Vermittlung von Verhaltensalternativen in Bezug auf gesundheitsbeeinträchtigendes Verhalten Stress Ernährung Bewegungsmangel Transfer auf Alltagssituationen Lernziel: Der Übungsleiter kennt die Möglichkeiten von Bewegungsangeboten, das individuelle Gesundheitsverhalten bewusst zu machen, zu hinterfragen und dadurch Prozesse der Verhaltensänderung bei den Teilnehmenden auszulösen. Grundlagen – Info Stress Ein Großteil der Teilnehmer sieht die eigene Herzerkrankung durch Stress verursacht. Das Phänomen „Stress“ hat offenbar inzwischen jeden Bereich unseres Lebens erreicht. Es gehört gewissermaßen zum guten Ton, Stress zu haben. Die individuellen Verhaltensweisen bei dem Versuch, Stress zu vermeiden oder erlebten Stress zu verarbeiten, können interpersonell sehr unterschiedlich sein. Bewegungsaufgaben und Spielformen können das persönliche Stressverhalten deutlich machen und Verhaltensalternativen aufzeigen. Die Wahrnehmung psychischer und in der Folge häufig auch körperlicher Spannungszustände kann durch Körperwahrnehmungsübungen geschult werden (siehe „Materialien Herzsport“ I.2.3, Praxis I.4.3 P 01, II.4.2). Die Möglichkeiten von Sport und Bewegung können sich auf die Entwicklung einer größeren Gelassenheit und Stressresistenz beziehen, sie bieten aber auch Möglichkeiten bei der Stressverarbeitung und Regeneration (siehe Praxis I.4.3 P 02). Ein ausführliches Konzept für die Aufarbeitung des Themas „Stress“ im Rahmen einer Bewegungspraxis findet sich bei BECKERS (1992). Ernährung Betrachtet man das Thema Ernährung unter dem Gesichtspunkt der Bewusstmachung von gesundheitsrelevantem Verhalten, geht es nicht (nur) um ernährungswissenschaftliche Fragestellungen, sondern um das Erleben von Verhaltensgewohnheiten im Zusammenhang der Ernährung. Fehlernährung ist häufig eine Folge einer Störung des inneren Gleichgewichts oder einer Störung der Balance von Energiebedarf und Energieaufnahme, notwendig ist ein Ausbalancieren dieser Störungen. BECKERS formuliert es wie folgt: Ernährung und die damit verbundenen psycho-physischen Faktoren weisen ein mehr oder weniger ausbalanciertes Spannungsfeld zwischen Energieaufnahme und -Bedarf einerseits sowie physiologisch lebensnotwendigen Stoffen und psychologisch bedeutsamen Faktoren andererseits auf. Das Auspendeln ist dabei nicht ausschließlich von der Waage oder vom Hineinpassen in bestimmte Kleidergrößen abhängig. Vielmehr spielt die psychophysische Befindlichkeit eine bedeutende Rolle. Das heißt, dass ein eventuell aus der Balance geratendes 22 P-HKS InfoLL 2007 Verhaltensalternativen / Seite 1 von 4 Körpergewicht nicht allein auf physischen Bedingungen gründet wie etwa erhöhte oder erniedrigte Kalorienzufuhr oder Bewegungsmangel, sondern ebenso auch in psychischen Umständen seine Wurzeln hat. Dies kann beispielsweise bedeuten, dass in Zeiten enormer psychischer Anspannung (z.B. vor Prüfungen, bei tiefgreifenden Auseinandersetzungen in einer Beziehung oder in einem sehr anstrengenden Beruf) das Ernährungsverhalten sich derart verändert, dass ein Ungleichgewicht zwischen Energiezufuhr und Verbrauch entsteht. Es lassen sich hieraus allerdings keine allgemeingültigen Verhaltensweisen ableiten: Zum einen kann es dazu kommen, dass man in den genannten Lebenssituationen selten die Gelegenheit hat, regelmäßig und mit Genuss zu essen; zum anderen versucht man die schwierige Situation teilweise über die Ernährung zu kompensieren, indem man sich mit ausgiebigem Essen und Trinken belohnt bzw. verwöhnt. Hier deutet sich die enge Verwobenheit zwischen psychischen und physischen Faktoren im Ernährungsverhalten und ihrer individuellen Ausgestaltung an. Handlungen können sich in den Gleichgewichtsaufgaben (z.B. „Drücken und Nachgeben“, „Hahnenkampf“, „Pendelball im Viereck“, „Flamingo-Positionen“) nicht mehr auf eine Absicht oder ein Ziel konzentrieren, sondern teilen sich u.a. auf in im Gleichgewicht bleiben zu wollen und die Balance des anderen brechen zu wollen. Situativ kann nur das eine oder andere verfolgt werden: Konzentriere ich mich auf mein Gleichgewicht, werde ich kaum den anderen stören; bedränge ich den Partner, gebe ich die Kontrolle über meine Balance kurzfristig auf. Der Sachverhalt der Störung und Ablenkung während des Gleichgewicht-Haltens kann einen weiteren Bezugspunkt zum Thema »Ernährung« liefern. Eine Esssituation wird häufig durch andere Tätigkeiten gestört bzw. überlagert: z.B. Zeitung lesen oder fernsehen, telefonieren oder sich mit anderen unterhalten, unter Zeitdruck oder zwischendurch etwas essen. Die Konzentration wird von dem Ereignis „Mahlzeit“ abgelenkt. Den Teilnehmern kann über solche Bewegungsaufgaben ein solcher Sachverhalt bewusst gemacht werden. So können die Teilnehmer beispielsweise entdecken, dass man durch das Lesen einer Frühstücks-Zeitung so sehr vom Essen abgelenkt wird, dass man anschließend nicht mehr nachvollziehen kann, wie viel und wie man gegessen hat. Andererseits kann das Fehlen der Zeitung aber auch eine qualitative Minderung der Atmosphäre des Frühstücks bedeuten. In Gesprächsphasen weisen Teilnehmer häufig darauf hin, dass die Mahlzeit als soziales Ereignis (mit einem Partner, in der Familie oder im Freundeskreis) eine Bereicherung alltäglichen Lebens darstellt, die man nicht missen möchte. Dabei ergeben sich zwangsläufig Ablenkungen beim Essen. Die Situation des Gemeinsamen Essens kann sowohl als Bereicherung und als eine Form von Lebensqualität ("es schmeckt besser") bewertet sowie zugleich als "Verführung" zum „Mehr-Essen“ erlebt werden. Ein ausführliches Konzept für die Aufarbeitung des Themas „Ernährung“ im Rahmen einer Bewegungspraxis findet sich bei BECKERS (1992) (siehe Praxis I.4.3 P 03). Bewegungsmangel Bewegungsangebote im Rahmen der Herzgruppenstunde sollen als Erlebnis wahrgenommen werden (siehe „Materialien Herzsport“ II.1, II.4). Nur wenn Bewegung lustvoll erlebt und als Zugewinn an Lebensqualität verstanden wird, ist eine Verhaltensveränderung in Richtung eines im besten Sinne bewegteren Lebens wahrscheinlich. Dazu ist es notwendig, den Teilnehmern immer wieder die positiven Wirkungen von Bewegung zu verdeutlichen (siehe Praxis II.4 P 03). Ziel ist es, die TN dadurch auf Bewegung „heiß“ zu machen und dies über die Herzgruppenstunde hinaus. Es sollte sich den Teilnehmern die Frage Rolltreppe / Fahrstuhl 22 P-HKS InfoLL 2007 Verhaltensalternativen / Seite 2 von 4 oder Treppe gar nicht mehr stellen. Grundsätzlich sollten sie jede Bewegungsmöglichkeit nutzen wollen, es stellt sich lediglich die Frage, wann es gute Gründe gibt, darauf zu verzichten (etwa zu schwere Taschen, Unwohlsein). Um eine positive Bewegungsüberzeugung zu erreichen, sollen die Teilnehmer immer wieder angeregt werden, sich zu Beginn und nach der Herzgruppenstunde ihr Befinden bewusst zu machen. Dazu ist es möglich, sie die Befindlichkeitsskalen nach Abele/Brehm (siehe Materialien I.4.3 M 01) ausfüllen zu lassen, um die Veränderungen durch das Bewegungsangebot zu dokumentieren. Auch wenn keine wissenschaftliche Auswertung stattfindet, werden hier Veränderungen auch für den TN nachprüfbar. Transfer auf Alltagsituationen (siehe „Materialien Herzsport“ II.1) Die Inhalte der Sportstunden haben immer auch einen Bezug zur konkreten Lebenssituation der TN. Sport und Bewegung stellen keinen Selbstzweck dar, sie haben einen Bezug zum Alltag der TN, berücksichtigen ihn und ermöglichen den TN ihren individuellen Alltag erfolgreich zu bewältigen. Die Stundeninhalte sind also immer auch auf die Aspekte menschlichen Lebens gerichtet, die gesundheitliche Gefährdungen beinhalten oder die die Ausbildung gesundheitsstabilisierender Ressourcen fördern können (etwa Überforderung vs. positive Beanspruchung, Stress und Entspannung, Ernährung). Durch die durchgeführten Spiel- und Bewegungsformen sollen den TN individuelle Verhaltensmuster spür- und erlebbar gemacht werden. In Gesprächs- und Reflexionsphasen (siehe „Materialien Herzsport“ I.4.1) können diese Erfahrungen auf die persönliche Lebenswelt bezogen und aus ihnen entsprechende, auch dort gültige