Schattenblick Druckausgabe

Werbung
Neueste tagesaktuelle Berichte ... Interviews ... Kommentare ... Meinungen .... Textbeiträge ... Dokumente ...
MA-Verlag
Elektronische Zeitung Schattenblick
Migrationskonferenz Kampnagel der Sprung ins Netz und weiter ...
Larry Macauley im Gespräch
BILDUNG UND KULTUR
Kulturarchiv des Krieges erschöpft, ermüdet, überlebt ...
Aleida Assmann im Gespräch (2)
Fragend und forschend neuen
Katastrophen entgegentreten ...
Veranstaltung am 17. Februar 2016
im Kultur­ und Kommunikationszen­
trum Die Pumpe in Kiel
(SB) ­ "Den Enkeln gewidmet"
- im
Abspann der Zeitzeugendokumentation "Anfang aus dem Ende. Die
Flakhelfergeneration" wurde noch
einmal die Brücke in die Gegenwart
geschlagen, die im Film bereits durch
Begegnungen zwischen ... (S. 5)
MUSIK / REPORT
In Szene und erzählt das uralte Spiel ...
Bewegende Uraufführung und span­
nender Politkrimi in Magdeburg
Uraufführung am 18. März 2016
Sonntag, 20. März 2016
Brücken schlagen zwischen Immigranten und Einheimischen
Interview mit Larry Macauley am 27. Februar 2016
auf Kampnagel in Hamburg
Ein wichtiger Diskussionspunkt auf der International Conference of Refugees and Migrants, die
Ende Februar auf Kampnagel in
Hamburg stattfand, war die Interaktion zwischen der alteingesessenen
Bevölkerung Deutschlands und den
Neuankömmlingen - welche Probleme sich daraus ergeben und wie der
zwischenmenschliche Umgang verbessert werden könnte. Der gebürtige Nigerianer Larry Macauley setzt
sich mit diesem Thema seit seiner
Ankunft in Hamburg vor zwei Jahren intensiv auseinander. Am Rande
der Konferenz führte der Schattenblick mit dem Gründer und Geschäftsführer des Refugee Radio
Network folgendes Interview.
(SB) ­
Es war ein ganz besonderer
Abend im Magdeburger Schauspielhaus: Sidney Corbetts Kammeroper
Die Andere, ein Kompositionsauftrag des Theaters nach dem Libretto
Larry Macauley
von Christoph Hein, erlebte am Frei- Schattenblick (SB): Herr Macauley,
Foto: © 2016 by Schattenblick
tagabend (18. März) ihre Urauffüh- was brachte Sie nach Deutschland
rung und wurde vom ... (S. 9)
und wie kamen Sie dazu, das Refu- LM: Ich lebte und arbeitete dort.
Ich leitete ein Ingenieursbüro in
gee Radio Network zu gründen?
der Hauptstadt Tripolis. Doch als
SPORT / BOXEN
Larry Macauley (LM): Ich bin poli- die NATO-Bomben fielen und
tischer Flüchtling aus Nigeria. 2011 sich das Chaos mit den sich rivaProminenz im Doppelpack
bin ich wie viele andere vor dem lisierenden Banden abzeichnete,
Badou Jack und James DeGale ver­ Krieg in Libyen in einem Boot über entschied ich mich, Libyen zu verteidigen ihre Gürtel
das Mittelmeer nach Lampedusa ge- lassen. Wegen meiner früheren
politischen Tätigkeit als Opposi(SB) ­ Badou Jack verteidigt den flohen.
tioneller konnte ich nicht nach NiWBC-Titel im Supermittelgewicht
am 30. April voraussichtlich in Wa- SB: Lebten Sie damals in Libyen geria zurück. Also ging ich nach
oder waren Sie auf der Durchreise? Europa.
shington D.C. gegen ... (Seite 12)
(SB) ­
Elektronische Zeitung Schattenblick
SB: Zu welchem Zeitpunkt 2011 haben Sie Libyen verlassen? Im Februar, als der Aufstand in Benghazi begann? Im März, nachdem die ersten
NATO-Bomben in Tripolis einschlugen, oder erst nachdem Gaddhafi im
Oktober ermordet wurde?
LM: Ich stand mit vielen Leuten innerhalb und außerhalb Libyens in
Kontakt. Nachdem der Aufstand ausgebrochen war, habe ich die militärische Entwicklung genau verfolgt. Im
Mai hatte ich das Gefühl, daß es für
mich lebensgefährlich werden könnte, wenn ich bleibe. Gaddhafi lebte
noch, aber der Staat zerfiel immer
mehr. Der von den Islamisten seit
Jahren propagierte "Regimewechsel"
zeichnete sich ab. Also habe ich Libyen am 27. Mai den Rücken gekehrt.
SB: Haben Sie Libyen allein verlassen?
LM: Ja. Aber auf der Flucht bzw. in
Lampedusa habe ich einige Freunde
wiedergetroffen. Ich lebte zunächst
drei Jahre in Italien in verschiedenen
Flüchtlingslagern, bis die Regierung
in Rom uns Ausreisepapiere ausstellte und uns drängte, das Land Richtung Nordeuropa zu verlassen.
SB: Gehören Sie zur Gruppe Lampedusa in Hamburg?
LM: Ich bin kein direktes Mitglied,
sondern gehöre zu den Unterstützern. 2014 lebte ich noch in einer
Flüchtlingsunterkunft in Rom, als
ich Besuch von einem der Gründer
von Lampedusa in Hamburg erhielt,
der mich bat, in die Hansestadt zu
kommen. Er erzählte mir von der gerade angelaufenen Kampagne der
Gruppe um ihre Rechte und daß sie
Hilfe brauchten. Also beschloß ich,
der Einladung mit dem Ziel zu folgen, die Kampagne von Lampedusa
in Hamburg auf die nächsthöhere
Ebene zu heben. Nach meiner Ankunft in der Elbmetropole haben wir
den Lampedusa Emancipation Day
veranstaltet. Dazu gehörten unter anSeite 2
derem ein Marsch durch die Stadt, SB: Wie sieht das Format des RefuTheateraufführungen und Diskussio- gee Radio Networks aus?
nen.
LM: Wir senden online, rund um die
Es lief alles sehr gut, nur dachte ich Uhr, sieben Tage die Woche. Wir sind
im Anschluß, daß wir unsere Mög- über www.refugeeradionetwork.net
lichkeiten weitestgehend ausge- sowie über die populäre App Tuneln
schöpft hatten. Also sprach ich mit Radio auf Smartphones und Tablets
zwei Mitgliedern von Lampedusa in zu empfangen. Wir sind ein unabhänHamburg und schlug ihnen die Grün- giger Sender, was uns sehr wichtig
dung eines eigenen Netzradios für ist. Gleichwohl kooperieren wir derFlüchtlinge vor, um den Informati- zeit mit den verschiedenen freien Raonsaustausch unter ihnen zu fördern diosendern in Deutschland, die auf
und die Menschen in den Gastgeber- UKW zu empfangen sind - unter anländern über uns und unsere Belan- derem in Hamburg, Berlin, Marburg,
ge aufzuklären. Die beiden waren Stuttgart und München.
zunächst etwas skeptisch, denn keiner von ihnen hatte Erfahrung im Ra- SB: Also werden Sendungen, die Sie
diobereich. Aber ich kannte mich da produziert haben und im Internet
ein wenig aus. Ich wußte, daß wir mit senden, auch über die offenen Kanänur wenig Geld und einfachster Ra- le ausgestrahlt?
dio-Ausrüstung schon auf Sendung
gehen könnten. Mein Vorschlag wur- LM: So ist es. Auf diese Weise finde angenommen, und noch im selben det unsere "Refugee Voices Show"
Monat konnten wir den Betrieb auf- Verbreitung und neue Hörer.
nehmen. Am Anfang war alles ein
wenig primitiv. Im Dezember 2014 SB: Und was sendet das Refugee
gingen wir mit unserer ersten zwei- Radio Network sonst noch alles?
stündigen Magazin-Sendung mit Was bekomme ich zu hören, wenn
Diskussionsrunde online. Seitdem ist ich Ihren Sender einschalte?
alles nur noch besser geworden - sowohl qualitativ als auch quantitativ. LM: Ich denke ein unterhaltsames
und informatives Programm, das
breit gefächert ist. Wir bringen
Nachrichten, machen Live-Interviews, Reportagen von aktuellen Ereignissen sowie Sendungen mit den
verschiedenen Musikrichtungen
Afrikas. Wir senden Radiodramen
von einem afrikanischen Netzwerk
aus und haben unter Beteiligung einiger Mitglieder von Lampedusa in
Hamburg unser erstes eigenes Hörspiel produziert und ausgestrahlt.
