Sprachlose Erklärung. Zum theoretischen Gebrauch musikalischer

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Sprachlose Erklärung
Zum theoretischen Gebrauch musikalischer Variationen in der
Anthropologie des Claude Levi-Strauss·
MARKUS ARNOLD
,•
Dies Lesen ist das älteste: das Lesen vor aller Sprache,
aus den Eingeweiden, den Sternen oder Tän zen.
Walter Benjamin
Eine Theorie des Denkens und der Wissenschaft, die zugleich beansprucht,
eine Theorie der abendländischen Musik zu sein, ist einer der zentralen, aber
dennoch meist nur fragmentarisch rezipierten Bestandteile der von Claude
Levi-Strauss begründeten strukturalen Anthropologie. Ein Grund hierfür
mag sein, daß er seine Theorie vor allem an einem Beispiel entfaltet hat, das
zwar ihm als Ethnologen nahelag, aber sowohl Wissenschaftstheoretikern als
auch Musikwissenschaftlern eher fern ist: anhand der Struktur von Mythen
südamerikanischer Stammeskulturen. Seine Thesen lassen sich jedoch in wenigen Sätzen zusammenfassen: Die St1uktur einer bestimmten Art von Musik
soll identisch sein mit der Struktur des Denkens. Jede Wissenschaft wäre als
Wissenschaft musikalischen Gesetzen unterworfen. Jede theoretische >Erklärung< eines Problems hätte die Form einer musikalischen Variatio n, einer
Sonate oder eine Fuge. - Um dies zu begründen, muß er eine ihrer wich tigsten Voraussetzungen plausibel machen: daß einer Erklänmg die Worte, in
denen sie gesprochen wird, als solche sekundär sind; daß Erklärungen auch
ohne Worte funktionieren. Andernfalls bliebe es zweifelhaft, ob die wortlose
Musik auch das Modell abgeben kann für die normalerweise der Sprache zugeschriebene Erklärungskraft wissenschaftlicher Theorien.
Das Verhältnis zwischen der Musik und dem wissenschaftlichen Denken wird
aber weiter kompliziert durch die Tatsache, daß es laut Levi-Strauss zwei Arten der Wissenschaft gibt: auf der einen Seite die modernen Wissenschaften
und auf der anderen die weit älteren mythisch-magischen Wissenschaften
mit ihrem »wilden Denken« (der pensee sauvage), ' wobei beide Wissenschaf-
t·
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tcn in einer gewissen Konkurrenz zueinander stehen. Eine Konkurrenz, die
sogar dai'.u gcl'ührl haben soll, daß - als im 17. Jahrhundert in Europa die
moderne Forrn der Wisscnscha[t über die mythische den Sieg davontrug - die
De nkweise der gesc hla genen mythischen Wissenschaft in der Musik Asyl suc hen rnuf~ lc , so dal~ die Kmnponisten damit begannen, in Tönen zu komponicn:: n, wie zuvor nur die Myth en in Worten dachten. Oder pointierter formuliert: Mil Joh ann Scb:\stian Bach hat. die europäische Musik gelernt, >wild< zu
cl t• nk\.!n. Dt~n11 vor » ihn~ r· musikalischen Genese existierten die Fonn >Fuge<
2
1111<.I. die Forrn >Sonnte< bereits in den Mylhen.« Mit diesem Modell der historisc hen En1wickl11n g rcchlfcrl.igt Lcvi-St.rauss seine Überzeugung, mit dem
Strukt urrnodcll der europäischen Musik auch die rnythische Denkweise südnrncrilwnisclier lndiancr deuten zu können.
Spricht er vornehmlich auch davon, »wie sehr die Musik dem Mythos
ühncll«, 1 so sind die Mythen für ihn aber doch in erster Linie eine Wissenschafl - die erste Wissenschaft, die die Menschen hatten. Dies muß bedacht
werden, wenn man seiner These nachgeht, daß mit der Erfindung der Fuge
im 17. Jahrhundert die europäische Musik das mythisch-magische Denken
übernahm, um diese Denkform in der Musik mit Richard Wagner zum Höhepunkt zu führen und mit Debussy wieder zu beenden. 4 Die Musik wird durch
die Übernahme des mythisch-magischen Denkens nicht literarisch, sondern
»wissenschaftlich«, sie übernimmt eine »Denkform« mitsamt ihrer Form des
»Argumentierens« und »Erklärens«. Das heißt aber auch: wenn Levi-Strauss
sich auf musikalische Formen beruft wie Fuge, Sonate oder (freie) Variation
eines Themas, um das Denken der Mythen zu erläutern, dann erklärt er das,
was Wissenschaft ist, durch Musik. Denn was er in den musikalischen Strukturen zu finden meint, sind die allgemeinen »Gesetze des Geistes«, die auch
die Gesetze der modernen Wissenschaft sind. 5 Aber wie argumentiert er dies?
Wissenschaft reduziert sich für ihn in ihrem theoretischen Teil auf die Herstellung von Ordnung. Diese Forderung nach Ordnung und Klassifikation iSt
die Grundlage jedes Denkens, denn erst eine Klassifizierung unserer Wahrnehmungen ermöglicht die Ausbildung eines >Gedächt:nisses< 6 und dessen,
was >Erfahrung< heißt: das systematische Sammeln und ordnen von Wahrnehmungen und Ereignissen. Es ist daher kein Zufall, daß die moderne Astronomie historisch auf den empirischen Erkenntnissen der Astrologie aufbauen
konnte. Ihre mythischen Klassifizierungen der Sternbilder waren zwar falsch,
aber sie waren dennoch die Voraussetzung für die systematische Erfassung
der Phänomene. Jede Klassifikation hat als solche ihren Wert, denn wie »immer eine Klassifizierung aussehen mag, sie ist besser als keine Klassifizierung. «7 Anthropologisch formuliert, heißt das: Der Mensch ist ein ldassifizierendes Lebewesen. Ohne klassifizierende Ordnungen könnte er sich weder in
seiner natürlichen Umwelt noch in seiner Gesellschaft orientieren. Das Be-
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dürfnis zu klassifizieren ist dem Menschen sogar wichtiger als das Bedürfnis,
seine Interessen durchzusetzen. Die Frage, was ein Ding ist, stellt sich ihm,
bevor er überhaupt nach dessen Nutzen fragen kann.
Aber ist das Klassifizieren auch aller Erkenntnis eigen, so lassen sich grob
vereinfacht zwei Strategien unterscheiden, wie die Nalur dem Denken erschlossen werden kann: orientiert sich die eine vorwiegend an der Sphäre des
Wahrnehmbaren und an der Einbildungskraft, so versucht die andere, sich
gerade von dieser zu lösen. Zwei Strategien, die den zwei A1tcn des wissenschaftlichen Denkens entsprechen. Denn die eine (die Mythologie) denkt in
Begriffen sinnlicher Eigenschaften so wie die andere (die moderne Wissenschaft) in abstrakten unsinnlichen Begriffen. Gemeinsam ist ihnen nur die
Struktur, ..während sie die Elemente, mit denen sie arbeiten, in jeweils anderen Regionen suchen. Nur indem er das Denken in dieser gemeinsamen
Struktur verankert, deren Elemente austauschbar sind, kann Levi-Strauss
Mythen, Musik und die modernen Wissenschaften in Beziehung zueinander
setzen. Denn nur weil die Mythen ihm als Versuch gelten, der »sinnlich wahrnehmbaren Welt in Begriffen des sinnlich Wahrnehmbaren« wissenschaftlich
habhaft zu werden, wird ihm die europäische Musik als Erbin dieser » Wissenschaft vom Konkreten« selbst zu einem Denken in Tönen. Anstall wie der
Mythos mit Begriffen von sinnlichen Eigenschaften zu denken, denkt. diese
Musik mit den sinnlichen Eigenschaften der Töne selbst. 8
Erinnert man sich an die vorsichtigen - aber dennoch umstrittenen - Versuche innerhalb der Musikwissenschaft, zumindest einige rudimentäre sprachliche Strukturen in der sprachlosen Musik zu entdecken, mit denen auch
reine Instrumentalmusik eine eindeutig kommunizierbare Bedeutung hätte,
das heißt: an die Versuche, instrumentale Musik zumindest als eine rudimentäre Abart eines sprachlichen Zeichensystems zu begreifen, so muß einen
die Umkehrung der Hierarchie überraschen: Musik nicht mff anhand des Modells der Sprache zu denken, sondern im Gegenteil die kornplexc argumentative sprachliche Struktur. der Wissenschaften anhand des Modells der instrumentalen Musik denken zu wollen, gibt der Musik einen weil höheren Stellenwert, als die meisten Musikwissenschaftler ihr normalerweise zugestehen.
