Gütersloh NR. 24, SAMSTAG/SONNTAG, 29./30. JANUAR 2011 GT6 100 Jahre Musikverein Avenwedde ¥ 100 Jahre Musikverein Avenwedde ¥ 100 Jahre Musikverein Avenwedde ¥ Schillerndwieein Regenbogen Thiemo Kraas schenkt dem Musikverein ein Werk VON MATTHIAS GANS ¥ Gütersloh-Avenwedde. „Ein Komponist in den eigenen Reihen, das ist schon etwas Besonderes“, sagt Raphael Tigges vom Vorstand des Avenwedder Musikvereins und blickt stolz und bewundernd auf Thiemo Kraas. Der 26-Jährige, Leiter des Jugendmusikkorps Avenwedde, hat dem Musikverein in der Tat ein besonderes Geschenk zu dessen 100. Geburtstag gemacht: ein eigenes Orchesterwerk. „Arcus“ heißt das neue Stück, das die schillernde Leuchtkraft des Regenbogens in Musik übersetzt. Es ist bereits die achte Orchesterkomposition des jungen Dirigenten. „Das Stück soll die unterschiedlichen Facetten des Musikvereins zeigen“, erklärt Kraas und meint auch die verschiedenen Funktionen des Ensembles etwa als Schützenfestkapelle oder als Konzertorchester. Komponist aus eigenen Reihen: Thiemo Kraas mit der Partitur seiFOTO: GANS nes Stücks „Arcus“. „Ich halte den Musikverein für sehr jung“, sagt Kraas und meint damit nicht nur den niedrigen Altersdurchschnitt, sondern auch das frische, auf die Zukunft gerichtete Denken seiner Mitglieder. „Ich wollte musikalisch ausdrücken, welches Potenzial im Musikverein liegt und was ihm neue Horizonte öffnen könnte.“ So ist das etwa sechsminütige Stück geprägt von verschiedenen Stilen – vom Impressionismus eines Debussy über die romantische Tonsprache bis zu Jazz und Funk. Und natürlich bekommen die Perkussionisten auch viel zu tun, da konnte sich der gelernte Schlagzeuger Kraas kaum verleugnen. Das Komponieren studiert Kraas in Detmold bei Siegfried Schmitt, Anregungen hat er sich aber auch in Meisterkursen bei renommierten Tonsetzern wie dem amerikanischen Komponisten James Barnes geholt. Wie bereits einige seiner anderen Stücke möchte Thiemo Kraas das Stück dem in BadenWürttemberg beheimateten Verlag Rundel anbieten. Da der Widmungsträger prominent über dem Titel abgedruckt würde, könnte die ganze Welt der symphonischen Blasmusik so von der Existenz des der Musikverein Avenwedde erfahren. Auftraggeber war Elmar Westerbarkey, der nun die seltene Gelegenheit schätzt, die Musik im engen Kontakt mit dem Komponisten einstudieren zu können, um es im Jubiläumskonzert uraufzuführen. Deshalb denkt Kraas auch nicht an eigene Aufführung mit seinem Orchester. „Das Stück ist ein Geschenk, es gehört dem Musikverein.“ Wahre Freunde Elmar Westerbarkey überrascht zum Jubiläum ¥ Gütersloh-Avenwedde (gans). Den „Frühlingsstimmen“ -Walzer zu spielen ist gar nicht so einfach. Da müssen nicht nur die Töne stimmen, die beherrscht der Musikverein längst. Das Stück muss atmen, lebendig werden. An dieser Atmosphäre dieses Strauss-Klassikers arbeitet Elmar Westerbarkey gerade. Dem 37-Jährigen geht es in den Proben um Phrasierungen, Betonungen, Klangfarben. „Ihr müsst den letzten Ton ein bisschen abfangen“, sagt der Dirigent und singt eine Melodie vor. „Den Rest macht die Stadthalle.“ Dort ist am Sonntag, 13. März, um 20 Uhr das Jubiläumskonzert. Und Westerbarkey möchte nicht nur, dass alles super klappt, sondern der Saal auch gut besucht sein wird. „Dann spielt es sich leichter.