Heft 2 - Dezember 2007

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Interdisziplinäres Zentrum für
Islamische Religionslehre
Inhalt
H. H. Behr:
Schon aufgeklärt?............................Seite 1
H. H. Behr:
Die Menschenwürde
im islamischen Diskurs....................Seite 2
Rüdiger Braun:
Wer sind denn die Ungläubigen?
Teil 1: Eine Antwort aus
christlicher Perspektive ............... Seite 10
Emel und Amin Rochdi:
„Bin ich hier richtig?“ – Eine Erhebung der Schülerinteressen im islamischen Religionsunterricht....... Seite 22
Fuad Kandil:
Kann religiöse Erziehung zur besseren
Integration beitragen?
Zur Frage des Islamischen Religionsunterrichts – Teil 1: Grundsätzliche
Überlegungen................................ Seite 29
Zu den Autoren · Vorschau ·
Impressum...................................... Seite 32
Heft 2 • Dez. 2007 • 1. Jg.
Zeitschrift
für die
Religionslehre des Islam
ZRLI
Harry Harun Behr
Schon aufgeklärt?
Sehr geehrte Leserinnen,
sehr geehrte Leser,
man kann darüber diskutieren:
Bedarf es für das, was doch allein
in der Vernunft begründbar sein
sollte, unbedingt einer schrifthermeneutischen Herleitung? Manchen
befremdet es, wenn der Diskurs auf
die Aussagen dieser oder jener Heiligen Schrift zurückgeführt wird.
Dies vor allem dann, wenn die Idee
der europäischen Aufklärung selbst
zur Religion geworden ist. Levitikus, Lukman und Lukas aufzurufen
mutet an wie der doppelte Rückfall
vor die Zeit eines Thomas von Aquin
und eines Immanuel Kant zugleich.
Wenn es um den Islam geht, wird
hier schärfer formuliert: Sollte es,
statt um die Textlinguistik scheinbar willkürlich ausgewählter Koranverse, nicht doch mehr um die
generelle Anfrage gehen? Etwa so:
Warum halten Muslime den Koran heute noch so uneingeschränkt
hoch? Rückfrage: Wie wichtig ist es,
die Köpfe und Herzen der Schwestern und Brüder zu gewinnen?
Das fragen sich Musliminnen und
Muslime auch. Ihre weltweit geführten Diskussionen entzünden
sich gegenwärtig entlang einer
Frage, hinter der das Ringen um
eine neue Kultur islamisch-theologischen Denkens die Regie führt:
Was wird sich in Zukunft durchsetzen, das kritische Potenzial vernünftiger Koranauslegung oder die
kritische Masse des Irrationalismus?
Das Problem dabei: Was bevorzugt
von West nach Ost angefragt wird,
entstammt meist dem Arsenal ideologisch aufgeladener Kampfbegriffe.
Das lässt sich gelegentlich mehr am
Stil als an den Inhalten festmachen.
Was sollen wir also tun? Mehr aneinander denken, mehr miteinander
reden, mehr voneinander lernen,
mehr miteinander auf den Weg
bringen, mehr füreinander dasein
– Juden, Christen, Muslime, alle
anderen, mit oder ohne Religion, der
Westen und der Osten, der Norden
und der Süden. In diesem Sinne
wünschen wir, die Herausgeberin
und die Herausgeber, Ihnen und
Ihren Familien schöne Festtage und
den Segen Gottes – auf all Euren
Wegen soll Er Euch begegnen!
Seite Harry Harun Behr
Die Menschenwürde im islamischen Diskurs
Der Artikel 1 des Grundgesetzes der
Bundesrepublik Deutschland steht
nicht im Koran. Stünde er dort,
dann vermutlich als arabischer Nominalsatz, eingeleitet durch den Verneinungspartikel lā, also etwa „Kein
Antasten der Menschenwürde“.
Diese Art Satzbau ist aus der koranarabischen Grammatik bekannt,
wie z.B. in 3:18 (ÿF ÙH ÍÙH Ù; „keine
Gottheit außer Gott“), 30:30
( ÿF ¼Ãh ÁÖkRW Ù; „kein Abändern
in der Schöpfung Gottes“) oder
2:256 (ÌÖkÂB ض ÍBo¾H Ù; „kein Zwang
in der Religion“). Am Rande vermerkt: In die Interpretation des
Begriffs Ío¾ müssten seine Konnotationen wie „Hass“ und „Unfreiheit“ deutlicher mit einbezogen
werden als das bislang der Fall war.
Mit dem Koran und dem tradiertem
Prophetenwort (]Ökc) lässt sich
begründen, was in der veröffentlichten Wahrnehmung wohl nicht
die erste Assoziation mit dem Wort
„Islam“ ist. Dazu eine erste These:
Die Schriftquellen des Islams legen
nahe, sich für die nicht verhandelbare und unantastbare Würde
des Individuums als Leitmotiv zu
entscheiden. Würde ist dabei als
Argument theologischer Anthropologie zu verstehen. Es soll um
ein universales Kennzeichen jedes
Menschen gehen, das allen anderen
denkbaren Kennzeichen vorangeht.
Derlei kann natürlich im Deutschen
als modaler Verbalsatz wiedergegeben werden. Mit der einfachen
Feststellung aber geht das stärkere
imperativische Motiv einher. Es geht
um die Dimension des Kategorialen:
Die Würde des Menschen bleibt
unantastbar, auch wenn die menschlichen Standards in dem, was sein
kann, soll und darf, immer wieder
der Abwägung unterworfen werden.
H. H. Behr: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs
Ein flüchtiger Begriff –
ein erster Zugriff
Bedeutung also, die über das Dafürhalten und die Situation hinausweist.
Das schillernde Begriffsfeld „Würde“
entfaltet sich entlang der Person und
ihres Verhaltens. Es geht um den
sozialen und sittlichen Wert als ihre
innere Werthaltung, was ihre Subjektfähgkeit voraussetzt. Das berührt
die Frage ihrer Autonomie. Mithin
lässt sich der Begriff der Würde
nach Kant zunächst in der Ethik
und der Rechtsphilosophie und
nicht in der Theologie verankern:
Würde hat, was über jeden Preis
im Sinne von „Wert“ erhaben ist.
Allerdings belegen schon frühe
islamisch-theologische Traktate für
diese Thematik eine Annäherung
an die Schriftquellen des Islams,
nämlich dort, wo sie einem anthropologischen oder ethischen Motiv
folgen: Zaid ibn cĀlī Zain al-cĀbidīn,
der um 750 n. Chr. bei Kūfa im
Kampf gegen die Umayyaden fiel,
kritischer Rationalist im Kontext
dessen, was später zur so genannten
Fünferschia wurde; Ibn Hazm, 994
n. Chr. in Cordoba geboren, der mit
zahlreichen Lehrverboten geadelte
Universalgelehrte; Muhiyyuddīn
Muhammad ibn cArabī, ein anderer
Europäer, 1165 n. Chr. in Murcia geboren, der magister magnus, Advokat
der Toleranz, Sufi und Freund eines
weiteren Illuminierten, Ibn Ruschd
alias Averroes. Ibn cArabī übrigens
dürfte ein Gutteil seines rationalen
Potenzials seinen beiden Lehrerinnen, Schams Umm al-Fuqarā’ und
Mūnah Fātima bint ibn al-Muthanna, zu verdanken haben. Die Unterscheidung zwischen überliefertem
und vernunftbegründetem Wissen,
zwischen Offenbarung und Empirie,
Die Entstehung des Korans im
7. Jahrhundert nach christlicher
Zeitrechnung liegt allerdings weit
vor der Entwicklung dieser philosophischen Konzeption. Ob der Islam
per se die Menschenwürde achtet, ist
also – und ungeachtet des schon mit
der Frage produzierten Irrtums –
erst einmal schon aus logischen
Gründen zu verneinen. Es bedarf
eines sekundären Begründungszusammenhangs, soll einer islamischtheologischen Konzeption von der
Würde des Einzelnen kategoriale
Gültigkeit zugeschrieben werden –
Seite zwischen Wahrheit und konstitutiver
Wirklichkeit, wie sie bei Muhammad
al-Māturidī und Abu-l-Hasan alAschcarī ihren Anfang als institutionalisierte Lehre nahm, bildete (nicht
nur in der hanafitischen Rechtsschule) einen wichtigen frühen Ansatzpunkt für ein starkes Motiv innerhalb islamischer Theologie, das im
gelehrten Disput noch nachschwingt,
aber dort allzuoft vernachlässigt
wird, wo es um die praktische Ethik
geht: Am Anfang des Nachdenkens
steht die Frage, was dem Menschen
nützt und ihm nicht schadet, was ihn
glücklich macht und nicht unglücklich, und was ihm den Weg hin zu
Gott erleichtert und nicht erschwert.
zählen etwa die Internationale oder
die Europäische Menschenrechtscharta. Sie stellen immer noch eine
große Herausforderung an einige
theologische Fundamentalprinzipien
der Schriftreligionen dar. Die Theologien sehen sich weniger durch
ihre Einzelaussagen herausgefordert
als vielmehr durch die Apodiktion,
die einem eigenen, nicht-theologischen Anspruch auf Universalität
entspringt. Es geht ums Prinzip.
Keine Aufklärung im Islam? Dass
wesentliche philosophische Impulse
für die europäische Aufklärung
ohne den Islam in Andalusien oder
ohne die Übersetzungsarbeit eines
Gerhard von Cremona († 1187 in
Toledo) ausgeblieben wären, ist
bekannt. Aber hier geht es nicht
um den verklärten Rückblick auf
ein Zeitalter des Lichts, sondern
um die Vorausschau auf Fragen des
Zusammenlebens. Das betrifft den
gesellschaftlichen Konsens, und
damit besonders wieder die theologischen Konstruktionen, die durch
Standards entfacht werden, auf die
sich dieser Konsens stützt. Zu den
Dokumenten eines solchen Standards
H. H. Behr: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs
„Ehre“ durch „Bevorzugung“ –
ein textlinguistischer Zugriff
Am Anfang des
Nachdenkens steht
die Frage, was dem
Menschen nützt und
ihm nicht schadet,
was ihn glücklich macht
und nicht unglücklich,
und was ihm den Weg
hin zu Gott erleichtert
und nicht erschwert.
Das Prinzipielle liegt auch im
Koran unter der Oberfläche seiner
Textur, die durchdrungen sein will.
Ein erster Zugang zur Frage der
Menschenwürde als islamischtheologischem Konzept ist in Koranversen wie 17:70 lokalisierbar:
„Und wir haben den Kindern Adams
Ehre erwiesen. Wir haben sie auf
dem Festland und dem Meer getragen und ihnen (einiges) von den
köstlichen Dingen beschert, und Wir
haben sie vor vielen von denen,
die Wir erschaffen haben, eindeutig
bevorzugt“ (nach Khoury, Gütersloh 2004).
In dieser Form ist das eine beinahe singuläre Aussage des Korans.
Das elektrisiert den Interpreten,
der darin die größere Signifikanz
erkennen will als im hundertfach Wiederholten. Dann geht es
weniger ums Prinzip als um das
einzelne Wort als Schlüsselreiz:
Mit „Würde“ oder „Ehre“, von Gott
„gegeben“, ist eine besondere Qualität des Menschseins gemeint. Sie lässt
sich nicht daran bemessen, was die
Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Gruppe beschreibbar macht: Kriterien wie Sprache, Geschlecht, Alter,
Seite Hautfarbe, Nationalität, Religion,
Das arabische Grundverb Åâo¾ lässt
Lebensstandard, Bildung und andere. sich im Koran selbst immerhin in
16 grammatikalischen Variationen
Zu den zentralen Schlüsselbegriffen
in 59 Textstellen nachweisen, dadieser Textstelle gehören als angevon am häufigsten in Form der
sprochene Subjekte die „Kinder
adverbialen Bestimmung ÈÖo¾ , z.B.
Adams“. Sie stehen hier als Empin 44:17 bis 19. Dort geht es um
fänger von „Würde“ im ObjektkaMoses: Er ist „edler Gesandter“
sus ( áÅjB ËQ ) und sind durch eine
(ÈÖo¾ çÁÒsn), allerdings „treu“ und
besondere Form des Verbs Åâo¾ in
„mit einer klaren Ermächtigung“
der abgeschlossenen Zeit des II.
von Seiten Gottes. Das stellt ein
Stamms (CËÆäo¾ ) in dieser Qualierstes kritisches Argument mit Blick
tät berschrieben. Für die gängigen
auf die Frage nach der Autonomie
Koranübersetzungen finden hier in
und der Selbstermächtigung des
der Regel Formulierungen wie wir
Individuums dar. Hierfür steht,
haben bevorzugt/Ehre verliehen oder
ganz im Sinne einer Krise, „der
we gave honour to Anwendung (vgl.
Pharao“ als Sinnbild, indem er sich
dazu auch die semantischen Felder
selbst zum „höchsten Herrn“ erÄ£¶ oder Òs). Ob man sich bei der
klärt (îÛB È¿Qn CÊB ; vgl. 79:24).
Interpretation auf die Mitbedeutung
Würde bzw. dignity verlegen will,
Erwähnt sei auch die Verwendung
muss an der Frage entlang geführt
der Vokabel in der Bezeichnung
werden, inwieweit „Ehre“ oder „Wür- ÈÖo¿ÂB ÉDo»ÂB für den „edlen Koran“.
de“ auf Verdienst beruhen oder auch In der Bezeichnung Ì×RWC¾ æCÆBo¾ für die
„unverdientermaßen“ gelten, oder ob beiden Engel, die jeden Menschen
sie zuerkannt werden, also auch wie- begleiten und seine Taten aufschreider aberkannt werden können. Die
ben, schwingt als Bedeutung „frei
Inblicknahme des Menschen seiner
sein von“ mit – bedeutsam genug
selbst, als idealtypisches Einzelwesen, für die weitere Interpretation.
gemahnt an seine Unwiederholbarkeit und an die Bedingungslosigkeit
seines Daseins – aber auch an seine
Distanzfähgkeit und Unwägbarkeit,
kurzum: Es geht um die Chancen
und Risiken des Menschseins.
H. H. Behr: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs
„Würde“ als axiologischer Begriff islamischer Theologie –
ein philosophischer Zugriff
in zwei Schritten
„Würde“ im Sinne einer
wesenhaft begründeten
Sonderstellung des
Menschen an sich, die
nicht zuletzt auf dem
von Gott mitgeteilten
Wissen um die eigene
Würde des Einzelnen
beruht, ist jedem
Menschen von
Gott gegeben;
sie gilt ohne Vorbehalt.
Für die Erschließung eines islamisch-theologischen Begriffs von
„Würde“ sei als eine erste einfache Arbeitsthese formuliert:
„Würde“ im Sinne einer wesenhaft begründeten Sonderstellung
des Menschen an sich, die nicht
zuletzt auf dem von Gott mitgeteilten Wissen um die eigene
Würde des Einzelnen beruht, ist
jedem Menschen von Gott gegeben; sie gilt ohne Vorbehalt.
Dass derjenige, der sie „gegeben“ hat,
in diesem Fall Gott, sie auch wieder
nehmen kann, wird im Kontext eines
teleologisch-normativen Deutungssystems bevorzugt auf den Menschen
hin gelesen, der Gott und sich selbst
gegenüber rechenschaftsfähig und
-pflichtig ist. Dieser thematische Seitenzweig soll hier zunächst nicht weiter verfolgt werden; er kommt aber
später im Zuge einer Kritik nochmals
zur Sprache, wenn es um Fragen der
theologischen Konstruktion des Bösen im Islam geht. In dieser Hinsicht
jedoch hier eine Bemerkung vorab:
Seite Die Herabwürdigung anderer zur
„Unperson“ (ein Begriff, der in
der Sprache der Theologie dem
malum metaphysicum vorbehalten
sein sollte), die folglich ihre Würde
verloren hat, ist aus der islamischen
Theologie heraus nicht vertretbar.
Ihre Lächerlichmachunng, ihre Dämonisierung, Entmenschlichung und
Diskriminierung, ihre Verfolgung,
Misshandlung oder Tötung widersprechen dem Geist des Islams und
dem Ethos des Muslimseins. Sagen
wir es kategorial: Keine Demut vor
Gott ohne Respekt vor dem Anderen.
Erster Schritt: Aspekte der theologischen Anthropologie des Islams
Der Koran entwirft die Figur des
„Adam“ als Archetypus für das
Menschwerden und das Menschsein an sich. Adam ist dort weniger „erster Mann“, auch wenn
ihm der Koran den einen oder
anderen typisch männlichen Charakterzug zuweist, beispielsweise
ein gewisses Maß an Wankelmut.
Koranstellen wie 2:30 ff. oder
20:115 machen deutlich: Das erste
Scheitern des Menschen angesichts
einer zuerst einmal metaphysisch zu
verstehenden Herausforderung geht
nicht zu Lasten der Frau. Der koranische Adam, und damit steht er
für Frau und Mann, erhält vielmehr
dahingehend eine herausragende
Stellung, als er zum Prototyp für den
werdenden Menschen mit wesenhaften Qualitäten wird: Adam als
ein mit körperlichen und geistigen
Mängeln behaftetes, unfertig zur
Welt kommendes Wesen, der Entwicklung bedürftig, ihrer fähig und
befähigt. Adam ist ein Schwächling
(vgl. 4:28) und zu allem Überfluss
– darauf deutet schon seine koranarabische Bezeichung als ÉCtÊH
hin – vergesslich (vgl. 2:286).
Was macht ihn dann stark? Er erhält von Gott die Gabe einer Form
sprachlicher Ausdrucksfähigkeit, die
H. H. Behr: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs
2
Konsequenzen?
Das Ich ist im Du
zu finden, Gott mithin
auch im Gegenüber;
zudem gibt es nichts
Unbeseeltes in der
Schöpfung, also nichts
„Würdeloses“ in der Natur.
es ihm ermöglicht, die Dinge losgelöst von der dinglichen Anschauung
zu benennen, und benennen heißt
hier soviel wie verfügen. Das ist
verbunden mit der Fähigkeit, wenn
nicht der Notwendigkeit, sich selbst
zum Gegenstand seines Nachdenkens
zu machen (vgl. 2:30 ff.). Damit
bringt der Koran die Selbstverfügbarkeit als einen wichtigen Hinweis
auf die Subjektfähigkeit ins Spiel.
