Neueste tagesaktuelle Berichte ... Interviews ... Kommentare ... Meinungen .... Textbeiträge ... Dokumente ... MA-Verlag POLITIK / REDAKTION Kurdischer Aufbruch Gesichter des Kapitals ... (1) Kolonialistische Herrschaft ­ unab­ gegolten und unterschätzt Die kapitalistische Moderne heraus­ fordern II ­ Konferenz an der Univer­ sität Hamburg, 3. bis 5. April 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick Freitag, 22. Mai 2015 Brasilien: Korruption bei Megaprojekten schädigt Image der Rousseff-Regierung IPS­Inter Press Service Deutschland GmbH IPS­Tagesdienst vom 21. Mai 2015 von Mario Osava "Die kapitalistische Moderne sezieren" - um Alternativen zur herrschenden Gesellschafts- und Verwertungsordnung zu entwickeln, bedarf es zunächst einer gründlichen Analyse ihrer materiellen und historischen Voraussetzungen ... (Seite 4) IPS / Kooperationspartner 1 POLITIK - WIRTSCHAFT: Brasilien - Korruption bei Megaprojekten schädigt Image der RousseffRegierung (IPS) 8 POLITIK - ERNÄHRUNG: Afrika - Gemüse aus dem Sack, von Stadtfarmern und Mikrogärtnern (IPS) 10 UMWELT INTERNATIONALES: Karibik - Luxus-Bauprojekte in Antigua und Barbuda bedrohen Meeresökosysteme (IPS) SCHACH-SPHINX Die Zeit mag vergehen ... Monarchien wurden gestürzt, ganze Zeitalter gingen in Bausch und Bogen unter und hinterließen kaum mehr als verwitterte Ruinen, der Mond wurde betreten und wieder verlassen, man hat dem Atom ... (S. 3) Modell einer Offshore­Ölplattform Bild: © Mario Osava/IPS RIO DE JANEIRO (IPS) ­ Industri- elle Megaprojekte können Regierungen in eine gefährliche Schieflage bringen. So wirft die Krise des brasilianischen Erdölgiganten 'Petrobras' nicht nur ein schlechtes Licht auf den ehemaligen linken Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2011), sondern bringt auch seine Nachfolgerin, die ebenfalls der Arbeiterpartei PT zugehörige Dilma Rousseff, in arge Bedrängnis. Im Jahr 2014 räumte das Unternehmen ein, im Zusammenhang mit Korruption 6,2 Milliarden Real (2,1 Milliarden US-Dollar) abgeschrieben zu haben, hinzu kamen Verluste in Höhe von 44,6 Milliarden Real aufgrund überbewerteter Raffinerien und anderer Vermögenswerte. Das ganze Ausmaß der Verluste wird wohl nicht bekannt werden. Wohl steht fest, dass Petrobras auf internationaler Ebene an Glaubwürdigkeit verloren hat. Das Firmenimage ist lädiert. Elektronische Zeitung Schattenblick Die Aussagen der im Zusammenhang mit der Operation 'Lava-jato' ('Autowäsche') beschuldigten Personen sowie die Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Polizei haben zu der Erkenntnis geführt, dass die im Zeitraum 2004 bis 2012 geflossenen Schmiergelder etwa drei Prozent des Wertes der Verträge mit 27 Unternehmen ausgemacht haben. Der größte finanzielle Schaden wurde offensichtlich durch unzulängliche Entscheidungen, schlechte Planung und Missmanagement verursacht. In Brasilien hat der Bestechungsskandal reichlich Staub aufgewirbelt, und die Folgen sind nach wie vor unüberschaubar. Zwei Drittel der Einbußen der Vermögenswerte konzentrierten sich auf die beiden größten Petrobras-Projekte: auf die fast fertiggestellte Raffinerie 'Abreu e Lima' im Nordosten und den Petrochemischen Komplex (COMPERJ) in Rio de Janeiro. In beiden Fällen waren die Bauarbeiten während der Amtszeit Lulas begonnen worden. Petrobras informierte die Investoren darüber, dass COMPERJ, ein Megaprojekt im Wert von 21,6 Milliarden Dollar, im