SB: Also stehen Sie auch mit verschiedenen afrikanischen Radiosendern in Verbindung?
Larry Macauley meldet sich bei
einer Diskussion auf der
Flüchtlingskonferenz zu Wort
Foto: © 2016 by Schattenblick
www.schattenblick.de
LM: Das läuft gerade an. Nachdem
es uns gelungen ist, einen gewissen
Bekanntheitsgrad unter den Flüchtlingen und Migranten in Europa zu
schaffen, wollen wir dieses Jahr damit beginnen, erste Reportagen aus
den Krisenregionen in Afrika zu proSo, 20. März 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
duzieren und über die Lage der Menschen dort zu berichten. In diesem
Zusammenhang planen wir in den
kommenden Monaten Lager für Binnenflüchtlinge in Nigeria und Mali
zu besuchen. Wir stehen bereits in
Kontakt mit den Menschen in
Flüchtlingslagern in Kenia und Somalia.
SB: Wie setzt sich aktuell die Zuhörerschaft von Refugee Radio Network zusammen?
LM: Unsere Zuhörer und die Leute,
die uns anrufen, sind Flüchtlinge sowie Einheimische in den Städten, wo
unsere Sendungen auch über UKW
ausgestrahlt werden - was natürlich
die Bedeutung für die Zusammenarbeit mit den offenen Kanälen verdeutlicht.
sich diese später in der Wiederholung anhören. Unser Livestream
wird laufend aktualisiert. Auf unserer Webseite kann man sich das Programm für die kommenden Stunden
und Tage anschauen und die Beiträge heraussuchen, die einen interessieren. Im Archiv auf der Webseite
halten wir auch Podcasts vergangener Sendungen - nicht von allen, aber
von den wichtigsten - bereit. Wir planen, künftig auch kleine Fernsehproduktionen zu erstellen. Unsere erste
Fernsehsendung haben wir live am
gestrigen Freitag hier von Kampnagel anläßlich des Auftakts der internationalen Flüchtlingskonferenz
ausgestrahlt. Damit haben wir diesen
Bereich bereits betreten und werden
hoffentlich demnächst auch ein Refugee TV Network haben.
zieren und gegebenenfalls senden
können. Wenn wir beispielsweise in
der Hauptstadt sind, können wir dort
bei dem freien Sender Alex Berlin
arbeiten und erhalten Unterstützung
von den Kollegen.
SB: Sie bedienen mit Ihrem Sender
ein sehr vielschichtiges Publikum,
wenn man allein die zahlreichen
Ethnien und Volksgruppen Afrikas
bedenkt. Vor diesem Hintergrund die
Frage, in welcher Sprache Ihre Sendungen ausgestrahlt werden. Arabisch, Französisch, Englisch, Yoruba, Swahili oder Hausa?
LM: Refugee Radio Network ist ein
mehrsprachiger Sender. Welche
Sprache benutzt wird, hängt jeweils
vom Thema ab und woher die Men-
SB: Heißt das, Sie machen auch Sendungen, wo sich die Zuhörer telefonisch melden und sich mit ihren Meinungen und ihren Geschichten einbringen können?
LM: Ja. "Refugees Voices Show" ist
so eine Anrufsendung.
SB: Wie nehmen die Hörer Kontakt
zum Sender auf, allein übers Telefon
oder auch über Skype?
LM: Beides ist möglich, auch wenn
einen Skype-Anruf in die Sendung
einzubinden für uns momentan noch
etwas knifflig ist. In letzter Zeit haben wir die Anzahl der Anrufsendun- SB­Redakteur und Larry Macauley
gen reduziert, denn unser Team war Foto: © 2016 by Schattenblick
viel unterwegs auf Reportagen, und
man kann nicht alles gleichzeitig SB: Von wo aus operiert der Sender?
Mieten Sie ein Studio oder machen
machen.
Sie das alles von zu Hause aus?
SB: Aber das Refugee Radio Network ist dennoch rund um die Uhr LM: Wir benutzen die Räumlichkeiten und die Technik des Freien Senauf Sendung?
der Kombinats hier in Hamburg. Wir
LM: Ja, den ganzen Tag. Um das zu produzieren die Beiträge dort und
gewährleisten, werden die Program- senden auch von dort aus. Das FSK
me manchmal wiederholt. Auf die ist Mitglied beim Bundesverband
Weise können Hörer, die die eine Freier Radios, was bedeutet, daß wir
oder andere Sendung zu einer be- unterwegs auch bei den offenen
stimmten Tageszeit verpaßt haben, Kanälen in anderen Städten produSo, 20. März 2016
www.schattenblick.de
schen stammen, die zu Wort kommen. Die von Ihnen genannten Sprachen bekommt man bei uns zu hören
und viele mehr. Geht es in der Sendung um Themen, die spezifisch, sagen wir mal Gambia oder Senegal
betreffen, dann werden die Beteiligten Mandingo, Fula und Wolof sprechen. Deren Aussagen werden von
Dolmetschern ins Deutsche übersetzt, damit die Menschen hierzulande die Möglichkeit haben zu verfolgen, worum es überhaupt geht. In der
vergangenen Woche haben wir auf
Bitten der afghanischen Flüchtlinge
hier in Hamburg mit einer neuen
Seite 3
Elektronische Zeitung Schattenblick
Sendung namens "Afghan Voices" Menschen, denen wir mit unseren gen. Diesen Prozeß zu befördern ist
begonnen.
Diensten behilflich sein wollen.
die Mission von Refugee Radio Network.
SB: Also ist Refugees Radio Net- SB: Inwieweit hat die einheimische
work nicht ausschließlich für Men- Bevölkerung von Ihrem Sender No- SB: Vielen Dank, Larry Macauley,
schen aus Afrika da?
tiz genommen bzw. wie sieht die In- für dieses Gespräch.
teraktion zwischen Refugee Radio
LM: Keinesfalls. Wir sind eine mul- Network und den deutschen Bürgern
tiethnische, mehrsprachige Platt- aus?
form, die Flüchtlinge aus aller Welt
bedient und ihnen helfen will, sich in LM: Wir bekommen Briefe von
der neuen Umgebung zurechtzufin- deutschen Zuhörern. Sie melden sich
den und den Kontakt zum Herkunfts- auch während unsere Anrufsendunland aufrechtzuerhalten. Heute traf gen zu Wort. Natürlich sind sie uns
ich mich hier auf Kampnagel mit ei- nicht immer wohlgesonnen. Manchner Gruppe junger Jemeniten, die ei- mal bekommen wir Haßbriefe oder
ne Sendung über ihre Situation hier auch Anrufe von Leuten, welche die
in Deutschland und die katastropha- Flüchtlinge für alles, was in
le Lage in ihrem Land auf die Beine Deutschland schiefläuft, verantwortstellen wollen.
lich machen wollen. Doch die Mehrzahl der Deutschen, die Kontakt mit
SB: Große Aufmerksamkeit wird dem Sender aufnehmen, sind freundseitens der westlichen Medien der lich und wollen uns und die neuen
Militärintervention der Saudis und Migranten ermutigen. Was wir da
ihrer Verbündeten im Jemen, die in- machen, nennen wir Community Razwischen ein Jahr anhält und Tausen- dio. Konkret bedeutet das, daß wir
de Menschen das Leben gekostet hat, natürlich für die Gemeinde der Das Refugee Radio Network macht
auf sich aufmerksam
nicht zuteil. Bisher ist wenig darüber Flüchtlinge und Migranten da sind,
Foto:
©
2016
by Schattenblick
berichtet worden, daß Kriegsflücht- gleichzeitig aber auch den Kontakt
linge aus dem Jemen nach Deutsch- zwischen ihnen und der einheimiland gekommen sind. Liegen Ihnen schen Bevölkerung befördern wolBisherige Beiträge zur Hamburger
dazu Zahlen vor?
len.
LM: Wie viele es inzwischen sind,
kann ich Ihnen nicht genau sagen,
aber die ersten Kriegsflüchtlinge aus
dem Jemen sind bereits vor sechs
Monaten in Deutschland angekommen. Diese Jugendlichen aus dem
Jemen sind heute ohne Voranmeldung in unserem provisorischen Studio auf Kampnagel erschienen. Ras,
ein syrischer Mitarbeiter des Senders, hat gleich ein Interview mit ihnen aufArabisch über die Zustände
in ihrer Heimat gemacht. Auf Englisch habe ich mit ihnen über die
Möglichkeit einer eigenen Sendung
gesprochen, um die Probleme der jemenitischen Kriegsflüchtlinge ins
öffentliche Bewußtsein zu rücken.