Hinzu tritt nicht nur die Fähigkeit zu, sondern das Angewiesensein auf Gemeinschaft. Was hier
nur in wenigen Sätzen angerissen
werden kann, verweist auf einige Universalien der theologischen
Anthropologie des Islams:
Der Koran lenkt den Blick des
Menschen auf sein Selbst und verortet ihn in den Kontext einer
Menschheit als globaler Solidargemeinschaft – dies besonders wenn
der Urheber des Korans eingangs
der vierten Sure vorausschickt:
„Wir haben euch aus einem Einzigen Wesen (gelegentlich „Seele“,
genauer: „Atem“; u·Ê) erschaffen“.
Konsequenzen? Das Ich ist im Du zu
finden, Gott mithin auch im Gegenüber; zudem gibt es nichts Unbeseeltes in der Schöpfung, also nichts
„Würdeloses“ in der Natur. Jede
Form einer „Bevorzugung“ führt im
Seite Die bewusste und
regelgeleitete Gestaltung einer Kultur des
Miteinanders wird zur
zweiten und eigentlich
einzigen wesensgemäßen
menschlichen Natur.
menschlichen Kontext zum gewohnt
erhöhten Maß an Verantwortung.
Das stellt, wie bereits oben erwähnt,
keine theologische Neudichtung dar,
sondern gehört seit je her zu den
wesentlichen Aspekten des islamisch-theologischen Ur-Satzes vom
„Einssein in der Vielfalt des Seins“,
der eine erhebliche Wirkung auf die
Konturen einer islamischen Sozialethik zeitigt (jÒ_ÒÂB TkcÑ). Immerhin:
Das arabische Grundverb k_Ñ trägt
die Konnotationen „finden“, „begegnen“ und „lieben“. Das mit der Liebe
ist bisweilen schwer – Achtsamkeit
(ÉCtcH) als eine der zentralen Werthaltungen des Muslimseins neben der
Nachsicht (UË×Â) und dem Zutrauen
(ľÒW) ist hingegen zu fordern. In Sure
49, die Verse 13 bis 18, ist der Koran
diesbezüglich eindeutiger als anderswo, was die universale Dimension
angeht: Er fordert zuerst den guten
Menschen, dann den guten Muslim.
H. H. Behr: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs
Die bewusste und regelgeleitete
Gestaltung einer Kultur des Miteinanders wird zur zweiten und
eigentlich einzigen wesensgemäßen
menschlichen Natur. Dass dies zentral zu einem islamisch-theologisch
begründeten Begriff von Menschenwürde hinzugehört, wird schließlich
dadurch unterstrichen, dass mit den
Versen 22 bis 39 der 17. Sure der
für den Islam maßgebliche Kanon
sozialethischer Haltungen und Verhaltensweisen entworfen wird. Dabei
handelt es sich um eine Stelle, die in
dieser Hinsicht an Dichte von keiner
anderen Koranstelle erreicht wird; sie
erinnert zudem in ihrer zyklischen
Struktur etwa an Levitikus 19.
Zweiter Schritt: Die Schwestern
„Würde“ und „Freiheit“
Um die Signatur von „Würde“ im
Sinne von „Freiheit“ herauszeichnen
zu können, muss der texthermeneutische Zugang erweitert werden. Die
Vokabel Åâo¾ aus 17:70 trägt die Bedeutung von „frei sein“ (Åéo¾, Åo¾F; „befreit sein von“, „[sich] frei machen
von“) nicht nur als gelegentliche
Mitbedeutung: Die beiden oben erwähnten „Schreiberengel“ sind nicht
zuletzt deshalb ÅBoã¾, weil sie sich von
niemand anderem als ihrem Auftraggeber „zur Vorschrift machen“
(î SX¾) lassen, was sie jeweils aufschreiben und was sie tilgen. Sie sind
durch diese eindeutige Bindung von
allen anderen Bindungen „befreit“.
Dies wie auch die Sequenz in 2:3034 gestattet im Übrigen die vorsichtige Anfrage, ob Engel im Islam nur
als diejenigen folgsamen Vollstrecker
gesehen werden können, so wie das
vielfach tradiert wird. Immerhin: Sie
melden Zweifel an, lassen sich zum
Besseren überzeugen oder stimmen
kraft eigener Entscheidung zu. Das
deutet auf Dispositionen hin, die nur
in ihrer Anbindung an die Idee der
Freiheit einigermaßen Sinn ergeben.
Je weiter, so will es scheinen, der
Koran zeichnet, was zwischen dem
Menschen und den Engeln steht, desto mehr verrät er über den Entwurf
des Menschen vom Sein seiner selbst.
Seite Nicht außer Acht gelassen werden
darf der textuale Kontext, in den
eine Satzaussage eingebettet ist (der
Blick auf soziale, biographische
oder historische Kontexte ist ein
weiterer Zugang, der hier fürs erste
aus Platzgründen ausgespart bleiben soll). Auf andere Textpassagen
der 17. Sure wurde bereits hingewiesen. Die Verse 17:66-72 entwickeln – ähnlich ist das in Stellen
wie 10:22-25 – eine auf das Wasser
und insbesondere auf das Meer
bezogene Metaphorik bis hin zum
Gleichnishaften (vgl. 10:24). Das
Meer steht im Koran sinnbildlich
für eine nicht nur metaphysische,
sondern reale physikalische Größe,
die gleichermaßen dazu auffordert
und davon abschreckt, loszusegeln.
Das Meer wird im Koran zum Sinnbild des Grenzenlosen, mithin des
entgrenzten Menschen. Der dem
Menschen wesenhaft zueigene Drang
nach „Überschreitung“ (³¦) gehört
für die theologische Anthropologie
des Islams zu den Antrieben für die
individuelle wie gemeinschaftliche,
die biographische wie historische
menschliche Entwicklung des Menschen (vgl. zur positiven Deutung
Verse wie 55:33; der Koran verweist
demgegenüber aber auch auf den
negativen Kontext des Missbrauchs).
H. H. Behr: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs
Der Mensch ist,
seinem Entwurf im Koran
zufolge, potenziell frei,
zu tun was er will,
und zwar einem
bekannten Prophetenwort gemäß „so lange
er sich nicht schämt“.
Auf der Folie des Metaphysischen
entwirft der Koran den psychologischen Raum des Menschseins, eine
Art „Bühne“ (vgl. dazu besonders
2:1-29) – mit den räumlich-dimensionalen und zeitlichen Koordinaten, mit einem Anfang und einem
Ende, mit Helligkeit und Dunkelheit… Mit dem Verweis auf das
Meer wird die Begrenzung dieses
psychologischen Raums allerdings
in Frage gestellt: In der Unwägbarkeit entfalten sich Chancen und
Risiken gleichermaßen; Gleichnisse
von solchen, die in ihrer Not auf
hoher See den Herrn anrufen und
ihn, sobald sie wieder an Land sind,
aufs Neue vergessen (vgl. 31:32),
gewinnen vor diesem Hintergrund
erst ihre eigentliche Tiefe. Land
und Meer zeichnen den Grundriss des elementar-psychologischen
Raums als „Bewährungsraum“, in
den sich der Mensch aus Sicht der
theologischen Anthropologie des
Islams gestellt sieht. Folgerung:
Der Mensch ist, seinem Entwurf
im Koran zufolge, potenziell frei,
zu tun was er will, und zwar einem
bekannten Prophetenwort gemäß „so
lange er sich nicht schämt“. Positiv
gewendet: Er hat freie Hand, seine
Lebenswelt im Wechselspiel von
Begrenzung und Entgrenzung so zu
gestalten, wie er es für richtig hält.
Der Blick auf den Menschen, der
sich in Selbstbezogenheit auf sich
selbst gestellt, ja zurückgeworfen
sieht, hat im Islam zunächst seinen festen Platz. Als Bezugspunkt
der existentiellen und elementaren
Orientierung führt der Koran aber
Gott ins Feld, wiederum versinnbildlicht in erwähnter Anrufung
durch den Menschen im Moment
höchster Verlassenheit und Not. Das
Konzept der Selbstermächtigung
des Individuums als reine Idee, so
wie sie bisweilen voreilig an den
Bezugshorizont der kulturgeschichtlich späten Epoche der europäischen
Aufklärung angelehnt wird, fordert
den Frommen nun doch heraus.
Seite Ein theologisch begründetes Schwerer noch wiegt: Der so BeMisstrauensvotum
zeichnete konterkariert das Prinzip
von „Würde“ als eine nicht skaVerse wie 17:70 stehen aber auch
lierbare Qualität ohne notwendige
im Schatten des größtmöglichen
Letztbegründung gemäß 17:70: Ihm
menschlichen Scheiterns, so wie das
passt die Bevorzugung des Adam
in 2:30 von den Engeln in groben
nicht, er sieht sich als durch seine EiZügen vorausgesehen und in 17:61genschaften ausgezeichnet, verweist
65 weiter entfaltet wird. Der „Verfolglich auf seine wesenhafte Überwirrer“, „Chefankläger“ und „Wilegenheit und hält seinem Erschafdersacher“, der Teufel, erhält in der
fer vor, „diesen da“ (BlCÎ), dem es
Sprache des Koran-Arabischen zwei
nicht zusteht, mit „mehr an Würde“
Namen, die letztlich mehr über den
versehen zu haben als ihn (éØî YÆäo¾).
Charakter des Menschen aussagen
Indem der so Bezeichnete die Würals über das tatsächliche Wesen des
de Adams herabsetzt und antastet,
so Bezeichneten: „der im Innern vor setzt er Gott herab und tastet ihn an.
Wut brennt“ (ÉC§×xÂB; Pluralbildung
Nur so ist zu erahnen, warum der
üblich; von §w oder ̧w ) und „der Erschaffer von den Engeln in 2:34
jede Hoffnung auf Rettung verloren
verlangt, sich vor Adam niederzuwerhat“, „der verloren ist“ oder „der sich fen (Tk`s)– die so genannte Sadschda
aufgegeben hat“ (u×ÃQH; Eigenname;
ist ein zentrales Element der AnbePluralbildung unüblich; das wird ge- tung des einen Gottes zu den festgelegentlich auf das griechische diabolos legten Zeiten des islamischen Gebets.
zurückgeführt, wurzelt aber vermutlich in uÃQF ). Andere Bezeichnungen Hier geht es um ein Konzept vom
sind „der Einflüsterer“ (rBÒsÒÂB) und
„Bösen“, das geschehen will, im
„der Neider“ (ksCdÂB), der mit jeUnterschied zum „Übel“, das gedem nur denkbaren „Wenn“ und
schieht und dem zunächst nichts
„Aber“ argumentiert (17:19-21).
„Übelwollendes“ anzulasten ist.
Die pädagogische und psychologische Bedeutung liegt in der
Verbindung der einschlägigen
arabischen Bezeichnungen:
Der Entwurf des „Großen Widersachers“ im Koran deutet auf die
Gefahr für den sich entgrenzenden
H. H. Behr: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs
Das Leben im Diesseits
kann von Seiten der
Theologie des Islams nicht
losgelöst betrachtet
werden von dieser
Dimension der anderen
Seite. Was für „Freiheit“
gehalten wird, droht
allzu leicht in die
Unfreiheit zu führen.
Menschen hin, in den Sog aus Verzweiflung, Wut, Neid und Hoffnungslosigkeit zu geraten, wenn
er dabei seinen wesensgemäßen
Orientierungspunkt aus den Augen
verliert: Er ist von Gott ins Leben
gesetzt worden und wird von ihm
aus diesem Leben wieder abberufen. Er wird auf die Dinge Antwort
geben müssen, weil er danach gefragt
wird (ÁâÒNtÆ); er wird „Rechenschaft“
(PCtc) ablegen, wenn er gefragt
wird. Ansonsten schweigt er (vgl.
78:38) – Ende der Autonomie.
Das Leben im Diesseits kann von
Seiten der Theologie des Islams nicht
losgelöst betrachtet werden von
dieser Dimension der anderen Seite.
Was für „Freiheit“ gehalten wird,
droht allzu leicht in die Unfreiheit zu
führen. Andersherum legt der Islam
nahe, dass die Grundlage für Freiheit erst durch die vordergründige
Unfreiheit geschaffen wird, in die
sich derjenige begibt, der sich selbstverantwortet auf seine Anbindung
an Gott als Erstinstanz einlässt. Der
ideologisch begründete Anspruch
auf die jeder Letztbegründung
ledige Autonomie des Menschen
(im Sinne von Eigengesetzlichkeit;
autonomos) kann mit der Regelleitung von Religion hinsichtlich ihrer
concilia und praecaepta kollidieren.
Seite Entscheidend dabei ist: Erst die
bewusst vollzogene religiöse Bindung
macht das Individuum frei von den
befristeten Zwängen des Diesseits
und befähigt es – was seine Gattung
angeht – zu überlebenswichtigen
Haltungen. Zu diesen gehört das
Gewissen, das seine Handlungsimpulse aus der Gewissheit (Ì×»Ö)
schöpft, dass es einen „Mitwisser“
als Letztinstanz gibt (vgl. 6:75 oder
35:38). Diese Haltung wird im
Koran an Abraham versinnbildlicht,
der zuerst den mächtigen Erschaffer
(o¦C¶) erkennt und ihn als das Maß
der Dinge (vgl. 65:3) anerkennt. Er
kehrt mit den Worten zu seinem
Volk zurück: „Ich bin frei von dem
was ihr an Gottes statt anbetet“
(çAÕãoQ, auch übersetzt als „unschuldig“; vgl. 6:74-81). So gesehen stellt
der Islam jeden Maßstab, wenn er
allein in der Selbstermächtigung des
Menschen gründet, zunächst in den
Kontext potenzieller Unfreiheit.
Der Umgang mit dieser Antinomie
erfordert es, in der Theologie des
Islams die Stellung des Individuums
vor Gott und im Weltganzen, auf
die der Koran so oft in metaphysischer Diktion verweist, auch für
die Physis, für das religiös begründbare, das auf die konstitutive Wirklichkeit bezogene Verfahren (U®ow;
vgl. 5:48) herauszuzeichnen und zu
stärken. Hier liegt der Dreh- und
Angelpunkt notwendiger Paradigmenwechsel islamischer Theologie.
H. H. Behr: Die Menschenwürde im islamischen Diskurs
So gesehen stellt der
Islam jeden Maßstab,
wenn er allein in der
Selbstermächtigung
des Menschen gründet,
zunächst in den Kontext
potenzieller Unfreiheit.
Seite 10
Rüdiger Braun
„Wer sind denn die Ungläubigen?“
Eine Antwort aus christlicher Perspektive
Vorbemerkung
Aus solcher Identitätsangst heraus
ist die Antwort auf die im Titel
Es ist eine zutiefst menschliche Vergestellte Frage schnell gegeben:
suchung, die Komplexität der Wirk- Ungläubig sind immer die Anderen!
lichkeit auf einen möglichst einfaDie dieses Urteil erst ermöglichende,
chen Nenner bringen zu wollen, also mit einer abgrenzenden oder auch
Einteilungen und Ordnungen zu
abwertenden Disqualifikation des
schaffen, die zwischen Eigenem und
Andersartigen als des Nichtnormalen
Fremdem klare Unterscheidungen
bzw. Krankhaften einhergehende
treffen. Wo ihr nachgegeben wird, ist Letztbegründung lässt Religion und
dies insbesondere auf dem Feld der
Moral tatsächlich, insofern beide
Religion von besonderer Tragweite;
für das Moment der Unbedingtheit
stehen, als eine gefährliche Allideshalb, weil Religion mit ‚Wahrheit’ über die letzte Wirklichkeit,
anz erscheinen. Umso mehr nötigt
über Gott, über den Sinn des Lebens das für das Menschsein zunächst
und des Kosmos, kurzum, mit den
nicht ungewöhnliche Faktum des
tiefsten Dimensionen des Daseins
Aufeinanderprallens divergierender
zu tun hat und als solche eine stets
Weltanschauungen zur Frage dagefährdete Größe ist: gefährdet vor
nach, wie der Herausforderung des
allem darin, mit ihrer Symbolwelt in- Anders- bzw. „Ungläubigen“ im
dividuelle wie kollektive Dualismen
Rahmen einer christlichen Identizu forcieren, die der Angst vor der
tätskonzeption theologisch reflekBedrohung, gar dem Verlust der
tiert zu begegnen wäre. Insofern
eigenen Identität durch den Anders- eine umfassende Antwort darauf
oder Nichtgläubigen entspringt.
eine in diesem begrenzten Rahmen
nicht zu leistende Reflexion religi „Bedrohungsgefühle sind ein wesentlicher
Nährboden für Gewaltbereitschaft“, G. Gebhardt, onswissenschaftlicher, exegetischer,
Zusammenprall der Religionen. Religionen als
kirchengeschichtlicher, ethischer u.a.
Quellen der Gewalt, in: RfP Mitteilungen Nr.
Perspektiven nötig machen würde,
74 (2006), 21-24, 23; vgl. dazu Amīn Maalouf, Les Identités meurtrières, Paris 1998.
intendieren folgende Ausführungen
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
nicht mehr (aber auch nicht weniger)
als ein paar systematisch-theologische
Gedankenanstöße, die sich, darin
spezifisch christlich, mit einem Blick
1. auf die alttestamentliche Gottesrede, 2. auf die neutestamentliche
Christologie und schließlich 3. auf
die Pneumatologie am trinitarischen
Gottesbild zu orientieren suchen.
1. Schöpfung –
Bewahrung und Differenz
Das einer zweifelsresistenten Letztbegründung innewohnende Moment
der Abgrenzung wird nun von religionskritischer Seite bezeichnenderweise als genuines Kennzeichen
des Monotheismus verstanden. Jan
Assmann zufolge habe gerade der
jüdische, christliche und islamische
Exklusivmonotheismus durch eine
sog. ‚mosaische Unterscheidung’
zwischen wahrer und unwahrer
Religion bzw. zwischen Glaube und
Unglaube die interkulturelle Übersetzbarkeit des primärreligiösen
polytheistischen Kosmotheismus
der Antike blockiert und somit eine
permanente Geschichte der Intoleranz und Gewalt begründet. Die
Monotheismen insb. des Christentums und des Islam hätten, weil sie
sich anmaßten, mit heiligem Furor
zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, einen Hass in die Welt
Vgl. J. Assmann, Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, München 1998
und – modifiziert – in Ders., Die mosaische
Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003, vgl. bes. 59-71.
