Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Volker Bernius Wissenswert Religion und Popmusik (1) I Say A Little Prayer – Die Ursprünge der Popmusik im Gospel Von Klaus Walter 22.03.2010, 08.30 Uhr, hr2-kultur Sprecherin: Sprecher: 10-039 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Golden Gate Quartet When the saints go marchin in 00-0.23 Seite 2 Am Anfang war der Gospel. Vieles von dem, was wir heute an angloamerikanischer Popmusik kennen, hat seinen Ursprung in den Kirchen des schwarzen Amerika. Gospel bedeutet eigentlich „gute Nachricht“ und bezeichnet später die göttliche Botschaft. Und die wird in schwarzen Kirchen selten ohne Musik verkündet. Deswegen setzt sich Gospel als allgemeine Bezeichnung für die christliche afroamerikanische Musik durch. Viele Gospelsongs werden so pop-ulär, dass sie regelrechte Popsongs werden, schließlich kommt Pop von populär. In diesem Prozess werden sie manchmal von ihrem religiösen Inhalt entkoppelt. Man vergißt quasi beim Singen, dass man von Gott singt, von Jesus, von der Religion. Und von den Heiligen, die da einmarschieren. 1.00 Golden Gate Quartet When the saints go marchin in (Refrain) 0.10 When the saints go marchin in, hier in einer sehr populären Version des Golden Gate Quartet. Der Song kommt eigentlich aus der Kirche, hat aber längst die Jazzfrühschoppen und die großen Konzertsäle dieser Welt erobert. Und die Massenmedien. Durch die Popularisierung verflüchtigt sich die religiöse Botschaft. Das Lied geht gewissermaßen den Weg alles Irdischen, es wird profan, es wird Entertainment, es wird Pop. Dabei erzählt der Gospel eigentlich vom wirklichen Leben, vom schweren Schicksal, von den Nöten und den Sorgen des Alltags. Louis Armstrong 0.30/1.40 Nobody knows the trouble I´ve seen 0.15 Niemand kennt das Elend, das ich erlebt habe, niemand, außer Jesus. Glory Hallelujah. Im schwarzen Amerika kennt jedes Kind dieses Lied, die populärste Version stammt von Louis Armstrong. „Nobody knows the trouble I´ve seen” ist ein Klagelied. Beklagt wird das Leid und das Elend auf Erden, Erlösung verspricht Jesus. „Nobody knows the trouble I´ve seen” ist ein Spiritual. Ein Klagelied, das von leidvollen und schmerzhaften Erfahrungen Seite 3 erzählt. Erfahrungen, die viele Menschen teilen können. Weswegen viele Menschen diese Klagelieder anstimmen. Immer wieder. 0.35/2.30 Staple Singers Nobody knows the trouble I´ve seen 0.15 „Nobody knows the trouble I´ve seen”, hier in der Version der Staple Singers, ist ein Spiritual. Ursprünglich heißt diese musikalische Gattung“Negro Spiritual”. Der Negro ist inzwischen verschwunden. Negro, also Neger, ist inzwischen ein Schimpfwort. Als Negro, als Neger werden Amerikaner afrikanischer Herkunft nur noch in diskriminierender und herabsetzender Absicht bezeichnet. Also reden wir vom Spiritual und nicht vom “Negro Spiritual”. Und gehen zurück ins 17.Jahrhundert. Die USA zur Zeit der Sklaverei. Spirituals und Gospels – das sind die Klagelieder der versklavten Afrikaner und ihrer Nachkommen. Die Lieder erzählen vom Leben geschlagener, geschundener und misshandelter Menschen und von ihrer Hoffnung auf Erlösung durch Gott. Und von ihrem Glauben an Gott. Viele Texte gehen zurück auf die Bibel. 0.50/3.35 Sprecher: Rappe Seite 34 „Im Gospel – gemeint, etc (bitte „und so weiter“ sagen.) 0.30 So der Musikforscher Michael Rappe. Spirituals also sind Klagelieder und Lieder der Trauer. Betrauert werden verlorene Angehörige, Menschen, die bei der Verschleppung aus Afrika zu Tausenden umkommen, im Atlantik, dem Black Atlantic, wie er auch genannt wird. Ein immer wiederkehrendes Motiv der Spirituals ist das Kind, das seine Eltern verloren hat. Das Gefühl, ein mutterloses Kind zu sein…0.20/4.25 Seite 4 Ritchie Havens Motherless Child (2.10 - 2.32 sometimes I feel…) Das Gefühl, ein mutterloses Kind zu sein…diese afroamerikanische UrErfahrung aus der Zeit der Sklaverei lebt bis in die Gegenwart fort, sie ist ein zentrales Motiv der mündlichen Überlieferung, der oral history. Jeder schwarze Amerikaner, jede schwarze Amerikanerin kennt das Gefühl, ohne Mutter oder ohne Vater leben zu müssen – von den eigenen Vorfahren. Im August 1969 besingt der schwarze Folksänger Ritchie Havens diese afroamerikanische Urszene beim bis dahin größten Rockfestival der Geschichte. Vor vierhunderttausend überwiegend weißen Zuschauern singt Ritchie Havens in Woodstock von dem Gefühl, ein mutterloses Kind zu sein…0.40/5.25 Ritchie Havens Motherless Child (0.10) ...und Havens beschwört die Freiheit. Ritchie Havens Motherless Child (2.50 – 3.05 Freedom...) Die Urszene der afroamerikanischen Erfahrung ist die Unfreiheit, die Sklaverei. In der Sklaverei entstehen religiöse Lieder, die von dieser Erfahrung erzählen. Und religiöse Lieder, die von der Freiheit künden, eine Freiheit, die nur von Gott kommen kann. Wie das Gefühl, ein mutterloses Kind zu sein so ist auch die Sehnsucht nach Freiheit ein immer wiederkehrendes Motiv im Spiritual und im Gospel. Und in der weltlichen, der nicht religiösen schwarzen Musik. 