Sie sagten mir, sie wollten unter anderem Musik machen, Gedichte vorlesen und über den Krieg informieren. Ich habe sie in alle Richtungen
ermutigt, denn das sind genau die
Seite 4
Ich denke, daß das, was wir machen,
für das Zusammenleben der Menschen hier in Deutschland wichtig
ist. Als ich nach Hamburg kam, gab
es kein Flüchtlingsradio. Doch nur
neun Monate, nachdem Refugee Radio Network auf Sendung ging, kam
der NDR mit einem eigenen Portal
für Flüchtlinge heraus. Im Grunde
genommen bieten sie jeden Tag nur
fünf Minuten Nachrichten für
Flüchtlinge an. An sich ist es als öffentlich-rechtliche Dienstleistung
nicht schlecht. Doch wir wollen ein
weit umfassenderes Programm anbieten, das von Flüchtlingen selbst
gemacht und auf deren Bedürfnisse
zugeschnitten ist. Gleichzeitig wollen wir ein Forum sein, mittels dessen die Energie der Flüchtlinge und
der Migranten der deutschen Gesellschaft zuteil wird; denn sie leben hier
und wollen zum Gemeinwohl beitrawww.schattenblick.de
Flüchtlingskonferenz im Schatten­
blick unter www.schattenblick.de →
INFOPOOL → POLITIK →
REPORT:
BERICHT/231: Migrationskonferenz Kampnagel - Teilen und Verweilen (SB)
INTERVIEW/300: Migrationskonferenz Kampnagel - Historische
Pflicht und humane Selbstverständlichkeit ... Beate Gleiser im Gespräch (SB)
INTERVIEW/301: Migrationskonferenz Kampnagel - Nah! und solidarisch Asmara Habtezion im Gespräch (SB)
INTERVIEW/302: Migrationskonferenz Kampnagel - Die Geschichte
der Opfer ... Ibrahim Arslan im Gespräch (SB)
So, 20. März 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
BILDUNG UND KULTUR / REPORT / INTERVIEW
Kulturarchiv des Krieges - erschöpft, ermüdet, überlebt ...
Aleida Assmann im Gespräch (2)
Fragend und forschend neuen Katastrophen entgegentreten ...
Veranstaltung am 17. Februar 2016 im Kultur­ und Kommunikationszentrum Die Pumpe in Kiel
Solange die Betroffenheit selbsterlebter Kriegsrealität das Bewußtsein
der Menschen prägte, war die Bereitschaft, sich auf neue Abenteuer dieser Art einzulassen, gering. Der Widerstand gegen die Remilitarisierung
der Bundesrepublik in den 1950er
Jahren trieb noch Millionen Menschen auf die Straße, und auch die
akute Atomkriegsgefahr brachte zu
Beginn der 1980er Jahre noch zahlreiche Kriegsgegnerinnen und -gegner auf die Beine. Das letzte Aufflackern des entschiedenen Willens,
es nicht noch einmal so weit kommen
zu lassen, daß Millionen Menschen
einer mörderischen Militärmaschinerie zum Opfer fallen, waren die weltweiten Demonstrationen gegen die
Eroberung des Iraks 2003. Wie beFortsetzung von Seite 4:
gründet dieser auch in der Bundesrestarke Protest war, zeigen die
INTERVIEW/303: Migrationskon- publik
katastrophalen
die
ferenz Kampnagel - Am eigenen dieser Eingriff Entwicklungen,
in
die
nahöstlichen
Leib ... Kokou Theophil Ayena im Machtverhältnisse gezeitigt haben.
Gespräch (SB)
von der Hand zu weisen ist
INTERVIEW/304: Migrationskon- Nicht
mithin
die Möglichkeit, daß der Verferenz Kampnagel - Halbherzig ... lust authentischer
Erinnerungen an
Nadya Hareket im Gespräch (SB)
kriegerische Zerstörung die damit
Nachkriegszeit in eine
INTERVIEW/305: Migrationskon- auslaufende
neue
Vorkriegszeit
umschlagen läßt.
ferenz Kampnagel - Fremdbestimmt Die politischen Bedingungen
und kriegsgetrieben ... Tahir Khair sind allemal gegeben, wie diedafür
NeuKhowa im Gespräch (SB)
fassung der deutschen Staatsräson,
sei an der Zeit, auch im Sinne anINTERVIEW/306: Migrationskon- es
geblich
notwendiger Kriegführung
ferenz Kampnagel - Fluchtgrund wieder "Verantwortung"
zu übernehNeubeginn ... Zohair Mahmoud im men, zeigt. Um so wertvoller
sind die
Gespräch (SB)
verbliebenen Bemühungen, sich der
persönlichen wie staatlichen Beteilihttp://www.schattenblick.de/
gung an der Entstehung bewaffneter
infopool/politik/report/
Auseinandersetzungen gewahr zu
prin0307.html
werden.
(SB) ­ "Den Enkeln gewidmet"
- im
Abspann der Zeitzeugendokumentation "Anfang aus dem Ende. Die
Flakhelfergeneration" wurde noch
einmal die Brücke in die Gegenwart
geschlagen, die im Film bereits durch
Begegnungen zwischen den Generationen zum Thema wurde. Das allmähliche Schwinden persönlicher
Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg geht Hand in Hand mit dem
Aufkommen von Kriegsgefahren, die
als Bedrohung von letztlich unauslotbarem Eskalationspotential hierzulande kaum wahrgenommen wird.
So, 20. März 2016
www.schattenblick.de
In der Diskussion nach der Vorführung des Filmes zeigte sich, wie stark
das Interesse an den Berichten und
Erzählungen der Zeitzeugen des
Zweiten Weltkriegs ist. Moderiert von
Mechthild Klingenburg-Vogel [1]
stellte sich Aleida Assmann den Fragen des Publikums, das sich für die
Hintergründe der Entstehung des Dokumentarfilms ebenso interessierte,
wie es eigene Geschichten aus erster
und zweiter Hand beisteuerte. Was im
Dialog mit Eltern und Großeltern hervortrat, war für die einzelnen Personen häufig von dramatischem Erkenntniswert, so daß das persönliche
Interesse an dieser Form von Erinnerungskultur die Debatte bestimmte.
Über die häufig heilsame Wirkung
dieser innerfamiliären Dialoge hinaus sind die gesellschaftlichen Konsequenzen des Verhältnisses von Erinnern und Vergessen von eminenter
Bedeutung nicht nur für die Vermeidung neuer Kriegsgefahren, sondern
für einen Umgang mit anderen Menschen, der nicht von Sozialkonkurrenz und Rassismus geprägt ist. Da
in der Bundesrepublik wieder
Flüchtlingsheime brennen, selbsternannte Verteidiger des Abendlandes
fremdenfeindliche Parolen skandieren und rechtspopulistische Politik
massiv anwachsende Zustimmung
erhält, tritt der einander verstärkende Zusammenhang von mangelndem
zeitgeschichtlichen Bewußtsein und
der Verschärfung sozialer Widersprüche um so deutlicher hervor.
Geschichte wird immer auch im
Kontext gesellschaftlicher Deutungsmacht geschrieben, was die
korrigierende Intervention zweckSeite 5
Elektronische Zeitung Schattenblick
dienlicher Auslegungen durch Zeitzeugen, die das schnelle, durch die
Anforderungen der digitalisierten
Arbeits- und Lebenswelt zusätzlich
dynamisierte Vergessen durchbricht,
um so unentbehrlicher macht.
Im zweiten Teil des Gesprächs [2]
mit der Kulturwissenschaftlerin und
Autorin zahlreicher Werke zu Fragen
des kulturellen Gedächtnisses, Dr.
Aleida Assmann, das anläßlich der
Aufführung des Filmes "Anfang aus
dem Ende. Die Flakhelfergeneration" in Kiel zustande kam, wird deutlich, wie wichtig die Wirkungsmacht
historische Diskurse für politische
Weichenstellungen im besonderen
und die gesellschaftliche Entwicklung im allgemeinen ist. Es gibt also
allen Anlaß, sich über Erinnern und
Vergessen in der sogenannten Wissensgesellschaft Gedanken zu machen, die den Horizont alltäglicher
Bewältigung überschreiten und damit existentielle Fragen menschlichen Daseins berühren.
