1. Jahr der 58. Ol.: 548 (547, 546,
545).
Helm (1956) weist darauf hin, dass die Bemerkung von Diels zur Stelle (VS 11 A7), es
müsse richtig nascitur heißen, fragwürdig ist (vgl. die armenische Version und Th 480).
Vgl. Prosper Aquitanus Epitoma chronicorum 165 (ed. Mommsen chron. min. I
(1892) = MGH auct. ant. IX 394); Chronicum integrum (Migne PL 51, 543). Vgl.
Chronicum Gall. a. 511 (Mommsen chron. min. I (1892) = MGH auct. ant. IX 636,
170): „Tales Melezius primus phisicus philosophus“; Isidor von Sevilla Chronicon
444, 158 (Mommsen chron. min. II (1894) = MGH auct. ant. XI), 391–488: Thales
Milesius primus fisicus clarus habetur, [qui defectus solis, acutissima perscrutatione
comprehensis astrologiae numeris, primus investigavit]. Vgl. dazu Frechulf von Lisieux Chronica (Allen CCL 169 A, 984B).
Eus. chron. armen. ad. ann. ab Abr. 1376–9 = 35. Olympiade (GCS Eus. 5, 185 Karst
(1911)): „Thales von Amilos, der Milesier, war als erster Physiker gekannt; und es
wird berichtet, er habe sein Leben bis zur 48ten Olympiade ausgedehnt.“
Hieronymus (Th 304–308)
217
Kontext zu Th 307
Das Zeugnis datiert im Jahre 586/585 v. Chr. eine Sonnenfinsternis (solis
[…] defectio); das Eintreten dieser Sonnenfinsternis soll von Thales vorhergesagt worden sein (antedixisset).237 Bemerkenswert ist, dass bei Hieronymus die Schlacht zwischen dem Lyderkönig Alyattes (im 30. Jahr seiner
Herrschaft) und dem Mederkönig Astyages (im 17. Jahr seiner Herrschaft)
auf das Jahr 582 v. Chr. datiert wird.238
Th 307 Hieronymus, Interpr. Chron. Eus. – Chron. canones ad
ann. a. Chr. n. 586 und ad. ann. a. Chr. n. 582 (100b.25–101b.6)
Solis facta defectio, cum futuram eam Thales antedixisset […] Alyattes et
Astyages dimicaverunt.239
Th 307 Hieronymus, Übersetzung der Chronik des Eusebius zum
Jahr 586 v. Chr.
Es gab eine Sonnenfinsternis, deren Eintreten Thales vorausgesagt hatte […]
Alyattes und Astyages lieferten sich eine Schlacht.
Attribute
Datierung der Sonnenfinsternis (48. Ol)
Vorhersage der Sonnenfinsternis
*
237
238
239
Cf. dazu Sim. ‚Sonnenfinsternis‘ und ‚Datierung‘.
Cf. zur Genese dieser Version des Hieronymus Mosshammer (1979) 272–273, der erklärt: „In this case, it can be explained exactly how the error happened. Eusebius had
entered the eclipse and the Lydo-Median war side by side in the spatium historicum of
the 48th Olympiad. That was the last Olympiad on Jerome’s 26-line page. Jerome was
dictating the notices associated with Olympiad 48.4. His bookman entered the first
part of the notice (the eclipse) at that year but, having used the last line, he was forced
to turn the page and write the second part (the war) at the top of the next page and
hence in the next Olympiad.“
Zur Abweichung der armenischen Version (49. vs. 48. Ol.) bemerkt Mosshammer
ebd. 273: „The Armenian version shifted the combined notice down by two or three
years, a displacement evident in every entry in the right margin of this page of the Armenian Canons (e.g. Solon in 591, compared to Jerome’s 594).“
Eus. chron. armen. ad. ann. ab Abr. 1433 = 49. Olympiade (GCS Eus. 5, 187 Karst):
„Die Sonne ward verfinstert nach Thales des Weisen Vorausverkündigung. Aliates
und Azdahak lieferten eine Schlacht.“ Cf. Petrus Comestor Historia scholastica (Migne PL 198.1427 C-D).
218
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Th 308 Hieronymus, Interpr. Chron. Eus. – Chron. canones ad
ann. a. Chr. n. 548 (103b.12)
Thales moritur.240
Th 308 Hieronymus, Übersetzung der Chronik des Eusebius zum
Jahr 548 v. Chr.
Thales stirbt.241
Attribut
Datierung des Todes
Funktion der Bezugnahmen
Die Zeugnisse Th 304–308 in der Übersetzung des Hieronymus zeigen deutlich, dass Thales als markante Figur Eingang in die antike Chronologie und
Chronographie gefunden hat und somit auch über diese Textform bei gebildeten Christen der Kaiserzeit und Spätantike präsent bleiben konnte. Aspekte
seiner chronologischen Bedeutsamkeit sind (1) seine Schlüsselrolle als Mitglied der Sieben Weisen und als Archeget der Naturphilosophie (primus physicus philosophus); (2) die ihm zugeschriebene Vorhersage der Sonnenfinsternis manifestiert und veranschaulicht in einzigartiger Weise seine Leistung als
Naturphilosoph und bietet zugleich ideale Bezugspunkte für die Datierung
seiner Lebens- und Wirkungszeit im synchronen Vergleich mit anderen Ereignissen.242 Die Textzeugnisse bei Hieronymus veranschaulichen, wie Thales in
einer wichtigen und einflussreichen lateinischen Textgattung bekannt ist.
Literatur
Fürst, A., Art. Hieronymus, LACL, 1998, 286–290.
Hagendahl, H., Waszink, J. H., Art. Hieronymus, RAC 15, 1991, 117–139.
Helm, R., Eusebius Werke VII, Die Chronik des Hieronymus, GCS 47, Berlin 1956.
Jacoby, F., Apollodors Chronik. Eine Sammlung der Fragmente, Berlin 1902.
Mansfeld, J., Studies in the Historiography of Greek Philosophy, Assen/Maastricht 1990.
Mosshammer, A. A., The ‚Chronicle‘ of Eusebius and Greek chronographic tradition,
Lewisburg 1979.
240
241
242
Eus. chron. armen. ad. ann. ab Abr. 1468 = 58. Olympiade (GCS Eus. 5, 189 Karst):
„Thales stirbt.“ Cf. Ekkehard von Aura Chronicon universale (Migne PL 154.549).
Cf. zum Tod des Thales auch die Angaben im Chronikon Paschale (Osterchronik),
Th 477, sowie im Chronikon des Symeon Logothetes, Th 492, wo als Todesort des
Thales die Insel Tenedos angegeben wird.
Cf. dazu Mansfeld (1990) 317–318.
Cf. dazu Sim. ‚Datierung‘ und ‚Sonnenfinsternis‘.
Ambrosius (Th 309)
219
3.7 Ambrosius (Th 309)
Bei dem Mailänder Bischof Ambrosius (um 333/334–397) findet sich eine
kurze, jedoch äußerst interessante Bezugnahme auf Thales in seiner neun
Homilien umfassenden exegetischen Schrift (von 386/387) über das SechsTage-Werk, das Hexaëmeron.243 In seiner Exegese von Genesis 1,1–26 rezipiert der Bischof unter anderem auch das gleichnamige Werk des kappadozischen Bischofs und Theologen Basilius („des Großen“), das dieser in griechischer Sprache verfasst hatte.244
Kontext zu Th 309
Die Bezugnahme auf Thales findet sich in der ersten Homilie (hex. 1.2.6), in
der Ambrosius den zuvor referierten Prinzipienannahmen der Philosophen
(hex. 1.1–4)245 den ‚Fundamentalsatz der mosaischen Kosmologie‘ (Gen
1,1) gegenüberstellt: in principio fecit Deus caelum et terram („Im Anfang
schuf Gott Himmel und Erde.“). Diesen Satz (hex. 1.2.5) habe der heilige
Moses (sanctus Moyses) an den Anfang seines Berichtes (in exordio sermonis sui) gestellt, weil er im göttlichen Geiste (divino spiritu) voraussah
(praevidens), dass solche menschliche Irrtümer (hos hominum errores) hervortreten und vielleicht schon hervorzutreten anfingen. Ambrosius lenkt –
ähnlich wie bereits Basilius (cf. Bas. hex. 1.1)246 – die Aufmerksamkeit auf
Moses, der als Verfasser des Genesisberichtes genauer betrachtet werden
soll (hex. 1.2.6):
Wer dies spricht, müssen wir beachten.
Quis hoc dicat advertere debemus.
243
244
245
246
Cf. zu Ambrosius Markschies (1998) 13–22. Zum Einfluss Philons auf das Werk des
Ambrosius Runia (1993) 291–311.
Cf. zum Begriff und zur Tradition der Hexaëmeron-Literatur van Winden (1988)
1250–1269, zu Ambrosius bes. 1263–1264. Neben Basilius, Origenes und Hippolytos
soll Ambrosius auch Philon, Cicero und Vergil als Quellen verwendet haben, cf.
Markschies (1998) 17. Zum Umgang des Ambrosius mit der paganen Biologie cf.
Föllinger (2008) 51–62.
Cf. dazu Pépin (1964).
Basilius schreibt in der ersten Homilie des hex. 1.1: „Doch bevor wir den Sinn der
Worte genau untersuchen und nachforschen, was alles mit den wenigen Worten gesagt sein will, wollen wir erwägen, wer es ist, der zu uns redet. […] Moses nämlich ist
es, der diesen Bericht verfasst hat […].“ Übersetzung Stegmann (1925).
220
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Ambrosius weist sowohl auf dessen vollständige Vertrautheit mit der Weisheit der Ägypter (in omni sapientia Aegyptiorum) als auch auf dessen
Unterweisung und Ausbildung in allen Lehren der Weltweisheit (omnibus
saecularis prudentiae disciplinis informari atque instrui) hin, die dem jungen Moses im Rahmen seiner Erziehung am Hofe des ägyptischen Pharaos
zuteil wurden.247 Moses, der (nach Ex 2,10) durch die Tochter des Pharaos
aus dem Nilfluss geborgen wurde, soll auch seinen Namen (nomen) vom
Wasser (de aqua) empfangen haben (acceperit). Darauf folgt die prägnante
Äußerung des Ambrosius zu Moses und Thales.
Th 309 Ambrosius, Exameron 1.2.6 (ed. Schenkl)
Qui cum de aqua nomen acceperit, non putauit tamen dicendum quod ex
aqua constarent omnia, ut Thales dicit, et cum esset in aula educatus regia,
maluit tamen pro amore iustitiae subire exilium uoluntarium quam in tyrannidis fastigio peccati perfunctionem deliciis adquirere.
Th 309 Ambrosius, Hexaëmeron 1.2.6
Obwohl er [Moses] seinen Namen vom Wasser empfangen hatte, glaubte
er doch nicht, sagen zu müssen, dass alles aus Wasser bestehe, wie Thales
es behauptet. Und obwohl an einem königlichen Hof erzogen, wollte er sich
doch lieber aus Gerechtigkeitsliebe einer freiwilligen Verbannung unterziehen als an der Spitze einer Zwangsherrschaft in Üppigkeit in den Genuss der
Sünde zu gelangen.
Attribut
Prinzip Wasser
Funktion der Bezugnahme
Dieser humorvolle Vergleich von Moses mit Thales in der exegetischen
Betrachtung des Ambrosius ist bemerkenswert, umso mehr, da sich ein derartiger Vergleich im griechischen Hexaëmeron des Basilius nicht findet.248
Ambrosius erwähnt in seiner Beschreibung des Moses im Unterschied
zu Basilius explizit dessen Rettung aus dem Nil (de flumine collectum).
Er spielt damit auf die der Volksetymologie (Ex 2,10) entstammende Erklärung an, dass sich der Name des Moses von dem hebräischen Wort für „ziehen“ (= aus dem Wasser gezogen) ableite. Denn in Ex 2,10 wird von der
247
248
Cf. hex. 1.2.6.
Zu einem Vergleich der beiden Werke insgesamt cf. Henke (2000) mit weiterführender Literatur ebd. 310–315.
Ambrosius (Th 309)
221
Tochter des Pharaos gesagt: „Sie nannte ihn Moschäh, und sie sagte: ‚Weil
ich ihn aus dem Wasser gezogen habe (meschitihu).‘“249 Philon und Flavius
Josephus, denen sich Clemens von Alexandrien anschließt, führen den Namen Moses (M()«) auf das ägyptische Wort für Wasser (
) zurück.250
Ambrosius knüpft an diese Version an und weist auf die große Nähe des Moses zum Wasser hin, die sich selbst in seinem Namen zeige. Die Pointe liegt
nun darin, dass Moses trotz dieser Affinität zum Wasser nicht zu einem Anhänger der Wasserthese des Thales wird.251 Ambrosius hatte zuvor (hex.
1.2.5) betont, dass Moses durch den ersten Satz in Gen 1,1 „den Anfang der
Dinge, den Urheber der Welt und die Erschaffung der Materie zugleich“ ausspreche.252 Diese theistische, biblische Welterklärung zieht Ambrosius der
dem Thales zugeschriebenen Annahme über das Wasser als Prinzip der Welt
vor. Wichtig für den rezeptionsgeschichtlichen Befund ist die Tatsache, dass
Ambrosius nur das Thema des Wassers berührt und auch nur den Namen des
Thales zu erwähnen braucht, um seine geistreiche Pointe zu erzeugen. Henke
bemerkt, dass Ambrosius an „etlichen Stellen […] das alte rhetorische Mittel
scherzhafter Wortspiele“ nutze.253 Abgesehen von dieser einmaligen und
ausdrücklichen Bezugnahme auf Thales im Hexaëmeron des Ambrosius finden sich sowohl im Hexaëmeron des Basilius254 als auch bei Ambrosius255
249
250
251
252
253
254
255
Der Name „Moses“ ist ägyptischer Provenienz und ursprünglich wohl Teilelement
theophorischer Eigennamen, insbesondere von Königen (vgl. Thut-Mose/is, RaMses). Cf. dazu Zenger (1994) 332.
Cf. Philon vita Mos. 1.17: ρ !( ` M() /(« µ /
" J« µ $.· µ J( \0' A9%.
Cf. auch Josephus Ap. 1.31.286 und Ant. Iud. 2.9.6.228 sowie Clem. Alex. str. 1.23.152.3.
Der Vergleich könnte von einem Zuhörer bzw. Leser des Ambrosius noch fortgeführt
werden, wenn man bedenkt, dass Moses und Thales nach antiker Tradition eine weitere gemeinsame Eigenschaft verbindet. Ambrosius betont im vorausgehenden Zusammenhang die Vertrautheit des Moses mit der Weisheit der Ägypter. Ähnliches
wird auch für Thales berichtet (cf. z.B. Flavius Josephus Th 108, Plutarch Th 115/116
und Sim. ‚ägyptischer Einfluss‘), dessen kosmologische Vorstellungen (Wasser als
Ursprung und Wasser, das die Erde trägt) möglicherweise auf ägyptische Einflüsse
zurückgehen. Cf. dazu Hölscher (1968) 40–46.
Cf. hex. 1.2.5 […] in exordio sermonis sui sic ait: in principio fecit deus caelum et terram, initium rerum, auctorem mundi, creationem materiae comprehendens […].
Henke (2000) 305. Henke bietet sehr erhellende Ausführungen über die Wortspiele
des Ambrosius und dessen Nutzung antiker Scherzrede mit einigen Beispielen ebd.
305–364. Cf. dazu allgemein Luck (1991) 173–212.
Cf. z.B. Basilius hex. 1.2 und hex. 1.8.
Cf. z.B. hex. 1.22, wo im Zusammenhang mit der Erörterung der Beschaffenheit und
Lage der Erde auf die ‚Erde-auf-dem-Wasser‘-These angespielt wird. Thales wird dabei jedoch nicht explizit genannt.
222
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
mehrere Anspielungen auf Ansichten und vor allem Thesen zur Kosmologie,
die Thales und anderen frühgriechischen Philosophen in der Antike zugeschrieben wurden, ohne dass jedoch deren Namen ausdrücklich genannt
werden.
Literatur
Föllinger, S., Der Trick des Krebses: Ambrosius und die pagane Biologie, in: Fuhrer, T.
(Hrsg.), Die christlich-philosophischen Diskurse der Spätantike: Texte, Personen, Institutionen, Stuttgart 2008, 51–62.
Henke, R., Basilius und Ambrosius über das Sechstagewerk. Eine vergleichende Studie,
Basel 2000.
Hölscher, U., Anfängliches Fragen. Studien zur frühen griechischen Philosophie, Göttingen 1968.
Luck, G., Art. Humor, RAC 15, 1991, 173–212.
Markschies, C., Art. Ambrosius von Mailand, LACL, 1998, 13–22.
Pasteris, E., Sant’Ambrogio. L’Esamerone ossia dell’Origine e Natura delle Cose, Turin
1937.
Pépin, J., Théologie cosmique et théologie chrétienne (Ambroise, Exam. I 1, 1–4), Paris
1964.
Runia, D. T., Philo in Early Christian Literature. A Survey, Assen/Minneapolis 1993.
Stegmann, A., Des Heiligen Kirchenlehrers Basilius des Großen, Bischofs von Cäsarea,
ausgewählte Homilien und Predigten, München 1925.
Van Winden, J.C.M., Art. Hexaemeron, RAC 14, 1988, 1250–1269.
Zenger, E., Art. Moses, TRE XXIII, 1994, 332.
Tyrannios Rufinos (Th 310)
223
3.8 Tyrannios Rufinos (Th 310)
Die ursprünglich in griechischer Sprache verfassten pseudo-clementinischen Recognitiones (clement.) wurden von Rufinos von Aquileia ins Lateinische übersetzt.256 Der besonders durch seine Origenes-Übersetzungen
bekannte Rufinos übertrug im Jahre 407 das Werk in der Meinung, es handle
sich dabei um ein Werk des Clemens von Rom.257 Die neuere Forschung
geht davon aus, dass es sich bei den Recognitiones ebenso wie bei den
ps.-clementinischen Homilien um „zwei Rezensionen einer um 220/250
in Cölesyrien entstandenen Grundschrift“ handelt.258 Die Recognitiones
sind (neben wenigen griechischen und syrischen Fragmenten) nur in der
lateinischen Übersetzung des Rufinos erhalten259 und zählen zur Gattung
des christlichen Romans.260
Ihren Titel haben die Recognitiones von den „Wiedererkennungen“ des
Clemens und seiner Familie, die zerstreut worden war.261 Nachdem seine
Mutter Mattidia mit den zwei älteren Zwillingsbrüdern des Clemens Rom
verlassen hat und auf See verschollen ist, begibt sich sein Vater Faustinianus auf die Suche nach ihnen und kehrt ebenfalls nicht mehr zurück. Der
junge Clemens wendet sich bei seiner Suche nach der Wahrheit der Philosophie zu, die ihn jedoch unbefriedigt lässt. Er reist nach Palästina und begegnet dort dem Apostel Petrus, der ihn in Cäsarea freundlich aufnimmt.
Clemens nimmt daraufhin teil an den Missionspredigten des Petrus in den
Städten Phöniziens, den Streitgesprächen mit dem Magier Simon sowie an
den geheimen Belehrungen im engsten Jüngerkreis. Nachdem Petrus zum
einen auf der Insel Arados durch geschicktes Ausfragen einer Bettlerin
Clemens’ Mutter erkannt hat, geben sich zum anderen zwei Jünger des
Petrus, Niceta und Aquila, nach Anhören der Schicksale der fremden Frau,
als ihre verlorenen Zwillingssöhne zu erkennen. Bei der letzten Anagnorisis (clement. 8–9) treffen Petrus und seine Begleiter an einem Morgen auf
einen Greis (senex), der sie zuerst am Hafen beim gemeinsamen Beten beobachtet, sich darauf mit ihnen unterhält und später als Clemens’ Vater er-
256
257
258
259
260
261
Cf. dazu insgesamt Rehm (1957) 197–206.
Cf. Skeb (1998) 536.
Hofmann (1998) 132.
Cf. zu den griechischen Fragmenten die Erklärung und Übersicht bei Rehm/Paschke
(1965) C-CII sowie für die syrische Übersetzung Rehm (1957) 203.
Cf. Hofmann (1998) 132 und die Untersuchung von Vielberg (2000).
Cf. Hofmann (1998) 133. Cf. zu den Strukturen und Motiven des Romans sowie den
clement. als einer Familiengeschichte Vielberg (2000) 111–129.
224
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
weist.262 Im Laufe der Unterredung versucht Niceta, der Bruder des Clemens, in einem philosophischen Lehrvortrag die Auffassung des alten
Mannes (und damit seines Vaters) zu widerlegen, dass alle Dinge einem zufälligen Werden unterliegen.263 Auf Thales und weitere griechische Philosophen kommt er in diesem Zusammenhang zu sprechen (clement. 8.15.1–3).
Kontext zu Th 310
Niceta wendet sich in seinem Lehrvortrag dezidiert gegen die These des
alten Mannes, dass alle Dinge einem zufälligen Werden (genesis) unterlägen. In der sog. ‚Genesis-Disputation‘ (clement. 8.3–9.31) vertritt er als
Christ die Ansicht, dass die Welt von der Vorsehung Gottes gelenkt werde,
zumindest in den Bereichen, die auf seine Führung angewiesen seien:
Ich sage, dass die Welt durch die Vorsehung Gottes gelenkt wird, wenigstens in den Bereichen, die seiner Führung bedürfen.
Ego dico providentia dei gubernari mundum, in his dumtaxat quae gubernatione eius indigent.264
Bevor er jedoch für seine Überzeugung argumentiert, versucht Niceta seinem Gesprächspartner zu zeigen, dass er auch dessen philosophische Position und deren logische Konsequenzen nachvollziehen kann (clement.
8.7.4–5). Er erklärt, dass er selbst die Schule des Epikur besucht habe (Epicuri scholas frequentavi) und einer seiner Brüder, Aquila, die Pyrrhonische,
und wieder ein anderer, die Platoniker und Aristoteliker besucht habe. Der
Alte habe es also mit „gebildeten Hörern“ zu tun.265 Niceta erörtert unter anderem folgende Themen und Fragen: das Problem der einfachen und zusammengesetzten Materie, die Entstehung der Welt, ob sie geschaffen sei oder
nicht, Folgerungen aus der Annahme einer Welt ohne göttliche Vorsehung,
die Annahme einer göttlichen Vorsehung und ihre Folgen, die Unterschei262
263
264
265
Eine kunstvolle Pointe liegt darin, dass der astrologische Schicksalsglaube des Vaters
durch die Rückkehr seiner keuschen Gattin erschüttert wird.
Cf. clement. 8.6.4 Niceta vero dicere hoc modo adgressus est: Definisti, pater, quod
non per dei providentiam mundus regatur, sed omnia genesi subiaceant […].
Clement. 8.6.6.
Cf. clement. 8.7.5–7 et quia ego non sum ignarus quae sint definitiones philosophorum, ex his quae proposuisti, quid consequatur agnosco, maxime quia prae ceteris
philosophis Epicuri scholas frequentavi. frater autem meus Aquila magis Pyr!r"onios
secutus est, alius autem frater noster Platonicos et Aristotelicos; itaque cum eruditis
tibi auditoribus sermo est.
Tyrannios Rufinos (Th 310)
225
dung zwischen allgemeiner und spezieller Vorsehung, die Bedeutungslosigkeit des Gebetes in Anbetracht des Zufalls, die Notwendigkeit eines Schöpfers, die Art und Weise der Schöpfung sowie verschiedene Annahmen über
die Prinzipien (clement. 8.15.1–3).266
In diesem Zusammenhang führt er einen Katalog griechischer Philosophen und deren verschiedenartiger Meinungen über die Prinzipien (de principiis) an. Die Bezugnahme auf Thales ist Bestandteil dieses auf doxographischem Wissen basierenden Kataloges.
Th 310 Tyrannios Rufinos, Clementina sec. translationem
quam fecit Rufinus – Recognitiones 8.15.1–3 (ed. Rehm/Paschke)267
Nam Graecorum philosophi de principiis mundi quaerentes, alius alia incessit via. denique Pythagoras elementa principiorum numeros esse dicit,
Callistratus qualitates, Alcmeon contrarietates, Anaximandrus inmensitatem, Anaxagoras aequalitates partium, [2] Epicurus atomos, Diodorus
amere, hoc est [ex his] in quibus partes non sint, Asclepiades oncos, quod
nos tumores vel elationes possumus dicere, geometrae fines, Democritus
ideas, Thales aquam, [3] Heraclitus ignem, Diogenes aerem, Parmenides
terram, Zenon Empedocles Plato ignem aquam aerem terram;
Th 310 Tyrannios Rufinos, Ps.-Clementinen/Recognitiones
8.15.1–3
Denn als die Philosophen der Griechen nach den Prinzipien der Welt fragten, schlug ein jeder einen anderen Weg für sich ein. Also Pythagoras sagt,
dass die Grundelemente der Prinzipien die Zahlen seien, Kallistratos die
Qualitäten, Alkmaion die Gegensätze, Anaximander das Unendliche, Anaxagoras die Gleichartigkeiten der Teile, Epikur die Atome, Diodor das
amere (das Unteilbare), d.h. Dinge, in denen es keine Teile gibt, Asklepiades oncos (Massen), die wir Anschwellungen oder Ausdehnungen nennen
können, die Geometriker die Grenzen, Demokrit die Ideen, Thales das Wasser, Heraklit das Feuer, Diogenes die Luft, Parmenides die Erde, Zenon,
Empedokles und Platon Feuer, Wasser, Luft und Erde.268
Attribut
Prinzip Wasser
266
267
268
Cf. dazu Rehm (1957) 202–203.
Cf. Th 579 und 580
Übersetzung Schwab.
226
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
Funktion der Bezugnahme
Um die Funktion der Bezugnahme auf die Philosophen genauer bestimmen
zu können, muss die unmittelbar vorausgehende Argumentation des Niceta
noch weiter nachvollzogen werden. Nach der Unterscheidung zwischen
einer sichtbaren (visibilis) und einer unsichtbaren Welt (invisibilis mundus)
in clement. 8.12.6 konstatiert Niceta, dass auch die weisesten unter den
Philosophen (philosophorum plurimi sapientes viri) bezeugen könnten
(clement. 8.13.1), dass die sichtbare Welt geschaffen sei (quia factus sit
mundus iste visibilis). Es solle nicht so aussehen, als ob man ihre Thesen als
Zeugen brauche, doch nach ihren Prinzipien solle gefragt werden.269 Niceta
stellt fest: Dass die sichtbare Welt körperlich sei, könne bereits aus ihrer
Sichtbarkeit erkannt werden.270
Im Folgenden (clement. 8.13.2–14.5) geht er von der Prämisse aus, dass
jeder Körper zwei unterschiedliche Eigenschaften annehme (duas recipit
differentias): entweder (a) sei er verbunden (conexum) und fest (solidum)
oder aber (b) geteilt (divisum) und getrennt (separatum).
In einer parallelen Konstruktion unterscheidet er (clement. 8.13.3–4) weiter zwei Fälle (si …, necesse est intellegi fuisse aliquem qui …):
1. Fall: Wenn der Körper, aus dem die Welt gebildet ist, verbunden und
fest war und durch verschiedene Formen und Teile entsprechend der ihm innewohnenden unterschiedlichen Eigenschaften geteilt und getrennt worden
ist, ist es notwendig einzusehen, dass es jemanden gegeben hat, der den Körper, der verbunden und fest war, auseinandergerissen und in viele Teile und
verschiedene Formen auseinandergeführt hat.271
2. Fall: Wenn aber aus geteilten und getrennten Teilen der Körper diese
Masse der ganzen Welt zusammengestellt und zusammengefügt worden ist,
ist es nichtsdestoweniger notwendig einzusehen, dass es jemanden gegeben
hat, der das Verstreute in Eines zusammengesammelt und den Dingen verschiedene Formen gegeben hat.272
269
270
271
272
Cf. clement. 8.13.1–2 sed ne videamur quasi egentes adsertionibus uti voluisse testibus, de principiis eius, si videtur, quaeramus.
Cf. clement. 8.13.2 corporeum esse mundum hunc visibilem, eo ipso est visibilis, satis
constat.
Cf. clement. 8.13.3 et si quidem conexum fuit et solidum corpus ex quo mundus factus
est, et per diversas species partesque secundum differentias sui corpus illud partitum
est et divisum, necesse est intellegi fuisse aliquem qui corpus quod erat conexum et
solidum dirimeret atque in partes multas duceret formasque diversas.
Cf. clement. 8.13.4 aut si ex divisis dispersisque corporum partibus omnis mundi
haec moles conposita est et conpaginata, necesse est nihilominus intellegi fuisse aliquem qui in unum dispersa colligeret et diversas rebus species inderet.
Tyrannios Rufinos (Th 310)
227
Im Anschluss an diese beiden Fallunterscheidungen macht er darauf
aufmerksam, dass auch einige der Philosophen (plures philosophorum)
wahrnahmen (sensisse), dass der Schöpfergott aus einem Körper, den sie
„Materie“ nannten, Teilungen und Formen hervorgebracht hätte. Diese Materie habe jedoch aus vier einfachen Elementen (ex quattuor simplicibus […]
elementis) bestanden, die durch das rechte Maß der göttlichen Vorsehung
(temperamento quodam divinae providentiae) in Eines vermischt wurden.
Nachdem sich Niceta gegen die These gewandt hat, dass die Welt ein einfacher Körper ohne irgendeine Zusammensetzung sei, gibt er mit einer rhetorischen Frage das Folgende zu bedenken: Wenn Körper aus zwei, drei
oder vier Elementen zusammengesetzt seien, wer könnte dann nicht sehen,
dass es dann jemanden geben haben müsse, der das Viele in Eines zusammengebracht und aus den verschiedenen Teilen einen festen Körper geschaffen hat? Darauf folgt sein Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer und
Urheber des Weltganzen:
Diesen Schöpfer der Welt also nennen wir Gott, diesen anerkennen wir
als Urheber des Weltganzen.
Hunc igitur nos conditorem mundi dicimus deum, hunc agnoscimus universitatis auctorem.273
Unmittelbar im Anschluss an diese Identifizierung des Schöpfergottes mit
dem christlichen Gott listet Niceta nun die verschiedenartigen Prinzipienannahmen der griechischen Philosophen auf. Zwar hebt er zu Beginn hervor,
dass ein jeder von ihnen einen anderen Weg für sich einschlug (alius alia incessit via). Doch ist die Aufzählung insgesamt nicht von Polemik geprägt.
Diese Tatsache lässt sich vor dem Hintergrund der vorausgehenden Argumentation verstehen, in der Niceta bereits gezeigt zu haben glaubt, dass für
jeden denkbaren Fall die Annahme eines Gottes als Schöpfer und Urheber
notwendig sei, entweder in seiner Funktion des Zusammenfügens und Verbindens oder in der des Ordnens und Aufteilens. Der Philosophenkatalog, in
dem die Bezugnahme auf Thales steht, erfüllt in diesem Zusammenhang
mindestens drei Funktionen.
(1) Von einem rein rhetorisch-literarischen Gesichtspunkt aus zeigt sich
Niceta wie bereits mehrmals in seinem Lehrvortrag als ein kompetenter
Sprecher, der auch von den nicht-christlichen Weltanschauungen Kenntnis
273
Clement. 8.14.6.
228
Textzeugnisse aus dem 4. Jahrhundert
besitzt und diese an entsprechender Stelle zu berücksichtigen weiß. Seine
Kenntnis der Lehrmeinungen griechischer Philosophen stellt er durch das
Aufzeigen auch entlegener Meinungen unter Beweis.
(2) Obgleich Niceta zuvor (clement. 8.13.1–2) ausdrücklich betont, dass
er die Philosophen nicht als „Zeugen“ (testibus) zu benutzen beabsichtige,
zeigt er sich bei der Präsentation und Kommentierung des Philosophenkataloges nicht abweisend und polemisch, sondern vielmehr kreativ.274 Seine
wohlwollende Leseweise des Kataloges zeigt sich deutlich bei Aristoteles,
der zuletzt (nach Zenon, Empedokles und Platon und der Annahme von
vier Elementen) genannt wird. Aristoteles habe ein fünftes Element eingeführt, das akatonomaston genannt werde, d.h. das, was nicht genannt werden könne.275 Niceta ist nun „ohne Zweifel“ (sine dubio) der Meinung, dass
es sich dabei um denjenigen handele, der die Welt geschaffen habe, indem er
die vier Elemente zu einem verband.
(3) Der selbstbewusste und rhetorisch geübte Umgang des Niceta mit
den Lehrmeinungen der Philosophen zeigt sich auch in seiner abschließenden Bemerkung. Denn Niceta vertritt die These, dass bei jeder Annahme
(ob zwei, drei oder mehrere Elemente) gezeigt werden könne, dass ein Gott
gebraucht werde, der die vielen zu einem Ganzen zusammensammelte und
zusammenfügte, und wiederum, wenn diese gesammelt waren, sie in verschiedene Arten aufteilen konnte. Dadurch sei gezeigt, dass das „Gerüst der
Welt“ (machinam mundi) nicht bestehen könnte ohne einen Schöpfer und
Vorseher (non potuisse […] sine opifice et provisore constare).
Literatur
Diels, H., Doxographi Graeci, Berlin 1879, ND 1965.
Hofmann, J., Art. Ps.-Clementinische Literatur, LACL, 1998, 132–133.
La Penna, A. et alii (Hrsg.), Giorgio Pasquali, Scritti Filologici I. Letteratura Greca, Florenz 1986.
Rehm, B., Art. Clemens Romanus II (PsClementinen), RAC 3, 1957, 197–206.
Rehm, B., Paschke, F., Die Pseudoklementinen II. Rekognitionen in Rufins Übersetzung,
GCS 51, Berlin 1965.
Skeb, M., Art. Rufin von Aquileia, LACL, 536–537.
Vielberg, M., Klemens in den Pseudoklementinischen Rekognitionen. Studien zur literarischen Form des spätantiken Romans, TU 145, Berlin 2000.
274
275
Cf. zum Katalog der Philosophen auch die griechischen Scholien zum Hexaëmeron
des Basilius Th 579 und Th 580 sowie dazu Diels (1879) 250–251, Mansfeld/Runia
(1997) 306–308 und La Penna (1986) 539ff.
Clement. 8.15.4 Aristoteles etiam quintum introducit elementum, quod acatonomaston, id est inconpellabile nominavit, sine dubio illum indicans, qui in unum quattuor
elementa coniungens mundum fecerit.
Tyrannios Rufinos (Th 310)
229
4. Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Übersicht der Autoren und Zeugnisse
Augustinus
[Iulianus von Aeclanum
Nemesios von Emesa
Theodoret
Kyrill von Alexandrien
Sidonius Apollinaris
Aponius
Iohannes Malalas
Isidor von Sevilla
Insgesamt 38 Zeugnisse
Th 311–316
Th 325 = Augustinus Th 316]
Th 323–324
Th 326–337
Th 373–378
Th 385–389
Th 338
Th 454–455
Th 473–475
230
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
4.1 Augustinus (Th 311–316)
Im umfangreichen Werk des wohl bedeutendsten lateinischen Kirchenvaters und Theologen finden sich insgesamt sechs Bezugnahmen auf Thales
in zwei Werken: fünf Zeugnisse (Th 311–315) enthält sein opus magnum,
die 22 Bücher umfassende apologetische Schrift „Über den Gottesstaat“
(De civitate Dei) in den Büchern 8 und 18;1 ein weiteres Zeugnis, Th 316,
steht in einer dem häresiologischen Diskurs zugehörigen Schrift gegen den
Pelagianer Iulianus (Contra Iulianum; Th 325).
Augustinus, De civitate Dei
Nachdem sich Augustinus in den Büchern 6–8 im Anschluss an Varro bereits mit der so genannten mythischen (fabulosa) und politischen (civilis)
Theologie auseinandergesetzt hat, wendet er sich im achten Buch der Behandlung der natürlichen Theologie (theologia naturalis) zu. Buch 8 bildet
den Auftakt zur Diskussion mit den platonischen Philosophen, die in den
Büchern 9 und 10 vertieft wird.2
Kontext zu Th 311
Zu Beginn von civ. 8.1 betont Augustinus, dass besondere Aufmerksamkeit
(animo multo) erforderlich sei, da nun die Auseinandersetzung bzw. der
Vergleich (conlatio) mit den Philosophen zu führen sei (cum philosophis).
Bereits deren Name (ipsum nomen) weise bei der Übersetzung ins Lateinische (si Latine interpretemur) auf die „Liebe zur Weisheit“ (amorem sapientiae) hin. Augustinus formuliert darauf die folgende Bedingung: Wenn (si)
nun die Weisheit Gott sei, durch den alles erschaffen worden ist – wie auch
(sicut) die göttliche Autorität und Wahrheit gezeigt habe –, so sei der wahre
Philosoph (verus philosophus) ein amator Dei, ein Freund bzw. Liebender
Gottes.3 Nach Augustinus sind jedoch nicht alle, die als Philosophen bezeichnet werden, der „wahren Weisheit“ (verae sapientiae) zugetan.
Eine erste Folge dieser Einschätzung besteht darin, dass sich Augustinus
nur mit einer Auswahl von Philosophen beschäftigt, deren Anschauungen
ihm aus schriftlichen Quellen zugänglich sind (sententias litteris nosse
potuimus). Er betont ausdrücklich, dass er in diesem Werk nicht beabsichtige, alle als vanas (inhaltsleer, eitel, grundlos oder falsch) bezeichneten
1
2
3
Cf. zur philosophischen Bedeutung des Werkes Horn (1997) 1–22, bes. 17–22.
Cf. dazu Fuhrer (1997) 87–108.
Cf. civ. 8.1 Porro si sapientia Deus est, per quem facta sunt omnia, sicut divina auctoritas veritasque monstravit, verus philosophus est amator Dei.
Augustinus (Th 311–316)
231
Meinungen (opiniones)4 aller Philosophen zu widerlegen, sondern sich nur
mit den Meinungen beschäftige, welche die Theologie betreffen (quae ad
theologian pertinent). Augustinus erläutert den Begriff des griechischen
Wortes „Theologie“ als „Begriff/Lehre oder Rede von der Gottheit“ (de divinitate rationem sive sermonem).5
Darauf trifft er eine weitere Unterscheidung: Nur die Meinungen der Philosophen sind Gegenstand der Diskussion, die darin übereinstimmen (consentiunt), dass es (1) eine Gottheit gebe (et esse divinitatem), die sich (2) um
die menschlichen Angelegenheiten kümmere (et humana curare). Diese
Philosophen unterscheiden sich jedoch von den Christen insofern, als ihnen
„zur Erlangung eines auch nach dem Tode seligen Lebens nicht die Verehrung des einen unwandelbaren Gottes“ genüge, sondern die Verehrung vieler – und wie Augustinus ergänzt – „wenn auch von jenem Einen erschaffener und eingesetzter Götter“.6 Über diese Philosophen äußert sich
Augustinus folgendermaßen (civ. 8.1):
Sie nähern sich der Wahrheit bereits mehr als selbst Varro; denn dieser
kam mit der gesamten natürlichen Theologie nicht über die sichtbare
Welt oder ihre Seele hinaus, jene dagegen bekennen sich zu einem über
jegliche Art von Seele erhabenen Gott, der nicht nur die sichtbare Welt,
Himmel und Erde, wie sie gewöhnlich genannt wird, sondern auch jede
Seele ohne Ausnahme erschaffen hat und die mit Vernunft und Verstand
begabte Seele, wie die Menschenseele, durch Zulassung zur Teilnahme
an seinem unwandelbaren und unkörperlichen Lichte glückselig macht.7
Hi iam etiam Varronis opinionem veritatis propinquitate transcendunt; si
quidem ille totam theologian naturalem usque ad mundum istum vel animam eius extendere potuit, isti vero supra omnem animae naturam confitentur Deum, qui non solum mundum istum visibilem, qui saepe caeli et
terrae nomine nuncupatur, sed etiam omnem omnino animam fecerit, et
qui rationalem et intellectualem, cuius generis anima humana est, participatione sui luminis incommutabilis et incorporei beatam facit.
4
5
6
7
Es ist bemerkenswert, dass sowohl Schröder (1911) als auch Combès (1960) bei dem
Ausdruck „omnes […] vanas opiniones“ die ausdrücklich als „vanas“ qualifizierten
Meinungen (opiniones) nur sehr schwach bzw. gar nicht übersetzen: (dt). „alle übrigen
Meinungen“, (frz.) „toutes les opinions de tous les philosophes“; dagegen übersetzt
Perl (1979) „alle Irrmeinungen sämtlicher Philosophen“.
Cf. civ. 8.1.
Cf. civ. 8.1.
Übersetzung Schröder (1911).
232
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Augustinus bezeichnet diese Philosophen als die „Platoniker“ (Platonicos),
da sich ihr Name von ihrem „Lehrmeister Platon“ (Platone doctore) ableite
(civ. 8.1). Er bemerkt zum Abschluss des ersten Kapitels, dass er nur kurz
(breviter) Platons Lehre streifen werde, so weit es für die vorliegende Frage
nötig erscheine. Zuerst sollen jedoch diejenigen (illos) erwähnt werden
(commemorans), die Platon in eben dieser Art von Studien (in eodem genere
litterarum) zeitlich (tempore) vorangegangen sind. Diesem Zweck soll das
zweite Kapitel dienen, in dessen Kontext die Bezugnahme auf Thales und
eine kleine Auswahl frühgriechischer Philosophen steht.8
In civ. 8.2 unterscheidet Augustinus gemäß der ihm bekannten Überlieferung (traduntur) zwei Familien/Ursprünge der Philosophie (duo
philosophorum genera): zum einen die italische, benannt nach dem Teil
Italiens, der ehemals (quondam) Großgriechenland (magna Graecia)
genannt wurde, zum anderen die ionische, die nach jenen Gebieten benannt ist, die auch zu seiner Zeit noch als Griechenland bezeichnet werden. Als Begründer der italischen Familie nennt Augustinus Pythagoras
von Samos, der den Namen „Philosophie“ aufgebracht und sich als Philosoph bezeichnet habe.9
Es folgt die ionische Familie, angefangen bei Thales, der als ihr Begründer (princeps) und als einer der Sieben Weisen (sapientes) eingeführt wird.
In der folgenden Lehrer- bzw. Hörerabfolge (auditor) werden genannt: Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras und Diogenes als Hörer des Anaximenes, Archelaos als Hörer des Anaxagoras sowie als Schüler des Archelaos
Sokrates, „der Lehrmeister Platons“.10
8
9
10
Am Ende des zweiten Kapitels weist Augustinus nochmals daraufhin, dass er wegen
Platon kurz (propter quem breviter) auf die genannten Vorgänger eingegangen sei.
Cf. dazu Cicero Tusc. 5.8–10. Augustinus bemerkt weiter, dass man vor Pythagoras
diejenigen, die sich vor anderen durch eine anerkennenswerte Lebensführung (modo
quodam laudabilis vitae) hervortaten (praestare), als Weise (sapientes) bezeichnet
habe. Pythagoras hingegen habe auf die Frage, für was er sich öffentlich ausgebe, geantwortet, er sei Philosoph (philosophum se esse respondit). Augustinus erläutert: d.h.
ein Schüler (studiosum) oder Liebhaber der Weisheit (amatorem sapientiae), da es als
eine große Anmaßung (arrogantissimum) aufgefasst worden wäre, sich öffentlich als
Weiser auszugeben. Cf. dazu Cicero Tusc. 5.8–9.
Cf. civ. 8.2 Socrates huius (sc. Archelaus) discipulus fuisse perhibetur, magister Platonis, propter quem breviter cuncta ista recolui.
Augustinus (Th 311–316)
233
Th 311 Augustinus, De civitate Dei 8.2 (ed. Dombart/Kalb)
Ionici vero generis princeps fuit Thales Milesius, unus illorum septem, qui
sunt appellati sapientes. Sed illi sex vitae genere distinguebantur et quibusdam praeceptis ad bene vivendum accommodatis; iste autem Thales, ut
successores etiam propagaret, rerum naturam scrutatus suasque disputationes litteris mandans eminuit maximeque admirabilis extitit, quod astrologiae numeris conprehensis defectus solis et lunae etiam praedicere potuit.
Aquam tamen putavit rerum esse principium et hinc omnia elementa mundi
ipsumque mundum et quae in eo gignuntur existere. Nihil autem huic operi,
quod mundo considerato tam mirabile aspicimus, ex divina mente praeposuit. Huic successit Anaximander, eius auditor, mutavitque de rerum
natura opinionem. Non enim ex una re, sicut Thales ex umore, sed ex suis
propriis principiis quasque res nasci putavit. Quae rerum principia singularum esse credidit infinita, et innumerabiles mundos gignere et quaecumque in eis oriuntur; eosque mundos modo dissolvi, modo iterum gigni existimavit, quanta quisque aetate sua manere potuerit; nec ipse aliquid divinae
menti in his rerum operibus tribuens. Iste [sc. Anaximander] Anaximenen
discipulum et successorem reliquit, qui omnes rerum causas aeri infinito
dedit, nec deos negavit aut tacuit; non tamen ab ipsis aerem factum, sed ipsos ex aere ortos credidit. Anaxagoras vero eius auditor harum rerum omnium, quas videmus, effectorem divinum animum sensit et dixit ex infinita
materia, quae constaret similibus inter se particulis rerum omnium; quibus
suis et propriis singula fieri, sed animo faciente divino. Diogenes quoque
Anaximenis alter auditor, aerem quidem dixit rerum esse materiam, de qua
omnia fierent;
Th 311 Augustinus, Gottesstaat 8.2
Der Archeget der ionischen Richtung [der Philosophie] war Thales aus
Milet, einer der so genannten Sieben Weisen. Jene sechs [anderen Weisen]
zeichneten sich durch ihre Lebensweise und bestimmte Regeln für ein [sittlich] gutes Leben aus. Thales aber,11 der auch eine Nachfolge begründen
wollte, erforschte die Natur der Dinge, legte seine Untersuchungen schriftlich nieder und ragte vor allem deshalb heraus und wurde bewundert, weil er
astronomische Berechnungen anstellte und sogar Sonnen- und Mondfinsternisse vorhersagen konnte. Er glaubte dennoch, dass das Wasser das Prinzip
der Dinge sei und dass daher alle Elemente der Welt stammten und die Welt
11
Vgl. Frechulf von Lisieux Historia (Allen CCL 169 A, 981B; ebd. 990 B/C; ebd. 1002
A/B); Rodrigo Jimenez de Rada Breviarum historie catholica 6.59 (Valverde).
234
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
selbst und was in ihr entsteht. In keiner Weise aber setzte er diesem Werk,
das uns bei der Betrachtung der Welt so wunderbar erscheint, einen göttlichen Geist voran. Ihm folgte Anaximander, sein Hörer, nach, der auch eine
andere Ansicht über die Natur der Dinge hatte. Er glaubte nämlich, dass die
Dinge nicht aus einer Sache, wie bei Thales aus der Feuchtigkeit, sondern
aus ihren jeweiligen Prinzipien entstünden. Er glaubte, dass diese Prinzipien
der einzelnen Dinge unendlich seien und unzählige Welten hervorbrächten
und alles, was immer in ihnen entsteht; und diese Welten, glaubte er, lösten
sich bald wieder auf, bald entstünden sie erneut, je nach dem Alter, das eine
jede erreichen könne. Auch wies er dem göttlichen Geist bei diesem Geschehen keine Rolle zu. Er hinterließ als Schüler und Nachfolger den Anaximenes, der die Ursachen aller Dinge auf die unendliche Luft zurückführte
und Götter weder leugnete noch verschwieg; dennoch glaubte er nicht, dass
von ihnen die Luft geschaffen worden sei, sondern dass sie selbst aus der
Luft entstanden seien. Anaxagoras aber, sein Hörer, meinte, dass ein göttlicher Geist der Bewirker aller Dinge, die wir sehen, sei. Er sagte, dass aus
einem unendlichen Stoff, der aus den unter sich gleichartigen Teilchen aller
Dinge bestehe, das Einzelne entstehe durch die ihm eigenen Teilchen, unter
der Wirkung aber eines göttlichen Geistes. Auch Diogenes, der andere
Hörer des Anaximenes, sagte, dass die Luft der Stoff der Dinge sei, aus dem
alles entstehe.
Attribute
Begründer der Ionischen Schule
Milet
Einer der Sieben Weisen
Herausragend
Anaximander als Hörer
Erforschung der Natur / Naturphilosoph
Schrift: Untersuchungen wurden schriftlich niedergelegt
Astronom
Astronomie
Vorhersage der Sonnen- und Mondfinsternisse
Prinzip Wasser: Annahme der Feuchtigkeit
Gott: keine Voraussetzung eines göttlichen Geistes
Funktion der Bezugnahme
Das Referat zu Thales sowie die Bemerkungen zu den in der Hörerabfolge
weiter Genannten bis zu Sokrates sind sehr dicht und enthalten viele diskussionswürdige Aspekte. Auf vier davon soll hingewiesen werden:
Augustinus (Th 311–316)
235
(1) Thales wird explizit nicht als Philosoph bezeichnet, obgleich er
„princeps“ der ionischen „Schule“ (Ionici […] generis princeps) genannt
wird. Die Bezeichnung „Philosoph“ wird eindeutig als Selbstbezeichnung
des Pythagoras eingeführt und erläutert. Durch diese Bezeichnung wird ein
Unterschied markiert: zum einen zwischen Pythagoras und Thales, zum anderen zwischen Pythagoras und den Sieben Weisen (wiederum einschließlich Thales).12
(2) Thales wird als den Sieben Weisen zugehörig charakterisiert, doch
zugleich von den anderen sechs, die an dieser Stelle nicht namentlich genannt werden (cf. dagegen civ. 18.25) unterschieden: Thales scheint sich
nicht nur wie die übrigen sechs in der Art der Lebensführung und in gewissen praktischen Vorschriften über einen guten Lebenswandel auszuzeichnen. Darüberhinaus unterscheidet er sich zum einen durch die Erforschung
der Natur der Dinge (rerum naturae scrutatus), zum anderen dadurch, dass
er seine Untersuchungen (suasque disputationes) schriftlich niedergelegt
(litteris mandans) haben soll, um auch Nachfolger (successores) heranzubilden (propagaret).
(3) Es stellt sich die Frage, wieso Augustinus erwähnt, dass Thales seine
Untersuchungen schriftlich niedergelegt habe. Zwei Antworten, die sich gegenseitig ergänzen, möchte ich skizzieren. (i) Zunächst wird man annehmen
dürfen, dass Augustinus vermutlich aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen und Quellen (cf. dazu die Sim. ‚Schrift‘) davon ausgehen
konnte, dass Thales auch Schriftliches hinterlassen hatte. (ii) Zweitens ist
grundsätzlich zu bedenken, dass Augustinus zu den Autoren zählt, die sich
die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen und Materialien auf eigene
Weise aneignen, interpretieren und auch etwas Eigenes daraus entwerfen.13
Vor diesem Hintergrund möchte ich zumindest zwei Aspekte anführen, die
möglicherweise in diesem Zusammenhang für Augustinus eine Rolle spielen:
(a) die Schlüsselstellung des Thales als eines der Sieben Weisen und als Begründer der ionischen Richtung; (b) das Entstehen der ‚ionischen Schule‘
überhaupt. Beide Aspekte scheinen durch die Erklärung der schriftlichen Produktion, die Augustinus gibt, erhellt zu werden. Die Aussage „ut successores
12
13
Pythagoras spielt neben Sokrates im vierten Kapitel des achten Buches, in dem es um
die Charakterisierung der Philosophie Platons geht, eine prominente Rolle. Während
sich Pythagoras nach Augustinus auf den theoretischen Teil der Philosophie (Erforschung der Ursachen der Natur und der möglichst vollkommenen Wahrheit) verlegt
habe, zeichnet sich Sokrates in der praktischen Philosophie (der Lebensführung und
der Durchbildung des sittlichen Verhaltens) aus. Gemäß Augustinus verbindet Platon
beide Richtungen der Philosophie und vervollkommnet damit die Philosophie.
Cf. dazu die Beobachtungen und Analysen zu De trinitate von Kany (2007).