Ist doch bis heute umstritten, ob Musik als solche überhaupt beanspruchen
kann, mehr zu sein als Eduard Hanslicks »tönend bewegte Formen«.
Doch bevor die Behauptung, es sei möglich, in Tönen zu denken, sinnvoll diskutiert werden kann, wäre zu klären, mit welcher Legitimalion das mythische
Denken beanspruchen darf, eine Wissenschaft zu sein.
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1. FORMEN DER ERKLÄRUNG:
WISSENSCHAFTLICHE VARIATIONEN
Als erfolgreiche Produkte mythisch-magischer Wissenschaft gelten LeviStrauss die »Wesentlichen Fertigkeiten der Zivilisation „: Töpferei, Weberei,
Landwirtschaft und Tierzucht. .„ Jede dieser Techniken setzt Jahrhunderte
aktiver und methodischer Beobachtungen voraus, kühne und kontrollierte
Hypothesen, die entweder verworfen oder mittels unermüdlich wiederholter
Experimente verifiziert werden.« 9 Doch was für eine Art Wissenschaft ist
dies? Welche Eigenschaften unterscheiden sie von den seit der Neuzeit entwickelten modernen Wissenschaften, und welche Eigenschaften berechtigen
uns überhaupt von .e iner Wissenschaft zu sprechen?
Nehmen wir eines der verbreitetsten zeitgenössischen Beispiele einer mythischen Wissenschaft: die Astrologie. Diese zeichnet sich - wie jedes mythische
Denken - dadurch aus, daß sie nicht an den Zufall glaubt. Der Mythos kann
nicht akzeptieren, daß. einige Dinge nichts müeinander zu tun haben: Die
Sterne sind bedeutsam, da ihre KonstelJalionen in irgendeiner Beziehung zu
den Ereignissen auf der Erde stehen müssen. Wenn jemand über die Treppe
stürzt und sich das Bein bricht, dann muß dies in den >Sternen stehen<. Zumindest die allgemeine Struktur der Ereignisse auf der Erde soll in den Sternen >lesbar< sein, sogar schon zu einem Zeitpunkt, bevor die Ereignisse stattgefunden haben. Doch wie geht die Astrologie dabei vor?
Auf der einen Seite haben wir die Ereignisse auf der Erde, zu denen der Unfall gehört, auf der anderen stehen die sich verändernden Konstellationen der
wahrnehmbaren Sterne am Himmel. Wie kann das eine nun zu einer Erklärung des anderen werden? Warum finden Menschen seit Jahrtausenden,
daß die scheinbar sinnlosen Ereignisse unseres Lebens mit der Astrologie erklärt werden können, das heißt: mit dem Verweis auf die per se ebenso sinnlosen Ereignisse am Sterncnhimmel? 10
Für Levi-Slrauss besteht eine »Erklärung« allein im Akt des Übersetzens. »Erklären« heißt im Grunde nur, ein gegebenes Thema in anderen Elementen variiert zu wiederholen. Die Astrologie konstituiert sich durch die Behauptung,
die Kons tellationen der Ereignisse auf der Erde seien übersetzbar in die zeitgleichen Konstellationen der Planeten und Sternbilder. Zusammen sollen
beide Variationen eines Themas sein: des Glücks beziehungsweise Unglücks
dieses einen Menschen. 11 Folgt man nun aufmerksam ihren Erklärungen, so
entdeckt man, daß es nicht darum gehen kann, etwas Sinnloses in etwas per
se Sinnvolles 7.u übersetzen, so daß der erklärende »Sinn« in dem Code beziehungsweise in der Theorie bestehen würde, in die das Problem übersetzt
wird. Die Astrologie als Theorie der Sternenkonstellationen ist als solche
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nicht sinnvoller oder wichtiger als das zu Erklärende. Beide erklären sich
gegenseitig, sie sind homolog. Die Astrologie erklärt zum Beispiel die Ereignisse durch die Konstellation der Sterne, will sie jedoch begründen, warum
eine bestimmte stellare Konstellation für einen Menschen ungünstig ist, so
kann sie letztenendes nur beispielhaft auf all jene Ereignisse verweisen, die
bei vergleichbaren Konstellationen bereits geschehen sind. Aber dieser Zirkel
ist kein Spezifikum der Astrologie, er findet sich letztlich in jeder Theorie.
Erklärungen lösen keine Probleme, sie rP.cllJ7.ieren ihre Anzahl. Nimmt man
jeden Bereich für sich wie etwa das gebrochene Bein und die Konstellation
der Sterne am 3. September 1996 und fragt nach dem Grund ihrer Existenz,
so hätte man zwei Probleme ohne Lösung. Die Astrologie schafft es nun, unter dem Stichwort des »Schicksals« die Identität der beiden Probleme zu behaupten. Der Erfolg besteht in der Reduktion: plötzlich schließen sich die
zwei Probleme zu einem einzigen zusammen. Die Befriedigung, die sie uns
wie jede Erklärung verschafft, ist somit eine ästhetische. Die chaotische Mannigfaltigkeit des Unerklärbaren schließt sich Schritt für Schritt (Erklänmg
für Erklärung) zu einer klar strukturierten Ordnung zusammen. Was wir als
Erklärung erleben und was uns so beruhigt, ist das scheinbare Wiedererkennen desselben Problems in anderen Bereichen; sie hat die Struktur einer Analogie, eines >Dies-Problem-ist-eigentlich-dasselbe-wie-Jenes< . 12
Die mythische Reduktion der Probleme verwandelt schrittweise die Probleme
selbst in ihre eigene Erklärung. Sie schließen sich zu einer kosmischen Ordnung zusammen, die scheinbar die Grundlage der Existenz aller Dinge ist.
Warum diese Ordnung existiert, weiß man zwar am Ende nicht, aber man ist
sich sicher: könnte man dieses eine Problem als letztes lösen, so wären mit
einem Schlag alle Probleme gelöst. 13 Da dies aber prinzipiell nicht möglich ist,
und für uns diese allgemeinste Ordnung das Höchste ist, was wir theoretisch
zu erreichen nur hoffen können, wird diese uns zur »heiligen Ordnung«. Sie
wird zum Gegenstand der Religion als »Offenbarung« des (unerfindJichert)
göttlichen Willens oder in anderen Worten: als unerreichbares Ideal einer
vollständigen theoretischen Erklärung der Welt wird sie zum Ziel der Philosophen und unter dem Stichwort einer »Weltformel« zum heimlichen Traum
der Wissenschaften. 14 Es ist der Traum von der vollkommenen Klassifikation
aller Klassifikationen, mit der wir alles in der Welt verstehen könnten, mit der
kein Ereignis - so gering es auch sei - sich dem Zugriff unseres Denkens entziehen könnte: wir würden mit ihr die Welt erkennen, wie sie ist. 15
Eine solche Klassifikation aller Klassifikationen könnte jedoch nicht die Eindeutigkeit eines einzigen Codes haben, der gleichsam als Metasprache von
den anderen Klassifikationen unterschieden wäre. Im Grunde besteht sie nur
in der Übersetzung aller Codes ineinander und entzieht sich selbst jeder eindeutigen Kodifizierung. Indem jeder einzelne Code prinzipiell übersetzbar
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sein soll in jeden anderen Code, entsteht jene den Mythen spezifische, fast
poetische Ambiguität. Zwischen allen Codes besteht eine m.etaphorische Beziehung. Es lä.ßt sich nicht mehr über eine Sache sprechen, ohne zugleich
über eine andere zu reden: Der astrologische Code redet explizit von Sternen
und ihren Konstellationen, verwendet sie aber als Metapher für die konkrete
Lebenssituation. 16 Innerhalb des Erklärungsmodells der Astrologie ist es nicht
mehr möglich über Sterne zu reden, ohne sofort an die schicksalhafte Lebenssituation der Menschen zu denken; aber man kann auch nicht mehr vom Leben der Menschen sprechen, ohne dabei im Geiste zugleich den Blick gegen
Himmel zu richten. 17
Im Mythos spiegelt sich jeder einzelne Code in jedem anderen wider. Die tröstende Fe$tStellung des Priesters am Grabe, der Verstorbene sei jetzt im Himmel, kann daher gezielt die mythische Ambiguität nutzen, um zugleich zu
versichern, der Tod des Verstorbenen sei schrecklich, aber auch, daß es keinen Grund gäbe, traurig zu sein, da es ihm >nun besser gehe< als in diesem
Leben. Möglich ist dies nur, da nach dem christlichen Mythos der Himmel
nicht nur für den Tod und das Grab steht, sondern zugleich auch für das Paradies und das Glück. Es ist diese Fähigkeit der mythischen Erklärung, ein
Wort als Kreuzungspunkt mehrerer Codes venvenden zu können, die sie so
unverzichtbar macht. Wie sonst könnte man dem Tod noch einen Sinn abgewinnen, wenn es nicht mehr möglich wäre, ihn durch wenige Übersetzungen
mit dem >wahren< Leben zu identifizieren?