Aleida Assmann
Foto: © 2016 by Schattenblick
Schattenblick (SB): In der Welt der
Digitalisierung scheint sich eigentlich alles auf den Begriff der Information zu reduzieren, so daß man im
Grunde genommen nicht mehr als
dies benötigte, um die Wirklichkeit
zu verstehen. Von einem zum Informationsbegriff abgegrenzten Wissen
ist in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht mehr so sehr die Rede.
Wie bewerten Sie die Auswirkungen
Seite 6
der Totalität der Information auf den die Naturwissenschaft. Beide funktiovon Ihnen verwendeten Begriff des nieren noch in einer Form des permakulturellen Gedächtnisses?
nenten Überholmanövers. Man
spricht inzwischen auch von ProduktAleida Assmann (AA): Zu Wissen generationen. Insbesondere die digiund Information will ich noch zwei tale Technologie geht dahin, daß jedes
weitere Begriffe hinzufügen, um die- Smartphone durch eine nächste Genese Reihe aufzublättern. Ich fange mit ration überholt werden muß, damit die
Daten an. Daten stehen noch unter- Wirtschaft weiter in Gang gehalten
halb der Information, denn eine In- wird. Wirtschaft, Wissenschaft und
formation ist bereits eine Verknüp- Technik sind eigentlich der heiße Mofung von Daten. Das Wissen ist dann tor, der uns antreibt und unsere Kultur
eine Form der Aneignung von Infor- immer gerichtet in Bewegung hält.
mation oder der Einbau in einen Was wir nicht mehr brauchen, wird
Kontext. Es muß aber noch ein näch- entsorgt und weggeworfen. Wir leben
ster Schritt folgen, damit man sich in einer Wegwerfgesellschaft, die die
auch ein Wissen aneignen kann, das Vergangenheit nicht braucht und nur
für die eigene Identität und Person damit ein Problem hat, wie man den
wichtig ist. Die Frage ist doch, Berg giftiger Rückstände ablagern
warum Wissen für mich erheblich und wieder loswerden kann. In dieser
und bedeutsam ist. Damit wären wir Sicht ist die Vergangenheit keine Resbei einer Kategorie, die wir im kul- source, auf die man angewiesen ist
turellen Sinne Bildung oder Ge- und mit der man weitermachen kann.
dächtnis nennen. Hier beginnt die
bewußte Aneignung von Informatio- Das kulturelle Gedächtnis ist völlig
nen, die in Wissen übergegangen anders, geradezu umgekehrt organisind und zu einem Teil der Persön- siert. Hier geht es um Institutionen
lichkeit werden, weil man sich mit der Bestandswahrung und den Erhalt
diesem Wissen auseinandersetzt und dessen, was nicht unmittelbar in Nutdaran wächst, also auch aufwächst in zen zu übersetzen und optimierbar ist.
einem primären Sinne. Man lernt Dazu gehören Museen, Archive, BiDinge in der Schule, die einem wich- bliotheken, Theater und so weiter. Es
tig sind, seien es Gedichte, Romane sind Institutionen, die Dinge vorhaloder Theaterstücke, die man gesehen ten, damit die nächste Generation
hat, es kann auch Musik sein, die noch die Chance hat, sich damit ausman gehört hat, oder Bilder, die ei- einanderzusetzen. An dieser Stelle
nem nachgehen. In diesen hochse- würde ich das kulturelle Gedächtnis
lektiven Prozessen eignet und erar- ansiedeln. Es ist nie auf einen kollekbeitet man sich Wissen an, das dann tiven Verwertungs- oder Identitätszudie eigene Person ausmacht. Da hat sammenhang ausgerichtet, sondern
jeder seinen eigenen Zugriff und Zu- stellt immer eine in sich widersprüchsammenhalt. Daß man sich das in je- liche Vielfalt dar, aus der sich dann
der Generation wieder neu zusam- die Individuen die Dinge herausziemenstellen kann, setzt voraus, daß hen, mit denen sie umgehen wollen.
sich die Gesellschaft Institutionen
leistet, die auch kostspielig sind, die SB: Welche Auswirkungen hat es aus
diese Dinge vorhalten, obwohl sie Ihrer Sicht, wenn diese Archive zukeinen unmittelbaren Anwendungs- sehends digitalisiert, teilweise sogar
nutzen haben.
monopolisiert werden?
Damit streifen wir die Frage nach dem
Fortschritt. In unserer Gesellschaft
gibt es nämlich eine Dimension, die
weiterhin an einer völlig ungebrochenen Fortschrittslogik festhält: die
Technik und im gewissen Sinne auch
www.schattenblick.de
AA: Nehmen wir ein neues Instrument wie Wikipedia, mit dem wir alle Informationen, an die wir überhaupt denken können, immer in Sekundenschnelle erhalten und das uns
jede Frage sofort beantworten kann.
So, 20. März 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
An diesem Punkt muß man sich jedoch auch überlegen, wie man an
Fragen kommt, die nicht so schnell
beantwortet werden können. Das ist
eigentlich der nächste Schritt. Denn
es führt auch zu einer Entwertung
des Wissens, wenn alle gleichzeitig
an alles herankommen, weil dann
nichts mehr im engeren Sinne wissenswert ist. Das heißt, man muß
über die verfügbaren Informationen
hinaus etwas tun, was nicht verfügbar ist, damit dies wieder zum Gegenstand der Suche, des Findens, des
Tastens, der Auseinandersetzung und
des Dialogs wird. Man muß Fragezusammenhänge und Diskurse aufbauen, an denen man gemeinsam
teilnehmen und die man nicht durch
Knopfdruck beenden kann. Denn
Suchen und Noch-nicht-gefundenHaben sind für die intellektuelle Entwicklung eigentlich der wichtigste
und auch produktivste Zustand.
Wenn ich sofort eine Antwort bekomme, ist das ja auch extrem unpädagogisch. Jeder Lehrer wird erst
einmal eine Spannung aufbauen, damit das, was am Schluß herauskommt, die Leute auch befriedigt.
Bis dahin müssen sie sich anstrengen. Das ist ja auch beim Erzählen
so. Man kommt am Schluß an ein
Ziel, aber das Ziel bedeutet nichts,
wenn man nicht einen langen Weg
dahin beschritten hat. Die Aufgabe
besteht darin, solche Zusammenhänge aufzubauen und die geistige Aktivität auf Dinge umzuorientieren, die
nicht sogleich erfüllbar und instantan zur Hand sind. Ansonsten werden
wir erschlaffen, unsere Denkmuskeln werden atrophieren.
SB: Ihre Beschäftigung mit der Flakhelfergeneration ruft eine Erinnerung hervor, die manchen Menschen
unangenehm ist. Nicht zufällig gab
es in der Bundesrepublik einmal die
sogenannte Schlußstrichdebatte.
Halten Sie die Forderung, diese Dinge endlich einmal beiseitezulegen,
um normale Verhältnisse herzustellen, für eine notwendige oder gar positive Entwicklung?
So, 20. März 2016
AA: Die Schlußstrichdebatte hat sehr
gut zwischen 1945 und Mitte der
80er Jahre funktioniert. Kohl war
noch ein Anhänger des Schlusstrichs
im Adenauerischen Fahrwasser.
Nicht nur Deutsche, auch Engländer
haben diese Idee, daß wir das Vergangene abschließen müssen, damit
wir eine neue Zukunft schaffen können, verfolgt. In seiner Rede vor der
Studentenschaft der Universität Zürich hat zum Beispiel Churchill 1946
gesagt: Wir müssen diese Vergangenheit auf sich beruhen lassen,
wenn wir das Haus Europa bauen
wollen, sonst tragen wir ja nur Haß
und Rache in die Zukunft hinein. Die
Erinnerung - und da hat er völlig
recht - kann auch negative Folgen
haben, beispielsweise, daß man die
ganze Zeit Rechnungen begleichen
möchte und die Textur des sozialen
Gewebes zerreisst. Natürlich war das
unglaublich entlastend für die Gesellschaft, die alles vergessen oder
besser gesagt in Klammern setzen
wollte, denn natürlich kann man so
etwas nicht vergessen. Aber man
wollte das Thema in der Öffentlichkeit nicht traktieren und sich statt
dessen gemeinsam - wie es Hermann
Lübbe sagte - auf die große Aufgabe
einstimmen, aus Parteigenossen
Bundesbürger einer neuen Demokratie zu machen. Diese große Transformation war, wie er es ausdrückte, nur
im Kokon eines kommunikativen
Schweigens möglich. Inzwischen hat
man ihm recht gegeben, daß es vielleicht eine solche Phase geben mußte, damit diese Verwandlung passieren konnte, an der übrigens die Flakhelfer - deswegen auch mein Interesse an ihnen - einen besonderen Anteil hatten.