Verhaltensalternativen entwickelt werden. Didaktisch-methodische Überlegungen zur Erarbeitung Die Praxiseinheit I.4.3 P 01 beschäftigt sich mit dem Wahrnehmen der eigenen Körperfunktionen in physischen und psychischen Belastungssituationen, dem Umgang mit Belastungen und der eigenen Persönlichkeitsstruktur. In dieser Praxiseinheit werden die inneren Zustände des eigenen Körpers bewusst wahrgenommen. Die Wahrnehmung des inneren Verhaltens, das Sich-Selbst-Erspüren in Ruhe und Bewegung, Hektik, Druck und in psychisch angespannten Situationen stellt einen Bereich dar, der in der Herzsportgruppe einen festen Bestandteil darstellen sollte. Der Schwerpunkt dieser Praxiseinheit liegt deshalb beim Hören des eigenen Herzschlages, dem Spüren des eigenen Pulses und beim Erspüren des eigenen Atems. Die Praxiseinheit I.4.3 P 02 beschäftigt sich explizit mit dem Atmen. In der Art, wie wir atmen, äußern sich physiologische und psychologische Befindlichkeiten. Den Atem bewusst wahrzunehmen hilft, sich das aktuelle Befinden zu verdeutlichen. Ferner stellt eine bewusste Atemregulation eine einfache, aber sehr effiziente Möglichkeit dar, das allgemeine Erregungsniveau zu senken. Unruhe und Hektik schlagen sich in einem schnellen und flachen Atmen nieder. Atmung vollzieht sich unbewusst, wir nehmen unsere Atmung in der Regel nicht wahr. Kaum ein Teilnehmer wird seine durchschnittliche Atemfrequenz im Alltag, in Ruhe und bei Belastung kennen. Man kann von einer durchschnittlichen Atemfrequenz von 12 – 16 Atemzügen/Minute ausgehen. Ist man aufgeregt, steigt die Atemfrequenz, ebenso bei 22 P-HKS InfoLL 2007 Verhaltensalternativen / Seite 3 von 4 körperlichen Aktivitäten. In Entspannungsphasen kann die Frequenz sich deutlich reduzieren. Allein die Aufmerksamkeitslenkung auf den Atemvorgang, das Erspüren der Atemtiefe - ohne willkürliche Beeinflussung – führt in den meisten Fällen zu einer Beruhigung der Atmung im Sinne einer Vertiefung und Verlangsamung. In der vorliegenden Praxiseinheit soll die Aufmerksamkeit in diesem Sinne auf die Atmung gelenkt, Atembewusstsein geschaffen und die Bedeutung einer vollständigen Atmung für das Wohlbefinden erkannt werden. Auch für den Themenbereich Ernährung / Fehlernährung lassen sich mit Hilfe von Bewegungsübungen Erfahrungen vermitteln (siehe „Materialien Herzsport“ Praxis I.5.3 P 01 – Spielformen zum Ernährungsverhalten - und die Informationen für Lehrkräfte in diesem Kapitel). Die Übung „Flamingo-Positionen“, die in Praxis I.4.2 P 01 beschrieben wurde, eignet sich auch, um den Themenbereich Ernährung zu thematisieren. Gruppenarbeit (siehe Gruppenarbeit I.4.1 M 01) Da die Erfahrung gezeigt hat, dass es den ÜL häufig schwer fällt, selber Möglichkeiten ihnen bekannter Übungen auf der Ebene der Bewusstmachung individuellen Gesundheitsverhaltens zu erkennen, sollte die praktische Bearbeitung des Themas durch eine anschließende Kleingruppenarbeit ergänzt werden. Die ÜL sollen in der Kleingruppe einige ihnen bekannte Bewegungsaufgaben und Spielformen auf ihre Möglichkeiten überprüfen, den späteren Gruppenteilnehmenden ihr individuelles Gesundheitsverhalten bewusst zu machen, dies zu hinterfragen und Prozesse der Verhaltensänderung einzuleiten. Lehrmaterialien: Praxis I.4.3 P 02: Atmung Praxis I.4.3 P 03: Ernährung Praxis I.4.2 P 01: Sozialverhalten, Kommunikation, Vertrauen Praxis I.5.3 P 01: Spielformen zum Ernährungsverhalten Praxis II.4 P 03: Walking - ganzheitlicher Ansatz Arbeitsblatt I.4.3 M 01: Befinden Gruppenarbeit I.4.1 M 01: Bewusstmachen Teilnehmermaterialien Textauszug Literatur Beckers, E. et al.: Gesundheitsorientierte Angebote in Sportvereinen. Materialien zum Sport in Nordrhein-Westfalen Bd. 34. Frechen 1992 Brehm, W. et al.: Psychosoziale Ressourcen. Arbeitshilfen für Übungsleiter/innen. Hrsg.: Deutscher Turner-Bund, Frankfurt 2002 Brusis, O.A. et al. (Hrsg.): Handbuch der Herzgruppenbetreuung. Balingen 2002 Middendorf, I.: Der erfahrbare Atem. Paderborn 1984 22 P-HKS InfoLL 2007 Verhaltensalternativen / Seite 4 von 4