Pöltner Günther Stv. Vorsitzender der Bioethikkommission, Bundeskanzleramt Wien Zusammenfassung Naturbeherrschung und Todesverdrängung Ethische Probleme medizinischer Forschung resultieren einerseits daraus, dass eine Grundannahme moderner naturwissenschaftlicher Forschung fragwürdig geworden ist, dass nämlich zunehmende Naturbeherrschung mit Beförderung von Humanität identisch sei und die ethischen Probleme bloße Anwendungsprobleme eines an sich neutralen wissenschaftlichen Instrumentariums seien. Auf der anderen Seite bewegt sich eine medizinische Forschung in der Spannung zwischen Forschungsinteresse und Heilungsauftrag des Arztes, zwischen dem Konkurrenzdruck des Verbundes von Wissenschaft, Wirtschaft und Technik und der Verantwortung für den Patienten. Pöltner Günther Stv. Vorsitzender der Bioethikkommission, Bundeskanzleramt Wien Geboren 1942 in Wien Klavierstudium an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, Philosophie und Geschichtsstudium an der Universität Wien sowie in Freiburg i.Br. Seit 1981 Professur für Philosophie an der Universität Wien, Gastprofessuren im In-und Ausland (Deutschland, Japan). 1993 – 2003 stv. Vorstand des Institutes für Ethik in der Medizin der Universität Wien, stv. Vorsitzender der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt Mitgliedschaften Europäische Akademie der Wissenschaft und Künste Akademie für Ethik in der Medizin Publikationen Wertneutrale Deskription oder semantische Politik? Zum Sprachproblem in der Embryologie; Ärztliche Verantwortung im Spannungsfeld von Heilkunst und Technik; Spezies, Identität, Kontinuität. Philosophisch-anthropologische Voraussetzungen einer Bioethik; Grundkurs Medizinethik (2. Aufl.) Vortrag im Wortlaut: Ethik in der Forschung,die Fragwürdigkeit eines instrumentellen Wissenschaftsverständnisses. Die Vorstellung, es gäbe eine ethisch neutrale Grundlagenforschung, ethische Probleme fingen erst bei der Anwendung des Wissens an, ist längst zu hinterfragen. Die moderne Naturwissenschaft ist eine Theorie der Natur, die in sich bereits technisch ist. Gewusst ist etwas dann, wenn gewusst wird wie es hergestellt werden kann. Soferne diese Theorie in sich bereits technisch ist steht sie unter einem ethischen Vorzeichen. Sie basiert auf der Gleichsetzung von Naturbeherrschung mit humanitärem Fortschritt. Spätestens seit der ökologischen Krise ist dieses ethische Vorzeichen der modernen Naturwissenschaft allerdings fragwürdig geworden. Die ethischen Probleme beginnen nicht erst bei der sogenannten Anwendung eines Wissens, bereits bei der Gewinnung des Wissens. Als Reizwort möge die pränatale Embryonenforschung dienen. Wenn heute von Ethik in der Medizin die Rede ist, wird zumeist nicht die wissenschaftliche Reflektion sondern die Moral akzentuiert. Der Heilungsauftrag bedeutet, dass die medizinische Kompetenz des Arztes in Verantwortung für den realen kranken Mitmenschen ausgeübt wird. Dieser Heilungsauftrag gerät häufig in Spannung zum Forschungsinteresse, dass den für die moderne Naturwissenschaft konstitutiven methodischen Vorentscheidungen verpflichtet ist. Objektivierung erfolgt durch Entsubjektivierung. Ich möchte konkret vom Ethos des Publizierens sprechen, wobei hier weniger die sehr publikumswirksame Verbreitung wissenschaftlicher Daten durch die öffentlichen Medien gemeint ist, sondern das Ethos einer wahrheitsgemäßen Information, nicht nur der wissenschaftlichen sondern auch der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Dass dieses Ethos von Motiven gespeist wird, wie etwa jenen, dass der Wissenschafter seine persönliche Karriere im Auge habe, auf seinen wissenschaftlichen Ruf bedacht sein müsse, ökonomische Ziele verfolge und unter Konkurrenzdruck stehe, ist evident. Dass dabei Schlamperei, Schwindel oder gar Lüge vorkommen, ist nachvollziehbar. Mit Wahrheitsgemäßheit verträgt sich aber die Weckung missverständlicher Hoffnungen ebenso wenig wie die Abgabe von überzogenen Versprechungen. Dies trifft auf die Ethik des Heilens zu. Die Frage stellt sich, ob der der therapeutische Zweck auch ethisch umstrittene Mittel zu seiner Verwirklichung rechtfertige. Die Frage der Publikation unerwünschter negativer Ergebnisse ist ebenso zu erörtern. Ein falscher Eindruck kann auch durch Verschweigen erzeugt werden. Die Frage sei gestattet ob wohl zu einem wahrheitsgemäßen Verhalten neben der Wahrhaftigkeit auch Offenheit gehört, die sich mit dem Verschweigen nicht verträgt. Jeweils im Einzelfall ist zu prüfen, ob das Zurückhalten von negativen Ergebnissen als unethisch zu bewerten ist, vor allem dann, wenn davon die Risikoeinschätzung etwa durch öffentliche Entscheidungsträger wesentlich beeinflusst wird. Wir haben nicht bloß mit einer Ethik in der Forschung zu tun, sondern mit einer Ethik der Forschung zu tun. Eine Beschränkung auf ethische Probleme in der Forschung kann den Eindruck erwecken, als ginge es bloß um die individuelle Rechtschaffenheit der einzelnen Wissenschafter und um wissenschaftliche Redlichkeit innerhalb einer etablierten Forschung. Dabei vergisst man die institutionelle und internationale Vernetzung und sowie Verfasstheit der Forschung. Es ist trivial zu bemerken, dass Forschung Geld braucht. Dessen Verteilung ist aber nicht nur ein ökonomisches sondern ein sozialethisches Problem. Für welche Art von Forschung gibt es Geld und gibt es Ressourcen? Was sind die vorrangigen Forschungsziele, woher stammt die Finanzierung? Welche Krankheiten werden vorrangig beforscht, nach welchen Kriterien werden die Forschungsschwerpunkte festgelegt und wer tut das? Welche Auswirkung hat es, wenn der Staat verstärkt auf Drittmittelwerbung setzt. Ein weiterer Gesichtspunkt fokussiert die globale Vernetzung. Wie steht es um das Verhältnis um seltenen Krankheiten zu den sogenannten Volkskrankheiten, wozu ja auch chronische, volkswirtschaftlich ins Gewicht fallende Leiden und deren Beforschung zählen. Wie steht es um das Verhältnis der tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen und den tatsächlich verfolgten Forschungsschwerpunkten. Wie lässt sich diese Divergenz überbrücken? Wie steht es global mit dem Verhältnis zwischen den Therapieinteressen in den Entwicklungsländern und den real verfolgten Forschungszielen der reichen Länder westlicher Industriegesellschaften? Ethik in der Forschung bedenken heißt, bedenken, welche Weichenstellung in der Forschungsallokation erfolgt. Dass dies ein eminentes ökonomisches Problem darstellt, heißt nicht, dass Forschung alleine Sache des Marktes ist. Es geht um gesellschaftliche Wertungen. Dies müsste in Form einer gesellschaftlichen Gestaltungsdebatte erörtert werden.