Aber dennoch ist der Mythos auch eine funktionierende Wissenschaft. Denn
seine mythisch-magische »Sorge um eine erschöpfende Beobachtung und
eine systematische Bestandsaufnahme der Bezüge und Verbindungen kann
zuweilen zu guten wissenschaftlichen Ergebnissen führen: das ist der Fall bei
den Schwarzfuß-Indianern, die die Ankunft des Frühlings nach dem Entwicklungsstand des Fötus des Wisent diagnostizieren, den sie aus dem Bauch der
auf der Jagd getöteten weiblichen Tiere herausgenommen hatten. Diese erfoigreichen Diagnosen sind jedoch von den vielen anderen Bezügen gleicher Art,
die die Wissenschaft für illusorisch erklärt, nicht zu trennen.« 18
Die Differenz zur modernen Wissenschaft ist aber auch klar zu benennen:
diese beharrt auf einer Beschränkung und Parzellierung ihrer Erklärungen.
Im Gegensatz zu den mythisch-magischen Wissenschaften erkennt die neuzeitliche Wissenschaft an, daß nicht alles in alles übersetzbar ist. 19 Sie steht daher
unter dem Zwang, eigene Fachsprachen und Symbolsysteme zu erfinden, die
es erst ermöglichen, ihre Erklärungen auf bestimmte Bereiche einzuschränken, das heißt, um unterschiedliche Grade der Ähnlichkeit und der Differenz
bestimmen und als solche festhalten zu können. Nur die Erfindung neuer Begriffe - der Versuch, einen >epistemologischen Bruch< (Bachelard) herbeizuführen - schein t zu garantieren, nicht durch unfreiwillige Korrespondenzen
100
zur Alltagssprache unerwünschte Homologien zu anderen Bereichen zu produzieren. 20
Es ist der Mythos, der systematisch die Brüche ignoriert, also das, was einer
Reduktion der Probleme widersteht. Im Gegensatz zu den modernen Wissenschaften, die zufrieden sind, wenn sie Phänomene in die Sprache einer Theorie übersetzt haben, hat das mythische Denken elwas Manisches bis zur Erschöpfung: Es ist gezwungen, sich nie mil nur einer Antwort zufrieden zu geben, es muß jedes Problem sofort mit einem weiteren Problem idcntifiziP.n~n,
jeder erklärende Code wird durch einen weiteren Code erklärt. Denn nur so
läßt sich sein Anspruch aufrechterhalten, nicht bloß mit einem partiellen
Wissen zu arbeiten, sondern mit dem Wissen der kosmischen Ordnung selbst.
So erklärc=:n die Mythen nie zuwenig, sondern imme.r zu viel. Ihre Irrationalität besteht in einem Übermaß an Rationalem: dem Gewinn zahlloser Erklärungen steht der Verlust jeder Eindeutigkeit gegenüber.
Aber nicht nur in den mythischen, sondern auch in den modernen Wissenschaften bleiben die Übersetzungen den übersetzten Elementen nicht äußerlich: sie erweitern die jeweHige Bedeutung der Elemente durch weitere Eigenschaften, die sie an sich nicht hatten. Daher verändert sich auch unsere
Wahrnehmung der Dinge durch das in einer wissenschaftlichen Erklärung
geleistete Übersetzen aus einem Code in einen anderen. Der menschliche
Geist verändert das Material, er erzeugt den >Sinn<, die >Erklärung<. Nicht nur
am sprachlichen Material der Worte und Begriffe oder an den Dingen unserer
Erfahrung, sondern eben auch in den Tönen reiner Ins trumentalmusik. Was
sprachlich eine Metapher und real eine Analogie ist, wäre musikalisch eine
Variation. Jede musikalische Variation eines Themas hätle so die Form einer
Erklärung wie auch umgekehrt jede Erklärung die Form einer Variation.
Philosophisch hat dies weitreichende Konsequenzen: denn dies bedeutet
nichts anderes, als daß die Welt unserem Denken immer schon in musikalisch strukturierten Formen begegnet - sei es in der Form einer Fuge, einer
Sonate oder einer >freien Variation<. Es sind »geistige Zwänge« 21 , durch die
sich jede Erfahrung gleichsam a priori in >musikalischen< Formen strukturiert. Dies ist der Kern dessen, was Levi-Strauss selbst seinen »Kantianismus
ohne transzendentales Subjekt« genannt hat: Die musikalischen Fonnen
übernehmen in seiner Theorie die. Funktion der kantschen Kategorien; Erfahrung und Erkennen ist nur innerhalb dieser möglich. Jenseits dieser Formen
ist zwar die Welt, aber diese ist für uns ein blo.ßes Chaos, solange wir nicht
deren Kontinuum durch Einschnitte geistig strukturieren und auf diese
Weise mehrere Codes erzeugen, um diese dann in einem zweiten Schritt
durch Übersetzungen wieder zu einem Ganzen zusammenzuschließen.
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2. WORTLOSES DENKEN: MUSIKALISCHE VARJATIONEN
Wie der Mythos versucht, eine Einheit zwischen allen Strukturen dieser Welt
herzustellen, indem er jede einzelne als Varjation jeder anderen denkt, so versucht auch jede Fuge, eine Einheit zwischen allen Motiven herzustellen, indem sie - in ihrer einfachsten Form - aus einem Thema kontrapunktisch alle
anderen Gestalten systematisch erzeugt. Denn die mythische Tätigkeit ähnelt
ganz allgemein »dem, was man in der Musik >Durchführung< nennt.« 22
Begriffe wie >Variation< und >Durchführung< bezeichnen daher das, was die
europäische Musik in der Zeit zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert auszeichnet: in ihrer Form wird das Problem des Übersetzens selbst thematisch.
Mag auc~ ein musikalisches Thema zu Beginn nur die Darstellung eines
außermusikalischen Affektes beziehungsweise eines speziellen Pathos sein, so
wird es doch sogleich innerhalb des Werkes variiert. Das wiederholte Thema
wird zu einer Variation der vorhergehenden, es erzeugt auf diese Weise immer engere innermusikalische Verknüpfungen. In dieser Musik scheint die
»Übersetzung« sich allein innerhalb des Musikalischen zu vollziehen: Töne
werden in Töne übersetzt, kein anderer Code scheint nötig. Diese Musik kann
als >absolutes Kunstwerk< gehört werden, das heißt, so als ob sie Bedeutungen autonom erzeugt. 23
Hatte Levi-Strauss schon von den Mythen behauptet, daß nicht die Menschen
in Mythen denken, sondern daß es die Mythen selbst sind, die sich »in den
Menschen ohne deren Wissen denken«, so schreibt er diese Eigenschaft nun
auch der Musik zu. Denn in der Musik und im Mythos lassen sich »in der Tat
die gleiche Umkehrung der Beziehung zwischen Sender und Empfänger beobachten«, da es letztlich der Empfänger (der Hörer) ist, der sich durch die
Botschaft des sendenden Musikers »bezeichnet sieht: die Musik lebt sich in
mir, ich höre mich durch sie«. 24
Um dieses Theorem anhand des Mythos zu erklären, genügt es, auf unser Beispiel der Astrologie zurückzukommen: Ist erst der astrologische Übersetzungsmodus akzeptiert, Ereignisse in Sternenkonstellationen zu übertragen,
der die Astrologie als Disziplin konstituiert, »denken« die Sterne durch ihre
selbständigen Bewegungen, die systematisch immer neue Stemen-Konstellationen hervorbringen, ohne Hilfe der Menschen. Man könnte dies abtun als ein
Spezifikum der Astrologie, deren Irrtum gerade darin bestünde zu glauben,
das Denken an die Bewegungen der Sterne delegieren zu können. Doch jede
Kodifizierung besitzt ihre eigenen Zwänge und Gesetzmäßigkeiten, die der
einzelne nicht mehr selbst unter Kontrolle hat. 25
Aber welche Konsequenzen hat dies für ein Verständnis der Musik? Welchen
Sinn hat es, davon zu sprechen, daß Musik sich in mir lebt, daß ich mich
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selbst durch sie höre? Levi-Strauss denkt hier an eine bestimmte Form der
Musik. Denn die »Rolle als Ordner der Sensibilität kommt vor allem in der
Musik der Romantik mit Beethoven zum Durchbruch, der ihr einen unvergleichlichen Status verliehen hat; aber sie ist auch bei Mozart gegenwärtig
und taucht schon bei Bach auf. Das musikalische Vergnügen. isl hier das der
Seele, die aufgefordert wird, sich im Körper zu erkerznen.« 26 Gerade die Töne
dieser Musik sollen gegenüber unserem Körper und unserer Seele dieselbe
Funktion übernehmen, die in der Astrologie die Sterne gegP.n'ii hi:r den Ereignissen auf der Erde innehaben: So wie ich mich und mein Schicksal durch
die Sterne erkenne, so soll ich mich durch die Musik in meinem Körper erkennen. Das musikalische Vergnügen, das ich beim Hören einer Fuge von
Bach oder.einer Symphonie Beethovens empfinde, wäre in dieser Erkenntnisleistung begründet.