Seite 11
gesetzt, der dem heiteren Heidentum
antiker Götter gänzlich unbekannt
gewesen sei. Richtig daran ist, dass
die Sprache der Religion nicht nur
ureigene spirituelle Sehnsüchte und
reale Unrechtserfahrungen zum
Ausdruck bringt, sondern auch dazu
dienen kann, politische Interessen als
höhere Wahrheiten zu verschleiern:
„Religion bringt eine komplizierte
Welt auf einen gefährlich einfachen
Nenner – und wird zum Brandbeschleuniger“. Der Vielschichtigkeit
und Komplexität allerdings, in deren
Horizont das Problem Poly- und
Monotheismus im Ersten Testament
verhandelt wird, vermag Assmanns
These nicht wirklich gerecht zu
werden. In bewusster Übergehung
der unterschiedlichen literarischen
Schichten des Überlieferungsprozesses wird die priesterlich-theokratische Überlieferung, in der mit dem
Nachweis der Macht des biblischen
Gottes gegenüber der Machtlosigkeit
fremder Götter tatsächlich eine gewisse Unterscheidungsdynamik zum
Tragen kommt, gesamtbiblisch auf
die Behauptung hin generalisiert, der
„Religion bringt eine
komplizierte Welt auf
einen gefährlich
einfachen Nenner –
und wird zum
Brandbeschleuniger.“
So z.B. in prägnanter Diktion T. Assheuer,
Am Ende ist das Wort, in: Die Zeit Nr. 7
(8.02.07), 1.
In Anlehnung an H.C. Schmitt, Der Exodus
und der Monotheismus, (noch unveröffentl.)
Abschiedsvorlesung 7.02.2007 FAU Erlangen.
Vgl. z.B. die Erzählung vom Schilfmeerwunder, das die Machtlosigkeit der fremden Götter
gegenüber dem biblischen Gott demonstriert.
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
biblische Kanon propagiere gewissermaßen die gottgewollte Vernichtung der Heiden. Unterschlagen
wird dabei der notwendige Hinweis
darauf, dass es die letztlich wehrlosen, ins babylonische Exil entführten Repräsentanten des priesterlichen Standes waren, die solche
Erzählungen, in denen sich Gott als
mächtiger als die Israel versklavenden
Völker erweist, entwickelt haben.
Nicht die Legitimierung menschlicher Gewaltanwendung, sondern
die Hoffnung eines sich passiv verhaltenen Opfers auf eine Befreiungstat Gottes ist es, die solche Texte zu
stützen beabsichtigt sind. Dass die
sich hier unverkennbar herausbildende Sprache der Gewalt wirkungsgeschichtlich eine durchaus gegenteilige Konsequenz hat entfalten
können, soll damit nicht geleugnet
werden. Und doch darf zur Beurteilung des jüdischen und mit ihm auch
des christlichen Eingottglaubens ein
wesentliches Moment nicht aus dem
Blick geraten. Es besteht darin, dass
in der gesamten alttestamentlichen
Überlieferung bis zur Exilszeit um
550 v. Chr. von einer monotheistischen Vorstellung, dass es nur einen
einzigen Gott überhaupt gebe, nicht
die Rede sein kann. Worauf die ältere
Moseüberlieferung abhebt, ist nicht
ein theoretischer Monotheismus,
sondern eine Monolatrie, d.h. die
Verehrung des einen Gottes Israels
trotz der Existenz anderer Götter.
Begründet wird diese monolatrische
Ausrichtung des Glaubens mit einer
Erfahrung, mit der Erfahrung eines
Gottes, der mit dem Exodus aus
Ägypten Israel aus der Knechtschaft
befreit, eines Gottes, „der sich dadurch auszeichnet, dass er in die
Freiheit führt“. Dementsprechend
kennt das Erste Testament auch keinen formalen Offenbarungsbegriff,
sondern schildert vielmehr Gottessituationen: einen geschichtlichen Gott,
der mit-, nach- und vorangeht: einen
Weggott, der nicht transzendente
Sachverhalte oder feste, unveränderliche Ordnungen mitteilt, sondern
Gemeinschaft eröffnet (Immanuel)
und sich in seinem Handeln zusagt
(Ex 3,14). Der alttestamentliche
Gottesglaube begegnet damit nicht
als eine metaphysische, mit dem
Anspruch logisch-systematischen und
damit theoretischen Denkens auftretende Lehre, sondern rein narrativ,
als die Erzählung einer Heilsgeschichte: die Geschichte der Schöpfung der
unmittelbar sichtbaren Welt, die Geschichte der menschlichen Verkehrung gegen Gott und die Genealogie
von Schuld und Sünde, schließlich
die Geschichte eines durch nichts
und niemanden aufzuhaltenden
Gemeinschaftswillens Gottes.
So Schmitt, Der Exodus, a.a.O. Mitschrift mit Verweis auf R. Smends Abschiedsvorlesung 1993 zur Moseüberlieferung.
Seite 12
Was Israel über diese gemeinsame
Menschheitsgeschichte hinaus mit
den Völkern verbindet und aus
alttestamentlicher Perspektive eine
grundlegend positive Stellungnahme
zu den anderen Religionen ermöglicht, sind vor allem zwei Dinge.
Das eine ist die Israel und seinen
Nachbarvölkern gemeinsame „Gottesfurcht“ (yir’at jahwe), die als solche,
wie das Buch Jona anschaulich
erzählt, das Selbstverständnis des erwählten Volkes Israel grundlegend zu
relativieren vermag und zugleich als
der wesentliche Terminus für „Religion“ im alten Testament zu verstehen ist: „groß ist der Name Gottes
(auch) unter den Heiden“. Daneben
tritt die alle Religionen verbindende
Konstitutivität eines Kultes, der nach
der Sintflut an die Stelle eines unmittelbaren Umgangs mit Gott tritt
und alttestamentlich gesehen die Stabilität der Schöpfung bewirkt. Dtn
4,1-140 entfaltet schließlich eine
Offenbarungstheologie, die den Völkern astrale, Gott selbst unterstellte Gottheiten und damit einen
Platz in Gottes schöpfungserhaltendem
Vgl. Gen 20,10; Koh 12,13: „Fürchte Gott
und halte seine Gebote, denn das gilt allen
Menschen“, und Dtn 4,10; 14,23; 17,19; 31,12.
Vgl. Gen 8,20ff; das AT begreift die Opfer als Ersatzhandlungen, die das eigentlich
geforderte Selbstopfer hinfällig machen; insofern ist der Sühne- bzw. Opferkult letztlich
allein als ein Heilsgeschehen von Gott her adäquat zu verstehen; vgl. Ex 18; Jes 52,13ff.
Handeln zuweist. Solange sie nicht
den Schöpfer mit dem Geschöpf
verwechseln, wird die Gottesfurcht
der Heiden durchaus positiv bewertet und kann im Rahmen der
Kritik am Kult Israels sogar als
mustergültig dargestellt werden.10
Der Eindruck, das Alte Testament
stünde als Wort der Offenbarung
strikt antithetisch gegen jegliche
heidnische Religion, erwächst allein
aufgrund der die Unterordnung der
Götter unter den offenbarten Gott
fordernden spätexilischen Götzenpolemik und der quantitativen
Dominanz deuteronomistischer
Texte. Als Argument für den Kampf
gegen die Religion als solche taugen diese Erweise jedoch nicht.11
Solange sie nicht
den Schöpfer mit dem
Geschöpf verwechseln,
wird die Gottesfurcht
der Heiden durchaus
positiv bewertet und
kann im Rahmen der
Kritik am Kult Israels
sogar als mustergültig
dargestellt werden.
Vgl. Dtn 4,19; 32,8; aber auch Gen 10 und
48 (die sog. Völkertafel); Psalm 48,2 erzählt
von den Göttern als „Geschöpfen des Herrn“.
10 Mal 1,11; vgl. daneben auch Ps 82;
Amos 7 (und die dortige Kritik am Erwählungsgedanken), schließlich Jes 14,13.
11 Dies gilt zumindest für eine Theologie, die
sich nicht an der Quantität von Texten orientiert.
Ziel der prophetisch zu verstehenden Götzenpolemik der Exilszeit ist es, dass die so zu Ordnung
gerufenen Völker den geschichtlich handelnden
Gott erkennen und sich ihm zuwenden.
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
Was Israel nun von den Völkern
trennt und unterscheidet, ist das
in der Dekalog-Präambel (Ex 20,1)
verbal und damit geschichtlich eröffnete Bundesverhältnis, das Israel von
nun an in ein exklusives Verhältnis
zu Gott als dem geschichtlich Handelnden und Rettenden beruft. Zwar
bedeutet diese Exklusivität zweifellos
die Trennung von allen anderen Göttern - es gibt sie zwar, jedoch soll Israel ihnen nicht mehr dienen12 - und
doch erweist sich schon allein darin,
dass sich Jahwe über die anderen
Götter allein durch die Proklamation
seiner Gegenwart (Ex 3,14) erhebt,
monotheistisches Denken im „hebräischen“ Sinn als strikt unmetaphysisch: ein Denken, dessen ‚Wahrheit’
sich letztlich in bleibender Differenz
zu bewähren hat und somit nur als
‚Wahrheit in Bewährung’13 angemessen beschrieben werden kann. Folgerichtig kennt das Alte Testament
auch keinen formalen Begriff für
‚Unglauben’, sondern nur den Begriff
der Zuwendung Jahwes zum Menschen, exemplarisch zu einem Volk,
das dieses Gotteshandeln wiederum
im Glauben, d.h. im Vertrauen auf
12 Vgl. Gen 12,1-3; die Abrenuntiation von Gen 31; Jos 24 und schließlich
Num 21 zum Heroengrab von Hesbon.
13 Den Ausdruck entnehme ich einem Zitat
von Paul Ricoeur in einer Rezension von Doris Hiller, Rezension zu G. Kühne-Bertram/G.
Scholz (Hgg.), Grenzen des Verstehens. Philosophische und humanwissenschaftliche Perspektiven, in: ThLitZ 129 (2004) 4, 427.
Seite 13
Es ist die im
Schöpfungsbericht
begegnende Rede
von der Gottebenbildlichkeit des Menschen,
mit der nicht etwa eine
immanente Entelechie,
sondern vielmehr die
Relation Gottes zum
Menschen als einem in
Freiheit gesetzten Gegenüber mitangesprochen ist.
Jahwes Treue ( aemaet) beantwortet und somit zum „Zeugen“
vor den Völkern werden soll. Dabei
bedeutet der Begriff Glaube ( aemaen) nicht etwa die Annahme eines
bestimmten Glaubenssatzes, auch
nicht eines bestimmten Gottesbildes,
sondern, wie Zenger formuliert, das
„Eintreten in den Raum gottgewirkter
Zuversicht“14, also einen Ort, an
dem der Mensch um Gottes Gegenwart weiß, an dem er zugleich aber
auch immer wieder neu in die Krisis
geführt wird, um Vertrauen bzw.
Glauben zu lernen.15 Zielt der Begriff
des Glaubens auf die Verlässlichkeit
einer Beziehung, die sich in ihrer
Verlässlichkeit erst noch zu bewähren hat, so bezeichnet der alttestamentliche Ausdruck für „Wahrheit“
kein statisches, festes Sein, sondern
vielmehr eine Größe, die sich der
Bewährung in Beziehung anheimgibt und erst in dieser Bewährung
zu ihrem eigentlichen Sein findet.16
14 E. Zenger, Glaube und Unglaube im Alten
Testament, in: H.J. Türk (Hg.), Glaube und
Unglaube, Mainz 1971, 141-150, hier 143.
15 „Unglaube“ bzw. „Sünde“ gipfeln für das
AT letztlich im Streben, mehr als nur ein auf
einen Anderen angewiesener Mensch sein zu
wollen, sich nicht in Gott, sondern in sich selbst
gründen zu wollen (Gen 3,5); dabei geht es um
das Unterpfand der Treue Gottes (Gen 22).
16 Die allein mögliche Proposition aemaen
bé („ich glaube an, in“; eine Aussage wie „ich
glaube, dass“ lässt sich mit aemaen nicht bilden!) weist hin auf diese Beziehungsdimension;
vgl. G. Lisowski, Konkordanz zum Hebräischen
Alten Testament, Stuttgart 19812, 107.368f.
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
Das dieser Wahrheit zugrundeliegende Monolatrieverständnis ist
somit gerade nicht exkludierend,
sondern integrierend, in dem Sinne,
dass es sich nicht gegen die Nachbarreligionen abgrenzt, sondern deren
Erfahrungen für den biblischen Gott
in Beschlag nimmt. Bekräftigt
wird dies durch die elohistische
Pentateuch-Überlieferung, die insbesondere in der Erzählung von den
sich dem Tötungsbefehl des Pharaos
verweigernden Hebammen und der
Mitleid empfindenden Tochter des
Pharao eine auch bei den Heiden
begegnende „Gottesfurcht“, die
Unverfügbarkeit göttlichen Handelns und damit schließlich die
Unverfügbarkeit des Mitmenschen
herausstellt. Damit ist die Traditionslinie priesterlich-theokratischer
Provenienz nicht aufgehoben, aber
entscheidend relativiert. Unterstützt
wird diese Relativierung noch dadurch, dass die kanonische Endgestalt der Moseüberlieferung gerade
nicht auf theokratisch-priesterliche,
sondern auf eschatologisch orientierte
Kreise zurückgeht, die sich primär
der prophetischen Überlieferung
verpflichtet fühlten. In dem von
ihnen vertretenen ‚Monotheismus’,
das wird schon bei einem flüchtigen
Blick auf den hebräischen Kanon
deutlich, sind die Heidenvölker in
den Heilsplan Gottes einbezogen, der
sie am Segen Israels teilhaben lässt.17
Ein solcher monolatrisch orientierter
und damit konkreter Monotheismus glaubt an die erst eschatologisch
erkennbare Macht des einen Gottes,
deren Herausstellung nicht Sache der
Priester und überhaupt nicht Sache
des Menschen, sondern allein Gottes
Sache ist. Über diese eschatologische
Perspektive hinaus ist im Blick auf
die Menschheit als ganze noch eine
weitere, nun dezidiert protologische
Perspektive von Bedeutung. Es ist die
im Schöpfungsbericht begegnende
Rede von der Gottebenbildlichkeit des
Menschen, mit der nicht etwa eine
immanente Entelechie, sondern vielmehr die Relation Gottes zum Menschen als einem in Freiheit gesetzten
Gegenüber mitangesprochen ist. Dessen grundlegende „Würde“ bestimmt
sich durch seine bloße Existenz als
ein auch durch den Fall hindurch
von Gott her zur Gemeinschaft mit
ihm bewahrtes Wesen und vermag
daher auch nicht wieder aufgehoben
zu werden: auch nicht durch die Abkehr von Gott oder den Unglauben!
17 Das Neue Testament nimmt dieses Moment
insbesondere in der Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland (Mt 2, 1-12) auf.
Seite 14
2. Versöhnung –
Widerfahrnis und Proexistenz
Nach seinem Selbstverständnis vertieft christlicher Glaube die jüdische
Gottesrede darin, dass er an der
Bruchstelle zwischen dem Einen und
den Vielen eine radikale und angesichts des eigenen monotheistischen
Mutterbodens revolutionäre Antwort
wagt: eine Versöhnung von Einheit
und Vielheit ist nur dann möglich,
wenn der eine Gott nicht der geschlossen Einzige, sondern, wie Baur
schreibt, „selbst der Vollzug von Gemeinschaft ist und sich auf die Vielen so einlässt, dass er sich mit ihnen
im Vollzug eines Lebens verbindet“18,
d.h. dass er seinen Gemeinschaftswillen in letzter Radikalität - in der
Gestalt eines Menschen - gegen die
menschliche Selbstverschlossenheit
durchsetzt. Dabei wird mit Jesus als
dem Offenbarer Gottes, der dessen
fundamental dem Menschen zugewandtes Wesen zur Erkenntnis
bringt, das Problem der Geschichte
nochmals verschärft. Denn jetzt ist
die Geschichte „in die Begründung
des Wahrheitsanspruchs des Christentums selbst eingezogen“.19 Ein
.
In seinem tiefsten Wesen
ist christlicher Glaube ein
Sich-Einlassen auf diese
Versöhnung schenkende
Liebesbewegung Gottes
in die Welt, Nichtglaube (apistia) hingegen
gleichbedeutend mit
dem Zweifel an Gottes
Macht, Sünde vergeben
und die Gottesherrschaft
nahebringen zu können.
18 Und dies „als Hineingenommene, nicht als
Verfügte“, denn er ist „der Schöpfer als Teilgeber, nicht als Besitzer und Herr“, Jörg Baur,
Christlicher Gottesglaube, in: Ders., Einsicht
und Glaube. Aufsätze (Systematica), 2. Bde.,
2. Bd., Göttingen 1994, 155-172, hier 169f.
19 D. Korsch, Risiken des Monotheismus in der
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
geschichtlicher Mensch steht für
die Erfüllung der alttestamentlichen
Verheißung der Gottesherrschaft
und zugleich für die Durchbrechung
aller Dichotomisierungen zwischen
den Menschen, zwischen Frommen
und Sündern, Reinen und Unreinen,
Juden und Heiden. Einen exemplarischen Ausdruck findet dies, neben
den Erzählungen zum nichtisraelitischen Hauptmann in Mt 8,8 oder
zur Syrophönizierin in Mk 7,27, in
der Begegnung Jesu mit einer von
den Gesetzeslehrern angeklagten
Ehebrecherin (Joh 8), die nach den
geltenden Kategorien von rein und
unrein dem Tod durch Steinigung
auszuliefern wäre. Ein entscheidender Moment in der Religionsgeschichte: eine ehebrecherische Frau,
eine Unreine, und ein Prophet, ein
Reiner, stehen sich gegenüber, von
den Wächtern des Gesetzes umringt.