236
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
etiam propagaret“ bietet eine Erklärung dafür, wie überhaupt der Übergang
von den Weisen, die sich durch ihr moralisch-vorbildliches Verhalten auszeichnen, zu den Naturphilosophen gedacht werden kann. Neben der von Augustinus erwähnten Erforschung der Natur (rerum naturam scrutatus) ist es
besonders dieser zweite Aspekt der schriftlichen Produktion, der die herausgehobene Stellung des Thales als Begründer der ionischen Schule (Ionici generis princeps) erklärt. Augustinus geht also davon aus, dass Thales forschte
und schrieb, um auch Nachfolger (successores etiam) hervorzubringen.
(4) Bemerkenswert ist die Äußerung, dass Thales „in keiner Weise“ (nihil
autem) der Welt einen göttlichen Geist (divina mente) vorangestellt habe
(praeposuit). Mit dieser Äußerung wendet sich Augustinus gegen die Zuschreibung der (i) Gott-ist-Geist-These an Thales (in der lateinischen Literatur zum ersten Mal bei Cicero Th 72) sowie deren Verbindung mit der (ii)
Schöpferthese (cf. ebenfalls Cicero Th 72 sowie Minucius Felix Th 229 und
Laktanz Th 254). Wie kommt Augustinus zu dieser abweichenden Beurteilung? Was ermöglicht sie? Es handelt sich zumindest um eine implizite Korrektur z.B. der Darstellung bei Cicero Th 72 sowie der beiden genannten
christlichen Autoren. Aufschlussreich für diese Fragen ist, wie Augustinus
die in der Nachfolge des Thales genannten frühgriechischen „Philosophen“
versteht und behandelt.
In den auf Thales folgenden kurzen Darstellungen konzentriert sich
Augustinus zum einen auf die Frage, welches Prinzip bzw. welche Prinzipien der jeweilige Nachfolger angenommen habe. Zum anderen interessiert
er sich dafür, ob bereits von einer mens divina die Rede sein kann. Auf Thales folgt eine Kurzinformation zu Anaximander, der als Hörer (auditor) des
Thales bezeichnet wird. Augustinus konstatiert: „Auch er (ipse) wies dem
göttlichen Geist (divinae menti) bei diesem Geschehen (sc. der Generierung
von Welten) keine Rolle zu.“ Bei Anaximenes stellt er fest, dass dieser
„Götter weder leugnete noch verschwieg“ (nec deos negavit aut tacuit).
Dennoch habe er nicht geglaubt (non tamen credidit), dass die Luft von den
Göttern geschaffen worden sei, sondern dass diese selbst aus der Luft entstanden seien. Erst Anaxagoras, ein Schüler des Anaximenes, nehme einen
göttlichen Geist (divinus animus) als Bewirker aller sichtbaren Dinge an.14
Bei dessen Schüler Archelaos, dem Lehrer des Sokrates, spielt der Geist
(mentem) wiederum eine wichtige Rolle.
Es ist festzuhalten, dass Augustinus ein facettenreiches Bild von Thales
als dem Archegeten der ionischen Philosophie, einem der Sieben Weisen
14
Cf. civ. 8.2 Anaxagoras vero eius auditor harum rerum omnium, quas videmus, effectorem divinum animum sensit et dixit ex infinita materia […].
Augustinus (Th 311–316)
237
und besonders einem Naturforscher mit seinen Leistungen zeichnet. Dabei
bestreitet er jedoch ausdrücklich, dass der Milesier bereits die Konzeption
eines göttlichen Geistes vertreten habe.
*
Kontext zu Th 312
Nachdem Augustinus im dritten Kapitel des achten Buches auf die Philosophie des Sokrates und im vierten auf Platon und dessen Dreiteilung der
Philosophie eingegangen ist, stellt er zu Beginn des fünften Kapitels zusammenfassend fest: „Wenn also Platon das Kennzeichen des Weisen in die
Nachahmung, Erkenntnis und Liebe dieses Gottes setzt und den Weisen
durch die Teilnahme an ihm glückselig sein lässt, wozu dann die übrigen
vornehmen? Keine anderen Philosophen sind uns näher gekommen als die
Platoniker.“15
Nachdem Augustinus nochmals Kritik an der mythischen und staatlichen
Theologie geäußert hat, folgert er wenig später (civ. 8.5): „Also nicht nur
das, was jene zwei Arten von Theologie, die fabelnde und die staatliche,
zum Inhalt haben, hat den Platonikern Platz zu machen, die den wahren Gott
als den Urheber der Dinge, als die Lichtquelle der Wahrheit und als den
Spender der Glückseligkeit bezeichnet haben, sondern auch andere Philosophen (alii philosophi) haben zurückzutreten vor diesen großen Männern, die
den so großen Gott erkannten (his tantis tanti Dei cognitoribus viris) […].“16
Dies ist der unmittelbare Kontext, in dem auf Thales sowie auf andere Philosophen Bezug genommen wird.
Th 312 Augustinus, De civitate Dei 8.5
Sed alii quoque philosophi, qui corporalia naturae principia corpori deditis
mentibus opinati sunt, cedant his tantis et tanti Dei cognitoribus viris, ut
Thales in umore, Anaximenes in aere, Stoici in igne, Epicurus in atomis […].
15
16
Übersetzung Schröder (1911) leicht geändert. Civ. 8.5 Si ergo Plato Dei huius imitatorem cognitorem amatorem dixit esse sapientem, cuius participatione sit beatus, quid
opus est excutere ceteros? Nulli nobis quam isti propius accesserunt.
Übersetzung Schröder (1911). Civ. 8.5 Non solum ergo ista, quae duae theologiae,
fabulosa continet et civilis, Platonicis philosophis cedant, qui verum deum et rerum
auctorem et veritatis inlustratorem et beatitudinis largitorem esse dixerunt; sed alii
quoque philosophi, qui corporalia naturae principia corpori deditis mentibus opinati
sunt, cedant his tantis et tanti Dei cognitoribus viris […].
238
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Th 312 Augustinus, Gottesstaat 8.5
Aber auch die anderen Philosophen, die ihren Geist auf den Körper richteten und die Prinzipien der Natur für körperlich hielten, mögen diesen
so großen Männern [den Platonikern], die den so großen Gott erkannten,
das Feld räumen, wie Thales, der das Prinzip in der Feuchtigkeit [vermutete], Anaximenes in der Luft, die Stoiker im Feuer, Epikur in den Atomen […].
Attribute
Annahme eines körperlichen Prinzips
Prinzip Wasser: Annahme der Feuchtigkeit
Funktion der Bezugnahme
Gegenüber der deutlich erkennbaren Sympathie für die „Platoniker“ führt
Augustinus einige „andere Philosophen“ (alii philosophi) an, die in einem
Vergleich mit den Platonikern zurückzutreten haben. Namentlich werden
Thales an erster Stelle, dann Anaximenes, die Stoiker und Epikur genannt.
Ihnen schreibt Augustinus zu, dass sie die Prinzipien der Natur (naturae
principia) für körperlich (corporalia) hielten: Thales habe die Prinzipien
in der Feuchtigkeit (in umore) vermutet, Anaximenes in der Luft (in aere),
die Stoiker im Feuer (in igne) und Epikur in den Atomen (in atomis).17
Bemerkenswert ist der partizipiale Ausdruck corpori deditis mentibus
(„aus einer dem Körper hingegebenen Gesinnung“), mit dem die Ansichten der alii philosophi, der anderen Philosophen, zugleich verspottet
werden.
Im Anschluss an diese erste namentlich genannte Gruppe erweitert
Augustinus seine Aussage auf alle, die überhaupt „einfache oder zusammengesetzte Körper, unbelebte oder belebte, aber doch eben Körper als
Ursache und Prinzipien der Dinge bezeichnet haben“.18 Allerdings möchte
er bei deren Aufzählung nicht verweilen.
Festzuhalten ist, dass Thales in diesem Kontext ebenso wie die anderen
Genannten ausdrücklich als Philosoph bezeichnet wird (cf. dagegen
Th 311). Des Weiteren wird er von Augustinus als erster Vertreter einer
materialistischen (bzw. korporalistischen) Weltsicht präsentiert, gegen die
17
18
Cf. civ. 8.5.
Cf. civ. 8.5 […] et quicumque alii, quorum enumeratione inmorari non est necesse,
sive simplicia sive coniuncta corpora, sive vita carentia sive viventia, sed tamen corpora, causam principiumque rerum esse dixerunt.
Augustinus (Th 311–316)
239
Augustinus im Folgenden sowohl mit Argumenten als auch mit polemischer
Schärfe vorgeht.19
*
Augustinus, De civitate Dei 18
Die restlichen drei Zeugnisse über Thales stammen aus der zweiten Hälfte
des Werkes, die mit civ. 11 einsetzt und in der Augustinus von den Ursprüngen (civ. 11–14),20 dem Verlauf (civ. 15–18) und dem Ausgang (civ. 19–20)
der beiden Staaten handelt.21 Die Bezugnahmen auf Thales stehen allesamt
19
20
21
Cf. die folgende Argumentation, civ. 8.5, gegen die Stoiker, der es nicht an Polemik
mangelt: „Sie und die anderen ihresgleichen konnten sich in ihren Gedanken nicht höher erschwingen als zu dem, was ihnen ihre an die Sinne des Fleisches gebundenen
Herzen zuraunten. Sie trugen in sich, was sie nicht sahen, und hatten ein Vorstellungsbild von dem, was sie äußerlich wahrgenommen hatten, auch wenn sie nicht eben
wahrnahmen, sondern nur in Gedanken tätig waren. In dem Augenblick aber, wo man
nur in Gedanken reproduziert, handelt es sich schon nicht mehr um einen Körper, sondern um das Bild eines Körpers; und gar das, womit man im Geiste dieses Bild eines
Körpers wahrnimmt, ist weder ein Körper noch ein Bild eines Körpers; und natürlich
ist das, womit man das Bild eines Körpers wahrnimmt und ein Urteil fällt, ob es schön
sei oder missgestaltet, besser als das Bild, worüber man urteilt. Diese Kraft ist der
Geist des Menschen und das Wesen der vernünftigen Seele, die also selbstverständlich
nichts Körperhaftes ist, wenn schon nicht einmal mehr das Bild des Körpers, das im
Geiste des Denkenden geschaut und beurteilt wird, etwas Körperliches ist. Der Geist
ist also weder Erde noch Wasser, weder Luft noch Feuer, keiner von den vier Körpern,
die man die vier Elemente nennt und aus denen, wie wir sehen, die körperliche Welt
zusammengefügt ist.“ Übersetzung Schröder (1911).
Nachdem Augustinus in den Büchern 11–14 von der Schöpfung, den ungefallenen und
den gefallenen Engeln, von der Erschaffung des Menschen, dem Sündenfall und seinen Folgen sowie den beiden Lebens- bzw. Liebesformen (secundum carnem, secundum spiritum vivere) gehandelt hat, zieht er am Ende von civ. 14.28 das folgende Fazit:
„Zweierlei Liebe (amores duo) also hat die beiden Staaten (civitates duas) gegründet
(fecerunt), und zwar den Weltstaat (terrenam) die bis zur Verachtung Gottes gesteigerte Selbstliebe (amor sui usque ad contemptum Dei), den himmlischen Staat (caelestem) die bis zur Verachtung ihrer selbst gehende Gottesliebe (amor Dei usque ad
contemptum sui).“ Übersetzung Schröder (1914).
Cf. dazu civ. 18.1: „Sodann wollte ich als Hauptgegenstand meines Werkes die Anfänge (exortu), den Verlauf (procursu) und den verdienten Ausgang (et debitis finibus)
der zwei Staaten behandeln, des Gottesstaates und des Weltstaates, in welch letzterem
auch der Gottesstaat, soweit er sich auf das Menschengeschlecht erstreckt, als Pilger
und Fremdling sich findet. In den vier Büchern 11–14 nun habe ich von diesen drei Teilen den einen, die Anfänge der beiden Staaten, durchgeführt; ferner habe ich im fünfzehnten Buch deren Verlauf vom ersten Menschen bis zur Sündflut dargestellt, und
240
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
im achtzehnten Buch des Gottesstaates und sind damit im weitesten Sinne
Gegenstand eines chronologischen Kontextes. In den vorausgehenden Büchern 15 bis 17 geht es um folgende Themen:
x
x
x
civ. 15: Ereignisse vom Sündenfall bis zur Flut
civ. 16: Ereignisse von der Flut bis zum Bund Abrahams mit Gott
(12–34) und bis zu König David (35–43)
civ. 17: Zeitalter der Propheten und Thema der Prophetien; bis zu den
Propheten und Prophetinnen um die Zeit der Menschwerdung
Christi (20–24)
Nach seinem Exkurs zum Thema der Prophetien betont Augustinus zu
Beginn von civ. 18.1 seine Absicht, „mit Beschränkung auf das Notwendige
den Verlauf des Weltstaates von Abrahams Zeiten an in aller Kürze [zu]
schildern, damit der Leser imstande sei, beide Staaten in vergleichender Betrachtung nebeneinander zu halten“.22 Im 18. Buch sollen die Ereignisse der
nicht-biblischen Geschichte synchron zu den biblischen Ereignissen und
Personen ausgehend von der Zeit Abrahams dargestellt werden.23 Bei dieser
Darstellung stützt sich Augustinus unter anderem sowohl auf die Arbeiten
des Eusebius zur Chronologie, die so genannten Canones, die von Hieronymus ins Lateinische übersetzt und fortgeführt wurden,24 als auch auf das
Werk De Gente Populi Romani von Varro.25
Kontext zu Th 313
Ausgehend von den synchronen Königreichen zur Zeit Abrahams kommt
Augustinus schließlich in Kapitel 22 auf die Gründung der Stadt Rom (civitas Roma) zu sprechen. Rom wird als „zweites Babylon“ (altera Babylon)
und „als Tochter des früheren Babylon“ (prioris filia Babylonis) bezeichnet.26 In diesem Kontext erfolgt die erste Nennung des Thales.
22
23
24
25
26
auch von da bis zu Abraham laufen in unserem Werke gerade so wie in der Wirklichkeit die beiden Staaten nebeneinander.“ Übersetzung Schröder (1916).
Cf. civ. 18.1. Übersetzung Schröder (1916).
Cf. zur Geschichtsdarstellung, Geschichtsphilosophie und zum Geschichtsbewusstsein bei Augustinus Horn (1997) 171–193.
Cf. dazu die Hinführung zu Hieronymus Th 304–308.
Cf. civ. 18.8, dazu O’Daly (1999) 183–184 und Pfeiffer (1968) 163–164.
In civ. 18.23 geht Augustinus auf die Weissagungen der erythräischen Sibylle ein.
Augustinus (Th 311–316)
241
Th 313 Augustinus, De civitate Dei 18.24
Eodem Romulo regnante Thales Milesius fuisse perhibetur, unus e septem
sapientibus, qui post theologos poetas, in quibus Orpheus maxime omnium
nobilitatus est, φ! appellati sunt, quod est Latine sapientes.
Th 313 Augustinus, Gottestaat 18.24
Zur Regierungszeit des Romulus soll Thales aus Milet gelebt haben, einer
der Sieben Weisen, die nach den Dichtertheologen, unter denen am allermeisten Orpheus gefeiert wurde, ‚sophoi‘ – lateinisch ‚sapientes‘ – genannt
wurden.27
Attribute
Datierung der Lebenszeit
Milet
Einer der Sieben Weisen
Funktion der Bezugnahme
Sonderbar ist die Datierung der Lebenszeit des Thales zur Regierungszeit
des legendären ersten römischen Königs Romulus (Romulo regnante), also
um die Mitte bzw. in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr.28 Eine
explizite Quellenangabe findet sich an dieser Stelle zwar nicht, doch
die Vermutung liegt nahe, dass sich Augustinus bei dieser Information auf
Hieronymus stützt, bei dem sich diese merkwürdige Datierung neben anderen findet.29 Thales wird als einer der Sieben Weisen charakterisiert, die
nach den theologischen Dichtern (post theologos poetas) – von denen Orpheus als berühmtester (maxime omnium nobilitatus est) genannt wird – als
„weise“ (im Text auf griechisch φ!) bezeichnet wurden.30 Die Bezugnahme auf Thales, die sich auf die Chronologie des Hieronymus stützen
kann, ist ein Element des chronologischen Diskurses.
*
27
28
29
30
Vgl. Otto von Freising Chronica II 5 (73.21–23 Hofmeister).
Cf. zur Regierungszeit des Romulus RE II. 1, s. v. Romulus 1074–1104, 1099.
Cf. dazu Hieronymus Th 305.
Neben diesen beiden Zeitangaben führt Augustinus zwei weitere synchrone Ereignisse
an: zum einen die Überwindung der zehn Stämme Israels durch die Chaldäer (Babylonier) sowie den Beginn ihrer Gefangenschaft; zum anderen den Verbleib der zwei
Stämme Juda im Lande Juda.
242
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Kontext zu Th 314
In chronologischer Fortsetzung werden zu Beginn von Kapitel 25 die folgenden Ereignisse synchronisiert: (a) auf jüdischer Seite die Regierung des
Königs Sedechias (Zedekia), (b) auf römischer Seite König Tarquinius Priscus (616–578 v. Chr.). Zu deren Herrschaftszeit soll das jüdische Volk nach
der Zerstörung Jerusalems und des von Salomon erbauten Tempels gefangen nach Babylon gebracht worden sein. Synchron zu der Babylonischen
Gefangenschaft wird im Folgenden Pittakos von Mitylene als einer der Sieben Weisen genannt.
Th 314 Augustinus, De civitate Dei 18.25
Eo tempore Pittacus Mitylenaeus, alius e septem sapientibus, fuisse perhibetur. Et quinque ceteros, qui, ut septem numerentur, Thaleti, quem supra
(Th 313) commemoravimus, et huic Pittaco adduntur, eo tempore fuisse
scribit Eusebius, quo captivus Dei populus in Babylonia tenebatur. Hi sunt
autem: Solon Atheniensis, Chilon Lacedaemonius, Periandrus Corinthius,
Cleobulus Lindius, Bias Prienaeus. Omnes hi, septem appellati sapientes,
post poetas theologos claruerunt, quia genere vitae quodam laudabili
praestabant hominibus ceteris et morum nonnulla praecepta sententiarum
brevitate complexi sunt. Nihil autem monumentorum, quod ad litteras
adtinet, posteris reliquerunt, nisi quod Solon quasdam leges Atheniensibus
dedisse perhibetur; Thales vero physicus fuit et suorum dogmatum libros
reliquit. Eo captivitatis Iudaicae tempore et Anaximander et Anaximenes et
Xenophanes physici claruerunt.
Th 314 Augustinus, Gottesstaat 18.25
Zu dieser Zeit [der Babylonischen Gefangenschaft der Juden] soll Pittakos
aus Mytilene, ein anderer der Sieben Weisen, gelebt haben. Auch die fünf
übrigen, die, um die Siebenzahl voll zu machen, dem Thales, den wir oben
(Th 313) erwähnt haben, und diesem Pittakos hinzugefügt werden, lebten,
wie Eusebius schreibt,31 zu der Zeit, in der das Volk Gottes in Babylonischer
Gefangenschaft gehalten wurde. Es sind dies: Solon aus Athen, der Spartaner Chilon, Periander aus Korinth, Kleobulos aus Lindos und Bias aus
Priene. Alle diese32 sieben so genannten Weisen erhielten nach den Dichter-
31
32
Hieronymus Chron. I 98, 18 (g); 101, 12 (e).
Vgl. Frechulf von Lisieux Historiae (Allen CCL 169 A, 989 C/D); Ekkehard von Aura
Chronicon universale (Migne PL 154, 547); ebd. (539); Otto von Freising Chronica
II 7 (75.4–11 Hofmeister).
Augustinus (Th 311–316)
243
theologen Berühmtheit, weil sie sich durch eine bestimmte lobenswerte Lebensweise vor den übrigen Menschen auszeichneten und manche Sittenregeln in kurzen Sentenzen erfassten. Allerdings hinterließen sie der Nachwelt keine schriftlichen Monumente, außer dass Solon den Athenern einige
Gesetze gegeben haben soll. Thales aber war Naturforscher und hinterließ
Bücher mit seinen Lehren. Zu der Zeit der jüdischen Gefangenschaft erlangten auch die Naturphilosophen Anaximander, Anaximenes und Xenophanes
Berühmtheit.
Attribute
Einer der Sieben Weisen
Datierung
Schrift: Thales hinterließ Bücher mit seinen Lehren
Naturforscher
Funktion der Bezugnahme
Mit der Angabe des Pittakos werden der bereits oben (supra) genannte
Thales (cf. 18.24 = Th 313) und die weiteren fünf Weisen (Solon, Chilon,
Periander, Kleobulos und Bias) namentlich angeführt und zur gleichen
Zeit wie die Gefangenschaft des „Volkes Gottes“ in Babylon angesetzt.
Augustinus nennt an dieser Stelle ausdrücklich Eusebius als seine Informationsquelle (scribit Eusebius).33 Datiert werden die Sieben Weisen
wiederum34 nach den Dichtertheologen (post poetas theologos) und insbesondere durch zwei Aspekte charakterisiert: zum einen durch ihre lobenswerte Lebensführung (genere vitae quodam laudabili), durch die sie sich
vor ihren Mitmenschen ausgezeichnet haben sollen; zum anderen durch
die Tatsache, dass sie einige Sittenvorschriften (morum praecepta) in
kurze Sinnsprüche (praecepta sententiarum brevitate) zusammengefasst
haben. Bemerkenswert ist die Einschätzung Augustins, dass die Sieben
Weisen der Nachwelt keine „schriftlichen Monumente“ hinterlassen hätten, mit der Ausnahme von Solon und Thales. Solon wird aufgrund seiner
Gesetzgebung in Athen hervorgehoben.35 Thales wird als Naturforscher
bezeichnet (physicus fuit) und wie in civ. 8.2 (= Th 311) wird über ihn gesagt, dass er Schriften mit seinen Lehren hinterlassen habe (suorum dog-
33
34
35
Cf. dazu Hieronymus Th 304–308 und Eusebius PE 10.14.10–12 = Th 265, PE
10.14.16 = Th 266.
Cf. Th 313.
Cf. dazu Opelt (1980) 27–28. Zu einer weiteren Erwähnung Solons ebd. 25–26.
244
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
matum libros reliquit). Über den Zweck dieser Schriften äußert sich Augustinus an dieser Stelle nicht.36
*
Kontext zu Th 315
Nachdem sich Augustinus in den Kapiteln 27–36 mit den Propheten und deren Alter auseinander gesetzt hat, vertritt er in Kapitel 37 zuerst die These,
dass es schon zur Zeit der Propheten – „deren Schriften bereits zur Kenntnis
fast aller Völker gelangt sind, und erst recht (et multo magis) nach ihnen“ –
bei den Völkern Philosophen (philosophi gentium) gab, die sich auch als
solche bezeichneten.37 Wie sich Augustinus das chronologische Verhältnis
von Propheten und Philosophen vorstellt, wird im Folgenden erläutert. Zuerst bezieht er sich auf Pythagoras aus Samos, mit dem diese Bezeichnung
aufgekommen sei.38 Die Zeit, zu der Pythagoras anfängt, sich auszuzeichnen und bekannt zu werden (coepit excellere atque cognosci) wird mit dem
Ende der Gefangenschaft der Juden (quo Iudaeorum est soluta captivitas)
angesetzt. Darauf vertritt Augustinus die These, dass die übrigen Philosophen (genannt werden Sokrates und sein Schüler Platon) umso mehr nach
den Propheten anzusetzen seien. Denn Sokrates soll nach der Bezeugung
der Chroniken erst nach Esdras (= Esra) gelebt haben. Darauf ist jedoch der
chronologische Status von zwei weiteren Gruppen zu klären, die Augustinus als „die Früheren“ (superiores) bezeichnet: (1) zum einen diejenigen,
die noch nicht Philosophen genannt wurden (qui nondum philosophi vocabantur), die Sieben Weisen, sowie (2) nach ihnen „die Naturphilosophen“
(physicos), die auf Thales folgten und sein Bemühen um die Erforschung
der Natur der Dinge fortsetzten, namentlich Anaximander, Anaximenes,
Anaxagoras und einige andere vor der Zeit (antequam), da Pythagoras sich
zuerst als Philosoph bezeichnete.
36
37
38
Cf. dazu Th 311. Abschließend berichtet Augustinus, dass sich – ebenfalls zu der
Zeit der Gefangenschaft der Juden (eo captivitatis Iudaicae tempore) – Anaximander,
Anaximenes und Xenophanes als „Naturphilosophen“ auszeichneten (physici claruerunt) und auch Pythagoras gelebt haben soll, „von dem an man die Weisen Philosophen nannte“.
Cf. civ. 18.37 Tempore igitur prophetarum nostrorum, quorum iam scripta ad notitiam
fere omnium gentium pervenerunt, et multo magis post eos fuerunt philosophi gentium,
qui hoc etiam nomine vocarentur […].
Cf. civ. 8.2.
Augustinus (Th 311–316)
245
Th 315 Augustinus, De civitate Dei 18.37
Quibus si addamus etiam superiores, qui nondum philosophi vocabantur,
septem scilicet sapientes ac deinde physicos, qui Thaleti successerunt in
perscrutanda natura rerum studium eius imitati, Anaximandrum scilicet
et Anaximenem et Anaxagoram aliosque nonnullos, antequam Pythagoras
philosophum primus profiteretur: nec illi prophetas nostros universos temporis antiquitate praecedunt, quando quidem Thales, post quem ceteri fuerunt, regnante Romulo eminuisse fertur, quando de fontibus Israel in eis litteris, quae toto orbe manarent, prophetiae flumen erupit.
Th 315 Augustinus, Gottesstaat 18.37
Nehmen wir noch die Früheren hinzu, die noch nicht Philosophen hießen,
nämlich die Sieben Weisen und dann die Naturforscher, die auf Thales folgten und es bei der Erforschung der Natur seinem wissenschaftlichen Streben
nachtaten, Anaximander nämlich und Anaximenes und Anaxagoras und
einige andere, ehe sich Pythagoras als Erster einen Philosophen nannte:
Auch jene gehen nicht allen unseren Propheten zeitlich voran, da ja Thales,
nach dem die übrigen lebten, während Romulus regierte, hervorgetreten
sein soll, als sich aus Israels Quellen in den Schriften, die sich im ganzen
Erdkreis ausbreiteten, der Strom der Weissagung ergoss.
Attribute
Einer der Sieben Weisen
Naturforscher / Erforschung der Natur
Datierung
Funktion der Bezugnahme
Augustinus begründet (quando quidem) seine These, die Naturforscher
gingen nicht allen Propheten voran, indem er den Fokus auf Thales richtet,
dem die übrigen zeitlich gefolgt sein sollen (post quem ceteri fuerunt).
Die synchrone Datierung von Thales in civ. 18.37 erfolgt zum einen (in
Übereinstimmung mit der Datierung in civ. 18.24) mit der Regierungszeit
des Romulus (regnante Romulo), zum anderen mit dem unscharfen Ausdruck bzw. der Metapher „quando de fontibus Israel in eis litteris, quae toto
orbe manarent, prophetiae flumen erupit“: „Als aus den Quellen Israels
der Strom der Weissagung in den Schriften hervorbrach, die den ganzen
Erdkreis überfüllen sollten.“ An dieser Stelle wird deutlich, wie Thales in
einem chronologischen Kontext aufgrund seiner Stellung innerhalb der
griechischen Chronologie als Grenzfall bzw. als Wasserscheide betrachtet
246
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
wird. Aufgrund des Nachfolge- bzw. Hörer-/Schülerschemas genügt der
chronologische Vergleich mit ihm, um anzuzeigen, dass „der Strom der
Weissagung“ bereits zu seiner Zeit hervorbrach.
Eine Ausnahme (soli) stellen die so genannten Dichtertheologen (theologi poetae) – Orpheus, Linos und Musaios – dar, die der Zeit nach früher
sind (annis reperiuntur priores) als die kanonischen hebräischen Propheten.
Gegenüber den Dichtertheologen wird jedoch Moses („unser wahrer Theologe“) angeführt, der zeitlich vor diesen „den einen wahren Gott wahrhaft
verkündete und dessen Schriften nun in dem bei uns gültigen Kanon an erster Stelle stehen“.39
Das abschließende Fazit gibt zu erkennen, wieso sich Augustinus mit dieser chronologischen Frage im Hinblick auf die Griechen auseinander gesetzt hat und welche kulturgeschichtliche Bedeutung er ihnen zumisst:
[…] demnach haben wenigstens die Griechen, in deren Sprache die Wissenschaft dieser Welt ihren Höhepunkt erreichte, keinen Grund, mit ihrer
Weisheit sich zu brüsten, als wäre sie, wenn nicht gar erhabener, so doch
älter als unsere Religion, bei der sich die wahre Weisheit findet.40
[…] ac per hoc, quantum ad Graecos adtinet, in qua lingua litterae huius
saeculi maxime ferbuerunt, nihil habent unde sapientiam suam iactent,
quo religione nostra, ubi vera sapientia est, si non superior, saltem videatur antiquior.41
*
Augustinus, Contra Iulianum Th 316 = Iulianus, Ad Turbantium
Th 325
Die Schrift gegen Iulianus von Aeclanum (ca. 385–450), verfasst um 421/2,
ist Teil der Auseinandersetzung Augustins mit der innerchristlichen Richtung des Pelagianismus.42 Iulianus, der als Sohn des süditalienischen Bi39
40
41
42
Cf. civ. 18.37 Soli igitur illi theologi poetae, Orpheus, Linus, Musaeus et si quis alius
apud Graecos fuit, his prophetis Hebraeis, quorum scripta in auctoritate habemus, annis reperiuntur priores. Sed nec ipsi uerum theologum nostrum Moysen, qui unum uerum deum ueraciter praedicauit, cuius nunc scripta in auctoritatis canone prima sunt,
tempore praeuenerunt […].
Civ. 18.37. Übersetzung Schröder (1916).
Cf. zur Bedeutung des Altersbeweises den Kommentar zu Tatian Th 176.
Cf. zur Einführung Moreschini/Norelli (2007) 478–480 und Geerlings (1998) 74–76.
Zur Chronologie, den kirchenpolitischen und theologischen Aspekten der Auseinan-
Augustinus (Th 311–316)
247
schofs Memor bzw. Memorius und seiner Frau Iuliana um 380 geboren
wurde, heiratete im Jahre 403 als Lektor die Tochter des Bischofs Aemilius
von Benevent. Nach der klassischen Ausbildung in Rhetorik wurde er im
Jahre 417 zum Bischof von Aeclanum (südl. von Benevent) geweiht.43 Mit
einer Gruppe von italienischen und sizilianischen Bischöfen weigerte er
sich im Jahre 418, die Epistula tractoria des Zosimus von Rom44 zu unterschreiben, in welcher der Pelagianismus verurteilt wurde. Nachdem Iulianus und weitere Anhänger aus Italien verbannt worden waren, fand er Asyl
bei dem kilikischen Bischof Theodor von Mopsuestia. In der Zeit zwischen
418 und 421 widmete sich Iulianus besonders der Auseinandersetzung mit
Augustinus, dessen Orthodoxie er in Zweifel zog.45 „In Julianus“, so Geerlings, „erwuchs Augustinus der einzige ebenbürtige Gegner. Beiden war auf
Grund unterschiedlicher Herkunft, Erfahrung und konträrem philosophischem Ansatz (Augustinus: Platoniker; Iulianus: Aristoteliker) gegenseitiges Verstehen fast unmöglich.“46 Der Bischof von Hippo reagierte im Winter 421/2 auf den vier Bücher umfassenden Brief des Iulianus an den
Bischof Turbantius (Ad Turbantium, cf. Iulianus Th 325), in dem Iulianus
nach Bruckner „glaubte, die Wahrheit der Pelagianischen Lehr- und Denkweise aus der Vernunft, der Schrift und der Tradition erschöpfend bewiesen
und die völlige Verkehrtheit der von ihm bekämpften Augustinischen Lehre
43
44
45
46
dersetzung zwischen Augustinus und Iulianus cf. Lössl (2007) 197–203, 337–340 und
Lamberigts (2001) 483–505, bes. 484–488. Cf. zu Iulianus, seinem Leben, Werk, seiner Lehre und ihrer Überlieferung, die reichhaltige Untersuchung von Lössl (2001).
Horn (1995) 19–20 bemerkt zum Pelagianismus: „Der Pelagianismus bildet um das
Jahr 400 eine asketische Bewegung innerhalb der Kirche, die sich gegen die Verflachung des christlichen Alltagslebens zur Wehr setzt; sein Betätigungsfeld ist besonders die Aristokratie der Stadt Rom. Neben dem Briten Pelagius (etwa 384–422) sind
seine Exponenten der Syrer Rufinus sowie Caelestius und Julianus von Aeclanum, der
spätere Hauptgegner Augustins. Die Bewegung tritt in den Jahren von 408 (erste Konflikte um Pelagius) bis 431 (endgültige Verurteilung auf dem Konzil von Ephesus) in
Erscheinung; zu einer weitreichenden Wirkung kommt es aber erst infolge der Emigration ihrer Protagonisten nach Afrika und Palästina nach der Eroberung Roms durch
die Goten (410).“ Kern dieser Lehre war unter anderem die Überzeugung von der völligen Unabhängigkeit des freien Willens, mit dem der Mensch zwischen Gut und Böse
wählen kann.
Cf. zur Bildung des Iulianus Lamberigts (2001) 490–499.
Cf. dazu Dümler (1998) 637: „Nach einer Rehabilitierung des Pelagius und des Caelestius mußte er auf Druck der Afrikaner in der Epistula tractoria Pelagius offiziell
verurteilen.“
Cf. Geerlings (1998) 361.
Geerlings (1998) 361. Zu den vorausgehenden Auseinandersetzungen zwischen Augustinus und Iulianus cf. ebd. 361–362 und Moreschini/Norelli (2007) 478–480.
248
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
unwiderleglich dargetan zu haben“.47 Das vier Bücher umfassende Werk des
Iulianus an seinen Mitstreiter Turbantius, das er im Sommer 419 schrieb, ist
nur fragmentarisch in Form von Zitaten und Anspielungen aus den Schriften
des gegen ihn polemisierenden Augustinus (besonders aus Contra Iulianum, cf. Th 316, und De nuptiis) erhalten.48
In seiner sechs Bücher umfassenden Widerlegung Contra Iulianum gibt
Augustinus in c. Iul. 1.1.3 über den Gedankengang des Briefes Auskunft.49
Augustinus unterzieht danach die vier Bücher an Turbantius der Kritik und
unternimmt den Versuch, sie zu widerlegen. Er verwahrt sich zuerst gegen
den Vorwurf des Manichäismus, der dann auch alle anderen Väter treffe
(c. Iul. 1), bietet darauf einen Traditionsbeweis gegen Iulianus (c. Iul. 2) und
widerlegt detailliert dessen einzelne Vorwürfe (c. Iul. 3–6).50 In der von
starker Polemik gefärbten Argumentation des vierten Buches befasst sich
Augustinus mit der Widerlegung des zweiten Buches von Iulianus (Ad Turbantium). Das Werk des Iulianus stellt eine Replik auf die Schrift des Augustinus De nuptiis et concupiscentia I (418/9) dar, in der sich Augustinus
unter anderem gegen Iulians Vorwurf verteidigte, dass er mit seiner Erbsündenlehre die Ehe verurteile.51 Mit seinen vier Büchern Ad Turbantium versuchte Iulianus zu zeigen, dass die Idee der Erbsünde manichäischen Ursprungs sei; er verteidigte Gottes Güte als Schöpfer, auch der concupiscentia (Begierde), und seine Gerechtigkeit als Richter. Im zweiten und dritten
Buch befasste er sich mit dem Verhältnis von Begierde und „physischer“
Ehe.52
Kontext zu Th 316
Die Funktion und Bedeutung des Zeugnisses über Thales (aus dem zweiten
Buch Ad Turbantium) lassen sich aus Iulianus’ Reaktion erschließen. Er
scheint nach Augustinus (c. Iul. 4.75.2) die folgenden Autoren jeweils mit
ihrer eigenen Lehrmeinung über die natürlichen Dinge (unusquisque cum
proprio dogmate suo de naturalibus rebus) als Unterstützung für seine
Argumentation anzuführen: neben Thales, Anaximander und Anaximenes
47
48
49
50
51
52
Bruckner (1973) 1.
Cf. dazu Bruckner (1973) 1–2. Zur Überlieferung und Reihenfolge der Fragmente ebd.
3–23.
Cf. zur Disposition und zum Inhalt der Schrift Ring (2005) 7–11.
Cf. Geerlings (1998) 74–76, 76.
Cf. zur Chronologie der Auseinandersetzung Lössl (2007) 197–203 und Lamberigts
(2001) 488–489.
Cf. Lamberigts (2001) 488 sowie ders. (2008) 245–260 über den philosophischen und
theologischen Hintergrund von Julians Begriff der Konkubiszenz.
Augustinus (Th 311–316)
249
auch Anaxagoras, Xenophanes, Parmenides, Leukipp, Demokrit, Empedokles, Heraklit, Melissos, Platon und die Pythagoreer.53 Augustinus macht
Iulianus den Vorwurf, „die Schar der Philosophen“ (turbam philosophorum), darunter an erster Stelle Thales, für seine Position zur Hilfe (in auxilium) gerufen zu haben (convocasti). Iulianus, so Augustinus, gehe es nur
um das Prahlen mit Gelehrsamkeit (doctrinae […] iactantiam), wenn er die
Namen gelehrter Leute und verschiedener Schulen erwähne (in commemorandis nominibus doctorum hominum sectisque diversis).
Th 316 Augustinus, Contra Iulianum 4.75
(ed. Migne PL 44, 776)
Convocasti etiam in auxilium turbam philosophorum, quasi susceptae tuae,
si non possunt pecorum solertiae naturales, saltem doctorum hominum
opitulentur errores. Sed quis non videat, doctrinae te quaesisse iactantiam
in commemorandis nominibus doctorum hominum sectisque diversis,
quando perspicit quicumque ista tua legit, ad quaestionem quae inter
nos vertitur, haec nullatenus pertinere? Quis enim audiat, quod abs te
commemorantur, „Thales Milesius unus e septem sapientibus, deinde
Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras, Xenophanes, Parmenides, Leucippus, Democritus, Empedocles, Heraclitus, Melissus, Plato, Pythagoraei,“
unusquisque cum proprio dogmate suo de naturalibus rebus: quis, inquam,
haec audiat, et non ipso nominum sectarumque conglobatarum strepitu terreatur, si est ineruditus, qualis est hominum multitudo; et existimet te aliquem magnum, qui haec scire potueris?
Th 316 Augustinus, Gegen Julian [von Eclanum] 4.75
Du hast sogar die Schar der Philosophen zu Hilfe gerufen, als ob deinem
Unternehmen wenigstens die Irrtümer gelehrter Leute Hilfe leisten sollten,
wenn es die natürlichen Fertigkeiten von Tieren nicht können. Aber wer
sähe nicht, dass du das Prahlen mit Gelehrsamkeit gesucht hast, indem du
Namen gelehrter Leute und verschiedener Schulen erwähnst, da ja durchschaut, wer immer deine Erzeugnisse da liest, dass das zu unserer Frage
in keiner Hinsicht beiträgt? Wer sollte nämlich hören, was von dir erwähnt
wird [s. Th 325], Thales aus Milet, einer der Sieben Weisen, dann Anaximander, Anaximenes, Anaxagoras, Xenophanes, Parmenides, Leukipp,
Demokrit, Empedokles, Heraklit, Melissos, Platon, die Pythagoreer, jeder
53
Cf. Cicero Ac. 2 (= Lucullus) 118. Cf. zum philosophischen Werk Ciceros als Quelle
für Iulianus Lössl (2001) 80 Anm. 24 und 25.
250
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
mit seiner spezifischen Lehre über die Natur: Wer, sage ich, sollte das hören,
und nicht durch den bloßen Lärm der Namen und der versammelten Schulen
in Schrecken geraten, wenn er, wie die meisten Menschen, ungebildet ist;
und sollte dich nicht für bedeutend halten, der du das wissen kannst?
Attribute
Milet
Naturphilosoph
Einer der Sieben Weisen
Lehre über die Natur
Funktion der Bezugnahme
Thales wird als Erster in der Reihe der Naturphilosophen mit seiner Herkunft und seiner Zugehörigkeit zu den Sieben Weisen angeführt. Über den
Sinn und die Funktion der Bezugnahme auf Thales bei Iulianus können wir
angesichts der Überlieferungslage nur aufgrund der Äußerungen von Augustinus einige Zusammenhänge erschließen. Es ist sinnvoll, Thales dabei
nicht isoliert von den anderen Philosophen zu betrachten. Für den argumentativen Zusammenhang ist die Feststellung des Augustinus von Bedeutung,
dass Iulianus zur Unterstützung seiner Argumentation und Polemik gegen
ihn die frühgriechischen Autoren anführe oder auf diese anspiele. Erst der
nachfolgende Kontext bei Augustinus (c. Iul. 4.75.2–6) lässt weiter erkennen, weshalb die Aufzählung der Philosophen für Augustinus zum Stein des
Anstoßes gegenüber Iulianus wird und ein Grund zu mehreren Vorwürfen
gegenüber diesem ist. Wichtig ist die von Augustinus zitierte „Vorrede“
(praelocutus, c. Iul. 4.75.3) des Iulianus, die über dessen Positionierung sowohl gegenüber den Philosophen als auch gegenüber dem theologischen
Gegner Augustinus ein aussagekräftiges Zeugnis darstellt. Iulianus soll
nach Augustinus (c. Iul. 4.75.3) folgende These vertreten haben:
Mögen alle Philosophen in ihren Schulen auch anderes lehren (und)
gleichwohl mit dem Volk Götzenbilder verehren, (jene,) die etwas über
die Dinge der Natur zu ergründen versucht haben, leckten gewissermaßen
zwischen den zahlreichen Nichtigkeiten ihrer Ansicht dennoch an gewissen Teilen der Wahrheit, (und sie) können trotz der Dunkelheit ihrer Nichtigkeit zu Recht dieser Lehrmeinung, gegen die wir angehen, vorgezogen
werden.54
54
Übersetzung Habitzky in Ring (2005).
Augustinus (Th 311–316)
251
[…] omnes philosophi in scholis licet aliud disserentes, tamen idola cum
plebe venerantes, qui de naturalibus causis aliquid excogitare conati
sunt, inter multas opinionis suae vanitates, aliquas tamen veritatis velut
lambere partes, qui per caliginem vani, huic tamen dogmati contra quod
agimus, iure anteferri possunt.55
Zwei Aspekte sind hervorzuheben: (1) das Verhältnis des Iulianus zu den
Philosophen und (2) die daraus resultierende polemische Spitze gegen Augustinus. (1) Obgleich Iulianus in deutlicher Abwertung der Philosophen deren angebliche Verehrung von Götzenbildern mit dem Volk (idola cum plebe
venerantes) anführt sowie die „zahlreichen Nichtigkeiten ihrer Ansicht“
betont, schreibt er ihnen zu, dass sie „dennoch gleichsam an irgendwelchen
Teilen der Wahrheit leckten“ (aliquas tamen veritatis velut lambere partes).
(2) Die besondere Polemik gegenüber Augustinus besteht nun darin, dass die
Philosophen dennoch in Anbetracht der gegnerischen Lehrmeinung des Augustinus (dogmati contra quod agimus) vorgezogen werden können. Darin
scheint zumindest eine Pointe in der Argumentation Iulians zu liegen, gegen
die sich Augustinus zunächst mit Vorwürfen gegenüber seiner Rhetorik
wehrt: Die Namen der Gelehrten und der verschiedenen Schulen haben nach
Augustinus nichts mit dem behandelten Sachproblem zu tun (c. Iul. 4.75.1
und 4.75.2), sondern sind lediglich ein Zeugnis für die Prahlerei des Iulianus
(doctrinae te quaesisse iactantiam); sie erschrecken den ungebildeten Leser –
die Mehrheit der Menschen (si est ineruditus, qualis est hominum multitudo).
Augustinus wirft Iulianus des Weiteren bezüglich der angeführten Namen
der Naturphilosophen mitsamt ihren Meinungen (philosophorum nomina
physicorum cum opinionibus) einen Betrug (fraudasti)56 vor (c. Iul. 4.75.4),
da Iulianus nicht alle erwähnen wolle oder könne (nec tamen commemorare
omnes sive voluisti, sive potuisti). In der anschließenden Argumentation kritisiert Augustinus, dass Iulianus, als er den Anaximenes und seinen Schüler
Anaxagoras angeführt habe, seinen anderen Schüler, Diogenes, verschwiegen habe (tacuisti), der sowohl von seinem Lehrmeister wie von seinem Mitschüler in der Ansicht über die Dinge der Natur abwich (dissensit) und eine
eigene Lehrmeinung aufstellte (propriumque dogma constituit).57
Augustinus wirft Iulianus zum einen vor, dass er nicht ad rem argumentiere und also auch die Philosophen nicht ad rem zitiere, sondern seine Ar55
56
57
C. Iul. 4.75.3.
Cf. c. Iul. 4.75.4 Qua in re homines imperitos nullo doctorum dubitante fraudasti.
Cf. c. Iul. 4.75.5 Cur ergo […] cum commemorasses Anaximenem eiusque discipulum
Anaxagoram, tacuisti alterum eius discipulum Diogenem, qui et a magistro et a condiscipulo suo in rerum naturae opinione dissensit, propriumque dogma constituit?
252
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
gumentation ad hominem gerichtet sei. D.h. die Philosophen werden nach
Augustinus von Iulianus nur deswegen angeführt, weil durch sie beeindruckt
werden solle. Die Bemerkung des Augustinus zu Diogenes stellt nicht zuletzt dessen Kenntnis frühgriechischer Philosophie unter Beweis. Weiter ist
zu bemerken, dass Augustinus selbst keine Auskunft darüber gibt, warum
Iulianus nicht ad rem argumentiere. Die Funktion des Rekurses des Iulianus
auf die Philosophen – darunter Thales – ist vor dem Hintergrund des rhetorischen Schlagabtausches zwischen den beiden Kontrahenten zu verstehen.
Literatur
Bruckner, A., Die vier Bücher Julians von Aeclanum an Turbantius, Berlin 1910, ND Aalen 1973.
Combès, G., Saint Augustin. La Cité de Dieu, Paris 1960.
Diels, H., Doxographi Graeci, Berlin 1879, ND 1965.
Dümler, B., Art. Zosimus von Rom, LACL, 1998, 637.
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Geerlings, W., Art. Augustinus, LACL, 1998, 74–76.
Geerlings, W., Art. Julian von Eclanum, LACL, 1998, 361.
Hagendahl, H., Augustine and the Latin Classics, Bd. I und II, Göteborg 1967.
Horn, C., Augustinus, München 1995.
Horn, C. (Hrsg), Augustinus. De civitate dei, Klassiker Auslegen, Bd. 11, Berlin 1997.
Kany, R., Augustins Trinitätsdenken, Tübingen 2007.
Lamberigts, M., Art. Iulianus IV (Iulianus von Aeclanum), RAC 19, 2001, 483–505.
Lamberigts, M., The Philosophical and theological background of Julian of Aeclanum’s
concept of concupiscence, in: Fuhrer, T. (Hrsg.), Die christlich-philosophischen Diskurse der Spätantike: Texte, Personen, Institutionen, Stuttgart 2008, 245–260.
Lössl, J., Julian von Aeclanum. Studien zu seinem Leben, seinem Werk, seiner Lehre und
ihrer Überlieferung, Leiden/Boston/Köln 2001.
Lössl, J., Die Auseinandersetzung mit Julian ab 418, in: Drecoll, V. H. (Hrsg.), AugustinHandbuch, Tübingen 2007, 197–203.
Lössl, J., De nuptiis et concupiscentia (Über Ehe und Begehrlichkeit), in: Drecoll, V. H.
(Hrsg.), Augustin-Handbuch, Tübingen 2007, 337–340.
Moreschini, C., Norelli, E., Handbuch der antiken christlichen Literatur, Darmstadt 2007.
O’Daly, G., Augustine’s City of God, A Reader’s Guide, Oxford 1999.
Opelt, I., Das Bild Solons in der christlichen Spätantike, VC 34, No. 1, 1980, 24–35.
Perl, C. J., Aurelius Augustinus. Der Gottesstaat. De Civitate Dei, Bd. 1, Buch I–XIV, Paderborn/München/Wien/Zürich 1979.
Pfeiffer, R., History of Classical Scholarship from the beginnings to the end of the Hellenistic age, Oxford 1968.
Ring, T. G. (Hrsg.), Aurelius Augustinus. Schriften gegen die Pelagianer, Bd. IV.1, Gegen
Julian VI Bücher, Übertragen von Habitzky, R., Würzburg 2005.
Schröder, A., Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus 22 Bücher über den Gottesstaat, BKV, 1. Reihe, Bd. 1, Bücher 1–8, Bd. 16, Bücher 9–16, Bd. 28, Bücher
17–22, Kempten/München 1911/1914/1916.
Nemesios von Emesa (Th 323–324)
253
4.2 Nemesios von Emesa (Th 323–324)
In der Schrift De natura hominis („Über die Natur des Menschen“), die gegen Ende des 4. Jh. verfasst und unter dem Namen des Nemesios überliefert
wurde,58 finden sich zwei Bezugnahmen auf Thales.59 Möglicherweise
handelt es sich bei dem Verfasser um Nemesios, den Bischof von Emesa
in Syrien (heute Homs).60 In der 42 Kapitel umfassenden Schrift behandelt
der Autor systematisch Themen, die die Natur des Menschen betreffen, die
Seele (nat. hom. 2), ihre Eigenschaften und Vermögen (nat. hom. 6–13), den
Körper (nat. hom. 4) und die Elemente (nat. hom. 5) sowie die Einheit von
Seele und Körper (nat. hom. 3). Während das erste Zeugnis über Thales im
zweiten Kapitel bei der Erörterung über die Natur der Seele steht, erfolgt die
zweite Bezugnahme auf Thales im fünften Kapitel in der Diskussion um die
vier Elemente.
Kontext zu Th 323
In seiner Erörterung über die Seele (nat. hom. 2) vertritt Nemesios zu
Beginn die These, dass „fast alle Alten in der Lehre von der Seele (² %λ
)« ?8)« .«)“ nicht übereinstimmten (φ(1).61 Zuerst zeigt er
auf, wie diejenigen, welche die Seele als einen Körper (
) betrachten,
verschiedene Meinungen über ihre Essenz haben.62 Darauf wendet er sich
denjenigen zu, welche die Seele als „unkörperlich“ bezeichnen ($;
ρ κ ?8&). Erneut (%0.) stellt er auch bei ihnen eine „grenzenlose
Unstimmigkeit“ (Ν%« […] π φ(!) fest.63 Diese zeigt sich in der
folgenden Unterscheidung: Während die einen behaupten, dass die Seele
eine Substanz (!) und unsterblich sei ($0), vertreten andere
die These, dass die Seele zwar unkörperlich sei, nicht jedoch eine Substanz
und auch nicht unsterblich ( κ ! ξ $0).64 Im An-
58
59
60
61
62
63
64
In der Mehrzahl der hauptsächlichen Handschriften wird der Name des Nemesios genannt, cf. Sharples/van der Eijk (2008) 2 Anm. 1.
Cf. zu Inhalt und Absicht des Werkes die Einführung von Sharples/van der Eijk (2008)
1–32.
Cf. Vetten (1998) 449.
Cf. nat. hom. 2.67 φ(1 8µ Ϊ% 1« %.1« ² %λ )« ?8)« .«.
Cf. nat. hom. 2.67 […] λ λ ξ ^ ¹ κ ?8κ $%φ φ %λ )« !« )«.
Cf. nat. hom. 2.68 %0. ξ λ .( $; ρ κ ?8κ Ν%«
π φ(! […].
Cf. nat. hom. 2.68 […] ξ ! κ λ $0 .(, ξ $; ξ, κ ! ξ $0.
254
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
schluss an diese Unterscheidung werden die Meinungen einiger Philosophen, darunter an erster Stelle die des Thales, über die Seele angeführt.65
Th 323 Nemesios, De natura hominis 2.68–69 (ed. Morani)
P0. ξ λ .( $; ρ κ ?8κ Ν%« π
φ(!, ξ ! κ λ $0 .(, ξ $; , κ ! ξ $0. L.)« ξ %
« κ
?8κ Dφ $! λ !, P« ξ $µ 4µ " […].