Doch seien wir genauer: Levi-Strauss scheint davon auszugehen, daß beim
Hören von Musik eine zweifache Übersetzung zwischen drei Codes stattfindet: Erstens werden die physiologischen Rhythmen unseres Körpers in musikalische übersetzt, denn »jeder Kontrapunkt räumt dem Herz- und Atmungsrhythmus den Platz eines stummen Parts ein.« 27 Die »physiologische Zeit«,
die »Zeit der Eingeweide«-, wie er sie nennt - wird übersetzt in eine musikalische. Wie in der Astrologie die Übersetzung in die Konstellation der Sterne
einem bloßen Faktum erst seinen >Sinn< ver]ieh, so verleihen die rhythmisch
strukturierten Formen der Musik den faktisch -vorhandenen physiologischen
Rhythmen des Hörers einen jeden einzelnen Rhythmus transzendierenden
Sinn. Indem ich dem Rhythmus meines Atems, meines Herzens oder der anderen physiologischen Funktionen in variierter Form in der Musik wiederzubegegnen scheine, verwandelt sich deren Charakter. Mein individueller
Rhythmus wird zur Repräsentanz von etwas Universellerem. Da er mir in der
Musik entgegenkommt, ist er scheinbar von mir losgelöst. Als Rhythmus weder meinem Atmen selbst noch den Tönen eindeutig zuordenbar, ist er autdnom geworden: ein Rhythmus, der sich sowohl in der Musik wie auch. in meinem Atmen zeigt, dessen Existenz aber von keinem der beiden mehr abhängig erscheint.
Zugleich aber findet eine zweite Übersetzung statt: nicht nur die physiologischen, sondern auch die psychischen Rhythmen sollen sich in der Musik wiederfinden. Denn - und hier wird der Bezug zur europäischen Form der musikalischen Variation und der >thematischen Arbeit< in Levi-Strauss' Konzept
besonders deutlich - die Musik spielt mit den periodischen Schwankungen
der »Gedächtnis- und Konzentrationsfähigkeit« 28 ihrer Hörer. Erst diese
zweite Übersetzung schließt die Kluft zwischen Körper und Seele (zwischen Natur und Kultur), so daß die Musik als Mittler zwischen beiden die Brücke bilden kann, um letztlich die Seele aufzufordern, »sich im Körper zu erkennen«.
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Die musikalischen Rhythmen spielen den Part eines vermittelnden dritten
Codes zwischen dem psychisch-seelischen und dem physiologisch-somatischen. Das Resultat ist die Erzeugung einer Körper, Musik und Seele umfassenden Ordnung, die allen drei zur sinnstiftenden >Erklärung< wird.
So abstrakt diese Theorie auch auf den ersten Blick anmuten mag, sie ermöglicht doch eine Erklärung von Phänomenen, die sonst nur rudimentär-psychologisch erfaßt werden: wie etwa die Lust am Tanzen, genauer noch: die
Lust am Tanzen in der Menge bei einem Konzert. Denn dieselbe sinnerzeu
gende Korrespondenz der Strukturen, wie sie zwischen der Musik und unserem Atemrhythmus besteht, läßt sich auch zwischen den Strukturen der Musik und den korrespondierenden Bewegungen eines Tänzers finden sowie
auch zwi.schen den Körperbewegungen einzelner Tänzer. Bei einem RockKonzert kommt es·etwa zu einer Vervielfältigung und somit Übersetzung der
Rhythmen in verschiedene Medien: Der Rhythmus der Musik, der erzeugt
wird durch die rhythmischen Bewegungen der Musiker an den Instrumenten,
findet seine Entsprechung in den Bewegungen der tanzenden Zuhörer; ergänzt wird dies noch durch die Herz- und Atemrhythmen aller Beteiligten.
Die wortlose Spiegelung und Übersetzung der rhythmischen Strukturen ineinander produziert ein System aller Rhythmen, das jeder einzelnen Bewegung der Tänzer einen >Sinne verleiht; einen Sinn, der nicht mit dem Text des
Liedes übereinstimmen muß, aber eine >Erklärung< und Rechtfertigung ist,
die uns das Geschehene wortlos als sinnvoll erleben läßt. Eine Sinnerzeugung
unterhalb der Worte und Begriffe der Sprache, weder einer sprachlichen
Rechtfertigung fähig noch bedürftig - und dennoch ist sie nicht irrational, da
sie aud1 als wortlose eine Form des Denkens bleibt.
Wenn Planetenbewegungen als wissenschaftlich-mythische Erklärung dienen
können für unser Leben, wie auch heute in den modernen Wissenschaften
computergenerierte Modelle oder Diagramme als Erklärungen dienen für das
Verhalten empirisch beobachteter Erscheinungen, so sind die Körperbewegungen Tanzender hierzu ebenso in der Lage. Der Tänzer bildet mit den strukturierten Bewegungen seines Körpers eine Art Kommentar zur Musik, sowie
die Musik einen Kommentar zu den Bewegungen der Tanzenden abgibt (und
jeder Tanzende mit seinen Bewegungen zu den Bewegungen der anderen Tanzenden). Zwischen ihnen allen entsteht gleichsam eine metaphorische Identität: sie werden alle zusammen zu »Variationen eines einzigen Themas«.
Die Lust, tanzend sich im Konzert mit anderen zur Gruppe zu vereinigen,
wäre in dieser Hinsicht vergleichuar mit der Lust eines Wissenschaftlers, dem
es gelingt, mit einer neuen Theorie mehrere ältere Probleme erklärend auf ein
einziges zu reduzieren. In beiden Fällen ist es eine universellere Ordnung, die
entsteht, und etwas bis dahin Einzelnes, Iso1iertes, einordnet in einen größeren >Sinnzusammenhang<. Ein Phänomen, das seit langem in der Armee bei
104
Paraden, Aufmärschen und beim Exerzieren genutzt wird, um den einzelnen
Soldaten in eine (militärisch-universellere) Ordnung zu integrieren. Der
Marschrhythmus wird gleichsam zur mythisch-universellen Ordnung der
Truppe; die keiner in Worte übersetzen, aber jeder Beteiligte körperlich als
Sinn erfahren kann. 29
Und so wie in einem Konzert die Musik eine Art Kommentar abgibt zu den
Bewegungen der Tänzer (und vice versa), so kann Musik auch einen Text
kommentieren: Richard Wagners Technik der Le1tmotivP. analysiert die mythische Struktur des Operntextes, indem sie die ihm zugrundeliegende Bedeutungsstruktur herausarbeitet beziehungsweise diese erzeugt. Nicht die
Sprache hat hier die Aufgabe, die Musik zu erklären, sondern die wortlose
Musik der:.Instrumente wird uns zur Erklärung der Worte und Handlungen
der Akteure. Die Musik denkt hier im vollen Sinne des Wortes den Text:' 0
Die Folgen sind so weitrekhend, wie für die an der Sprache und den Begriffen orientierte Philosophie überraschend: Worte sind offenbar dem Denken
sekundär, denken kann man in Tönen so guL wie in Sternenbewegungen. Die
Sprache bleibt zwar das elaborierteste Medium, aber es ist nur eines von vielen. Der ständige Bezug auf die Musik zur Erklärung des Denkens hat daher
vor allem den Zweck, die Rationalität des Denkens von. den. Worten zu lösen. 31
Nur so können wir die Tätigkeil des Geistes auch in unserer Erfahrung der
sprachlosen Dinge entdecken: Sprechen uns die Farben, Töne und Dinge
auch nicht (in ganzen Sätzen) an, so sind sie doch immer schon von unserer
Kultur »gedacht« und lassen sich jederzeit übersetzen in andere sinnliche
oder sprachliche Codes. - Nicht zufällig beruft sich Levi-Strauss immer wieder auf Baudelaire, der in den Fleurs du Mal von den T.Aläldern aus Symbolen
sprach, durch die der Mensch wandert, und die ihn beobachten mit vertrauten Blicken. 32
Jedes Handlungssegment, jede Pflanze am Weg und jeder Stern am Himmel,
die erwähnt werden, jeder Gegenstand, der Teil der mythischen Erzählung
ist, kann potentiell Teil eines symbolischen Codes sein. Oder wie im 12. Jahrhundert Hugo von St. Viktor als Interpretationsmaxime christlicher Theologie festhielt: Man darf nicht vergessen, »daß in der Rede Gottes nicht nur die
Wörte1~ sondern auch die Dinge eine Bedeutung haben«. 33 Eine im biblischen
Text erwähnte Taube bezeichnet daher nicht nur eine reale Taube, die an jenem Tag am Himmel gesehen wurde; die damals gesehene Taube hat selbst
eine Bedeutung und ist - wie alle anderen Dinge innerhalb der Heilsgeschichte auch - einem Wort vergleichbar in Gottes Offenbarungstext.