Die Flakhelfer waren bei Kriegsende
ungefähr 18 Jahre alt. In dem Alter
fängt man normalerweise zu studieren an, aber meistens mußten sie
noch zwei, drei Schuljahre nachholen, ehe sie ins Studium gehen konnten. Im Gegensatz dazu hatte die
Kriegs-Generation der Väter bereits
ihre Schriften verfaßt, ihre geistigem
Karrieren und berufliche Existenzen
www.schattenblick.de
in der NS-Zeit aufgebaut und konnte
also nicht so schnell umschalten wie
die Flakhelfergeneration, die einfacher den Schalter umstellen konnte,
obwohl sie in ihrer gesamten Sozialisation durch und durch indoktriniert
war. Von daher hatte das kommunikative Schweigen vielleicht die Demokratisierung Deutschlands ermöglicht, aber mit dem einen ganz großen
Nachteil, den Lübbe nicht erwähnt,
nämlich daß die Opfer und Verfolgten keine Stimme hatten. Auch sie
mußten schweigen.
Das hat zu sehr schlimmen Verhältnissen geführt. Erst als sie verspätet
Zeugnis ablegen konnten, hat sich das
umgedreht, und dann ist auch eine
neue Begrifflichkeit entstanden. Ich
drücke das für mich so aus: Auf den
Schlußstrich ist der Trennungsstrich
gefolgt. Das klingt oberflächlich betrachtet vollkommen gleich, aber im
Grunde kann man an diesen beiden
Begriffen die umfassende Veränderung unseres Verhältnisses zur Vergangenheit sehr klar aufzeigen. Der
Schlußstrich bedeutet, wir machen
hier einen Strich und vergessen, was
vorher war, und kümmern uns um
das, was jetzt kommt. Der Trennungstrich bedeutet, wir ziehen eine
ganz klare Linie zwischen uns und
damals, aber damit wir diese Linie im
Auge behalten können und auch wissen, daß wir uns wirklich davon wegbewegt haben - was wir nicht wissen,
wenn wir den Schlußstrich ziehen -,
müssen wir uns erinnern, was vorher
war. Das ist ein reflektiertes Verhältnis zu dieser Schwelle. In diesem Fall
heißt das, man muß erinnern, um sich
davon zu distanzieren.
SB: Giorgio Agamben hat in seinem
Buch "Was von Auschwitz bleibt"
die authentische Zeugenschaft auf
bestimmte Personen begrenzt: die
sogenannten Muselmänner, die
schon in der Lagersituation ausgegrenzt wurden, weil sie des Todes
waren. Agamben warf die Frage auf,
inwiefern das historische Zeugnis
und ein Erinnern in Authentizität
überhaupt möglich sein kann, wenn
Seite 7
Elektronische Zeitung Schattenblick
man nicht absolut betroffen ist. überlebten. Warum sollte man das
Könnten Sie diese These aus Ihrer schwerste Los dieser Menschen entSicht kommentieren?
werten, indem man sagt, nur der Muselmann zählt? Das würde die AufAA: Man kann diese These sogar merksamkeit abwenden von dieser
noch verschärfen. Claude Lanzmann Minimalexistenz eines Überlebens
und auch viele Überlebende sind der im Regime des Todes. Zur ÖkonoAnsicht, daß die eigentlichen Zeugen mie in den Konzentrationslagern gedie Toten selber sind, also die, die gar hörte zum Beispiel die Kleidung und
nicht mehr reden können. Das Wort die Tasche darin. Von der Frage, ob
Zeuge leitet sich vom griechischen man eine Tasche hatte, in die man etmartys ab, der als Märtyrer für sei- was stecken konnte, hing manchmal
nen Glauben stirbt. Aber er brauchte das Überleben ab. Jedes kleinste Debereits einen Zeugen, der dieses tail war von Wichtigkeit. Das sind
Martyrium weitererzählte. Der Zeu- durchaus wichtige Untersuchungen
ge, wie wir ihn heute verstehen, ist
sowohl Opfer als auch jemand, der
etwas gesehen hat. Der Überlebende
wurde so zum sekundären Zeugen
für die toten Opfer der Gewalt. Die
sekundären Zeugen haben also eine
ganz wichtige Mission als Zeugen
für diese Zeugen. Agamben dagegen
hat hier eine Grenze gezogen. Für
ihn zählt nur das das Limenale, die
letzte Schwelle vor dem Tod, alles
andere hat demgegenüber keine Gültigkeit. Das ist eine intellektuelle
Strategie der Dramatisierung.
Ich habe mich lange mit Geoffrey
Hartman über diese These unterhalten, der seit den frühen 80er Jahren
das Projekt der FortunoffArchives in
Yale leitet, wo Überlebende in Videozeugnissen zur Rede kommen. Spielberg hat das gleiche in den 90er Jahren nach einem klaren Fragebogen
gemacht, was viel schematischer war.
Die Yale-Zeugnisse sind ein großartiger Beginn dieses ganzen Projekts.
Hartman ging es darum, so viel wie
möglich zu erfassen. In der Sicht von
Agamben würden diese Überlebenden, die Zeugnis abgelegt haben, den
Namen Zeuge gar nicht verdienen.
Warum muß diese Ausschließlichkeit
sein? Mir scheint, dahinter steckt
auch ein intellektueller Narzissmus.
Wer die steilste These aufstellt, kriegt
mehr Aufmerksamkeit.
Ein junger Israeli arbeitet im Moment über den Zustand derer, die in
den Konzentrationslagern zur Arbeit
gezwungen wurden und zum Teil
Seite 8
zur Ethnographie des Überlebens in
den Todeslagern. All das könnte man
gar nicht machen, wenn man eine
solche These aufstellt.
Die letzte Generation der überlebenden Zeugen sind die Kinder. Ruth
Klüger ist kürzlich im Bundestag
aufgetreten, man könnte noch Dov
Kulka hinzufügen, der ebenfalls als
Kind Auschwitz überlebt hat, aber
das hört jetzt sehr bald auf. Die Flakhelfer sind Überlebende einer anderen Art, sie sind Zeitzeugen des
Zweiten Weltkriegs. Natürlich
kommt dann auch die Frage auf, ob
man ihnen überhaupt zuhören soll.
Schließlich gibt es eine Hierarchie
der Opfer, und vielleicht sind sie
auch Täter, also wie halten wir es damit? Möglicherweise war es auch ein
Grund, warum sie so lange geschwiegen haben, weil sie sich fragten, wie steht mein Zeugnis neben
dem Zeugnis der überlebenden Opwww.schattenblick.de
fer? Ich denke, es ist an uns, auch
diejenigen, die sich aus solchen
Gründen zurückhalten, zu Wort
kommen zu lassen. Auch wir haben
ein Recht auf ihre Erinnerungen,
denn an diesem Krieg, der die deutschen Familien mit einbezogen hat,
hängen auch noch die Kinder und
Kindeskinder. Wir müssen auch diese Welt und diese Erfahrungen kennen, um unsere eigene Geschichte zu
verstehen.
SB: Frau Assmann, vielen Dank für
das lange Gespräch.
Moderatorin Mechthild
Klingenburg­Vogel und Aleida
Assmann bei der Diskussion
Foto: © 2016 by Schattenblick
Anmerkungen:
[1] INTERVIEW/032: Krieg um die
Köpfe - Frieden schaffen ohne Waffen ... Mechthild Klingenburg-Vogel im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/sozial/report/sori0032.html
[2] INTERVIEW/035: Kulturarchiv
des Krieges - erschöpft, ermüdet,
überlebt ... Aleida Assmann im Gespräch (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkri0035.html
http://www.schattenblick.de/
infopool/bildkult/report/
bkri0036.html
So, 20. März 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
MUSIK / REPORT / BERICHT
In Szene und erzählt - das uralte Spiel ...
Bewegende Uraufführung und spannender Politkrimi in Magdeburg:
Viel Beifall für Die Andere von Sidney Corbett und Christoph Hein
Uraufführung am 18. März 2016
von Christiane Baumann, 19. März 2016
Es war ein ganz besonderer
Abend im Magdeburger Schauspielhaus: Sidney Corbetts Kammeroper
Die Andere, ein Kompositionsauftrag des Theaters nach dem Libretto
von Christoph Hein, erlebte am Freitagabend (18. März) ihre Uraufführung und wurde vom Publikum verdient mit viel Beifall bedacht. So
hört sich Musik des 21. Jahrhunderts
an: dissonant und dennoch tonal.