Th 323 Nemesios, Über die Natur des Menschen 2.68–69
Es gab aber auch unter denen, die die Seele als unkörperlich bezeichneten,
eine grenzenlose Unstimmigkeit; während die einen sie (sc. die Seele) selbst
als Substanz und als unsterblich bezeichneten, sagten die anderen, dass sie
zwar unkörperlich, jedoch freilich keine Substanz und auch nicht unsterblich sei.66 Denn Thales sagte als Erster, dass die Seele immer bewegt und
selbstbewegt sei (cf. Th 165), Pythagoras aber bezeichnete sie als eine sich
selbst bewegende Zahl […].
Attribut
Seele: Die Seele ist immer bewegt und selbstbewegt67
Funktion der Bezugnahme
Thales wird die These zugeschrieben, dass die Seele immer bewegt
($!) und selbstbewegt sei (!).68 Es folgt die Pythagoras
zugeschriebene Meinung, dass die Seele eine selbstbewegte Zahl sei. Festzuhalten ist, dass auf Thales und die anderen Philosophen an dieser Stelle
Bezug genommen wird, um den Dissens zwischen ihnen in der Frage über
die Natur der Seele zu demonstrieren.69
*
65
66
67
68
69
Cf. zu diesem Abschnitt Sharples/van der Eijk (2008) 51–53 und Mansfeld (1990)
3076–3082, 3084–3085, Diels (1879) 49–50, Krause (1904) 16ff. und Mansfeld/
Runia (1997) 293–294.
Übersetzung Schwab.
Cf. dazu den Kommentar zu Theodoret Th 336.
Cf. dazu Ps.-Plutarch Th 165 und Stobaios Th 360, bei denen die beiden Adjektive in
einer Disjunktion stehen, während Theodoret in Th 336 Thales zuschreibt, dass er die
Seele von Natur aus unbewegt genannt habe. Cf. dazu auch Sharples/van der Eijk
(2008) 51–53 und Mansfeld (1990) 3076–3082.
Cf. dazu Aristoteles Th 31 und die Sim. ‚Natur der Seele/Magnetstein‘.
Nemesios von Emesa (Th 323–324)
255
Kontext zu Th 324
Im Anschluss an die Abhandlung über den Körper im vierten Kapitel befasst sich Nemesios im fünften Kapitel mit den Elementen (%λ 8!().
Nach einer Erörterung über die vier Elemente (Erde, Wasser, Luft, Feuer)
und die vier Elementarqualitäten (heiß, kalt, trocken, nass) sowie deren Beziehungen untereinander führt er im letzten Abschnitt des Kapitels einen
letzten Beweis für die Existenz der vier Elemente an.70
Th 324 Nemesios, De natura hominis 5.169
Kλ L.)«, µ J( .( ρ 81, %»
Ν.. ! %µ α κ ξ %0
" ) !, µ ξ .% $, " ξ $« µ .% %". #A=« , $ .(, λ µ« ²!(«
%» Ν.. 81 / " $« $%..
Th 324 Nemesios, Über die Natur des Menschen 5.169
Auch Thales sagt, dass das Wasser das einzige Element sei, und versucht zu
zeigen, dass die anderen drei Elemente von diesem her entstehen. Sein Niederschlag werde nämlich Erde; das Feinteiligere Luft und von der Luft das
Feinteiligere Feuer. Anaximenes aber nennt nur die Luft und versucht auf
gleiche Weise zu zeigen, dass die anderen Elemente aus der Luft entstehen.
Attribute
Prinzip Wasser: Wasser als das einzige Element
Aggregatzustände: Elemente entstehen aus dem Wasser
Funktion der Bezugnahme
Die Bezugnahme auf Thales steht in einem Zusammenhang, der mit der
folgenden These eingeleitet wird: Der beste Beweis dafür, dass es die vier
Elemente gebe, gehe aus dem Versuch jedes einzelnen (%
µ F
U«) Philosophen hervor, seine eigene Lehre zu etablieren (0' ).71 Im Anschluss an diese These werden namentlich vier
frühgriechische Philosophen angeführt, die jeweils nur ein Element annahmen: Thales (Wasser), Anaximenes (Luft), Heraklit und Hipparch (Feuer).
Zuerst wird Thales genannt, der als einziges Element das Wasser annehme
70
71
Cf. zur Diskussion dieses Abschnittes Kallis (1978) 10–47, Sharples/van der Eijk
(2008) 91–99 und Mansfeld/Runia (1997) 293–299.
Cf. nat. hom. 5.169 $.. λ /= W λ %
µ F U« 0' , / ( 0. ! ` 81.
256
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
(µ J( .( ρ 81) und zu zeigen versuche (%»
), dass die anderen drei Elemente von diesem her entstehen.
Darauf folgt eine Begründung (0): Denn „der Bodensatz“ bzw. die
Grundlage des Wassers (κ ξ %0 ") werde zu Erde
() !), das Feinteiligere zu Luft. Von der Luft werde das Feinteiligere zu Feuer. Anaximenes nenne nur die Luft ($ ), versuche
jedoch auf gleiche Weise zu zeigen (²!(« %» ), dass die
anderen Elemente aus der Luft entstehen.
Diese Beweisführungen dienen Nemesius dazu, abschließend festzuhalten, dass auf diese Art und Weise alle Elemente jeweils ineinander verwandelt werden können; da sich jedes Element in jedes andere Element verwandeln könne, müsse es sich bei allen um Elemente handeln ($0
81 %0 ρ).72
Literatur
Diels, H., Doxographi Graeci, Berlin 1879, ND 1965.
Kallis, A., Der Mensch im Kosmos, Münster 1978.
Krause, H., Studia Neoplatonica, Diss. Leipzig 1904.
Mansfeld, J., Doxography and dialectic: The Sitz im Leben of the ‚Placita‘, in: ANRW
II.36.4, 1990, 3056–3229.
Mansfeld, J., Runia, D. T., Aëtiana. The Method and Intellectual Context of a Doxographer, Vol. 1. The Sources, Leiden/New York/Köln 1997.
Sharples, R. W., Van der Eijk, P., Nemesius. On the Nature of Man, Liverpool 2008.
Vetten, C. P., Art. Nemesius, LACL, 1998, 449.
72
Cf. nat. hom. 5.170 / ( ! Ρ %0 81 9« Ν... *0.., %0( ξ 9« Ν... %( $0 81 %0 ρ.
Cf. dazu auch die Sim. ‚Aggregatzustände‘.
Theodoret (Th 326–337)
257
4.3 Theodoret (Th 326–337)
Der aus Syrien stammende Theodoret wurde um 393 in Antiocheia am
Orontes (heute Antakya am Asi, Türkei) als Kind wohlhabender Eltern
geboren. Nach dem Tod seiner Eltern 416 verkaufte er seinen Besitz und trat
in das Kloster Nikertai bei Apamea in Syrien ein. Nachdem er zuerst als
Prediger gewirkt hatte, wurde er um 423 zum Bischof von Kyrrhos (oder
Cyrus), östlich von Antiocheia, geweiht, wo er neben seinen geistlichen
Aufgaben auch große kirchen- und städtebauliche Aktivitäten entfaltete.73
Innerhalb des östlichen Christentums erscheint Theodoret als „der letzte
große Exeget der antiochenischen Schule“.74 Zu seinen Schriften zählen neben einer Reihe von exegetischen Werken wie der Kommentierung der Psalmen oder des Jesajabuches75 seine Kirchen- und Mönchsgeschichte sowie
das vollständig erhaltene apologetische Hauptwerk, die so genannte Graecarum affectionum curatio, die „Therapie“ oder „Heilung der griechischen
Krankheiten“.76 Die Datierung der Schrift ist umstritten; Versuche variieren
zwischen 427 und 437.77 In Theodorets Schrift finden sich insgesamt zwölf
Bezugnahmen auf Thales.
Theodoret, Graecarum affectionum curatio
Mit seiner in der Tradition der christlichen Apologie stehenden Schrift
wendet sich Theodoret gegen die Verspottung des christlichen Glaubens
durch die Nicht-Christen.78 Explizit bezeichnet er sie als „Anhänger der
griechischen Fabelwelt“ (
)« >E..)« .!« /=().
Anlass ihres Spotts sind (i) der Glaube der Christen, (ii) die mangelhafte
Bildung der Apostel und deren Bezeichnung als Barbaren, die keine elegante Redeweise kennen, sowie (iii) die christliche Märtyrerverehrung und
weitere Aspekte, auf die Theodoret in seiner Schrift zu sprechen kommen
73
74
75
76
77
78
Cf. Moreschini/Norelli (2007) 341–342 (zum Leben), 342–346 (zu seinen Werken).
Ebd. 341.
Cf. zum exegetischen Werk Guinot (1995).
Griechischer Titel: EHNIKN LEAPEYTIKH PALHMATN.
Canivet (2000) bemerkt zum Problem der Datierung, 28: „Cette date a été l’objet de
bien des conjectures. En s’appuyant sur les lettres de Théodoret, la critique externe fixe
comme dates extrêmes les années 427 et 437.“ Canivet plädiert ebd. 31 für eine Datierung vor dem Konzil von Ephesus (431): „La Thérapeutique nous semble donc avoir
été écrite avant Éphèse, probablement au début de la carrière littéraire de Théodoret et
peut-être avant son accession au siège épiscopal de Cyr.“
Cf. zum politischen, religiösen und sozialen Milieu in Antiochien Canivet (1959)
3–41.
258
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
wird.79 Damit sich nicht die weniger Gebildeten von diesen „Beschuldigungen“ ( &) gegen die Christen täuschen lassen, unternimmt
Theodoret in seiner zwölf Abhandlungen (9« ! .=«) umfassenden Schrift die Auflösung (.() dieser Beschuldigungen, indem
er diese auflistet (=0?) und widerlegt (.=).80 Als alternativen
Titel neben der „Behandlung der griechischen Krankheiten“ führt Theodoret gegen Ende des Vorwortes auch den folgenden Titel an: „Erkenntnis der
evangelischen Wahrheit aus der griechischen Philosophie“.81 Theodoret
geht es um die Therapie von Krankheiten, die er bei seinen nicht-christlichen Zeitgenossen diagnostiziert und an späterer Stelle (z.B. in cur. 1.9)
auch als „Krankheit der Selbstgefälligkeit“ (µ )« 9&(« […] %0«)
beschreibt.82 Wie der zweite Titel zu erkennen gibt, kommt bei seiner „Therapie“, die zur Erkenntnis der christlichen Wahrheit führen soll, den Bezügen auf die griechische Philosophie und die Philosophen eine große Bedeutung zu. Über seine Motive zur Abfassung der Schrift äußert sich Theodoret
folgendermaßen: „Somit habe ich um der Behandlung der Kranken willen
und vorsorglich zum Nutzen der Gesunden diese Arbeit auf mich genommen.“ An seine Leser („die Leser fremder Mühen“) wendet er sich mit der
doppelten Aufforderung: „wenn ihnen diese Schrift gefällt, den göttlichen
Geber [von allem Guten] mit aller Kraft zu rühmen und gleichzeitig allen,
die daran gearbeitet haben, ihre Mühen mit Gebeten zu vergelten; wenn sie
aber Fehler entdecken, sich dann davor zu hüten, das gesamte Werk zu verdammen, vielmehr aus dem Wohlgesagten dennoch Nutzen zu ziehen“.83
79
80
81
82
83
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Theodoret (Th 326–337)
259
Bemerkenswert ist die stilistische Charakterisierung des Werkes durch
Theodoret selbst: In seiner Unterweisung (9
) .!)
) beabsichtigt er
in einem Stil84 zu schreiben, wie er in einer Unterhaltung üblich sei. Als Begründung führt er an, dass er Zitate von Platon und etlichen anderen Philosophen anzubringen habe und er den eigenen Redefluss in gewisser Ähnlichkeit zu diesen formulieren wolle.85
Theodoret, Graecarum affectionum curatio 1
Wie bereits der Titel des ersten Buches PEI PITE, „Über den
Glauben“ oder „Vom Vertrauen“ zu erkennen gibt, geht es Theodoret um
eine grundsätzliche Verteidigung ($%.!) des Glaubens ()« %!(«)
und der „Unbildung der Apostel“ ()« $%.( $%!«). In
diesem Zusammenhang greift er auf die Argumente griechischer Philosophen zurück.86 Drei Bezugnahmen auf Thales finden sich im ersten Buch
(cur. 1.12, cur. 1.23–24, cur. 1.37).
Kontext zu Th 326
Die Textzeugnisse Th 326 und Th 327 stehen im Rahmen derselben übergeordneten Argumentation des ersten Buches, in der sich Theodoret mit der
Heilung der Krankheit der Selbstgefälligkeit oder des Dünkels auseinander
setzt (µ )« 9&(« […] %0«).87 Er zielt dabei besonders auf diejenigen
ab, „welche die Schriften der Dichter und Redner genossen oder den schönen Stil Platons gekostet haben“.88 Die Krankheit dieser zu therapierenden
84
85
86
87
88
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Zur Sprache und zum Stil Theodorets cf. Canivet (2000) 60–67.
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φ.φ( « $%!=« %φ.
Cur. 1.9 P
Ν..( µ )« 9&(« 9( %0«. Canivet
(2000) übersetzt „la maladie de la suffisance“ und bemerkt 105 Anm. 1: „Dans le langage des spirituels, la suffisance (F«) est la cause la plus profonde de l’incrédulité,
et tous les vices en découlent;“ Cf. dazu auch cur. 2.21.
Cur. 1.9 Kλ & « , %
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260
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
gebildeten Nicht-Christen wurzelt für Theodoret (cur. 1.9) zum einen in der
Verachtung der heiligen Schriften (φ" ξ !( .!()
der Christen aufgrund ihrer stilistischen Schmucklosigkeit; zum anderen
bemängelt Theodoret, dass diese Menschen es nicht für würdig erachten
( $="), die „Wahrheit über alles, was ist“ (κ " `« $.&)
bei Fischern zu lernen.89 Gegen diese beiden Gesichtspunkte richtet sich
Theodoret mit seiner Argumentation. Er behauptet (cur. 1.10), dass sich
seine Zeitgenossen im Hinblick auf „die Früchte einer jeden Fertigkeit“
(8« ξ 40«) „nicht um die Sprache der Handwerker kümmern“
(« 8
%0' .;«) – seien diese auch
Skythen, Sarmaten, Iberer oder Ägypter.90 Wenn sie einem Kitharaspieler
zuhörten, forderten sie nur (), dass er die Melodie richtig spiele,
und begehrten nicht zu wissen (1), ob er ein Grieche oder Barbar sei
(9 6E.. /λ ν *0*«).91 Theodoret vertritt nun die These, dass sie
folglich nur () das Erlernen der Wahrheit ()« $.!« κ 0)
nicht auf einfache Weise ($%(«) aufnehmen wollen, sondern sich
entehrt fühlten, wenn ein Barbar sie in dieser Sprache unterrichten wolle.92
Ihre Haltung charakterisiert Theodoret mit dem an Bedeutungen reichen
Begriff des "φ«,93 der unter anderem sowohl eine Art des Fiebers bezeichnen kann, das von Benommenheit/Stumpfsinn begleitet ist, als auch im
übertragenen Sinne als Wahnvorstellung, Täuschung (engl. delusion) oder
auch Einbildung übersetzt werden kann.94 Zu dieser pathologischen Charakterisierung der zu Behandelnden fügt Theodoret noch hinzu (cur. 1.11),
dass sie selbst nicht bis an die Spitze (9« Ν) der griechischen Philoso89
90
91
92
93
94
Cur. 1.9–10 […] ξ« ξ λ )« P.0(« %!« $%0, φ" ξ !( .!(, ³« S ..%9
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Cf. LSJ s. v. "φ«, ².
Theodoret (Th 326–337)
261
phie gekommen seien, sondern „nur von Wenigem mit spitzen Lippen gekostet haben, und hier und da eine Kleinigkeit aufschnappend“.
Im Anschluss an diesen Gedankengang, der reich an Polemik ist, kommt
Theodoret (cur. 1.12) auf die „berühmtesten“ (%φ) griechischen Philosophen zu sprechen, deren Andenken auch in seiner Zeit noch
(8 λ &) bei den hoch Gebildeten (% 1« /..!«) allbekannt (%..«) sei.95 Er nennt den Syrier Pherekydes, den Samier
Pythagoras, Thales, den Milesier, Solon, den Athener, und Platon, die nicht
zögerten ( z), um die Wahrheit zu finden (U " $.ξ«
/=1), Ägypten und das ägyptische Theben, Sizilien und Italien zu
durchreisen (%)), obwohl zu jener Zeit nicht nur eine Königsherrschaft diese Völker lenkte, sondern es unterschiedliche Verfassungen in
den Städten gab und unterschiedliche Gesetze (cur. 1.12).
Th 326 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 1.12
(ed. Canivet)
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Th 326 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 1.12
Die berühmtesten der griechischen Philosophen, deren Andenken bei den
hoch Gebildeten bis heute allbekannt ist, Pherekydes aus Syros, Pythagoras
aus Samos, Thales aus Milet und Solon aus Athen, und freilich auch jener
Platon, der Sohn des Ariston, der Schüler des Sokrates, der mit seiner Wohlberedtheit alle in den Schatten stellte,96 sie zögerten, um die Wahrheit zu finden, nicht, auch nach Ägypten zu reisen und zum ägyptischen Theben und
nach Sizilien und nach Italien, und dies, obwohl damals nicht nur eine Monarchie diese Völker lenkte, sondern es unterschiedliche Verfassungen in
den Städten gab und unterschiedliche Gesetze.
95
96
Cf. cur. 1.12.
Übersetzung Schwab.
262
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Attribute
Philosoph
Ägyptischer Einfluss: Reise nach Ägypten
Funktion der Bezugnahme
Bemerkenswert an dieser Bezugnahme auf Thales ist (1) die übergeordnete
argumentative Strategie Theodorets, der durch seine Darstellung indirekt
einen Vergleich konstruiert: Er stellt die angeführten berühmten griechischen Philosophen, namentlich Pherekydes, Pythagoras, Thales, Solon und
besonders Platon, seinen nicht-christlichen Zeitgenossen gegenüber. Implizit veranschaulicht er durch seine Charakterisierung der frühgriechischen
Philosophen sowie deren bis in seine Gegenwart reichende Bedeutung einen
ersten Unterschied zu diesen. Indem er in einem zweiten Schritt betont, dass
die frühgriechischen Philosophen bei der Suche nach der Wahrheit keine
Mühen und Gefahren scheuten und selbst Reisen zu den Barbaren unternahmen, kritisiert er seine Zeitgenossen, die sich gegenüber den christlichen
heiligen Schriften als überlegen verstehen. Die Bezugnahme auf die frühgriechischen Philosophen steht an dieser Stelle deutlich im Dienst des theodoretischen Argumentationszieles.97
(2) Das, was die von Theodoret angeführte Gruppe von Weisen und Philosophen verbindet, sind nicht nur deren außerordentliche Berühmtheit,
sondern ebenso die ihnen zugeschriebenen Reisen.
(3) Die Anstrengung und das Bemühen der angeführten Weisen und Philosophen wird noch dadurch hervorgehoben, dass diese sich auf die Reise
begaben, obwohl es zu jener Zeit unterschiedliche Verfassungen in den
Städten gab und unterschiedliche Gesetze (cur. 1.12).
(4) Seine Argumentation wird durch die folgende Bemerkung (cur. 1.13)
noch weiter verstärkt, dass die frühgriechischen Philosophen nichts daran
hinderte, zu den Barbaren zu reisen und gerade das (Ϊ%) bei ihnen zu lernen, was diese ihrer Meinung nach besser (Ν) als sie selbst erkannt
hatten.98 Im darauffolgenden Kontext präzisiert Theodoret (cur. 1.14):
Man behauptet, dass sie (sc. die Philosophen) in Ägypten nicht nur von
den Ägyptern, sondern auch von den Hebräern in den Lehren über den
wirklich seienden Gott unterrichtet wurden.
97
98
Zum Thema der „Philosophie der Barbaren“ cf. Dihle (2000) 183–203.
Cur. 1.13 #A..’ Ρ(« ξ @« ( /%8 (.0( % **0« $;%« 1 λ 1 % ’ , Ϊ% @« Ν ; 4
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Theodoret (Th 326–337)
263
Rλ ξ @« / A9%)
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>E*!( %λ " `« 8) L".
Als Garanten für diese These stützt sich Theodoret namentlich auf Plutarch
aus Böotien, Porphyrius („der leidenschaftlich gegen die Wahrheit aufgebracht war“)99 und Numenius, den Pythagoreer.100
*
Kontext zu Th 327
Der argumentative Zusammenhang der Erwähnung des Thales ist derselbe
wie in Th 326. Doch geht Theodoret in seiner Argumentation einen Schritt
weiter. Unter Bezugnahme auf nicht-christliche Autoren wie Herodot, Diodor und die Tragödiendichter weist er in cur. 1.17–22 auf die zahlreichen kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen von Nicht-Griechen (wie z.B.
die Geometrie, Astronomie, religiöse Riten oder Mysterienkulte, sowie
Erfindungen wie z.B. der Trompete oder der Flöte, des Alphabetes etc.) hin,
die von den Griechen angeblich importiert wurden. In cur. 1.23 gibt Theodoret eine kurze Zusammenfassung und spitzt seine Argumentation, die im
Kern aus zwei Bedingungssätzen (9 ) besteht, zu (cur. 1.23–24). Auf den
ersten Bedingungssatz folgt eine Frage und Ansprache an die Adressaten
(cf. Th 327): Als Ausgangsthese formuliert er die Bedingung (9 ), dass die
Griechen die handwerklichen Fertigkeiten, die Wissenschaften, die „religiösen Geheimnisse“ (
( « .0«) – angespielt wird auf die zuvor (cur. 1.21–22) genannten religiösen Feste und Riten z.B. der Mysterienkulte – und sogar die elementarsten Kenntnisse wie das Alphabet von den
Barbaren gelernt haben und sich sogar ihrer Lehrer rühmen (4*).
Es folgt die Frage (cur. 1.23–24): „Was verweigert ihr da, die ihr das von jenen Verfasste nicht verstehen könnt, die Wahrheit von Männern zu lernen,
die eine gottgegebene Weisheit ( φ!) empfangen haben?“
In einem zweiten Schritt geht er von der folgenden Bedingung (9 ) aus:
Wenn sie den Christen aber kein Gehör schenken wollten, da diese nicht
99
100
Anspielung auf die Schrift K X
des Porphyrius. Cf. dazu Meredith
(1980) 1125–1137.
Cur. 1.14–15 Kλ " 0 ξ P.8« ² B;«, 0 ξ λ
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in Canivet (2001) zu Plutarch 463–464, zu Porphyrius 464–465 und zu Numenius
456. Cf. dazu insgesamt auch Eusebius Th 262 und Th 263.
264
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
griechischen Ursprungs seien, könnten sie weder Thales, den Weisen, nennen, noch den Philosophen Pythagoras, noch seinen Lehrer Pherekydes.
Diese Aussage begründet er damit, dass die drei genannten Philosophen
nicht aus Griechenland stammten.
Th 327 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 1.23–24
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Th 327 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 1.23–24
Wenn aber die Griechen die Künste und die Wissenschaften und die religiösen Geheimnisse und die ersten Buchstaben von den Barbaren lernten und
sich mit ihren Lehrern brüsten, was verweigert ihr da, die ihr das von jenen
Verfasste nicht verstehen könnt, die Wahrheit von Männern zu lernen, die
eine gottgegebene Weisheit empfangen haben? [24] Wenn ihr ihnen aber
kein Gehör schenken wollt, da sie nicht Griechenland entstammen, dann ist
es Zeit für euch, weder Thales, den Weisen, zu nennen, noch den Philosophen Pythagoras, noch seinen Lehrer Pherekydes. Denn Pherekydes war
Syrier, nicht Athener, nicht Spartaner und auch nicht Korinther; Pythagoras
soll laut Aristoxenos, Aristarch und Theopomp Tyrrhener sein, Neanthes
aber nennt ihn Tyrer. Von Thales sagen die einen, er sei Milesier, Leandros
aber (Th 50) und Herodot (Th 12) sprechen von ihm als Phönizier.
Attribute
Weiser
Milet
Phönizisch
Kulturimport
Theodoret (Th 326–337)
265
Funktion der Bezugnahme
Auch in diesem Zusammenhang führt Theodoret wie in Th 326 einen bemerkenswerten Vergleich durch. Zuerst kontrastiert er (cur. 1.23) wie in
Th 326 die frühen Griechen mit seinen ‚Patienten‘. Indem er die Verhaltensweisen der zuerst Genannten besonders im Hinblick auf den Kulturimport
und das Lob ihrer Lehrer charakterisiert, kritisiert er damit implizit seine
‚Patienten‘, denen er unterstellt, dass sie nicht imstande seien, die Schriften
der früheren Philosophen zu verstehen. In Form einer Frage wirft er ihnen
ausdrücklich vor, dass sie sich im Gegensatz zu ihren Vorfahren weigerten,
die Wahrheit von Männern zu lernen, die sogar „eine gottgegebene Weisheit“ empfangen haben.
In seinem zweiten Argumentationsschritt (cur. 1.24) benutzt Theodoret
die durch nicht-christliche Quellen bezeugten variierenden Nachrichten über
die Herkunft des Pherekydes, des Pythagoras und des Thales zu der mit 0
eingeleiteten Begründung seiner Schlussfolgerung: Wenn seine ‚Patienten‘
der biblischen Überlieferung kein Gehör schenken wollten, weil diese nicht
Griechenland entstammte, dann wäre es für sie auch an der Zeit (— 1),
ebensowenig Thales, Pythagoras und Pherekydes zu nennen (\0').
Pherekydes wird als Syrier101 bezeichnet und soll – mit dreifach betonter Negation – weder Athener noch Spartaner noch Korinther gewesen sein.
Während Theodoret für die milesische Abstammung des Thales keinen
Gewährsmann anführt, präsentiert er für die phönizische Herkunft des
Thales sowohl Leandros (Th 50) als auch Herodot (Th 12). Diese beiden
Gewährsmänner werden gemeinsam auch bei Clemens von Alexandrien
(Th 202, str. 1.14.62.3) genannt. An einer späteren Stelle (cur. 1.43–44) gibt
Theodoret ausgehend von einem Zitat des Porphyrius (cur. 1.42) allgemein
über das Verhältnis der „Propheten und Apostel der Hebräer“ zu den Ägyptern, Chaldäern und Phöniziern zu bedenken, dass die Phönizier ganz in der
Nähe der Hebräer lebten und als Nachbarn von ihnen die Wahrheit, wenn sie
überhaupt etwas davon begriffen haben, erlernten.102
Die Raffinesse von Theodorets Argumentation zeigt sich auch in der
abschliessenden Bemerkung (cur. 1.25): Wenn die von ihm Behandelten
sagten, dass diese Männer zwar außerhalb Griechenlands (³« D=( ξ )«
>E..0«) geboren und aufgewachsen seien, dass sie aber zumindest die
101
102
Cf. dazu Canivet (2000) 106 Anm. 1 und 109 Anm. 4. Zum Verhältnis des Pythagoras
zu Pherekydes cf. Riedweg (2007) 21–23.
Cur. 1.44 E9 ξ λ A9%!« λ X.!« λ R!« « ='=,
9 ³« λ R!«, %8( ( `« λ $8«, % (
D, F% D, κ $.& […].
266
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
griechische Sprache gesprochen hätten, würden sie zuerst zugestehen (².1), dass es auch bei anderen Völkern weise Männer gegeben habe.103
*
Kontext zu Th 328
Im übergeordneten Zusammenhang argumentiert Theodoret für die These
(cur. 1.26), dass es nicht richtig sei ( \
«), einen guten Stil
(κ %) der Wahrheit vorzuziehen.104 Zuerst stellt er am Beispiel des
Sokrates (cur. 1.26–31), „des besten der griechischen Philosophen“
(>E..
φ.φ( Ν),105 dar, dass dieser ohne Wissen und
ohne Bildung sprach, zugleich jedoch mehr Respekt als alle anderen verdiene, mehr noch sogar als Platon, der wegen seines schönen Stils über alle
Griechen triumphierte.106 Im Folgenden (cur. 1.32–39) versucht Theodoret
anhand von ausgewählten Zitaten aus den platonischen Dialogen Politikos,
Politeia, Nomoi und dem Theaitetos107 zu zeigen, dass gerade Platon, „der
alle Menschen und nicht nur die übrigen Griechen, sondern selbst die Athener durch wohlgesetzte Rede und Schönheit des Ausdrucks ganz in den
Schatten stellte“, seine Aufmerksamkeit „nicht auf die Wohlgesetztheit der
) /0(
Worte, sondern auf die Stimmigkeit der Gedanken“ (9
108
4!)
) richtete. Theodoret versucht zu zeigen, dass Platon die Weisheit (κ φ!) nicht durch literarisches Können, sondern durch die
Erkenntnis der Wahrheit definierte.109 Platon unterscheide gemäß Theodoret
(cur. 1.36) zwei Gruppen: (a) zum einen diejenigen, die diese Weisheit besitzen, auch wenn sie selbst die Buchstaben nicht kennen (ξ %
103
104
105
106
107
108
109
Cur. 1.25 E9 ξ Ν " φ, ³« D=( ξ )« >E..0« λ Dφ o ¹
Ν« λ /0φ, κ >E..κ & .
, %
ξ
².1 λ / Ν..« D Ν« ) φ«.
Cur. 1.26 5E% ξ λ 4( /=.8 \
« %« )«
$.!« κ % […].
Cur. 1.26.
Cur. 1.31 #A..’ Ρ(« λ $) .
λ $%! /8;«, Ν..( 4%0(, $.. λ P.0(« " Ϊ%« 6E..« %!)
« 9"« $=;« f.
Cf. dazu Canivet (1959) 170–173.
Cur. 1.31–32 6O ξ λ ^«, ² Ϊ%« $;%« λ @« Ν..«
6E..« , $.. λ @« #A!« .(!)
λ \0( 0..
%0% $%?«, κ 9
) ?!)
.(, $.. 9
) /0(
4!)
%8 %)
» […].
Cur. 1.36 T
κ φ.φ( ² .φΩ / & 0(, $..’ /
$.!« ; κ φ! ²!'α
Theodoret (Th 326–337)
267
81 ;); sie bezeichne Platon als weise (φ«). (b) Zum
anderen jene, die den gesamten Bildungsgang durchlaufen ( %0«
/..« %!«) und dennoch keine Erkenntnis der Wahrheit und Gerechtigkeit erreichten; Platon stoße sie zurück und schließe sie von der Herrschaft aus.110 Mit dem anschließenden Zitat (cur. 1.37) aus dem Theaitetos
(cf. Th 19) möchte Theodoret veranschaulichen, wie Platon „die Sternschwätzer“ (@« (.8«)111 diskreditiert (*0..().112
Th 328 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 1.37
Kλ $ )
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" λ % %« .0 .“
Th 328 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 1.37
Und im Theaitetos (Th 19) attackiert er [Platon] die Himmelsgaffer und sagt
folgendermaßen: „Thales, mein lieber Theodoros, fiel, als er sich mit den
Sternen beschäftigte und nach oben blickte, in einen Brunnen. Da soll ihn
eine witzige und reizende thrakische Magd verspottet haben, weil er zwar
die Dinge am Himmel zu erkennen begehre, ihm aber, was ihm vor den Füßen liege, entgehe.“
Attribute
Brunnenfall (Zitat aus Platons Theaitetos = Th 19)
Astronom
Funktion der Bezugnahme
Die Bezugnahme auf Thales steht im weiteren Kontext des Zitates aus dem
Theaitetos (174a4–8 = Th 19).113 Theodoret schöpft dieses Zitat möglicher110
111
112
113
Cur. 1.36–37 λ @« ξ /%«, s ξ %
81 ;, \0' φ«α @« ξ %0« /..« %!«, $.!« ξ
λ « κ /%& D8«, $%! λ /=. λ Ν8
/%%.
Cf. Plat. Rep. 489c6.
Canivet (2000) 114 übersetzt „les pêcheurs de lune“ und bemerkt ebd. Anm. 1, dass
das Wort (« „dans la langue des spirituels […] désigne l’orgueilleux“.
Wie Theodoret auch an anderer Stelle seines Werkes (z.B. in cur. 12.21–28) auf Textpassagen aus dem Theaitetos Bezug nimmt, cf. Raeder (1900) 127–129 und Siniossoglou (2008) 110–115.
268
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
weise aus Eusebius PE 12.29.4 (cf. Th 269), der zwar denselben griechischen Wortlaut präsentiert,114 jedoch die Bezugnahme auf Thales im Rahmen der ganzen so genannten ‚Digression‘ (Tht. 173c-177b) in einem
äußerst verschiedenen Kontext („über den rein Philosophierenden“) und mit
einer anderen Absicht als Theodoret an dieser Stelle anführt.115 Canivet bemerkt zu Recht: „Théodoret, en reproduisant cette citation, ne s’est pas soucié de la remettre dans son contexte platonicien.“116 Zu beachten ist, dass
Theodoret an dieser Stelle auf den platonischen Text Bezug nimmt, um zu
zeigen, wie Platon den zu den Sternen aufblickenden Thales bei seinem
Brunnenfall mitsamt der spottenden thrakischen Magd durch seine Darstellung diskreditiert. Erst durch die hinführenden Worte und die auf Platon
zurückgreifende Aufteilung der Menschen in zwei Gruppen bringt Theodoret den Leser dazu, Thales als ein Mitglied der Gruppe von Menschen zuzuordnen, die eine alles betreffende Bildung durchlaufen haben ( %0«
/..« %!«) und dennoch keine Erkenntnis der Wahrheit und Gerechtigkeit zu erreichen scheinen.117 Auch wenn diese Aussageabsicht im
ursprünglichen Kontext des platonischen Theaitetos von Platon so nicht intendiert wird, führt die theodoretische Zitat-Auswahl und Einleitung dazu,
dass die Figur des Thales an dieser Stelle bei Theodoret durch Platon diskreditiert erscheint.
Theodoret, Graecarum affectionum curatio 2
Im zweiten Buch, in dem zwei Zeugnisse über Thales stehen, geht es unter
anderem um die Meinungen „der hochbedeutenden Weisen bei den Griechen“ sowie der besonders berühmten Philosophen über den Ursprung oder
das Prinzip des Universums (%λ )« Ρ.( $8)«). Parallel dazu stellt
Theodoret ihnen die „wahre Gotteslehre (κ $.) .!) des Moses“, des ältesten all jener, gegenüber. Die Gotteslehre des Moses widerlege
(.8) die falsche Lehre (?.!) der Philosophen und zeige die
glänzende Wahrheit seiner Unterweisung.118
114
115
116
117
118
Sowohl Eusebius als auch Theodoret und Jamblich (prot. 73.5–10) überliefern mit
einigen Platon-Codices an Stelle von D% in Tht. 174a7 `%: cf. Canivet
(2000) 114 und Des Places (1983) 124, Apparat zu PE 12.29.4. Canivet ist ebd. 114
Anm. 2 der Meinung, dass die Zitation „fautive manifeste la négligance de Théodoret“.
Der Kontext bei Eusebius PE 12.29.4 ist jedoch vergleichbar mit dem bei Theodoret
cur. 12.21–28.
Canivet (2000) 114 Anm. 2.
Cf. auch Siniossoglou (2008) 111–113.
Cf. cur. p. 5 >H ξ % ’ 6E.. \0( φ
λ ’
/!« φ.φ( /%.( « %λ )« Ρ.( $8)« $%1
Theodoret (Th 326–337)
269
Kontext zu Th 329
In seiner an Bildern reichen Beschreibung zu Beginn des zweiten Buches
charakterisiert Theodoret zuerst die Situation der vielen Menschen, die sich
vor der göttlichen Epiphanie (des christlichen Gottes) in der unglücklichen
Lage befanden, da „die Sonne der Gerechtigkeit119 noch nicht aufgegangen
war, und sie ihr Leben wie in tiefer Nacht zubrachten und nur von der Fackel
der Natur erleuchtet wurden“.120 Demgegenüber deutet er seine Zeit als
eine, in der die Sonne „mitten am Himmel erstrahlt“.121 Theodoret stellt sich
die Frage (cur. 2.4), was er zur Verteidigung derjenigen vorbringen könne,
φ.;„die jetzt im Mittagslicht blind“ seien (1« " / *!)
), die ihre Augen geschlossen hielten (@« \φ.@« ) und
deswegen nicht in den Genuß des Lichtes kämen.122 Wie bereits im ersten
Buch erklärt er die Krankheit der Selbstgefälligkeit (µ )« 9&(« %0«)
als Ursache für diesen Zustand. Er behauptet (cur. 2.5): „Denn sie meinen,
dass sie die Wahrheit besser als alle anderen kennen, weil sie von hochangesehenen Männern in den Wissenschaften ausgebildet wurden.“123
In einem ersten Schritt übt Theodoret (cur. 2.6–7) unter Berufung auf
Platon,124 „den besten der Philosophen“ (
φ.φ( ² Ν«), Kritik
an Homer, der „Koryphäe der Dichter“ (" φ! %
).
Theodoret stellt fest (cur. 2.7): Auch wer die ganze Schönheit des Stils
erreicht habe, könne nicht zuverlässig als Lehrer der Wahrheit ($.!«
0.«) gelten.125
In cur. 2.8 kommt er auf die Philosophen zu sprechen: Wenn (9 ) sich
seine Zeitgenossen gegen die Christen (π1) auf die Philosophen (@«
119
120
121
122
123
124
125
=«α λ M("
3
" %0( /!( %*0 κ $.) .! /
%..&. 1, κ ξ /!( .8 ?.!, )« ξ .!« $0% ! κ $.&.
Mal 3,20: Für euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, / wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen, / und ihre Flügel bringen Heilung.
Cur. 2.4 ¹ ξ %µ )« !« /%φ!« 9
) 9
) %09
%%« D8!
%( )« « $1. µ
! J( %(« %!, )
S., $..’ —% / λ 0 λ %µ « )
81 )« φ(«.
In Anspielung auf Homer Il. 8.68, 16.777ff. und Od. 4.400.
Cur. 2.4–5 !« $%.!« %.!% .« 1« " / *!)
φ.;
λ @« \φ.@« , o κ " φ(µ« $%.(;
Cur. 2.5 P0( Ν 9 !' κ $.&, /%κ 1« /..!( $
& /0φ […].
In Anspielung auf Rep. 398a und einem freien Zitat von Rep. 377e-378d; cf. auch
Eusebius PE 2.7.4–7 und PE 13.3.3–6.
Cur. 2.7 OΚ Ϊ%« .(! « $=8(« s $.!«
0.«.
270
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
φ.φ«) berufen wollten, so sollten sie wissen, dass „sich auch diese
jedem erdenklichen Irrtum unterzogen haben“. Weiterhin charakterisiert
Theodoret die Philosophen als solche, die (1) nicht ein und denselben Weg
(! .(φ) eingeschlagen hätten und (2) jeweils auch nicht den Spuren (F8) ihrer Vorgänger gefolgt seien, sondern jeder sich vielmehr seinen eigenen (9! U«) Weg gebahnt habe, und sie sich unzählige
Wege hinzu erdachten. Er bemerkt pointiert: „Denn vielfach verzweigt sind
die Wege der Falschheit.“126 Den Beweis für diese Behauptungen versucht
Theodoret im Folgenden zu führen, indem er die Aufmerksamkeit auf die
Diaphonie bzw. den Dissens der Philosophen untereinander bezüglich des
ersten Prinzips lenkt: Die Aufzählung beginnt mit Thales, der als ältester (²
%*«) der Sieben Weisen angeführt wird. Die ihm zugeschriebene
Prinzipienannahme (µ J(, das Wasser) soll Thales von Homer (Il.
14.201, 302) übernommen haben. Der nächste ist Anaximander, der Thales
zeitlich nachfolgte, aber das Unendliche (µ Ν%) als Prinzip annahm,
sowie Anaximenes, der Nachfolger des Anaximander (² 08«),
und Diogenes von Apollonia, die übereinstimmend (=φ;(«) von der
Luft als dem Prinzip sprachen. Weitere Philosophen und deren Annahmen
werden referiert.127
Th 329 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 2.8–9
E9 ξ κ @« φ.φ« π1 %*0.., σ F, ³« λ ^
%.0 % %0%.. O κ ! Ϊ%« .(φ
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#A=!« , " =0«, $8κ Dφ µ Ν%α #A=« , ² 08«, λ « ² #A%..(0« µ $
=φ;(« $8κ %0.
126
127
Cur. 2.8 %.81« 0 % " ?« ¹ $%!α
Zur Frage nach den Quellen Theodorets an dieser Stelle ist zu bemerken, dass zwar
gewisse Ähnlichkeiten mit dem Lemma 1.3 aus den Placita des Ps.-Plutarch bestehen,
jedoch bereits Diels (1879) anhand der kurzen Doxographie in cur. 2.9–11 bemerkte,
dass nicht das ganze doxographische Material bei Theodoret aus Aëtios stammen könne.
Cf. dazu Diels (1879) 170, Mansfeld/Runia (1997) 284 bes. Anm. 36 und Raeder (1900)
89, der vermutete, dass Theodoret unter anderem aus Eusebius’ PE 1.8.1–12 schöpfte.
Theodoret (Th 326–337)
271
Th 329 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 2.8–9
Wenn ihr euch aber gegen uns auf die Philosophen beruft, so müsst ihr wissen, dass sich auch diese jedem erdenklichen Irrtum unterzogen haben.
Denn sie haben keineswegs alle einen einzigen Weg eingeschlagen und
folgten auch nicht den Spuren ihrer Vorgänger. Vielmehr bahnte sich ein
jeder seinen eigenen Weg, und unzählige Wege dachten sie hinzu. Denn
vielfach verzweigt sind die Pfade der Falschheit. [9] Und dies soll sogleich
ausdrücklich gezeigt werden. Denn Thales, der älteste der so genannten Sieben Weisen, nahm an, dass das Wasser das Prinzip aller Dinge sei, indem er,
nehme ich an, den Worten Homers vertraute: „Okeanos, den Ursprung der
Götter, und die Mutter Tethys“ [Il. 14.201]. Anaximander aber, sein Nachfolger, sagte, dass das Unendliche das Prinzip sei. Anaximenes aber, dessen
Nachfolger, und Diogenes von Apollonia sprachen übereinstimmend von
der Luft als dem Prinzip.
Attribute
Ältester der Sieben Weisen
Prinzip Wasser
Wasserthese und Homer
Anaximander als Nachfolger des Thales
Funktion der Bezugnahme
Das Argumentationsziel Theodorets ist klar formuliert: Die Auflistung
der unterschiedlichen Prinzipienannahmen soll den Dissens (φ(!/dissensio philosophorum)128 zwischen den griechischen Naturphilosophen
und damit insgesamt deren Irrtümer veranschaulichen. Theodoret lässt im
darauf folgenden Kontext (cur. 2.11ff.) die Reihe der frühgriechischen
Philosophen besonders durch die Figur des Sokrates und durch die gezielte
Bezugnahme auf einige platonische Dialogstellen kritisieren. Diese indirekte Form der Kritik wird von Theodoret durch einen Hinweis auf die Verspottung der Naturphilosophen durch Sokrates in cur. 2.11–12 eingeleitet:
Deswegen machte sich wahrlich auch Sokrates, der Sohn des Sophroniskos, immer wieder über sie (sc. die Naturphilosophen) lustig, weil sie
sehr steif behaupteten, das den Menschen nicht Zugängliche zu erkennen,
und sie sich immer gegenseitig bekämpften, indem sie neue und gegensätzliche Lehren verteidigten, wie Xenophon in den Memorabilien sagt.
128
Cf. zur Bedeutung der φ(! bei Theodoret Mansfeld/Runia (1997) 276–278.
272
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
0 " λ (0« ² (φ! ()
(
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., Ρ $;%« /φ 9 .! 98',
%µ« $..&.« $λ 08, %« λ /!(
0(, 9
e φ ² mφ
/ 1« #A%.
Theodoret belässt es an dieser Stelle bei einem Hinweis auf Xenophon und
seine Schrift, während er später in cur. 4.26–29129 zwei ausgewählte Textpassagen aus Xenophon (mem. 1.1.11–14 und mem. 4.7.6) für diese Behauptung anführt. Dieselbe argumentative Technik findet sich bereits bei
Eusebius,130 der die enstprechenden Textpassagen aus Xenophon anführt.131
Bei Theodoret folgen Bezugnahmen auf Dialogpartien Platons, z.B. Phd.
96a (cf. Eus. PE 1.8.17), Phd. 96c (Eus. PE 1.8.17), Tht. 180a-c (Eus. PE
14.4.4–5), mittels derer Theodoret unter anderem zu zeigen versucht, dass
bereits Platon die Naturphilosophen wegen ihrer Streitigkeiten untereinander kritisiert habe.
Die Formulierung Theodorets zur Genese der thaletischen Prinzipienannahme (cf. Aristoteles Th 29) ist vieldeutig. Seine Bemerkung, dass Thales
„im Vertrauen auf das, was Homer sagte“ oder „im Glauben an die Worte
( ρ 9 %«) zu seiner Überzeugung geHomers“ (>O&)
langt sei, ist als Vermutung gekennzeichnet ( ρ). Die Formulierung
kann so verstanden werden, dass sich Theodoret aufgrund seiner Informationen und seines Wissens so zurückhaltend äußert. Liest man jedoch die
Äußerung vor dem Hintergrund des ersten Buches mit seiner Diskussion der
Glaubens- bzw. Vertrauensthematik (%!«), so ergibt sich aufgrund der
Wortwahl Theodorets ein weiteres Verständnis: Betrachtet man besonders
das Partizip %«, so ist denkbar, dass Theodoret bereits die Prinzipienannahme des ersten griechischen Weisen und Philosophen als einen Akt
des Glaubens oder des Vertrauens qualifizieren möchte (cf. dazu Arnobius
Th 259). Thales wird somit als ein sklavisch auf die Worte Homers Hörender, nicht als Erfinder oder Weiser gekennzeichnet.
*
129
130
131
Cf. dazu den Kommentar zu Th 337.
Cf. dazu Eusebius PE 1.8.15–16, 14.11.1–7 und PE 15.62.1–4.
Cf. dazu Theodoret cur. 4.27 und 4.28ff. und Kommentar zu Th 335.
Theodoret (Th 326–337)
273
Kontext zu Th 330
Nachdem sich Theodoret in seiner Kritik an den griechischen Philosophen
auch noch auf den Philosophen und satirischen Dichter Timon von
Phleius132 berufen hat (cur. 2.20–21), trifft er in cur. 2.21 eine Unterscheidung, die sowohl allgemein für seine Argumentationsweise als auch für das
Verständnis des Kontextes von Th 330 von grundlegender Bedeutung ist.133
Theodoret möchte die Aufmerksamkeit des geneigten Lesers (τ φ.«)
auf die folgende Unterscheidung (cur. 2.21–22) lenken: Wahrheit ($.&)
einerseits und eine Vermutung bezüglich der Wahrheit (8µ«
$.!«) andererseits seien in vielem voneinander verschieden. Während
die Vermutung viele große Fehler enthalte (!« D8 %..0«), ist
Theodoret davon überzeugt, dass es die Wahrheit nicht zulasse, dass etwas
Widersprüchliches (ξ /!) gelehrt werde. Demgemäß sei zu unterscheiden, (i) wenn irgendjemand mit Hilfe von Beweisführungen über
die Wahrheit spreche (« $.!« % « .) und (ii)
wenn sich die Wahrheit selbst erkläre (κ 4κ 4). Diese Unterscheidung erklärt zwei Vorwürfe Theodorets (cur. 2.26)134 gegenüber den
Nicht-Christen: (1) Warum glauben seine Zeitgenossen den Philosophen,
von denen einige (wie z.B. Pythagoras, Anaxagoras und Platon) zwar bei
Ägyptern und Hebräern einige rätselhafte Worte (9!0 ) über das
Sein aufgesammelt haben, obwohl sie die göttlichen Dinge nicht vollkommen begriffen haben ( $*
« 1 )? (2) Warum wollen sie sich nicht von den Vertretern der biblischen Überlieferung belehren
lassen, bei denen auch ihre Philosophen gelernt haben?
Vor diesem Hintergrund wird der argumentative Zusammenhang von
cur. 2.50 (Th 330) deutlich. Im vorausgehenden Kontext wirft Theodoret
im Hinblick auf die Theologie Platons die an Metaphern reiche Frage auf
(cur. 2.43), warum man für sich „aus dem trüben und schlammigen Bach“
schöpfe und nicht „jene klare und durchsichtige Quelle“ (%&) suche, von
132
133
134
Cur. 2.21 O Ν π1« µ )« 9&(« /%%1 1 9& %0«α
%0. λ %%. ² T!( ( φ.φ( κ ! %%!.
Cur. 2.21–22 P..)
0 φ, τ φ.«, $..&. $.& λ 8µ« $.!«α ² ξ 8µ« λ !« D8 %..0«, π ξ $.&
/% ξ /! $8. T" Ν..(« « $.!« % « ., λ Ν..(« κ 4κ 4α […]
Cur. 2.26–27 O" λ P« λ #A=« λ P.0( 9!0
%λ " `« % ’ A9%!( λ >E*!( =.=α ! &%’ σ
« ξ $*
« 1 %, % ’ W ξ ^ "0
D, 1 /.;
274
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
der Platon die Ausgangspunkte zu seiner Gotteslehre genommen und zu denen er nur Schlamm und Erde beigemischt habe. Er weist darauf hin, dass
Moses viel älter sei als „alle eure Dichter, Historiker und Philosophen“.135
Um das Argument von der zeitlichen Vorgängigkeit des Moses zu bekräftigen, beruft sich Theodoret in cur. 2.44–50 auf den Plotinschüler Porphyrius
(cur. 2.43–45, cf. cur. 2.50 µ Pφ). Im Anschluss an seine
zusammenfassende Aufzählung wirft Theodoret die ermunternde Frage auf
(cur. 2.50 = Th 330): „Warum sollen wir diese dann nicht alle beiseite lassen
3
), dem Ozean der Theologie wenden,
und uns zu Moses (%µ« M(
„aus dem doch“, dichterisch gesprochen, „alle Ströme und alles Meer“136
[hervorgegangen sind]?“
Th 330 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 2.50
E9 ! ( ξ µ Pφ ² M()«
3
%.! ν 8.!«
%*« D, ^ ξ %. %
/ – « λ 6O« λ >H!« /, λ ^ ’ σ %0.
L." λ Ν..( φ.φ( %..1« D $8, λ ¹
$φλ L.) ’ @« %φ.φ( –, ! &% κ «
%0« .%« %µ« M(
3
µ )« .!« kµ *!, „/= ^%“, %
« 9%1, „%0« %λ λ %»
0.“;
Th 330 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 2.50
Wenn demnach Porphyrius zufolge Moses um mehr als tausend Jahre älter
als diese [Orpheus, Linos, Musaios u.a.] ist, sie aber die ältesten Dichter waren – denn nach ihnen lebten Homer und Hesiod, und diese wiederum sind
um viele Jahre älter als Thales und die übrigen Philosophen, und Thales und
die um ihn [sind älter] als die, die nach ihnen philosophierten –, warum sollen wir diese dann nicht alle beiseite lassen und uns zu Moses, dem Ozean
der Theologie wenden, „aus dem doch“, dichterisch gesprochen, „alle
Ströme und alles Meer“ [Hom. Il. 21.196] [hervorgegangen sind]?
135
136
Cf. cur. 2.43 #A’ Ρ κ σ, τ φ!., µ .µ λ « $ »,
λ κ κ %κ /! '" κ ) λ φ), /= e« ^« .*Ω
)« .!« « $φ0«, µ 9.
« 1« λ « $=; ν $1,
Ρ M()«
3
#I!( ² « %0( /λ ( %
λ
=φ( λ φ.φ( %*«;
Anspielung auf Hom. Il. 21.196.