Alle moralischen Prinzipien hinter
sich lassend lässt sich Jesus vom
menschlichen Gegenüber, vom Pathos des (Allzu)Menschlichen berühren und ermöglicht es so, das Gesetz in einem viel tieferen Sinne zu
erfüllen, als es in seinem vordergründigen Sinne je möglich wäre: in der
Anerkenntnis der eigenen Schuld, in
Moderne, in: Christen und Muslime. Verantwortung zum Dialog, Evang. Akademien in
Deutschland (Hg.), Darmstadt 2006, 23-29, hier
25; vgl. demgegenüber das trad.-muslimische
Verständnis zur Überzeitlichkeit des Qur’an.
der zugleich die Anklage des Mitmenschen, des Fremden und Anderen verstummt. Die in vielen dieser
Erzählungen von Jesus gegebene Zusage – „Dein Glaube hat dich gerettet“ – ist dabei nicht etwa die Reaktion auf den menschlichen Glauben als
Ausdruck menschlicher Tat. Was den
Glauben dieser gesellschaftlich Ausgegrenzten zum rettenden Glauben
macht, ist nicht dessen Quantität
und Qualität, sondern Jesu eigenes
Handeln. In seinem tiefsten Wesen
ist christlicher Glaube ein Sich-Einlassen auf diese Versöhnung schenkende Liebesbewegung Gottes in die
Welt, Nichtglaube (apistia) hingegen
gleichbedeutend mit dem Zweifel an
Gottes Macht, Sünde vergeben und
die Gottesherrschaft nahebringen
zu können.20 Angesichts der zutiefst
menschlichen Versuchung, eher Gott
versöhnen zu wollen als sich von ihm
versöhnen zu lassen, äußert sich den
Evangelisten zufolge menschlicher
Glaube zugleich im Bekenntnis: „Ich
glaube – hilf meinem Unglauben“.
Die in diesen Worten zum Ausdruck
kommende radikale Bindung des
Glaubens an die Ausschließlichkeit
Christi und seines Handelns verhindert zugleich, dem Glauben als einer
subjektiven Tat des Menschen Ausschließlichkeit zubilligen. Die von
20 Paradigmatische Gestalt des Unglaubens
ist der Geheilte von Joh 5, im Gegenüber zum
Geheilten von Joh 11; nachfolg. Zit.: Mk 9,24.
Seite 15
Gott selbst gestiftete Gemeinschaft
mit ihm bewahrt den von nun an in
einer letztgültigen, aber gleichwohl
uneinholbaren Gottesbeziehung
stehenden Menschen davor, sich und
seine eigene Wahrheit mit der Wahrheit als solcher gleichzusetzen und
öffnet ihn schließlich für die Wahrheit, die nicht die seine ist, sondern
ihm fortwährend widerfährt. Die
paulinische Antithetik von Weisheit
der Welt und Torheit Gottes bzw.
Weisheit Gottes und Torheit der
Welt kennzeichnet das Wirklichkeitsverständnis der Christen als
schlechterdings unerschwinglich,
d.h. als ein Verständnis, das über
Grenzen hinweg nur von innen nach
außen, nicht aber von außen nach
innen erfolgen kann. Ein Rühmen
des Kreuzes ist daher nur „unter den
Bedingungen einer neuen Schöpfung“ möglich, die „niemand anderer
als Gott selbst heraufführen kann“.21
Für die Frage nach der Verhältnisbestimmung christlichen Glaubens
zur Alterität bzw. nichtglaubenden
Umwelt bleibt dies nicht ohne Konsequenz: Ist die Botschaft vom Kreuz
für ein Wirklichkeitsverständnis, das
außerhalb der Sinnwelt des christlichen Glaubens in Geltung steht,
letztlich unerschwinglich, dann wird
21 M. Moxter, Einleitung, in: Verstehen über
Grenzen hinweg, hg. von W. Härle u.a., Marburger Jb XVIII, Marburg 2006, 1-22, hier 17.
es logischerweise auch unmöglich,
gegenüber den Anderen so etwas wie
eine kognitive Überlegenheit geltend zu machen. Der vielkritisierte
aufklärerische, Gott zwangsläufig
enthistorisierende Begriff der Absolutheit ist demzufolge auch nicht auf
den christlichen Glauben anwendbar. Dieser versteht sich eben gerade
nicht als ab-solut, sondern historisch
und darf daher nicht, soll er biblisch
begründet bleiben, mit einer ‚absoluten’ Wahrheit gleichgesetzt werden. Die radikale Geschichtlichkeit
des christlichen Glaubens erlaubt es
vielmehr, die Durchsetzung seiner
‚Wahrheit’ von seinem Erfolg in der
Geschichte zu unterscheiden und
somit eine Differenz zu ziehen zwischen seiner unbedingten Geltung
und seinen religiösen Erscheinungsformen. Es ist bezeichnend, dass sich
auch die Identitätskonstitution der
frühen christlichen Gemeinde in
eben diesem, vor der Selbstabschließung bewahrenden Gesamtrahmen
vollzieht. Die aus dem definitiven
Scheitern der Christusverkündigung
in Israel resultierende Differenzerfahrung wird in unterschiedlichen
Traditionssträngen des Neuen Testamentes in seinem Gegensatz nicht
etwa vertieft, sondern eingebunden
in ein heilsgeschichtliches Gesamtmodell.22 Dem fundamentalen, d.h. die
22 Vgl. Moxter, Verstehen 16: „Auch wenn die
frühen Christen die Ablehnung durch Israel nicht
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
Menschheit als ganzer kennzeichnenden Widerspruch gegen Gott
steht der umfassende, nach 1 Tim
2,4 allen Menschen in gleicher Weise
geltende Heilswille Gottes gegenüber, dessen Universalität zugleich
die Gleichheit aller Menschen vor
Gott markiert. So wie alle Menschen „des Ruhmes ermangeln,
den sie bei Gott haben sollten“,
so schließt Gott „alle (Juden und
Heiden) in den Ungehorsam zusammen, auf dass er sich (am Ende)
aller erbarme“ (Röm 3,23; 11,32).
Bibelwissenschaftlich lässt sich zeigen, dass die Ausschließlichkeit der
Aktion Gottes, deren Exponent Jesus
ist, einen eindeutig entgrenzenden
Charakter hat. Wie Bechmann zu
Recht feststellt, bedeutet die radikale und absolute Entscheidung für
Sache und Person Jesu inhaltlich
gerade „keine Entscheidung für Enge
und Abgrenzung, sondern eine für
grenzüberschreitende Humanität“.
Wer sich entschließt, Christ zu sein,
entschließt sich zu einer als „Grundordnung der Existenz als Christ“ zu
verstehenden „Pro-Existenz für alle,
auch für die Nichtchristen“.23 Demverstehen, glauben sie doch, dass Gott sich auf
die Durchsetzung seines Heilsplanes versteht“;
die Verstockungstheorie (Jes 6,9) hat daher eine
heilsgeschichtlich integrierende Funktion.
23 U. Bechmann, J. Kügler, Proexistenz – Theologie und Glaube, in: Theol. Quartalsschrift
182 Jg. 2 (2002) 85-100, 98f.; nachfolg. 100.
•
Der vielkritisierte
aufklärerische,
Gott zwangsläufig
enthistorisierende
Begriff der
Absolutheit ist
demzufolge auch nicht
auf den christlichen
Glauben anwendbar.
Seite 16
zufolge ist „die theologische Option
für einen biblisch fundierten Gottesbegriff zugleich die Option für die je
größere Humanität“. Neutestamentlich findet diese Dimension des zur
Humanität Befreitwerdens ihren Ausdruck nicht zuletzt in der radikalen,
alle Dichotomien zwischen gut und
böse, rein und unrein aufhebenden
Berufung zum Dienst am Nächsten.
In seinem Gleichnis vom Samariter
spricht Lukas (10,25ff ) nicht einfach
nur von philanthropia, sondern von
echter Barmherzigkeit: ein Mensch
lässt sich vom Leid eines (ethnisch
und religiös) Fremden treffen: sein
Bild „geht ihm in die Eingeweide“,
es berührt und trifft ihn: er spürt
den Appell, den Ruf des Anderen
und hilft. Ein solches Verhalten
kennt keine Letztbegründung, es
steht jenseits aller ethischen Solidaritätsstandards. Der Samariter sieht
sich schlicht und einfach – ganz im
Levinas’schen Sinn – vom ‚Antlitz’
des Anderen zur Mitmenschlichkeit
berufen und aktualisiert damit eben
das, was sich in Jesu eigenen Begegnungen mit dem römischen Hauptmann von Kapernaum, der Samariterin oder der Frau aus Syrophönizien
realisiert.24 Christlich zu glauben und
24 Ein Erweis für die Durchbrechung der
Dichotomie rein/unrein ist insb. die jesuanische
Aufhebung der Speisegebote (u.a. Mt 15,11),
aber auch die Feindesliebe, die Jesus als Sinnbild eines nicht unbedingt „zweckmäßigen“
Ethos der Einseitigkeit dem symmetrischen
3. Entgrenzung –
Existenz und Alterität
zu leben heißt dann nichts anderes
als sich auf dieses Christusgeschehen,
auf diese Gottesrede festzulegen,
um den eigenen Lebensstandort
respektive das eigene ethische Handeln von ihr prägen zu lassen.
Christlich zu glauben
und zu leben heißt dann
nichts anderes als sich
auf dieses Christusgeschehen, auf diese
Gottesrede festzulegen,
um den eigenen Lebensstandort respektive das
eigene ethische Handeln
von ihr prägen zu lassen.
Handeln in der goldenen Regel gegenüberstellt
und die als solche auch scheitern kann, vgl.
Dtn 6,4; Lev 19,18 zu Mt 7,12; Mk 12,31.
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
Nun geht die Wahrheit der Geschichte Jesu nicht darin auf, dass er
einmal in der Geschichte war und
wir uns an diese Geschichte durch
die Bibel erinnern müssten. Damit
läge, wie schon Barth in seiner Christologie (KD IV/3) herausstellt, die
Wahrheit des Christentums letztlich
bei der religiösen Organisation der
Christenheit. Vielmehr ist es Gott
selbst, der dem Menschen den Sinn
der Geschichte Jesu bezeugt und
vermittelt: dass er im Gekreuzigten
selbst auf dem Plan ist, wird dem
Menschen zugesagt, von Gott selbst,
im Heiligen Geist. Gott ist ganz in
seinem Wort und er bleibt Gott
nicht nur in seiner Offenbarung,
sondern auch in deren Annahme
durch den Menschen. Diese personhafte und pneumatische Begründung
des Glaubens im Widerfahrnis des
Angesprochenwerdens durch den
Auferweckten lässt sich weder in rationalen Kategorien noch in Bewusstseinsbestimmungen nachvollziehbar
festlegen und schließt somit auch
dessen gruppensoziologische Vereinnahmung aus. Versteht man ‚Glauben’ als „den umfassenden Grundbegriff für das von Gott selbst initiierte
Heilsverhältnis des Menschen zu
Gott“25, dann ist damit alle religiöse
25 I.U. Dalferth I.U., Die Wirklichkeit
Seite 17
Autorität radikal herabgestuft und
Kirchenkritik aus dem Motiv des
Glaubens selbst ermöglicht. Nicht
das Christentum als Religion ist es,
das in seiner unvermeidlich kirchlichen Gestalt für die Wahrheit des
einen Gottes einsteht, sondern Gott
selbst in der Gestalt seines Sohnes
und des Heiligen Geistes. Nirgendwo
anders als in diesen beiden Personen
der göttlichen Trinität liegt zugleich
auch die Möglichkeit religiöser
Toleranz, ja der Anerkennung anderer Religionen: sie erwächst „nicht
aus einem übergeordneten Prinzip
der Religionsgeschichte, sondern aus
dem sachlichen Gehalt des Christentums selbst“.26 Es war die epochale
Leistung der orthodoxen Kirchenväter, die grundlegende Einsicht
vollzogen zu haben, dass das Eine
(henon), das bloß mit sich Identische,
vom Gottesgeschehen in Christus her
gesehen die Differenz (stasis) bzw. die
Alterität in sich trägt, dass die neutestamentliche anthropologische Rede
vom Vater, Sohn und Heiligen Geist
nicht eine ruhende, sondern eine
dynamische Einheit in den Blick
nimmt und so, im Bild des Zeugens
und Gezeugtwerdens, auf eine ‚Identität’ ver-weist, „die im Heiligen
Als die innere Dynamik
der göttlichen communio
ist der Geist selbst als
jene Kraft zu verstehen,
die den Zugang zu echter
Alterität, d.h. zur bedingungslosen Anerken-
Geist durch das Anderssein hindurchgeht“.27 Im Horizont dieser
communio bleibt die Vater-SohnGeist-Vorstellung unmittelbar verbunden mit der Idee einer radikalen
Offenheit für den Anderen, wobei
das Kreuz Christi auf eine letzte Radikalisierung eines alles verwandelnden Sich-Schenkens Gottes verweist,
das – theologisch formuliert – dem
Hochmut menschlicher Selbstgenügsamkeit die Selbstentäußerung
Gottes entgegensetzt. Als die innere
Dynamik der göttlichen communio
ist der Geist selbst als jene Kraft zu
verstehen, die den Zugang zu echter
Alterität, d.h. zur bedingungslosen
Anerkennung des Anderen oder
eben: zur Differenz in der Identität
erst eröffnet.
nung des Anderen
oder eben:
zur Differenz in der
Identität erst eröffnet.
des Möglichen. Hermeneutische Religionsphilosophie, Tübingen 2003, 394.
26 Korsch, Monotheismus 29; beide, Pluralismus
und Geschichte, „gehören selbst in den Horizont der monotheistischen Religionen“, ebd.
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
27 T. Mooren, Islam und Christentum im
Horizont der anthropologischen Wirklichkeit,
in: ZfMRW 64 (1980) 10-32, 16; vgl. Gal 4,7;
Röm 8,15.
Dabei erweist sich im Horizont einer
radikalen Betonung der Konstitution des Glaubens aus dem Wort
und einer damit einhergehenden
Distanzierung von einem übergeschichtlichen Vernunftglauben der
Unglaube als nie aufhörende Stimulanz des Glaubens, der als solcher nicht (nur) moralisch besseres,
sondern eschatologisch neues schafft.
Und als solche eschatologische
Größe, die mehr ist als eine anthropologisch aufweisbare Haltung, lässt
sich Glaube in christlicher Perspektive auch nicht phänomenologisch
identifizieren: er bleibt, so wie die
von Gott über dem Nichts gehaltene
Seele selbst, immer dem Unglauben
nahe und damit fortwährend angewiesen auf das Wirken des Geistes.
Mehr noch: Insofern der durch
Christus Erlöste dem Spannungsfeld
von Religion und Glauben, d.h. der
Spannung zwischen einer nicht vom
Glauben bestimmten eigenmächtigen
Religiosität einerseits und einem
lebendigen Vertrauen auf den in
Christus offenbaren Gott andererseits, erst anbruchsweise enthoben
ist, gehört Unglaube geradezu zur
Grunderfahrung des Christseins.28
Im Horizont der Kontingenz des
sprachlich-leiblichen Geschehens
der Selbstmitteilung Gottes und
28 Vgl. G. Ebeling, Luther. Einführung in sein
Denken, Tübingen 19814, 184 zu M. Luthers (Un)Glaubensverständnis in WA 39/1.
Seite 18
eines Verständnisses des geschöpflichen Seins als durch Unglaube und
Glaube, Sünde und Gnade zugleich
bestimmt kann ein Christ einem
anderen weder den Unglauben zum
Vorwurf machen noch kann er sich
etwas auf seinen Glauben einbilden.
Als Geschenk reiner Gnade wird ihm
der Glaube nicht nur zum Anlass
zu beschämtem Dank, sondern zur
Einladung, sich dem Mitmenschen
mit-teilend und mit-verstehend zu
öffnen. Eines Menschen Richter
kann der Glaubende schon deshalb
nicht sein, weil das Glauben-Können
nicht als sein Verdienst, auch nicht
als sein Besitz, nicht als seine Qualität und ihn nicht über die anderen
erhebend angesehen werden kann:
er ist nicht besser als die anderen, ist
von sich aus immer noch der NichtGlaubende, der nur dank göttlichen
Erbarmens zum Ja aufgeschlossen
wird. Wenn Gott seine ‚Feinde’,
die Sünder, schon vor ihrem Glauben liebt (vgl. Röm 5,8), dann ist
auch Gottes Liebe nicht auf Glaubende beschränkt: in Anknüpfung
an Luther umfasst nach Bonhoeffer
„der Abgrund der Liebe Gottes auch
noch die abgründigste Gottlosigkeit
der Welt“.29 Das bisher letzte und
äußerste Wort in der Geschichte des
Konflikts von Glaube und Unglau29 D. Bonhoeffer, zitiert bei: W. Krötke,
Weltlichkeit und Sünde, in: ZEE 28 (1984) 1227.
be dürfte wohl Nietzsche in seiner
Deutung des selbst die Feinde in
seine Fürbitte und Liebe einbeziehenden Kreuzesleidens Jesu gesprochen haben.30 Allein vor diesem
Hintergrund ist es auch zu verstehen,
warum Luther den mittelalterlichen,
aus der platonischen Tradition stammenden ordo des Guten bekämpft
und einer absoluten Beurteilung
des Guten und Bösen, die er als
eine hybride Anmaßung versteht,
das vierfache solus entgegengesetzt.
Dahinter steht die Überzeugung
davon, dass die biblische Verheißung
(promissio) das Vorstellungsszenario
des ‚Guten’ letztlich durchbricht
und erst so den Bezug zu Gott, zum
Nächsten und zum Fremden bzw.
Andersgläubigen von apriorischen,
d.h. geschichts- und gesellschaftslosen Entscheidungen bewahrt. Dies
schließt, so der spätere Bonhoeffer,
aus genuin christlichen Gründen
auch den Respekt vor einer mündigen, sich von Gott lossagenden
Welt mit ein, die sich frei nach Kant
ihres Verstandes ohne Leitung eines
anderen bedienen vermag: „Gott
als moralische, politische, naturwissenschaftliche Arbeitshypothese
ist abgeschafft, überwunden.“31
30 Vgl. F. Nietzsche, Der Antichrist, § 35:
„Und er bittet, er leidet, er liebt mit denen, in
denen, die ihm Böses tun“.
31 D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung,
Brief an Bethge vom 16.7.1944; „Gott gibt uns
[durch das Kreuzesgeschehen] zu wissen, dass
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
Dessen eingedenk, dass im Horizont
trinitarischen Denkens Gott im genauen ontologischen Sinn des Wortes
gerade nicht notwendig ist und sich
somit der christliche Gedanke der
Trinität niemals unitarisch von der
Ontologie, sondern allein von der
Soteriologie und Pneumatologie her
deuten lässt, ist auch die Lehre von
der ewigen Zeugung des Sohnes und
der ewigen Hauchung des Geistes
keine unerlaubte Spekulation, sondern die doxologische Anerkennung
der geschichtlichen Sendung des
Sohnes und des Geistes. Sie markiert
gerade die unaufhebbare Differenz
zwischen Gott und allem, was Menschen als Gott denken, und stellt
christlicherseits ein Denkmuster zur
Verfügung, in dem unterschiedliche
Perspektiven auf Gott miteinander
verbunden und gleichzeitig Differenzen in Gott offen gehalten werden können: dadurch, dass sie „die
unaufhebbare und uneinholbare
Prärogative Gottes gegenüber jedem
Gottesgedanken“ herausstellt: „kein
Gottesgedanke kann an die Stelle
Gottes, kein Urteil über Gott an die
Stelle von Gottes Urteil treten“.32
wir leben müssen als solche, die mit dem Leben
ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit
uns ist, ist der Gott, der uns verlässt“, ebd.