Dem US-Amerikaner Sidney Corbett, dessen Werke international aufgeführt werden, war anzusehen, wie
emotional bewegt und aufgewühlt er
war, als er nach knapp eineinhalbstündiger Aufführung mit dem Ensemble auf der Bühne stand. Auch
Christoph Hein, der sich die Weltpremiere nicht entgehen ließ, zeigte
sich von der Inszenierung, die in einer Zusammenarbeit von mehr als
drei Jahren zwischen beiden Künstlern und dem Theater Magdeburg
entstand, beeindruckt und betonte,
sie habe seine Erwartungen noch
übertroffen. Nach der Oper Noach,
die 2001 in Bremen uraufgeführt
wurde, ist es die zweite gemeinsame
Arbeit von Corbett und Hein.
(SB) ­
Man kann es als Ehe- und PolitThriller bezeichnen, was das Publikum auf der Bühne erlebt. Den Stoff
liefert das Alte Testament. Das Bühnenbild wird von einer riesigen
Schriftrolle dominiert und rückt so
den biblischen Mythos aus dem
Buch Genesis Kapitel 16 unübersehbar in den Mittelpunkt. Abraham und
Sara, die Erzeltern, sind beide fast
hundert Jahre alt und haben noch immer keinen Erben. Die KinderlosigSo, 20. März 2016
Szenenfoto "Die Andere" ­
Uraufführung am 18.03.2016 im Theater Magdeburg
v.l.n.r. Kim Schrader (Ältester),
Roland Fenes (Abraham), Paul Sketris (Ältester), Manfred Wulfert (Nachor),
Kai Preußker (Ältester)
Foto: © 2016 by Nilz Böhme
keit bedroht Abrahams Macht. Das
Volk ist besorgt und rebelliert. Es
fürchtet, im Falle von Abrahams Tod
den machtgierigen Nachbarn ausgeliefert zu sein und unterjocht zu werden. Es fordert von Abraham nachdrücklich den Erben. Als dieser seiner Frau Sara mit Scheidung droht,
schlägt sie ihm vor, mit ihrer Magd
Hagar, der Ägypterin, ein Kind zu
zeugen. Hagar wird von beiden vergewaltigt. Als sie schwanger ist,
droht Saras Ehe dennoch zu zerbrechen. Der Konflikt löst sich erst, als
schließlich auch Sara schwanger
wird. Der Ältestenrat, der vorsorglich für den Fall von Abrahams Tod
dessen Bruder Nachor zum Nachfolwww.schattenblick.de
ger gewählt hat, wird für diesen
Aufruhr hart bestraft, so wie Sara ihre Magd Hagar wieder in das Sklavenjoch zwingt. Das Ende der Oper
Die Andere ist ernüchternd: Sara
dankt dem Herrn, dass er die "Ordnung" wiederhergestellt hat. Das
Licht geht aus. Es ist tiefe Nacht, eine Nacht, die Ausbeutung, Unterdrückung und Sklaverei bedeutet.
Der Aufstand ist vorbei. Die Zeugung des Erben sichert die Ehe
Abrahams und Saras und zugleich
die politische Macht. Hein bleibt eng
an der Bibel, aber er löst diese unerhörte Geschichte aus ihrer religiösen
Überhöhung, wodurch sie ihre Aktualität offenbart.
Seite 9
Elektronische Zeitung Schattenblick
Szenenfotos "Die Andere" ­
Uraufführung am 18.03.2016 im Theater Magdeburg
links: Undine Dreißig (Sara) und
Julie Martin du Theil (Hagar)
rechts: Roland Fenes (Abraham) und Julie Martin du Theil (Hagar)
Fotos: © 2016 by Nilz Böhme
Die Schriftrolle weist nicht nur auf
den biblischen Urgrund der Geschichte, sie ist gleichermaßen der
Raum, in und mit dem auf der Bühne
gespielt wird. Sie teilt die Welt in die
politisch Mächtigen und die Befehlsempfänger. Abraham, glänzend von
Roland Fenes gespielt und gesungen,
kann hier als mächtigster Mann von
oben herab auf sein Volk schauen, zu
dem auch das Publikum gehört, denn
Regisseur Ulrich Schulz siedelt
Nachor und den Ältestenrat vor der
Schriftrolle sowie vor der Bühne und
damit ganz unten im Zuschauerraum
an. Dabei presst er die Geschichte
nicht gewaltsam in unsere heutige
Zeit, auch wenn die Kostüme vom
Anzug bis zum Seidenkleid modern
und gegenwärtig sind. Bühnenbild
und Kostüme lassen vielmehr die
zeitliche Zuordnung in der Schwebe,
denn was hier verhandelt wird, ist
zeitlos. Das Spiel um die Macht ist
uralt und lässt im Handeln der Figuren archetypische Muster erkennen.
kellosen Text Christoph Heins und
setzt ihn in engem Bezug zu den musikalischen Spannungsbögen Corbetts in Szene, was dem Ganzen eine Schlichtheit verleiht, die geradezu bestechend ist. Da wirkt nichts
aufgesetzt. Die offene Bühne bezieht
das Publikum ein, macht Veränderungen in der Dekoration immer
wieder sichtbar. Auch das Orchester
sitzt auf der Bühne, hinter der Dekoration, und wird somit Teil der Inszenierung. In knappen Übertiteln werden die acht Szenen der Oper zusam-
mengefasst. Projektionen geben dem
Ungeheuerlichen auf der Bühne in
Riesenlettern einen Namen: der
ZEUGUNG durch Vergewaltigung,
dem VERRAT und der Wiederherstellung der ORDNUNG. Der Ältestenrat tritt in Masken auf, wird gesichtslos und austauschbar. Jede
Szene wird am Ende nahezu filmisch
"ausgeblendet". Schulz nutzt Elemente des epischen Theaters ebenso wie moderne Filmtechniken und
fügt alles zu einem organischen
Ganzen zusammen.
Schulz, der in Magdeburg schon verschiedene Bühnenbilder entwarft
und sich 2014 mit Strawinskys Die
Geschichte vom Soldaten als Regisseur präsentierte, nimmt den schnörSeite 10
www.schattenblick.de
So, 20. März 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Szenenfotos "Die Andere" ­
Uraufführung am 18.03.2016 im
Theater Magdeburg
Seite 10: Roland Fenes (Abraham),
Kim Schrader (Ältester), Kai Preuß­
ker (Ältester), Paul Sketris (Ältester),
Manfred Wulfert (Nachor)
oben: Roland Fenes (Abraham) und
Manfred Wulfert (Nachor)
Fotos: © 2016 by Nilz Böhme
Dabei gehen Corbetts Musik und
Heins Text in der Oper Die Andere
eine ungewöhnliche Symbiose ein.
Die karge und poesiearme Sprache
eröffnet dem Komponisten musikalische Räume, die er buchstäblich
sucht und sinnlich gestaltet. Die
Oper ist durchkomponiert und basiert auf vertrauten Harmonien.
Doch ihre Tonalität beruht nicht auf
der Kadenz und lässt sich somit nicht
auf eine Grundtonart festlegen. Es
sind vielmehr Klangteppiche, die
sich aus der Auflösung von Akkorden in der Komposition entwickeln
und die sich jeder Zuordnung entziehen. Damit entsteht musikalisch eine Mehrdeutigkeit, die sich zu der
stringent erzählten Geschichte kontrastiv verhält. Der Zuschauer, der im
Text "ankert", erlebt musikalisch eine Irritation, die sich aus einer Vielzahl überraschender Klangverbindungen und rhythmischen Verschiebungen speist. Jede Figur ist musikalisch charakterisiert, was bei Corbett
bedeutet, dass ihr jeweils bestimmte
So, 20. März 2016
Corbetts Musik entfaltet eine ungeheure Intensität. Zugleich ist sie anspruchsvoll und verlangt den Sängern
Höchstleistungen ab. Roland Fenes
brilliert in seiner Rolle als Abraham.
Bringt er einerseits dessen Überlegenheit spielerisch zum Ausdruck, so
gelingen ihm seine Partien scheinbar
mühelos. Sehr gelungen setzt Undine
Dreißig als Sara ihre lyrisch anmutenden Passagen dagegen, um schließlich
in der Vergewaltigungsszene auch mit
schrillen Tönen zu überzeugen. Julie
Martin du Theil ist eine anmutige Hagar, die anfangs in ihrer noch kindlichen Naivität befangen, am Ende jedoch gebrochen ist. Auch sie meistert
ihre Rolle glänzend. Manfred Wulfert
als Nachor steht dem in nichts nach.