0.25/6.20 Nina Simone I wish I knew how it would feel to be free (Vorlauf unter vorangegangene Mod; Vl 0.31) 0.15 Die große afroamerikanische Sängerin Nina Simone beschwört den Wunsch nach Freiheit, die Möglichkeit alle Ketten abzulegen. I wish I knew how it would feel to be free, ein doppelter Konjunktiv: Sprecherin: „Ich wünsche ich wüßte, wie es wäre frei zu sein.“ 0.15/6.50 Seite 5 Das singt Nina Simone 1967. Mehr als hundert Jahre nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei drückt sie mit diesem Lied aus, was viele ihrer afroamerikanischen Landsleute empfinden: die Freiheit, das ist ein Konjunktiv. Auf dem Papier ist die Sklaverei beendet, im richtigen Leben exisitiert sie weiter. Musikalisch orientiert sich Nina Simone an der Tradition der religiösen Musik, also der Spirituals und Gospels. In diesen Liedern wird immer wieder die Leidensgeschichte Jesu erzählt. Mit dem Leiden Jesu identifizieren sich viele schwarze Sklaven und sie verwenden christliche Metaphern, um ihre eigene Leidensgeschichte zu erzählen. Daraus entstehen Doppeldeutigkeiten in der Sprache, ein spezieller Code – die sogenannte Sklavensprache. Diese Mehrdeutigkeit ist bis heute typisch für afroamerikanische Musikstile. Im modernen Rap hat sich das Spiel mit den Metaphern, das Spiel mit dem doppelten Boden der Sprache zur eigenen Kunstform entwickelt. Musikalisch wie thematisch bedienen sich Spiritual und Gospel beim afrikanischen Erbe. 1.00/7.50 Sprecher: Rappe S. 34: “Darüber hinaus – verlorenen Heimat.” („nach Berendt u.a.“ weglassen) 0.45 2.Cd 020 Sam Cooke With The Soul Stirrers One more river 0.15 „Noch einen Fluss muss ich überqueren, dann sehe ich meinen Retter, noch einen Fluss muss ich überqueren, dann werde ich frei sein“, das singt Sam Cooke mit seinen Soul Stirrers. Cooke ist einer von vielen afroamerikanischen Soulsängern, die in der Kirche angefangen haben, beim Gospel. In den schwarzen Kirchen Amerikas überleben afrikanische Traditionen, die die Sklaven mitgebracht haben in die neue, die erzwungene und feindselige Heimat: Überlieferungen, der Mehrgottglaube, die religiöse Ekstase, die Polyrhythmik und: andere Töne als die der europäischen Tonleiter – die sogenannten Blue Notes. In den schwarzen Kirchen vermischt sich die afrikanische Religiosität mit der christlichen Lehre. Musik, Tanz und Gesang sind zentrale Bestandteile des Seite 6 schwarzen Gottesdienstes. Eine ganz besondere Rolle spielt das Ritual des Call and Response, also die rhythmische Zwiesprache zwischen dem Prediger und seiner Gemeinde: 0.50/9.40 Reverend Louis Overstreet Prayer, I´m a soldier In The Army Of The Lord 0.20 Sprecher: Text Jonathan Fischer Overcome Seite 1: „Praise The Lord – Kirchen ab“ 2.10/12.10 (ggf. kürzen) So beschreibt Jonathan Fischer die religiöse Ekstase in den schwarzen Kirchen Amerikas. Der Journalist ist ein Kenner der afroamerikanischen Musik und hat ein ganzes Album mit Spirituals und Gospels zusammengestellt: Overcome! – Preaching in Rhythm And Funk. Darauf findet sich auch dieser Song von Reverend Louis Overstreet: Prayer, I´m a soldier In The Army Of The Lord. Ich bin ein Soldat in der Armee des Herren. 0.25 Reverend Louis Overstreet Prayer, I´m a soldier In The Army Of The Lord (ab ca. 4.10 beschleunigt) 0.10 Am Anfang war der Gospel. Das sieht auch Jonathan Fischer so. Mit seiner Anthologie „Overcome!“ will er dazu beitragen, Sprecher: Text Jonathan Fischer Overcome Seite 2: „die Wurzeln der – Siegeszug bereitete.“ 0.35 Ray Charles Baby let me hold your hand (VL0.08) 0.15 Ray Charles ersetzt nicht nur Jesus durch Baby, er übernimmt auch das Hallelujah aus der Kirche und münzt es auf die geliebte Frau: Seite 7 Ray Charles Hallelujah I love her so (0.19-0.31) 0.12 Hallelujah I love her so, einer der großen Hits von Ray Charles aus dem Jahr 1955. Seitdem ist das Hallelujah aus der populären Musik nicht mehr wegzudenken, und zwar nicht nur aus der afroamerikanischen Musik. 0.30/14.05 Marvia Providence Hallelujah Praise The Lamb Auch in Jamaika wird das Loblied auf den Herren gesungen, mit einem Hallelujah, hier von Marvia Providence. Sprecher: „Gospel ist nicht der Sound, der Klang - es ist die Botschaft. Wenn es von Jesus Christus handelt, ist es Gospel. “ Das sagt Edwin Hawkins, das geistliche Oberhaupt der Edwin Hawkins Singers. Mit seinem Kirchenchor gelingt ihm 1969 ein kleines Wunder. Mit einem Gospel, mit einem Loblied auf den Herren landen die Edwin Hawkins Singers einen Hit in der Welt der säkularen Welt Zweifler und der Ungläubigen: „Oh happy day“. Edwin Hawkins Singers O happy day