32 Dalferth, Religionsphilosophie 125; die
Wahrnehmung der coram deo-Perspektive vollzieht sich als ein „Bruch“ (conversio) und führt
zu einer grundlegenden „Umorientierung und
Neueinschätzung des bisherigen Selbst-, Weltund Gottesverständnisses“, ebd. 126 und 452.
Das bisher letzte und
äußerste Wort in der
Geschichte des Konflikts
von Glaube und
Unglaube dürfte wohl
Nietzsche in seiner
Deutung des selbst die
Feinde in seine Fürbitte
und Liebe einbeziehenden Kreuzesleidens
Jesu gesprochen haben.
Seite 19
Diese Eigencharakteristik christlicher
Rede von dem einen Gott, dessen
Einheit nicht theoretisch, sondern als
Taten Gottes (factum dei) zu verstehen ist, drohte spätestens zu jenem
Zeitpunkt an Profil zu verlieren, als
mit der konstantinischen Wende der
christliche Glaube zu einer die Einheit des Reiches sichernden Reichsreligion mutierte. Durch die Verknüpfung des christlichen Glaubens an
einen sich entäußernden, dem Menschen als Menschen begegnenden
Gott dynamischer Beziehungshaftigkeit mit dem an einer Identifikation,
an einem principium interessierten
rationalen Monotheismus der griechischen Philosophie wurde die
performative Einzigartigkeit Gottes
mit den seinem geschichtlichen
Wesen kaum zu vereinbarenden
Prädikaten der wesentlichen ‚Einheit’ und ‚Einfachheit’, d.h. letztlich
Differenzlosigkeit modifiziert.33
Diese zentrale Vorstellungsgehalte
des christlichen Glaubens umprägende Modifikation des Gottesglaubens mündet konsequent in die
Legitimation einer monarchischen
Herrschaft, wie sie das abendländische Christentum im Mittelalter so
wesentlich geprägt und zum Leidwe-
Dieser kirchengeschichtlichen Entwicklung
gegenüber ist ausdrücklich zu betonen,
daß weder Glaubensordnungen noch
sen vieler Nichtchristen oder „Häretiker“ exerziert hat. Sie hat allerdings
nicht die biblische Begründung für
die Toleranz gegenüber Häretikern
– das jesuanische Gleichnis vom
„Unkraut im Weizen“ – völlig zunichte machen können. Apostaten,
Häretiker und ‚Ungläubige’ wurden
exkommuniziert, marginalisiert und
mit sonstiger Drangsal bestraft, aber
niemals – bis auf eine Ausnahme
– mit dem Tode.34 Erst mit dem 13.
Jahrhundert sollte sich dies, mit den
bekannten, bis in die Zeit der Aufklärung hineinreichenden Folgen für
die abendländische Kirche ändern.
Glaubensformen, ja nicht
einmal die christliche
‚Lehre’ die ‚wahre’
Religion darstellen
können.
33 In Anlehnung an W. Sparn, Politischer
Monotheismus und trinitarisches Gottesbild,
(unveröffentl.) Abschiedsvorlesung 7.02.02 FAU
Erlangen; vgl. gegenüber 1 Kor 8,5 Aristoteles, Metaphysik, hg. v. H. Seidel, Hamburg
1984, 275: Buch λαµδα, Abhandlung XII.6.
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
34 Nach A. Angenendt (Toleranz und Gewalt,
Das Christentum zwischen Bibel und Schwert,
Münster 2006) ist bis 1200 eine einzige Ketzerhinrichtung (386 n.Chr.) verbürgt; zur
frühchristlichen Toleranz vgl. die Studien
des Habermas-Schülers R. Forst (Toleranz,
Frankfurt/M. 2000; Toleranz im Konflikt,
Frankfurt 2003), der sie in 2 Punkten zusammenfasst: a) radikale Trennung aller weltlichen Macht von der Kirche und b) absolute
Illegitimität von Zwang in der Religion.
Dieser kirchengeschichtlichen Entwicklung gegenüber ist ausdrücklich
zu betonen, dass weder Glaubensordnungen noch Glaubensformen, ja
nicht einmal die christliche ‚Lehre’
die ‚wahre’ Religion darstellen können. Sie sind, wie Hermann Barth
formuliert, nicht mehr aber auch
nicht weniger als „der Versuch, der
Erfahrung der Wahrheit Gottes
menschlich zu entsprechen“.35 In
christlicher Perspektive geht es gerade nicht um den Erweis einer transsubjektiv vermittelbaren Wahrheit
oder die Anerkennung einer sittlich
unbedingten Verpflichtung, sondern,
so Dalferth, um die „Konkretion
und Aneignung von Wahrheit im
menschlichen Leben“, kurz, um
„Lebenswahrheit“, d.h. darum, sich
anhand der Botschaft von Gottes
Vergegenwärtigung in Christus darauf aufmerksam machen zu lassen,
„wie und wer Gott ist, dass und wie
sich dieser Gott hier und heute im
Leben eines Menschen vergegenwärtigt“.36 In diesem Sinne ist auch der
Begriff der ‚Wahrheit’ kein sinnbestimmendes, sondern vielmehr ein
„lozierendes Prädikat“, letztlich ein
35 H. Barth, Religionsfreiheit heute – Situation und Rolle der Religion und
der christlichen Kirchen in der pluralen
Gesellschaft, Vortrag am 26.05.04, in:
EKD-Texte; unter: www.ekd.de/texte/.
36 Dalferth, Religionsphilosophie 176;
nachfolg. Zitationen: ebd. 176 und 177; schließlich 189 und 205.
Seite 20
Gottesprädikat, das Gottes Bezug
zum Leben von Personen charakterisiert: „Gott ist wahr, indem er das
Leben von Personen wahr macht,
und er macht es wahr, indem er sie
von den Verfehlungen ihres Lebens
frei spricht“. Dem Menschen selbst
bleibt es freigestellt, gläubig oder
ungläubig zu sein, religiös oder
areligiös zu leben. Das gilt nicht
nur im rein juristischen Sinn, sondern in dem radikalen Sinn, dass
niemand anthropologisch genötigt
ist, sein Leben religiös zu leben.
Dies deshalb, weil, wie Dalferth zu
Recht unterstreicht, der Mensch in
christlicher Perspektive „auf keine
Wesensstruktur festgelegt ist, die ihm
keine Alternative zu einem religiösethisch orientierten Leben“ ließe.
Christliche Theologie spricht daher
von Sünde dezidiert nicht im moralischen, sondern im transmoralischen
Sinn; und sie artikuliert Menschsein
nicht als Bezugspunkt eines in sich
selbst begründeten Subjekts, sondern
als unhintergehbares Differenzverständnis, das in der Durchbrechung
von Identität zur Alterität, zur Existenz befreit. Denn nur dort, wo im
Denken Gottes die „kritische Fundamentaldifferenz zwischen Gottesgedanken und Gott“ gewahrt bleibt,
ist eine religiöse Tradition auch,
wie Dalferth formuliert, vor dem
drohenden „Kurzschluss“37 gefeit,
In christlicher Perspektive
ist es gerade die Unverfügbarkeit des Geistgeschehens, die erst jene
Hermeneutik der Differenz ermöglicht, durch
die allein sowohl der
Widerstreit zwischen
Gottesgegenwart und
-ferne (vgl. Mk 15,34) als
auch die Pluralität von
Wahrheitsansprüchen
ausgehalten werden kann.
37 Dalferth, Religionsphilosophie 477: „An
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
die eigene religiöse Symbolisierung
Gottes mit Gott selbst zu verwechseln. In christlicher Perspektive ist
es gerade die Unverfügbarkeit des
Geistgeschehens, die erst jene Hermeneutik der Differenz ermöglicht,
durch die allein sowohl der Widerstreit zwischen Gottesgegenwart und
-ferne (vgl. Mk 15,34) als auch die
Pluralität von Wahrheitsansprüchen
ausgehalten werden kann. Im Horizont einer solchen Hermeneutik
besteht keine Möglichkeit mehr, sich
auf eine „überlegene Erkenntnisposition“ zurückzuziehen, „mit der ‚ich’
‚unsere’ und ‚eure’ Religion von oben
betrachte“.38 Vielmehr können Bewertungsmaßstäbe unterschiedlicher
Religionen nebeneinander zugelassen
werden. Es ist ein Kennzeichen des
trinitarischen Gottesbildes, dass es
einen ethischen und ästhetischen,
aber ausdrücklich keinen politischen
Index trägt. Die politische Funktion
des trinitarischen Gottesbildes als
solche kann nur eine sein: eine kritische. Denn sie „schließt alle Analogien zwischen der Herrschaft Gottes
und der Herrschaft des Menschen
aus“. Dies deshalb, weil sich die perichoretische Differenz in Gott selbst
dieser Differenz hängt nicht nur die Möglichkeit der Korrektur religiöser und theologischer
Missverständnisse, sondern vor allem auch,
dass Menschen sich […] nicht abschließen“.
38 A. Feldtkeller, Interreligiöser Dialog und
pluralistische Theologie - ein Traumpaar? in: Ökumenische Rundschau 49 (2000) 273-286, 284.
bzw. zwischen den drei Personen der
Trinität dem ordnenden Zugriff entzieht und jeder Totalisierung widerstrebt. Wird dies ausgeblendet und
das Dogma von der Trinität zum Gegenstand spekulativer Lehre, wird es
nicht nur fragwürdig, sondern verunmöglicht letzten Endes das Verständnis des christlichen Glaubens als
einer geschichtlich angefochtenen,
intersubjektiv letztlich nicht vermittelbaren Größe: denn der Glaube
ist, anders als im Fall einer kognitivistischen Glaubenstheorie, ausdrücklich und nachdrücklich „nicht
jedermanns Ding“ (2. Thess 3,2).
Seite 21
Abschließende Bemerkungen an Gottes Schöpfungswerk zu parti-
Man muß den Glauben
leben, um zu wissen,
ob und wie er sich vom
Aber- oder Unglauben
unterscheidet.
Das gemeinsame, wenn auch strittige Thema findet die den Kontext
anderer Weltanschauungen notwendigerweise einbeziehende Begegnung
zwischen glaubenden und nichtglaubenden Menschen damit letztlich in
dem Maße, in dem sie gleichsam als
ein ‚hermeneutischer Wettbewerb’39
um die Humanität geführt wird,
d.h. als ein Wettbewerb, in dem sich
herausstellen soll, in welchem Maße
jede der unterschiedlichen Weltanschauungen den, der ihr anhängt, zur
Mitmenschlichkeit und zur Alterität
befreit. In christlicher Perspektive ist es der nach Menschlichkeit
verlangende Gott selbst, der den
Menschen aus all seinen Illusionen
und Phantasien zur Wirklichkeit
Gottes und seiner selbst befreit und
so zu jener imitatio dei befähigt, wie
sie die Rede von der Gottebenbildlichkeit aus sich heraussetzt: Gottes
menschenfreundliche Herrschaft auf
Erden im eigenen Handeln abzubilden und so – in der Gestaltung
seiner sozialen Beziehungen nicht
nur zu Seinesgleichen, sondern auch
zum Anders- bzw. Nichtglaubenden
– als ‚Mitschöpfer’ und ‚Mitarbeiter’
39 Diesen Begriff entnehme ich R. Schaeffler, Religiöse Sprache zwischen Partikularität
und Universalität, in: Zur Logik religiöser
Traditionen, B. Schoppelreich u.a. (Hgg.),
Frankfurt/M. 1998, 119-186, hier 175.
R. Braun: Wer sind denn die Ungläubigen? Eine Antwort aus christlicher Perspektive
zipieren. Insofern manifestiert sich
die Wirklichkeit der in einem wesentlichen Sinne funktional zu verstehenden Gottebenbildlichkeit des
Menschen in seinem tiefsten Sinne
im radikalen Aus-sich-Herausgehen
auf den Anderen und Fremden hin.
Trinitätslehre ist insofern zuallererst und zuallerletzt eine die Praxis
christlichen Glaubens betreffende Alteritätslehre: denn erst die praktische
Aus- bzw. Um-setzung der eigenen
Glaubensgewissheit, vollzogen in
einer radikalen Offenheit nicht nur
Gott, sondern auch dem Andersbzw. Nichtglaubenden gegenüber,
erweist, was Glauben vom Aberglauben, konkret: vom „Götzendienst“
de facto unterscheidet. „Man muss
den Glauben leben, um zu wissen,
ob und wie er sich vom Aber- (oder
Unglauben, R.B.) unterscheidet“.40
40 I.U. Dalferth, Die Vernunft des Glaubens.
Eine evangelische Position, in: Glaube und
Vernunft, Theologie und Philosophie. Aspekte
ihrer Wechselwirkung, M. Delgado/G.Vergauwen
(Hgg.), Fribourg 2003, 191-214, hier 206.
Seite 22
Emel und Amin Rochdi
„Bin ich hier richtig?“
Eine Erhebung der Schülerinteressen im Islamischen Religionsunterricht
Die Situation
Zu Beginn des Schuljahres 2007/08
waren die muslimischen Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge
7, 8 und 9 der Geschwister-SchollRealschule in Nürnberg gefragt.
Sie sollten in einer anonymisierten
Erhebung angeben, was sie im Islamischen Religionsunterricht gerne
besprechen würden. Nur einige wenige von ihnen hatten bis zu diesem
Zeitpunkt die eine oder andere Form
von religiöser Unterweisung in der
Moschee besucht. Dem Islam im
Gewand eines institutionalisierten,
gegliederten und zielorientierten
Unterrichts zu begegnen stellte für
die meisten von ihnen eine neue
und besondere Situation dar.
Die ersten Erfahrungen mit dem
Schulversuch Islamunterricht an
einer Realschule lassen seitens der
muslimischen Schülerinnen und
Schüler zwei Grundmotive erahnen, die sich lernwirksam auf die
Unterrichtssituation auswirken:
Neugierinteresse und Stolz. Ersteres
hat damit zu tun, dass sich mit dem
Islamischen Religionsunterricht ein
eigener Diskursraum eröffnet. Die
Schülerinnen und Schüler können hier auch das scheinbar Unerhörte fragen und sich frei äußern,
ohne sich stigmatisiert zu fühlen
oder gar Sanktionen befürchten
zu müssen. Derlei spielt überraschenderweise innerhalb der Lerngruppen gegenwärtig keine Rolle.
Das Gefühl, stolz sein zu dürfen, hat
damit zu tun, dass der Islamische Religionsunterricht nicht nur gleichzeitig mit dem katholischen und evangelischen Religionsunterricht sowie
dem Ethikunterricht stattfindet, sondern auch hinsichtlich seines Profils
gleichberechtigt ist: Es gibt mündliche und schriftliche Leistungsfeststellungen, es werden Ziffernnoten
vergeben, das Fach kann relevant
werden für die Frage des Vorrückens
in die nächste Jahrgangsstufe.
Hinzu kommt, dass die Schule nun
mit dem Islamischen Religionsunterricht ein Unterrichtsangebot
machen kann, in dem sich die muslimischen Schülerinnen und Schüler
E. & A. Rochdi: Bin ich hier richtig? Eine Erhebung der Schülerinteressen im IRU
gegenüber anderen einen Vorsprung
an Kenntnissen und Kompetenzen
erarbeiten können. Gerade für
diejenigen, deren sonstiges Leistungsprofil unterdurchschnittlich
ist, gewinnt der Islamische Religionsunterricht somit für Fragen des
Selbstbilds eine besondere Rolle, die
kein anderes Fach in dieser Form
anbieten kann. Die Schüler laufen
hier, wenn auch nur für zwei Unterrichtsstunden pro Woche, gleichsam außerhalb jeder Konkurrenz.
Die Erhebung
Diese Motivlage erfordert es in
besonderem Maße, auf die Interessen der Schülerinnen und Schüler
einzugehen – dies vor allem in einem
Unterricht, dessen Fachprofil
diskursive und induktive LehrLern-Strategien verlangt. Der
notwendigen Befragung ging eine
kurze Erläuterung der Lehrinhalte
in den jeweiligen Jahrgangsstufen
voran. Der Unterricht an der Realschule orientiert sich übergangsweise
an dem für die Hauptschule in
Bayern zugelassenen Lehrplan (vgl.
den Fachlehrplan für den Schulversuch Islamunterricht an der
Hauptschule; Download unter www.
izir.de). Es wurde gegenüber den
Schülerinnen und Schülern noch
einmal besonders betont, dass ihre
aktuellen Fragen und Interessen
für die Planung von Unterrichtssequenzen berücksichtigt werden
sollten. Zum einen ist der Lehrplan
in Teilen dementsprechend offen
konstruiert, zum anderen nehmen
alle drei Lerngruppen gleichsam
als Quereinsteiger ohne Vorkurs
Seite 23
an diesem Schulversuch teil – ein
Defizit, das aber für den Anfang
auch gewisse Freiheiten erlaubt.
„Ich habe einen Freund.
Was darf ich mit ihm
tun und was nicht?
Dürfen wir uns küssen?
Die Schülerinnen und Schüler
wurden aufgefordert, ihre Wünsche und Fragen schriftlich auf
vorbereiteten Zetteln zu notieren
und sie dabei in drei Stufen nach
Wichtigkeit zu sortieren, und zwar
angefangen bei dem, was ihrer
Meinung nach im Unterricht unbedingt vorkommen sollte, bis hin
zu Dingen, über die es zu sprechen
lohnt, wenn dafür noch Zeit bleibt.