Dass sich moderne Musik mit Humor
verbinden kann, hat die gelungene
Trinkszene des Ältestenrates, eindrucksvoll von Paul Sketris, Kim
Schrader und Kai Preußker gesungen,
einmal mehr gezeigt. Die 19 Musiker
des Kammerorchesters lieferten unter
dem Gastdirigenten Michael Wendeberg eine bemerkenswerte Leistung
ab. Wendeberg gelang es, die Akzente und Spannungsbögen aus der Musik sensibel herauszukitzeln.
Instrumente und Akkorde zugeordnet werden. Während bei Abraham
die Bassflöte dominiert, finden sich
in den Passagen Saras weiche und lyrisch anmutende Instrumente wie die
Harfe. Hagar, die sich von einem
jungen Mädchen zur Frau und Mutter entwickelt, geht mit dem Akkordeon und der Oboe eine musikalische Liaison ein. Dramatische Passagen, in denen sich die Konflikte
verschärfen, bestimmen vor allem
Schlagzeug und Blech. Die knappen
Zwischenspiele kommen melodiöser
daher, wecken mitunter Assoziatio- Corbetts und Heins Die Andere ist
eine politische Oper, die ihre Aktuanen zur Musik Paul Dessaus.
Szenenfoto "Die Andere" ­ Uraufführung am 18.03.2016 im Theater Magdeburg
Julie Martin du Theil (Hagar)
Foto: © 2016 by Nilz Böhme
www.schattenblick.de
Seite 11
Elektronische Zeitung Schattenblick
lität aus dem biblischen Mythos bezieht. Sie ist ein Politkrimi, der aktueller nicht sein könnte und ein Krimi,
der mit Hagar die Geschichte einer
heimatlosen jungen Frau erzählt, einer Fremden, die uns sehr bekannt
und gegenwärtig erscheint. Die An­
dere ist ein Musikwerk, das aus dem
Geist unseres Jahrhunderts, aus seinen Dissonanzen und Abgründen
entstanden ist und mit seiner harmonischen Disharmonie das Publikum
unversöhnlich mit dem jahrtausendealten Krieg um Macht konfrontiert.
SPORT / BOXEN / MELDUNG
Prominenz im Doppelpack
Badou Jack und James DeGale verteidigen ihre Gürtel
Badou Jack verteidigt den
WBC-Titel im Supermittelgewicht
am 30. April voraussichtlich in Washington D.C. gegen Lucian Bute.
Der in Las Vegas lebende Schwede
hatte sich den Gürtel im April 2015
durch einen überraschenden Punktsieg über den favorisierten Anthony
Dirrell in Chicago gesichert. Im
Die Andere
September 2015 setzte er sich in
Sidney Corbett
der Spielerstadt nach Punkten geKammeroper in acht Szenen |
gen den Briten George Groves
Libretto von Christoph Hein
Kompositionsauftrag des Theaters durch. Bute mußte sich zuletzt vor
Magdeburg | URAUFFÜHRUNG heimischem Publikum dem britischen IBF-Champion James DeGaMusikalische Leitung
le geschlagen geben, wobei nicht
Michael Wendeberg
wenige Experten der Auffassung
Regie/Bühne Ulrich Schulz
waren, daß er mindestens ein UnKostüme Falk Bauer
entschieden verdient gehabt hätte.
Dramaturgie Ulrike Schröder
Um gegen Jack die Oberhand zu
Abraham Roland Fenes
behalten, müßte der Herausforderer
Sara Ks. Undine Dreißig
mit einer höheren Schlagfrequenz
Hagar Julie Martin du Theil
aufwarten, um im Falle eines engen
Nachor Manfred Wulfert
Verlaufs die Punktrichter für sich
Rat der Ältesten Kim Schrader,
einzunehmen. Während für den
Kai Preußker, Paul Sketris
Weltmeister 20 Siege, eine NiederWeitere Vorstellungen am 27. März, lage sowie ein Unentschieden zu
am 7. April, am 14. Mai 2016 je- Buche stehen, hat der in Kanada leweils um 19.30 Uhr im Schauspiel- bende Rumäne 32 Auftritte gewonnen und drei verloren.
haus Magdeburg.
(SB) ­
Im Vorprogramm derselben VeranZur Uraufführung Die Andere
staltung verteidigt James DeGale den
erschien im Schattenblick ein
Gürtel der IBF gegen Rogelio MediInterview mit dem Schriftsteller
na, der im Unterschied zu Bute als
Christoph Hein:
Außenseiter in den Ring steigt. Der
Schattenblick → INFOPOOL → Champion aus England hat 22 Siege
und eine Niederlage auf dem sportMUSIK → REPORT
INTERVIEW/052: In Szene und er- lichen Konto, die Bilanz des Herauszählt - "Die Andere", eine Oper ... forderers weist 36 gewonnene und
Christoph Hein im Gespräch (SB) sechs verlorene Kämpfe auf. Der
http://www.schattenblick.de/info- 30jährige DeGale hat den Titel im
April 2015 durch einen knappen
pool/musik/report/muri0052.html
Punktsieg gegen den US-Amerikaner Andre Dirrell gewonnen und im
http://www.schattenblick.de/
November in Quebec City gegen Luinfopool/musik/report/
cian Bute erstmals erfolgreich verteimurb0030.html
digt.
Seite 12
www.schattenblick.de
Daß Badou Jack und James DeGale
gemeinsam im Rahmen eines
Kampfabends präsentiert werden,
könnte darauf hindeuten, daß ein
Duell der beiden Weltmeister zur
Vereinigung ihrer Titel später im Jahr
geplant ist. Sollten sich Jack und
DeGale in Washington durchsetzen,
würde dies dem Interesse des Publikums sicher zuträglich sein, die beiden gegeneinander kämpfen zu sehen. Behielte jedoch Bute die Oberhand, bliebe offen, ob er angesichts
seiner umstrittenen Niederlage gegen den Briten geneigt wäre, einer
Revanche gegen DeGale den Zuschlag zu geben.
Bevor die aktuelle Konstellation bekanntgegeben wurde, hatte ein möglicher Kampfder beiden Briten James
DeGale und George Groves im Raum
gestanden, der vermutlich eine große
Arena in London füllen würde. Wie
inzwischen publik geworden ist,
könnte diese Option im Sommer über
die Bühne gehen, sofern keiner von
beiden bei seinem nächsten Auftritt
eine Niederlage einstecken muß.
Deshalb sollte DeGale ungeachtet
seiner Favoritenstellung auf der Hut
sein, da Rogelio Medina für eine gehörige Schlagwirkung bekannt ist.
Für den Herausforderer dürfte es
darauf ankommen, den Champion
derart unter Druck zu setzen, daß
dessen sattsam bekannte Probleme
zutage treten, die volle Distanz bei
hohem Tempo durchzustehen. Interessanter wird aber dennoch der
Hauptkampf des Abends zwischen
Jack und Bute sein, die nahezu
gleichwertig einzuschätzen sind. Bei
DeGale steht eher zu befürchten, daß
er sich Medina selten zum Schlagabtausch stellt und sein Heil in ständigen Ausweichmanövern sucht. [1]
So, 20. März 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Ein Wiedersehen mit den Brüdern diesem Auftritt vom Heimvorteil
Anthony und Andre Dirrell
profitierte. Von seinen boxerischen
Möglichkeiten her gehört der ältere
Der ehemalige WBC-Weltmeister im Dirrell zweifellos zu den herausraSupermittelgewicht Anthony Dirrell genden Akteuren des Supermittelgetrifft am 29. April in Atlantik City in wichts. Würde er nicht immer wieeinem auf zehn Runden angesetzten der längere Pausen zwischen seinen
KampfaufCaleb Truax. Um sich mit Auftritten einlegen, könnte er diese
dem 31jährigen Dirrell zu messen, Gewichtsklasse längst dominieren.
steigt der ein Jahr ältere Truax aus
dem Mittelgewicht ins höhere Limit Der aktuellen Unterbrechung seiner
auf. Während für den früheren Karriere von einem Jahr ging bereits
Champion 28 Siege, eine Niederlage eine Abwesenheit vom Ring zwisowie ein Unentschieden zu Buche schen März 2010 und Dezember
stehen, hat sein Gegner 26 Auftritte 2011 voraus, die seiner Weiterentgewonnen und zwei verloren.