Es ist daher die Kultur beziehungsweise - was in diesem Fa11 dasselbe ist der Mythos, der allem einen Sinn gibt, der nichts dem Zufall überläßt, da er
nicht an den Zufall glaubt. So wie im Konzert jede kleinste Bewegung der
Tanzenden durch die Korrespondenz der verschiedensten Rhythmen ihren
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Sinn erhält und damit dem Zufall entzogen wird, so geschieht auch für den
Mythos nichts zufällig. Doch die Beseitigung des Zufalls beseitigt zugleich
auch die Zeit. - Womit die vielleicht berühmteste These Levi-Strauss' über
den Mythos und die Musik genannt wäre: die Behauptung, Musik und Mythos seien beide Apparate zur Beseitigung der Zeit, so daß wir gleichsam,
»Wenn wir Musik hören und während wir sie hören, eine Art Unsterblichkeit
erlangen«. 34
3. DIE BESEITIGUNG DER ZEIT:
G ES CHICHTSPHILOSO PHISCHE VARIATIONEN
Gerade p,olilische Theorien sind in ihrer Weise einer »mythischen Denkweise« verpflichtet. Dies hat Levi-Strauss vor allem gegenüber Jean-Paul
Sartre betont. In ihrem Disput ging es um die prinzipielle Frage, ob man aufklärerisch wie Sartre die Mythen politisch erklären oder ob man umgekehrt
die politischen Theorien der Geschichte selbst ethnologisch als europäische
Form des mythischen Denkens deuten soll. Levi-Strauss erklärte etwa: Bei
Sartre spiele »die Geschichte genau die Rolle eines Mythos«;35 um mit einem
kleinen Un tergriff zu ergänzen: »Gerade weil man alle diese Aspekte des
wilden Denkens in der Philosophie Sartres wiederfindet, scheint sie uns unfähig, es zu beurteilen: „. Für den Ethnologen dagegen stellt diese Philosophie (wie alle anderen) ein ethnographisches Dokument ersten Ranges dar,
dessen Untersuchung unerläßlich ist, will man die Mythologie unserer Zeit
begreifen.« 36 Doch - und dies ist wichtig - Geschichtsphilosophie verliert damit nicht unbedingt ihre Berechtigung. 31 Hier interessiert sie uns jedoch in erster Linie als Exempel zur Beantwortung der Frage: Wie wird in dieser »Mythologie unserer Zeit« die Zeit beseitigt? Und wieso ahmt die europäische
Musik dies in ihren Tönen nach?
Mythen nehmen meist ein historisches Ereignis und erheben dieses zu einem
Referenzmythos aller übrigen Ereignisse. Bei Sarlre ist das Ereignis die Französische Revolution, mit dem er die politisch-gesellschaftlichen Kämpfe seiner Zeit deutet. Alle zeitlich-diachronen Ereignisse kann er mit Hilfe dieser in
ein zusammenhängendes Bild verwandeln, an dem man sein Handeln orientieren soll. Der historische Zufall ist ausgeschaltet, da die Geschichte - trotz
aller Veränderungen seit dem 18. Jahrhundert - sich scheinbar noch immer
um dasselbe »Thema« gruppiert: Jeder politische Kampf gilt als Wiederholung beziehungsweise Fortsetzung des einen großen Kampfes der Französischen Revolution um »Freiheit«. 38 Musikalisch gesprochen, werden alle Ereignisse geschichtsphilosophisch als »Fuge« gehört, in der das »Thema«, die
Französische Revolution, zwar kontrapunktisch verwandelt, aber dennoch
106
bruchlos seine »Durchführung« durch alle Konflikte und politischen Stimmen bis zur Gegenwart erhälL. 39
Schon Walter Benjamin hat diese »Mythologisierung« des eigenen Ortes, an
dem man handelt, in seinen Thesen Über den Begriff der Geschichte aufgegriffen: Die zur Zeit der Französischen Revolution unter den Revolutionären beliebte Mode, sich als wiedererslandener römischer Republikaner in eine Toga
zu kleiden und sich als neuer Brutus feiern zu lassen, war ihm Modell einer
gelungenen »Erlösung« der Vergangenheit durch ein gegenwärtiges H ;.'lndeln.40 Anstatt wie die >Sozialdemokraten< in allem nur die Ankündigung
einer besseren Zukunft zu sehen, die der schlechten Gegenwart schon den
falschen Schein einer b esseren Welt verleiht, wären im Gegenwärtigen die
uneingel~sten Hoffnungen der Vergangenheit zu entdecken, um die Welt
gleichsam als revolutionäres Projekt einer noch ausstehenden Erlösung zu
begreifen. Die Selbstmythologisierung der französischen Revolutionäre wird
von ihm dabei nicht als Kleidermode denunziert, die Kleidermode wird Benjamin statl dessen zum Modell einer erfolgreichen Herstell ung eines politischen Raumes. Die Frage ist nicht, ob man sich verkleidet - das tun auch die
von ihm kritisierten >Sozialdemokraten<, wenn sie sich in Zeiten der politischen Niederlage gegen die Nationalsozialisten schon in die Kleider einer
nicht existenten, zukünftigen soziali stischen Gesellschaft kleiden - , die en tscheidende Frage ist, in wessen Kleider man sich politisch hüllt: Sind es die
Kleider vergangener beziehungsweise zukünftiger Sieger oder sind es die ihrer Opfer? In welche Traditionen stellt man sein Leben, mit welchen Referenzmythen codiert man seinen aktuellen Handlungsraum? Es sind solche
Entscheidungen, die uns gleichsam den historischen Takt schlagen bc7.iehungsweise das musikalische Thema vorgeben, als dessen Variation wir unser
Handeln erleben.
Der Zwang, die historische Gegenwart zu erklären, um in den Ereignissen
einen unsere Handlungen leitenden Sinn zu produzieren, läßt auch eine Po11tik, die sich explizit auf Geschichte beruft, geschichtslos werden. Dürfen auch
die historischen Akteure, die Ereignisse, die Orte und die Handlungen kommen und gehen, die zugrundeliegende (kosmisch-politische) Ordnung soll bestehen bleiben. Erst sie konstituiert die eigene politische Identität, erklärt,
wer man ist.
Das Problem ist dabei ein prinzipielles: Wir verstehen das Fremde erst, wenn
es uns gelungen ist, dieses als Variation eines uns Bekannten zu deuten, wenn
wir es letztlich integrieren können in eine unserer Klassifikationen. Nicht die
- unvermeidbare - Übertragung als solche ist daher zu kritisieren, ihre intelligente Wahl aber zu fordern. Welchen Vergleich man zieht, welche Klassifikation man wählt beziehungsweise neu entwickel t, entscheidet über die Qualität unseres Denkens und Handelns.