Theodoret (Th 326–337)
275
Attribute
Datierung (Moses ist älter als die ältesten Dichter und Thales)
Philosoph
Funktion der Bezugnahme
Warum sich Theodoret bei seiner chronologischen Argumentation gerade
auf einen der größten Kritiker der christlichen Religion, den Philosophen
Porphyrius, beruft, wird aus einer Bemerkung aus dem vorausgehenden
Kontext deutlich (cur. 2.43): „Wenn ihr auch jetzt noch daran zweifelt und
annehmt, dass wir diese Argumentation erfunden haben, soll euch nun Porphyrius ein brauchbarer Zeuge (0« $=8(«) sein, der ein Vorkämpfer der Gottlosigkeit war und seine zügellose Zunge gegen den Gott des
Universums in Bewegung gesetzt hat.“137 Indem sich Theodoret also explizit auf Porphyrius und dessen Schrift gegen die Christen138 beruft, versucht
er die Glaubwürdigkeit seiner Darlegung zu bekräftigen.
Der große Unterschied, den Theodoret mittels der chronologischen Argumentation zwischen Moses und den griechischen Dichtern und Philosophen
markiert, ist zunächst ein quantitativer im Hinblick auf die Chronologie,
d.h. dass Moses zeitlich viel früher anzusetzen ist als alle anderen griechischen Dichter, Weisen und Philosophen. Theodoret lenkt jedoch im Hinblick auf Moses’ „Lehren“ die Aufmerksamkeit auf einen zweiten Aspekt,
einen qualitativen Bedeutungsunterschied, der in der metaphorischen Bezeichnung des Moses als „Ozean der Theologie“ zum Ausdruck kommt.
Diese Kennzeichnung des Moses korrespondiert mit der in cur. 2.43 angekündigten Suche nach der „klaren und durchsichtigen Quelle“. Die in Anspielung auf Homer geäußerte Formulierung „von dem alle Flüsse und das
gesamte Meer hervorgegangen sind“139 unterstreicht mit Hilfe der ‚archaischen Wortwahl‘ das Alter und die Ursprünglichkeit der ‚mosaischen Theologie‘ und damit der biblischen Tradition. Auf diesen für Theodoret entscheidenden Punkt weist er auch im darauf folgenden Kontext (cur. 2.51)
hin, wenn er über die Theologie des Moses im Vergleich mit derjenigen eini-
137
138
139
Cur. 2.43 E9 ’ D λ " /0' λ %.0 π»« µ .
%.*0, Pφ« " 1 0« $=8(« D(, χ« )« $*!«
« %8« " L" Ρ.( κ $. /!
.
.
Cf. cur. 2.43–44 #A σ " " .«, / g« ’ π
=φα Cf. dazu Porphyrius Chr. 4 bei Eusebius PE 1.9.21, 10.9.12, Kommentar zu Th 326 und Meredith (1980) 1125–1137.
Cf. Hom. Il. 21.196.
276
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
ger griechischer Philosophen (Anaxagoras, Pythagoras, Platon und Sokrates) zusammenfassend die These vertritt:
Doch Moses, der Göttlichste, hat seine Theologie nicht niedergeschrieben, indem er menschlichen Gedanken folgte wie diese, sondern indem er
auf die Stimme des Seienden selbst, die er klar vernahm, hörte.
M()«
3
ξ ² «, .1« $(%!« 4%« 0%
^, κ .! =?, $..’ )« /
« )« " `«
/%« φ()«α […]140
Während Theodoret also die Inhalte der Theologie der griechischen Weisen
und Philosophen auf deren eigene menschliche Vorstellungen und Gedanken zurückführt, hebt er bei Moses das klare Vernehmen der Stimme des
Seienden selbst hervor.
*
Theodoret, Graecarum affectionum curatio 4
Insgesamt fünf Bezugnahmen auf Thales finden sich im vierten Buch, in
dem es um die Materie und den Kosmos geht.141 Theodoret versucht zu zeigen, wie die christliche Kosmogonie der des Platon und aller anderen Philosophen bei weitem überlegen sei.142 Im Hinblick auf die herangezogenen
Quellen gebraucht Theodoret im vierten Buch besonders häufig Texte der
Placita-Literatur.143
140
141
142
143
Cur. 2.51.
Cur. p.7. >H ξ 0 %λ )« J.« λ " κ % D8 λ
! κ π %..)
)« P.0(« λ Ν..(
%%(.
Cf. zu den Meinungen der Philosophen und zur Argumentation des vierten Buches
insgesamt die Untersuchung von Ninci (1977) bes. 21–31, die auch eine italienische
Übersetzung dieses Buches (107–137) enthält.
Cf. zur Placita-Literatur bei Theodoret Raeder (1900) 82ff., Schulte (1904) 97–101,
Mansfeld/Runia (1997) 77, 168, bes. 272–290, für die Debatte mit Lebedev 333–338
sowie insgesamt die wertvollen Beobachtungen von Frede (1999) 138–149.
Im Folgenden verwende ich in Anlehnung an Mansfeld/Runia (1997) und (2009) die
folgenden Abkürzungen: P (= Ps.-Plutarch, Placita philosophorum), S (= Stobaios,
Eclogae physicae) und A (= Aëtios).
Theodoret (Th 326–337)
277
Kontext zu Th 331–335
Vor seiner Darlegung der verschiedenen Lehrmeinungen der Philosophen
erläutert Theodoret, von welcher Überzeugung er geleitet wird. Er ist davon
überzeugt (cur. 4.4),144 dass die Philosophen über die sichtbare Schöpfung
()« ²)« % !(«) weder der Wahrheit entsprechende noch miteinander übereinstimmende Meinungen vortrugen (/=). In metaphorischer Redeweise spricht Theodoret darüber, dass sich die Philosophen wie
(0%) in einem Nachtgefecht in mehrere Gruppen aufgespalten und
sich gegenseitig für Feinde (³« %.!«) gehalten hätten. Theodoret erscheint es nützlich, deren Meinungen (=«) im Folgenden den Glaubenslehren ( ) der Heiligen Schrift ()« !« φ)«) gegenüberzustellen. Mit dieser Strategie versucht Theodoret in Anspielung auf einen
Vers aus dem Buch der Weisheit 9,14 aufzuzeigen, dass „die Überlegungen
der Menschen armselig sind und ihre Gedanken unsicher schwanken“.145
Thales wird bei den folgenden Themen genannt: zur Frage nach dem Prinzip und der Beschaffenheit der Materie (cur. 4.13 = Th 331), zur Frage nach
der Pluralität oder Einheit der Welt (cur. 4.15–16 = Th 332), zur Beschaffenheit der Sterne (cur. 4.17 = Th 333) sowie der Beschaffenheit von Sonne
und Mond (cur. 4.21 = Th 334 und cur. 4.23 = Th 335).
Th 331 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 4.13
Kλ κ J. L.)« ξ λ P« λ #A=« λ
>H0.« λ ² (=
²µ« %κ λ $..(κ λ
qκ Dφ ρ.
Th 331 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 4.13
Thales, Pythagoras, Anaxagoras, Heraklit und der Schwarm der Stoiker sagten, dass die Materie umwandelbar, veränderbar und im Fluss sei (vgl.
Th 151).
Attribut
Materie: Die Materie ist wandelbar, veränderbar und im Fluss
144
145
Cf. cur. 4.4 #E%κ ξ λ )« ²)« % !(« Κ $.) Κ κ =)
(0
$..&.« /=, $..’ 9« %..« 0% / 8!)
!
!«, $..&.« ³« %.!« $ 8, % ρ λ «
( / )
( %1 =« λ )« !« φ)« %1 λ 1=! Ν«, ³« „.λ $;%( .!, λ /%φ.1« ¹ /%!
e φ« « π« F.
“, 9
Cf. Wsh 9,14.
278
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Funktion der Bezugnahme
Der Dissens entsteht an der konkreten Stelle cur. 4.13 (Th 331) und dem darauffolgenden Kontext dadurch, dass zwei entgegengesetzte Ansichten über
die grundlegenden Eigenschaften der Materie (J.) referiert werden. Die
erste Gruppe (namentlich Thales, Pythagoras, Anaxagoras, Heraklit und die
Stoiker) vertritt die These, dass der Materie die folgenden drei Eigenschaften zugeschrieben werden können:
(a) (um)wandelbar
(b) veränderbar
(c) fließend bzw. im Fluss.
Die zweite Gruppe (Demokrit, Metrodoros und Epikur) vertritt demgegenüber in cur. 4.13 die These, dass die Atome und das Leere „unveränderlich“
bzw. nicht affizierbar ($%)) seien.146 Der Begriff $%) scheint jedoch
gerade die anderen drei zuvor angeführten Eigenschaften der Materie auszuschließen. Beide Aussagen können nicht zugleich wahr sein.147
*
Th 332 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 4.15–16
O ξ / « φ(!)
%.!9
, $.. $ 1« Ν..«
/8&. Kλ κ µ L.)« ξ λ P« λ
#A=« λ P!« λ M.« λ >H0.« λ
P.0( λ #A.« λ Z&( U ρ =(.α
#A=!« ξ λ #A=« λ #A8.« λ mφ0« λ
« λ %%« λ « λ #E%!« %..@« ρ
λ $%!« /=. [16] Kλ ¹ ξ φ) " ρ, ¹ ξ
4)α λ ¹ ξ .
«, ¹ ξ 8" ! %1α λ
¹ ξ D?8 λ D%, ¹ ξ %0% Ν?8α λ ¹ ξ
’ /%! , 8, ¹ ξ $ %.
« λ
$!α λ ^ ξ φ, /1 ξ Νφ.
146
147
Cf. cur. 4.13 « ξ λ M(« λ #E%!« $%) Ν λ
µ µ %.
Zum Vergleich des Textausschnittes bei Theodoret bezüglich der angeführten Namen
mit dem Lemma %λ J.« (Über die Materie) 1.9.2–3 bei Ps.-Plutarch (= P) und
Stobaios (= S) cf. Diels (1879) 307–308. Theodoret hat bei der ersten Gruppe allein
Anaxagoras, Heraklit steht auch bei S; bei der zweiten Gruppe führt Theodoret nach
Demokrit allein auch Metrodoros und Epikur auf.
Theodoret (Th 326–337)
279
Th 332 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 4.15–16
Nicht nur darin148 waren sie ganz unterschiedlicher Ansicht, sondern auch in
anderen Dingen. Thales, Pythagoras, Anaxagoras, Parmenides, Melissos,
Heraklit, Platon, Aristoteles und Zenon stimmten überein, dass es eine
einzige Welt gebe. Anaximander, Anaximenes, Archelaos, Xenophanes,
Diogenes, Leukipp, Demokrit und Epikur waren der Ansicht, dass es viele
und unendliche [Welten] gebe. Und die einen [meinten, dass sie] kugelförmig sei, die anderen andersförmig; die einen, dass sie wie ein Mühlrad, die
anderen wie ein Wagenrad herumwirble. Die einen hielten sie für beseelt
und mit Pneuma [Atem, Hauch] versehen, die anderen für gänzlich unbeseelt. Die einen meinten, sie sei mit Vorsatz entstanden, nicht im Laufe der
Zeit, die anderen, sie sei gänzlich unentstanden und ohne Ursache. Die
einen hielten sie für vergänglich, jene wieder für unvergänglich.
Attribut
Welt: Es gibt eine Welt
Funktion der Bezugnahme
In cur. 4.15 stellt Theodoret fest, dass sich die Philosophen nicht nur im
Hinblick auf die Materie und das Leere völlig uneinig waren (φ(!)
149
%.!9
), sondern auch in anderen Dingen. Seine Darlegung führt zum
nächsten Thema über: den entgegengesetzten Meinungen über die Anzahl
der Welten.150
Der Dissens entsteht in cur. 4.15–16 dadurch, dass die erste Gruppe
(angeführt von Thales, Pythagoras, Anaxagoras, Parmenides, Melissos,
Heraklit, Platon, Aristoteles und Zenon) die These vertritt, dass es nur
eine (U) Welt gebe.151 Theodoret betont die Einigkeit der Philosophen in
dieser Frage (=(.), die nun mit der entgegengesetzten These
(#A=!« ), dass es viele und unendliche Welten gebe
(%..@« ρ λ $%!«), kontrastiert wird. Diese Meinung wird der
zweiten Gruppe (Anaximander, Anaximenes, Archelaos, Xenophanes, Diogenes, Leukipp, Demokrit und Epikur) zugeschrieben.152
148
149
150
151
152
Über die Materie, das Leere.
Cf. cur. 4.15 O ξ / « φ(!)
%.!9
, $.. $ 1« Ν..«
/8&.
Cf. auch den Kommentar zu Kyrill Th 377.
Cf. Ps.-Plutarch Th 155.
Zu einem makro- und mikroskopischen Vergleich des theodoretischen Textausschnittes mit dem Lemma %λ (Über die Welt) bei P 2.1.2–3, S und einer Rekon-
280
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Es folgen in cur. 4.16 weitere unterschiedliche Meinungen, die Eigenschaften der Welt wie z.B. ihre Gestalt, Bewegung, Entstehung und Vergänglichkeit betreffen;153 die Positionen und Thesen werden jedoch ohne Angabe
von Namen angeführt.
*
Th 333 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 4.17
Kλ @« $« ξ L.)« ξ ;« λ /%« k.
Th 333 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 4.17
Thales benannte die Sterne als erdartig und feurig.
Attribut
Natur der Gestirne: Die Sterne sind erdartig und feurig
Funktion der Bezugnahme
In cur. 4.17 präsentiert Theodoret verschiedene Meinungen zur Substanz
und Beschaffenheit der Sterne bzw. Himmelskörper.154 Thales wird an erster Stelle aufgeführt mit der These, die Sterne seien erdartig und feurig (;« λ /%«).155 Auf diese Aussage folgen Meinungen weiterer frühgriechischer Philosophen, die den teils nur durch kleine Unterschiede in der
Formulierung bedingten Dissens in dieser Frage hervorheben. Die folgende
Auflistung veranschaulicht die angeführten Meinungen in cur. 4.17–20:
Thales:
Anaxagoras und Demokrit:
Diogenes I:
Anaximander:
Diogenes II:
153
154
155
156
erdartig und feurig
Felsgestein
dem Eruptionsgestein ähnlich
Aufschichtung der Luft, mit Feuer ausgefüllt
Steine156
struktion und Übersetzung des A (= Aëtios) cf. Mansfeld/Runia (2009) 306–322, für
Theodoret bes. 309–310, für A 318–320.
Cf. dazu Diels (1879) 329–332 und Mansfeld/Runia (2009) 324, 331–336, 339, 344,
351–352, 362–364.
Cf. dazu Diels (1879) 341–343, P 2.13.1ff. (T!« π ! Ν(, %.
λ
$%.
) und Mansfeld/Runia (2009) 453–468, zur Verwendung des Terminus
„Himmelskörper“ („heavenly bodies“) ebd. 453 Anm. 272.
Cf. Ps.-Plutarch Th 157.
Cf. dazu Mansfeld/Runia (2009) 457, 461.
Theodoret (Th 326–337)
Platon:
Aristoteles:
Xenophanes:
Herakleides (u.a. Pythagoreer):
281
Feuer und andere Elemente
Fünftes Element
Wolken, die in Brand geraten
ein zugrundeliegender Kosmos aus Erde
und Luft.157
*
Th 334 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 4.21
Kλ λ µ S. λ κ .& […] L.)« ξ ; […].
Th 334 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 4.21
Thales aber sah die Sonne und den Mond als erdartig an.
Attribut
Sonne und Mond sind erdartig (vermutlich hier nur: die Sonne)158
Kontext und Funktion der Bezugnahme
In cur. 4.21 präsentiert Theodoret verschiedene Meinungen über die Beschaffenheit von Sonne und Mond (µ S. λ κ .&).159 Im
Anschluss an (i) Xenophanes, der Sonne und Mond als in Brand geratenes
Gewölk (φ ρ %%() bestimmt haben soll, folgen (ii) Anaxagoras, Demokrit und Metrodoros, die sie als glutflüssiges Eisen oder
glühendes Gestein ( ν % 0%) bezeichnen. Darauf folgt
(iii) Thales mit der These, dass sie erdartig (;) seien, und (iv) Diogenes, der sie als dem Eruptionsgestein ähnlich ()) bezeichnet.
157
158
159
Zum Vergleich des theodoretischen Textausschnittes mit dem Lemma bei P 2.13.1ff.,
S und der Rekonstuktion des A cf. Diels (1879) 341–343 und Mansfeld/Runia
(2009) 453–468, für Theodoret bes. 456–457, zur Rekonstruktion und Übersetzung
von A 466–468.
Runia, Mansfeld/Runia (2009) 518, bemerkt zu Recht: „T(heodoret) commences by
speaking of both the sun and the moon. But it seems that he has only coalesced the
views of Xenophanes on the two planets, and that from T2 onwards he speaks about
the sun only (he returns to the moon in 4.22).“
Cf. cur. 4.21 Kλ λ µ S. λ κ .& ² mφ0« φ ρ
%%( φ!α #A=« ξ λ « λ M(« ν
% 0%α L.)« ξ ;, ) ξ «α ² ξ #A.«
φ1 ρ / " %% ;« =
α ² ξ P.0( µ ξ %.1 D8 / " %«, 8 ξ λ Ν..( (0(. R..« ξ ² P
)
( %µ« κ $,
« .), 8 ξ " / )
" ξ %µ« π»« φ
« λ κ $., 9;. 0= /%8·
282
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Theodoret referiert weitere Meinungen, die Aristoteles, Platon, und Philolaos zugeschrieben werden. Im Anschluss an Philolaos bemerkt er, dass andere jedoch wiederum anderes (U ξ U Ν) darüber gelehrt hätten. Er ist der Meinung, dass es überflüssig (%) ist, dies weiter
auszuführen, um sich nicht an denselben Haarspaltereien zu beteiligen ()«
)« .08( !«).160 Aus dieser Äußerung wird klar, dass Theodoret mehr Material zur Verfügung stand als das, was er an dieser Stelle
letztlich für seine Zwecke in den Argumentationsverlauf aufnimmt.161
*
Th 335 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 4.23
Kλ %λ .&« ξ ²!(« ."α ; ξ κ ² L.)« φ, #A=« ξ λ P!« λ >H0.« / =0 %«.
Th 335 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 4.23
Und über den Mond schwatzen sie gleichermaßen: Erdartig nämlich sei er,
sagt Thales. Anaximenes, Parmenides und Heraklit nahmen an, dass der
Mond allein aus Feuer bestehe.
Attribut
Mond: Der Mond ist erdartig
Funktion der Bezugnahme
Nachdem Theodoret in cur. 4.22 auf den großen Streit zwischen den Philosophen (%..κ % ’ 1« 08) bezüglich der Größe und Gestalt
(« ξ % λ 8&«) der Sonne zu sprechen gekommen ist
und einige einander gegensätzliche Ansichten referiert hat,162 behauptet er
in cur. 4.23, dass die Philosophen in der gleichen Art und Weise über den
Mond „schwätzen“ (λ %λ .&« ξ ²!(« ."). Die abwertende Haltung Theodorets gegenüber den naturphilosophischen Thesen der
160
161
162
Cur. 4.21–22 λ U ξ U Ν %λ /=, ψ %µ ρ
., o κ )« )« .08( !«.
Cf. auch Mansfeld/Runia (2009) 519: „His closing remark indicates that he has not
cited all the views in the text before him.“ Zum Vergleich des theodoretischen Textausschnittes mit dem Lemma bei P 2.20.1ff., S und der Rekonstuktion des A cf. Diels
(1879) 348–351 und Mansfeld/Runia (2009) 514–533, für Theodoret bes. 518–519,
zur Rekonstruktion und Übersetzung von A 529–532.
Cf. dazu Mansfeld/Runia (2009) 536–537, 543–544, 549, 551.
Theodoret (Th 326–337)
283
Philosophen zeigt sich bereits in der Wahl des Verbs ." (dt. schwätzen, plappern; LSJ s. v. .(, talk nonsense, trifle, prate).163 Auch bei diesem Thema demonstriert Theodoret sogleich einen Dissens, wie die folgende Übersicht zu cur. 4.23164 zeigt:
Vertreter
Meinung zur Beschaffenheit des
Mondes
Thales:
erdartig
Anaximenes, Parmenides, Heraklit: allein aus Feuer bestehend
Anaxagoras, Demokrit:
ein feuerdurchglühter Körper, auf
dem es Ebenen, Berge und Täler gibt
Pythagoras:
ein felsiger Körper
Herakleides:
dichtumwölkte Erde
Es ist zu bemerken, dass Theodoret nicht weiter auf den Dissens z.B. zwischen der ersten, dem Thales zugeschriebenen These („der Mond sei erdartig“), der zweiten („der Mond bestehe allein aus Feuer“) und der übrigen
eingeht. Er belässt es bei der gezielten Aufzählung von sich widersprechenden Thesen und geht in cur. 4.23 unmittelbar zu den unterschiedlichen Meinungen über die Größe des Mondes über.165
Zwei Aspekte möchte ich abschließend hervorheben: erstens Theodorets
auf nicht-christliche Autoren und Zitate gestützte Kritik an den naturwissenschaftlichen Fragestellungen und spekulativen Meinungen der Philosophen; im Zentrum steht dabei erneut die Berufung auf Sokrates als deren
Kritiker, zweitens sein Verweis auf drei nicht-christliche Autoren sowie
namentlich deren Werke, die grundsätzlich die Argumente von Theodorets
Beweisführung stützen: Aëtios, Ps.-Plutarch und Porphyrius.
(1) Theodoret bringt in cur. 4.24 und cur. 4.25 explizit zum Ausdruck,
dass er von den Forschungen und Meinungen der Philosophen nicht viel
hält. Er stellt die rhetorische Frage (cur. 4.24), ob man auch noch aufzählen
müsse, was die Philosophen für Geschichten über die Phasen, Eklipsen und
163
164
165
Cf. dazu Diels (1879) 355–357 und Mansfeld/Runia (2009) bes. 577, 585–586.
Cur. 4.23 Kλ %λ .&« ξ ²!(« ."α ; ξ κ ² L.)«
φ, #A=« ξ λ P!« λ >H0.« / =0
%«α #A=« ξ λ « ( 0%, D8 / 4)
%! λ ` λ φ0«α ² ξ P« %
« α >H.!«
ξ ) \!8.9
%8α […].
Cf. dazu Diels (1879) 357 und Mansfeld/Runia (2009) 588–593.
284
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Entfernungen des Mondes fabelten (.").166 Er macht ihnen den
Vorwurf, dass sie sich zwar rühmten, die Höhe der Luft und des Äthers genau zu kennen (φ
« 9 φ.), dass sie sich jedoch nicht
schämten, die Tiefe des Meeres nicht zu kennen, obwohl sie doch eine Angelschnur oder ein Seil dort hinablassen könnten. Theodoret wirft ihnen
schließlich die Nutzlosigkeit ihrer Unternehmung vor, die er mit einer Bezugnahme auf Aischylos (Pr. 44)167 unterstreicht:
Das, was ohne Nutzen ist, erforsche nicht vergeblich!168
ξ kφ." κ '& 0.
Im Anschluss an dieses Zitat behauptet Theodoret (cur. 4.25),169 dass jede
einzelne dieser Fragen, auch wenn sie zu beantworten wäre (9 λ µ
f), doch ganz ohne Nutzen ($ %0%) sei.170 Derartige Studien sind für Theodoret nur vergebliche Mühe (0 %) und Verschwendung der freien Zeit an Unnötiges (9« ξ κ 8.κ).171
Als bedeutenden Kritiker derjenigen, die sich mit solchen Fragen befassten,
führt Theodoret Sokrates an (cur. 4.26): Sokrates habe die Einsicht gehabt
und sich von den ‚Höhen‘- und Naturforschern ((.« λ φ.«) abgewandt, um sich der ethischen Unterweisung (κ κ
.!) zuzuwenden.172 An dieser Stelle folgen (im Unterschied
zur der bloßen Ankündigung in cur. 2.11–12) zwei längere Zitate aus den
Memorabilien (mem. 4.7.6, cf. Eusebius PE 15.62.6, und mem. 1.1.11–14,
cf. Eusebius PE 15.62.1–4), mit denen Theodoret diese Geisteshaltung des
Sokrates zu illustrieren versucht. Er betont abschließend (cur. 4.30), dass
Xenophon und Sokrates – „keiner der Unsrigen“ (λ« π() –,
hervorragende Griechen, diese Anschauungen vertraten.173
166
167
168
169
170
171
172
173
Cf. cur. 4.24 Kλ ! 1 ., Ρ /1 80( % λ /.!?( λ
0( .";
Cf. auch Clemens str. 5.1.5.
Cf. auch Canivet (2000) 210: „Ne cherche pas en vain ce qui ne sert à rien.“
Cur. 4.25 T( ξ U 9 λ µ f, $ %0% f.
Cf. LSJ s. v. $«, unprofitable.
Cur. 4.25–26 Kλ ^ κ $1 0 $8 % λ 9« ξ
κ 8.κ $.!.
Cf. cur. 4.26 T" κ =
² (0«, (.« λ φ.«
/
φ0«, κ κ .! %0. Kλ " &.( ²
mφ
/ 1« #A%, .( ³!α […].
Cur. 4.30 T" @« (.8« λ« π( /0?, $..
mφ
λ (0«, >E..&( ¹ Ν.
Theodoret (Th 326–337)
285
(2) In cur. 4.31 äußert sich Theodoret vorbeugend gegen den möglichen
Einwand, dass er die Philosophen fälschlich verleumde, wenn er ihren großen Dissens aufdecke. Er verweist namentlich auf drei nicht-christliche Autoren, deren Werke man lesen solle ($;():
Wenn nun einer meint, dass ich diese Männer verleumdet habe, indem
ich die völlige Unstimmigkeit unter ihnen bewiesen habe, der soll zum
einen (a) die Zusammenstellung der Placita des Aëtios lesen, (b) zum anderen den Auszug des Plutarch Über die Lehrmeinungen der Philosophen und es lehrt auch (c) die Geschichte der Philosophie des Porphyrius
vieles Derartige.
E9 « F $ξ φ) @« Ν«, κ %%..
φ(! /.=, $;( ξ (a) #A! κ Pλ
$( =(&, $;( ξ (b) P.08 κ Pλ 1« φ.φ« =0( /%&α λ (c) Pφ! ξ π R.φ« ¹! %.. " 0.
Um sich mit dem großen Dissens der Philosophen untereinander vertraut zu
machen, empfiehlt Theodoret die Lektüre von drei Werken: (a) Aëtios’
Sammlung von Placita, (b) des Ps.-Plutarch Auszug über die Lehrmeinungen
bei den Philosophen174 und (c) Porphyrius’ Geschichte der Philosophie.175
Diese Werke sollen die Plausibilität seiner Argumentation unterstützen.176
*
174
175
176
Cf. Eusebius PE 14.13.9, der jedoch das Werk mit leicht verändertem Titel als Pλ
$( 1« φ.φ« φ
0( bezeichnet. Kyrill von Alexandrien hingegen spricht in Juln. 2.14 (= Kommentar zu Th 377) von P.8«
)
( **.!)
( )« !, $κ % ’ 1« Ν« ;«, / )
‚R
0(‘ ()« […].
Cf. zu Aëtios auch cur. 2.95 und cur. 5.16 sowie Diels (1879) 45–48, Mansfeld/Runia
(1997) und (2009), Frede (1999) 144–149 und Zhmud (2001) 219–243; zu Ps.-Plutarch Diels (1879) 1–43 und Mansfeld/Runia (1997) bes. 121–195; zu Porphyrius
auch cur. 2.95–96, Canivet (1958) 270–271, Frede (1999) 144–147, Smith (1993)
220–248 und den Kontext zu Theodoret Th 336.
Cf. dazu Mansfeld/Runia (1997) 272–290 sowie die komplexe und wertvolle Analyse
zu Theodoret von Frede (1999) bes. 138–149. Zu cur. 4.31 bemerkt Frede ebd.
146–147: „And we should remember that even in IV,31 T(heodoret) does not claim to
have based his account on these sources, but just invites the reader to consult these
sources, if they are in doubt about T’s claims. Again the suggestion is that Aetius is
not so entirely obscure as to make this invitation seem strange. The curious repetition
of the three names in conjunction might suggest that T thinks of these three works as
some of the main sources for Greek philosophy of nature available.“
286
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Theodoret, Graecarum affectionum curatio 5
Im Mittelpunkt des fünften Buches steht die Diskussion um die menschliche
Natur (Pλ ξ )« " $;% φ(«). Theodoret behandelt darin die
Unterschiede zwischen der christlichen und der nicht-christlichen Lehre.177
Kontext zu Th 336 / Th 337
In cur. 5.16 kommt Theodoret aufgrund der zuvor referierten unterschiedlichen Meinungen von Dichtern und Philosophen über den Ursprung der
menschlichen Natur und das Verhältnis von Leib und Seele zu dem Urteil,
dass sie sich nicht nur untereinander ( $..&.«) widersprechen,
sondern auch jeweils selbst Widersprüchliches bezüglich derselben Dinge
(λ φ! 1« %λ /!) geschrieben haben.178 Um den
großen Streit (%..κ […] D) unter den Philosophen zu erkennen,
möchte Theodoret noch einmal aufzeigen (cur. 5.16), was (!) die „hochberühmtesten“ der Philosophen über die Seele (%λ ?8)«) meinten und
wie sie „der eitle Ruhm“ (π κ =) aufgebracht habe, im Streit zu
kämpfen.179 Interessant ist die folgende Formulierung, mit der Theodoret
seine Darlegung der verschiedenen Meinungen einleitet (cur. 5.16):
Was ich aber mit der Hilfe Gottes aufzählen (auch: auswählen!) werde,
sage ich aufgrund der Schriften des Plutarch, des Porphyrius und freilich
auch des Aëtios.
&A =@ L)
.=(, / P.08)
( λ Pφ!)
( λ λ #A!)
( =( /
.
Die Angabe dieser nicht-christlichen Autoren, die Theodoret bereits im
vierten Buch180 mitsamt ihren Werken angeführt hatte, kann im Interesse der
Glaubwürdigkeit seiner Argumentation verstanden werden.
177
178
179
180
Cur. p.8. Pλ ξ )« " $;% φ(« π %% µ $
, λ
« >E..« =« λ « X« /%" λ Ρ φ(µ« λ
« 0 µ 0φ.
Cur. 5.16 ξ σ ( φ
« D(, ³« $..&.«, $.. λ
φ! 1« %λ /! φ&α
Cf. cur. 5.16. Dazu Canivet (2000) 230–231, Clemens str. 5.1.11.1ff., Eusebius PE
15.62.14 und Diels (1901) 189.
Cf. Kommentar zu Th 335.
Theodoret (Th 326–337)
287
Th 336 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 5.17
L.)« ! . κ ?8κ $! φ.
Th 336 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 5.17
Thales nannte die Seele von Natur unbewegt (vgl. aber Th 165).
Attribut
Seele: Die Seele ist von Natur unbewegt181
Funktion der Bezugnahme
Es folgt der erste Dissens (cur. 5.17) über die Seele:182
1
2
3
4
5
6
L.)« ! . κ ?8κ $! φα
#A.183 ξ κ ! Fα
² P« $µ 4µ "α
=φ; ξ )
.)
( λ m0«α
² ξ P.0( ! κ /= 4)« &α
² ξ !« /.8 %; ;« φ" \",
0 '(κ D8«α /.8 ξ κ / .α
Nach der Position des Stagiriten geht Theodoret unmittelbar zu Thesen
über, die auf die Frage antworten, ob die Seele ein Körper und welches
ihre Substanz sei.184 Besonders bemerkenswert an diesem doxographischen
Abschnitt ist die These, die Thales zugeschrieben wird, weil sie im Vergleich zu Ps.-Plutarch (Th 165), Nemesios (Th 323) und Stobaios (Th 360)
einen klaren Unterschied erkennen lässt. Während Theodoret Thales
zuschreibt, dass er von einer $! φ – einer „unbewegten Natur“
der Seele oder von „einer von Natur unbewegten“ Seele – spreche, überliefern Ps.-Plutarch und Stobaios die folgende Thales zugeschriebene
Disjunktion: L.)« $%φ& %
« κ ?8κ (φ)185 $!
181
182
183
184
185
Cf. dagegen Ps.-Plutarch Th 165, Nemesios Th 323 und Stobaios Th 360.
Cf. dazu Diels (1879) 386–387, P 4.2 (*2. Pλ ?8)«).
Während es bei P keinen äquivalenten Eintrag gibt, ist bei S von „Alkmaion“ die
Rede, cf. dazu Diels (1879) 386. Mansfeld (1990) 3065 Anm. 16, bemerkt dazu: „But
Theodoret, who in his abstracts preserves important details and even whole lemmata
lacking in both ps.Plutarch and Stobaeus, as a rule omits quite a few items and here
and there seems to provide arrangements of his own. He also allows himself stylistic
felicities.“
Cf. dazu Diels (1879) 387–389, P 4.3. 2. E9 π ?8κ λ !« π ! )«.
φ nur bei P 4.2.1, nicht bei S.
288
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
ν !. Nach diesen beiden Autoren habe Thales als Erster behauptet, dass die Seele immer bewegt ($!) oder selbst bewegt
(!) sei. Bei Nemesios Th 323 hingegen sind die beiden Adjektive durch die Konjunktion ! verbunden: L.)« […] κ ?8κ Dφ
$! λ !.
Canivet folgt186 bei seiner Übersetzung der handschriftlichen Überlieferung, die klar $! bezeugt und er bemerkt dazu: „[…] nous nous
garderons de la remplacer ici par l’ $! de Plutarque et de Stobée,
représentants du doxographe Aétios.“187
Wo könnte ein möglicher Grund für diese Abweichung bei Theodoret
liegen?
(a) Ein Grund für die Abweichung an dieser Stelle könnte darin liegen,
dass Theodoret einen anderen Text bzw. eine andere Quelle als Ps.-Plutarch
und Stobaios vor sich hatte. (b) Ein Abschreibefehler wäre ebenfalls denkbar. (c) Doch eine andere Erklärung scheint mir gerade vor dem Hintergrund, wie Theodoret insgesamt in seinem Werk mit dem doxographischen
Material verfährt, nicht unwahrscheinlich.188 Mansfeld/Runia bemerken zu
Recht in ihrer Analyse von Theodorets Methode zur Paraphrase und Adaptation der doxai, dass er im Vergleich zu Eusebius „extremly free in his
use of the Placita“189 sei. Charakteristisch für Theodoret scheint mir auch
die folgende Einschätzung, die ich ebenso teile: „He (sc. Theodoret) has a
clear and fixed purpose in mind, in the light of which many, if not all, of
his changes are motivated.“190 Vor diesem Hintergrund halte ich die These
für wahrscheinlich, dass Theodoret absichtlich anstelle der Disjunktion
($! ν !), die er möglicherweise in seinen Quellen vorfand, den Terminus $! wählte, um einen offenkundigen Dissens zur
zweiten (!) und dritten These (4µ ") zu ‚konstruieren‘. Anstatt sogleich von einer ‚Konstruktion‘ zu sprechen, könnte man
diesen Fall auch als eine bewusste Auslassung von Informationen und Kürzung im Interesse sowohl des angekündigten „großen Dissenses“ als auch in
Übereinstimmung mit der gesamten Tendenz seines Werkes einstufen.
*
186
187
188
189
190
Cf. auch Müller (2006) 181 mit seiner Übersetzung „Unbewegte Natur“ und Wöhrle
(2009).
Canivet (2000) 231 Anm. 1.
Cf. zu Theodorets Methode Mansfeld/Runia (1997) 276–284 und 289–290 sowie
Frede (1999) 139–149.
Mansfeld/Runia (1997) 278. Cf. ebd. 289.
Mansfeld/Runia (1997) 282.
Theodoret (Th 326–337)
289
Th 337 Theodoret, Graecarum affectionum curatio 5.44–45
T λ =φ1« λ φ.φ λ %λ λ ?8)« % λ
;« λ )« )« " $;% =0(« %µ« $..&.«
/8& D λ 08, ¹ ξ ", ¹ ξ /1 %*«,
¹ ξ ( $!( /! = k!«. O $.ξ«
1 /%, $.. =!)
λ φ.!)
.« λ .) 0( /%. [5.45] κ " λ
µ %.@ %& %.0, J /%( $φ( %*( « =«. Kλ #A=!« ,
.&« Q " L0.(, 1« /!« /8& α λ
#A=« ξ µ #A=0 0 µ " %%!α λ #A=« ξ ³(«.
Th 337 Theodoret, Heilung der griechischen Krankheiten 5.44–45
Die Schriftsteller, Philosophen und Dichter befanden sich in einem so großen Streit und Kampf untereinander über Seele, Körper und selbst über die
Zusammensetzung des Menschen, wobei die einen dieses, die anderen jenes
bevorzugten, andere wiederum eine Lehre ausbrüteten, die sowohl den
einen als auch den anderen widersprach. Denn sie begehrten nicht die Wahrheit zu erkennen, sondern, indem sie der Selbstgefälligkeit und Ruhmsucht
sklavisch dienten, begehrten sie als Erfinder neuer Lehren genannt zu werden.191 [45] Daher haben sie auch das große Irren geduldig ausgehalten, wobei die Nachgeborenen die Lehren der Älteren umwarfen. Auch Anaximander hielt sich nach Thales’ Tod an entgegengesetzte Ansichten. Nach
Anaximanders Tod machte das Anaximenes ebenso; und ebenso Anaxagoras.
Attribute
Thales-Anaximander
Anaximander hielt sich nach dem Tod von Thales an entgegengesetzte
Lehren
Funktion der Bezugnahme
In cur. 5.44 lenkt Theodoret mit einer auffälligen Hyperbaton-Konstruktion
( […] D) nochmals die Aufmerksamkeit auf den großen Streit
und die Uneinigkeit (D λ 08) zwischen den Schriftstellern, Phi-
191
Übersetzung Schwab.
290
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
losophen und Dichtern untereinander über die Seele, den Körper und selbst
die Konstitution des Menschen. Theodoret macht ihnen den Vorwurf, dass
sie nicht begehrten ( […] /%), die Wahrheit zu erkennen
($.ξ« 1), sondern dass sie vielmehr, als Sklaven der Selbstgefäl λ φ.!)
.«), beligkeit und der Ruhmsucht (=!)
gehrten, als Erfinder immer neuer Lehren genannt zu werden (
λ .) 0(). Auf Basis dieser Vorwürfe setzt Theodoret zu
einer Erklärung (cur. 5.45 κ ") der „großen Irrtümer“ an. Er vertritt die These, dass sie deshalb das große Irren geduldig ausgehalten haben
(µ %.@ %& %.0), wobei die Nachgeborenen (
J /%() die Lehren der Älteren (
%*( «
=«) immer wieder umstürzten ($φ(). Um diese These
zu belegen, führt Theodoret exemplarisch vier Philosophen an, die im Vergleich zu ihren Vorgängern entgegengesetzte Lehren vertreten hätten: (1) So
soll sich z.B. Anaximander nach dem Tod des Thales (.&« Q
" L0.() an entgegengesetzte Lehren gehalten haben (1« /!«
/8& ). In der weiteren Sukzession werden die ‚Paare‘ (2)
Anaximander und Anaximenes (3) sowie Anaximenes und Anaxagoras und
zuletzt (4) Aristoteles als Schüler der Akademie Platons genannt. Es fällt
auf, dass Theodoret für die frühgriechischen Philosophen an dieser Stelle
keine Belege und auch keine Begründung für das angebliche Abweichen
des jüngeren Schülers von der Lehre des älteren Lehrers gibt.
Nur im Fall von Aristoteles und Platon führt er zwei Differenzen in der
Lehre an (unterschiedliche Ansichten über die Seele, Unterschiede in der
Vorsehungslehre).192 Ein Grund für dieses Vorgehen könnte darin liegen,
dass er davon ausgeht, dass der Leser durch die zahlreichen ‚Diaphonien‘ an
mehreren Stellen seines Werkes keine weiteren Belege mehr erwartet.
Zusammenfassung
Die Thales zugeschriebenen Attribute in der Argumentation Theodorets
zeigen deutlich, dass er den Großteil seiner Informationen über Thales aus
der doxographischen Literatur entnommen hat. In seiner Argumentation
nennt er ähnlich wie bereits Eusebius eine Anzahl von nicht-christlichen
Autoren und Werken. Namentlich führt er neben anderen Ps.-Plutarch, Aëtios und Porphyrius an (cf. die Kommentare zu Th 326, Th 334 und Kontext
192
Cur. 5.47 Kλ κ κ ?8κ /! φ0« $0, ^« Dφ &α λ
µ Lµ 9« /! %1 %0(, ^« κ ), Ρ e
9« .«, )« !« !« /α κ 8 .&« 9 Dφ
µ L, Ν.. %µ κ ¹ 08α
Theodoret (Th 326–337)
291
zu Th 336). Für die argumentative und rhetorische Strategie Theodorets ist
wiederum die Tatsache von Bedeutung, dass es sich bei den Autoren dieser
Werke gerade nicht um Christen handelt und im Fall des Porphyrius sogar
um einen erklärten Gegner der christlichen Religion. Theodoret verweist
seine Leser auf diese Werke, um die Glaubwürdigkeit seiner Argumentation
und deren Inhalt auszuweisen. Während Eusebius jedoch in vielen Fällen
seine Quellen zu Beginn eines Abschnittes klar benennt und diese teils
seitenweise exzerpiert, ist bei Theodoret zu bemerken, dass er zwar auch
seitenweise Placita-Material anführen kann, dieses jedoch gemäß den Anforderungen seiner Argumentation selektiert und paraphrasiert.193 Abgesehen von den genannten Werken, die er seinen Lesern als Garanten für sein
Wissen und die Schlüssigkeit seiner Argumentation empfiehlt, macht Theodoret reichen Gebrauch von seinen christlichen Vorgängern, besonders
Clemens (Th 327) und Eusebius (Th 328). In manchen Fällen zeigt erst der
genaue Vergleich (z.B. bei Theodoret Th 328 mit Eusebius Th 269) die feinen Unterschiede bei der kreativen Aneignung und Kontextualisierung z.B.
der Platon-Zitate.
Wie Clemens (Th 202, Th 204) und Eusebius (Th 262, Th 263) verwendet auch Theodoret das Attribut der phönizischen Herkunft des Thales (nach
Th 12 und Th 50) in seiner Argumentation dazu, um die nicht-griechischen
Ursprünge der griechischen Philosophie zu belegen sowie die Nähe des
Thales zum Orient plausibel erscheinen zu lassen.
Eine Besonderheit der Bezugnahmen Theodorets auf Thales und weitere
frühgriechische Philosophen ist im ersten Buch (cf. Th 326 und Th 328) zu
bemerken. Theodoret stellt darin die als früh und besonders berühmt charakterisierten griechischen Philosophen den von ihm attackierten nicht-christlichen Zeitgenossen gegenüber. Indem er die frühgriechischen Philosophen
in diesem Kontext des ersten Buches (Th 326) äußert positiv als Interessierte,
Lernwillige und den nicht-griechischen Kulturen Aufgeschlossene charakterisiert, hält er seinen nicht-christlichen Zeitgenossen einen Spiegel vor
und beurteilt diese abwertend im Vergleich mit den frühgriechischen Philosophen.
Im vierten und fünften Buch seiner curatio benutzt Theodoret eine
Vielzahl doxographischen Materials (Th 331–335), das er passend zu seiner
Argumentation und für seine Zwecke auswählt und anführt. Theodoret geht
193
Cf. zu den fünf Merkmalen von Theodorets Paraphrasentechnik Mansfeld/Runia
(1997) 279–282 und die nützlichen Einzelanalysen zum zweiten Buch des Aëtios
(specimen reconstructionis) von Runia in Mansfeld/Runia (2009) sowie insgesamt
die Beobachtungen von Frede (1999).
292
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
es dabei (explizit in Th 332) ähnlich wie bereits Eusebius um das Aufweisen
der Widersprüche (‚Diaphoniai‘) unter den Philosophen und ihren Meinungen sowie insgesamt um den Erweis der Nutzlosigkeit ihrer Forschungen.
Ein logisches Problem der argumentativen Strategie (nicht nur) bei Theodoret besteht darin, dass der Umstand allein, dass es verschiedene einander
widersprechende Meinungen gibt, noch lange nicht besagt, dass es keine
richtige geben könnte. Auch ergibt sich allein aus deren Widersprüchlichkeit nicht automatisch deren Falschheit. Es ist festzustellen, dass Theodoret
es nicht unternimmt, die Meinungen der Philosophen einzeln zu prüfen.
Theodoret argumentiert vielmehr akkumulativ und versucht dadurch zu
überzeugen.194
Wie Eusebius, so kritisiert auch Theodoret indirekt in Anspielung auf die
Figur des Sokrates in Xenophons Memorabilien (cf. Kommentar zu Th 329
ohne Zitat, Th 335 mit Zitat aus den Memorabilien) die naturphilosophischen Forschungen der frühgriechischen Philosophen.
Literatur
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Kulturen Griechenlands und Roms in der Antike, München 2000, 183–203.
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Moreschini, C., Norelli, E., Handbuch der antiken christlichen Literatur, Darmstadt
2007.
Müller, C. B., Theodoret. Die Behandlung der Griechischen Krankheit, Santiago de
Compostela 2006.
194
Cf. für die Tradition der Apologetik z.B. Tatian Th 176, Tertullian Th 216–219, Hermias Th 230, Arnobius Th 259.
Theodoret (Th 326–337)
293
Ninci, M., Aporia ed Entusiasmo. Il mondo materiale e i filosofi secondo Teodoreto e la
tradizione patristica greca, Rom 1977.
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Zhmud, L., Revising Doxography: Hermann Diels and his Critics, Philologus 145, 2001,
219–243.
294
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
4.4 Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
Im umfangreichen Werk des bedeutenden Patriarchen Kyrill von Alexandrien (von 412–444) finden sich sechs Zeugnisse über Thales.195 Alle Zeugnisse stehen im Rahmen seiner monumentalen Verteidigungsschrift Contra
Iulianum, die an den „sehr frommen und Christus liebenden Kaiser Theodosius“ (Reg. 408–450) adressiert ist.196 Nur die ersten zehn Bücher dieser
Schrift sind vollständig erhalten.197 In diesen Büchern wendet sich Kyrill
gegen die polemische Kritik Kaiser Julians (361–363) an der christlichen
Religion.198 Kyrills Apologie ist eine Erwiderung auf die nur fragmentarisch erhaltene Schrift des Kaisers Contra Galilaeos bzw. Gegen die Christen, die dieser 362/363, etwa zwei Generationen vor Kyrill, verfasst hatte.199
Eine Besonderheit von Kyrills apologetischer Schrift besteht darin, dass sie
im fünften Jahrhundert den polemischen Diskurs „gegen Julian“ fortführt
und sich damit Teile der Bücher (vor allem des ersten Buches) und der Kritik des Julian rekonstruieren lassen.200 Während sich Kyrill in den ersten
zehn Büchern Contra Iulianum mit den Vorwürfen des ersten Buches
von Julians Kritik auseinandersetzt, widmet er sich in den folgenden zehn
Büchern, die nur fragmentarisch erhalten sind, den Gegenständen des zweiten Buches von Julian.201 Für die Auseinandersetzung mit der griechischen
Philosophie in Contra Iulianum sind unter anderem folgende Quellen für
Kyrill von besonderer Bedeutung:202 die Geschichte der Philosophie des
195
196
197
198
199
200
201
202
Cf. zur Notwendigkeit einer Neuedition von Kyrills Werk Contra Iulianum Kinzig
(1997) 484–494.
Cf. T" ! K!.. $8%% #A.=!« %φ; %µ«
µ * λ φ.8 *. L. Cf. zum gesamten Werk
Malley (1978).
Cf. dazu Kinzig (1997). Zur Problematik der Datierung des Werkes Burguière/Évieux
(1985) 10–15, zur Erforschung Kyrills und zur handschriftlichen Überlieferung des
Werkes Riedweg (2000) 151–165, zu den philosophischen Argumentationsstrukturen
in Julians Contra Galilaeos ders. (1999).
Cf. zu Kaiser Iulianus den Sammelband von Schäfer (2008).
Cf. dazu die Fragmentsammlung mit italienischer Übersetzung von Masaracchia
(1990). Zum Titel Burguière/Évieux (1985) 27–29.
Der polemische Anti-Julian-Diskurs setzt 363–364 nach dem Tode Julians mit den
zwei berühmten „Schandsäulenreden“ des kappadozischen Kirchenvaters Gregor von
Nazianz ein. Cf. dazu Klein (2002) 128–155 und Schwab (2009) 19. Für weitere Autoren, die auf Contra Galilaeos reagierten, cf. Burguière/Évieux (1985) 52–58.
Cf. dazu Riedweg (2000).
Cf. Burguière/Évieux (1985) 62–65. Zur Verwendung apologetischer Quellen, dem
Gebrauch dieser Texte und Kyrills Erforschung griechischer Autoren cf. Malley
(1978) 251–261.
Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
295
Porphyrius, die Cohortatio ad Graecos203 des Ps.-Justin sowie die apologetischen Schriften früherer christlicher Autoren. Im Rahmen der chronologischen Argumentation, d.h. für die Beweisführung der Anteriorität von
Moses und der hebräischen Tradition vor der griechischen Tradition, folgt
Kyrill Wort für Wort dem Chronikon, in das ihn „sans doute“ (Burguière/
Évieux) das zehnte Buch der PE des Eusebius eingeführt hatte.204 Bei der
Auseinandersetzung der griechischen Philosophen mit der mosaischen Tradition ist Kyrill zu großen Teilen von der Cohortatio ad Graecos des Ps.Justin abhängig, während bei der Gegenüberstellung der hebräischen und
griechischen Lehren wiederum der Einfluss des Eusebius deutlich ist.205
Kyrill von Alexandrien, Contra Iulianum
Von den Zeugnissen über Thales befinden sich vier im ersten Buch, das sich
von den folgenden neun Büchern insofern unterscheidet, als es bereits für
sich genommen eine Apologie der christlichen Religion als Antwort auf die
Anklage Julians enthält. Kyrill setzt sich darin grundlegend mit dem Vorwurf Julians auseinander, dass die „Galiläer“, d.h. die Christen, Umherirrenden glichen, deren Kult sich sowohl von den mosaischen Gesetzen als
auch von der Religion der Griechen im Hinblick auf die Gebräuche und Verhaltensweisen entfernt habe. Die Christen, so die Kritik Julians, hätten sich
einen neuen Lebenswandel zwischen diesen beiden geschaffen.206 Mit dem
zweiten Buch unternimmt Kyrill die systematische Widerlegung der Schrift
Julians Gegen die Galiläer. Burguière/Évieux bemerken zusammenfassend
zur Aufteilung des Werkes: „Le Contre Julien, ce qu’il en reste tout au
moins, se présente donc sous deux aspects différents et complémentaires.
Une courte apologie répondant globalement au Contre les Galiléens sans le
citer, en montrant que la doctrine chrétienne est plus vraie et plus ancienne
203
204
205
206
Kyrill kopierte oder exzerpierte einige Passagen aus der symbuleutischen Rede des
Ps.-Justin; cf. dazu Marcovich (1990) 19.
Cf. Burguière/Évieux (1985) 62–65, 64.
Für die Methode und Auswahl von Zitaten (sowohl nicht-christlicher Autoren als
auch aus der Bibel) cf. Eusebius PE 7–15.
Cf. Juln. 1.3 Kλ "0 φ 1« #I." **.!« /8;, χ« )« "«
π
!« φκ /%& κ 0, %%.) .(
π»« λ $%φ) ξ $(« )« λ $(&(« /8« ²",
9 ξ —% %
, λ ².%(« $*. )
/%λ %0( L)
%1 .!, Κ 1« " %φ M((« « *!,
Κ κ 1« >E..&( !«, Q D! λ %«, ξ
—% λ $φ1 40 ) '(&. Cf. dazu Meredith
(1980) 1138–1149.