vergangenen Jahr seine als unprofitabel geltende PetrochemieSparte abgestoßen hatte. Die Raffinerie produziert inzwischen täglich nur noch 165.000 Barrel Erdöl. Für das unterfinanzierte Unternehmen wird es nun schwierig werden, Investitionen in Millionenhöhe für die Fertigstellung der Raffinerie aufzubringen, die bereits zu 82 Prozent steht. Sollte das Projekt unvollendet bleiben, wären die Verluste noch höher. Massenentlassungen und Verarmung Die Folgen dieses Debakels sind bereits sichtbar. Tausende Arbeiter wurden entlassen. Am Standort des Industriekomplexes in Itaboraí, etwa 60 Kilometer von Rio entfernt, nimmt der wirtschaftliche und soziaSeite 2 le Niedergang seinen Lauf. Die Lagerung bereits angeschaffter Maschinen, die nicht mehr gebraucht werden, verschlingt jährlich Millionen Dollar. Die Petrobras-Krise hängt auch mit dem Verfall der internationalen Ölpreise und mit den jahrelang in Brasilien bereitgestellten Treibstoffsubventionen zusammen, durch die die Preise künstlich niedrig gehalten wurden, um die Inflation zu kontrollieren. In Gefahr ist nun auch die Schiffsindustrie, die expandiert war, um die Nachfrage der Ölfirmen zu befriedigen. Schätzungen zufolge werden die Werften bis zu 40.000 Arbeiter entlassen müssen, sollte die Krise anhalten. nicht kosteneffizient genug verworfen. Zu dem Zeitpunkt waren bereits fast 900.000 Dollar in den Erwerb von Bauland gesteckt worden. Das Desaster der Ölindustrie macht nach wie vor Schlagzeilen, da vier Raffinerien sowie Dutzende Werften und große Bauunternehmen in den Skandal verwickelt waren. Diese Dienstleister werden beschuldigt, an Petrobras Schmiergelder gezahlt zu haben. Auch bei anderen Großvorhaben in den Bereichen Energie und Logistik ist es zu erheblichen Verzögerungen gekommen. Megaprojekte schossen in dem größten Staat Lateinamerikas wie Pilze aus dem Boden, als die Wirtschaftsentwicklung während der acht Amtsjahre Lulas hohe Zuwächse generierten. Ein Wachstumsbeschleunigungsprogramm der Regierung gab zusätzliche Anreize. Der großangelegte Bau von Schienenstrecken, Häfen, Straßen und Kraftwerken sowie die Erzeugung von Biotreibstoffen stellten die Produktionskapazitäten Brasiliens weiter auf den Prüfstand. Der Industriezweig erlebte in Brasilien nach einer erneut hohen Nachfrage nach Bohrinseln und anderen Gerätschaften zur Erdölförderung einen Aufschwung. Damals schickte sich Petrobras an, im Atlantik unter zwei Kilometer dicken Salzschichten lagernde Ölvorkommen ('pre-salt oil reserves') zu fördern. Die Raffinerie Abreu e Lima, die 230.000 Barrel täglich weiterverarbeiten kann, nahm Jahrelange Verzögerungen Ende 2014 die Arbeit auf. Doch überstiegen die Projektkosten den Die meisten Projekte bleiben jedoch Voranschlag um das Achtfache. mehrere Jahre hinter ihrem Zeitplan zurück. Die Umleitung des Flusses Das hat unter anderem damit zu tun, São Francisco durch ein 700 Kilodass eine geplante Partnerschaft mit meter langes Netz aus Kanälen, dem staatlichen venezolanischen Öl- Aquädukten, Tunneln und Rohren unternehmen PDVSA, die Lula mit sowie der Bau von Staudämmen zur seinem inzwischen verstorbenen Erhöhung der Wassergewinnung im Amtskollegen Hugo Chávez (1999- semiariden Nordosten sollten eigent2013) vereinbart hatte, nicht so ver- lich schon 2010, am Ende von Lulas lief wie vorgesehen. So hielt PDVSA zweiter Amtszeit, fertiggestellt sein. seine Zusage, 40 Prozent der Bauko- Inzwischen