107
Die Referenzmythen und deren Akteure wechseln im Laufe der Zeit, doch die
Gegenwart bleibt erfüllt von »Wiedergängern«. 41 Die Politik und die Gesellschaft bleiben bemüht, die Geschichte als Fuge zu hören; denn das Thema
einer Fuge ist ein musikalischer Wiedergänger schlimmster Sorte. Die Fuge
mag das Thema drehen und wenden, wie sie will, auch in der Form der >Umkehrung<, des >Krebs< oder auch einer >Krebsumkehrung< bleibt das Thema
erhalten, kann nicht sterben und spinnt sich fort ohne Ende. Wir erkennen
uns erst durch diese in einer Vergangenheit wieder, in der wir selbst gar nicht
gelebt haben, die uns nur durch Geschichtsbücher oder auch Erzählungen
unserer Eltern bekannt ist. Durch »nationale« Mythen verleiben wir uns eine
fremde Vergangenheit ein, historische Zeit wird gleichsam zu unserer persönlichen. E~~st dies macht uns zu Trägern der Vergangenheit, zu Mitgliedern von
Institutionen, Nationen und Kulturen.42 Unsere eigene Geburt und sogar unser Tod hören auf, die Grenzen unseres Daseins zu sein. Die Institutionen leben nicht nur mit ihren mythischen Erzählungen in uns, mit gleicher Berechtigung kann man sagen, wir leben - solange diese existieren - in den Institutionen weiter auch nach unserem Tode. Denn sie sorgen dafür, daß unser Leben nichts anderes ist als eine Variation eines Themas, das schon existierte,
bevor es uns gab, und das vermutlich noch existieren wird, wenn wir längst
nicht mehr sind.
ANHANG
Christlich-europäische Mythologie
1. Theologie:
2. 'fiere:
3. Moral:
4. Kosmos:
5. Schicksal:
6. Astrologie:
7. Vertikale:
8. som.a tisch :
9. sexuell:
10. Gesellschaft:
11. Familie:
12. Erlösung:
Gott
Taube
Mensch
Lamm
verführbar
gut
HimmelErdeGlückIndifferenz
Sternkonstellellation A Sternkonstellation B
oben
Mitte
Kopf
Herz
askesebegabt
asexuell
Staat/K.önig
Kirche/Papst
Vater
Mutter
Jesus
Gottvater
13. Generationen: Großeltern
14. Rationalität: Vernunft
J5. Trinität:
Gottvater
Teufel
Schlange
böse
Hölle
Unglück
Sternkonstellation C
unten
Unterleib
Triebe/Sexualität
Volk
Kind
Maria
Vater/Mutter
Kinder
vernunftbegabtes Tier tierisch/vernunftlos
heilige Geist
Jesus
108
Diese 15 dreiteiligen Codes können als die stark vereinfachte Bedeutungsstruktur der
christlichen Mythologie genommen werden. Zu lesen wäre dieses Schema von oben
nach unten: So wie Gott zu Teufel (1. Code) steht Taube zu Schlange (2. Code) und das
Gute zum Bösen (3. Code) etc. - Während die Elemente wech seln, wird eine gemeinsame Struktur, die sich scheinbar »hinter« den einzelnen Codes verbirgt, sichtbar. Die
mythische Erzählung verwendet diese Codes nacheinander so, daß der Leser unwill kürlich die strukturelle Homologie erkennt: Wer die Bibel liest, hat bald - ohne daß
diP.s ni:iher erkli:irt werden miil\te - VF.rst1omden, daß eine Taube nicht hloß e ine Taube
ist, sondern auch Gottes Präsenz meint, während »Schlange« nur etwas Venverfliches
sein kann, das dem Teufel nahesteht. Jedes Element erhält aber seine Bedeutung nur
durch seine Stellung (und Beziehung) innerhalb des Codes, dessen Element es ist. Das
heißt:
dasse~be
Element kann zugleich Teil unterschiedlicher Codes sein, hat dann aber
auch immer unterschiedliche Bedeutungen (siehe z . B . die unterschiedliche Stellung
von »Vater« im 11. und im 13. Code oder die von »Jesus« im 12. und im 15.). Mit diesen Bedeutungsverschiebungen frei spielen zu können, ist Voraussetzung für eine mythische Erklärung der Welt. Nur weil sie sich die MögHchkeit offen hält, jedes in alles
zu übersetzen, um sich von Fall zu Fall für den geeignetsten Code zu e ntscheiden, gewinnt sie die Flexibilität ihrer Begriffe, die sie benötigt, um mit einem relativ begrenzten Satz an bedeutungstragenden Elementen in jeder Situation zurechtzukommen.
ANMERKUNGEN
' Diese Arbeit entstand dank der Unterstützung des österreichischen Fonds zur Förderung
wissenschaftlicher Forschung.
1
Zum Terminus des »wilden Denkens« siehe: Levi-Strauss, Claude.!: Das wilde Denken (frz.
Orig. La pensee sauvage, 1962). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973, S. 11-48.
2
Levi-Strauss, Claude / Eribon, Didier: Das Nahe und das Ferne (frz. Orig. 1988). Fischer,
Frankfurt am Main 1989, S. 257.
3
Levi-Strauss, Claude: Mythologica I (frz. Orig. 1964). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976;
s. 31.
4
Levi-Strauss, Claude: Mythologica IV (frz. Orig. 1971). Suhrkamp, Frankfurt am Main
1975, S. 765-767.
5
»Anstatt ... Magie und Wissenschaft als Gegensätze zu behandeln, wäre es besser, sie parallel zu setzen, als zwei Arten der Erkenntnis, die zwar hinsichtlich ihrer theoreLischen und
praktischen Ergebnisse ungleich sind (denn unter diesem Gesichtspunkt hat die Wissenschaft ohne Zwei fel mehr Erfolg als die Magie ... ),nicht aber bezüglich der Art der geistigen
Prozesse, die die Voraussetzung beider sind und sich weniger der Natur nach unterscheiden
als aufgrund der Erscheinungstypen, auf die sie sich beziehen.« (Levi-Strauss, Claude: Das
wilde Denken, a. a. 0„ S. 25.)
6
A. a. 0„ S. 28.
7
A. a. 0„ S. 21.
8
A. a. 0„ S. 27-29.
9
Als ein B~ispiel aus unserem Jahrhundert für diese mit dem mythischen Denken eng verbundene Methode der systematischen sinnlichen Klassifikation der Dinge und ihre Erfolge
109
zitiert Levi-Strauss einen Biologen: »Die Pflanzen, deren Blätter oder Stengel einen bitteren
Geschmack haben, werden auf den Philippinen allgemein gegen Magenschmerzen verwendet. Jede eingeführte Pflanze, die das gleiche Merkmal zeigt, wird sehr schnell ausprobiert.
Weil die meisten Einwohner der Philippinen beständig Experimente an Pflanzen machen,
lernen sie aufgrund der Kategorien ihrer eigenen Kultur schnell die Verwendungsmöglichkeiten der eingeführten Pflanzen kennen.« (A. a. 0., S. 26).
10
>Sinn< bzw. >Sinnlos< wird hier und im folgenden in einem alltagssprachlichen Sinne verwendet: Was >Sinn< hat, scheint Teil einer allgemeineren Ordnung zu sein, die als Rechtfertigung dient für dessen Existenz.
11
Siehe dazu den Anhang am Ende des Buchbeitrages!
12
Vgl. zur Wissenschaft als Analogie-Räsonieren: Breidbach, Olaf: Der Analogieschluß in. den
Natunvissenschaften oder die Fiktion des Realen. Athenäum, Frankfurt am Main 1987; sowie:
Knorr-Cetina, Karin: Die Fabrikation von Erkenntnis. Zur Anthropologie der Naturwissenschaften. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991.
13
Levi-Stra~ss führt b.ezeichnenderweise alle Gegensätze (Codes) auf einen einzigen zurück:
auf die von Leibniz und Heidegger formulierte metaphysische Frage, >Warum ist etwas und
nicht vielmehr nichts<, wenn er erklärt: »Der fundamentale Gegensatz, Erzeuger aller anderen, die in den Mythen wuchern „ . ist derselbe, den Hamlet in Form einer noch allzu leichtgläubigen Alternative ausspricht. Denn zwischen dem Sein und dem Nichtsein zu wählen,
ist nicht Sache des Menschen. „. [Er erzeugt], um ihren Gegensatz zu neutralisieren, eine
unbegrenzte Reihe weiterer binärer Gegensätze „., die, ohne jene erste Antinomie je aufzulösen, auf immer kleineren Stufenleitern sie nur reproduzieren und perpetuieren.« (LeviSti-auss, Claude: Mythologica VI. Suhrkamp, Frankfurt am Main, S. 817 .)
14
Vgl.: Levi-Strauss, Claude: Das wilde Denken, a. a. 0., S. 294.