296
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
que la superstition des Grecs (livre I), puis la réfutation systématique du premier livre du Contre les Galiléens dont chaque fragment est suivi de la réponse de Cyrille.“207
Kontext zu Th 373
Kyrill wendet sich im ersten Buch gegen die Kritik (κ 0)
Julians an der christlichen Religion208 und versucht (Juln. 1.4) aufzuzeigen
((), dass Moses im Hinblick auf die Zeit (M( ξ /
8)
() die Würde des Ältesten zukomme ( %*1 .8). Moses
wird weiter charakterisiert (λ […] λ […] !) als (a) derjenige, der die
richtige und fehlerfreie Lehre über das unaussprechliche und höchste Wesen
von allen (%λ )« $& λ $(0( %
!«) vermittle,
(b) am besten von der Welterschaffung erzähle (%!« Ν
) und (c) ein bewunderungswürdiger Verfasser der Gesetze
sei, die zur Frömmigkeit und Gerechtigkeit führen (( 9«
* λ ).209 Die bei den Griechen hingegen „als Weise
Bezeichneten“ (@« ξ % ’ 1« k« φ«) seien
„äußerst spät und sehr jung geboren“ (« ξ 0« λ
(0«). Diese hätten sich die Lehre von jenem ( /!) heimlich
verschafft und in ihre eigenen Worte eingearbeitet, auch wenn sie insgesamt
nicht so erfolgreich waren, die ehrwürdige Lehre zu rauben, und etwas von
den wahren Dingen zu behaupten schienen.210
Kyrill bemerkt darauf (Juln. 1.5), dass einige von diesen nach Moses
geboren wurden und andere zur gleichen Zeit mit den heiligen Propheten
(nach Moses) ihre Blütezeit hatten (&). Diejenigen nun, die den
Lehren der Propheten nachfolgten, seien höher zu schätzen als die anderen,
obgleich (!) ihre Lehre über Gott insgesamt nicht ganz wahr sei.211
207
208
209
210
211
Burguière/Évieux (1985) 62.
Cf. dazu Juln. 1.3 und Meredith (1980) 1138–1149.
Cf. Juln. 1.4 Eρ %µ« )
( ( M( ξ / 8)
( %*1
.8, λ = \κ λ $%.0 %λ )« $& λ $(0(
%
!« 9, λ %!« Ν , λ
( 9« * λ $ **& […].
Cf. Juln. 1.4 […] @« ξ % ’ 1« k« φ@« « ξ 0« λ (0«, .φ« ξ /! λ 1« 9!« .« /.;«, 9 λ κ 9« Ϊ% « 98« J( λ = 4%0 %%) ! $.
/ ..
Cf. Juln. 1.5 T! ! « ξ M(, & ξ λ U
@« 1« ’ /1 %φ&« 4!«α W ¹ 1« =« .1 9
π ?&φ )« !« % @« Ν..« =!(, ! "
?« 9« Ϊ% /. )« %λ L" =« % κ $%.
Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
297
Die erste Bezugnahme auf Thales steht in der anschließenden chronologischen Argumentation,212 die Kyrill mit Noah und der Sintflut – zehn
Generationen nach Adam – beginnen lässt. Es folgen der Turmbau zu Babel,
Abraham und schließlich Moses als Fixpunkt (Juln. 1.11), mit dem die vergleichende Chronologie (Juln. 1.13) von der Einnahme Trojas (400 Jahre
später als die Geburt des Moses angesetzt)213 bis zur ersten Olympiade eingeleitet wird.214
Th 373 Kyrill, Contra Iulianum 1.14, 520D (ed. Burguière/Évieux)
T9
) %%9
\.%0 L.)« #E= M.&« %
« φµ« φ.φ« ., %1 ξ κ '(κ " φ
U(« %)« \« \.%0«.
Th 373 Kyrill, Gegen Julian 1.14, 520D
Während der 35. Olympiade [640–637] soll der Milesier Thales, der Sohn
des Examyas, der erste Naturphilosoph, geboren worden sein; er soll bis zur
58. Olympiade [548–545] gelebt haben. (vgl. Th 306, aber Th 500, Th 529,
Th 557)
Attribute
Milet
Datierung (Geburt des Thales in der 35. Ol.)
Sohn des Examyas
Datierung (Lebenszeit bis zur 58. Ol.)
Erster Naturphilosoph
Funktion der Bezugnahme
Die Lebenszeit des Thales wird auf die Zeit der 35.–58. Olympiade angesetzt. In Juln. 1.17 konstatiert Kyrill die Anteriorität des Moses gegenüber
allen griechischen Weisen. Diese seien, wie seine Auflistung zeigt, erst viele
212
213
214
Cf. zum so genannten Altersbeweis und der chronologischen Argumentation Pilhofer
(1990), Tatian Th 176, Clemens Th 203, 205 und Eusebius Th 263–265. Cf. auch die
arabischen Texte Th 500, Th 529 und Th 557.
Cf. Juln. 1.13 0 ! $%µ )« M((« (« 8 " 4.
µ
5I. D .
Die Chronologie reicht bis zur 194. Olympiade, dem Prinzipat des römischen Kaisers
Augustus und der Geburt von Jesus Christus. Cf. dazu Burguière/Évieux (1985)
117–137.
298
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Jahre nach dem Beginn der Olympiadenzählung geboren worden.215 Dass
Thales im Rahmen dieser Auflistung genannt wird, zeigt, dass er für Kyrill
zu den „unumgänglichen“ bzw. „notwendigen Personen“ (cf. Juln. 1.13 1«
$!« %;%() – denn nur auf diese konzentriert sich Kyrill in
seiner Chronologie – gehört.216 Als „erster Naturphilosoph“ (%
« φµ« φ.φ«) spielt Thales für die Argumentation Kyrills eine entscheidende Rolle.
Basierend auf diesem ersten Beweisgang bezüglich der Chronologie von
Moses und den griechischen Philosophen versucht Kyrill nun in einem
zweiten Schritt (cf. Th 374) plausibel darzulegen, dass die Weisen nicht in
völliger Unwissenheit der Lehre des Moses gewesen seien.
*
Kontext zu Th 374
Nachdem Kyrill zuerst die Anteriorität des Moses vor den griechischen Weisen und Philosophen dargelegt und dessen Weisheit betont hat (Juln.
1.11–17), geht es in Juln. 1.18ff. um das Verhältnis der frühgriechischen Autoren zu Moses. Zu klären ist die als möglicher Einwand formulierte These
(Juln. 1.18), ob die griechischen Weisen dabei überführt werden könnten,
dass sie von der Weisheit des Moses gestohlen (%.?«) und vielmehr (Q) diese ganz auf ihre Art und Weise verwandelt hätten (%« Ρ.(«).217 Kyrill hebt in seiner Argumentation zuerst hervor (Juln.
1.18), dass die griechischen ¹0φ die ganze Erde bereist hätten
und immer lernwillig gewesen wären, „um als viel Wissende zu scheinen“.218
Indem sie dabei sicherlich kein Ereignis der Vergangenheit mit Schweigen
übergingen, hätten sie ihrem Werk „Schmuck“ verleihen wollen.219
215
216
217
218
219
Cf. Juln. 1.17 #A%µ ξ ! )« λ )« .
$*"« $φ)«, %
« 8 Ϊ% /ξ« ³« 4%0( ξ % ’ 6E..
φ
² %« M()« %*« f, ¹ ξ λ g $φ1«;
Cf. dazu Juln. 1.13 K! %0. Ν @« =)«· /
/%0, 1« /φ.8(
, /φ!'( ξ ».. 1« $!«
%;%( µ ..
Cf. Juln. 1.18 #A..’ F(« /1 «· „Nλ ξ κ %* M((« λ % ’ 6E.. φ
· κ D λ $.ξ« 9%1 ³« )« /« )
φ!«
%.?« Q %« Ρ.(« 4.1 Ν.“
Cf. Juln. 1.18 O¹ ξ % ’ /!« ¹0φ, %» ³« D%« 9%1 %"« κ ), $! 0 Q. o 1 9 %..0·
Cf. Juln. 1.18 µ 0 ( $%) ξ )« 4
/%" φ)«.
Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
299
Th 374 Kyrill, Contra Iulianum 1.18, 524C-D
Eρ %
« o " λ 81 9(« . s
" 8) [524D] 1 ¹!« J( 0«, 0( λ
( $8%%0( $*) 0φ; K! P« ² /
0 λ L.)« ² M.&« ! / A9%)
( φ« , ..=0! /1 λ 0( Ν b
/8 . «, 9« κ /" $!'.
Th 374 Kyrill, Gegen Julian 1.18, 524C-D
Und wie hätten auch zumindest solche Männer, die die Gelehrsamkeit pflegten, die Pflicht vernachlässigt, so erhabene Forschungen zu lernen, eine genaue Erklärung altehrwürdigster Lehren und Bräuche? Nun aber verbrachten Pythagoras aus Samos und Thales von Milet eine durchaus beachtliche
Zeit in Ägypten, in der sie zuerst das von dort her Stammende (sc. die dortigen Lehren und Bräuche) sammelten und eine Ansammlung von Wissenschaften, die sie, wie man sagt, gekannt hätten, zusammenführten und in
ihre Heimat mit sich fortnahmen.220
Attribute
Milet
Ägyptischer Einfluss: Ägyptenreise
Sammlung von Wissenschaften
Funktion der Bezugnahme
Kyrill schreibt den Historiographen auch Gelehrsamkeit zu (81
9(«). Vor diesem Hintergrund sei es nur schwer vorstellbar, dass sie
sich nicht darum gesorgt hätten, so ehrwürdige Forschungen (¹!« J(
0«) und eine genaue Erklärung der altehrwürdigsten Lehren und Bräuche (0( λ ( $8%%0( […] $*) 0φ) zu lernen (1). Als Beispiele für die frühgriechischen Weisen
und Philosophen, die mit dem ägyptischen Kulturkreis in Berührung gekommen sein sollen, werden zuerst Thales von Milet und Pythagoras von Samos
angeführt. Darauf wird Solon nach der Schilderung Platons im Timaios genannt.221 Auf die Historiographen wird erneut in Juln. 1.19ff. eingegangen.
220
221
Übersetzung Schwab.
Plat. Tim. 21e-22b und 23c. In Juln. 1.19 spricht Kyrill zusammenfassend davon, dass
Solon und Platon, die sich beide in Ägypten aufgehalten hätten, Bewunderer der Thesen bzw. Schriften des Moses gewesen seien: Juln. 1.19 .( ξ ² #A&
( κ« λ κ λ µ« ² P.0(, / A9%)
( « %ξ " 300
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Von Thales und Pythagoras berichtet Kyrill, dass sie „eine beachtliche
Zeit“ ( ! ) in Ägypten verbracht hätten.222 Dort hätten sie /1, wörtlich „das von dort“ (im vorausgehenden Kontext ist
von und die Rede), „sowohl die Lehren und Bräuche“ als
auch die Sammlung von Wissenschaften (0( Ν), die ihnen
zugeschrieben wurden, betrieben, bevor sie diese mit in ihre Heimat fortschafften.
In der rhetorisch gestalteten Textpassage wird die Tätigkeit von Thales
und Pythagoras in Ägypten als eine „Sammlung“ (Ν) von Wissenschaften und wörtlich als ein „Zusammenlesen“ (..=0) beschrieben. Von dem Erfindungsgeist, der den beiden frühgriechischen Denkern
von anderen Autoren zugesprochen wird,223 ist bei Kyrill ausdrücklich nicht
die Rede; vielmehr wird ihr Aufenthalt in Ägypten neben dem Aspekt des
Sammelns durch das Weg- und Fortschaffen der Wissenschaften gekennzeichnet.
Die Argumentation Kyrills, die sich auf bereits bekannte Elemente der
griechischen Tradition berufen kann,224 versucht die These der Abhängigkeit der griechischen Weisen und der Philosophie von der östlichen Weisheit
plausibel erscheinen zu lassen.
*
Kontext zu Th 375
Im Anschluss an die chronologische Argumentation vergleicht Kyrill die
„hebräische“ mit der griechischen Theologie (Juln. 1.22–49). Zuerst geht er
auf die Überlieferung der mit Abraham und Moses beginnenden hebräischen Theologie (Juln. 1.22–34) ein. Bevor er auf die Theologie der griechischen Tradition (Juln. 1.35–49) zu sprechen kommt, bemerkt er zusammenfassend, dass er noch vieles über „unsere heilige Religion“ ()« "«
π
!«) und die „untadellose Lehre“ ($(& =«) über
Gott anführen könne.225 Die griechische Tradition beginnt für Kyrill mit Or-
222
223
224
225
%. 4%0( 9 1, %0(« % λ 0 M((«.
Cf. LSJ s. v. !«, easy to count, i. e. few in number; wörtlich: „nicht leicht zu
zählende“ oder „nicht wenig“ Zeit.
Cf. z.B. Strabon Th 81 und Heron Th 93.
Cf. dazu Sim. ‚ägyptischer Einfluss‘ und ‚Urheber der Naturphilosophie/Geometrie‘.
Cf. Juln. 1.34 P.1 ξ σ Ρ 1« 9« /%1 %! )« "«
π
!« λ $(& =« b /%λ )
%0( " L)
%%&, 8.%µ .
Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
301
pheus (Juln. 1.35) und Homer (Juln. 1.36). Nachdem er bei beiden Dichtern
monotheistische Bezüge ausgemacht hat, kommt er auf die so genannten
Sieben Weisen zu sprechen (Juln. 1.38).226 Sie werden von Kyrill an dieser
Stelle (Juln. 1.37) als „die Hochmütigen“ (@« *«) und „nach unten
Herabblickende“ ((φ(«) charakterisiert (Juln. 1.37), die bei
den jungen Griechen aufgrund ihrer „Scheinweisheit“ (φ!«)
in besonderem Ansehen stünden.227 Kyrill beruft sich im Folgenden explizit
auf Porphyrius und auf das erste Buch seiner Philosophiegeschichte.
Er wird charakterisiert als einer, der sich mit spitzen bzw. bitteren Worten
(² %@« π
8« .«) gegen die christliche Religion gewandt habe.228 Porphyrius nenne den Grund (/= 9!« »), weshalb
sich die so genannten Sieben „Weisen“ diesen Namen (κ 0 .))
angeeignet hätten. Darauf zitiert Kyrill die ätiologische Erklärung (eine
Variante der Dreifußgeschichte) bezüglich der Sieben (bzw. neun) Weisen.
Im Anschluss an das Zitat aus Porphyrius führt Kyrill (Juln. 1.38) drei
Lehrsätze (=) über Gott an, die auf Thales, Demokrit und Anaximander
zurückgehen sollen.229 In Juln. 1.39 referiert Kyrill zwei weitere Meinungen
über Gott, die er (in Anlehnung an Ps.-Plutarch) Aristoteles und den Stoikern zuschreibt.
Th 375 Kyrill, Contra Iulianum 1.38, 544D-545B
Pφ« ξ σ, ² %@« π
8« .«, λ )« X
!« 8λ 8«, @« k«
„φ«“, µ $µ `« 4%0, κ 0 .) 4%0 φλ
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4.(« 98"«, $.. κ !% %% .«, λ !(
9« κ 8 $φ( κ J, D= )
)
κ !
226
227
228
229
Bereits in Juln. 1.25 zitiert Kyrill einen längeren Abschnitt aus dem ersten Buch der
Philosophiegeschichte des Porphyrius zu den so genannten „Weisen“, die sich wegen
der Schwierigkeiten bei der Bestimmung der ersten Prinzipien auf die Zahlen zurückgezogen hätten, insofern sich diese leicht lehren ließen. Darin hätten sie sowohl die
Gemeter als auch die Grammatiklehrer nachgeahmt.
Juln. 1.37 […] F( ξ λ /%’ @« Q @« *@« λ (φ(«,
φ!« = .8« $) %0 1« >E..&( %!.
In Juln. 1.39 wird Porphyrius als „der Übermütige gegen uns“ (² @« ’ π
Pφ«) bezeichnet.
Cf. dazu Ps.-Plutarch Plac. 1.7 T!« ² « (881D-882A).
302
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
/%?α [545A] " ξ 8&« µ !% )
„φ)
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L0. %;)
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98!' λ «, %.κ / %λ φ1, λ µ ρ κ
" ?8&. #A=!« ξ ρ —% ².%(« 4
[545B] 9Ω µ !' ρ @« $%!« «, ρ’ Ρ .(.
Th 375 Kyrill, Gegen Julian 1.38, 544D-545B (cf. Th 245)
Porphyrius nun, der bittere Reden gegen uns ausschüttete und gleichsam
über die Religion der Christen triumphierte, sagt, dass die so genannten
„Weisen“, die sieben an der Zahl waren, sich eben diesen Namen aus einem
solchen Grund aneigneten. Im ersten Buch der ‚Geschichte der Philosophie‘
schreibt er Folgendes: „Obgleich es neun waren, wurden sieben aus dem
folgenden Grund als „Weise“ bezeichnet: Als ein Fischer seinen Fischfang
an junge Leute verkaufte, geschah es, dass ein goldener Dreifuß im Netz gefunden wurde. Weil der Fischer sagte, dass er zwar die Fische, nicht jedoch
den Dreifuß verkauft habe, und die jungen Leute den Fund auf ihr eigenes
Glück zurückführten, schien es am besten, das Urteil dem Gott zu überlassen. Da er jedoch durch sein Orakel erklärte, den Dreifuß dem „Weisen“ zu
geben, wurde der Dreifuß Thales als Erstem angeboten; der aber schickte
ihn fort zu Bias, weil er meinte, dass jener der Weise sei. Der aber schickte
ihn zu einem anderen, und auch jener wieder zu einem anderen, solange, bis
der Dreifuß zu den Sieben herumgeführt worden war und wieder zum Ersten
zurückkehrte, und es am besten schien, ihn dem Gott zu weihen. Denn dieser sei von allen der Weiseste.“230
Welches ihre Ansichten waren, soll bei dieser Gelegenheit gesagt sein.
Thales aus Milet behauptet, dass Gott der Geist des Kosmos ist; Demokrit
von Abdera stimmt in gewisser Hinsicht überein,231 er fügt aber noch etwas
Weiteres hinzu. Auch er behauptet fest, dass Gott der Geist sei, nur [befinde
er sich] in einer Feuersphäre und sei die Seele des Kosmos. Anaximander
230
231
Übersetzung Schwab.
Cf. DK II 68 A 74.
Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
303
geht irgendwie einen ganz anderen Weg und definiert Gott als die unendlichen Welten – ich weiß nicht, aufgrund welcher Überlegung.
Attribute
Einer der Sieben Weisen
Dreifußerzählung
Variante: Fischer – Thales als Weiser – Bias – etc. – Thales
Gott [als Geist des Kosmos]
Milet
Funktion der Bezugnahme
Bemerkenswert sind (1) neben der Bezugnahme auf Porphyrius und der
ätiologischen Erzählung die darauf folgenden (2) Meinungen (=) über
Gott, die Thales, Demokrit und Anaximander zugeschrieben werden.
(1) Zu der aus Porphyrius zitierten Erzählung vom Dreifuß, welche die
Namensgebung der Sieben Weisen erklären soll, sind zwei Aspekte zu bemerken:
(a) Der Informant Porphyrius, auf den sich Kyrill explizit beruft, stellt
als erklärter Gegner der christlichen Religion eine nicht-christliche Quelle
und Autorität dar; insofern Kyrill das Zitat in seine Argumentation einbaut,
ist besonders nach der Funktion und der Bedeutung des Zitates (Ätiologie
der Bezeichnung „Sieben Weise“) für die weitere Argumentation Kyrills zu
fragen.
(b) Die so genannten Sieben Weisen zeichnen sich nach der Erzählung
bei Porphyrius gerade dadurch als Weise aus, dass nach der einmal erfolgten
Weitergabe des Dreifußes der Erste unter ihnen, Thales, diesen dem Gott
)
).232 Die Erzählung schließt mit dem eine Begrünweiht ($1 )
dung (0) enthaltenden Satz, dass der Gott der Weiseste von allen sei (" ρ %0( µ φ;). Diese Vorstellung kann im Kontext
der Argumentation Kyrills zum einen so verstanden werden, dass die Weisheit der Sieben Weisen sogleich im Hinblick auf Gott relativiert wird; zum
anderen wird damit zu Beginn vor den zu behandelnden Philosophen angezeigt, dass zumindest die frühgriechischen Weisen noch wussten, wem eigentlich die Weisheit zuzuschreiben ist.
(2) Im Anschluss an die Erzählung führt Kyrill drei Meinungen über
Gott an, die Thales, Demokrit und Anaximander zugeschrieben werden.
232
Cf. zu der Erzählung des Dreifußes z.B. auch Kallimachos Th 52 und Valerius Maximus Th 95.
304
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
(a) Die Äußerungen Kyrills haben eine große Ähnlichkeit mit den
Thesen, die bei Ps.-Plutarch Plac. 1.7, unter dem Lemma T!« ² «
(881D-882A)233 angeführt werden. Die Thales zugeschriebene These bei
Kyrill unterscheidet sich aber vom Text des Ps.-Plutarch sowohl in der
Kennzeichnung des Thales (als „der Milesier“) als auch durch die Verwendung des bestimmten Artikels vor . Ein weiterer Unterschied
liegt in der Reihenfolge der Doxai bei Kyrill gegenüber denen bei Ps.-Plutarch (Thales-Anaximander-Demokrit). Kyrill ist an dieser Stelle ausführlicher als Ps.-Plutarch und gibt in eigenen Worten das wieder, was bei
Ps.-Plutarch in aphoristischer Kürze steht. Wichtig ist die ausdrückliche
Nennung Plutarchs in Juln. 1.39 neben Porphyrius als möglicher Quelle
Kyrills.234
Die Thales zugeschriebene These, dass Gott der Geist des Kosmos sei,
wird zuerst referiert (cf. Sim. ‚Gott [als Geist des Kosmos]‘). Sie wird verbunden mit der Demokrit zugeschriebenen These. Demokrit stimme mit
Thales bis zu einem gewissen Punkt überein, füge jedoch einen anderen
Aspekt hinzu (%%0 λ U). Er bekräftige (98!')
wie Thales, dass Gott Geist sei, dieser Geist befinde sich jedoch in einer
Feuersphäre und sei die Seele der Welt (µ ρ κ " ?8&). Anaximander schlage einen radikal anderen Weg ein (—%
².%(« 4), indem er für sich bestimme (!'), dass Gott die
unendlichen Welten sei.
(b) Kyrill enthält sich an dieser Stelle einer expliziten Stellungnahme gegenüber den Thesen, die er zu Thales und Demokrit referiert. Bei der These
hingegen, die er Anaximander zuschreibt, deutet er gewisse Verständnisschwierigkeiten an ( ρ’ Ρ .(, „ich weiß nicht, was er damit sagen will / meint“). Es folgen Aussagen zu Aristoteles und den Stoikern. Eine
klare und wertende Stellungnahme zu den beiden Milesiern findet sich wenig später in Juln. 1.40 (Th 376), wo Thales und Anaximander als „sinnlose
Schwätzer“ bezeichnet werden.
*
233
234
Cf. Ps.-Plutarch Th 149.
Juln. 1.39 0φ ξ %λ ( P.8« λ U % ’ 1«
.0(, λ ² @« ’ π
Pφ«.
Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
305
Kontext zu Th 376
Kyrill weist in Juln. 1.39 auf die Uneinigkeit der Meinungen bei den griechischen Philosophen hin235 und betont im Gegensatz dazu die Übereinstimmung, die er in den Anfängen der christlichen Tradition bei den ersten Lehrern bezüglich der heiligen Lehren festzustellen meint.236
In Übereinstimmung mit Moses sollen alle eine Lehre über Gott gelehrt
haben – bis zu den Aposteln und den Evangelisten.237 Im Zentrum des Interesses (Juln. 1.40) steht die richtige Auffassung des als transzendent verstandenen Gottes.
Th 376 Kyrill, Contra Iulianum 1.40, 545D–548A
E9 κ *. « σ 0. 1 µ \
« λ $*&.(«
D8 . %λ " %0( /% L", κ !« s 9=
= [548A] λ s 40 %"; L0.« ξ λ
#A=!«, U! W $!(« , 9) %φ.« 4.1 Ν.
Th 376 Kyrill, Gegen Julian 1.40, 545D–548A
Denn wenn man unbedingt einen geraden und unverfälschten Begriff des
alltranszendenten Gottes erhalten wollte, wessen Lehre sollte man dann
annehmen, ohne das Ziel zu verfehlen? Denn Thales und Anaximander und
235
236
237
Juln. 1.39 7A ’ σ 0φ ξ $..&.« 9!, 8λ ξ ».. ν )«
$.!« ;« ¹ %.%« J( =« «; K! @«
$.
« λ $%.
« /(« ’ % 1« $..&.( /!«
/8) $φ, 0% $. λ /φ’ π
D 91.
Gegen den möglichen Einwand (Juln. 1.39 #A..’ /1 %µ« ", ρ!, «α „T!
σ, τ »; O ¹« 9λ %..λ λ % ’ 1 1«, λ 8!'!
« 9« µ U0 λ U φ1 λ .;“), dass es auch in der christlichen
Tradition sowohl viele divergierende Richtungen (¹«, „Häresien“) als auch
einige gebe, die sich abgespalten hätten (8!'! «), lenkt Kyrill in seiner
Entgegnung die Aufmerksamkeit auf die Zeit der ersten Lehrer bezüglich der heiligen
Lehren (Juln. 1.39).
Er vertritt die These Juln. 1.40, dass sie alle darin übereinstimmten, dass es „einen
Gott gebe, der über allen und durch alle und in allem“, der „ohne Anfang und ewig“
sei, „ungeschaffen, unvergänglich, der Leben sei und Leben hervorbringe, der Schöpfer von Himmel und Erde und insgesamt von allen Dingen darin“.
Cf. Juln. 1.40 6E %0« ²." µ /%λ %0« λ %0( λ /
%» L, Ν8 λ $u, $, Νφ, '(κ λ '(%,
" λ )« %κ λ ..&* 4%0( / 1«.
Cf. auch Juln. 1.39 O U ² M()« %φ, ¹ ξ ’ µ
8 1« " 08, $..’ g«, ³« Dφ, % %0( %λ L"
.« 8 4!( $%.( λ .
.
306
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
andere, die wir eben erwähnt haben, dürften sich als sinnlose Schwätzer erweisen.
Attribut
Thales und Anaximander als Schwätzer in theologischen Belangen
Funktion der Bezugnahme
Kyrill vertritt die These, dass sich Thales, Anaximander und andere zuvor
Genannte (U! W $!(« )238 als „sinnlose
Schwätzer“ (9) %φ.«) erweisen würden. Trotz der zuvor
bezeugten Kontakte des Thales zu Ägypten (cf. Th 374) wird er in diesem
Zusammenhang mit Anaximander abwertend behandelt, während im
Gegensatz dazu namentlich Pythagoras und Platon eine besondere und auch
positive Rolle aufgrund ihrer intensiven Beziehungen und Kontakte zu
Ägypten zugewiesen wird. Die zuletzt Genannten bezeichnet Kyrill als äußerst wissbegierig (φ.0( ` λ φ.u).239 Beide hätten die $& (Tugend) des Moses erkannt, die nach Kyrill auch von den
Ägyptern über die Maßen bewundert worden sei.240 Die unterschiedliche
Beurteilung von Thales und Anaximander im Vergleich zu Pythagoras und
Platon gibt zu erkennen, dass die Verbindung des Thales mit Ägypten allein
noch zu keiner positiven Bewertung durch Kyrill führt. Pythagoras und Platon zeichnen sich gegenüber den anderen Philosophen nach Kyrill besonders dadurch aus, dass sie einen angemesseneren (/%) Begriff
von Gott (µ %λ L" .) als die anderen haben.241 Weitere Gründe
für den Unterschied, der zwischen Thales und den anderen beiden „Ägypten-Kundigen“ von Kyrill markiert wird, liegen vermutlich einerseits im
Hinblick auf die Lehre (1) in den immateriellen metaphysischen Grund238
239
240
241
Cf. Juln. 1.38–39: Demokrit, Aristoteles und die Stoiker.
Zu beachten ist die alliterierte U 1-Konstruktion (φ.0( `
λ φ.u).
Cf. Juln. 1.40 P« ξ λ P.0(, φ« / A9%)
( λ %..1«
1« %80«, Ϊ κ φ.0( ` λ φ.u, 0 κ M((« $&α f A9%!« ’ µ / !)
(
.
Cf. Juln. 1.40 #E" ρ µ %λ L" . $?(« /«
/% %(« % @« Ν..« %λ " =0 λ κ λ 4.
φ1.
Kyrill weist Juln. 1.40 auch auf eine Tradition von Philosophen in Athen hin, welche
die wahren Positionen von Pythagoras und Platon verstanden habe. Zu Pythagoras’
und Platons’ Auffassung von Gott nach Kyrill cf. Juln. 1.42–43, zur Konzeption des
Heiligen Geistes bei Platon cf. Juln. 1.47–48.
Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
307
überzeugungen von Pythagoras und Platon im Gegensatz zu einem materialistischen Monismus von Thales sowie andererseits (2) in der allgemeinen
Hochschätzung der beiden Philosophen Pythagoras und Platon in der Kaiserzeit und Spätantike.242
*
Kontext zu Th 377
Im zweiten Buch greift Kyrill den Vorschlag Julians auf, sich in methodischer Hinsicht einen Gerichtshof vorzustellen, in dem über Wahrheit und
Falschheit der Aussagen entschieden werde.243 Kyrill konstatiert zum einen
Julians „maßlose Kritik ( ! […] κ 0) an dem umfassend weisen Moses und seiner Schrift“ ( " %φ M((« λ
)« " φ)«), und betont zum anderen dessen Bewunderung
für die Lehren der griechischen Weisen, besonders für die Lehre Platons.244
Kyrill will nun im Gegenzug (Juln. 2.14) erneut (%0.) die verschiedenen
Meinungen der Philosophen über die Erschaffung der Welt „aus ihren Büchern“ (/ % ’ 1« **.!() vorstellen und diese darauf (ρ) der
„Kosmogonie des Moses“ (κ M((« ), d.h. dem Schöpfungsbericht des Alten Testamentes, gegenüberstellen.245 Der Leser solle
„das Geschwätz“ (² .)«) „ihrer Wortklauberei“ ()« /!( .8!«) im Vergleich mit der Reinheit (µ $φ«) der Schriften des
Moses im Hinblick auf die Wahrheit (9« $.&) sehen.246
242
243
244
245
246
Cf. dazu Riedweg (2007) und Staab (2002).
Cf. zur Methode Kyrills im zweiten Buch Malley (1978) 248–251.
Cf. Juln. 2.13 P.1 ξ σ Ρ ’ π
% ’ /!α $.1 ξ
.! λ " %φ M((« λ )« " φ)« ! %1 κ 0. Rλ µ )« %!« **.! 9%1 ξ
Ρ.(« $.
, J.« ξ 4%.
« φ) «, λ ψ ξ
f 9µ« " %µ« $=
., " κ %0 %& % ’ , 9)
ξ 4%.
« /?)
( = . φ λ $=0. T
( =«, 0. ξ Ν..(
ξ % ’ 6E.. φ
« /%λ )
φ!« λ « κ P.0(« φ1.
Cf. Juln. 2.14 X) ξ ρ %1 %0. / % ’ 1« **.!(
$%.=0 κ 40 =, b D8 =! %λ )« " )«, ρ κ M((« $%1α […].
Cf. Juln. 2.14 \φ& J( 1« /=« λ )« /!( .8!« ² .)« λ M((« 0( µ $φξ« 9« $.&.
308
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Th 377 Kyrill, Contra Iulianum 2.14, 571D-572A
P.8« !, $κ % ’ 1« Ν« ;«, / )
)
( **.!)
( )« ‚R
0(‘ ()«, J( φλ
%λ " α „P« %
« k κ Ρ.( %8κ
‚‘ / )« / )
0=(«. L.)« λ ¹ $%’ " U µ
.“
Th 377 Kyrill, Gegen Julian 2.14, 571D-572A
Plutarch, ein Mann, der bei ihnen nicht unbedeutend war, äußert sich im
zweiten Buch seiner Sammlung der Lehren der Physiker [oder der Physikalischen Lehren] folgendermaßen über den Kosmos: „Pythagoras benannte
als Erster die Umfassung des Alls ‚Kosmos‘ infolge der in ihm enthaltenen
Ordnung. Thales und seine Schule nahmen an (Th 155), dass es einen Kosmos gebe.“
Attribut
Ein Kosmos
Funktion der Bezugnahme
Kyrill spricht in Th 377 ausdrücklich davon, dass er sich auf das zweite
Buch der Sammlung der Lehren der Physiker bzw. der physikalischen
Lehren247 des Plutarch, „des bei ihnen nicht unbedeutenden Mannes“
($κ % ’ 1« Ν«), stützen werde. Im Folgenden führt
er in (fast) wörtlicher Übereinstimmung mit Ps.-Plutarch zuerst die sieben
Lemmata unter der Überschrift %λ " an.248 Pythagoras wird
genannt, der als Erster die Masse des Universums aufgrund seiner Ordnung als „Kosmos“ bezeichnet habe. Darauf wird Thales zusammen mit
„denjenigen“ genannt, die nach ihm bzw. ihm folgend (λ ¹ $%’ ")
den Kosmos als einen bezeichnen. Es folgen Thesen von Demokrit, Epikur, Empedokles und weiteren, bevor, wie bei Ps.-Plutarch Plac. 2.2, verschiedene Thesen über die Gestalt des Kosmos (%λ " 8&« "
) vorgestellt werden.249 Nach der Präsentation weiterer doxographischer Materialien wendet sich Kyrill (Juln. 2.16) mit einem Appell an
die Leser:
247
248
249
Cf. zum Titel Mansfeld/Runia (1997) 121–122.
Cf. zu den Abweichungen von Ps.-Plutarch Mansfeld/Runia (2009) 306–322, 307.
Juln. 2.15 Eρ %λ " 8&« " W %0. φ!α Cf. dazu Mansfeld/Runia (2009) 323–330.
Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
309
Hört zu, ihr Männer, dann werdet auch ihr verstehen, wieviel Geschwätz
darin ist.
#A, τ Ν«, λ ! .%µ %« / « ² .)«.
Durch den Nachweis der Verschiedenartigkeit der Meinungen und Thesen
versucht Kyrill zu zeigen, dass die Philosophen den Eindruck erwecken,
vielmehr nach der Wahrheit zu suchen (8λ »..), als dass sie
diese kannten (λ )« $.!« /%&«).250
*
Kontext zu Th 378
Im sechsten Buch versucht Kyrill gegenüber Julian zu zeigen, dass Moses
und die übrigen Heiligen des Alten Testamentes die griechischen Philosophen (wie Sokrates und Platon), Gesetzgeber (Lykurg) und Weisen (Thales)
weit übertreffen. Auch die besten Könige der Griechen, Römer und anderer
Völker stünden den Königen der Juden nach. Zu Beginn des sechsten
Buches (Juln. 6.183A) lenkt Kyrill durch ein Zitat aus der Heiligen Schrift
(Spr 18,21)251 die Aufmerksamkeit auf die (ambivalente) Macht der Sprache. Er macht Julian den Vorwurf (Juln. 6.184B), dass er, obgleich er eine
wohlgeordnete Sprache habe (! φ» ξ D8( κ .
),
gegen die Heilige Schrift rede ()« ¹»« φ)«) und besonders häufig unverschämt gegen die große Anzahl der Heiligen spreche
()« 4!( %.« λ 0. 8
«). Nachdem
Kyrill im Folgenden nochmals die Rede und Rhetorik Julians durch zwei
Bezugnahmen auf Psalm 52252 (Ps 52,3 und Ps 52,6) auf polemische Art
und Weise charakterisiert hat, behauptet er, dass Julian am meisten „gegen
die Schrift des weisesten Moses schreie“ ()« " %φ M((«
φ)«).
250
251
252
Cf. Juln. 2.16 T1« $..&.( $0 =«, " $1 φ
4%.
« λ $%(« µ 40)
( " /, %
« s ρ
1 8λ ».., λ )« $.!« /%&«;
Spr 18,21 in der Übersetzung von Luther: „Tod und Leben stehen in der Zunge Gewalt; wer sie liebt, wird ihre Frucht essen.“
Ps 52 trägt in der Einheitsübersetzung die Überschrift „Gericht über den Mann der
Lüge“.
310
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Th 378 Kyrill, Contra Iulianum 6.184B-D = Th 297253
(= Julian, Contra Galilaeos Fr. 39 Masaracchia)
#A..’ 9@ κ λ " g« Q %1% U %λ« J( φ!α
% σ 8& ’ Ν \0' λ /% ν @«
$;%«, g P.0(, (0, #A!, K!(, L.),
", #A!., #A8!, ν ».. µ φ.φ(
«, µ , µ , µ ; & ¹ 8 λ *.; /% 80 1« ν M()« 1« ξ
/=. #A9» ξ σ, —« ρ, %0. µ %8) !«
@« $% M(*
, ³« φ« 1« /= #Iκ. !(
4', ψ 1« (0( —« 9« $.
&« %µ )
, λ 1« )« $%0(« /.&
/1 @« $%(« .) % )
B.φ;.
Th 378 Kyrill, Gegen Julian 6.184B-D254
Aber nun fügt er [Julian] dem, was er schon früher gesagt hat, noch anderes
hinzu und sagt (Th 297): „Soll ich nun einzeln die Lebensweisen oder die
Männer durchgehen, wie Platon, Sokrates, Aristides, Kimon, Thales, Lykurg, Agesilaos, Archidamos, oder eher den Stand der Philosophen, der
Heerführer, der Künstler, der Gesetzgeber? Es wird sich herausstellen, dass
gerade die unredlichsten und verbrecherischsten Heerführer diejenigen, die
am meisten Unrecht getan hatten, freundlicher behandelten als Moses diejenigen, die sich in keiner Weise vergangen hatten.“ Er [Julian] klagt nun
wieder, wie ich freilich glaube, an, dass die Moabiter dafür büßen mussten,
dass sie den Israeliten Dirnen zugeführt hatten, die durch die Reize ihrer
Körper unzählige der Kinder Gottes mit den Fesseln der Lust banden und
sie, nachdem sie durch Betrug in die Schuld der Abtrünnigkeit verstrickt
waren, dahin brachten, sich dem Beelphegor zu weihen.
253
254
Vgl. Fr. 33 und 37 Masaracchia (1990).
Wöhrle (2009) bemerkt dazu, 301: „Eine Synkrisis von paganen Heerführern und
Mose in Julians Schrift soll die Unterlegenheit des Letzteren erweisen. Der weitere
Zusammenhang ist die Diskussion der Providenz Gottes, die sich auf alle Menschen
erstrecke und dabei die Heiden bevorzuge (so in Fr. 37). Kyrill greift dabei im Folgenden Fr. 33 auf (daher hier „palin“), wo Julian die Geschichte Numeri 25 als Belege
für die jüdisch-christliche Vorstellung eines zornigen Gottes herangezogen hatte, die
er als Platoniker ablehnt. Kyrill hatte die Moabiter-Episode dementsprechend bereits
in Buch 5, PG 76, 752A-B behandelt. Hier nun dient sie Julian (offenbar nur implizit,
daher „hos ge oimai“) als Illustration für die Grausamkeit Moses’.“
Kyrill von Alexandrien (Th 373–378)
311
Attribut
Herausragend
Funktion der Bezugnahme
Kyrill wendet sich darauf mit der Aufforderung an den Leser, dass dieser
nun sehe, wie Julian dem, was er schon früher gesagt habe (Q %1%),
noch anderes hinzufüge (U %!«) und folgendermaßen rede
(Κ( φ!). Es folgt das Zitat aus der Schrift Contra Galilaeos des Kaisers
(= Th 297). Thales wird in diesem Zusammenhang mit einer Reihe von berühmten Philosophen, Rednern, Herrschern und Gesetzgebern genannt.
Literatur
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Paris 1985.
Kinzig, W., Zur Notwendigkeit einer Neuedition von Kyrill von Alexandrien, Contra
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Klein, R., Kaiser Julians Rhetoren- und Unterrichtsgesetz, in: von Haehling, R. (Hrsg.),
Roma versa per aevum. Ausgewählte Schriften zur heidnischen und christlichen Spätantike. Spudasmata 74, Hildesheim/Zürich/New York 2002, 128–155.
Malley, W. J., Hellenism and Christianity. The conflict between Hellenic and Christian
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St. Cyrill of Alexandria, Rom 1978.
Mansfeld, J., Runia, D. T., Aëtiana. The Method and Intellectual Context of a Doxographer, Vol. 1. The Sources, Leiden/New York/Köln 1997.
Mansfeld, J., Runia, D. T., Aëtiana: The Method and Intellectual Context of a Doxographer, Vol. 2: The Compendium, 2. Bde., Leiden/Boston 2009.
Marcovich, M., Pseudo-Iustinus. Cohortatio ad Graecos. De Monarchia. Oratio ad
Graecos, Berlin 1990.
Masaracchia, E., Giuliano Imperatore. Contra Galilaeos, Rom 1990.
Meredith, A., Porphyry and Julian Against the Christians, ANRW II, Bd. 23.2, 1980,
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Pilhofer, P., Presbyteron Kreitton. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte, Tübingen 1990.
Riedweg, C., Mit Stoa und Platon gegen die Christen: Philosophische Argumentationsstrukturen in Julians Contra Galilaeos, in: Fuhrer, T., Erler, M. (Hrsg.), Zur Rezeption
der hellenistischen Philosophie in der Spätantike, Stuttgart 1999, 55–81.
Riedweg, C., Zur handschriftlichen Überlieferung der Apologie Kyrills von Alexandrien
Contra Iulianum, Museum Helveticum 57, 2000, 151–165.
Riedweg, C., Pythagoras. Leben, Lehre, Nachwirkung, München 2002, 22007.
Schäfer, C. (Hrsg.), Kaiser Julian „Apostata“ und die philosophische Reaktion gegen das
Christentum, Berlin/New York 2008.
Schwab, A., Gregor von Nazianz. Peri Pronoias. Über Vorsehung, Tübingen 2009.
Staab, G., Pythagoras in der Spätantike. Studien zu De Vita Pythagorica des Iamblichos
von Chalkis, München/Leipzig 2002.
312
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
4.5 Sidonius Apollinaris (Th 385–389)
Der aus Lyon stammende Gaius Sollius Apollinaris Sidonius, Schwiegersohn des weströmischen Kaisers Avitus, gilt als „der bedeutendste lateinische Dichter und Prosaschriftsteller der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts
in Gallien“.255 Nachdem er noch im Jahre 468 unter Kaiser Anthemius in
Rom das Amt des praefectus urbi innegehabt hatte, wurde er wahrscheinlich ein Jahr später Bischof der Stadt Arverna, des heutigen Clermont-Ferrand. In dieser Position beteiligte er sich maßgeblich an der Organisation
des Widerstandes gegen die westgotische Besatzung.256 Während vier
Zeugnisse über Thales in seinen Gedichten stehen, enthält auch einer seiner
literarischen „Kunstbriefe“ eine Bezugnahme auf Thales.257
Sidonius Apollinaris, Carmina
Bei den 24 carmina, die im Jahre 468 publiziert wurden, handelt es sich lediglich um eine Auswahl an Gedichten, die Sidonius vermutlich noch vor
seinem Eintritt in den geistlichen Stand veröffentlichte.258 Während die carmina 1–8 in enger Verbindung mit seiner römischen Karriere stehen, geht es
bei den carmina 9–24 – die meisten davon sind Gelegenheitsgedichte – um
Personen und Ereignisse in Gallien. Harries bemerkt treffend: „Office in
Rome and aristocratic otium in Gaul, the twin preoccupations of Sidonius’
life, were reflected in the division of the two parts of the carmina itself.“259
Die Bezugnahmen auf Thales finden sich zum einen in carmen 2, dem Panegyrikus auf den weströmischen Kaiser Anthemius (um 420–472, Reg.
467–472), zum anderen in den carmina 15 und 23.
255
256
257
258
259
Delhey (1998) 42–43, 43.
Cf. ebd. 43. Als dann jedoch Eurich, König der Goten, im Jahre 474 Arverna eroberte,
nahm er Sidonius gefangen. Einige Jahre später wurde Sidonius wieder entlassen und
konnte auf seinen Bischofssitz zurückkehren.
Cf. Loyen (1970) VIII: „Les lettres de Sidoine ne sont pas de vraies lettres comportant
une réponse, mais appartiennent au genre que les Anciens désignaient par les expressions accurate ou curatius scriptae litterae et que la critique moderne appelle „la lettre d’art“. Peu importe que certaines d’entre elles aient été vraiment envoyées à des
correspondants; la discussion à ce sujet est vaine. L’essentiel est de savoir que toutes
sans exception ont été écrites ou du moins revues et corrigées pour la publication, le
nom de l’ami qui figure en tête étant plus une dédicace qu’une adresse.“ Zu Sidonius
und dem „esprit précieux aux derniers jours de l’Empire“ cf. Loyen (1943) 124 und
129.
Cf. Harries (1994) 3–10, 3–4.
Cf. Harries (1994) ebd. 7.
Sidonius Apollinaris (Th 385–389)
313
Kontext zu Th 385
Das carmen 2 stellt einen Panegyrikus auf den weströmischen Kaiser Anthemius dar, den Sidonius am 1. Januar 468 in Rom gehalten hatte.260 Auf die
fünfzehn Distichen umfassende Einleitung261 folgt der Panegyrikus, der aus
548 Hexameterversen besteht. In seinem Lob auf den Herrscher geht Sidonius zuerst auf dessen Vorfahren, namentlich Prokopius, den Vater des Anthemius, sowie die Wunder, die sich bei seiner Geburt zutrugen, ein. Darauf
kommt er auf dessen Ausbildung, seine eheliche Verbindung mit Euphemia,
der Tochter des Kaisers Marcianus, und seine Kriegstaten zu sprechen.262 Im
Anschluss an die phantasiereiche Schilderung seiner Geburt, Kindheit und
Jugend kommt Sidonius in den Versen 155–192 auf die Ausbildung des Anthemius zu sprechen.263 Sidonius bemerkt zuerst (v. 156), dass der von ihm
gepriesene Kaiser die „ueteres sophistas“, die alten Weisen, gehört habe.
Thales wird als erster von diesen mit einer Spruchweisheit angeführt.
Th 385 Sidonius Apollinaris, Carmen 2.156–163 (ed. Loyen)
Nec minus haec inter ueteres audire sophistas:
Mileto quod crete Thales uadimonia culpas,
Lindie quod Cleobule canis: „modus optimus esto“,
ex Efyra totum meditaris quod Periander,
Attice quodue Solon finem bene respicis aeui,
Prienaee Bia, quod plus tibi turba malorum est,
noscere quod tempus, Lesbo sate Pittace, suades,
quod se nosse omnes uis, ex Lacedaemone Chilon.
Th 385 Sidonius Apollinaris, Gedicht 2.156–163
Und er hörte nicht weniger dies unter den alten Weisen:
Dass du, Thales, Spross aus Milet, tadelst die Bürgschaftsleistung,
dass du, Kleobulos, aus Lindos, preisest „das Beste sei das Maß“,
dass du, Periander aus Efyra, das Ganze bedenkst,
und dass du, Solon aus Athen, den Blick auf ein gutes Lebensende richtest,
dass dir, Bias von Priene, die Volksmenge mehr ein Übel ist,
dass du, Pittakos, Spross von Lesbos, dazu rätst, die Zeit zu erkennen,
und dass du, Chilon aus Lakedaimon, willst, dass alle sich selbst erkennen.264
260
261
262
263
264
Cf. Loyen (1960) 171 Anm. 1, zu den historischen Hintergünden ders. (1967) 85–95.
Carm. 1 Praefatio Panegyrici Dicti Anthemio Augusto Bis Consuli.
Cf. Schanz/Hosius (1959) 48.
Cf. carm. 2.193 His hunc formatum studiis […].
Übersetzung Schwab.
314
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Attribute
Milet
Einer der Sieben Weisen
Spruchweisheit „Bürge nicht“
Funktion der Bezugnahme
Die milesische Herkunft des Thales (Mileto) wird zuerst genannt. Auf seinen Namen folgt die ihm zugeschriebene Spruchweisheit zum Tadel an der
Leistung von Bürgschaften: uadimonia culpas (griech: / φ).265
Ebenso in Verbindung mit einem Ort und einem Ausspruch werden die folgenden Weisen genannt: Kleobulos, Periander, Solon, Bias, Pittakos und
Chilon. Auf die Frage nach der Funktion dieser Bezugnahme auf Thales
sind mindestens drei Aspekte zu nennen. (1) Zuerst ist festzustellen, dass
Thales als ein fester Bestandteil der Gruppe der Sieben Weisen hier angeführt wird. Das Zeugnis über Thales ist damit Teil einer Bezugnahme auf
ein klar umgrenztes Kollektiv. (2) Im Vordergrund steht das Lob der griechischen Bildung, die Sidonius Anthemius zuschreibt. Der Katalog der
Sieben Weisen und ihre Lehrsätze, die Anthemius gehört haben soll, sind
ein ornamentaler Bestandteil dieses Lobes. (3) Indem Sidonius auf diese
Art und Weise die Bildung des Kaisers besingt, stellt er zugleich seine
eigene Bildung und Kenntnis der griechischen Philosophie und Literatur
unter Beweis. Bei dieser Kenntnis scheint es sich um ein Basiswissen in
antiker Philosophie und Literatur zu handeln, das an entsprechender Stelle
rhetorisch passend eingeflochten und in Szene gesetzt werden konnte.266
Zwei weitere Beispiele dieser Art finden sich in carmen 15 (= Th 386 und
Th 387).267
*
Sidonius Apollinaris, Carmen 15
Das Hochzeitsgedicht (Epithalamium) auf den Philosophen Polemius268
und dessen Braut Araneola stellt ein besonderes Gedicht dieser Art dar,
265
266
267
268
Cf. Anthologia Palatina 9.366 (= Th 89).
Cf. dazu auch Gualandri (1979) 145–146.
Cf. auch Ausonius Ludus sept. sap. 26.69–70 (= Th 294) und 26.162–188 (= Th 295).
Polemius war ein Anhänger der neuplatonischen Philosophie, Redner und Dichter sowie für zwei Jahre (wahrscheinlich 473–475) Prätorianerpräfekt von Gallien, cf. den
Brief des Sidonius an ihn (ep. 4.14) und Loyen (1943) 84–85.
Sidonius Apollinaris (Th 385–389)
315
ein ‚philosophisches Epithalamium‘.269 Sidonius rechtfertigt sich zuerst in
einem an Polemius adressierten, prosaischen Brief (carmen 14)270 für seine
poetische Unternehmung und stellt dem eigentlichen Gedicht, das aus
201 Hexametern besteht, eine metrische Praefatio271 voran. In diesem Gedicht für die Brautleute, die beide dem gallischen Hochadel angehören, finden sich zwei Bezugnahmen auf Thales.
Kontext zu Th 386
Das Gedicht setzt mit dem Auftritt der Göttin Pallas Athena, der Göttin
der Künste und des Handwerks, ein (vv. 1–35). Im Folgenden stehen zwei
imaginäre, der Göttin Pallas Athena geweihte Tempel in oder nahe Athen
(v. 36, hic duo templa micant)272 im Zentrum des Gedichtes, wovon einer
den Philosophen gewidmet ist, die mit ihren Lehrsätzen vorgestellt werden
(vv. 36b-125); der andere Tempel (textrinum Mineruae, v. 126), welcher
dem textilen Kunsthandwerk gewidmet ist, zeigt in Anspielung auf den Namen der Braut (Araneola, Deminutiv von aranea = eine niedliche Spinne) 273
kostbar gefertigte Teppiche (vv. 126–195). Beide Bezugnahmen auf Thales
stehen im Zusammenhang mit der Beschreibung des ersten Tempels
der Forschenden und Philosophen. Sidonius charakterisiert diese Männer
(uiros) in den Versen 37b-41 als Forschende (scrutantes), die mit höchster
Vernunft und Berechnung (alta […] ratione) die verschiedenen Elemente
sowie die irdischen und himmlischen Naturphänomene (wie z.B. den Wechsel von Tag und Nacht) ergründeten. Er schildert, dass sich in diesem Tempel an höchster Stelle (ilicet hic summi) die Sieben Weisen niederließen
(resident septem sapientes), die Uranfänge der unzähligen Philosophen
269
270
271
272
273
Cf. dazu Loyen (1960) 107 mit der Überschrift zu carm. 14, dem Brief des Sidonius
an Polemius: „Défense du sujet choisi: un épithalame philosophique“. Cf. auch die
Einführung des philologisch ausgerichteten Kommentars von Ravenna (1990) 9–18,
zum Begriff des Epithalamiums Keydell (1962) 927–943, bes. 939. Keydell bemerkt
ebd. 939, dass Sidonius in seinem Epithalamium für Polemius und Araneola „eine Art
Parodie“ des mythologischen Epithalamiums wagen konnte.