Wie schlimm ist es
wirklich, wenn wir es ohne
böse Absicht zum ersten
Mal miteinander tun?“
Die Befunde
1. Sexualität kein Tabu
In der neunten Jahrgangsstufe wurde
fast auf jedem der abgegebenen
Zettel der Themenkomplex Liebe,
Partnerschaft und Sexualität entweder gestreift oder direkt angesprochen. Ob das in erster Linie mit
dem Alter der Neuntklässler zusammenhängt (14 und 15 Jahre), bleibt
offen. Aus entwicklungspsychologischer Sicht sollte das auch in den
Jahrgangsstufen 7 und 8 ein Thema
sein, was bei der von uns durchgeführten Umfrage allerdings nicht
so zu Tage trat. Auffällig war auch,
dass dieser Punkt trotz der Häufigkeit, mit der er genannt wurde, in
seiner relativen Wichtigkeit gegenüber anderen genannten Themen
eher niedrig angesetzt wurde; er
landete meist an dritter Stelle. Hier
wäre darüber zu diskutieren, ob die
Ursache dafür in Schamgefühlen
liegt, in einer Art Schere im Kopf
der Schülerinnen und Schüler, die
sich unsicher sind, ob die Frage
nach Homosexualität auf dem Erhebungsbogen über der Frage nach
Gott, nach Muhammad oder nach
dem Koran angesiedelt werden darf.
Einige der Bögen enthielten nicht
nur allgemeine Themenvorschläge
in Stichpunkten, sondern konkret ausformulierte Fragen, zum
E. & A. Rochdi: Bin ich hier richtig? Eine Erhebung der Schülerinteressen im IRU
Beispiel: „Ich habe einen Freund.
Was darf ich mit ihm tun und
was nicht? Dürfen wir uns küssen? Wie schlimm ist es wirklich,
wenn wir es ohne böse Absicht zum
ersten Mal miteinander tun?“
Einige Schülerinnen und Schüler
fragen danach, ob es denn prinzipiell erlaubt sei, ohne Einwilligung
der Eltern zu heiraten. Hier liegt die
Vermutung nahe, dass diese Frage
im Vergleich mit der oben stehenden an sich keine neuen Kategorie
eröffnet, sondern sie lediglich verschiebt: das Interesse am anderen
Geschlecht gleichsam unter islamischen Vorzeichen, die Beendigung
des jugendlichen Moratoriums in
dieser Frage durch eine Art Legalisierung, zum Beispiel auch durch
die Eheschließung vor Erreichen
der gesetzlichen Volljährigkeit.
Dieser Themenkomplex stellt insgesamt ein sehr heißes Eisen dar; viele
der Fragen wurden seit der Erhebung im September 2007 aus dem
Unterrichtsdiskurs heraus mündlich
wiederholt, verändert und präzisiert. Das bestätigt noch einmal den
Eindruck, dass die Schüler nicht
unbedingt einer anonymen Erhebung bedürfen, um frei mitzuteilen
was sie interessiert. Der Islamische
Religionsunterricht scheint ihnen
einen geeigneten Freiraum für der-
Seite 24
artige Anfragen zu bieten, wenn er
diese Thematiken proaktiv aufgreift
und den Schülern didaktisch klug
dafür Anlass, Methode und Motiv
bietet. In diesem Zusammenhang
muss auch beleuchtet werden, wer
den Unterricht hält. Der in jüngerer
Literatur oft genannten Forderung,
die muslimische Lehrkraft solle einen
vertrauensvollen Kontakt sowohl
zu den Eltern als auch zu den Moscheen der Nachbarschaft haben,
kann nur wenig entgegengesetzt
werden. Vertrauen zu den Schülerinnen und Schülern aufzubauen
ist damit aber nicht gleichzusetzen.
Nicht alle Einzelheiten, die zwischen Lehrkraft und Schülerschaft
zur Sprache kommen, gehören
beim Elternabend auf den Tisch.
2. Wo steht denn das?
Dieser Punkt berührt das Verhältnis
von Religion und Tradition. Durchweg alle Befragten haben irgend ein
inneres Bild vom Islam, das sich
einerseits aus den Eindrücken ihrer
vor- und außerschulischen Sozialisation speist, andererseits aber auch
aus Quellen, die unkontrolliert und
unstrukturiert auf die jungen Muslime einwirken. Was von diesen inneren Bildern mitgeteilt wird, weist
auf eine grundsätzliche Zweiteilung
hin: Die einen sehen den Islam als
eine Religion voller Gebote und
Verbote, die mit der Hölle droht. Für
die anderen stellt sich der Islam als
ein Weg des glücklichen Lebens in
intakten Sozialbeziehungen dar, auch
wenn es nicht immer einfach ist, diesen Weg zu gehen. Welche Erlebnisse
oder Informationen dafür jeweils im
Einzelnen Pate stehen, bleibt jedoch
vorerst im Verborgenen, und dies
zuerst einmal für die Betroffenen
selbst. Darin kann nämlich eine der
entscheidenden Orientierungsfunktionen des Islamischen Religionsunterrichts in seinem kontrovers diskutierten Ansatz des Therapeutischen,
des auf Lebenshilfe bedachten Profils
liegen: Dieses Verborgene als Teil
des Selbstbildes zu entdecken und zu
verstehen ist bei einigen der Schülerinnen und Schüler das entscheidende Schüsselmotiv, lieber den Islamischen Religionsunterricht anstatt
das Fach Ethik zu besuchen. Dieses
aktive Suchmotiv stellt die Verbindung zur Identitätsbildung dar.
Positionen aufeinandertreffen. Das
ließ sich jüngst wieder an Hand des
türkisch-kurdischen Konflikts nachzeichnen, der in den Islamischen
Religionsunterricht hineinschwappte.
Was Eltern oder andere Personen
des sozialen Nahbereichs sagen, geht
nicht immer mit dem konform, was
im Koran steht. Das wird von der
muslimischen Schülerschaft sehr
wohl erkannt, auch wenn das Spannungsverhältnis zwischen Religion in
ihrer theologischen und ihrer tradierten, personalisierten Dimension
unterschiedlich bewertet wird. Die
Jüngeren unter den muslimischen
Schülern erleben diese Diskrepanz
weniger deutlich und fragen auch
nicht danach – im Gegensatz zu den
Neuntklässlern, deren Anfragen oft
einen betont sozial-, herrschafts- und
religionskritischen Ansatz haben.
Viele Verbote und Gebote des Islams
Hier liegt allerdings auch ein erhebsind selbst denjenigen Schülern beliches Konfliktpotential begründet.
kannt, die entweder ein distanziertes
Durch ein vermehrtes Interesse an
Verhältnis zur religiösen Praxis haben
der Religion und am Islam als prakti- oder die sich nicht als Muslime verzierter Lebensweise können die Schü- stehen, wie beispielsweise der Verlerinnen und Schüler dort in Schwie- zicht auf Schweinefleisch oder Alkorigkeiten geraten, wo eher Prozesse
hol. Der Koran ist, ähnlich wie der
einer traditionalistischen oder auch
gesamte Islam, von einem allgemeinationalistischen Identitätskonnen, veröffentlichten Image geprägt,
struktion nachgewiesen werden
das eher negativ ist. Spricht man
können, wo verantwortungsethisch
aber die Schülerinnen und Schüler
und gesinnungsethisch begründete
gezielt auf den Koran an, so meinen
E. & A. Rochdi: Bin ich hier richtig? Eine Erhebung der Schülerinteressen im IRU
Viele Verbote und Gebote
des Islams sind selbst
denjenigen Schülern
bekannt, die entweder
ein distanziertes Verhältnis zur religiösen Praxis
haben oder die sich nicht
als Muslime verstehen,
wie beispielsweise der
Verzicht auf Schweinefleisch oder Alkohol.
Seite 25
selbst die Jüngsten zu wissen, dass
es sich dabei um ein „besonderes,
heiliges“, ja sogar „das beste Buch“
handelt. Ein Buch, das so heilig ist,
dass es ganz weit nach oben in den
Schrank gehört. Anfassen verboten!
Woher das Wissen um diese Praxis
stammt, und ob es damit überhaupt
seine Richtigkeit hat, ist den meisten
jedoch unklar. Die Schüler scheinen
ein durchweg positives Bild vom
Koran zu haben, jedoch erschließt
sich ihnen nicht von selbst der Zusammenhang zwischen der Schrift
und dem Leben. Die Frage wird
gestellt: Warum sind die Muslime so
schlecht, wo doch der Koran so gut
ist? Diese Spannung zog sich als roter
Faden durch die Schülerangaben in
der Interessenerhebung. Der Koran
selbst als Unterrichtsgegenstand
fiel dabei gleichsam über Bord.
3. Prophetengeschichten: Märchenstunde?
Prophetie ist bei allen drei Lerngruppen in etwa gleich stark vertreten gewesen, und zwar sowohl zahlenmäßig
als auch durch das hohe Ranking.
Jedoch muss man feststellen, dass in
der 7. Klasse vermehrt das „Leben
der Propheten“ und deren Geschichte und Wunder im Mittelpunkt des
Interesses stehen. Hier geht es, vor
allem mit Blick auf Muhammad, um
das Interesse am Menschen: Wie hat
er gelebt, warum ist er Gesandter
Gottes geworden, wie haben die
Menschen seiner Zeit gelebt? Anders
hier die Schülerinnen und Schüler
der neunten Klasse: Sie fragen vermehrt nach die Lehren, die aus koranischem Bericht und prophetischer
Rede zu ziehen sind, vor allem in
ihrer Bedeutung für den heutigen
Kontext und das eigene Leben.
Ein Gutteil der Schülerinnen und
Schüler weiß, bei allem sonstigen
Analphabetismus hinsichtlich der
eigenen Religion, überraschend viel
und detailliert von wunderlichen
Dingen zu berichten, die sich irgendwann und irgendwo zugetragen
haben: ein Mädchen, das im Klo
ertrunken ist, weil es dort heimlich
im Ramadan gegessen hat, ein Säugling, der mit zwei Köpfen zur Welt
kommt, weil die Mutter ein außereheliches Verhältnis hatte… Hier wird
gerne auf Berichte im Internet, auf
dubiose türkische Printmedien sowie
darauf verwiesen, dass ein namentlich genannter Prediger die Wahrheit
dieser Berichte beschwöre. Das liegt
fernab jedweder Prophetologie des
Korans und ruft nach Erziehung zu
Kritikfähigkeit. Aber dort wo es um
Muhammad geht, erregt das Mysterium Faszination: Jesus sei der Prophet
der Christen, aber Muhammad habe
doch viel mehr Wunder getan…
E. & A. Rochdi: Bin ich hier richtig? Eine Erhebung der Schülerinteressen im IRU
Auch außerhalb
muslimischer Milieus
hat das Okkulte als Teil
jugendlicher Lebenskultur, Medienkonsum
und Freizeitgestaltung
neu an Boden gewonnen.
Dass der Islam in der europäischen
Kulturgeschichte oft als Religion
der Geschichten- und Märchenerzähler rezipiert wurde, ist nicht
zuletzt den Geschichten aus „1001
Nacht“ zu verdanken. Tatsächlich
war und wiegt in der islamischen
Welt das gesprochene Wort oft mehr
als das geschriebene. Bis heute hat
sich die Tradition bewahrt, Texte
mündlich weiterzugeben. Dabei geht
es nicht nur um religiöse Texte.
Ob vor allem Schüler mit ihren Wurzeln in solchen Kulturkreisen eine
Affinität zu besonders unglaublichen
Geschichten und Wundern haben,
und ob sich das bis in die heutige
Zeit gehalten hat oder sich unter den
Bedingungen von Migration und
Postmigration gar verstärkt, wäre zu
diskutieren. Auch manche der Eltern
stehen hier ihren Kindern in nichts
nach. Möglicherweise geht es auch
einfach nur darum zu zeigen, wie
interessant „ihr“ Islam sei. Auch
außerhalb muslimischer Milieus hat
das Okkulte als Teil jugendlicher
Lebenskultur, Medienkonsum
und Freizeitgestaltung neu an Boden
gewonnen.
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Ein weiterer Grund könnte darin
liegen, dass in der häuslichen Erziehung mit Strafandrohung gearbeitet wird, wobei sich Eltern der
tradierten religiösen Bilderwelten
bedienen: der Satan, der kommt, der
Dschinn, der von dir Besitz ergreift,
die Hölle, die auf dich wartet, Gott,
der dich in Stein verwandelt, wenn…
Die Frage, wie man Kinder dazu
bringt etwas zu tun oder zu unterlassen, haben sich bereits viele Generationen von Pädagogen gestellt.
Was für die europäische Tradition
von den Gebrüdern Grimm in Form
gebracht wurde, wird auch von muslimischen Eltern gerne praktiziert:
Geschichten erzählen – mehr oder
weniger pädagogisiert. Je geheimnisvoller und abgehobener solche
Geschichten sind, desto mehr Beachtung erfahren sie durch die Schüler.
Vor allem in der siebten Klasse haben
die Schüler ein schier unglaubliches
Verlangen danach, ihren Klassenkameraden ihre neuesten Gruselgeschichten zu erzählen. Der kognitive
Konflikt zwischen dem Wahrheitsanspruch der Geschichten und den
Fragen nach Wahrscheinlichkeit und
Wirklichkeit bleibt dabei nicht aus.
Zu den gängigen Formulierungen
auf den Erhebungsbögen gehört es,
eine Frage mit „Simmt es, dass…?“
einzuleiten. Hier hat der Islamische
Religionsunterricht seinen Teil zum
Bildungsauftrag der Schule insgesamt
beizutragen, nämlich eine Kultur
des Fragens, der kritischen Rückfrage, des Arguments der Vernunft
und der Plausibilität einzuüben.
4. Ein guter Muslim sein:
Man nehme…
Ein weiterer Schwerpunkt bei der
Erhebung der Schülerinteressen war
die Frage nach den Grundpflichten
und Glaubensinhalten, die im Leben
eines Muslims eine Rolle spielen.
Selbst Schülerinnen und Schüler,
die sich selbst nicht als praktizierend bezeichnen würden, zeigen ein
großes Interesse an der religiösen
Praxis. Vor allem Fragen, die alltäglich die Medienwelt durchziehen
wie zum Beispiel die Sache mit
dem Kopftuch, stehen im Fokus.
Viele der Anfragen zielen auf die
Orientierung dahingehend ab, was
man tun darf und was nicht, was im
Islam halāl ist und was harām. Das
stützt einen Befund, wie er sich aus
der Analyse binnenmuslimischer
Diskurse ergibt, und zwar besonders dort, wo Muslime meinen, sich
gegenüber einer als dominant und
unislamisch empfundenen „Mehrheitsgesellschaft“ behaupten zu müssen: Fragen der Richtigkeit und der
Zugehörigkeit haben Vorrang für die
Identitätskonstruktion; wer ich bin
und woran ich glaube wird fast zur
E. & A. Rochdi: Bin ich hier richtig? Eine Erhebung der Schülerinteressen im IRU
Nebensache. Auffallend ist, dass die
Schülerinnen und Schüler nur dann
den Grund für Verbote und Gebote
erfahren wollen, wenn das Gebot
ihrer bisherigen Lebenspraxis, ihren
„Stil“ widerspricht. Gehen „persönliche“ und „muslimische“ Praxis
scheinbar konform, dann genügt
das zunächst, kurzfristig jedenfalls.
als deutsche Muslime bezeichnen.
Das scheint also noch keine Selbstverständlichkeit zu sein und muss
im Unterricht erarbeitet werden.
5. Leben, sterben, und dann?
Besonders die Schülerinnen und
Schüler der 7. Klassen haben, Punkt
3 lässt das ja erahnen, ein brennendes Interesse an Apokalyptik.
Langfristig aber werden GrundsatzWeltuntergangsszenarien scheinen
fragen an die Oberfläche drängen
derzeit ein zentrales Thema zu sein,
und nach Klärung verlangen. Eine
nicht zuletzt wohl verstärkt durch
dieser Fragen tauchte bereits auf
die Vorgänge im Irak und in Afghaeinigen der Erhebungsbögen auf:
nistan. Sie verlangen Antworten da„Was soll ich hier in Deutschland
rauf, wie der Weltuntergang aussehen
als Muslim?“ Für die Theologie des
wird, wie er beginnt, was mit den
Islams tritt hier zu Tage, dass KlarMenschen passiert und wer wie für
heit bezüglich der Lebenssituation
was bestraft wird. Hier wird auch die
und Plausibilität in der persönlichen Frage nach der Hölle und nach dem
Lebensperspektive, in den eigenen
Teufel, dem „Schaitan“ gestellt. In
Zielsetzungen notwendig sind, um
der Erhebung ist das Thema „Hölle“
das Sinn stiftende Potenzial des
bei mehr als der Hälfte aller SchüleIslams aktivieren und nutzen zu
rinnen und Schüler ein Wunschthekönnen. Das allein auf Zugehörigkeit ma, wohingegen der Himmel bzw.
und Richtigkeit angelegte Selbstbild
das Paradies seltener vorkamen.
trägt hier nicht weit. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch StimAber auch für die höheren Jahrmungen, und dabei insbesondere die gangsstufen ist der Tod ein wichFrage, ob sich die Schülerinnen und
tiges Thema. Den Aussagen auf den
Schüler insgesamt als Muslime anErhebungsbögen ist zu entnehmen,
genommen fühlen. Es geht also um
was gezieltes Nachfragen bestätigte:
Integration. Durchweg alle Befragten Einige der Befragten haben bereits
erkennen Deutschland als ihre HeiErfahrungen mit Leid und Sterben in
mat an und würden sich, trotz ihrer
der Familie gemacht. In einem Fall
unterschiedlichen Herkunftskonwurde konkret gefragt, ob man wirkstruktionen und Biographien, gerne
lich durch das Fasten einen Sünden-
Seite 27
Nur so ist zu erklären,
warum von Schülerseite
gefragt wurde:
„Was haben die Juden,
die Amerikaner und
der Satan
miteinander zu tun?“
erlass erhalte und was mit jemandem
passiert, der während des Fastens
stirbt. Andere Schüler wollten wissen, ob man für bestimmte Sünden
für immer oder nur für eine begrenzte Zeit in die Hölle komme.
6. Fernsehen und die Frage der
Vergiftung und Verdummung
Dass auch muslimische Schüler von
den Medien beeinflusst sind, muss
nicht erwähnt werden. Jedoch scheinen sie sich stärker durch Massenmedien beeinflussen zu lassen als
ihre Altersgenossen. Das liegt wohl
weder an den Medien selbst noch
an einer besonderen Bereitschaft,
sich ihrer Suggestivkraft hinzugeben, sondern allein an dem Umfang,
den islambezogene Berichterstattungen inzwischen einnehmen. Hier
ist man Betroffener, hier wird es
schwierig, nicht Position zu beziehen, nicht parteilich zu sein.