15
Dies wäre eine Definition des Mythos: »Ein Mythos legt einen Raster vor, der nur durch
seine Konstruktionsregeln definiert werden kann. Dieser Raster ermöglicht es, einen Sinn
zu entziffern, nicht den Sinn des Mythos selbst, sondern alles übrigen: der Bilder der Welt,
der Gesellschaft, der Geschichte, die hinter der Bewußtseinsschwelle versteckt liegen, im
Verein mit den Fragen, die die Menschen sich dazu stellen. Die Intelligibilitätsmatrix, die
dc1· Mythos liefert, erlaubt es, sie zu einem kohärenten Ganzen zu verbinden.« (Levi-Strnuss,
Claude/ Eribon, Didier: Das Nahe und das Ferne, a. a. 0., S. 206).
16
Zu einer struktural-semiotischen Theorie der Metapher und dem auf ihr aufbauenden
Konzept einer »kulturellen Enzyklopädie« siehe auch: Eco, Umberto: Semiotik und Philosophie der Sprache. Wilhelm Fink Verlag, München 1985.
n /\lkin die sprachliche Benennung eines materiellen Faktums ist schon eine »Übers'etwng«, die Sinn erzeugt: »Beinbruch« klassifiziert das Faktum schon in mehrere Codes. Die
deskriptive Aussage »Mein Bein ist gebrochen« unterscheidet das Ereignis nicht nur von
»11ngcbrnclwncn Beinen«, sondern klassifiziert dieses zugleich als »Unglück« und
»S1:hme rz«, da diese zu den standardisierten Übersetzungen zählen, die unsere Kultur (und
Erfahrnng) hcreithlilt. Niemand käme auf die Idee, ernsthaft zu fragen: »Und ist es eine angenehme Erfahrung'?« Denn der Standard wird als kulturelles Wissen vorausgesetzt, so daß
nicht die Bcst1it ig11ng, sondern die Sistierung dieser Übersetzungen explizit begründet werden müglc.
18
Lcvi-Stra11ss, Claude: Das wilde Denken, a. a. 0., S. 22.
19
So ist auch·- vorlwrcitcl durch die scholastische Theorie der »zwei Wahrheiten« - eine der
historisch wichtigsten Ereignisse zur Freisetzung der modernen Wissenschaften die Festlegung gewesen, daf~ die wissenschaftliche Astronomie und die wissenschaftliche Bestimmung des Alters der Erde und ihrer Lebewesen nichts mit den theologischen Aussagen der
Bibel zu demselben Thema zu tun haben: was nichts anderes heißt, als daß - in1 Gegensatz
110
zu früher - wissenschaftliche Aussagen nicht mehr in theologische »übersetzbar« sind. Die
Wissenschaft ist so frei geworden in ihrer Theorieb ildung, sie muß nicht mehr berücksichtigen, welche unenvünschten Konsequenzen eine neue astronomische Theorie inn erhalb des
»theologischen Codes« hat.
20
Vgl.: Crombie, Alistair C.: The Language of Sciencc. In: ders.: Science, Art, and Nalure in
Medieval and Modem 1110ught. The Hambledon Press, London 1996, S. 441 f.; ich spreche
bewußt vom Versuch, einen epistemologischen Bruch herbeizuführen, da die neuere Diskussion den >Bruch<selbst eher als eine rhetorische Strategie der Distanzierung beschreibt, die
durch die sozialen Kontexte, in denen wissenschaftliche Forschung geschieht, unterlaufen
wird: allein die Notwendigkeit, sich die ökonom ischen und institutionellen Ressourcen für
die Forschung zu sichern, zwingt die Wissenschaftler, selbst wieder Übersetzungen in die
Alltagssprache der Politik, der Wirtschaft und der Medien 7.U produzieren.
21
Levi-Strauss, Claude: Myth.ologica !, a. a. 0„ S. 24.
22
Levi-Strauss, Claude: Von der mythischen Möglichkeit wr sozialen Existenz. In: ders.: Der
Blick aus der:··Ferne. Fis~her (frz. Orig. 1984). Frankfurt am Main 1994, S. 260 f. (L6viStrauss arbeitet an dieser Stelle auch extensiv mit der akusti schen Metaphorik de1· >Resonanz<, um das Verhältnis zwischen den verschiedenen Codes in den Mythen zu beschreiben.)
zJ Scheinbar steht Levi-Strauss dieser Position nahe, wenn er betont: Auch »wenn man stets
„. eine Melodie in eine andere Melodie, eine Musik in eine andere Musik übertragen kann,
wie auch im Fall der Mythologie, so läßt sich die Musik doch nicht in etwas anderes als sie
selbst übersetzen, falls man nicht im hermeneutischen Geschwtitz der alten Mythographie
und allzu oft der Musikkritik dahindämmern will « (Levi-Strauss, Claude: Mythologica IV, a.
a. 0 ., S. 758). Doch weist er s trikt die Vorstellung einer reinen >absoluten Musik< w rück, die
von jeder außermusikalischen Assoziation freigehalten werden soll, wenn er - sich auf Baudelaires Wagnerinterpretation stützend - vom Hörer eines Musikstückes erwartet, den musikalischen >Sinn< beim Hören »metaphorisch« zu erzeugen, da sich in der Musik der Sinn
nur durch »die Wucherung einer globalen metaphorischen Bedeutung um das Werk« herstellt, d. h. durch ein Übersetzen der musikalischen Struktur in andere Codes (a. a. 0„ S.
760 f) . Denn das Besondere a n ihr ist, daß (im Gegensatz zu den Farben) »die Welt der
Klänge weitgehend der Metapher offensteht: >Die langen Seufzer der Geige - des Herbstes<,
>die Klarinette, sie ist die geliebte Frau< etc.« (siehe auch: Levi-Strauss, Claude : Mythologica
!, a. a. 0., S. 39, sowie ders. über Baudelaire, a. a. 0. , S. 45 f.)
24
L6vi-Strauss, Claude: Myth.ologica /, a. a. 0., S. 26 u. S. 33.
25
Auch wenn es Differenzen gibt: die abstrakten Begriffe der modernen Wissenschaft sind·
weit besser vom Menschen kontrollierbar als der in sinnlichen Codes denkende Mythos.
Sterne haben wie alles Wahrnehmbare eine weit stärkere Eigendynamik als die speziell zur
menschlichen Handhabung entwickelten Begriffe und Entitäten moderner wissenschaftlicher Theorien.
26
Levi-Strauss, Claude: Mythologica IV, a. a. 0„ S. 770.
27
Levi-Strauss, Claude: Mythologica 1, a. a. 0„ S. 32.
28
A. a. 0„ S. 31.
29
Vgl. hierzu vom Militärhistoriker McNeill, William H.: Keeping togeth.er in Ti111e. /)1111c1•
and Drill in Human History. Harvard University P ress, Cambridge 1995. Wobei Lcvi-S1 muss'
Theorie des Denkens im Sinnlichen es ermöglicht, die von McNeill beschriebenen l'h:1
nomene ohne Rückgriffe auf die Verhaltensbiologie - wie dieser es versucht - zu erkliir~·11.
(Für den Hinweis auf diese Arbeit danke ich Wolfgang Pircher.)
30
Richard Wagner kann daher zum »unabweisbaren Vater der strukturalen J\nulysc der My-
111
then« erhoben werden, denn die Analyse der Mythen wurde »Zuerst in der Musikvorgenommen(< (Levi-Strauss, Claude: Myth.ologica !, a. a. 0., S. 30).
31
Es ging ihm immer um den »Versuch, die in der westlichen Philosophie klassisch gewordene Opposition von Sensiblem und Intelligiblem zu übernrinden.« Es gehe ihm darum, mit
»dem Begriff des Zeichens ... , auf der Ebene des Intelligiblen und nicht mehr nur des Sinnlichen die sekundären Qualitäten mit der Wahrheit in Verbindung zu bringen. Diese Suche
nach einem Mittelweg zwischen der Tätigkeit des logischen Denkens und der ästhetischen
Wahrnehmung mußte sich ganz natürlich vom Beispiel der Musik beeinflussen lassen, die
dies seit jeher praktiziert hat.« (Levi-Strauss / Eribon: Das Nahe und das Ferne, a. a. 0., S.
161; vgl. auch: Levi-Strauss: Mythologica !, a. a. 0., S. 28 f.)
32
Baudelaire, Charles: Correspondances. ln: ders.: Sämtliche Werke . Band 3. (Hrsg. v. Kemp,
F. I Pichois, C.). Carl Hanser, München/ Wien 1975, S. 68; Baudelaire zitiert diese Zeilen
selbst in seinem >Richard Wagner et Tannhäuser a Paris<, der für Levi-Strauss eine zentrale
Bedeutung hat.