Carm. 14 Sidonius Polemio suo salutem. Cf. dazu Ravenna (1990) 43–48.
Carm. 14 Praefatio Epithalamii dicti Polemio et Araneolae. Cf. dazu Ravenna (1990)
49–52.
Zu einem Versuch, die beiden Tempel näher zu identifizieren und zu lokalisieren cf.
von Premerstein (1912) 1–35, bes. 26–35. Von Premerstein bezeichnete ebd. 26
das Gedicht des Sidonius als „ein bisher noch unbeachtetes Zeugnis für die Topographie Athens im ausgehenden Altertum, besonders für die Lage der Peploswerkstatt“.
Anderson (1963) 227 bemerkt zu Premersteins Versuch: „He seriously misunderstands vv. 36f.“
Cf. Cicero nat. deor. 2.123.
316
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
(innumerabilium primordia philosophorum).274 Darauf folgt, ähnlich wie in
carmen 2.156–163 (Th 385), eine Aufzählung der Sieben Weisen. Sie wird
eingeleitet mit Thales, dem Namen seiner Herkunft (Thales Mileto genitus)
sowie einer ihm zugeschriebenen Spruchweisheit. Diese Informationen
werden auch für die weiteren sechs Weisen jeweils in einem Vers variierend
angeführt (vv. 44–50).275
Th 386 Sidonius Apollinaris, Carmen 15.42–50 (ed. Loyen)
Ilicet hic summi resident septem sapientes,
innumerabilium primordia philosophorum:
Thales Mileto genitus uadimonia damnat;
Lindie tu Cleobule iubes modus optimus ut sit;
tu meditans totum decoras, Periandre, Corinthon;
Atticus inde Solon „ne quid nimis“ approbat unum;
Prienaee Bia, plures ais esse malignos;
tu Mytilene satus cognoscere, Pittace, tempus,
noscere sese ipsum, Chilon Spartane, docebas.
Th 386 Sidonius Apollinaris, Gedicht 15.42–50
Hier ließen sich nieder an höchster Stelle die Sieben Weisen,
die Uranfänge der unzähligen Philosophen:
Thales, ein Spross aus Milet, verurteilt die Bürgschaften,
du, Cleobulos von Lindos, befiehlst, dass das Maß das Beste sei,
du, Periander, indem du das Ganze bedenkst, ehrst Korinth,
darauf der Athener Solon eines empfiehlt: „Nichts zu viel“,
du, Bias von Priene, behauptest, dass die Vielen böswillig seien,
während du, Pittakos, Gewächs von Mytilene, lehrtest, zu erkennen die Zeit,
und du Chilon, Spartaner, dass jeder sich selbst erkennen solle.276
274
275
276
Cf. für die unterschiedlichen Akzente, die bei der Übersetzung des Ausdrucks primordia zur Charakterisierung der Sieben Weisen in Relation zu den zahllosen Philosophen gesetzt werden, (a) die englische Übersetzung von Anderson: „Here, then, are
enthroned the Seven Sages, the sources of numberless philosophers“ mit (b) der italienischen Übersetzung von Ravenna: „Qui dunque, nel posto più alto, siedono i sette
Sapienti, precursori di innumerevoli filosofi“, die der (c) französischen Übersetzung
von Loyen gleicht: „Ici donc siègent aux plus hauts degrés les Sept Sages, ancêtres
des philosophes innombrables“.
Auf diese Aufzählung der Sieben Weisen folgen einige Ausführungen zu Pythagoras
aus Samos (vv. 51–78, asserit hic Samius). Cf. dazu Ravenna (1990) 67–73.
Übersetzung Schwab.
Sidonius Apollinaris (Th 385–389)
317
Attribute
Milet
Einer der Sieben Weisen
Spruchweisheit „Bürge nicht“
Funktion der Bezugnahme
Thales wird als erster der Forschenden und Weisen namentlich genannt. Die
ihm zugeschriebene Spruchweisheit wird anders als in Th 385277 mit dem
Verb „damnare“ in der dritten Person beschrieben: uadimonia damnat, d.h.
„Thales […] tadelt Bürgschaften“ in Anlehnung an das Griechische /
φ.278 Durch diese Bezugnahme auf die Sieben Weisen stellt Sidonius
auf eindrucksvolle Weise seine philosophische Bildung und insbesondere
sein Wissen um die Anfänge der griechischen Weisheit und Philosophie unter Beweis. Mit dieser ersten Anspielung auf den Milesier als einen der Sieben Weisen und dessen Spruchweisheit ist jedoch sein Wissen um dessen
Leistungen noch nicht erschöpft (cf. dazu Th 387).
*
Kontext zu Th 387
Im Anschluss an die Ausführungen über Pythagoras und einige ihm zugeschriebene Äußerungen (vv. 51–78) kommt Sidonius in Vers 79 erneut auf
Thales zu sprechen (Thales hic etiam). Bei dieser Bezugnahme lassen sich
im unmittelbaren Kontext drei Abschnitte unterscheiden: erstens eine Charakterisierung des Thales und seiner Leistungen (vv. 79–81a), zweitens ein
kritischer Kommentar zu seiner Prinzipienannahme (vv. 81b-82) sowie drittens eine Aufzählung von Schülern und Nachfolgern mitsamt den ihnen zugeschriebenen Thesen (vv. 83–90).
Th 387 Sidonius Apollinaris, Carmen 15.79–90
Thales hic etiam numeris perquirit et astris
defectum ut Phoebi nec non Lunaeque laborem
nuntiet anterius; sed rebus inutile ponit
principium, dum credit aquis subsistere mundum.
277
278
In Th 385 ist in der 2. Person von uadimonia culpas die Rede.
Zur spekulativen Frage, aus welchen Quellen Sidonius die Informationen seines Philosophenkataloges schöpfte, cf. Loyen (1960) 190 Anm. 6, Courcelle (1948)
123–124, 181, 240–241 sowie Speyer (1964) 225–248, der unter anderem versucht,
die Nähe zum Referat des Augustinus in civ. 8.2 (= Th 311) weiter zu beleuchten.
318
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Huius discipuli versa est sententia dicens
principiis propriis semper res quasque creari,
singula qui quosdam fontes decernit habere
aeternum irriguos ac rerum semine plenos.
Hunc etiam sequitur qui gignere cuncta putabat
hunc aerem pariterque deos sic autumat ortos.
Quartus Anaxagoras Thaletica dogmata seruat,
sed diuinum animum sentit, qui fecerit orbem.
Th 387 Sidonius Apollinaris, Gedicht 15.79–90
Thales erforscht nach Zahlen und Sternen,
die Finsternis der Sonne und die Mühen des Mondes
im Voraus zu künden; doch für die Dinge setzt er ein rohes
Prinzip, der glaubt, dass die Welt auf dem Wasser ruhe.
Dessen Schüler war anderer Ansicht, wenn er sagt,
dass die jeweiligen Dinge aus stets eigenen Prinzipien geschaffen würden.279
Das Einzelne, meint er, besitze gewisse
ewig bewässernde Quellen, voll des Samens der Dinge.
Sein Nachfolger glaubte, dass die Luft alles
erzeuge, und in gleicher Weise, behauptet er, seien so die Götter entstanden.
Als vierter wahrt Anaxagoras die Lehren des Thales,
aber er denkt an einen göttlichen Geist, der die Welt geschaffen hat.
Attribute
Astronomie
Erforschung der Zahlen und Gestirne
Vorhersage der Sonnenfinsternis
Vorhersage der Mondphasen
Erde ruht auf dem Wasser
Prinzip Wasser
Schüler des Thales
Anaxagoras wahrt die Lehren des Thales
Funktion der Bezugnahme
In den ersten zweieinhalb Versen (vv. 79–81a) stellt Sidonius Thales als
einen mathematisch und astronomisch interessierten Forscher (numeris
perquirit et astris) dar, der nicht nur die Finsternis der Sonne (defectum ut
279
Cf. Augustinus Th 311.
Sidonius Apollinaris (Th 385–389)
319
Phoebi),280 sondern durchaus auch (nec non) „die Mühen des Mondes“ (Lunaeque laborem)281 „im Voraus kündete“ (nuntiet anterius). Mit den „Mühen des Mondes“ sind vermutlich die Mondfinsternisse oder die Phasen des
Mondes gemeint, die Thales ebenso wie die Sonnenfinsternis vorausgesagt
haben soll.282 Dieser erste Abschnitt ist nicht von einer negativen oder kritischen Darstellungsweise geprägt, sondern bringt vielmehr Anerkennung
oder Bewunderung für Thales zum Ausdruck.
Die folgenden eineinhalb Verse (vv. 81b-82), die Sidonius mit der Konjunktion sed einleitet (v. 81b), sind von einem kritischen Unterton geprägt:
Sidonius äußert sich über das „unnütze Prinzip“ (inutile principium), das
Thales im Hinblick auf die Dinge annehme (rebus […] ponit), insofern er
glaube (dum credit), dass die Welt auf dem Wasser ruhe (aquis subsistere
mundum). Mehrere Übersetzungen der lateinischen Aussage aquis subsistere mundum, die jeweils Nuancen des Verbs subsistere in diesem Kontext
hervorheben, scheinen mir denkbar und gleichermaßen zutreffend: Anderson (231) übersetzt (etwas frei) „believing that the universe is evolved from
water“, Ravenna (33) „nel credere che l’universo consista di acqua“, oder
Loyen (114) „quand il croit que l’univers tire sa permanence de l’eau“. Die
verschiedenen Übersetzungen veranschaulichen, wie Vers 82 in seiner Prägnanz sowohl auf die Wasserthese (Wasser als Prinzip) als auch auf die ‚Erde
ruht auf dem Wasser‘-These anspielen könnte.
Festzuhalten ist, dass Sidonius die Prinzipienannahme des Thales kritisiert. Seine Kritik drückt sich einerseits explizit in dem als inutile („unnütz“
oder „nutzlos“) bezeichneten Prinzip (principium) aus, andererseits in der
Verwendung des Verbes credere: Sidonius führt damit die Prinzipienannahme des Thales auf den Glauben zurück, dass die Welt auf dem Wasser
ruhe bzw. die Welt aus Wasser bestehe (aquis subsistere mundum).
Im folgenden Abschnitt (vv. 85–90) weist Sidonius zuerst auf den Dissens zwischen der Lehre des Thales und der seines Schülers (huius discipuli) Anaximander hin, der jedoch namentlich nicht genannt wird. Dieser
sei anderer Ansicht gewesen (uersa est sententia), wenn er die These vertrete, dass die jeweiligen Dinge aus stets eigenen Prinzipien geschaffen würden.283 Es folgt, wiederum ohne Angabe seines Namens, die These des Anaximenes, der Anaximander nachfolgte (hunc etiam sequitur qui) und
glaubte (putabat), dass die Luft alles erzeuge (gignere […] cuncta hunc ae280
281
282
283
Cf. zu „Phoebus“ als poetischer Ausdruck für Sonne Georges, Bd. 2, 1692.
Cf. zum Ausdruck „lunae labores“ Richter (1977) 96–105.
Cf. dazu Sim. ‚Mondfinsternis/Mondphasen‘.
Cf. dazu Augustinus Th 311.
320
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
rem) und in gleicher Weise behauptete (pariterque […] autumnat), dass die
Götter so entstanden seien (deos sic autumnat ortos). Im Anschluss an die
Lehre des Anaximenes folgt als Vierter (quartus) Anaxagoras, der die Lehren des Thales (Thaletica dogmata) wahre (seruat), der aber an einen göttlichen Geist denke (sed diuinum animum sentit), welcher die Welt geschaffen habe (qui fecerit orbem). Was unter den Thaletica dogmata zu verstehen
ist, die Anaxagoras nach Sidonius bewahrt oder aufrechterhalten habe, sagt
Sidonius nicht ausdrücklich. Ravenna äußert die folgende Vermutung: „[…]
forse l’espressione Thaletica dogmata si riferisce al fatto che anche Anassagora, come Talete e come tutti i filosofi prima citati, pensava che tutto si
dovesse ricondurre a un solo principio, con la sola differenza (sed) che per
lui questo principio no era materiale, ma divino.“284
Möglicherweise ist die Formulierung also so zu verstehen, dass Anaxagoras bei seiner Erklärung der Kosmogenese (wie Thales) nur ein Prinzip
der Erklärung anwendet, jedoch darin von den ‚thaletischen Lehren‘ abweicht, dass er nicht an ein materielles Prinzip wie das Wasser, sondern an
ein geistiges und göttliches Prinzip (diuinum animum) gedacht haben
soll.285
In Ergänzung zu der ersten Anspielung auf Thales als einen der Sieben
Weisen in carmen 15 (Th 386) ist festzustellen, dass Sidonius mit dieser
zweiten Bezugnahme nicht nur sein Wissen um die astronomischen und philosophischen Leistungen des Milesiers und weiterer griechischer Philosophen unter Beweis stellt, sondern sich zugleich kritisch gegenüber der Prinzipienannahme des Thales äußert. Der spielerische und zugleich kritische
Umgang des Sidonius mit seinen philosophiegeschichtlichen Kenntnissen
scheint dem Epithalamium auf einen Philosophen durchaus angemessen.
*
284
285
Ravenna (1990) 74 Anm. zu Vers 89.
Zur Frage nach den Quellen, die Sidonius für seine Aufzählung der Philosophen verwendet, cf. Diels (1879) 173 sowie Courcelle (1948) 238 und bes. 240–241. Diels
verweist auf Augustinus civ. 8.2. Courcelle ebd. 241 hält eine „source commune“ mit
Augustinus für sehr wahrscheinlich, „car chez Augustin comme chez Sidoine, Thalès
figure simultanément dans les deux listes: celle des sept sages et celle des philosophes“. Er vertritt, ausgehend von Diels (1879) 169–174 die folgende weiterführende
Hypothese: „Cette source, dont Diels a montré la valeur et la parenté avec le compendium qu’utilisait Eusèbe de Césarée, est, à mon avis, l’ouvrage de Celsus ou Celsinus
qu’Augustin comparait, dans le domaine profane, au Panarion d’Épiphane dans le
domaine des hérésies.“ Cf. zur weiteren Diskussion Speyer (1964) 225–248.
Sidonius Apollinaris (Th 385–389)
321
Kontext zu Th 388
Nachdem Sidonius die Gastfreundschaft des Consentius, der als ein guter
Kenner des Griechischen galt, genossen und auch Gedichte von ihm erhalten hatte, adressiert er als Dank dafür ein Enkomion auf Narbo, Narbonne,
die in Südfrankreich gelegene Vaterstadt der beiden Consentii (Vater und
Sohn). Das in 512 Hendekasyllaben verfasste Gedicht ist zwischen 463 und
466 entstanden.286 Das Lob des Sidonius auf die Stadt enthält sowohl ein
Lob auf den Vater des Consentius (vv. 97–177) als auch auf Consentius
selbst (vv. 178f.). Die Bezugnahme auf Thales steht im Zusammenhang mit
dem auf Consentius maior287 einsetzenden Lob (vv. 97–177), in dem sich
Sidonius an die Stadt Narbonne richtet (vv. 97–104).
Th 388 Sidonius Apollinaris, Carmen 23.97–110
His tu ciuibus, urbe, rure pollens,
Consenti mihi gignis, alme, patrem,
illum cui nitidi sales rigorque
Romanus fuit Attico in lepore.
Hunc Milesius et Thales stupere
auditum potuit simulque Lindi est
notus qui Cleobulus inter arces,
et tu qui, Periandre, de Corintho es,
et tu quem dederat, Bias, Priene,
et tu, Pittace, Lesbius sophistes,
et tu qui tetricis potens Athenis
uincis Socraticas, Solon, palaestras,
et tu, Tyndareis satus Therapnis,
Chilon, legifero prior Lycurgo.
Th 388 Sidonius Apollinaris, Gedicht 23.97–110
(Angeredet: Narbonne)288
Stark durch diese Bürger, die Stadt,
das Land, erzeugst du, Gütige, mir den Vater
des Consentius, jenen, dem [gegeben] waren glänzender Witz
286
287
288
Cf. Loyen (1960) 196.
Loyen (1960) 148 Anm. 8 bemerkt zum Vater des Consentius, der gleichfalls Consentius hieß, er sei ein „[…] professeur de morale et d’éloquence ou même simplement
rhéteur. Son brillant mariage (v. 173) fit de lui un clarissime […]“ Cf. ders. auch
(1943) 78–79.
Übersetzung H.-O. Kröner, Trier.
322
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
[salzige Sprüche] und römischer Ernst in Attischer Anmut.
Diesen hätte sowohl Thales aus Milet, wenn er ihn gehört hätte,
bestaunen können und zugleich Kleobulos, der in Lindos unter
den Bergeshöhen bekannt ist, und du, Periander,
der du aus Korinth bist;
und du, Bias, den Priene gegeben hatte [hat]
und du, Pittakos, ein Weiser aus Lesbos, und
du, Solon, der du im strengen Athen mächtig bist und die
sokratischen Ringplätze [Gymnasien]
besiegst, und du, Chilon, geboren in den
spartanischen/tyndareischen Therapnai, der du früher lebtest
als der gesetzgebende Lykurg.
Attribute
Milet
Einer der Sieben Weisen
Funktion der Bezugnahme
Neben Thales werden die weiteren als weise geltenden Kleobulos, Periander, Bias, Pittakos, Solon und Chilon, der früher als der Gesetzgeber Lykurg
gelebt habe (Chilon, legifero prior Lycurgo), mitsamt ihren Herkunftsorten
genannt. Im Vergleich zu Th 385 und Th 386 schreibt ihnen Sidonius in diesem Kontext keine Spruchweisheiten zu. Bei der Frage nach der Funktion
dieser Bezugnahme lassen sich mindestens zwei Aspekte anführen: (1) In
dieser rhetorischen Form der akkumulativen Aufzählung289 zählt nicht so
sehr der einzelne Name, sondern erst die Aneinanderreihung von mehreren
bedeutsamen Namen, die beeindrucken soll. (2) Dennoch kommt Thales
wiederum durch die Anfangsstellung bei den Sieben Weisen eine besondere
Bedeutung zu. Mit dem Namen des Thales leitet Sidonius eine Reihe von
Vergleichen ein, die dazu dienen, den Vater des Consentius als einen hervorragend gebildeten Mann nicht nur seiner Zeit zu loben. Mit dem bedeutungsreichen Verb stupere (lahm sein; starr, verdutzt, verblüfft, betreten
sein; stutzen, staunen) beschreibt Sidonius die imaginierte Reaktion des
Thales auf den Vater des Consentius, wenn er diesen gehört hätte (auditum).
Der Vater des Consentius wird auch im Folgenden in den höchsten Tönen
gelobt: Er zeichne sich ebenso auf dem Gebiet der Astronomie (im Vergleich zu Arat), der Geometrie (im Vergleich zu Euklid) und der Musik (im
289
Cf. dazu ähnlich Arnobius Th 259.
Sidonius Apollinaris (Th 385–389)
323
Vergleich zu Chrysipp) besonders aus. Mit dieser rhetorischen Technik der
Akkumulation im Lob auf den Vater des Consentius stellt Sidonius zugleich
seine eigene Bildung und seine Kenntnisse der griechischen Antike dar, d.h.
indem er Consentius maior ob seiner Bildung und Kenntnisse würdigt, lobt
er um nichts weniger sich selbst. Sidonius stilisiert in poetischer und spielerischer Weise die Bildung und das Wissen des Consentius zu einer Bedeutsamkeit, die den ‚Gründungsvätern‘ der Philosophie und der Wissenschaften gleichzukommen scheint.
*
Sidonius Apollinaris, Epistula
Die Briefe des Sidonius, die in neun Büchern nach dem Beispiel des jüngeren Plinius und Hieronymus verfasst wurden, liefern viele Informationen
über die politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse sowie über das
kirchliche Leben im Gallien des 5. Jahrhunderts.290
Kontext zu Th 389
Die Bezugnahme auf Thales steht in dem im Jahre 471 verfassten Brief des
Sidonius an den gelehrten gallischen Priester und Philosophen Claudianus
Mamertus.291 Sidonius bedankt sich mit diesem rhetorisch ausgefeilten
literarischen Brief bei Claudianus für die explizite Widmung seines Werkes
De statu animae (Über den Zustand der Seele).292 Nachdem er bereits
(in ep. 4.3.2–3) das Werk des Claudianus sowie dessen Stil in höchsten Tönen allgemein gelobt hat,293 geht Sidonius auf die spezifische Qualität und
auf bestimmte Charakteristika des Buches ein (ep. 4.3.4–7).
Das Werk des Claudianus zeichne sich, so Sidonius (ep. 4.3.5), nicht
zuletzt durch die vorzügliche und einzigartige Gelehrsamkeit (unica singularisque doctrina) aus, die sich in verschiedenen Bereichen (diuersarum rerum) behaupte und bemerkbar mache. Ein Markenzeichen dieser Gelehrsamkeit bestehe darin, über einzelne Künste mit den jeweiligen Meistern
290
291
292
293
Cf. Delhey (1998) 43 und die instruktive Einleitung zu den Briefen und ihrer Sprache
von Köhler (1995) 6–25.
Cf. zu diesem Brief den Kommentar von Amherdt (2001) 93–165. Zu Claudianus
Mamertus cf. Loyen (1970) Introduction, XXXII–XXXIII, Skeb (1998) 128 und Bömer (1936).
Ep. 4.3.2 […] volumen illud, quod tute super statu animae rerum uerborumque scientia diuitissimus propalauisti. In quo dum ad meum nomen prooemiaris […].
Cf. ep. 4.3.2 „Mais quelle œuvre, grand dieu, quelle œuvre magnifique, ardue par son
sujet, lumineuse par son style […].“ Übersetzung Loyen (1970).
324
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
„zu philosophieren“ (de singulis artibus cum singulis artificibus philosophari). In diesem Zusammenhang wird Thales in einer Aufzählung verschiedener Meister mitsamt deren spezifischen Attributen genannt: Erwähnt
werden unter anderem Orpheus und das Plektrum, Aesculap und der Stab,
Euphrates und das Horoskop,294 Vitruv und das Senkblei sowie Thales und
die Jahreszeiten (cum Thalete tempora).295
Im Anschluss an diese Aufzählung schließen sich (ep. 4.3.6) weitere Lobeshymnen des Sidonius auf die Kenntnisse sowie die Art und Weise der
Darstellung des Claudianus an. Darin wird dieser in zwei weiteren Vergleichen (ut) sowohl mit verschiedenen nicht-christlichen Philosophen und
Rednern (z.B. sentit ut Pythagoras, dividit ut Socrates, explicat ut Platon,
implicat ut Aristoteles, ut Aeschines blanditur) als auch (ep. 4.3.7) mit herausragenden christlichen Gelehrten (ad sacrosanctos patres pro comparatione […], instruit ut Hieronymus, destruit ut Lactantius, adstruit ut Augustinus) gleichgesetzt.
Th 389 Sidonius Apollinaris, Epistula 4.3.5 (ed. Loyen)
Ad hoc unica singularisque doctrina et in diuersarum rerum assertione
monstrabilis, cui moris est de singulis artibus cum singulis artificibus philosophari, quaeque, si fors exigit, tenere non abnuit cum Orpheo plectrum,
cum Aesculapio baculum, cum Archimede radium, cum Euphrate horoscopium, cum Perdice circinum, cum Vitruuio perpendiculum quaeque numquam inuestigare destiterit cum Thalete tempora, cum Atlante sidera, cum
Zeto pondera, cum Chrysippo numeros, cum Euclide mensuras.
Th 389 Sidonius Apollinaris, Briefe 4.3.5
Und dazu die vorzügliche und einzigartige Gelehrsamkeit, die sich in so
verschiedenen Bereichen behauptet und bemerkbar macht und die in den
verschiedenen Künsten mit den jeweiligen Meistern zu philosophieren
pflegt. Sie zögert nicht, wenn nötig, gemeinsam mit Orpheus das Plectrum,
mit Aesculap den Stab, mit Archimedes den Zeichenstock, mit Euphrates
das Horoskop, mit Perdix den Zirkel und mit Vitruv das Senkblei zu ergreifen. Niemals lässt sie ab, mit Thales die [Jahres]zeiten, mit Atlas die Gestirne, mit Zetus die Gewichte, mit Chrysipp die Zahlen oder mit Euklid die
Maße zu erforschen.
294
295
Cf. dazu Amherdt (2001) 136.
Cf. zu den einzelnen Figuren Amherdt (2001) 135ff.
Sidonius Apollinaris (Th 385–389)
325
Attribut
Erforschung der Jahreszeiten
Funktion der Bezugnahme
Der Brief an Claudianus und die Bezugnahme auf Thales lassen wiederum
in hervorragender Weise den großen Sinn für Bildung und Kultur des Sidonius erkennen. Im Kontext des Briefes an Claudianus geht es nicht um eine
polemische, sondern um eine äußerst positive Anspielung auf Thales. Der
Figur des Thales wird als Charakteristikum die Erforschung der tempora zugeschrieben. Es handelt sich um die Jahreszeiten.296 Der kunstvoll stilisierte
Brief lässt deutlich erkennen, dass die Bezugnahme auf Thales vor dem entworfenen bildungsgeschichtlichen Panorama sowohl einen Eindruck von
der breiten Bildung und Kulturbeflissenheit des gelobten Autors Claudianus
und seines Werkes als auch des Lobenden selbst vermitteln soll, eines Dichters, der sich auch als christlicher Bischof in seiner Privatkorrespondenz
gerne diesen Bildungsschmuck anzulegen scheint.297
Literatur
Amherdt, D., Sidoine Apollinaire. Le quatrième livre de la correspondance, Bern u.a.
2001.
Anderson, W. B., Sidonius Gaius Sollius Apollinaris. Bd. 1, Poems and Letters, Book
I–II, London/Cambridge Mass. 1963, Bd. 2, Letters, Books III–IX, London/Cambridge Mass. 1965.
Bömer, F., Der lateinische Neuplatonismus und Neupythagoreismus und Claudianus
Mamertus in Sprache und Philosophie, Klassisch-Philologische Studien, Heft 7, Leipzig 1936.
Courcelle, P., Les lettres grecques en occident, Paris 1948.
Delhey, N., Art. Apollinaris Sidonius, LACL, 1998, 42–43.
Diels, H., Doxographi Graeci, Berlin 1879, ND 1965.
Gualandri, I., Furtiva Lectio. Studi su Sidonio Apollinare, Mailand 1979.
Harries, J., Sidonius Apollinaris and the Fall of Rome AD 407–485, Oxford 1994.
296
297
Cf. die französische Übersetzung von Loyen („scruter les saisons avec Thalès“) und
die englische von Anderson: „To investigate times with Thales.“ Cf. dazu auch die
Sim. ‚Jahreszeiten‘ und Apuleius Th 178.
Courcelle (1948) bemerkt treffend zu der rhetorischen Art der Aufzählungen bei Sidonius, 238: „De telles énumérations sont le fait d’une éducation rhétorique devenue
scolastique et artificielle; ne croyons donc point que Sidoine a pratiqué tous ces auteurs. Mais inversement, ce serait une erreur de conclure que Sidoine n’a eu aucun
contact direct avec la langue et la littérature grecques; le vain étalage d’érudition auquel il se complaît ne doit pas faire oublier qu’il savait de grec.“
Cf. zur Frage nach den möglichen Quellen, die Sidonius für seine gelehrten Aufzählungen verwendet, ders. ebd. 238, 240–241 und Diels (1879) 173.
326
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Keydell, R., Art. Epithalamium, RAC 5, 1962, 927–943.
Köhler, H., C. Sollius Apollinaris Sidonius. Briefe Buch 1. Einleitung-Text-ÜbersetzungKommentar, Heidelberg 1995.
Loyen, A., Sidoine Apollinaire et l’esprit précieux aux derniers jours de l’Empire, Paris
1943.
Loyen, A., Recherches Historiques sur les Panégyriques de Sidoine Apollinaire, Rom
1967.
Loyen, A., Sidoine Apollinaire Bd. 1 Poèmes, Paris 1960.
Loyen, A., Sidoine Apollinaire Bd. 2 Lettres, Paris 1970.
Ravenna, G., Le nozze di Polemio e Araneola. Sidonio Apollinare, Carmina XIV–XV, Bologna 1990.
Richter, W., Lunae labores, Wiener Studien 11, 1977, 96–105.
Schanz, M., Hosius, C., Art. C. Apollinaris Sidonius, in: Schanz, M., Hosius, C., Krüger,
G., Geschichte der römischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian, Teil 4, Bd. 2, München 1920, ND 1959, §§ 1024–1028, 43–55.
Skeb, M., Art. Claudianus Mamertus, LACL, 1998, 128.
Speyer, W., Zu einem Quellenproblem bei Sidonius Apollinaris, Carmen 15, 36–125,
Hermes 92, 1964, 225–248.
Von Premerstein, A., Das Parthenonfries und die Werkstatt des panathenäischen Peplos,
Jahreshefte des österreichischen Archäologischen Institutes in Wien 15, 1912, 1–35.
Aponius (Th 338)
327
4.6 Aponius (Th 338)
Aponius, In Canticum Canticorum Expositio
Das Zeugnis Th 338,298 das sich im Kommentar des Aponius zum Lied der
Lieder (bzw. dem Hohen Lied der Liebe) findet, ist von besonderer Bedeutung in der Geschichte der Darstellungen des Thales, insofern es im Kontext
einer allegorischen Exegese steht. Der zwölf Bücher umfassende Kommentar stellt die „umfangreichste lateinische Erklärung des Hohen Liedes
aus dem kirchlichen Altertum dar“.299 Die Datierung des Kommentars ist
bis heute umstritten.300 Der gelehrte Theologe, der das Werk verfasste, wird
von seinen französischen Übersetzern charakterisiert als ein „admirateur
des philosophes, écrivain original et vigoureux“.301
Kontext zu Th 338
In seinem Kommentar geht der Exeget auf die im Lied der Lieder zweimal
vorkommende Beschwörung der Töchter Jerusalems (filiae Hierusalem,
Hld 2,7 und 3,5) ein, die bei den Rehen (capreas) und Hirschen auf dem
Felde (ceruosque camporum) die Liebe nicht aufwecken und nicht stören
sollen, bis es ihr selbst gefalle.302 Im vorausgehenden Kontext (in cant.
5.19) stellt Aponius die Frage, welche (quae) und welcher Art (quales)
die Seelen seien (animae sunt), die mit den Rehen und Hirschen verglichen
werden.303 Er erklärt in diesem Zusammenhang, dass diese Tiere mit der
298
299
300
301
302
303
In der Sammlung von DK ist ein Teil des Zeugnisses abgedruckt bei Pherekydes 7
[71] A 5. Cf. dazu Diels ebd. 45 und Anm. 9.
Frank (1985) 370–383, 370. Für weitere Informationen cf. Witek (2001) 506–514.
Als Terminus ante quem erscheint die Erwähnung des Aponius in Bedas Hoheliedkommentar, der zwischen 720 und 730 verfasst wurde, während der Terminus post
quem (nach dem Konzil von Chalcedon, 451) umstritten ist. Zur Datierung cf. König
(1992) 99–110. De Vregille/Neyrand (1997) bemerken ebd. 113 zur Frühdatierung
(405–410) ihrer Edition im CCL 19 (1986) in der Einführung zu ihrer französischen
Übersetzung: „Amenés par le fait à réexaminer certains des arguments apportés en
1986, nous admettons qu’en effet, il n’y a pas lieu de maintenir les dates de 405–410
proposées, mais nous restons persuadés que le commentaire d’Apponius ne saurait
être postérieur aux années 420–430.“
Cf. De Vregille/Neyrand (1997) Introduction, Ch. VI, Le Personnage, l’époque et le
cadre, 111–120, 119.
Im Hld 1,5 und 3,10 werden die „Töchter Jerusalems“ ebenfalls erwähnt und angesprochen; Hld 5,8 enthält eine Ansprache der „Töchter Jerusalems“ sowie eine Beschwörung anderer Art.
Cf. in cant. 5.19.268–269 Nunc autem uideamus quae uel quales sint animae ceruis et
capreis comparatae […].
328
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
platonischen und stoischen Philosophie (platonicae uel stoicae philosophiae) zu vergleichen seien (comparemus), allerdings nur (dumtaxat) im
Hinblick auf jenen Bereich (in illa parte), in dem sie mit ihren Überlegungen (in illa disputatione) mit der göttlichen Schrift (cum scripturis diuinis)
übereinstimmen (consentit).304 Die Übereinstimmung mit der Heiligen
Schrift sowie die von den Philosophen vertretene monotheistische Gotteslehre spielt für Aponius bei der Beurteilung der Philosophen eine
entscheidende Rolle. Während die Rehe305 für die „Platoniker“ (in cant.
5.20.289–291)306 stehen, werden die Hirsche mit den „Stoikern“ (in cant.
5.20.291–292)307 verglichen.308
Bei der anschließenden Auslegung (in cant. 5.22.316–318) des Hld 3,5
erinnert Aponius zuerst daran, dass er bereits in seinem Kommentar zu Hld
2,7 (in cant. 4.4–6) erläutert habe, dass „unter den Rehen und Hirschkühen
die personifizierte Philosophie des Thales und des Pherekydes zu verstehen
sei“ (in caprearum et ceruorum personas thalesianae et ferecidensis philosophiae intellegi diximus).309 Die Philosophie des Thales und des Pherekydes wird im Folgenden weiter charakterisiert und einer Beurteilung unterzogen.
304
305
306
307
308
309
In cant. 5.20.281 […] in illa parte dumtaxat, in illa disputatione quae cum scripturis
diuinis consentit.
Nach Witek (2001) 510 „Ziegen“.
Cf. in cant. 5.20.289–291 Hi ergo cursus uerborum tam ueloces, sic gloriose ad
excelsa currentium, platonicae capreae comprobantur.
Cf. in cant. 5.20.291–292 Stoicorum autem haec est ceruorum uelocitas sensus,
haec […].
Die Platoniker lehren nach Aponius (in cant. 5.20.285–289): […] incorporeum unum
Deum, rerum omnium conditorem, beatum, beatificum, optimum, nihil indigentem,
ipsum conferentem cuncta, caelestem, inuictum, innominabilem, cuius natura nulli
nisi sibi sit cognita: quae etiam si inueniri possit, diuidi in multos omnino non posse
pronuntiat.
Für die kurz skizzierte Lehre der ‚Stoiker‘, in der das Walten einer allmächtigen göttlichen Vorsehung betont wird (in cant. 5.20.294–295 Deique omnipotentis prouidentia), führt Aponius einen Vergleich (in cant. 5.20.297–299) mit der Heiligen Schrift
an (Jer 23,24 „Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich
ihn nicht sehe? spricht der Herr. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht
der Herr.“).
Bei der Kommentierung von Hld 2,7 ist jedoch nicht von Thales und Pherekydes,
sondern von den Platonikern und Stoikern die Rede. Cf. dazu in cant. 4.6.67–68 zu
Hld 2,7.
Aponius (Th 338)
329
Th 338 Aponius, In canticum canticorum expositio 5.22–23
(ed. De Vregille/Neyrand)
Quod autem secundo haec uerba repetuntur in Cantico hoc, ubi secundo
dumtaxat per capreas ceruosque camporum adiurantur filiae Hierusalem,
non pigebit priora alterius libelli repetere dicta. In priore enim filiarum adiuratione, in caprearum et ceruorum personas thalesianae et ferecidensis
philosophiae intellegi diximus. Quae licet in Ecclesiae doctrina non inferatur, sicut caprearum et ceruorum animalia non sunt iussa Moysi in altario
sacrificium Deo offerri, ut iussa sunt agnus, uitulus uel capra in altario immolanda, tamen inter immunda non sunt reputata et uesci iubentur populo
fuso sanguine in terra: ita et praedicta philosophia non est immunda iniuriis creatoris, sicut aliorum philosophorum uita uel dogmata, qui bestiis,
canibus et porcis comparandi probantur, libidinem summum bonum esse
docentes, a quorum insania procul supradicta philosophia antedictis animalibus comparata esse dignoscitur. [23] De quibus Thales nomine initium
omnium rerum aquam in suo esse dogmate pronuntiauit, et inde omnia facta
subsistere ab inuiso et magno; causam uero motus aquae spiritum insidentem confirmat; simulque geometricam artem perspicaci sensu prior inuenit,
per quam suspicatus est unum rerum omnium creatorem.
Th 338 Aponius, Auslegung zum Lied der Lieder 5.22–23
Wenn aber diese Worte ein zweites Mal in diesem Lied [III 5]310 wiederholt
werden, da nämlich zum zweiten Mal die Töchter Jerusalems bei den Rehen
oder Hirschkühen auf dem Felde beschworen werden, wird man es mir nicht
verargen zu wiederholen, was früher in einem anderen Buch gesagt wurde.
Bei der ersten Beschwörung der Töchter haben wir nämlich gesagt, dass
man unter den Rehen und Hirschkühen die personifizierte Philosophie des
Thales und des Pherekydes verstehen muss.311 Wenngleich diese Philosophie nicht in den Bereich der Lehre der Kirche fällt, wie auch Moses nicht
befohlen wurde, die Rehe und Hirschkühe Gott auf dem Altar zu opfern,
ebenso wie befohlen wurde, Lamm, Kalb oder die Ziege auf dem Altar darzubringen, werden sie doch nicht zu den unreinen Tieren gezählt, und die
Menschen sollen sich von ihnen ernähren, nachdem ihr Blut auf die Erde gegossen wurde.312 So ist auch die besagte Philosophie nicht durch Ungerechtigkeiten gegen den Schöpfer unrein, wie das für das Leben oder die Lehren
310
311
312
Zuerst in cant. 2.7.
„En réalité, il y est bien question des platoniciens et des stoïciens, mais non de Thalès
et de Phérécyde“ (De Vregille/Neyrand zur Stelle).
Cf. Dtn 12,15–16.
330
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
anderer Philosophen gilt, die man wilden Tieren, Hunden und Schweinen
vergleichen muss, und die lehren, dass die Lust das höchste Gut sei. Man erkennt den Abstand zwischen deren Wahnsinn und der oben genannten Philosophie im Vergleich mit den in Frage stehenden Tieren. [23] Unter diesen
Philosophen verkündete nun der genannte Thales in seiner Lehre, dass das
Wasser der Beginn aller Dinge sei. Und von da aus sei alles von einem Unsichtbaren und Großen geschaffen worden und bestehe es; er versichert
aber, dass die Ursache des Bebens der dem Wasser innewohnende Geist
sei.313 Zugleich erfand er mit scharfem Sinn die Geometrie, wodurch er zur
Ahnung gelangte, dass der Schöpfer aller Dinge einer sei.
Attribute
Philosophie des Thales
Prinzip Wasser
Gott [als Geist des Kosmos]
Schöpferthese: Der Schöpfer aller Dinge ist einer
Die Ursache des Bebens ist der dem Wasser innewohnende Geist
Urheber der Naturphilosophie und Geometrie
Funktion der Bezugnahme
Das Zeugnis Th 338 enthält zuerst eine Verhältnisbestimmung der Philosophie des Thales und Pherekydes zur Kirche. Aponius konstatiert, dass diese
Philosophie nicht in den Bereich der Lehre der Kirche falle (quae licet
in Ecclesiae doctrina non inferatur). In der Form einer allegorischen Beschreibung wird das Verhältnis der beiden Philosophien zur Kirche und zum
Volk Gottes (populo) weiter expliziert. Bei diesem Vergleich (in cant.
5.22.319–323, sicut […] ita)314 spielt die Bezugnahme auf das Buch Deuteronomium315 mit seinen Opfer- und Speisegesetzen eine besondere Rolle.
Die Rehe und Hirsche, die allegorisch für die Philosophie des Thales und
313
314
315
„et il affirme que la cause du mouvement de l’eau est l’esprit qui y réside“ (De Vregille/ Neyrand).
Cf. auch die französische Übersetzung dieser Stelle: „de même que […] de même
pour la philosophie […].“
Cf. Dtn 12,15–16 „Doch darfst du in allen deinen Städten ganz nach Herzenslust
schlachten und Fleisch essen nach dem Segen des Herrn, deines Gottes, den er dir gegeben hat. Der Reine wie der Unreine dürfen davon essen, so wie man Reh oder
Hirsch isst. Nur das Blut sollst du nicht essen, sondern auf die Erde gießen wie Wasser.“ Cf. auch Dtn 12,22–24 und 15,22–23. Cf. auch Dtn 14,3–5 „Du sollst nichts essen, was dem Herrn ein Greuel ist. Dies aber sind die Tiere, die ihr essen dürft: Rind,
Schaf, Ziege, Hirsch, Reh […].“
Aponius (Th 338)
331
des Pherekydes stehen, zählen (a) nicht zu den Tieren (animalia non sunt)
wie (ut) Lamm, Kalb oder Ziege, die Moses auf dem Altar (in altario) zu opfern (immolanda) befohlen wurden. (b) Dennoch (tamen) zählen sie auch
nicht zu den unreinen Tieren (inter immunda non sunt reputanda). (c) Dem
„Volk“ wurde vielmehr befohlen (iubentur populo), dass es sich von ihnen
ernähren solle (uesci), nachdem ihr Blut auf die Erde gegossen worden sei
(fuso sanguine in terra).316 Soweit der erste Vergleich (sicut – ita), der erste
Anhaltspunkte sowohl zum Verhältnis dieser Philosophie zur kirchlichen
Lehre als auch zum Umgang des Volkes Gottes mit dieser Philosophie gibt.
Anhand eines zweiten Vergleiches (in cant. 5.22.323–328, ita – sicut)
veranschaulicht Aponius nun den Unterschied zwischen der Philosophie des
Thales und Pherekydes einerseits und anderen Philosophen sowie deren
Lehren andererseits. Zuerst stellt er fest, dass die Philosophie des Thales
und Pherekydes (praedicta philosophia) nicht durch Ungerechtigkeiten gegen den Schöpfer unrein sei (non est immunda iniuriis creatoris). Darauf
folgt ein kontrastiver Vergleich mit den Lehren oder dem Leben anderer
Philosophen (aliorum philosophorum uita vel dogmata), die man nach der
Ansicht des Exegeten „mit wilden Tieren, Hunden und Schweinen“ (bestiis,
canibus et porcis) vergleichen müsse (comparandi probantur), weil sie lehrten, dass die Lust das höchste Gut sei (libidinem summum bonum esse docentes).317 Aponius weist abschließend darauf hin, dass der Abstand zwischen dem „Wahnsinn“ (insania) dieser Philosophen zur Philosophie des
Thales und Pherekydes auch im Vergleich mit den von ihm vorgestellten
Tieren veranschaulicht werde. Im Anschluss an diese erste allgemeine Charakterisierung der Philosophie des Thales und Pherekydes sowie ihrer Abgrenzung von anderen philosophischen Strömungen, kommt Aponius auf
die Lehre des Thales (in suo […] dogmate) zu sprechen.
Er schreibt Thales zuerst die Wasserthese in folgender Formulierung zu:
initium omnium rerum aquam. Die darauffolgende Erklärung ist bemerkenswert: Aponius erläutert, dass daraus (inde) alles (omnia) von einem
Unsichtbaren und Großen (ab inuiso et magno) geschaffen wurde (facta)
und bestehe (subsistere). Weiter schreibt er Thales die Erklärung zu, dass
die Ursache (causam) der Bewegung (motus) der dem Wasser innewohnende Geist (aquae spiritum insidentem) sei.318 Abschließend verknüpft
Aponius die dem Thales zugeschriebene Erfindung der Geometrie (geome316
317
318
Hier bezieht sich Aponius auf Dtn 12,15–16; 12,22–24; 14,5 und 15,22–23.
Witek (2001) 510–511 vermutet, dass an dieser Stelle nicht auf die Epikureer, sondern
auf die Kyniker angespielt wird.
Cf. dazu Seneca Th 99 und 101 sowie die Sim. ‚Erdbeben‘.
332
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
tricam artem perspicaci sensu prior inuenit)319 mit dem folgenden Relativsatz (per quam): wodurch er bzw. durch die er zur Ahnung gelangte (suspicatus est), dass der Schöpfer aller Dinge (rerum omnium creatorem) einer
(unum) sei.
Aponius vertritt also die These, dass Thales qua seiner geometrischen
Forschungen zu einer monotheistischen Gottesvorstellung gekommen sei.
Diese Einschätzung steht in Übereinstimmung mit der allgemeinen Wertschätzung der Geometrie durch Aponius.320 Die so dargestellte ‚Lehre des
Thales‘ erweckt den Eindruck, dass sie auch für einen Christen – in der
allegorischen Sprache des Aponius gesprochen – durchaus einen Wert hat.
Die Aussagen über Thales berühren sich mit Äußerungen bei Cicero
Th 72, Apuleius Th 178, Minucius Felix Th 229, Laktanz Th 254 und Stobaios Th 339 und Th 340.321
Literatur
Courcelle, P., Les lettres grecques en occident, Paris 1948.
De Vregille, B., Neyrand, L., Apponius. Commentaire sur le Cantique des Cantiques,
Tome I, Introduction générale, texte, traduction et notes, Livres I–III, SC 420, Tome II,
Livres IV–VIII, SC 421, Paris 1997.
Frank, S., Apponius, In Canticum Canticorum Explanatio, VC 39, No. 4, 1985, 370–83.
König, H., Aponius. Die Auslegung zum Lied der Lieder, Freiburg 1992.
Witek, F., Art. Aponius (1981), RAC Supplement, Bd. 1, 2001, 506–514.
319
320
321
Cf. dazu Strabon Th 81, Apuleius Th 178 und die Sim. ‚Urheber der Geometrie‘.
Cf. dazu Witek (2001) 508–509.
Cf. dazu unter anderem die Sim. ‚Gott [als Geist des Kosmos]‘. Courcelle (1948)
128–129 vermutete, dass Aponius („le mystérieux Aponius“) aus dem gleichen
Handbuch der Philosophiegeschichte wie Augustinus und Sidonius schöpfte. Cf.
dazu De Vregille/Neyrand (1997) 53–55 und Witek (2001) 509–512.
Iohannes Malalas (Th 454–455)
333
4.7 Iohannes Malalas (Th 454–455)
Der um 500 geborene Iohannes Malalas stammte wohl aus dem syrischen
Antiochien oder aus dessen näherer Umgebung.322 Bereits sein aus dem
syrischen abgeleiteter Name ‚Malalas‘ (Rhetor, Scholasticus) gibt zu erkennen, dass es sich bei dem „Verfasser der frühesten erhaltenen byzantinischen Weltchronik“323 um einen umfassend gebildeten Mann gehandelt
hat.324 Nachdem er die damals für Mitglieder lokaler Eliten übliche klassische Ausbildung durchlaufen hatte, war er später möglicherweise in der
Reichsverwaltung tätig.325
Iohannes Malalas, Chronographia
Mit seiner insgesamt achtzehn Bücher umfassenden Chronik steht Malalas
in der Tradition christlicher Chronisten sowie der nicht-christlichen Chronographie.326 Seine Weltchronik beginnt mit Adam und der Erschaffung der
Welt und bricht kurz vor dem Tod Kaiser Justinians im Jahre 565 ab. In
den ersten sechs Büchern geht es um die biblische Geschichte, die mit der
Frühgeschichte des Alten Orients und der griechischen Geschichte in einen
synchronen Zusammenhang gebracht wird.327 Die zwei Bezugnahmen auf
Thales stehen im vierten (chron. 4.6) und sechsten Buch (chron. 6.4).
Kontext zu Th 454
Das vierte Buch beginnt in chron. 4.1 mit der Herrschaft der Könige von
Argos im Anschluss an den mythischen König Inachos ( µ 5I8).
Es folgen kurze Ausblicke (chron. 4.2–3) auf die parallelen Geschehnisse
(chron. 4.2) im Westen, in Italien (π ξ «, Ρ / /%λ κ #I.!),
322
323
324
325
326
327
Cf. zu Leben und Werk Thurn (2000) 1–4, die Rezension von Meier (2001)
1073–1081, bes. 1073–1076 und ders. (2007) 559–586.
Meier (2001) 1073. Cf. auch die Untersuchung von Jeffreys (2003) zum Beginn der
Byzantinischen Chronographie mit Iohannes Malalas, 497–527.
Cf. dazu Thurn (2000) 1 und Meier (2001) 1073. Debié (2004) weist auf zwei Besonderheiten (particularités) der syrischen Tradition hin, 147: „[…] la première est que
Jean n’y est pas connu comme Malalas, et la seconde que sa chronique n’a pas fait
l’objet d’une traduction.“
Cf. Meier (2007) 569.
Cf. dazu Meier (2007) 559–568, bes. 566–568. Für eine englische Übersetzung des
Werkes cf. Jeffreys/Scott (1986), für eine deutsche Übertragung Wirth (2009).
Buch 7 behandelt die römische Frühzeit, Buch 8 Alexander den Großen und die hellenistische Geschichte. In Buch 9 geht es um die Vorgeschichte des Prinzipats des Augustus. Buch 10 bildet die Werkmitte mit der gleichzeitigen Menschwerdung Christi
und der Herrschaft des Augustus.
334
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
das zu dieser Zeit ohne Herrschaft war (f $*!.«), in Israel
(nach dem Tod von Moses und Aaron in der Wüste: von der Herrschaft
des Anführers Joschua, dem Sohn des Nun, bis zur Herrschaft der dreizehn
vom Volk gewählten Richter) und (chron. 4.3) in Griechenland (mit den
mythischen Gestalten und Erfindern Prometheus, Epimetheus, Atlas, Argos
und Deukalion).328 Iohannes verweist auf „den höchst gelehrten Eusebius“
(E*« ² Pφ!. ² φ;«) als einen Zeugen.329 In chron. 4.4 erwähnt er den Tod der Richter in Israel und die sich anschließende Herrschaft
des Barach, zu dessen Zeit auch die Prophetin Deborah lebte, die den Juden
die zukünftigen Ereignisse voraussagte. Zur selben Zeit (chron. 4.5) soll
unter den Griechen die Seherin Sibylle gelebt haben. In chron. 4.5 berichtet
Iohannes über die attische Frühzeit, die Herrschaft des Kekrops sowie die
des Kranaos in Athen. Zur Zeit des Kranaos führt er Sappho „als erste Dichterin“ (/ /!« ξ 1« 8« %φΩ %; κ /(!')
an. Zu Beginn von chron. 4.6 kommt die Rede auf Drakon, der als erster
von den Archonten den Athenern Gesetze gegeben habe, die nach ihm
(’ ) Solon auflöste (D. @« « 0« .(). Unmittelbar im Anschluss an Solon führt Iohannes (chron. 4.6) Thales den Milesier an, der „wiederum“ (%0.) als Gesetzgeber tätig war (/).
Nach Thales konzentriert sich der Bericht wieder auf die Angaben der Herrschaft über Athen (chron. 4.6).
Th 454 Iohannes Malalas, Chronographia 51.77–78, Logos 4.6
(ed. Thurn)
[…] λ D. @« « 0« .(. λ %0. /
L.)« ² M.&«.
Th 454 Iohannes Malalas, Weltchronik 51.77–78, Logos 4.6
Solon hob die Gesetze Drakons auf. Dann wieder war Thales, der Milesier,
Gesetzgeber.
328
329
Cf. chron. 4.3.
Der Quellenapparat bei Thurn (2000) verweist auf Eusebius PE 10.10.23. Eusebius
nennt zwar an der angezeigten Stelle Prometheus, gibt jedoch ein längeres Referat aus
Iulius Africanus. Meier (2007) 568 bemerkt allgemein zu dem ‚Eusebius‘ des Iohannes Malalas, dass es sich entweder um eine Bearbeitung handle, „die nicht mehr
viel mit dem Original gemeinsam hatte (mehrfache Überarbeitungen, Modifikationen
und Fortschreibungen von Chroniken waren in der Spätantike ohnehin üblich)“ oder
er „vielleicht sogar lediglich den Autorität vermittelnden Namen des Eusebius“ benutzte, „um dadurch die Glaubwürdigkeit und Relevanz seiner eigenen Darstellung
zu stärken“.