Symptomatisch dafür ist der jüngste
Konflikt zwischen dem türkischen
Militär und Kurden im Südosten
der Türkei und im Norden des
Irak. Dieses Thema wird vor allem
in von türkischen und kurdischen
Schülern stark frequentierten Internetforen heiß diskutiert. So
kann man in einem Thread einer
großen deutschen Tageszeitung
unter einem Artikel zu den Straßenschlachten zwischen kurdischen
E. & A. Rochdi: Bin ich hier richtig? Eine Erhebung der Schülerinteressen im IRU
und türkischen Jugendlichen in
Berlin lesen, dass „die PKK unsere [kurdische] Religion“ sei.
Ähnlich äußern sich türkische Nationalisten, für welche „zuerst das Türke
sein kommt, dann die Religion“.
Solche Parolen liefern Zündstoff für
den Islamischen Religionsunterricht.
Auch der Pausenhof könnte zu einem
Austragungsort des Kräftemessens werden, so wie das von einer
Schülerin auf den Punkt gebracht
wurde: „Wenn es da unten losgeht,
sind wir in Deutschland bereit“.
tive – wenn nicht vorschnell. Auch
antisemitische Ressentiments werden
in bestimmten Foren artikuliert.
Nur so ist zu erklären, warum von
Schülerseite gefragt wurde: „Was
haben die Juden, die Amerikaner
und der Satan miteinander zu tun?“
7. Ist der Islamische Religions unterricht das Richtige für mich?
Bei der Überlegung, sich für Ethik
oder den Islamischen Religionsunterricht zu entscheiden, mag es
unterschiedliche Motive geben.
Trotzdem fragte bereits nach wenigen Wochen ein Schüler, ob es
Diskussionen darüber können von
möglich wäre, den Islamunterricht
üblen und dummen Beschimpfungen wieder zu verlassen. Dem stehen
begleitet sein, was die Schülerinnen
während des laufenden Schuljahres
und Schüler aber gut differenzienormalerweise bürokratische Hürden
ren. Problematischer wird es, wenn
entgegen. Dennoch sollte der SchüThreads faschistische Ideologien auf- ler bei seiner Entscheidung durch
greifen und scheinbar plausibilisieein positives Votum der Lehrkraft
ren. Was dort an Argumenten gelieunterstützt werden. Er wurde allerfert wird, muss dann im Unterricht
dings zuvor gebeten, die Gründe
mühevoll widerlegt werden: „Können dafür schriftlich zu formulieren.
Kurden überhaupt Muslime sein?
Kann man an der Kopfform erkenSeiner Aussage nach habe er nie eine
nen, ob jemand wahrer Türke ist?“
besondere Beziehung zum Islam
empfunden. Durch seine Wahl für
Hier bleibt es nicht bei türkischen
den Islamischen Religionsunterricht
Themen; gefragt wird nach allen
habe er sich neue inspirierende EleKonfliktszenarien zwischen Minmente erhofft. Er sei sich daher nicht
danao und New York. Die Schülesicher, ob er in diesem Unterricht
rinnen und Schüler gelangen, durch
richtig aufgehoben sei. Neben den
andere Schulfächer unterstützt,
arabischen Begriffen, die ihn eher besehr schnell zur globalen Perspeklustigten, habe er nicht das Gefühl,
Seite 28
von diesem Unterrichtsangebot angesprochen zu werden. Durch seine gelegentlich respektlosen Bemerkungen
im Unterricht und sein Gelächter
würde er doch nur die Gefühle der
„interessierten Schüler“ verletzen.
Seine „ungläubigen Kommentare“
seien zudem der muslimischen
Lehrkraft gegenüber respektlos.
Fazit
der kritische Ansatz: Welche Unterrichtsprozesse tragen im Einzelnen
Die von den Schülern angesprozur Orientierung in der Lebenswelt
chenen Punkte lassen sich gut mit
bei, welche Voraussetzungen bringt
den Lehrplänen für den Schulversuch die Schülerschaft mit, was genau
Islamunterricht verbinden; sie gehen kann und soll ein Islamischer Restellenweise erwartungsgemäß konligionsunterricht leisten? Es geht
form. Überraschend war dabei aber
einerseits um wissenschaftlich verdie Fülle und die Unmittelbarkeit
wertbare Erkenntnisse, andererseits
der Anfragen. Die unterschiedlichen aber auch um die Verbesserung der
Dass gerade solche Schüler mit dem
Bezugsfelder innerhalb der Theologie konkreten Lehr-Lern-Prozesse und
Islamischen Religionsunterricht eine des Islams wie auch der religiösen
der pädagogischen Gesamtsituation
Möglichkeit erhalten sollen, über
Gegenwartskulturen zeigen, wie
vor Ort, in die der Islamische ReKonfliktthemen und Letztfragen zu
hoch die Anforderungen an eine
ligionsunterricht eingebettet ist.
sprechen, geht aus dem Fachprofil
Lehrkraft für den Islamischen Relihervor. Aus diesem Grund wurde
gionsunterricht und an ihre Ausbilmit dem Schüler ein vertrauliches
dung sind. Das betrifft sowohl die
Gespräch geführt. Er wurde für seine Religionslehre als auch die Vertrautehrlich und klug formulierte Stelheit mit der muslimischen Jugend
lungnahme gelobt, in der er seinen
und ihren bevorzugten Themen.
Wechsel in eine andere Lerngruppe
Hinzu kommen die allgemeinen
nicht unbedingt forderte, sondern
pädagogischen Herausforderungen
lediglich seine Anwesenheit im Isladurch in ihren Herkunftsmilieus,
mischen Religionsunterricht in Frage ihren Interessen und Vorkenntnisstellte. Es wurde ein Moratorium ver- sen sehr heterogene Lerngruppen.
einbart: Bleibe bis zu den Zwischen- Wer Islamischen Religionsunterzeugnissen dabei, dann entscheide.
richt erteilen will, muss sich auf
Fordere bis dahin die Lehrkraft mehr besondere Lernprozesse einlassen.
heraus, auf Deine Fragen einzugehen und arbeite disziplinierter mit.
Die hier geschilderten Erfahrungen
machen neugierig. Benötigt wird
nun eine empirische, hier vor allem
qualitativ angelegte Forschung.
Dabei darf es nicht um Akklamation gehen – alle, die an so einem
Schulversuch teilnehmen, finden den
natürlich toll. Gefragt ist vielmehr
E. & A. Rochdi: Bin ich hier richtig? Eine Erhebung der Schülerinteressen im IRU
Wer Islamischen
Religionsunterricht
erteilen will,
muss sich auf besondere
Lernprozesse einlassen.
Seite 29
Fuad Kandil
Kann religiöse Erziehung zur besseren Integration beitragen?
Zur Frage des Islamischen Religionsunterrichts – Teil 1: Grundsätzliche Überlegungen1
Neue Herausforderungen –
alte Hüte
Die meisten westeuropäischen Gesellschaften erleben seit einigen
Jahrzehnten eine verstärkte Zuwanderung von Menschen aus Ländern,
die in vielerlei Hinsicht vor ebenso
drängenden wie unausweichlichen
Veränderungen stehen. Die Rede ist
von den verschiedensten Regionen
und den unterschiedlichsten Kulturen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie
im soziologischen Sinne nicht mehr
dem Idealtypus einer „traditionalen
Gesellschaft“ entsprechen. Demgegenüber weisen sie im Vergleich
zu den Aufnahmeländern, die sich
als „moderne Zivilgesellschaften“
verstehen, erkennbar traditionalistische Züge auf. Das betrifft nicht
zuletzt die Religion: Ihr wird in
vielen Herkunftsländern ein Stellenwert zugeschrieben, wie er in
Europa als überwunden angesehen
wird. Religion im Sinne eines In1 Der vorliegende Beitrag ist die redaktionell bearbeitete und veränderte Fassung
eines Vortrags. Die Herausgeber danken
dem Verfasser für die Freigabe des Texts.
stituts, dem ebenso ordnungspolitische Regelkraft zugemessen wird
wie Orientierungsfunktion für das
Individuum, gehört mehr zum
Bestand der kulturgeschichtlichen
Erfahrung als zur Gegenwart.
Das kann für Zuwanderer gleichermaßen wie für die Aufnahmegesellschaften gewisse Probleme aufwerfen. Ein Großteil der Zuwanderer
gehört dem Islam an, der mit Blick
auf die europäische Wahrnehmung
lange Zeit als Fremdreligion galt.
Das befreite zunächst von der Notwendigkeit, sich intensiver mit
diesem scheinbaren „Phänomen auf
Zeit“ auseinandersetzen zu müssen – irrtümlicherweise, wie wir
heute wissen. Hinzu kommt: In
globaler Perspektive hat sich, was
als Islam angesehen wird, zu einer
Bedrohung der in Rede stehenden
Gesellschaftsordnung gemausert.
Der Ruf nach Einführung des Islamischen Religionsunterrichts (IRU)
an der öffentlichen Schule provoziert, ob in der Schweiz, in Deutschland oder anderswo, unterschiedlich
F. Kandil: Kann religiöse Erziehung zur besseren Integration beitragen? Zur Frage des IRU – Teil 1
starke Abwehreaktionen. Die Europäer tun sich mit kultureller Pluralisierung als Herausforderung im
heutigen Zeitalter der Globalisierung
ziemlich schwer. Das überrascht,
denn sie selbst verdanken Freiheitlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und
Demokratie, auf denen ihre Gesellschaftsordnung beruht, eben jenen
Prozessen, die ohne politische, kulturelle und religiöse Pluralisierung
undenkbar gewesen wären. Wichtige
Impulse zeitigten hier Epochen, in
denen es zu einer fruchtbaren Begegnung mit dem Islam kam – sei es
die venezianische Renaissance, sei es
die andalusische „Zeit des Lichts“.
Überraschend auch, weil alle kapitalistischen Wirtschaftsmodelle derartige Prozesse geradezu voraussetzen.
Chancen und Risiken
Neue Herausforderungen bergen
Chancen und verlangen Kreativität; sie bringen aber auch Risiken
mit sich. Wer es versteht, auf neue
Entwicklungen gelassen zu reagieren, beweist Stärke, was nicht zuletzt
die europäischen Nachkriegsgesellschaften auszeichnete. Bislang jedenfalls. Diese Gesellschaften haben
immer wieder gezeigt, dass sie besonders den Herausforderungen, die aus
Pluralisierungsschüben entstehen, in
besonderer Weise gewachsen sind.
Das zeigt schon ein flüchtiger Rückblick auf die europäische Geschichte.
Was gegenwärtig die Gemüter erhitzt, kann daher im Grunde genommen keine völlig neue Erfahrung
darstellen. Wieder aufkeimende Vorstellungen vom Leben in einem kulturell und religiös homogenen Gemeinwesen, die über die sentimentale
Verklärung guter alter Zeiten hinausgehen, bergen in diesem Kontext
zukünftige besondere Gefährdungen
des sozialen Friedens. Sich strukturell
der Integration und Pluralisierung
– beides keine Einbahnstraßen – zu
Seite 30
verweigern bedeutet Rückschritt. Die
Rückbesinnung auf bewährte Visionen, Werthaltungen und Idealeigenschaften tut not. Um ein Beispiel zu
nennen: die „Zivilisierung des Umgangs mit der Differenz“ nach Dieter
Senghaas. Viele europäische Gesellschaften mussten im 16. Jahrhundert
das Ende der konfessionellen Homogenität erfahren. Sie mussten in
langwierigen Konflikten lernen, mit
der neuen Differenz zu leben. Senghaas spricht in dem Zusammenhang
zwar von einer „Zivilisierung wider
Willen“ (so auch der Titel seines
Buchs), was die Notwendigkeit dieser
Einsichten jedoch nicht schmälert
(vgl. Senghaas: Zivilisierung wider
Willen. Der Konflikt der Kulturen
mit sich selbst. Frankfurt 1998).
Dabei geht es aber um Prozesse,
die nicht einfach als abgeschlossen
oder überwunden gelten können.
Das heutige Zeitalter der Globalisierung und die notwendigerweise
damit verbundenen Wanderungsbewegungen bringen einen weiteren
Pluralisierungsschub mit sich, der
auch eine ethnisch-kulturelle Dimension aufweist. Das betrifft auch
die viel beschriebene „Transnationalisierung nationaler Gesellschaften“.
Alle, also sowohl die, die zuwandern, als auch diejenigen, die schon
da sind, sind davon betroffen. Alle
sind aufzurufen, an der Bewältigung
dieses Pluralisierungsschubs mitzuwirken. Es gilt, die Einwanderer in
die Lösung aufkommender Probleme
mit einzubeziehen, anstatt sie nur als
alleinige Ursache für Probleme ausmachen zu wollen. Und: Wer mit in
die Verantwortung genommen wird
und diese auch annimmt, der darf
nicht länger von Prozessen ausgeschlossen bleiben, die ein gesteigertes
gesellschaftliches Prestige mit sich
bringen: gleichberechtigter Zugang
zu den Bildungssystemen und die damit verbundene vertikale Mobilität.
Alle Seiten sind in gleicher Weise
gefordert, ihren eigenen Beitrag zu
einer Kultur des zivilen Umgangs
mit der Differenz zu leisten. Das
gilt – das muss wohl, um Missverständnisse zu vermeiden, so präzisiert werden – besonders auch
für diejenigen Zuwanderer, die
sich im Sinne nicht hinterfragter
Gesinnungen den Kulturen ihres
Aufnahmelandes überlegen fühlen.
Um es noch klarer zu sagen: Muslime, die sich einer gemeinsamen
Verantwortung im Kontext der
Solidargemeinschaft aller verschließen, stellen ein Problem dar. Eines
der wesentlichen Argumente für die
Einführung von IRU gründet hier.
F. Kandil: Kann religiöse Erziehung zur besseren Integration beitragen? Zur Frage des IRU – Teil 1
IRU – eine bundesdeutsche
Sonderdebatte?
Nicht nur IRU, sondern jede Form
religiöser Erziehung muss hier unterstützend wirken. Unbeschadet des
Eigenwerts von Religion darf hier
ein propädeutisches, wenn nicht
therapeutisches Motiv herangetragen werden. Nur wenn IRU hier
ein eindeutiges Profil hat, kann er
seinen Beitrag zur Integration von
Menschen leisten, die sich als Muslime verstehen – seien sie vor Jahren
oder Jahrzehnten nach Deutschland
gekommen, seien sie in dritter Generation hier geboren. Dass religiöse
Orientierungen für diese Gruppen
einen hohen Stellenwert haben, kann
zu Synergien mit dem IRU führen,
wie sie im christlichen RU vielleicht
vermisst werden. Ziel des IRU muss
sein, in Fragen der subjektiven Ethik
neue Tiefenstrukturen zu schaffen,
die ein verändertes Verhalten zeitigen: mehr Öffnung hin zur Gesellschaft, mehr Duldung auch innerer,
gleichsam binnen-muslimischer
Pluralitäten. Dies indes bei theologisch-authentischer Fundierung.
Derlei Aspekte hatten erheblichen
Anteil daran, dass ernsthaft über
die Einführung eines IRU an der
öffentlichen Schule in Deutschland debattiert wurde. Muslime aus
der Türkei stellen dabei die größte
Muslime,
die sich einer
Verantwortungsethik
im Kontext der
Solidargemeinschaft
aller verschließen,
stellen ein Problem dar.
Seite 31
Gruppe der potenziellen Adressaten
dar. Inzwischen ist unstrittig, dass
ein IRU muslimischen Jugendlichen
Orientierungshilfe geben und ihr
Selbstbewusstsein stärken kann, so
dass sie sich auf dieser Grundlage
auf die plural strukturierte Gesellschaft einlassen und am kulturellen
Geschehen teilhaben können (vgl.
dazu Abdullah, M. S.: Weshalb das
Rad neu erfinden wollen? In: Moslemische Revue 20, 1999, S. 76f.).
Andere, scheinbar nur noch technische Fragen bleiben offen: Wie
und wo sollen die dafür benötigten
Lehrkräfte ausgebildet werden, und
von wem? Man kann sich trotz
aller Beteuerungen und positiver
Einschätzung des Eindrucks nicht
erwehren, dass sich die Verantwortlichen mit der praktischen Umsetzung noch schwer tun. Vermutlich
darf nicht unterschätzt werden, dass
grundsätzliche Vorbehalte gegenüber dem Islam und den Muslimen
wieder zunehmen. Auch wenn in
den Landtagen über Fraktionsgrenzen hinweg positive Beschlüsse
zum IRU gefasst werden, streiten
die innerfraktionellen Flügel der
Befürworter und Bedenkenträger
über den richten Weg. Es geht um
Vertrauen bildende Maßnahmen,
und die erfordern es, auch trotz
erhöhter Unwägbarkeiten einmal
mit kleinen Schritten anzufangen.
Lernziel „Öffnung“
Die Idealtypik der
postmodernen
europäischen Kulturen
kann diskutiert werden;
für Zuwanderer, die sie als
das Ziel ihrer Wanderung
ausgemacht haben,
bedeuten sie Erfüllung
wie auch
Herausforderung.
F. Kandil: Kann religiöse Erziehung zur besseren Integration beitragen? Zur Frage des IRU – Teil 1
Im Mittelpunkt der Betrachtung
steht hier die Frage: Kann religiöse Erziehung im Rahmen eines
ordentlichen Religionsunterrichts
an der öffentlichen Schule heranwachsenden Mitgliedern einer
Minderheit dazu verhelfen, sich
in der westeuropäischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts besser
zurechtzufinden – vor allem dann,
wenn sie aus einem eher traditionalistischen Kontext entstammen?
Die Öffnung zur Gesellschaft hin
ist dabei aber noch nicht gleichbedeutend mit Integration. Zudem
muss der Eindruck vermieden werden, Migrantinnen und Migranten
seien pauschal ihre Integrationsbemühungen gegenüber einer so
genannten Mehrheitsgesellschaft
schuldig geblieben; die Sache liegt
manchmal auch anders herum. Außerdem muss gefragt werden, worin
die eigentlich religiös begründeten
Bildungsziele eines IRU liegen – in
einer alleinigen Zubringerfunktion
für sich wandelnde Integrationsanliegen sicher nicht. Unbestreitbar
aber spielt, wenn wir von Muslimen
reden, die Frage religiöser Bildung
für die Integration eine wichtige
Rolle; von besonderen Aspekten
einer Synergie war bereits die Rede.
Der Bezugskontext ist hier, wie
bereits angesprochen, die demokratisch verfasste, rechtsstaatlich
strukturierte, pluralistische und sich
als säkular verstehende Gesellschaft
als identifikatorisches Zentrum
europäischer politischer Kultur.