wicklung und Durchsetzung gegen
die Konkurrenz natürlich nicht förMit von der Partie ist an diesem derlich war. 2012 trug er überhaupt
Abend im Trump Taj Mahal auch keinen Kampf aus, und von Februar
Anthonys ein Jahr älterer Bruder 2013 bis August 2014 war wiederum
Andre Dirrell, der ebenfalls über nichts von ihm zu sehen. Unter diezehn Runden auf Blake Caparello sen Umständen mutet es nachgerade
trifft, der zeitweise im Halbschwer- erstaunlich an, wie gut er sich im
gewicht angetreten ist und dort sogar vergangenen Jahr gegen James Deum einen Titel gekämpft hat. Andre Gale geschlagen hat. [2]
Dirrell, der als der talentiertere der
beiden Brüder gilt, hat 24 Kämpfe
für sich entschieden und zweimal Anmerkungen:
verloren. Der 29 Jahre alte Australier
kann mit einer Bilanz von 22 Siegen, [1] http://www.boxingnews24.com/
zwei Niederlagen und einem Unent- 2016/03/jack-bute-degale-medina-dcschieden aufwarten.
armory-washington-dc/#more-206642
Dirrell hat seit der Niederlage gegen [2] http://www.boxingnews24.James DeGale im April 2015 in Bo- com/2016/03/dirrell-brothers-actionston nicht mehr im Ring gestanden. april-29/#more-206649
Wäre der US-Amerikaner nicht in
der zweiten Runde zweimal niederhttp://www.schattenblick.de/
geschlagen worden, hätte er den
infopool/sport/boxen/
Kampf wahrscheinlich gewonnen. In
sbxm1928.html
einem der beiden Fälle hatte der Brite seinen Gegner eher umgestoßen
als schwer getroffen, was der
Ringrichter jedoch nicht realisierte.
SCHACH - SPHINX
DeGale, der als Außenseiter angetreten war, profitierte damals überraschenderweise von einer wohlwolStaub und Schicksal
lenden Punktwertung.
(SB) ­ Neulinge hatten es in den HalSchon in der Vergangenheit war len des Königlichen Spiels immer
Andre Dirrell in Titelkämpfen nicht schon schwer gehabt. Kein Ruf eilte
gerade vom Glück begünstigt. So ihnen voraus außer der, eine leicht
mußte er sich 2009 im Rahmen des besiegbare Trophäe zu sein. MenSuper-Six-Turniers dem Briten Carl schen waren eben zu allen Zeiten arFroch in Nottingham knapp nach rogant und überheblich. In San SePunkten geschlagen geben, der bei bastian 1911 trat José Capablanca
So, 20. März 2016
www.schattenblick.de
mit 23 Jahren zu seinem ersten internationalen Turnier an. Viel von
sich reden gemacht hatte der Kubaner nicht. Wer konnte damals auch
schon ahnen, daß in diesem wohlerzogenen Jüngling der nächste Weltmeister steckte. In seinem Heimatland hatte er für Furore gesorgt, und
auch den amerikanischen Schachmatador Marshall konnte er in einem
Wettkampf geschlagen. Aber seinerzeit waren die Nachrichtenwege
noch langsam und viel Notiz hatte
man von Capablancas Sieg auch
nicht genommen. So kam es, daß Dr.
Ossip Bernstein, ein gefürchteter
Spieler damals, Protest einlegte gegen die Teilnahme des Kubaners.
Seines Erachtens war der Kubaner
spielerisch noch lange nicht reif für
ein Meisterturnier. Einen Grünschnabel wollte er in San Sebastian
nicht neben sich dulden. Aber Bernstein sollte für seine hochtrabenden
Worte bitterlich büßen. Gleich in der
ersten Runde überflügelte ihn Capablanca aufdem Brett, als wäre es die
leichteste Sache der Welt. Für seinen
Sieg erhielt er später vom Baron
Rothschild einen Sonderpreis. Keine Frage, daß Capablanca das Turnier gewann. Aber auch Capablanca
mußte sich wiederholt in seiner
Karriere jüngeren Meistern beugen,
wie zum Beispiel in Rotterdam
1938, wo er gegen den späteren
Weltmeister Michail Botwinnik
aufsehenerregend verlor. Das
Schicksal geht seltsame Wege, mal
erhebt es den Menschen, mal schlägt
es ihn in den Staub nieder. Im heutigen Rätsel der Sphinx hatte Capablanca zuletzt 1...De8-e7 gespielt.
Botwinnik schrieb über seinen
nächsten Zug: "Mit diesem Zug beginnt eine zwölfzügige Kombination. Ich muß zugeben, daß ich sie
nicht bis zum Ende berechnen
konnte. Deshalb ging ich in zwei
Etappen vor. Ich berechnete zunächst die ersten sechs Züge und
kam zu der Überzeugung, daß ich
mindestens Remis durch ewiges
Schach in der Hand hatte. Nachdem
diese sechs Züge gespielt worden
waren, konnte ich die Kombination
Seite 13
Elektronische Zeitung Schattenblick
bis zum Ende durchrechnen. Man
sieht, daß die Möglichkeiten eines __I n h a l t__________Ausgabe 1769 / Sonntag, den 20. März 2016__
Schachspielers, besonders gegen
Ende einer Partie, doch begrenzt 1 POLITIK - REPORT: Migrationskonferenz Kampnagel der Sprung ins Netz und weiter ... Larry Macauley im Gespräch
sind." Nun, Wanderer, genug der
5
BILDUNG
UND KULTUR - REPORT: Kulturarchiv des Krieges Hinweise?
erschöpft, ermüdet, überlebt ... Aleida Assmann im Gespräch (2)
9 MUSIK - REPORT: In Szene und erzählt - das uralte Spiel ...
12 SPORT - BOXEN: Prominenz im Doppelpack
13 SPORT - BOXEN: Ein Wiedersehen mit den Brüdern Anthony
und Andre Dirrell
13 SCHACH-SPHINX: Staub und Schicksal
14 DIENSTE - WETTER: Und morgen, den 20. März 2016
DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN
Und morgen, den 20. März 2016
+++ Vorhersage für den 20.03.2016 bis zum 21.03.2016 +++
Botwinnik - Capablanca
Rotterdam 1938
Auflösung des letzten
Sphinx­Rätsels:
http://www.schattenblick.de/
infopool/schach/schach/
sph05780.html
Liste der neuesten und
tagesaktuellen Nachrichten ...
Kommentare ... Interviews ...
Reportagen ... Textbeiträge ...
Dokumente ... Tips und
Veranstaltungen ...
http://www.schattenblick.de/
infopool/infopool.html
Seite 14
© 2016 by Schattenblick
Acht Züge zum Matt sind manchmal
schneller zu finden als der kurze
Weg zu einem Zweizüger. So auch
für Dr. Neustadl: 1...Le6-h3+ 2.Kg2h2 De3- f2+ 3.Kh2xh3 g5-g4+
4.Kh3xg4 Sd7-f6+ 5.Kg4-h3 Df2f3+ 6.Kh3-h2 Sf6-g4+ 7.Kh2-g1
Df3-f2+ 8.Kg1-h1 Df2-h2#
Manchmal läßt die Sonne grüßen,
wolkenreich mit etwas Niesel
hält es Jean auf seinen Füßen,
denn er liebt den nassen Fiesel.
IMPRESSUM
Elektronische Zeitung Schattenblick
Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K.
Verantwortlicher Ansprechpartner:
Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
Elektronische Postadresse: [email protected]
Telefonnummer: 04837/90 26 98
Registergericht: Amtsgericht Pinneberg / HRA 1221 ME
Journalistisch-redaktionelle Verantwortung (V.i.S.d.P.):
Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV:
Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
ISSN 2190-6963
Urheberschutz und Nutzung: Der Urheber räumt Ihnen ganz konkret das Nutzungsrecht
ein, sich eine private Kopie für persönliche Zwecke anzufertigen. Nicht berechtigt sind
Sie dagegen, die Materialien zu verändern und / oder weiter zu geben oder gar selbst zu
veröffentlichen. Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher
Genehmigung des Verlages. Wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, liegen die
Urheberrechte für Bild und Text bei: Helmut Barthel
Haftung: Die Inhalte dieses Newsletters wurden sorgfältig geprüft und nach bestem
Wissen erstellt. Bei der Wiedergabe und Verarbeitung der publizierten Informationen
können jedoch Fehler nie mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden.
www.schattenblick.de
So, 20. März 2016
Herunterladen