Iohannes Malalas (Th 454–455)
335
Attribute
Datierung
Milet
Gesetzgeber
Funktion der Bezugnahme
Thales wird im Zuge der berühmten athenischen Gesetzgeber Drakon und
Solon genannt. Von ihm wird gesagt, dass er Gesetze gab oder gestaltete
(/).330 Es wird jedoch nichts über die Form oder den Inhalt der
Gesetzgebung des Thales gesagt. Da auch keine weitere Ortsangabe für die
gesetzgeberische Tätigkeit des Thales genannt wird, kommt dem Namenszusatz „der Milesier“ oder „der aus Milet“ eine größere Bedeutung zu. Für
die im weitesten Sinne politische Tätigkeit des Thales kommt Milet bzw. die
Umgebung von Milet in Frage. Bereits in einem der frühesten Zeugnisse, in
den Historien des Herodot (Th 12), wird Thales als politischer Ratgeber der
Ionier bezeugt, der ihnen den Ratschlag gab, sich ein gemeinsames Versammlungshaus in Teos zu errichten.331
*
Kontext zu Th 455
Das sechste Buch (chron. 6.1) setzt mit der Herrschaft des Königs Joakim
über Israel ein. Dieser König wurde von dem assyrischen König Nebukadnezar II332 bei der Einnahme Jerusalems und des ganzen judäischen Landes,
gefangen genommen. Die Gefangenschaft der Juden (π 98.(! #I!() in Babylon wird auf das fünfte Herrschaftsjahr des Nebukadnezar datiert. Bei dieser Datierung beruft sich Johannes auf Eusebius („der aus
Pamphylien“) und seine chronographische Arbeit.333 Nachdem er in chron.
6.2 in Kürze von der Herrschaft bei den Lydern berichtet hat, wendet er sich
in chron. 6.3 wieder den assyrischen Herrschern zu: In der Nachfolge des
Nebukadnezar steht dessen Sohn Belshazar, der nach einer Vision, die ihm
330
331
332
333
LSJ s. v. -(, frame laws.
Cf. auch Platon Th 21, Claudius Aelianus Th 227, Diogenes Laertius Th 237 (1.25)
sowie später Iohannes von Antiochien Th 479. Zu den Quellen des Iohannes Malalas
cf. Jeffreys (1990) 167–216.
Iohannes nennt ihn (chron. 6.1) N*8, *.@« #A!(. Er wurde
um 640 geboren und regierte von 604–562 v. Chr.
Chron. 6.1 / ξ )
%%)
( D )« *.!« N*8 %» π 98.(! #I!( / / B*.
, Ω« E*« ² Pφ!. /80φ. Cf. Eusebius PE 10.14.7.
336
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
der hebräische Gefangene Daniel deutet, von dem Meder Dareios getötet
wurde. Es folgen die Herrschaft des Dareios sowie weiterer Herrscher über
Assyrien (chron. 6.4) bis zu der Zeit des Astyages, der als König der Perser
mit großer Macht gegen die Lyder in den Kampf zog (χ« /%0
). In diesem Zusammenhang folgt die Bezugnahme auf die
Sonnenfinsternis und deren Vorhersage durch Thales. Johannes bemerkt,
) 8)
() die Sonne für viele Stunden des Tages
dass sich in dieser Zeit (/ W
(/%λ %..« —«) verfinsterte. Diese Sonnenfinsternis (κ D.? "
π.!) sei durch Thales, den Philosophen, vorhergesagt worden.
Th 455 Iohannes Malalas, Chronographia 118.41–45, Logos 6.4
M ξ κ *.! ! /*!. U *.1« #A!(
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Th 455 Iohannes Malalas, Weltchronik 118.41–45, Logos 6.4
Nach der Königsherrschaft des Dareios herrschten andere Könige der Assyrer bis Astyages. Und danach war Astyages König der Perser, der gegen die
Lyder zu Felde zog und mit einer großen Macht aufzog. In dieser Zeit verfinsterte sich die Sonne für viele Stunden des Tages. Der Philosoph Thales
hatte die Sonnenfinsternis vorhergesagt.
Attribute
Philosoph
Vorhersage der Sonnenfinsternis
Datierung
Funktion der Bezugnahme
Die von Thales vorhergesagte Sonnenfinsternis wird zeitgleich angesetzt
zum einen mit (a) dem Krieg des assyrischen und persischen Königs
Astyages gegen die Lyder, zum anderen (b) im darauf folgenden Kontext
mit dem Staatsstreich des Peisistratos in Athen (/ 1« 1« 8«
P!«).334 Bemerkenswert ist die Angabe des Malalas, dass die
Sonnenfinsternis über viele Stunden des Tages (/%λ %..« —«) angedauert haben soll. In der slawischen Fassung wird Thales als „Weiser“, nicht als
334
Cf. dazu Sim. ‚Datierung‘ und ‚Sonnenfinsternis‘.
Iohannes Malalas (Th 454–455)
337
Philosoph bezeichnet. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Thales
für die Chronik des Iohannes Malalas in zwei Punkten von Bedeutung ist:
zum einen in der Funktion eines Gesetzgebers und Zeitgenossen des Solon
(Th 454), zum anderen aufgrund seiner Vorhersage der außergewöhnlichen
Sonnenfinsternis, die während des Krieges zwischen Persern und Lydern
stattgefunden haben soll.
Literatur
Debié, M., Jean Malalas et la tradition chronographique de la langue syriaque, in: Beaucamp, J. (Hrsg.), Recherches sur la Chronique de Jean Malalas, Paris 2004, 147–164.
Jeffreys, E., Jeffreys, M., Scott, R., The Chronicle of John Malalas, Melbourne 1986.
Jeffreys, E., Malalas’ Sources, in: Jeffreys, E., Croke, B., Scott, R. (Hrsg.), Studies in
John Malalas, Sydney 1990, 167–216.
Jeffreys, E., The Beginning of Byzantine Chronography: John Malalas, in: Marasco, G.
(Hrsg.), Greek and Roman historiography in late antiquity, Leiden u.a. 2003,
497–527.
Meier, M, Rezension zu Ioannis Malalae Chronographia, rec. H. Thurn, in: Göttinger
Forum für Altertumswissenschaft, 4, 2001, 1073–1081.
Meier, M., Naturkatastrophen in der christlichen Chronistik. Das Beispiel Johannes Malalas (6. Jh.), Gymnasium 114, 2007, 559–586.
Thurn, H., Ioannis Malalae Chronographia, Berlin 2000.
Wirth, P. (Hrsg.), Johannes Malalas. Weltchronik, übers. v. Thurn, J. u. Meier, M., mit
Einl. u. Erl., Bibliothek der griechischen Literatur, Bd. 69, Stuttgart 2009.
338
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
4.8 Isidor von Sevilla (Th 473–475)
Der als letzter westlicher Kirchenvater bekannte Isidor von Sevilla (um
570–636) steht bereits an der Schwelle zum Frühmittelalter. Er kann sowohl
zu den letzten Gelehrten der Spätantike als auch zu den frühesten und sehr
einflussreichen christlichen Gelehrten des Mittelalters gezählt werden.335
Isidor erhielt eine umfassende weltliche und geistliche Ausbildung. Als
Nachfolger seines Bruders Leander setzte er sich als Erzbischof von Sevilla
(seit 600/601) besonders für die Reorganisation der Kirche und des Bildungswesens in Spanien ein.
Isidor von Sevilla, Etymologiae
Neben einer großen Anzahl von verschiedenen Themen gewidmeten Werken ist besonders sein zwanzig Bücher umfassendes Hauptwerk Etymologiae, das auch als Buch von den ‚Ursprüngen‘ (Origines) bekannt ist, für die
Rezeptionsgeschichte des Thales von Interesse.336 In dieser nach Themen
geordneten Schrift bietet Isidor eine zusammengefasste Form des Wissens
seiner Zeit, die zu einem „Grundbuch des Mittelalters“ wird.337 Sie verdankt
ihren Namen „der Grundüberzeugung, dass die Herkunft eines Wortes den
Schlüssel zum Verständnis bietet […] und das Wort das Wesen der Sache
ausdrückt.“338 Die Schrift enthält drei Bezugnahmen auf Thales von Milet:
Bei der Definition von Philosophie in Buch 2 (De rhetorica et dialectica),
im Rahmen einer chronologischen Übersicht in Buch 5 (De legibus et temporibus) sowie unter der Überschrift „de philosophis gentium“ in Buch 8
(De ecclesia et sectis).
Kontext zu Th 473
Im zweiten Buch De rhetorica et dialectica behandelt Isidor die Disziplinen
der Rhetorik und Dialektik sowie deren Gegenstände. Zuerst ist von der
Rhetorik (orig. 2.1–21) und der Dialektik (orig. 2.22) die Rede. Darauf werden die Unterschiede zwischen diesen beiden Disziplinen hervorgehoben
(orig. 2.23). Im 24. Kapitel, in dem es um eine Bestimmung der Philosophie
(de definitione philosophiae) geht, steht die erste Bezugnahme auf Thales
(Th 473). Nachdem Isidor in orig. 2.24.3 zuerst das Wort „Philosophie“ von
der Übersetzung ins Lateinische als amor sapientiae bzw. griechisch φ.!
335
336
337
338
Cf. Barney (2006) 16, Röwekamp (1998) 320–322 und Fontaine (1998) 1002–1027.
Cf. Röwekamp (1998) 321. Für eine deutsche Übersetzung cf. Möller (2008).
Ebd. 322.
Ebd. 321. Cf. dazu die Überlegungen zur Wortenstehung in orig. 1.29.
Isidor von Sevilla (Th 473–475)
339
(Liebe) und φ! (Weisheit) näher erläutert hat,339 unterscheidet er in
einem ersten Referat drei Bereiche der Philosophie, für die er wiederum jeweils die griechische und lateinische Bezeichnung angibt: die Naturlehre
(naturalis/gr. physica), die Morallehre (moralis/gr. ethica) und die Logik
bzw. Vernunftlehre (rationalis/gr. logica). Die Gegenstände der drei Bereiche bestimmt er folgendermaßen (cf. Th 473): Während in der Naturphilosophie (in physica) nach der Ursache (causa) dessen, was in der Forschung
gefunden worden ist, in der Ethik (in ethica) nach dem, wie man richtig leben solle (ordo vivendi), gefragt werde, beschäftige man sich in der Logik
(in logica) mit der Methode des Denkens (ratio intellegendi). Darauf geht
Isidor auf die ersten Vertreter dieser drei Bereiche ein: Thales für den Bereich der physica, Sokrates für die „Ethik“, Platon für die „Logik“. In diesem Zusammenhang steht die Bezugnahme in Th 473.
Th 473 Isidor von Sevilla, Etymologiae 2.24.4 (ed. Lindsay)
(Cap. 24: De definitione philosophiae) In physica igitur causa quaerendi,
in ethica ordo vivendi, in logica ratio intellegendi versatur. Physicam apud
Graecos primus perscrutatus est Thales Milesius, unus ex septem illis
sapientibus. Hic enim ante alios caeli causas atque vim rerum naturalium
contemplata ratione suspexit, quam postmodum Plato in quattuor definitiones distribuit, id est Arithmeticam, Geometricam, Musicam, Astronomiam.
Th 473 Isidor von Sevilla, Ursprünge 2.24.4
(Kap. 24: Über die Bestimmung der Philosophie)
In der Physik also beschäftigt man sich mit der Ursache dessen, was in der
Forschung gefunden worden ist, in der Ethik mit der Ordnung des Lebens,
in der Logik mit der Methode des Denkens. Die Physik hat bei den Griechen
zuerst Thales von Milet erforscht, einer jener Sieben Weisen. Denn dieser
richtete vor den anderen seinen Blick mit betrachtender Methode sowohl
auf die Ursachen des Himmels als auch auf die Kraft der natürlichen Dinge,
die Platon später in vier Disziplinen aufteilte, nämlich Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie.340
339
340
Cf. dazu Augustinus civ. 8.1 […] cum philosophis […]; quorum ipsum nomen si Latine interpretemur, amorem sapientiae profitetur.
Übersetzung Schwab.
340
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
Attribute
Milet
Erster Naturphilosoph
Einer der Sieben Weisen
Untersuchung der himmlischen Ursachen und der Kraft der natürlichen Dinge
Funktion der Bezugnahme
Thales wird als der Erste bei den Griechen (apud Graecos primus) genannt,
der sich als einer der Sieben Weisen (unus ex septem illis sapientibus) mit
der gründlichen Erforschung (perscrutatus est) der Natur (physicam) befasst habe. Seine Auszeichnung als Pionier auf diesem Gebiet begründet
(enim) Isidor folgendermaßen: Thales habe vor den anderen (ante alios)
durch die betrachtende Methode/Vernunft (contemplata ratione) seine Aufmerksamkeit sowohl auf die Ursachen des Himmels (caeli causas) als auch
auf „die Kraft der natürlichen Dinge“ (atque vim rerum naturalium) gerichtet. Platon habe später (postmodum) die Erforschung der physica in vier Disziplinen (in quattuor definitiones) aufgeteilt: Arithmetik, Geometrie, Musik
und Astronomie.341
Es ist festzuhalten, dass Thales neben Sokrates (Ethik) und Platon
(Logik) für Isidor einen erstrangigen Platz in der Geschichte der griechischen Philosophie aufgrund seiner erstmaligen Erforschung der Ursachen
des Himmels erhält.
*
Kontext zu Th 474
Die zweite Bezugnahme auf Thales steht in einer chronologischen Tabelle
im fünften Buch (De legibus et temporibus, Über Gesetze und Zeiten). Die
Inhalte dieser Tabelle gehen besonders auf die als Chronikon bezeichnete
Schrift des Isidor zurück, die vor allem auf der von Hieronymus adaptierten
341
Zur Frage nach den Quellen dieses Abschnittes ist die Studie von Fontaine (1983)
Bd. 3, 609–611, heranzuziehen, der die Aufmerksamkeit besonders auf zwei Autoren
lenkt: erstens auf Cicero, zweitens auf verschiedene Passagen aus dem achten Buch
von Augustinus’ De civitate Dei mit Verweisen auf civ. 8.1, 8.2, 8.4 und 8.10. Zur
Dreiteilung der Philosophie bei Isidor bemerkt Fontaine ebd. 609: „La tripartition de
la philosophie exposée par Isidore est fort ancienne. Déjà virtuelle dans Platon, explicitée par son disciple Xénocrate, divulgée surtout par les Stoïciens, elle était devenue
banale dans l’école gréco-romaine: Cicéron la mentionnait dans le De oratore comme
une notion courante qu’il se bornait à rappeler au passage.“ Er verweist auf Cicero De
orat. 1.15.68. Weitere Stellen ebd. 609.
Isidor von Sevilla (Th 473–475)
341
Chronik des Eusebius basiert.342 In seiner „Beschreibung der Zeiten“ (De
descriptione temporum) unterscheidet Isidor in orig. 5.39 sechs Zeitalter:
Während das erste Zeitalter mit der Erschaffung der Welt und des ersten
Menschen (Adam) durch Gott beginnt, reicht das zweite von Adam bis zu
Noah, das dritte von Abraham bis zu König David, das vierte von König David bis zum Babylonischen Exil, das fünfte von der Einnahme Babylons bis
zur Ankunft des Erlösers, des Sohnes Gottes.343 Das sechste setzt mit der
Geburt Christi zur Regierungszeit des Augustus ein und erwähnt zuletzt als
Herrscher der Gegenwart Isidors den oströmischen Kaiser Heraclius (in seinem 17. Regierungsjahr, also 627 n. Chr.) und die (Zwangs-)Konversion der
Juden zum Christentum in Spanien während des vierten und fünften Jahres
des Westgotenkönigs Sisebut.
Th 474 Isidor von Sevilla, Etymologiae 5.39.18 (ed. Lindsay)
(Cap. 39: De descriptione temporum) Quarta aetas […] Iosias ann. XXXII.
Thales philosophus agnoscitur. [IVMDLXXXVII]
Th 474 Isidor von Sevilla, Ursprünge 5.39.18
(Kap. 39: Einteilung der Zeitalter) Viertes Zeitalter […] Josia, Jahr 32.344
Der Philosoph Thales ist bekannt. [4587].345
Attribute
Philosoph
Datierung
Funktion der Bezugnahme
Thales wird im Kontext des vierten Zeitalters genannt. Dieses setzt zur Zeit
Davids (nach Isidor: im Jahre 4164) ein und vermerkt die Gründung Karthagos durch Dido. Gegen Ende des vierten Zeitalters wird der Name des Thales im Jahre 4587, gemeinsam mit dem berühmten König von Juda, Josia,
genannt.346 Im 32. Jahr seiner Herrschaft, so die Auskunft Isidors, soll Thales als philosophus bekannt gewesen sein (agnoscitur).
342
343
344
345
346
Cf. dazu Kommentar zu Hieronymus Th 304–308 und Eusebius Th 281–285.
Cf. dazu die Hinführung in orig. 5.38.
Josia (Joschija), 639–609 v. Chr. König des Reiches von Juda.
Cf. bes. Hieronymus Th 306; Annales Hildesheimenses I Iosias ann. 32 (4 ed. Waitz);
Beda Venerabilis De temporibus liber 20 (ed. Jones); Lambert von Hersfeld Annales
5.25 (ed. Holder-Egger).
Zu König Josia cf. 2 Kön 22–23 und 2 Chron 34–35.
342
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
(1) Auffällig ist, dass Thales als einziger der frühgriechischen Naturphilosophen in der chronologischen Tabelle des Isidor vorkommt. Vor Thales
werden (gegen Ende des dritten Weltalters, 4124) lediglich Homer und im
vierten Weltalter kurz vor Thales die Sibylle von Samos (zur Regierungszeit
des Königs Manasse, des Großvaters von Josiah) angeführt. Mit gewissem
Abstand folgen im fünften Zeitalter die Tragiker Sophokles und Euripides,
Platon, Demosthenes und Aristoteles.
(2) Thales wird nicht als Weiser, sondern als Philosoph bezeichnet.347
Für die Chronologie des Isidor markiert er den Anfang der Philosophie in
Griechenland.
(3) Von der Sonnenfinsternis als einem möglichen Fixpunkt der Datierung ist an dieser Stelle bei Isidor nicht die Rede, ebensowenig von seinen
mathematischen, astronomischen Erkenntnissen oder „politischen“ Leistungen.348
Die Bezugnahme auf Thales innerhalb dieser Chronologie, die sich in
ähnlicher Form auch in mehreren Chroniken des Früh- und Hochmittelalters
findet,349 veranschaulicht die hervorragende Stellung des Thales innerhalb
einer lateinischen Darstellung der Geistes- und Kulturgeschichte an der
Schwelle von Spätantike und frühem Mittelalter.
*
Kontext zu Th 475
Das dritte Zeugnis über Thales steht im achten Buch der Origenes, das
von der Kirche und den „Sekten“ (De ecclesia et sectis) handelt.350 Im
Anschluss an die in orig. 8.5 (De haeresibus Christianorum) aufgelisteten
„Häresien“ der christlichen Religion kommt Isidor auf die nicht-christliche
Philosophie zu sprechen (De philosophis gentium). Nachdem er zuerst die
Bedeutung des griechischen Wortes „Philosoph“ als amator sapientiae351
347
348
349
350
351
Hieronymus (Th 305 und Th 306) bezeichnet Thales als physicus philosophus.
Cf. dazu die beiden Zeugnisse Th 454–455 aus der Weltchronik des Iohannes Malalas.
Cf. z.B. Beda Venerabilis De temporibus liber 20; Lambert von Hersfeld Annales 27.
Cf. zu den Quellen der Bücher 6–8 Barney (2006) 10–17. Für den kirchlichen und
theologischen Teil der Bücher 6–8 werden als Primärquellen Augustinus, Hieronymus, Gregor der Große, Laktanz und Tertullian genannt, als Quellen für die „nichtchristliche Weisheit“ in Buch 8 die Autoren Varro, Cicero und Plinius. Cf. dazu Barney (2006) 15.
Cf. orig. 2.24.3.
Isidor von Sevilla (Th 473–475)
343
aufgezeigt und an Pythagoras erinnert hat,352 unterscheidet er drei Klassen
von Philosophen (orig. 8.6.3–6): die Naturphilosophen (physici), die Ethiker (ethici) und die Logiker (logici);353 darauf charakterisiert er in Kürze
(orig. 8.6.6–16) verschiedene griechische Philosophenschulen (Platoniker,
Stoiker etc.) bis er zuletzt (orig. 8.6.17) auf die Gruppe der Gymnosophisten
zu sprechen kommt. Im unmittelbaren Anschluss an diese Ausführungen
folgt die Bezugnahme auf Thales.
Th 475 Isidor von Sevilla, Etymologiae 8.6.18
(Cap. 6: De philosophis gentium) Theologi autem idem sunt qui et Physici.
Dicti autem Theologi, quoniam in scriptis suis de Deo dixerunt. Quorum
varia constat opinio, quid Deus esset dum quaererent. Quidam enim corporeo sensu hunc mundum visibilem ex quattuor elementis Deum esse dixerunt, ut Dionysius Stoicus. Alii vero spiritaliter intellexerunt mentem esse
Deum, ut Thales Milesius.354
Th 475 Isidor von Sevilla, Ursprünge 8.6.18
(Kap. 6: Die heidnischen Philosophen) Die Theologen sind aber zugleich
auch die Naturphilosophen. Sie heißen aber Theologen, weil sie in ihren
Schriften über Gott sprachen. In ihren Untersuchungen gibt es mannigfaltige Ansichten hinsichtlich der Natur Gottes. Einige nämlich, wie der Stoiker Dionysius, sagten, dass Gott diese dem körperlichen Sinn sichtbare Welt
aus den vier Elementen sei. Andere aber, wie Thales aus Milet, verstanden
Gott in spiritueller Weise als Geist.
Attribute
Milet
Naturphilosoph
Theologe
Schrift
Gott: Gott ist in spiritueller Weise zu verstehen
Funktion der Bezugnahme
Isidor bemerkt, dass es auch unter den theologi Forscher gebe, die jedoch
(autem) dieselben seien wie die Naturphilosophen (idem sunt qui et phy352
353
354
Cf. dazu Augustinus civ. 8.2 und ähnlich Laktanz inst. 3.2.
Cf. orig. 8.6.3 Idem autem philosophi triplici genere dividuntur: nam aut physici sunt,
aut ethici, aut logici.
Cf. Honorius Augustodunensis De haeresibus (ed. Migne PL 172, 236A).
344
Textzeugnisse aus dem 5., 6. und 7. Jahrhundert
sici). Für ihre Namensgebung führt er folgende Begründung (quoniam) an:
Sie würden als Theologen (theologi) bezeichnet, weil sie in ihren Schriften
(in scriptis suis) Aussagen über Gott gemacht hätten (de Deo dixerunt).
Des Weiteren: Es gebe in ihren Untersuchungen mannigfaltige Ansichten
darüber, was Gott sei (quid deus esset). Bei diesen ‚Theologen‘ unterscheidet Isidor zwei Anschauungen, die er anhand zweier typischer Vertreter
illustriert: zum einen des Stoikers Dionysius, zum anderen des Thales aus
Milet.355 Während die einen, wie der Stoiker Dionysius, „diese dem körperlichen Sinn sichtbare Welt als aus den vier Elementen bestehend“ (hunc
mundum visibilem ex quattuor elementis) als Gott bezeichneten (Deum esse
dixerunt), hätten andere (alii), wie Thales aus Milet, Gott in „spiritueller
Weise“ (spiritaliter) als Geist (mentem) verstanden (intellexerunt).
Bemerkenswert an diesem Zeugnis ist erstens, dass Thales von Isidor zu
den Theologen gezählt wird, zweitens, dass Isidor auf die ‚Gott-ist-Geist‘These anspielt, indem er, wie bereits vor ihm Minucius Felix (Th 229) und
Laktanz (Th 254) in der lateinischen christlichen Tradition, Thales ein
‚geistiges‘ Verständnis Gottes zuschreibt.356 Da Isidor von den Schriften der
‚Theologen‘ (in scriptis suis) spricht, wird er wohl annehmen, dass Thales
etwas Schriftliches verfasst haben wird.357
Literatur
Barney, S. A. (Hrsg.), The Etymologies of Isidore of Seville, Cambridge 2006.
Fontaine, J., Art. Isidor IV (von Sevilla), RAC 18, 1998, 1002–1027.
Fontaine, J., Isidore de Séville et la culture classique dans l’espagne wisigothique,
Bd. 1–3, Paris 1983.
Möller, L., Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, Wiesbaden 2008.
Röwekamp, G., Art. Isidor von Sevilla, LACL, 1998, 320–322.
355
356
357
Zu dem Stoiker Dionys(ios) aus Herakleia am Pontos, der ein Schüler des Zenon von
Kition war, cf. Ueberweg, Bd. 4/2, Hellenistische Philosophie, 558.
Cf. dazu Aponius Th 338, dagegen Augustinus Th 311.
Cf. dazu die Sim. ‚Schrift‘, Eusebius Th 263 und Augustinus Th 311, 314 und
Th 315.
Isidor von Sevilla (
345
5. Zusammenfassung
Das Hauptinteresse meiner Untersuchung der Textzeugnisse über Thales bei
den 25 christlichen Autoren konzentrierte sich auf die beiden Fragen, (1)
wie Thales und seine Ideen zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen
Texten und Kontexten erscheinen und (2) warum.
(1) Die in einem ersten Schritt (unter der Rubrik: Attribute) unternommene formale Annäherung an die Textzeugnisse zeigte, wie bereits aus der
Summe der Thales zugeschriebenen Attribute im Mikrokontext erste Konturen eines Bildes von Thales und der ihm zugeschriebenen Ideen entworfen
werden können.1
Für ein umfassendes Verständnis der Darstellungen des Thales und seiner
Ideen in einem bestimmten Zusammenhang reichen diese Angaben jedoch
noch nicht aus. (2) Um wirklich verstehen zu können, warum Thales in
einem bestimmten Zusammenhang erwähnt und ihm dabei dieses oder jenes
Attribut zugeschrieben wird, musste in einem zweiten Schritt (unter der Rubrik: Kontext) dem weiteren Kontext, in dem die Bezugnahme steht, mehr
Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dort habe ich jeweils die vielfältigen
Zusammenhänge und Argumentationen, in denen Thales vom 2. bis zum
frühen 7. Jahrhundert in den Texten christlicher Autoren erwähnt wird, analysiert und beschrieben. Mit Hilfe dieser teils sehr umfangreichen Untersuchung, die ich als ‚Kontextualisierung‘ bezeichne, konnte gezeigt werden,
dass und wie die Figur des Thales und seine Ideen in den jeweiligen Texten
eine bestimmte, zumeist argumentative Funktion erfüllen.
(3) An diese Beobachtung anschließend führte die Untersuchung in
einem dritten Schritt (unter der Rubrik: Funktion der Bezugnahme) zu
einer Analyse jener argumentativen Funktion unter Berücksichtigung des
Kontextes. Es hat sich gezeigt, dass die Bezugnahmen auf Thales in großem
Maße bedingt sind durch die teils sehr wohl durchdachten (aber nicht immer
explizit genannten) Argumentationsstrategien der Autoren (z.B. bei Tertullian, Laktanz, Athenagoras, Clemens, Eusebius, Kyrill, Theodoret), teilweise sogar deren ausdrücklich benannte Argumentationsziele (z.B. bei Eu-
1
Cf. zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen die Tabelle im Anhang.
346
Zusammenfassung
sebius, Ps.-Justin, Theodoret, Augustinus), das enzyklopädische Interesse
(z.B. bei Isidor) oder die rhetorische Inszenierung der eigenen nicht-christlichen Bildung (z.B. bei Sidonius) – um nur einige Beispiele anzuführen.
Ein Hauptergebnis meiner Untersuchung besteht darin, dass bei den vielen Bezugnahmen auf Thales durchaus Konstanten, Muster und Themen
aufgezeigt werden können, die sowohl in der griechischen als auch in der
lateinischen frühen christlichen Literatur wiederkehren. Diese Beobachtungen sollen nun durch die Beantwortung der drei eingangs gestellten Fragen (vgl. Einleitung) für ein besseres Verständnis der Bezugnahmen fruchtbar gemacht werden.
5.1 Vom Kontext zum Diskursfeld
Als Ergebnis meiner Untersuchung des Makrokontextes der jeweiligen
Textzeugnisse über Thales war es mir möglich, bestimmte ‚Diskursfelder‘
aufgrund der Ähnlichkeit und Verschiedenheit der eben angeführten Faktoren sowie einer bestimmten Form und Ausrichtung der untersuchten Texte
vom 2. bis zum 7. Jahrhundert zu unterscheiden. Die Zuordnung der verschiedenen Texte zu einem oder auch mehreren Diskursfeldern ergab sich
erst im Anschluss an die induktive Untersuchung der Makrokontexte.
Auf der Grundlage der Falluntersuchungen zu den Textzeugnissen der
christlichen Autoren schlage ich die folgenden Diskursfelder zur Unterscheidung vor:
x
x
x
x
Apologetisches Diskursfeld
bei Tertullian, Arnobius, Augustinus, Athenagoras, Tatian, Hermias, Eusebius, Theodoret, Kyrill
Apologetisch-protreptisches Diskursfeld
bei Minucius Felix, Laktanz, Clemens, Eusebius, Ps.-Justin, Theodoret
Chronologisches Diskursfeld
bei Tatian, Eusebius, Hieronymus, Augustinus, Iohannes Malalas; teils
auch innerhalb des apologetischen und enzyklopädischen Diskursfeldes;
Theologisch-philosophisches Diskursfeld
bei Tertullian: De anima, Laktanz, Augustinus: De civitate Dei, Clemens:
Stromateis, Ps.-Justin, Eusebius, Nemesios
Faktoren für die Thales-Darstellung
347
Als weitere Diskursfelder lassen sich die Folgenden unterscheiden:
Epistolographisches Diskursfeld (bei Sidonius)
Enzyklopädisches Diskursfeld (bei Isidor)
Diskursfeld des christlichen Romans (bei Ps.-Clemens / Tyrannios Rufinus)
x
x
x
Innerhalb der ‚binnenchristlichen‘ Kommunikation sind zu unterscheiden:
x
Häresiologisches Diskursfeld
bei Irenäus von Lyon, Tertullian: Adversus Marcionem, Hippolytos, Epiphanios, Augustinus: Contra Iulianum, Iulianus von Aeclanum
und die Folgenden:
Exegetisches und homiletisches Diskursfeld (bei Aponius und Ambrosius) und epistolographisches Diskursfeld (bei Sidonius)
x
Die Diskursfelder können sich gelegentlich überschneiden und sind teils
identisch mit den literarischen Genres der frühen christlichen Literatur.
Um nun zu verstehen, warum in einem bestimmten Text auf Thales Bezug
genommen wird, ist es sinnvoll, die Thales zugeschriebenen Attribute in
Kenntnis und vor dem Hintergrund der entsprechenden Faktoren und wirkenden Einflüsse des jeweiligen Diskursfeldes zu betrachten.
5.2 Faktoren für die Thales-Darstellung
Die hermeneutische Situation zur Untersuchung der Figur des Thales und
seiner Ideen sowohl in den Texten der christlichen Autoren als auch in denen nicht-christlicher ist meines Erachtens als komplex zu charakterisieren.
Die Autoren – die christlichen ebenso wie die nicht-christlichen – sind im
Hinblick auf Thales, anders als vielleicht bei Empedokles, Parmenides oder
Heraklit, nicht Leser eines Buches oder Textes von Thales selbst, sondern
vielmehr Leser von Texten über Thales und seine Ideen, von Handbüchern
und Placita-Werken, aus denen sie schöpfen; d.h. es handelt sich um Leser,
die auswählen, was sie ihren Lesern für ihre eigenen Zwecke – in unterschiedlichem Maß an rhetorischer Eleganz und Meisterschaft – darbieten
wollen.
Eine Vielzahl von konkreten Gründen und Anlässen für eine Bezugnahme auf Thales und seine Ideen in den untersuchten Kontexten habe ich
in den entsprechenden Einzelkommentaren dargestellt und erläutert. Zwar
können sie zumeist bereits aus der vorausgehenden Analyse des Kontextes
348
Zusammenfassung
ersehen werden, doch ist es mir ein Anliegen, anhand des apologetischen
Diskursfeldes exemplarisch zu skizzieren, wie es überhaupt zu einer Bezugnahme auf Thales kommen kann.
Das apologetische Diskursfeld zeichnet sich allgemein durch einen argumentativen, philosophisch-theologischen, kritischen, komparativen, rhetorischen, oft auch polemischen und vor allem weltanschaulichen Charakter
aus. Im Kern geht es um das Verhältnis von Vertretern der frühen christlichen Religion mitsamt ihrem jüdischen Erbe gegenüber den zeitgenössischen Nicht-Christen, deren weltanschauliche Ansichten, Werte und Überzeugungen. Die Bestandteile, Argumente und Argumentationsformen
dieses Diskursfeldes sind zu einem Großteil sowohl aus der antiken, jüdisch-apologetischen als auch aus der philosophischen (z.B. skeptischen)
Tradition übernommen. Die Formen des Vergleichs, wie der so genannte Altersbeweis oder die Verwendung von Placita-Material zum Beweis der Diaphonie (Unstimmigkeit) unter den nicht-christlichen Philosophen, sind nur
zwei der häufig wiederkehrenden Beispiele dafür, welche Funktion eine Bezugnahme auf Thales erfüllen kann, wie etwa, dass er als einer der Sieben
Weisen und Begründer der Naturphilosophie einen wichtigen, wenn nicht
gar den zentralen Bezugspunkt für eine chronologische Argumentation darstellt.
5.3 Homogenität der Thales-Darstellungen?
Lässt sich nun, gestützt auf die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit,
von einem einheitlichen Bild des Thales in den Darstellungen der christlichen Autoren sprechen?
(a) Von der Analyse und Kommentierung eines einzelnen Textzeugnisses ausgehend könnte man vielleicht zu einem entschiedenen ‚Nein‘ in dieser Frage neigen. Denn da sich jede Bezugnahme auf Thales zunächst durch
ihre Stellung in ihrem spezifischen Mikro- und Makrokontext sowie durch
den Umfang der Thales zugeschriebenen Attribute als ein einzigartiges
Zeugnis über Thales auszeichnet, wäre die Rede von einem ‚einheitlichen
Bild‘ des Thales ungenau und unzureichend.
(b) Richtet man jedoch – wie bereits in der Antwort zur zweiten Frage –
den Blick auf bestimmte Diskursfelder, die ich unterschieden habe, so trifft
man innerhalb dieser auf durchaus ähnliche Darstellungen bei unterschiedlichen Autoren. Zwei Beispiele möchte ich dazu in Erinnerung rufen: zum
einen die Stellung des Thales in den chronologischen, zum anderen die in
bestimmten apologetischen Diskursfeldern.
Homogenität der Thales-Darstellungen?
349
Wie sich zeigte, wird Thales in den chronologischen Diskursfeldern vornehmlich innerhalb einer synchronen Betrachtungsweise wegen einiger signifikanter Merkmale aufgeführt, die ihn sowohl von den anderen beiden Milesiern als auch von weiteren frühgriechischen Philosophen unterscheiden:
Ein wichtiges Merkmal ist die Möglichkeit, ihn zu datieren aufgrund (i) seiner Zugehörigkeit zu den Sieben Weisen und (ii) seiner Schlüsselstellung
als erster Naturphilosoph (primus physicus) bei den Griechen. Zum prominenten Bezugspunkt innerhalb der synchron angelegten Chronologien wird
er insbesondere (iii) durch die ihm zugeschriebene Vorhersage der Sonnenfinsternis, die bereits in den Historien des Herodot (Th 10) in Beziehung
zur Geschichte der alten Perser und Lyder gesetzt wird und durch die er sich
unter den Naturphilosophen auszeichnet. In den Zeugnissen des chronologischen Diskursfeldes findet sich also abgesehen von geringfügigen Abweichungen in der Datierung eine recht ähnliche Darstellung seiner Figur und
seiner Ideen.
Die chronologischen Hintergrundinformationen über Thales erfüllen nun
sowohl in den griechischen als auch in den lateinischen apologetischen Diskursfeldern eine bestimmte Funktion. Mit Thales wird ein prominenter Anfangspunkt für die griechische Weisheit und Wissenschaft angesetzt, mit
dem das Alter der biblisch-hebräischen Tradition verglichen wird (der so
genannte Altersbeweis). Zumeist genügt es den Autoren in diesen Fällen,
die Priorität der hebräischen Tradition, sei es des Moses oder der letzten
Propheten, gegenüber Thales plausibel aufzuzeigen, um damit den Vorrang
und die Vorzüglichkeit der hebräischen Tradition in apologetischer Hinsicht
gegenüber der gesamten Tradition griechischer Philosophie behaupten zu
können. Auch in diesen Diskursfeldern finden sich demnach einander ähnliche Darstellungen des Thales und der ihm zugeschriebenen Attribute.
(c) Bedenkt man diese beiden Beispiele, so könnte man zu der These
neigen, dass zumindest in denselben Diskursfeldern von ähnlichen Darstellungen des Thales auszugehen ist. Bei derartigen Verallgemeinerungen
ist jedoch grundsätzlich Vorsicht geboten, wie das folgende Beispiel zeigt:
Das Attribut der ‚Gott-ist-Geist-These‘ wird Thales in apologetischen
Diskursfeldern von einigen Autoren wie Athenagoras (Th 186), Minucius
Felix (Th 229), Laktanz (Th 254) und Kyrill (Th 375) ausdrücklich zugesprochen. Tertullian, Eusebius und explizit Augustinus äußern sich jedoch
davon abweichend in gleichfalls apologetischen Diskursfeldern. Während
dabei das von Tertullian gezeichnete Bild des Thales (Th 216, 218, 219)
nur implizit gegen die Zuschreibung dieser These spricht, spricht Augustinus (Th 311) Thales die Annahme der ‚Gott-ist-Geist-These‘ ausdrücklich
ab.
350
Zusammenfassung
Folglich muss man also in bestimmten Fällen, trotz der Zuordnung zum
selben Diskursfeld, durchaus unterschiedliche und vor allem verschieden
motivierte Darstellungen des Thales und seiner Ideen konstatieren.
5.4 Neue Perspektiven auf Thales
In meiner Untersuchung habe ich in Übereinstimmung mit der neuen Edition der Textzeugnisse von Wöhrle (2009) aufgrund der induktiven Vorgehensweise absichtlich einer ungefähren chronologischen Anordnung der
Autoren und ihren Textzeugnissen den Vorzug vor einer systematisch orientierten Gliederung gegeben. Gleichwohl möchte ich an dieser Stelle den
Interessierten zumindest einen möglichen, mehr systematisch-orientierten
‚Leseschlüssel‘ an die Hand geben.
So wäre es sicherlich eine lohnende Aufgabe, bei einem speziellen Erkenntnisinteresse an Thales (oder anderen frühgriechischen Philosophen) in
einem bestimmten Diskursfeld, wie z.B. dem häresiologischen, die zugehörigen Textzeugnisse bei Irenäus (Th 145), Hippolytos (Th 209–215) Tertullian (aus seiner Schrift Adv. Marc. = Th 220) und Epiphanios von Salamis
(Th 293) gemeinsam in den Blick zu nehmen und zu untersuchen.
Daneben bieten sich weitere Fragestellungen für eine Beschäftigung mit
dem hier vorgestellten Themenfeld an:
(a) Es wäre gewiss auch eine interessante und fruchtbare Aufgabe, weitere Diskursfelder wie das vor allem hermeneutisch komplexe Diskursfeld
der Aristoteles-Kommentatoren (z.B. von Alexander von Aphrodisias bis
zu Albertus Magnus) zu erschließen. Dabei wäre es lohnend, nach der Funktion bestimmter Bezugnahmen auf Thales oder anderer frühgriechischer
Philosophen zu fragen sowie die spezifischen Hintergründe und Interessen
der verschiedenen Kommentatoren näher zu betrachten.
(b) Eine andere Untersuchungsperspektive würde sich darin eröffnen,
ausgehend von bestimmten Attributen mit Hilfe des Similienapparates der
Edition etwa die Thales zugeschriebene Wasserthese oder seine phönizische
Herkunft mit ihren argumentativen Funktionen in weiteren vor- wie nichtchristlichen Diskursfeldern zu erforschen.
Wie unterscheidet sich nun meine Untersuchung des ‚christlich-kontextualisierten‘ Thales von der bisherigen Erforschung des Milesiers?
Es sind besonders drei Merkmale, die ich hier herausstellen möchte:
1) Durch die erstmalige Untersuchung dieser Vielzahl von griechischen
und lateinischen Textzeugnissen über Thales bei den christlichen Autoren
Neue Perspektiven auf Thales
351
und somit einer Vielfalt an bisher weitgehend unbekannten, aber durchweg
bemerkenswerten ‚christlichen‘ Perspektiven auf den Milesier in mithin
sehr gemischten Zusammenhängen;
2) durch die neue Perspektive – die Untersuchung der Darstellungsweisen selbst, insofern in dieser Arbeit besonders die jeweiligen Kontexte eingehend untersucht wurden und die Aufmerksamkeit auf die historische und
autorindividuelle Bedingtheit der Darstellungen des Thales und seiner Ideen
gerichtet wurde;
3) insofern der Versuchung widerstanden wurde, zwischen ‚zutreffenden‘, ‚weniger zutreffenden‘, ‚korrekten‘ oder gar ‚falschen‘ Darstellungen
des Thales und der ihm zugeschriebenen Ideen zu unterscheiden – im Fall
von Thales hermeneutisch eher fragwürdige Beurteilungen, wenn die dabei
vorausgesetzte ‚Norm‘, oftmals die Darstellung(en) eines Aristoteles oder
eines Herodot, nicht auch in ihren historisch und individuell bedingten Kontexten gesehen und kritisch reflektiert wird.
Am Ende steht ein differenzierteres Bild der an Bezügen reichen Figur
des Thales von Milet, die es in den verschiedenen Kontexten und Zeiten
auch noch weiter zu erforschen und zu entdecken lohnt.
352
Zusammenfassung
Abkürzungen
353
6. Literaturverzeichnis
6.1 Abkürzungen
Die Abkürzungen der Werktitel lateinischer Autoren richten sich nach dem Thesaurus
Linguae Latinae, die der griechischen christlichen Autoren nach dem Lexikon von
Lampe, die aller weiteren griechischen Autoren nach dem LSJ. Die Bücher des Alten und
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7. Appendix
Tabelle zu den verwendeten Attributen in den
Textzeugnissen
376 Appendix – Tabelle zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen
Th 197
Autor
Schrift
Anaximander-Thales
Brunnenfall
Ägyptischer Einfluss
x
Sonstiges
Irenäus
x
Athenagoras Th 186
Clemens
x
Ionische Schule
Th 176
Datierung
Tatian
Weiser / Sieben Weise
M
Philosoph
Th 145
Naturphilosoph
Herkunft: Milet / phönizisch
Irenäus
Autor
Thales-Zeugnis
Leben
M
Tatian
x
Athenagor
x
Clemens
Th 198
Th 199
M
Asiate
x
Th 200
Th 201
Th 202 M/p
x
Th 203
Th 204
x
x
x
p
x
Th 205
x
x
Th 206
Th 207
Th 208
Hippolytos
x
Th 209
x
Th 210
x
Hippolytos
x
x
x
Th 211
x
Th 212
Th 213
x
M
Th 214
x
x
x
Th 215
Tertullian
Th 216
M
Begegnung mit
Kroisos
Tertullian
Appendix – Tabelle zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen
nung mit
s
Th 145
Tatian
Th 176
Athenagoras Th 186
Clemens
Spruchweisheiten
Sonnenfinsternis
Astromomie
x
Astronom
x
Gott / Götter / Gottheit
Wasserthese und Homer
Irenäus
Prinzip Wasser
Autor
tiges
Thales-Zeugnis
Lehre
Bythos
Geist des Kosmos
Dämonen und Heroen
x
Th 197
x
Th 198
x
Sonstiges
gottlos
Th 199
Th 200
x
Th 201
x
Th 202
Thales ohne Lehrer
Th 203
x
Th 204
Th 205
Th 206
x
Th 207
x
x
Th 208
Hippolytos
Thales-Lehrer
Th 209
Th 210
x
x
x
x
Aggregatzustände
Th 211
Th 212
Th 213
Naas
x
Th 214
Th 215
Tertullian
Th 216
x
x
377
378 Appendix – Tabelle zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen
Th 218
x
Th 219
x
Autor
x
Sonstiges
Schrift
Brunnenfall
x
Anaximander-Thales
Ägyptischer Einfluss
Ionische Schule
Datierung
Weiser / Sieben Weise
M
Philosoph
Th 217
Naturphilosoph
Herkunft: Milet / phönizisch
Tertullian
Thales-Zeugnis
Autor
Leben
Verspottung
durch Ägypter
Tertullian
Begegnung mit
Kroisos
x
Begegnung mit
Kroisos
Th 220
x
Th 221
Th 222
Minucius F. Th 229
Hermias
Th 230
Laktanz
Th 254
x
M
Minucius F
x
Hermias
x
M
x
x
Laktanz
x
Th 255
Th 256
M
Th 257
x
Th 258
Arnobius
Th 259
Eusebius
Th 260
Th 261
Arnobius
M
Th 262 M/p
x
Th 263
x
x
Th 264
Th 265
Eusebius
x
x
M
x
Th 266
x
x
x
x
Th 267
x
Th 268
x
x
Appendix – Tabelle zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen
Spruchweisheiten
Sonnenfinsternis
Astromomie
Astronom
Gott / Götter / Gottheit
Wasserthese und Homer
Prinzip Wasser
Autor
Tertullian
Thales-Zeugnis
Lehre
tiges
ttung
Ägypter
379
Sonstiges
Th 217
nung mit
s
Th 218
x
nung mit
s
Th 219
x
Th 220
x
Th 221
x
Verwirrung durch die Propheten
Wasser als Gott
x
Seele aus Wasser
Th 222
Minucius F. Th 229
x
Hermias
Th 230
x
Laktanz
Th 254
x
Th 255
x
Schöpfergeist
x
Erde ruht auf dem Wasser
Schöpfergeist
x
Th 256
x
Th 257
Th 258
x
Arnobius
Th 259
x
Eusebius
Th 260
x
Th 261
x
Aggregatzustände
Th 262
Th 263
Th 264
Th 265
Th 266
Th 267
Th 268
x
x
x
Mond
380 Appendix – Tabelle zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen
Eusebius
Th 269
Sonstiges
Autor
Schrift
Anaximander-Thales
Brunnenfall
Ägyptischer Einfluss
Ionische Schule
Datierung
Weiser / Sieben Weise
Philosoph
Naturphilosoph
Herkunft: Milet / phönizisch
Thales-Zeugnis
Autor
Leben
Eusebius
x
Th 270
M
Th 271
M
x
x
x
Th 272
Th 273
Th 274
Th 275
Th 276
Th 277
Th 278
Th 279
Th 280
Ps.-Justin
Th 291
Ps.-Justin
x
Th 292
M
Th 293
M
x
Hieronymus Th 304
M
x
Th 305
M
x
x
x
Th 306
M
x
x
x
Epiphanios
x
Epiphanio
Hieronymu
x
Th 307
x
Th 308
x
anno 747
Sohn des
Examyas
Datierung des
Todes
Ambrosius
Th 309
Ambrosius
Rufinus
Th 310
Rufinus
Appendix – Tabelle zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen
Spruchweisheiten
Sonnenfinsternis
Astromomie
x
Astronom
x
Gott / Götter / Gottheit
Wasserthese und Homer
Eusebius
Prinzip Wasser
Autor
tiges
Thales-Zeugnis
Lehre
Sonstiges
Th 269
Th 270
Th 271
Th 272
x
Th 273
Licht des Mondes
x
Th 274
Natur der Gestirne
Th 275
Dämonen und Heroen
x
Th 276
Materie!
Th 277
Ps.-Justin
Epiphanios
x
Th 278
Eine Erde
Th 279
Erde kugelförmig
Th 280
Erde im Zentrum
Th 291
x
Th 292
x
Th 293
x
x
Hieronymus Th 304
47
Th 305
es
as
Th 306
Th 307
ung des
Mond
x
Th 308
Ambrosius
Th 309
x
Rufinus
Th 310
x
381
382 Appendix – Tabelle zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen
Schrift
x
x
Sonstiges
Autor
Brunnenfall
Ägyptischer Einfluss
x
Anaximander-Thales
x
Ionische Schule
x
Datierung
M
Weiser / Sieben Weise
Naturphilosoph
Th 311
Philosoph
Herkunft: Milet / phönizisch
Augustinus
Thales-Zeugnis
Autor
Leben
herausragend
Augustinu
anno 747
Augustinu
Th 312
Th 313
M
x
x
Th 314
x
x
x
Th 315
x
x
x
Th 316
Nemesios
x
x
Th 323
Nemesios
Th 324
Theodoret
Th 326
M
x
Th 327 M/p
Theodoret
x
x
Th 328
x
Th 329
x
Th 330
x
x
Th 331
Th 332
Th 333
Th 334
Th 335
Th 336
Th 337
x
Aponius
Th 338
Kyrill
Th 373
M
Th 374
M
x
x
Aponius
x
Sohn des
Examyas
x
x
Kyrill
Appendix – Tabelle zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen
47
es
as
Th 312
x
x
Spruchweisheiten
x
Sonnenfinsternis
x
Astromomie
Astronom
x
Gott / Götter / Gottheit
Th 311
Wasserthese und Homer
Prinzip Wasser
Autor
Augustinus
Thales-Zeugnis
Lehre
tiges
ragend
383
Sonstiges
Mondphasen
körperliches Prinzip
Th 313
Th 314
Naturforscher
Th 315
Naturforscher
Th 316
Nemesios
Th 323
Th 324
Theodoret
Seele immer- und selbstbewegt
Aggregatzustände
x
Th 326
Th 327
Kulturimport
Th 328
Th 329
x
x
Th 330
Th 331
Materie
Th 332
Eine Welt
Th 333
x
Natur der Gestirne
Th 334
x
Sonne / Mond
Th 335
x
Mond
Th 336
Seele
Th 337
Aponius
Th 338
Kyrill
Th 373
Th 374
x
x
Schöpferthese, Geometrie
Sammlung von Wissenschaften
384 Appendix – Tabelle zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen
Autor
Schrift
Anaximander-Thales
Brunnenfall
Ägyptischer Einfluss
Sonstiges
Dreifusserzählung
x
Th 376
Sidonius
Ionische Schule
Datierung
Weiser / Sieben Weise
M
Philosoph
Th 375
Naturphilosoph
Herkunft: Milet / phönizisch
Kyrill
Thales-Zeugnis
Autor
Leben
Kyrill
x
Th 377
sinnloser
Schwätzer
Th 378
herausragend
Th 385
M
x
Th 386
M
x
M
x
Sidonius
Th 387
Th 388
Th 389
Ioh. Malalas Th 454
M
Th 455
Isidor
Th 473
x
M
x
Th 474
Th 475
x
Ioh. Malal
x
Isidor
x
x
M
Gesetzgeber
x
x
x
Appendix – Tabelle zu den verwendeten Attributen in den Textzeugnissen
Th 375
Spruchweisheiten
Sonnenfinsternis
Astromomie
Astronom
Gott / Götter / Gottheit
Wasserthese und Homer
Sonstiges
x
Th 376
er
tzer
Th 377
ragend
Th 378
geber
Prinzip Wasser
Autor
Kyrill
Thales-Zeugnis
Lehre
tiges
ssung
385
Sidonius
Ein Kosmos
Th 385
x
Th 386
Th 387
x
x
x
x
x
Mondphasen, Gestirne, Erde
ruht auf dem Wasser
Th 388
Th 389
Erforschung der Jahreszeiten
x
Ioh. Malalas Th 454
Th 455
Isidor
x
Th 473
x
x
Th 474
Th 475
x
Theologe
386
Stellen
387
Register
8.1 Stellen
Aischylos
Prometheus Vinctus
44
Ambrosius
Hexaëmeron
1.1–4
1.2.5
1.2.6
1.22
Anthologia Palatina
9.366 (Th 89)
284
219
219, 221
219, 220
221
314
Aponius
In canticum canticorum expositio
2.7
329
4.4–6
328
4.6.67–68
328
5.19
327
5.19.268–269
327
5.20.281
328
5.20.285–289
328
5.20.289–291
328
5.20.291–292
328
5.20.294–295
328
5.20.297–299
328
5.22–23 (Th 338) 46, 123, 329–31, 344
5.22.316–318
328
5.22.319–323
330
5.22.323–328
331
Aristoteles
Ethica Nicomachea
1139b31
De Anima
1.405a19–20 (Th 31)
69
254
Metaphysica
1.983b20–984a7 (Th 29)
1.983b27–33
1.984a3–5
1.992b30–31
Arnobius
Adversus nationes
2.1–5
2.5–6
2.5.10–26
2.8
2.8–10
2.8.1–4
2.8.2–4
2.8.4–18
2.9–10 (Th 259)
2.9.1–13
2.9.19–21
2.9.22–23
2.9.23–24
2.10
2.10.14–16
2.10.18–19
2.11
3–5
6–7
Athenagoras
Legatio pro Christianis
4–30
6.2
13–30
18ff.