Das bedeutet Dynamik. Die damit verbundenen gesellschaftlichen
Veränderungen können den Wunsch
nach Verlangsamung evozieren,
der sich nicht allein auf traditionalistische Weltbilder beschränkt.
Die Idealtypik der postmodernen
europäischen Kulturen kann diskutiert werden; für Zuwanderer, die
sie als das Ziel ihrer Wanderung
ausgemacht haben, bedeuten sie
Erfüllung wie auch Herausforderung. Dazu gehört ein historisch
gewachsenes Selbstverständnis, dass
von den Bürgerinnen und Bürgern
nicht unbedingt die Zugehörigkeit
zu einer bestimmten Religion gefordert ist, sondern Achtung der Verfassung und der aktive Beitrag zum
Erhalt der Ordnung. Dies durchaus
auch in formaler Hinsicht, wenn
es um das Prozedere der Einbürgerung geht. Aber genügt das, um als
von der Bevölkerung angenommen
zu gelten, oder sich so zu fühlen?
Integration berührt hier schließlich die Dimension der inneren
Aussöhnung mit der neuen Lebenswelt. Was kann IRU hier leisten?
Seite 32
Eine Frage der
Wirklichkeitsdefinition
Religion lebt von ihrem
Anspruch auf Öffentlichkeit, auf Einmischung;
sie legt sich quer und
verlangt Stellungnahme;
sie hat ihre eigenen
Konventionen, Wirklichkeit und Wahrheit
aneinander
entlangzuführen.
Mit dem in Rede stehenden Thema
werden immer wieder bestimmte
Grundannahmen verfestigt, die einer
Diskussion bedürfen: Was ist traditionalistisch, was eine Mehrheitsgesellschaft, was sind Kennzeichen
von Heterogenitätserfahrung? Wer
verhilft sich hier gegenseitig zum
Überleben – die moderne Gesellschaft der Religion, oder umgekehrt?
Es wird gerne davon ausgegangen,
dass religiöse Erziehung in einer
modernen, säkularen Gesellschaft
heutigen Zuschnitts, in welcher der
„Plausibilitätsschwund religiöser
Wirklichkeitsdefinitionen“ (Peter
L. Berger) um sich greift, einerseits
schwieriger geworden ist, andererseits
als unverzichtbar gilt. Keine guten
Voraussetzungen dafür, erwünscht zu
sein. Es will scheinen, als mache die
Religion als solche ihre eigenen Migrations- und Heterogenitätserfahrungen… Es ist schwierig geworden,
„in dieser Gesellschaft zum Christen
zu werden […] und als Christ zu
leben“ (vgl. Kaufmann, Franz-Xaver: Christ-Sein in der modernen
Gesellschaft. In: Ders: Religion und
Modernität: Sozialwissenschaftliche
Perspektiven. Tübingen 1989).
F. Kandil: Kann religiöse Erziehung zur besseren Integration beitragen? Zur Frage des IRU – Teil 1
Fragen der religiösen Sozialisation
stehen zur Disposition. Das kann am
Islam nicht spurlos vorbeigehen. Die
„erschwerenden“ Bedingungen einer
Migrationsbiographie – erschweren sie die Situation für Muslime,
oder stellen sie umgekehrt vielleicht
sogar eine Erleichterung dar, ausgelöst durch einen Vorsprung an
Schlüselkompetenzen für den Umgang mit Differenzerfahrung, wie sie
weite Teile der europäischen Gesellschaften auch ohne Migrationserfahrung erfasst zu haben scheint?
Weder das Christentum, diese Prognose sei gewagt, noch der Islam
werden das ihnen innewohnende
Faszinosum, das den Religiösen
anspricht, einbüßen. Hier darf
von einer Renaissance erlebter
und gelebter Religion gesprochen
werden, was gegenüber etablierter
Theologie eine Art Paradigmenwechsel darstellt. Religion als solche
(und als einzige) verspricht Antworten auf die grundlegenden Fragen menschlicher Existenz. Damit
kommt sie dem anthropologischen
Grundmotiv des Menschen entgegen, der zu Religion fähig ist, weil
er ihrer bedarf. Oder umgekehrt.
Für beide Fälle kann gefolgert werden: Kinder, auch als Schülerinnen
und Schüler, haben ein Anrecht auf
religiöse Bildung, in der es auch um
die existentielle Beschäftigung, um
die Frage der persönlichen Orientierung und Positionierung in
Glaubensfragen gehen muss. Religion lebt von ihrem Anspruch auf
Öffentlichkeit, auf Einmischung;
sie legt sich quer und verlangt Stellungnahme; sie hat ihre eigenen
Konventionen, Wirklichkeit und
Wahrheit aneinander entlangzuführen. Die damit verbundene Frage
nach der Bindung an das Eigene
im Wechselspiel zwischen Habitualisierung und Kritik kann nur in
einem dafür vorgesehenen formalen
Rahmen gesichert werden und darf
nicht einfach den Elternhäusern und
Gemeinden überlassen werden. Das
ist eine Bringschuld der Gesellschaft
an ihre nachrückenden Generationen
– auch wenn sie Muslime sind.
Seite 33
Eine Frage sichtbarer
Religion
Folgende Frage rückt also in die
Mitte: Gelingt es dem IRU, die
Erfahrung von Differenz, Heteroge„Der Versuch zu sprechen, ohne in
nität und Pluralität zur akzeptierten
einer bestimmten Sprache zu spreNormalerfahrung zu machen? Kann
chen, ist zum Scheitern verurteilt“,
er Werte vermitteln und zugleich
meinte ein indonesischer Anthroposeinem Profil als RU gerecht werden,
loge mit Blick auf die Erziehung zu
die Grundfragen nach dem Menreligiöser Artikulationsfähigkeit. Kei- schen, dem Leben und der Welt mit
ne nachhaltige Vermittlung ethischer einer theologischen Authentizität
Werte und Verhaltensnormen, die für zu bedienen, die ihn als Religionsdas Zusammenleben der Menschen
unterricht erkennbar macht? Das
in einem Gemeinwesen unerlässist mehr als nur eine didaktische
lich sind, ohne ihre Verankerung in
Frage. Junge Menschen, und nicht
religiöser Erziehung. IRU ist erzienur sie, wollen anders sein dürfen
hender RU auch mit Blick auf das
und sich doch in ein Sinn stiftendes
Einfordern und Einüben sittlich
System integrieren. Darin sind sich
guter Haltungen des Individuums.
die muslimischen mit den nichtEs geht, es wurde oben angekündigt, muslimischen Kids an der Schule
um Tiefenstrukturen. Diese religiöse einig. Sich also mit anderen über die
Verankerung kann demnach nicht
Chancen und Risiken dieses Wegs,
etwa auf der Grundlage freischweüber Motive und Grenzen des Machbender Religiosität erfolgen; gefragt
baren zu verständigen, kann die Basis
ist der konkretisierbare religiöse Ge- für den gesellschaftlichen Frieden
halt, das religiöse System. Religiös zu schaffen: Lernen, auszuhandeln, was
sein, ohne dem mit einer konkreten
Sache des Aushandelns ist. Dabei
Religion Gestalt zu verliehen, ist
geht es um Impulse in die eigene
schwer vorstellbar. Also kein religiGemeinschaft hinein ebenso wie um
öser Pluralismus ohne ein MindestImpulse über ihre Grenzen hinweg.
maß an religiösem Separatismus?
Kann IRU junge Muslime nicht doch
dazu verführen, sich aus der Gesellschaft davonzustehlen? Das sind,
wie jeder weiß, keine Fragen, die
allein an Muslime zu richten wären.
Aber für den Islam in Deutschland
spitzen sich die Dinge nun mal zu.
F. Kandil: Kann religiöse Erziehung zur besseren Integration beitragen? Zur Frage des IRU – Teil 1
Gelingt es dem IRU,
die Erfahrung von
Differenz,
Heterogenität und
Pluralität zur
akzeptierten Normalerfahrung zu machen?
Das Sichtbare der Religion ist das
Erkennbare. Das ermöglicht Begegnung und Vergleich. Hier sei darauf
verwiesen, dass es bei aller Differenz
Gemeinsamkeiten gibt – dies besonders zwischen Juden, Christen und
Muslimen. Jeder Religionsunterricht
ist darauf angewiesen, diese Aspekte
stark zu machen. Zur zunehmenden
religiösen Unkenntnis mit Blick auf
das Eigene gesellt sich eine gefährliche Indifferenz gegenüber dem
Anderen, eine Art Empathieverdrossenheit, wenn es um Religion geht.
Diese Tendenz kann den demokratischen Grundkonsens gefährden.
Religionsunterricht muss darauf
bedacht sein, „das Gemeinsame
inmitten des Differenten zu stärken“
(EKD-Denkschrift Identität und
Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts
in der Pluralität. Gütersloh 1994.
S. 65.). Das geschieht nicht durch
das Verschweigen, sondern „in einer
Bewegung durch die Differenzen
hindurch, nicht oberhalb von ihnen“
(ebenda). Unaufhebbare Differenzen
dürfen deutlich angesprochen und
müssen erkannt, müssen anerkannt
werden. Dies allerdings ohne das
wechselseitige Auf- oder Abwerten,
ohne Überlegenheitsparadigmen.
Seite 34
In dieser Hinsicht zeigt sich aber
leider, dass viele muslimische Eltern
mit der religiösen Erziehung ihrer
Kinder unter diesen Bedingungen
einfach überfordert sind. In einem
Abwehrreflex greifen sie leicht auf
die ihnen vertrauten Muster religiöser Sozialisation zurück, auf rein
traditionelle und kulturkonservative Elemente der Lebensgestaltung.
Diese Strategien sind, wie wir alle
wissen, schon gescheitert. Ein IRU
hat hier eine eindeutig kompensatorische und therapeutische Funktion zu übernehmen, wie sie von
keinem anderen gesellschaftlichen
System übernommen werden kann.
•
Wer es auf sich nimmt,
„mit einem Anderssein
zusammenzuleben, das
ihm fremd und
seltsam erscheint“,
übt die Tugend
der Toleranz.
F. Kandil: Kann religiöse Erziehung zur besseren Integration beitragen? Zur Frage des IRU – Teil 1
Eine Frage der Toleranz
und an den Zielsetzungen vorbeiführen. Bezogen auf die Religion
Die Bereitschaft, Differenz und Plu- als normativem Bezugssystem liegt
ralität auf beiden Seiten zu akzeptie- hier reichlich Konfliktpotenzial:
ren und zu ertragen, Mehrheit wie
Dies gilt es zu handhaben anstatt es
Minderheit, ist nicht nur Ziel der In- den Narrenhänden zu überantwortegration, sondern auch Erfordernis
ten. Dem italienischen Philosophen
für ein friedliches Zusammenleben.
Norberto Bobbio zufolge geht es da
Das verweist auf den Zusammenhang ums Kategoriale: „Ich bin felsenfest
von Erziehung und Toleranz: Es geht von meiner Wahrheit überzeugt.
im IRU auch darum, zu einer Kultur Ich bin aber auch davon überzeugt,
der Toleranz anzuleiten. Es ist nicht
einem absoluten moralischen Prinfalsch, hier von einer Kultur der
zip gehorchen zu müssen: dem
Toleranz zu sprechen, auch wenn das Respekt vor dem Anderen“ (siehe
irgendwie diffus belässt, worum es
in Bobbio, Norbert: Das Zeitaldabei gehen soll. In dieser Hinsicht
ter der Menschenrechte. Ist Toleist dieser Begriff inflationär; doch
ranz durchsetzbar? Berlin 1998).
es lohnt sich, ihn wiederzubeleben.
„Toleranz ermöglicht Differenz,
Es geht also um die Anerkennung
Differenz benötigt Toleranz“ (Walzer, eines übergeordneten moralischen
Michael: Über Toleranz. Von der Zi- Prinzips, um eine Norm, deren Leitvilisierung der Differenz. Hamburg
motiv im „Respekt gegenüber dem
1998. S. 10). Wer es auf sich nimmt, Anderen“ liegt. Diesem fällt, wenn
„mit einem Anderssein zusammenes zum Schwur kommt, die Aufgabe
zuleben, das ihm fremd und seltzu, das eigene Normensystem in die
sam erscheint“, übt die Tugend der
Zucht zu nehmen: Keine Starrheit,
Toleranz. Solche Ansätze sind in der kein Rigorismus, keine Enge, „sich
islamischen Tradition vorhanden; sie die eigene Religion nicht zum Grab
müssen aufgegriffen und reaktiviert
machen“, wie Muhammad das einund ins Bewusstsein der kommenmal formulierte. Solche Prinzipien
den Generationen von Muslimen
können Entlastungsfunktion haben
in Deutschland gehoben werden.
und dabei helfen, sich in Sachen
Das muss Aufgabe eines IRU sein.
der Religion auf das zu konzentrieren, was das eigentlich Wichtige
Gemeint ist nicht Indifferenz geist. Sie ermöglichen Gelassenheit.
genüber jeder Form von Wahrheit.
Das würde am Wesen der Toleranz
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Es darf erwartet werden, dass sich
jede religiöse Erziehung daran messen lässt – auch diejenige im IRU.
Die normative Basis, die einer solchen Erziehung zugrundeliegt, muss
beiden Kriterien genügen: der Unterstützung einer inneren Bejahung
von Pluralität und der Gültigkeit
universaler Prinzipien moralischer
und ethischer Art. Das ist für den
Islam nichts Neues, aber etwas,
das in Vergessenheit geraten ist.
Voraussetzungen
Um erfolgreich umsetzen zu können,
was hier angedacht wurde, müssen
folgende Voraussetzungen gegeben
sein:
Der Islamische Religionsunterricht
ist in deutscher Sprache zu halten.
Das dient nicht zuletzt dazu, die
religiös-kulturelle Kommunikationsfähigkeit zu fördern und somit
dem Dialog zwischen Menschen eine
solide Basis zu verschaffen. Die Sprache trägt ferner zur Transparenz der
im Unterricht vermittelten Inhalte
bei, was für oben erwähnte Vertrauensbildung von Bedeutung ist.
Religiöse und auf Werte beziehbare
Gemeinsamkeiten müssen im Unterricht herausgearbeitet werden; das
muss zu einem seiner Leitprinzipien
werden, im Sinn der „Stärkung des
Gemeinsamen inmitten des Differenten“. Dabei gilt es zu veranschaulichen, worin Angstreflexe oder
Chauvinismen im wechselseitigen
Verhältnis zwischen Muslimen und
Nicht-Muslimen begründet liegen.
F. Kandil: Kann religiöse Erziehung zur besseren Integration beitragen? Zur Frage des IRU – Teil 1
Religiöse Orientierungsfragen junger
Muslime folgen in gewisser Weise auch dem medial vermittelten
Halbwissen. Das Bild vom Islam
als Ideologie schlägt auf die eigene
Anschauung, auch auf das Selbstbild durch. Einerseits muss im IRU
vermieden werden, den Islam zu
ideologisieren, andererseits muss
das thematisiert werden, da anders
eine Immunisierung gegen radikaler Verführer nicht gelingen kann.
Hiermit sind hohe Anforderungen
an die Lehrpläne und an die Lehrerbildung, aber auch an die fachliche
Aufsicht über den IRU impliziert.
Dem allen liegt gewissermaßen als
tragender Pfeiler die Überzeugung
zugrunde, dass die islamischen
theologischen Traditionen entsprechende Ansätze und Grundsätze
zu liefern imstande sind. Darum
soll es im zweiten Teil gehen.
2
Der Islamische
Religionsunterricht
ist in deutscher
Sprache zu halten.
Das dient nicht zuletzt
dazu, die religiöskulturelle Kommunikationsfähigkeit zu
fördern und somit dem
Dialog zwischen
Menschen eine solide
Basis zu verschaffen.
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Zu den Autoren
Harry Harun Behr, geboren 1962, ist
Inhaber der Professur für Islamische
Religionslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Er konvertierte 1980 zum Islam. Von
1993 bis 2005 war er in München im
Schuldienst tätig. 2005 promovierte
Behr zum Thema „Curriculum Islamunterricht“ an der Universität Bayreuth.
Sein Forschungsschwerpunkt liegt im
Bereich von Islam und Unterricht.
Rüdiger Braun, geboren 1968 in
Nürnberg, Studium der Islamwissenschaften, der Neueren Geschichte
und der Evangelischen Theologie in
Erlangen, Damaskus und Tübingen.
Fuad Kandil, geboren 1936 in Ägypten, Studium der Ingenieurs-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften,
Gründungsmitglied des heutigen interfakultären „Zentrum für Angewandte
Kulturwissenschaft und Studium
Generale“ an der Universität Karlsruhe;
Arbeitsschwerpunkt Entwicklungs-,
Religions- und Kultursoziologie.
Amin und Emel Rochdi, beide geboren 1983, studieren Lehramt für
die Realschule in Erlangen-Nürnberg.
Gleichzeitig erwerben sie ihr Zertifikat
für Islamischen Religionsunterricht am
Interdisziplinären Zentrum für Islamische Religionslehre. Ihre Forschungsinteressen liegen in der religiösen Sozialisation junger Muslime in Deutschland,
mit Schwerpunkt auf Jugendfragen.
Herausgegeben von
Harry Harun Behr
(v.i.S.d.P.)
Emel und Amin Rochdi
Interdisziplinäres Zentrum für
Islamische Religionslehre
an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg
Regensburger Straße 160
90478 Nürnberg
Telefon 0911 5302-607
www.izir.de
Satz und Layout:
Yasmine Behr
Vorschau
Geplante Themen in der nächsten Ausgabe der ZRLI
Unter anderem wird zu lesen sein:
Fortsetzung des Projekts KoraninterNeue Erkenntnisse aus dem Islamunpretation für das jüngere Lesealter, das
terricht an der Realschule, die Antwort
in Heft 1 vorgestellt wurde, Teil 2 des
einer muslimischen Stimme auf die
Beitrags von Fuad Kandil mit Details
Frage nach dem Ungläubigen, die
zum inhaltlich-theologischen und
Zu den Autoren • Vorschau • Impressum
religionspädagogischen Profil von Islamunterricht sowie Hinweise auf aktuelle Entwicklungen und Publikationen.
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unter der Voraussetzung erlaubt, dass Namen von
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gesetzlichen Schranken des Urheberrechts bleiben
hiervon unangetastet. Nähere Informationen unter
www.creativecommons.org
ISSN: 1864-6670
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