33
Quod in divino eloquio non lanlwn verba, sed etiam res significare haben!. (St. Viktor,
Hugo von: Didascalico1~ (1127). Hrsg. u. übersetzt v. Thilo Offergeld. Herder, Freiburg u. a.
1997, Lib. V, Cap. 3.)
34
Levi-Strauss, Claude: Mythologica !, a. a. 0 ., S. 31.
35
Levi-Strauss, Claude: Das wilde Denken, a. a. 0 ., S. 292.
36
A. a. 0., S. 287.
37
Die Geschichtsphilosophie selbst, die meist eine historische Entwicklung vom Mythos
zum Logos konstruieren will, erlebt die Kennzeichnung, selbst eine „mythische Denkform«
zu sein, als Diffamierung. Denn für sie ist der Mythos das, was historisch überwunden ist
bzw. sein sollte. Aus der Sicht des Ethnologen jedoch sind Mythen als kulturell konstruierte
Erzählungen zwar nicht »Wahr«, aber sie sind anerkannt als notwendig, da ohne diese keine
Gesellschaft funktionieren könnte (a. a. 0., S. 294).
38
Vgl. zur Übersetzung des Diachronen in Synchronie: a. a. 0., S. 269-274.
39
Die Französische .Revolution ist der Referenzmythos des modernen Frankreichs. Für
Deutschland ist es u. a. der Begriff der »verspäteten Nation«, der die historische Nationswerdung Frankreichs (des »Westen«) zum Referenzmythos erhebt. - Die meisten Fortschrittstheorien haben diese Form. Doch es gibt auch für Levi-Strauss eine legitime Form,
von Fortschritt zu sprechen: als Fortschritt des Bewußtseins (Levi-Strauss, Claude: Mythologica VI, a. a. 0., S. 808).
40
Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte. In: clers.: Illwninationen (= Ausgewählte Schriften 1). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, S. 251-261.
•
41
Vgl. als ein - in erster Linie abschreckendes - Beispiel, warum z.1 B. Hitler nicht sterben
kann und zum Wiedergänger wird wie 1991 im Zuge des Golfkrieges der Kampf gegen den
Nationalsozialismus über Bagdad wiederaufgenommen werden mußte, als hätte sich seit
1939 trotz aller Veränderung nichts wirklich verändert: Enzensberger, Hans Magnus: Hitlers Wiedergänger. In: Der Spiegel. Nr. 6 ( 4. 2. 1991 ), S. 26-28.
42
Vgl.: Douglas, Mary: Wie Institutionen denken? Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991; jede
>Kultur< gleicht so einem Musikstück. Aber weit davon entfernt, die Kulturen gegeneinander
abzuschließen, eröffnet das musikalische Modell Levi-Strauss die Möglichkeit zwischen den
einzelnen Kulturen selbst nach >Transformationsregelrn zu suchen, die wiederum jede Kultur als Variation einer anderen Kultur verstehbar machen. Denn letztlich sind alle Kulturen
nur realisierte Varianten einer einzigen musikalischen Struktur: der bedeutungskonstituierenden binären Opposition als der einfachsten Struktur allen menschlichen Denkens.
Bedeutung?
Für eine transdisziplinäre Semiotik
HERAUSGEGEBEN VON
„
EVA WANIEK
TURIA + KANT
Wien
.·
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Bedeutung?: für eine transdisziplinäre Semiotik/
hrsg. von Eva Waniek. - - Wien : Turia und Kant, 2000
ISBN 3-85132-239-8
NE: Waniek, Eva [Hrsg.]
Publiziert mit Unterstützung des Bundesminsteriums
für Wissenschaft und Verkehr incl Wien
©Verlag Turia + Kant, 2000
ISBN 3-85132-239-8
Inhalt
EVA WANIEK
Was bedeutet Bedeutung?
Beiträge zu einer transdisziplinären Semiotik
„ „ „ . „ .... „ „ .. „ .. „ „ „ „ ... „ „ „ ..
9
,•
1. TRADITIONEN UND DEFINITIONEN VON
21
BEDEUTUNGSBEGRIFFEN
HANS SLUGA
Was »Bedeutung« bedeutet. Frege, Russell und Willgenstein zu
einem (?) Begriff ......................... „ ......................... „ „ . „ ...... „ .. „ ..... „. „ „ .... 23
TANIA EDEN
I ntentionali tät und Sinn. Husserls Weg zwischen den Fronten ... .... „
„
36
ACHIM STEPHAN
Psychoanalytische Bedeutungshypothesen
„. „ „ •. „ ...... „. „ .. „ .. „ ......... „ .....
52
„ „ „ . „ „ ... „ . „ .. „ .... „ .. „ ... „ „ ...... „.
$2
ROBERT TANZMEISTER
Von der Wortsemantik zur Textsemantik
EVA WANIEK
Zur Unterscheidung einer referentiellen und differentiellen
Bedeutungsauffassung am Beispiel Gottlob Freges und Ferdinand
de Saussures .............. „ ............ „ ..•..•......•••••••••••• „ ...................... „ ............... 76
MARKUS ARNOLD
Sprachlose Erklärung. Zum theoretischen Gebrau.c h musikalischer
Variationen in der Anthropologie des Claude Levi-Strauss .„ ... „ .... „ .... „ 94
HANS-DIETER BAHR
Über den Humor der Metaphysik - oder: die Kunst eines gewissen
Freiherrn von Münchhausen „ „ . „ „ „ „ . „ . „ „ . „ . „ „ „ „ „ „ „ „ „ . „ „ „ „ „ „ . „ „ „ „ . 112
2. KULTUR - NATUR - TECHNIK: BEDEUTUNG IN DER
123
GEGENWÄRTIGEN THEORIEBILDUNG
FRANZ M. WIMMER
Was bedeuten Kulturen für das Philosophieren?
„„„„„.„„„„„„„.„„„„
125
ELMAR ffOLENSTElN
Natürliche und künstliche Kommunikationspartner
„ „ . „ . „ . „ „ „ .. „ „ . „ „
140
WOLFGANG PIRCHER
Geheime Bedeutung. Über das Verschlüsseln von Nachrichten
„„„.„„
155
PETER MOESCHL
Die Einschreibung des Körpers. Leibliches Deuten in der Entgegnung von
Sprache und Körper „ . „ . „ . „ . „ „ .... „ • .....• • . „ •••• „ . „ .• „ •.•• „ •...•.•••••...•.. •.•• ..•. ... 164
ULRIKE KADI
Von der Mutterbrustimago zum Gesetz der Mutter. Aspekte der
Bedeutung bei Jacques Lacan „ „ . „ „ . „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ . „ „ „ „ „ „ . „ „ „ . „ „ „ „ 182
3. BEDEUTUNG IN DER ÄSTHETISCHEN WAHRNEHMUNG
191
UND IM KÜNSTLERISCHEN VERFAHREN
HUGH J. SILVERMAN
Postmodernismus und Film. Pulping Fiction mit Eco und Derrida
„„
193
„.
211
WALTER PAMMINGER
Layout und Philosophie. Zur Körpersprache philosophischer Texte
FELIX PHILIPP INGOLD
Just Make Sense. Gegen Bedeutung
„ „ „ „ „ „ „ „ .. „ „ „ „ „ „ . „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „
243
FERDINAND SCHMATZ
Dichte ich in Worten, wenn ich denke?
„. „ „ „ . „ „ „ .. „ „ „ „ „ „ „ . „ .. „ „ „ „ „ „ .
256
„ ..... „ .. „ „ ..... . „ .. „ ........... „ „ .. „. „ „ ...... „ ... „ .. „ ........ „ .•.... „ ..... . . .
263
FERDINAND SCHMATZ
Pro Domo . „
MARTIN ARNOLD
»Wid~r-Holung«.
Zum Umschreiben von Bedeutung im Film
„„„„„„.
267
„.„„„„.„. „ „„„„.„. „„.„„„„„.„ .„„„ „.„„„„
272
BURKHARD STANGL
Und der Ganges bleibt stehen
Quellen
„ „ „ ..... „ . „ . „ „ „ ... „ „.„ ..... „ ....... „ ........ „ ..... „ „ ... „ ... „. „ ... „ .. „ ...... „ ...... . ...
Autorinnen/ Autoren . „
..... „ ... „ ..... „ ...... „ „ „ ........ „ .. „ ... .. . „ „ .... „ . „ ...... „ „ „ .. „
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