“ Das Programm ist deshalb kein Wiederaufwärmen von Althergebrachtem, sondern sorgfältig von Westerbarkey zusammen gestellt worden. Es soll die Bandbreite des Orchesters und der symphonischen Blasmusik zeigen. So werden traditionelle Konzertmärsche wie Fuciks „Florentinermarsch“ ebenso zu hören sein Swingmusik, alles in modernen Arrangements. „Phantom der Oper“ ist dabei Reminis- zenz an sein erstes Konzert vor sechs Jahren, als Westerbarkey den Musikverein übernahm. Der Dirigent ist ein Eigengewächs des Avenwedder Musikvereins. Hier machte er im Jugendmusikkorps seine ersten bläserischen Schritte auf der Trompete, bevor er sich zum Instrumentenmacher für Metallblas- und Schlagwerkinstrumente ausbilden ließ und Musik in Weimar und Jena studierte. Auch als Komponist wird sich Elmar Westerbarkey im Jubeljahr hervortun. Für den Festakt am Sonntag, 6. Februar, wird er im Theater seinen Jubiläumsmarsch nach den Motiven eines alten Volkslieds unter dem Titel „Wahre Freundschaft“ präsentieren. Damit dürfte zum Verhältnis zwischen Dirigent und Musikverein alles gesagt sein. Gibt nicht nur den Takt vor: Dirigent Elmar Westerbarkey hat auch das Programm zum Festkonzert sorgfältig zusammen gestellt. FOTO: GANS Gut gelaunt ins Jubeljahr: Dirigent Elmar Westerbarkey und der Musikverein Avenwedde proben fleißig fürs Festkonzert zum 100. Geburtstag des Orchesters. FOTO: MATTHIAS GANS VonderKapellezumOrchester Die Erfolgsgeschichte des Avenwedder Musikvereins VON ANETTE ISRINGHAUSEN ¥ Gütersloh-Avenwedde. Als neun junge Männer im Frühjahr 1911 den Musikverein Avenwedde gründeten, war ihnen vor allem eins wichtig: „Sich und anderen Kurzweil zu bereiten“. Mit der Kunst des Musizierens nahm man es nicht so genau. Notenlesen reichte. Hundert Jahre später legt der Musikverein höchsten Wert auf Professionalität. Eins ist aber geblieben: der Zusammenhalt untereinander und die feste Verankerung im gesellschaftlichen Leben des Ortsteils Avenwedde. Es fehlte den Mitgliedern damals nicht nur an einer musikalischen Ausbildung, sondern auch an Instrumenten. Von diesen Hindernissen offenbar unberührt, aber mit reichlich Idealismus und Lust an der Zerstreuung ausgestattet, hatte der junge Verein 1912 seinen ersten Auftritt – zum Geburtstag von Pfarrer Klemens Wien. Dieser soll die Konzertierenden nach dem Ständchen nachhaltig zu weiterem Üben angehalten haben. Ob der geistliche Rat befolgt wurde, ist nicht bekannt. Es fehlte sicher auch der rechte Mann an der Spitze. Der kam 1925 mit Leo Trendelberendt. Er schrieb ein Notenbuch mit Partituren aus Chorälen, Liedern und Konzertstücken, das, so heißt es in der Chronik der Musikvereins, von „echter Liebe zur Sache“ zeugte. Ein weiterer Fortschritt für das mittlerweile auf 27 Mann angewachsene Orchester: die Anschaffung von Kesselpauken 1929. Die gibt es übrigens heute noch. Zu Übungszwecken. Dirigent von 1927 bis Kriegsausbruch: Alfons Venjakob. Peinlich: Dirigent Peter Blomberg in Handschellen. Zu den Dirigenten, die das Orchester formten, gehörten später Alfons Venjakob und ab 1947 Peter Blomberg. Der ehemalige Militärmusiker leitete das Orchester 36 Jahre lang bis 1986 – mit musikalischem Sachverstand und hoher Disziplin, die er nur einmal vernachlässigte. Das Orchester war damals wie heute unverzichtbarer Bestandteil der Hubertus-Schützenfeste. Wie das heutige Ehrenmitglied Günter Poggenpohl erzählt, vergaß Blomberg ausgerechnet das montägliche Vogelschießen. Einmal und nie wieder. Denn Oberst Kurt Mennicken, mit Strenge und Humor gesegnet, ließ Blomberg zur Strafe vom Dorfsheriff Richard Wittenbrink in Handschellen aus seinem Schusterwerkstatt „abführen“ und vor den Augen der entsetzten Bevölkerung, die einen Gesetzesverstoß vermuteten, zum Festplatz