20
21
23
112
185
112
68
149
149
149
149, 150
149
150
150
150
148, 150
152
150
151
151
153, 154
152
153
154
148
148
43
44
43
43
43
43
43
388
Register
23.1
23.2 (Th 186)
24
32–34
35–36
43
43–4, 122, 349
44
43
43
Attikos
Th 169 (= Th 267)
Augustinus
De civitate Dei
8.1
8.2 (Th 311)
54, 175–6
230–2, 339–340
232–4, 236, 238, 243–4,
317, 320, 340, 343
340
237–9
340
239
239
239
240
239
64
240
240
239, 240
240
240
240
215, 245
235, 242–3
244–6
239
64
8.4
8.5 (Th 312)
8.10
11
11–14
14.28
15
15–18
15.23
16
17
18.1
18.8
18.22
18.23
18.24 (Th 313)
18.25 (Th 314)
18.37 (Th 315)
19–20
20.25
Contra Iulianum
1
1.1.3
2
3–6
4.75 (Th 316 = Th 325)
4.75.1
4.75.2
4.75.2–6
4.75.3
4.75.3
4.75.4
4.75.5
248
248
248
248
246–9
251
248–9, 251
250
250
251
251
251
Ausonius
Ludus septem sapientium
26.69–70 (Th 294)
26.162–188 (Th 295)
314
314
Basilius von Cäsarea
Hexaëmeron
1.1
1.2
1.8
219
221
221
Cicero
Lucullus sive Academicorum
priorum lib. 2
Ac. 2
249
De oratore
1.15.68
340
De natura deorum
1.10.25 (Th 72) 46, 122–3, 134–5, 190,
236, 332
1.22.60
96
2.123
315
Tusculanarum disputationum
5.5
139
5.8–9
232
5.8–10
232
Hortensius
Zeugnis 18 = Lact. inst. 3.16.3–6
142
Zeugnis 49 = Lact. inst. 3.16.7–11
142
Zeugnis 52 = Lact. inst. 3.16.12–16
(Th 257)
142
Clemens von Alexandrien
Protrepticus
2.23.1–2
5.64–66
5.64.1
5.64.2 (Th 197)
5.64.3
5.64.3–65.4
5.64.4
5.65.1–4
5.65.4
5.66.1
Stromateis
1
1.11.50.1–52.4
1.11.50.5
49, 50
48
48–9
48–9
49
49
50
50
50
49
40
52
52
389
Stellen
1.11.50.6
52
1.11.50.6–51.1
52
1.11.52.3
52–3
1.11.52.4 (Th 198)
51–3, 73, 204
1.13.57.1
54, 176
1.13.57.1–2
54
1.13.57.6.1–58.1
54
1.13.58.4
54
1.14.59.1 (Th 199)
54–6, 72–3, 176
1.14.59.2
56
1.14.59.5
56
1.14.60.1ff.
56
1.14.60.1–2
56
1.14.60.2
56
1.14.60.3 (Th 200)
56–8, 73
1.14.60.4
57
1.14.61.2–3 (Th 201)
56–8, 73
1.14.62.2 (Th 201)
57–8
1.14.62.1–63.2 (Th 202)
58–60, 72–3,
87, 90, 166, 198, 291
1.14.62.3
63, 265
1.14.64.5
61
1.14.65.1 (Th 203)
61–2, 72, 297
1.14.65.2
41, 62
1.14.65.3
41
1.15.66.1
62
1.15.66.1ff.
62
1.15.66.2 (Th 204)
58, 62–3, 67, 73,
90, 198, 291
1.15.72.4
62
1.21.101.1
63
1.21.107.5
41
1.21.129.3
41
1.21.129.3–4 (Th 205)
63–4, 72, 297
1.23.152.3
221
2
52
2.4.12.1
65
2.4.12.2
65
2.4.13.2
65
2.4.13.3
65
2.4.13.3–4
66
2.4.13.4
66, 68
2.4.13.4–14.1
67
2.4.14.1
66–7
2.4.14.1–2 (Th 206)
51, 65–9, 73
2.4.14.2
68
2.4.14.3
68
2.4.14.2–3
68
2.13.56.2
5
5.1.5
5.1.11.1ff.
5.14.89.1ff.
5.14.96.4 (Th 207)
6–7
6.7.57.2
6.7.57.3 (Th 208)
6.7.58.1–2
6.7.58.2
6.12.101.5
70
52
284
286
69
46, 69–71, 73, 78,
81, 90, 123
52
71
71–2
72
72
70
Diogenes Laertius
1.13ff. (Th 236)
1.25 (Th 237)
1.27 (Th 237)
1.36 (Th 237)
6.39
8.3
Epiphanios
Haereses/de fide
pro. 1.1.2
3.496.13–14
3.502.11–15
3.504.26–32
3.504.32–34
3.504.32–505.3 (Th 293)
3.509.14–22
3.509.24–25
Eusebius
Praeparatio Evangelica
1.2.1–2
1.6.8–9
1.7.1–15
1.7.16
1.7.16–8.2 (Th 260)
1.8
1.8.1
1.8.1–3
1.8.1–12
1.8.4–12
1.8.13
1.8.13–14
58
335
166
70, 78, 81, 90
94
63
210
210
210
211
212
35, 210–2,
350
212
212
156
39
157
157–8
157–61
162–3
157
158
158, 270
159
160
159
390
1.8.14
1.8.14ff.
1.8.15–16
1.8.17
1.8.19
1.9.21
2.7.4–7
7.9–11
7.11.13
7.11.14
7.12
7.12.1 (Th 261)
7.14.2
10.1
10.2
10.3
10.4
10.4.1
10.4.9
10.4.10
10.4.10–12
10.4.13–16
10.4.14
10.4.17–18 (Th 262)
10.5–7
10.6
10.6.15
10.7
10.7.8
10.7.9
10.7.10
10.7.10 (Th 263 = Th 108)
10.8.1–16
10.9
10.9.11–13
10.9.12
10.9.25
10.9.26
10.9.27
10.9.28
10.10
10.10.23
10.11
10.11.1–5
10.11.6–35
10.11.34 (Th 264 = Th 176)
10.12
10.13
Register
160
160
272
272
160–1
275
269
161
161
162
162
161–3
163
164
164
164
164
164
164
164
164
164
164
164–6
166
166
166–7
166
167
167
167
166–8
168
168
168
275
168, 169
169–70
170
170
169
334
169
169
169
168–70
169
169
10.14
10.14.1
10.14.3
10.14.7
10.14.8
10.14.10
10.14.9
10.14.10–12 (Th 265)
10.14.12
10.14.16 (Th 266)
11
11. pr. 4
11.1
11.1.1
11.1.2
11.2
11.2–3
11.2.2–3 (Th 267 =Th 169)
170
171
171
171, 335
171
171
171–2
170–3, 243
172
173–4
174
174
174
175
175
54, 175–7
177
54,
175–8, 198
11.2.3
176
11.2.6
177
11.3.1 (Th 268 = Th 97)
177–8,
197–8
11.3.2
178
11.3.10
178
11.4
177
11.5
177
12.27
178
12.28
178
12.29
179
12.29.1
179
12.29.4–5 (Th 269 = Th 19)
178–81,
198, 268, 291
12.43
181
12.43ff.
181
12.47
181
12.48
181
12.48.6
181
12.49
181
12.49.1–2
182
12.49.3–14
182
12.49.6 (Th 270 = Th 22)
181–2, 198
12.49.12
182
13.3.3–6
269
14
182, 197
14.1.1
182
14.1.2
183
14.1.2–3
183
391
Stellen
14.2
14.2.1–7
14.2.7
14.3
14.3.1–6
14.4.4–5
14.11.1–7
14.13.9
14.14.1 (Th 271)
14.14.2
14.14.3
14.14.4
14.14.5
14.14.6
14.14.7
14.14.8
14.14.9–10
14.15.1–10
14.15.11
14.16
14.16.1
14.16.6 (Th 272)
14.16.11
15
15.1
15.22.68
15.22.69
15.23
15.24–25
15.26–29
15.29
15.29.1
15.29.3 (Th 273)
15.30
15.30.1 (Th 274)
15.31
15.32ff.
15.32.9
15.32.9–10
15.43
15.43.1
15.43.2 (Th 275)
15.44.2 (Th 276)
15.50
15.50.1 (Th 277)
15.54.3
15.55 (Th 278)
15.55–57
183–4
184
183
183
183
272
272
184, 285
161–2, 182–7, 203
186
186
186
186
186
186
161, 186–7
187
187
187–8
188
188
46, 123, 187–190
190
182, 197
156
191
191
192
192
192
192
193
192
192
192–3
193
193
194
193
194
194
46, 123, 194–5
194–5
195
195–6
195
195–6
195
15.56
15.56.1 (Th 279)
15.57.1 (Th 280)
15.62.1–4
15.62.1–6
15.62.6
15.62.14
195
195–6
195–6
272, 284
160
284
286
Flavius Josephus
Contra Apionem
1.6–26
1.7 (Th 108)
1.31.286
Antiquitates Iudaicae
2.9.6.228
167
168
221
221
Gnomologium Vaticanum
316 (Th 564)
321d (Th 564)
Hermias
Irrisio gentilium philosophorum
1.4–7
4.1–2
4.2–4
5.3–7
6.1
19.1–5
10 (Th 230)
10.1 (Th 230)
10.4
10.5
Herodot
Historiae
1.74 (Th 10)
1.170 (Th 12)
4.46
4.76
70–1
70–1, 78
125
125
126
127–8
126
125
126
127
127
127
61–2, 349
58–60, 166, 264–5,
291, 335
182
182
Hieronymus
Apologia adversus libros Rufini
2.22
3.6
De viris inlustribus
79
80
210
210
148
130
392
Register
Interpretatio Chronicae Eusebii
13.19–14.1 (Th 304) 155, 196–7, 213–5,
218, 240, 243, 341
88b.19 (Th 305)
155, 196–7, 213, 215,
218, 240, 243, 341
96a.9–12 (Th 306) 155, 196–7, 213, 216,
218, 240, 243, 341
100b.25–101b.6 (Th 307)
155, 196–7,
213, 217–8, 240,
243, 341
103b.12 (Th 308) 155, 196–7, 213, 218,
240, 243, 341
Hippolytos
Refutatio omnium haeresium
1. pinax 3 (Th 209)
35, 75–7, 87, 89
pro. 1.8
75–6
pro. 1.8–9
76
pro. 1.11
77–8
1.1 (Th 210)
46, 70, 76–8, 89–90, 123
1.4
82
1.5.1–6.1 (Th 211)
81–2, 87, 89
1.6–9
82
1.6
82
1.7
82
1.8
82
1.9
82
1.10.1 (Th 212)
82, 89
1.26
77
1.26.4
75
5.1
83
5.9
83
5.9.11–12
83
5.9.13 (Th 213) 35, 80, 83–4, 87, 89–90
6.21ff.
86
6.22
86–7
9.13
85–6
9.15–17
85
9.17
85–6
9.17.2–3 (Th 214) 80, 85–7, 89–90, 166
10.2–3
87
10.4
87
10.6.4 (Th 215)
87–9
10.6.4–6
87
10.6–8
75, 87
10.8
89
10.9–29
75, 87
10.32–34
75, 87
Homer
Ilias
8.68
14.201
14.246
14.302
15.192
16.777ff.
21.196
Odyssee
4.400
Iohannes Malalas
Chronographia
4.1
4.2
4.2–3
4.3
4.4
4.5
4.6 (Th 454)
6.1
6.2
6.3
6.4 (Th 455)
7
8
9
10
269
33, 185, 270–1
185, 206–7
270
206–7
269
274–5
269
333
333
333
334
334
334
333–5
335
335
335
333, 335–7
333
333
333
333
Irenäus
Adversus haereses
1.28
37
2.1–11
31
2.12–19
31
2.14.1
32
2.14.2 (Th 145)
31–4, 89, 90, 212, 350
2.14.2–7
32
2.14.1–2
32
2.14.3–7
33
2.14.3–4
33
2.14.4
33
2.14.5
33
2.18.2
107
Isidor
Origines
1.29
338
Stellen
2.1–21
2.22
2.23
2.24.3
2.24.4 (Th 473)
5.38
5.39
5.39.18 (Th 474)
8.5
8.6.3
8.6.3–6
8.6.6–16
8.6.17
8.6.18 (Th 475)
Jamblich
Protrepticus
73.5–10
Kyrill von Alexandrien
Contra Iulianum
1.3
1.4
1.5
1.11
1.11–17
1.13
1.14 (Th 373)
1.17
1.18 (Th 374)
1.18ff.
1.19
1.19ff.
1.22–34
1.22–49
1.25
1.34
1.35–49
1.35
1.36
1.37
1.38 (Th 375)
1.38–39
1.39
1.40 (Th 376)
1.42–43
1.47–48
2.13
338
338
338
338, 342
338–340
341
341
340–2
342
343
343
343
343
342–4
268
295–6
296
296
297
298
297–8
155, 296–8
297–8
298–300, 306
298
299–300
299
300
300
301
300
300
301
301
301
300–4, 349
306
301, 304–5
304–7
306
306
307
2.14 (Th 377)
2.15
2.16
5.752A–B
6.183A
6.184B
6.184B–D (Th 378)
393
307–9, 285
308
308–9
310
309
309
309–11
Laktanz
Divinae institutiones
1.5.1
131
1.5.2
131
1.5.3
132
1.5.4
132
1.5.4–7
132
1.5.6
132
1.5.7
132
1.5.8
132
1.5.8–10
132
1.5.11
133
1.5.11–12
132
1.5.13
133
1.5.14
133
1.5.15–6 (Th 254)
46, 122–3, 131–6,
141, 144, 146–7, 236,
332, 344, 349
1.5.15–23
133
1.5.16 (Th 255)
135, 147
1.5.21
136
2.1.1
136
2.9.1
136
2.9.15
136–7
2.9.16
137
2.9.17
137
2.9.18 (Th 255)
136–9
2.9.19
137–8
2.9.20
138
3
142
3.2
343
3.2.6
141
3.11.2
139
3.13
139
3.14.1
139
3.14.4–6 (Th 256)
139–42
3.14.7
142
3.16.3–6
142
3.16.7–11
142
3.16.10
142
394
Register
3.16.11
143
3.16.12
143
3.16.12–13 (Th 257)
141–4
5.1.8
131
Epitome
Pr. 2
145
1.1
145
1.1–2.1
145
2.1
145
3.1
145
3.2
145
3.3–5
145
4.3 (Th 258)
46, 123, 130, 144–6
37.7
145
Lukrez
De rerum natura
5.1–90
5.6–8
5.50b–51
5.335–337
Minucius Felix
Octavius
5–13
5.6–9
5.10–13
8–13
13.3–4
13.4
14
16–38
17–18
19.1–2
19.2
19–20.1
19.3
19.3–10
19.4
19.4–5 (Th 229)
20.1
39–40
Nemesios von Emesa
De natura hominis
2
2.67
141
141
140–1
144
119
119
119
119
96
96
119
119
119
120
132
120
120
133
120
46, 119–22, 134–5,
236, 332, 344, 349
124
119
253
253
2.68
2.68–69 (Th 323)
3
4
5
5.169 (Th 324)
5.170
6–13
253
253–4, 287–8
253
253
253
90, 255–6
256
253
Ovid
Metamorphoses
1.430–433
138–9
Philon
Vita Mosis
1.17
221
Philoponus
In Aristotelis de anima libros
commentaria
1 Pro. 15.9.5–12 (Th 440)
15.86.11–35 (Th 442)
15.188.12–18 (Th 443)
113
113
113
Platon
Leges
641e
760b3–6
Phaedo
96a
96c
96a5–c7
97b–99b1
99b6-c6
Protagoras
343a–b (Th 20)
Res publica
377e–378d
298a
489c6
595b4–c4
599b–601b
599b9–601b6
600a4–7 (Th 22)
Theaetetus
173ff.
173c–177b
173c6–177b7
56
181
272
272
160
187
187
56
269
269
267
182
181
182
181–2
179
268
180
Stellen
174a4–8 (Th 19)
174a7
180a–c
201c–210b
Timaeus
21e–22b
23c
41, 80, 98–9, 180, 267
268
272
66
Plutarch
De Iside et Osiride
9–10.354D-E (Th 115)
34.364C-D (Th 116)
Porphyrius
Contra Christianos
4
Ps.-Aristoteles
De mundo
2.392a5ff.
6.400a19
Ps.-Justin
Cohortatio ad Graecos
1.2.15–17
1.2.17–19
2
2–13
3.1–2 (Th 291)
3–4
4.2
5.1
5.2
5.3
5.3–4 (Th 292)
5.4
5.2–6.2
5–7.1
9.1–10.1
14–34
299
299
98, 166, 221
98, 221
275
205
207
201
201
202
201
202–3
201
203
205
205
208
204–8
207–8
209
201, 204–5
39
201
Ps.-Plutarch
Placita Philosophorum
1.3 (Th 147)
35, 184, 186–8, 203, 270
1.7 (Th 149)
45–6, 122, 135, 188–9,
301, 304
1.7.11
45
1.8.2 (Th 150)
45
1.9.2–3 (Th 151)
2.1.2–3 (Th 155)
2.2
2.13.1ff. (Th 157)
2.20f.
2.20.1ff.
2.24
4.2 (Th 165)
4.2.1
4.3
Sextus Empiricus
Adversus Mathematicos
7.218
10.310–318
10.312–318
Sidonius Apollinaris
carmina
1
1–8
2
2.155–192
2.156–163 (Th 385)
2.193
9–24
14
15
15.1–35
15.36
15.36b–125
15.126
15.126–195
15.37b–41
15.42–50 (Th 386)
15.44–50
15.51–78
15.79–90 (Th 387)
15.79–81a
15.81b
15.81b–82
15.83–90
15.81b–82
15.85–90
23.97–110 (Th 388)
23.97–104
23.97–177
23.178f.
395
278
279
308
280
192–3
282
195
287–8
287
287
66
87–8
88
313
312
312–3
313
313–6
313
312
315
312, 314
315
315
315
315
315
315
314–6, 320
316
314, 317
317–320
317–8
319
317, 319
317
317
319
321
321
321
321
396
23
24
Epistulae
4.3.2
4.3.2–3
4.3.4–7
4.3.5 (Th 389)
4.3.6
4.3.7
4.14
Stobaios
Anthologium
1.1.29a (Th 339)
1.1.29b (Th 340)
1.49.1a (Th 360)
Tatian
Oratio ad Graecos
22–28
25.4
26
26.2
29–30
31
31.1
31.2
36–41
36–42
39
40.1–2
41.1
41.1ff.
41.6–7
41.9–10 (Th 176)
Tertullian
Adversus Iudaeos
5
Ad nationes
2.1.1
2.1.7
2.1.8–11
2.1.10
2.2–6
2.2.2
2.7
Register
312
312
323
323
323
323–4
324
324
314
332
135, 332
254, 287
38
38
41
41, 127
38
169
38–9
39
38
169
41
40
39
39
39
37–41, 56, 60, 62,
169–70, 246, 292, 297
64
92
93
93
93
93
93
93
2.8
2.1.8–12
2.1.8.12–9.16
2.2.4
2.2.5
2.2.5
2.2.8
2.2.10.5–7
2.2.10–11 (Th 216)
93
93
93
94
94
94
94
95
46, 70, 92–96, 103,
105, 110, 115–6, 123,
292, 349
2.2.10–12
94
2.2.11.7–9
95
2.2.12
94
2.2.13
95
2.4.16
97
2.4.17
97
2.4.18–9 (Th 217)
97–9, 106, 110,
115–6, 292
Apologeticum
18.2
99
18.2.4–10
100
18.2.8
100
18.4.17–18
100
18.5
100
18.5.22–9.42
100
19.1.2–3
100
19.1.4* (Th 218)
56, 95–6, 99–105,
115–6
19.1.1*–10*
100
19.1.1*–4*
101
19.1.2.*16–17
101
19.1.4.*17–18
101
19.1.5.*25–27
104
19.6
101
46.1
104
46.2–48.15
104
46.2.12
104
46.2.12–14
104
46.3.15–16
104
46.7.35–39
104
46.8–9 (Th 219)
95, 99, 104–6, 116
46.8.40–41
104
46.8.41–43
105
46.9.43–45
106
47.9
107
Adversus Marcionem
1.8–21
107
Stellen
1.13.1
1.13.2
1.13.3 (Th 220)
1.13.5
4.25.3
De anima
1–3
1.1.3–4
2.6
2.6.14–5
3.1.32
3.3.6–8
3.3.7–8
3.3.8–12
3.3.12–3
3.4.15
4
4.1
4.1–22.1
4.1.24
5
5.1
5.1–6
5.1.1–2
5.1.4
5.2 (Th 221)
5.2–6
5.2.4–9
5.2.10–5.6
5.3
5.4–5
5.6
6
6.1.2
6.6.2–5
6.6.5–6
6.6–7
6.6.7–11
6.7.12–14
6.7.22–23
6.7.23
6.8 (Th 222)
6.8.24–25
6.8.25
6.8.25–27
6.8.27–30
12
14
107
107
35, 51, 107–9, 350
109
107
109
110
110
110
110
110
111
111
111
111
113
111
111
111
113
112
111
112
112
111–2, 116–7
112
112
112
112
112
112
110
113
114
110
114
114
114
114
114
99, 111, 113–5
114
113
114
115
110
110
15
22.1–2
23
34–35
42–45
De praescriptione haereticorum
7.3
Adversus Hermogenem
1.3
Testament, Altes
Genesis
1,1
1,1–26
1,2
Exodus
2,10
Deuteronomium
12,15–16
12,22–24
14,3–5
14,5
15,22–23
Psalmen
52
52,3
52,6
111,10
Sprichwörter
8,9–11
9,10
18,21
Das Hohelied
1,5
2,7
2,7
3,5
3,10
5,8
6,7
Das Buch der Weisheit
9,14
Jeremia
23,24
Die Klagelieder des Jeremia
3,27–28
Das Buch Sacharja
1,1
397
110
111
110
110
110
107
107
219, 221
123, 219
123
220
329–331
329–331
330
331
330–1
309
309
309
94
94
94
309
327
327–8
327–8
327
327
327
210
277
328
179
102
398
Das Buch Maleachi
3,20
Testament, Neues
Matthäusevangelium
23,8
23,8–10
Johannesevangelium
1,9
Apostelgeschichte
1,24
15,8
17,18
Römerbrief
1,25
16,27
1. Korintherbrief
2,5
2,15
3,19
3,19–21
2. Korintherbrief
1,9f.
Galater
1,5
4,3
4,8–9
4,9
Philipperbrief
1,9–10
4,20
Kolosserbrief
2,4
2,6–8
2,8
1. Timotheusbrief
1,17
2. Timotheusbrief
4,18
Titusbrief
1,12ff.
Hebräerbrief
1,1
13,21
11,3f.
11,3ff.
11,38
Register
269
68
72
54
69, 70
69, 70
52
77
70
52
52
52
52
52
70
51
51
51
53
70
52
52
52
70
70
56
72
70
66
68
179
Neutestamentliche Apokryphen
Acta Pauli et Theclae
24,7
Theodoret
Curatio
p.1–2
p.2–3
p.3
p.4
p.5
p.7
p.8
p.16
p.17
1.9
1.9–10
1.10
1.10–11
1.11
1.12 (Th 326)
1.13
1.14
1.14–15
1.17–22
1.21–22
1.23
1.23–24 (Th 327)
1.24
1.25
1.26
1.26–31
1.31
1.31–32
1.32–39
1.36
1.36–37
1.37 (Th 328)
1.42
1.43–44
1.44
1.90–91
2.4
2.4–5
2.5
2.6–7
2.7
70
258
258
259
259
268
276
286
258
258
258–260
260
260
260
260
259–63, 275, 290–1
262
262
263
263
263
263, 265
73, 259, 263–266,
291
265
265
266
266
266
266
266
266
267
259, 266–8
265
265
265
69
269
269
269
269
269
399
Stellen
2.8
2.8–9 (Th 329)
2.9–11
2.11
2.11ff.
2.11–12
2.20–21
2.21
2.21–22
2.26
2.26–27
2.43
2.43–44
2.43–45
2.44–50
2.50 (Th 330)
2.51
2.95
2.95–96
4.4
4.13 (Th 331)
4.15
4.15–16 (Th 332)
4.16
4.17 (Th 333)
4.17–20
4.21 (Th 334)
4.21–22
4.22
4.23 (Th 335)
4.24
4.25
4.25–26
4.26
4.26–29
4.27
4.27–29
4.28ff.
4.30
269
160, 269–72, 292
270
160
271
271, 284
273
259, 273
273
273
273
273–5
275
274
274
273–6
275–6
285
285
277
277–8, 291
279
277–80, 292
280
277, 280–1
280
277, 281–2, 290
282
281–2
160, 197, 272, 277,
282–6, 292, 335
283–4
283–4
284
284
272
272
160
272
284
4.31
5.16
5.17 (Th 336)
5.44
5.44–45 (Th 337)
5.45
5.47
12.21–28
285
285–6
254, 285–8, 291
289
272, 286, 289–90
290
290
267
Tyrannios Rufinos
Recognitiones (clement.)
8–9
8.3–9.31
8.6.4
8.6.6
8.7.4–5
8.7.5–7
8.12.6
8.13.1
8.13.1–2
8.13.2
8.13.2–14.5
8.13.3
8.13.3–4
8.13.4
8.14.6.
8.15.1–3 (Th 310)
8.15.4
Vergil
Aeneis
6.724–727
Xenophon
Memorabilia
1.1.11
1.1.11–14
1.1.13–14
4.7.6
223
224
224
224
224
224
226
226
226, 228
226
226
226
226
226
227
224–8
228
133
160
272, 284
160
272, 284
400
Register
8.2 Namen
Aaron 334
Abraham 240, 297, 300, 341
Aesculap 324
Aëtios 127, 155, 270, 276, 280, 283,
285–6, 288, 290–1
Ägypten 23, 59, 60, 87, 90, 98, 116, 185,
210, 261–2, 299, 300, 306
Ägypter 58–60, 62–3, 71–2, 87, 97–8,
101, 109, 116, 165–6, 168, 198, 220–1,
260, 265, 273, 306
Akusilaos 56, 167
Albertus Magnus 20
Alexander von Aphrodisias 20, 35, 350
Alexandrien 47, 148, 164, 169, 198, 221,
265, 285, 294
Alkmaion 225, 287
Alyattes 61, 217
Anacharsis 55, 181–2
Anaxagoras 33, 49,59, 60, 68, 76–7, 82,
120, 126, 146, 161, 172, 176, 186–8,
190, 202, 225, 232–4, 236, 244–5, 249,
251, 273, 276–281, 283, 289, 290, 318,
320
Anaximander 33–4, 49, 59–60, 76–7, 82,
88, 89, 107–8, 123, 126–7, 158–9, 161,
171–2, 186, 188, 193, 198, 202, 225,
232–4, 236, 242–5, 248–9, 270–1,
279–280, 289–290, 301–6, 319
Anaximenes 48–9, 59–60, 76–7, 82, 108,
120–1, 123, 126, 145–6, 158, 161–2,
172, 176, 186, 193, 202, 232–4, 236–8,
242–5, 248–9, 251, 255–6, 270–1, 279,
282–3, 289–90, 319–20
Andron 64
Antiphon 193
Antisthenes 62, 145–6
Archelaos 49, 76–7, 82, 126, 202, 232,
236, 279
Archimedes 324
Aristarch von Samos 264
Aristipp 159
Aristokles 177–8, 191, 198
Aristoteles 33, 35, 56–7, 65, 67–9, 71–2,
77, 82, 112, 126–7, 145–6, 152, 175,
185, 191, 201, 204–9, 228, 254, 272,
279, 281–2, 290, 301, 304, 306, 324,
342, 351
Aristoteles-Kommentatoren 20, 350
Aristoteliker 224, 247
Arkesilaos 152
Asien, Kleinasien 30, 55, 98
Assyrer, Assyrien, assyrisch 101, 335–7
Astyages 61, 217, 336
Athena 315
Atlas 324, 334
Atomisten 53, 152
Attikos 54, 175–8, 191, 198
Babylon, babylonisch 71–2, 171, 173,
240–3, 335, 341
Barbaren 37, 156, 166–7, 212, 257, 262–4
Basilides 31
Basilius 219–21, 228
Berossos 101
Bias von Priene 55, 242–3, 302–3, 313–4,
316, 321–2
Chamaileon 56–7
Chilon 55–8, 242–3, 313–4, 316, 321–2
Christen, Christentum 23, 37–8, 43–4,
46, 92, 104–5, 111, 119, 123–4, 130–1,
142, 148–9, 154, 156–7, 160–1, 168,
183, 200–1, 213, 218, 231, 257–8, 260,
263, 269, 275, 291, 294–5, 302, 332,
341
Christus 48, 52, 107, 111, 149, 154, 294,
297
Chrysipp 112, 114–5, 145–6, 152, 323–4
Cicero 46, 70, 96, 110, 119, 122–3, 130,
134–5, 139, 142–6,190, 219, 232, 236,
249, 315, 332, 340–2
Dareios 64, 101–2, 336
David, König 240, 341
Demetrios Phaleron 100
Demokrit 33, 76–7, 126, 151–3, 162, 173,
186, 188–9, 225, 249, 278–81, 283,
301–4, 306, 308
Demosthenes 342
Diagoras von Melos 188
401
Namen
Dido 341
Diodor 157, 159, 168, 225, 262
Diogenes Laertius 15, 58, 63, 70, 81, 90,
166, 335
Diogenes von Apollonia 48–9, 53, 120–1,
123, 159, 225, 232–4, 251–2, 270–1,
279–280
Diogenes (Kyniker) 94–5
Drakon 39, 40–1, 334–5
Empedokles 21, 33, 48, 58, 75–7, 87,
112–3, 126, 159, 162, 186, 193, 225,
228, 249, 308, 347
Epikur 33, 61, 71–2, 77, 112–3, 123, 126,
139, 141, 152, 159, 162, 186, 212,
224–5, 238, 278–9, 308
Epikureer, epikureisch 52, 65, 94, 122–3,
210, 331
Epimenides 55
Epimetheus 334
Eubulus 112
Eudemos 61–2
Euhemeros 188
Euklid 322, 324
Euripides 188, 342
Europa 55
Gnosis, Gnostiker 30–35, 52, 65, 75,
80–87, 89, 109–10, 117, 148
Gregor, der Große 342
Gregor von Nazianz 294
Hebräer 63, 103, 156, 161–4, 174–5,
177–9, 181, 183, 190, 198, 262, 265,
273
Hebräisch 51, 63, 72–3, 83, 103, 156, 163,
174, 179, 181, 183, 210, 220, 246, 295,
300, 336, 349
Heraklit 82, 85, 87–8, 107–8, 112–3, 126,
137–8, 151–3, 162, 186, 193, 202, 225,
249, 255, 277–9, 282–3, 347
Herodot 58–62, 166, 182, 263–5, 335,
349, 351
Hesiod 33, 55, 57, 77, 132, 274
Hipparch 112–3, 255
Hippasos 48, 53, 88, 112, 186
Hippon 76–7, 112–3
Homer 33–5, 38–9, 55, 57–8, 62, 132,
167, 181–2, 185, 206–9, 214, 269–72,
274–5, 301, 342
Iberer 260
Inder 72, 109
Ionien 60, 167
Israel 241, 245, 310, 334–5
Iulius Africanus 169, 200, 334
Jerusalem 47, 85, 181, 242, 327, 329, 335
Josephus, Flavius 98, 101, 116, 166–9,
197–8, 221
Juden, Judentum, Jüdisch 38–9, 60, 72–3,
85, 101, 123, 156, 166, 171, 173, 204,
210, 242–4, 309–10, 334–5, 341, 348
Karneades 126, 152
Karthago 92, 130, 341
Kleanthes 71–2, 112, 126, 145–6
Kleitomachos 126
Kleobulos 55, 242–3, 313, 321–2
Kritias 112–3
Kyaxares 61
Kyniker 33, 94, 331
Kyros II 101–2, 171, 173
Leandros 58–60, 264–5
Leukipp 76–7, 126, 173, 249, 279
Linos 39, 55, 164, 246, 274
Lukrez 139–42, 144
Lyder 61–2, 217, 335–7, 349
Lykurg 39, 176, 309–10, 321–2
Magier 50–1, 71–2, 109, 164
Manetho 101
Marcion/iten 92, 106–9, 116–7, 148, 347
Melissos 126, 249, 279
Metrodoros 71–2, 152, 159, 278, 281
Minos 39
Moses 38–9, 40, 56, 63, 99, 100–3, 156–7,
161, 168, 170–1, 173, 183, 198, 201,
219–221, 246, 268, 274–6, 295–300,
305–7, 309–10, 329, 331, 334, 349.
Musaios 39, 164, 246, 274
Myson 56
Naassener 83–4, 90
Numenius 154, 191, 263
402
Register
Okeanos 33–4, 184–5, 206–8, 270–1
Origenes 155, 219, 223
Orpheus 39, 55, 62, 132–3, 145, 164, 241,
246, 274
Ovid 132–3, 138–9, 145
Panaitios 152
Parmenides 21, 48, 61, 76–7, 126, 159,
163, 225, 249, 279, 282–3, 347
Paulus 52, 56, 65, 125
Peisistratos 336
Periander von Korinth 55, 176, 242–3,
313–4, 316, 322
Peripatetiker 56, 97, 112, 152, 157, 177,
191
Perser 50–1, 109, 173, 336–7, 349
Petrus, Apostel 223
Pherekydes 56, 58, 71, 126, 164–5,
167–8, 198, 261–2, 264–5, 327–331
Philon 182, 219, 221
Philoponus 20, 113
Phöniker, phönizisch 58–60, 62–3, 73,
155, 165–6, 198, 223, 264–5, 291, 350
Pittakos 55, 176, 242–3, 313–4, 316, 322
Platon 33, 41, 43–4, 46, 56, 63, 65–6, 69,
71–2, 76–7, 80, 85–7, 94, 98–9, 105,
107–8, 110–13, 124, 126, 145–6, 151–4,
156–7, 160, 173–82, 187–8, 190, 194,
197–8, 200–1, 204–9, 225, 228, 232,
235, 237, 244, 249, 259, 261–2, 266–9,
272–4, 276, 279, 281–2, 290–1, 299,
306–7, 309–10, 324, 328–9, 335,
339–40, 342
Platoniker 114, 148, 210, 224, 232,
237–8, 247, 310, 328, 343
Plinius 110, 323, 342
Plutarch 98, 158–9, 166, 187, 191, 221,
263, 285–6, 308
Porphyrius 263, 274, 302
Prometheus 100, 334
Protagoras 56, 126, 173
Ps.-Plutarch 35, 44–6, 122, 135, 155,
157–8, 184, 186–9, 191–3, 195–7, 203,
254, 270, 276, 278–80, 283, 285, 286,
287–8, 290, 301, 304, 308
Pythagoras 39–41, 58–9, 62–4, 71–2,
76–7, 82, 85–7, 126, 140–1, 145–6,
151–3, 162, 164–5, 167–8, 177–8,
187–8, 190, 194, 198, 225, 232, 235,
244–5, 254, 261–2, 264–5, 273, 276–9,
283, 299, 300, 306–8, 316–7, 324, 343
Pythagoreer 33, 112, 153, 249, 263, 281
Rom, Römer, römisch 23, 30, 37–8, 75,
85, 92, 130, 139, 148, 212–4, 223,
240–2, 247, 297, 309, 312–3, 321–2,
333, 340–1
Sappho 334
Sarmaten/Sauromaten 50–1, 260
Seneca 144–6, 331
Simon, der Magier 223
Skythen 260
Sokrates 71–2, 76–7, 81–2, 94, 160, 173,
180, 182, 190, 197, 232, 234–7, 244,
261, 266, 271, 276, 283–4, 292, 309–10,
339–40
Solon 39–41, 55, 85–7, 102–4, 171, 176,
214–5, 217, 242–3, 261–2, 299, 313–4,
316, 321–2, 334–5, 337
Sophokles 342
Stoiker 33, 65, 77, 88–9, 94, 112, 114,
145–6, 152, 157, 193–4, 196, 210,
237–9, 277–8, 301, 304, 306, 328, 343–4
Syrien 23, 37, 47, 85, 223, 253, 257
Tethys 33–4, 271
Theodoros von Kyrene 180, 188, 267
Theophrast 71–2
Theopomp 254
Timon von Phleius 273
Valentin, Valentinianer 31–5
Varro 93, 110, 148, 230–1, 240, 342
Vergil 132, 145, 219
Xenokates 112, 340
Xenophanes 58–9, 61, 77, 88, 159, 163,
165, 178, 187, 242–4, 249, 279, 281
Xenophon 160, 197, 271–2, 284, 292
Zenon von Elea 61, 159, 163, 173, 176,
279
Zenon (Stoiker) 71–2, 107–8, 112, 145–6,
152, 225, 228, 344
Zeus 207
Sachen und Begriffe
403
8.3 Sachen und Begriffe
Abhängigkeit 32, 51, 59–60, 69, 72, 90,
156, 198, 200, 300
Äther, ätherisch 107–8, 136, 205, 207,
284
Aggregatzustände 79, 90, 151, 153,
255–6
Agnostiker, agnostisch 46, 105, 116–7
Altersbeweis 37–41, 63–4, 72, 166–174,
245–6, 297–8, 348–9
Anfang 32, 34, 54, 58, 60, 70, 72, 79–80,
90, 94, 98–9, 103, 109, 111, 135, 143,
163–4, 219, 221, 239, 305, 315–7, 322,
342, 349
Apologetik, apologetisch 119, 130, 132,
166, 169, 182, 191, 200, 204, 230, 257,
292, 294–5, 346, 348–9
Apologie/n 37, 43, 99, 200, 257, 294–5
Argument, chronologisches 38, 41,
99,100, 103, 198, 275, 295, 297, 300,
348
Argumentationsziel 27, 40, 61, 70, 80,
103, 127, 157, 169, 262, 271, 345
Argumentative Funktion 25–6, 41, 73, 90,
185, 191, 345, 350
Argumentative Strategie 35, 60, 113,
196–7, 203, 262, 291–2, 345
Astronom/ie, astronomisch 15, 17, 21,
61–2, 79–81, 90, 112, 172, 180, 233–4,
263, 267, 318, 320, 322, 339–40, 342
Atheismus 43
Atheist/atheistisch 35, 43, 46, 119
Atome 53, 112–3, 151, 153, 225, 237–8,
278
Bewegung 78–80, 126–7, 135, 160, 187,
275, 280, 331
Beweis, beweisen 39, 40, 66, 68–9, 77,
100–1, 114, 119, 131, 148–9, 154,
169–70, 203, 206–7, 248, 255–6, 270,
273, 283, 295, 298, 348
Bildung, Ausbildung 35, 37, 54, 62, 98,
130, 155, 220, 235, 247, 257, 259,
266–8, 313–4, 317, 323, 325, 333, 338,
346
Blut 112–3, 329–31
chronologisch 20, 38–41, 56, 60–63, 72,
99–100, 103, 126, 169, 171, 190, 192,
198, 214, 218, 240–2, 244–6, 275, 295,
297, 300, 338, 340–2, 346, 348–350
Dämon/en 43–5, 48, 85, 156, 194–5
Denken 18, 65–6, 69, 104, 142, 174, 339
Diaphonie, Dissens 154, 163, 182, 186,
190, 193, 196–7, 254, 270–1, 278–80,
283, 285, 287–8, 290, 292, 319, 348
Dichter 33–4, 38, 55, 92–3, 120, 131–4,
137, 142, 145, 182, 188, 201–2, 241–3,
246, 259, 263, 269, 273–5, 286, 289–90,
301, 312, 314, 325, 334
Dichtung 123, 132, 167, 182, 200
Diebstahl 52, 69, 84
Doxographie, doxographisch 18, 45, 73,
84, 110, 122, 155, 162, 189, 197, 203,
209, 225, 270, 287–8, 290–1, 308
Dreifuß 64, 301–3
Element/e 48–54, 73, 85, 107, 109, 113,
134–8, 162–3, 191, 204, 225, 227–8,
233, 239, 253, 255–6, 281, 300, 315,
343–4
Erde 48–9, 72, 79, 88, 97–8, 100, 107–8,
126–7, 150, 195–6, 219, 221, 225, 231,
239, 255, 274, 281, 283, 298, 305,
318–9, 328–331
Erfinder 140–1, 272, 289–290, 334
Erforschung, Forschung 47, 61, 78–80,
103, 125, 133–4, 172, 178, 234–6,
244–5, 283, 292, 299, 318, 325, 332,
339–40
Erkenntnis 31, 54, 57, 71, 73, 84, 94, 106,
116, 126, 136, 139, 153, 171, 237, 258,
266–8, 342
Erkenntnis Gottes 50, 99, 116, 136
Feuchtigkeit, feucht 126–7, 134–9, 185,
207, 234, 238
Feuchte Wesenheit 35, 84, 90
Feuer 48–9, 53, 88, 107–8, 112–3, 137–9,
151–3, 162, 185, 202–3, 225, 238–9,
255–6, 280–3, 302, 304
404
Register
Geometrie, geometrisch 225, 263, 300,
322, 329, 330–2, 339–40
Gerechtigkeit 99, 104, 220, 248, 267–9,
296
Gesetzgeber 39, 101–3, 309–11, 322,
334–5, 337
Glauben 40, 48, 57, 65–8, 94, 111, 119,
126, 131, 148–54, 203, 211, 257, 259,
272–3, 277, 319
Gott 41, 44–6, 50–4, 65–6, 69–70, 72,
77–81, 89, 90, 93–4, 96, 99, 100–1,
105–7, 109, 111, 116, 119–25, 131–7,
139–41, 145–7, 157, 160–4, 167, 179,
183, 186–9, 190, 205–8, 219, 224,
227–231, 234, 236–40, 242–3, 246, 248,
262, 264–5, 269, 274–5, 286, 296,
300–6, 310, 328–32, 341–4, 349
Götter 33–4, 43, 45, 48–51, 56–7, 63,
92–6, 103, 106–9, 116, 127, 132, 140–1,
148–150, 186–8, 191–3, 204, 231, 234,
236, 271, 318, 320
Gotteslehre 54, 268, 274, 328
Gottheit 48, 70, 77, 89, 93–4, 96, 102–6,
116, 121, 123, 188, 231
Gottlosigkeit, gottlos 32–5, 49–51, 53,
73, 75, 160, 275
Göttlich/es 31, 43, 60, 70, 76, 81, 93, 99,
100, 103–4, 109–10, 119, 130–2, 134,
136, 138, 140, 142–4, 146, 167–8, 181,
204–5, 219, 224, 227, 230, 234, 236–7,
258, 269, 273, 276, 320, 328
Göttlicher Geist 99, 219, 234, 236–7, 318,
320, 328 cf. Attribut ›Gott/Götter/
Gottheit‹
Häretiker 30, 75–6, 89–90, 107, 110–1
Häresie/n, häresiologisch 30–5, 75–8,
82–90, 92, 106–11, 115, 210–2, 230,
305, 342, 347, 350
Herkunft 23, 34, 58, 60, 62–3, 73, 80, 166,
198, 204, 247, 250, 265, 291, 314, 316,
322, 338, 350
Himmel 41, 78, 81, 83, 95, 97–8, 107–8,
111, 121, 159, 180, 207, 219, 231, 267,
305, 328, 339–40
Himmelskörper 107–8, 280
Hörer 82, 171–2, 221, 224, 232, 234, 236,
246
Immateriell 117, 306
Körper, körperlich 88, 107–8, 110, 112–5,
127, 162, 176, 179, 194, 205, 226–7,
238–9, 253, 255, 280, 283, 287, 289–90,
310, 343–4
Kosmos 44, 46, 108, 121, 123, 135, 185,
188–91, 276, 281, 302–4, 308, 330, 332
Lehre/n 21–2, 26, 31–5, 37–9, 43–4,
50–4, 63, 65, 75–7, 80, 83–85, 87, 99,
104–5, 110–12, 119–20, 123–6, 133,
136, 149, 155–9, 161, 163–4, 175,
177–8, 181, 183–4, 186, 201–8, 211–2,
220, 231–2, 236, 243, 247–8, 250, 253,
255, 262, 268–9, 271, 274–5, 277, 286,
289–90, 295–6, 298–300, 305–8,
318–20, 328–332, 339
Lehrer 47, 50, 58–60, 68, 71–3, 82,
87, 89, 107–8, 130, 148, 166, 198, 201,
203, 232, 236, 263–5, 269, 290, 301,
305
Liebe 48, 53, 149, 220, 230, 237, 239,
327, 339
Logos 48, 66, 163
Luft, luftartig 48–9, 53, 88, 94, 107–8,
121, 123, 158, 162, 202–3, 225, 234,
236, 238–9, 255–6, 270–1, 280–1, 284,
318–9,
Materie 31, 88–9, 134–5, 137, 194–5,
207–8, 221, 224, 227, 276–9
Materiell 320
Mond 191–3, 195–6, 277, 281–4, 318
Mondfinsternis/se 233–4, 319
Mondphasen 171–2, 318–9
Monotheismus, monotheistisch 43, 145,
147, 301, 328, 332
Mysterien 50, 76, 83–4, 86
Mysterienkulte 48–9, 148, 263
Nachfolger 40, 60, 68, 169, 178, 234–6,
270–1, 317–8, 338
Neugierde 94, 97–99
Offenbarung 32, 48, 99, 123
Opfer, opfern 43, 85, 94, 156, 329–31
Orthodoxie 106, 213, 247
Sachen und Begriffe
Plausibilität, plausibel 59, 60, 66, 80–1,
95, 116, 120, 126, 198, 285, 291, 298,
300, 349
Polemik 37, 41, 49, 53, 79, 124, 148, 172,
227, 239, 248, 250–1, 261
Priester 47, 58–60, 62–3, 73, 86–7, 98,
116, 165–6, 323
Prinzip/ien 24, 34–5, 48–9, 51, 53, 66–8,
72–3, 76, 79, 84, 88–90, 106, 108,
113, 121, 126–7, 134–8, 151, 157–9,
161–3, 172, 184–6, 201–4, 207–8,
211–2, 219–21, 225–7, 233–4, 236, 238,
255, 268, 270–2, 277, 301, 317–20, 330
Propheten 58–60, 63–4, 72, 100–4, 116,
131, 145, 161, 164–6, 168, 170–1, 173,
179, 183, 198, 240, 244–6, 265, 296,
334, 349
Religion 7, 23, 92, 99–100, 104, 119,
130–1, 136, 139, 148, 156, 161, 167,
200–1, 203, 205, 246, 275, 291, 294–6,
300–3, 342, 348
Religionsgeschichte 155
Religionsgeschichtlich 50, 92
Rhetorik 38, 119, 130, 142, 148, 247, 251,
309, 338
Same 104, 270–1, 291–2, 318
Schöpfer 31, 50, 52–3, 77, 89, 97–8,
105–7, 121, 124, 132, 134–5, 160,
186, 225, 227–8, 236, 248, 305,
329–32
Schöpfung 31, 37, 77, 89, 94, 106–7, 109,
123, 135–6, 225, 239, 277, 307
Schrift/en 15, 25, 30, 32, 37, 43–5, 47–9,
56–7, 65, 68, 70, 75, 85, 92, 94, 99,
100–3, 106, 109, 116, 119, 125–6, 136,
143–4, 148, 156, 164, 167–70, 175, 179,
181, 184, 191–2, 200–1, 219, 230,
233–6, 243–8, 253, 257–60, 262–3, 265,
272, 275, 277, 286, 294–5, 299, 307,
310–1, 328, 338, 340, 343–4, 350
Schrift/en, Heilige 65, 70, 75, 94, 99–100,
103, 156, 179, 277, 309, 328
Schule (Eleatische) 58–9, 61, 165, 176
Schule (Ionische) 58–9, 61, 72, 165–6,
185, 198, 232–6
Schule (Italische) 58–9, 165, 232
405
Schüler 19, 31, 37, 51, 58–9, 76, 82, 85–7,
130, 155, 164, 166, 168, 173, 198, 232,
236, 251, 251, 261, 274, 290, 317–9,
344
Seele 44, 109–17, 125, 127, 151–2, 178,
187, 194, 231, 239, 253–4, 286–9, 290,
302, 304, 323, 327
Sonne 97, 171–2, 185, 191–3, 195, 217,
269, 277, 281–2, 318–9, 336
Sonnenfinsternis, Eklipse 24, 61–2, 72,
155, 171–2, 195–6, 217–8, 233–4, 283,
318–9, 336–7, 342, 349 cf. Attribut
›Sonnenfinsternis‹
Stoff, stofflich 48–50, 69, 89, 134–5, 234
Strategie (argumentative) 35, 60, 111, 113,
132, 196–7, 203, 262, 277, 291–2, 345
Tag-und-Nacht-Gleiche 171–2
Theist/theistisch 46, 189, 221
Theologie 65, 84, 93, 117, 142, 156,
161–2, 164, 202, 204, 208, 230–1, 237,
273–6, 300
Theologe/n 15, 31, 35, 164, 183, 219, 230,
241, 243, 246, 327, 343–4
Überlieferung 30, 37, 52, 97, 116, 134,
142, 189–90, 232, 247–8, 250, 265, 273,
288, 294, 300
Überlieferungsgeschichte 7–8, 21, 190
Unbewegt 254, 287–8
Unendlich, Unendlichkeit 34, 121, 123,
158, 202, 225, 234, 270–1, 279, 303–4
Unkörperlich 114, 151–3, 175, 186, 231,
253–4
Unwissen, Unwissenheit 32–3, 35, 94–5,
205, 298
Unwissend 31, 94, 149
Ursprung 13, 32–4, 51, 60, 73, 78–9, 81,
94, 110–2, 135–6, 143, 151–2, 185, 198,
207–8, 221, 232, 239, 248, 264, 268,
271, 286, 291
Vertrauen 126–7, 148–50, 259, 272
Vorsehung 52, 119, 136, 145, 161, 224–5,
227, 290, 310, 328
Wahrheit 47–48, 54, 65–66, 93–94, 104,
111, 114, 126, 131–134, 141, 144
406
Register
Wasser cf. Attribut ›Prinzip Wasser‹
Weiser, weise cf. Attribut ›Weiser/Sieben
Weise‹
Weisheit 69–73, 76, 81, 86, 90, 93–4,
97–8, 101, 103, 105, 107–8, 114, 123,
125, 131, 139–143, 149, 153, 162–3,
180, 198, 220–1, 230, 232, 246, 263–6,
277, 298, 300, 303, 313–4, 316–7, 322,
339, 342, 349
Welt, Weltall 13, 15, 31, 44, 52, 57, 66,
72, 97, 99, 101, 105–9, 125, 127, 133,
136–8, 145–9, 161, 167, 189, 193, 212,
221, 224–8, 231, 233–6, 239, 246, 277,
278–280, 296, 304, 307, 318–20, 333,
341, 343–4
Weltanschaulich 23, 123, 156, 348
Weltanschauung 23, 109, 117, 120, 123,
156, 227, 348
Welten 34, 158–9, 234, 236, 278–9,
303–4
Weltgeschichte 197, 213
Wissen, wissen 15, 45, 50, 65–9, 71, 94,
104, 117, 127, 140, 153–4, 164, 205,
225, 260, 266, 270–2, 291, 314, 317,
320, 323, 338
Wissenschaft/en 23, 38, 67, 80, 83, 98,
153, 246, 263–4, 269, 299–300, 323,
349
Wissenschaftlich 67, 245, 263, 283
Wolken 207, 281
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