Das wird eine wichtige Woche

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PROFIL, 13.11.2006
„Das wird eine wichtige Woche“
Bundespräsident Heinz Fischer über Regierungsbildung, die beschränkte Macht des
Präsidenten und die Rolle seiner Tapetentür.
profil: Herr Bundespräsident, wieso werden Koalitionsverhandlungen in Österreich
eigentlich immer schwieriger?
Heinz Fischer: Weil die große Koalition in der Nachkriegszeit das Standardmodell
war. Sie wurde psychologisch verbunden mit dem Wiederaufbau nach 1945, mit dem
Staatsvertrag und mit der Unabhängigkeit des Landes. Klarerweise sind der großen
Koalition sehr positive Gefühle entgegengebracht worden. Die absolute Mehrheit der
ÖVP im Jahr 1966 hat 21 Jahre nach Kriegsende zum ersten Mal die große Koalition
beendet. Wenn eine Partei die absolute Mehrheit hat, wäre eine Koalition ja wirklich
unlogisch, das hat auch die Bevölkerung so gesehen - auch dann später, als die
SPÖ unter Kreisky dreimal hintereinander die absolute Mehrheit erzielt hat.
profil: Das ist alles lange her. Warum halten laut Umfragen die positiven Gefühle
gegenüber einer großen Koalition immer noch an?
Fischer: Sie haben sich seither zwar abgeschwächt, aber die große Koalition ist in
der Bevölkerung immer noch stark verankert. Sie gilt als Politik des gemeinsamen
Nenners.
profil: Ab wann ist es dann schwieriger geworden?
Fischer: Komplizierter wurde es ab den achtziger Jahren, als in den
Koalitionsverhandlungen nicht nur die Verteilung der Regierungsaufgaben - also die
Machtverteilung - verhandelt wurde, sondern in wachsendem Maße im Hintergrund
die Frage gestanden ist: Gibt es nicht auch Alternativen zur großen Koalition? Vor
allem die Entwicklung 1999/2000, als eine große Koalition nicht mehr zustande
gekommen ist, sondern die drittstärkste Partei die Führung der Regierung
übernommen hat, hat gezeigt, wie viele Varianten denkbar sind. Der Kitt, also die
Intention in Richtung einer großen Koalition, ist damit schwächer geworden.
profil: Gibt die Bundesverfassung dem Bundespräsidenten genügend Instrumente,
um diese immer verzwickteren Situationen zu meistern?
Fischer: Das beantworte ich mit Ja, weil wir eine parlamentarische Demokratie und
keine präsidiale Demokratie haben. Man kann natürlich ein Verfassungsmodell
entwerfen wie in Amerika oder in Frankreich, wo der Präsident gleichzeitig Chef der
Regierung ist. Aber das ist eine andere Konstruktion. Für eine parlamentarische
Demokratie, wie Österreich, sind die Befugnisse des Bundespräsidenten meiner
Meinung nach ausreichend. Sie sind stärker als die Befugnisse der Präsidenten in
vielen vergleichbaren mitteleuropäischen Ländern. Wenn der Bundespräsident noch
stärker in den Prozess der Regierungsbildung eingreifen würde, müsste er auch
stärker in die parteipolitische Arena treten. Aber im Spannungsfeld zwischen
Parlament und Regierung soll der Bundespräsident eine Position einnehmen, von
der aus nicht mit großen Spannungen belastete Kontakte zu allen politischen Kräften
möglich sind. Ich glaube, das ist der Grundgedanke unserer Bundesverfassung, und
an den halte ich mich auch. Ich komme damit gut zurecht.
profil: Aber viele Menschen erwarten einfach, dass Sie diese komplexen Probleme
mit einem Handstreich lösen ...
Fischer: ... wie Alexander der Große den Gordischen Knoten.
profil: Weil eben viele an die politische Allmacht des Bundespräsidenten glauben.
Fischer: Darum versuche ich auch, allen jenen, die mir schreiben: "Jetzt sprechen
Sie ein Machtwort und machen Sie endlich reinen Tisch", zu erklären, dass unserer
Bundesverfassung andere Gedanken zugrunde liegen. Dass der Bundespräsident
zwar im Fall eines wirklichen Staatsnotstandes energisch eingreifen kann und soll.
Aber ich betrachte die gegenwärtige Situation als weit von einem Staatsnotstand
entfernt. Ich übersehe dabei allerdings nicht, dass die Geduld der Bevölkerung nicht
unbegrenzt ist und dass wir in einem Zeitraum, den ich von Anfang an skizziert habe,
zu Ergebnissen kommen müssen. Daher wird die kommende Woche eine wichtige
Woche sein.
profil: Die den Bundespräsidenten betreffenden Passagen der Verfassung sind ja
erst auf Druck der Heimwehren bei einer Novelle im Jahr 1929 aufgenommen
worden. Merkt man das der Verfassung in der Praxis an?