bringen. Anfang der 60er Jahre plagten den Verein zwei Probleme: ein Stattliche Mannsbilder: Die Orchestermitglieder mit Blasinstrumenten, Pauke und Trommel im Jahr 1924. Fein gemacht für die Auszeichnung: Die Mitglieder, die den Verein 1911 mitgegründet hatten, wurden 1951 ausgezeichnet. fehlender Saal für Proben und Konzerte und der fehlende Nachwuchs. Das 50-jährige Jubiläumskonzert musste mangels Räumlichkeiten ausfallen. Der Nachwuchs musst zuhause bei Mitgliedern der Vereine ausgebildet werden, zum Teil sogar in örtlichen Handwerker-Werkstätten. Albert Füchtenkord hatte die rettende Idee: Das leerstehende Bauernhaus Altewischer sollte zum Probenraum umgebaut werden. Mit den Besit- zern, der Familie Burbach, wurde man sich schnell einig, so dass mit dem Umbau des Musikzentrums Anfang 1976 begonnen werden konnte. Die Einweihung des Musikzentrums Altewischer am 26. Februar 1977 darf als Meilenstein in der Vereinsgeschichte gelten. Hermann Kröger ist es zu verdanken, dass 1966 die Nachwuchsfrage geklärt wurde. Auf seine Initiative hin wurde das Jugendmusikkorps gegründet, in Dirigent von 1925 bis 1927: Leo Trendelberendt. dem heute 160 Jugendliche an allen Instrumenten ausgebildet werden. Mit Elmar Westerbarkey schloss sich 2004 erstmals ein Kreis. Er war der erste Dirigent des Musikvereins, der seine Ausbildung im Jugendmusikkorps begonnen hatte. Der Musikverein feiert sein Jubiläum mit einem Festakt im Theater am 6. Februar, einem Jubiläumskonzert am 13. März und einem Musikfest mit Gastorchestern am 3. September. DoppelterEinsatz Das Jugendmusikkorps reicht Andrea Poggenpohl (21) nicht – sie spielt auch im Musikverein ¥ Gütersloh-Avenwedde (ai). Andrea Pollmüller verbringt ihre Freizeit wahlweise im Probenraum, auf Schützenfesten und Weihnachtsmärkten, im Altenheim oder bei Vereinsfeiern. Ungewöhnlich für eine 21-Jährige. Nicht ganz ungewöhnlich für die Musiker des Musikvereins und des Jugendmusikkorps. Die junge Lehramtsstudentin ist ein Beispiel dafür, dass der Musikverein nicht nur ein Medium für die Verfeinerung der eigenen musikalischen Fertigkeiten ist. Er steht – ähnlich den Sportvereinen – für Gemeinschaftsgefühl und für Freizeitvergnügen. Andrea Poggenpohl spielt Kla- rinette, seit elf Jahren im Jugendmusikkorps und seit sechs Jahren zusätzlich im Musikverein. Eigentlich sollte sie dort nur „aushelfen“, weil eine Bassklarinette fehlte. Das Konzert hat ihr so viel Spaß gemacht, dass sie geblieben ist. Man habe sie vorbehaltlos aufgenommen, von Anfang an sei die Atmosphäre herzlich gewesen. Im Jugendmusikkorps trifft sie junge Menschen, im Musikverein auch ältere. Genau das schätzt sie. Dass sie im Sommer mitunter vier Konzerte am Wochenende hat, bei Schützenfesten von Freitag bis Montag mit dem Orchester zusammen ist, macht ihr nichts aus. Im Schon mal vier Konzerte am Wochenende: Macht nichts, auch die Gegenteil. „Dafür stehe ich auch Freundinnen von Andrea Poggenpohl spielen im Jugendmusikkorps. am Wochenende um acht Uhr morgens auf.“ Der Musikverein war jahrzehntelang eine Domäne der Männer. Erst Ende der 70er Jahre durften die ersten Mädchen und Frauen mitmusizieren. 2004, nach 93 Jahren ungebrochener Männerherrschaft, übernahm eine Frau, Sonja Ramsbrock, den Dirigentenstab Heute ist das Verhältnis der Geschlechter im Jugendmusikkorps und im Musikverein ausgewogen. Für Andrea Poggenpohl eine Selbstverständlichkeit. Alle ihre Freundinnen sind im Orchester. Schon allein das dürfte ein Grund sein, keine der Proben zu verpassen.