Fischer: Die Verfassung von 1929 war ein Kompromiss. Die Philosophie der
Heimwehr und anderer Kräfte, die damals schon ins faschistische Italien geblickt
haben, war ein möglichst starker Staatschef. Die Sozialdemokraten haben ihre
Überlegungen in Richtung parlamentarischer Strukturen eingebracht, und als
Kompromiss ist ja der Bundespräsident in den meisten Entscheidungen an den
Konsens mit der Bundesregierung gebunden. Ich bekenne mich zu dieser
Verfassung, sie hat in der Zweiten Republik eine 60-jährige Bewährungsprobe
abgelegt. Sie ist modernisierungsbedürftig, was die sozialen Grundrechte betrifft, was
Verwaltungsgerichtsbarkeit betrifft, was vielleicht auch andere Bereiche des
Staatsaufbaues betrifft. Aber die Position des Bundespräsidenten würde auch bei
einer grundlegenden Überarbeitung der Verfassung nicht wesentlich geändert
werden.
profil: Viele meinen, das Land würde sich durch ein mehrheitsförderndes Wahlrecht
viel ersparen. Nie mehr Koalitionsverhandlungen - klingt das nicht verlockend?
Fischer: Ich befasse mich seit Jahrzehnten mit Wahlrechtsfragen und bin erst vor
wenigen Tagen von einem ausländischen Gast dazu befragt worden. Ich habe
gesagt: Wenn früher meine Präferenz für das Verhältniswahlrecht im Vergleich zum
Mehrheitswahlrecht 90:10 war, ist sie jetzt vielleicht auf 66:34 abgesunken. Weil ich
schon auch die Probleme des Verhältniswahlrechts, gerade bei der
Regierungsbildung, nicht übersehe. Aber der Grundsatz der Wahlgerechtigkeit hat
ebenfalls ein großes Gewicht. Das Wahlrecht hat ja wohl auch andere Aufgaben als
nur jene, die Regierungsbildung zu erleichtern. Der aus dem Amt geschiedene
Nationalratspräsident Andreas Khol, der etliche Verfassungsfragen anders beurteilt
als ich, hat in seiner letzten Rede dem Nationalrat das Verhältniswahlrecht mit dem
guten Argument ans Herz gelegt, Minderheiten sollten nicht aus dem Parlament auf
die Straße gedrängt werden. Es ist besser, Konflikte im Parlament auszutragen. Da
hat er Recht.
profil: Aber es gibt ja auch das Modell: Die stärkste Partei hat 50 Prozent der Sitze
plus einen weiteren, der Rest teilt sich auf diese anderen Parteien proportional auf.
Fischer: Nehmen Sie in diesem Fall nur folgendes Beispiel: Eine Partei hat 35
Prozent, eine andere 33 und eine dritte 31 Prozent: Dann kriegt die Partei mit 35
Prozent mehr als 50 Prozent der Sitze und bildet allein die Regierung. Und die
beiden anderen Parteien mit zusammen 64 Prozent der Stimmen dürfen nicht
miteinander regieren. Es würden künstlich 35 Prozent zur Mehrheit gemacht und 64
Prozent zur Minderheit. Das sind Gedanken, denen ich politisch nicht folgen kann.
Ich denke viel über diese Frage nach, aber wenn ich am Schluss einen Strich drunter
mache, dann kommt nicht die Befürwortung des Mehrheitswahlrechts heraus.
profil: Hätte Ihr Vorgänger Thomas Klestil bei der Regierungsbildung 1999/2000
etwas anders machen können?
Fischer: Warum sollte ich das jetzt öffentlich erörtern? Jedenfalls darf man die
Beurteilung der Vorgangsweise bei einer Regierungsbildung nicht auf den letzten
Tag oder auf das Gesicht bei der Angelobung reduzieren. Da spielt der ganze
vorhergehende Prozess eine große Rolle. Das ist wie bei einer Schachpartie: Wenn
am Schluss die Figuren eine bestimmte Stellung haben, waren die 23 Züge vorher
entscheidend dafür und nicht der allerletzte. Jede Regierungsbildung hat ihren
eigenen Ablauf, ihre eigene Handschrift. Ich halte das für eine faszinierende
Aufgabe.
profil: In diesen Tagen spielen Optik und Symbolik eine große Rolle. Wie Sie Ihre
Besucher bei der berühmten Tapetentüre hinausführen, ist wahrscheinlich gleich
wichtig wie das, was Sie danach sagen. Stört Sie das?
Fischer: Mir ist das bewusst. Aber wenn einen das ununterbrochen beschäftigt,
wenn man sich ununterbrochen fragt: "Lass ich jetzt meinen Gast links oder rechts
von mir gehen, wie schau ich drein und wo steht die ORF-Kamera?" - da hätte man
ein schweres Leben. Man soll so sein, wie man ist, und nicht, wie andere wollen,
dass man erscheint.
Interview: Herbert Lackner
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