haben sich die Kosten sten zu finanzieren, nicht ein. Auf- bereits verdoppelt. Dabei ist noch grund des Abkommens waren jedoch nicht einmal sichergestellt, dass der teure Maschinen angeschafft wor- kleinere der beiden großen Kanäle den, die für die Verarbeitung des in bis Ende dieses Jahres in Betrieb geVenezuela geförderten Schweröls er- nommen werden kann. Auch private forderlich sind. Projekte wie der Bau von Eisenbahnlinien im Nordosten sind zeitPläne für den Bau von zwei weiteren lich in Verzug geraten. Proteste indiRaffinerien in den nordostbrasiliani- gener Gemeinschaften und der Umschen Bundesstaaten Ceará und Ma- weltbehörden sowie Streiks führen ranhão wurden von Petrobras als zu weiteren Verzögerungen. www.schattenblick.de Fr, 22. Mai 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick SCHACH - SPHINX Die Zeit mag vergehen ... (SB) ­ Monarchien wurden gestürzt, Das Wasserkraftwerk 'Santo Antô­ nio' im nordwestbrasilianischen Bundesstaat Rondônia 2010 wäh­ rend der Bauphase Bild: © Mario Osava/IPS Die Welle von Megaprojekten in den vergangenen zehn Jahren erklärt sich dadurch, dass in Lateinamerika im Allgemeinen und in Brasilien im Besonderen in den 1980er und 1990er Jahren zu wenig in die Infrastruktur investiert wurde. Ab 1980 baute Brasilien keine Ölraffinerien mehr. Die erfolgreiche Vermarktung von Ethanol als Benzin-Alternative ließ in der Folgezeit dafür auch keine Notwendigkeit mehr erkennen. Das Land exportierte Benzin und führte Diesel ein. Erst als sich die Zahl der Autos im Land und der industrielle Ölverbrauch rasant erhöhten, wurde der Bau neuer Raffinerien dringend erforderlich. Die Rückkehr des Wirtschaftswachstums während Lulas Regierungszeit machte umso deutlicher, wo die Defizite lagen und wie wichtig es war, die verlorene Zeit aufzuholen. Wunschdenken verleitet Planer oft dazu, eine Vielzahl von Megaprojekten anzugehen. Die Konsequenzen, zu denen auch eine grassierende Korruption gehört, liegen längst auf der Hand. Die politischen Folgen für die Rousseff-Regierung und die Arbeiterpartei lassen um die Stabilität des lateinamerikanischen Giganten fürchten. (Ende/IPS/ck/21.05.2015) Links: http://www.ipsnews.net/2015/05/megaprojectscan-destroy-reputations-in-brazil/ http://www.ipsnoticias.net/2015/05/los-megaproyectospueden-sepultar-reputaciones-enbrasil/ 1984 wurden die letzten großen Wasserkraftwerke eingeweiht: Itaipú an © IPS-Inter Press Service Deutschder Grenze zu Paraguay und Tucuruí land GmbH im nördlichen Amazonasregenwald. 2001, als der damalige Präsident Fer- Quelle: nando Henrique Cardoso (1995- IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2015 2003) Maßnahmen zur Stromrationierung über einen Zeitraum von http://www.schattenblick.de/ acht Monaten in Kraft setzte, brach infopool/politik/wirtsch/ eine Energiekrise aus. pwi00259.html Fr, 22. Mai 2015 www.schattenblick.de ganze Zeitalter gingen in Bausch und Bogen unter und hinterließen kaum mehr als verwitterte Ruinen, der Mond wurde betreten und wieder verlassen, man hat dem Atom seine gutbehüteten Geheimnisse entrissen, es gespalten oder zusammengeschweißt mit seinesgleichen, und das alles in nur wenigen Jahrzehnten. Bedenkt man, daß das europäische Schach im großen und ganzen bis auf unsere Tage so erhalten geblieben ist, wie es die Renaissance schuf, so kommt man um den leisen Vorwurf nicht umhin, daß das Schachspiel von seiner inneren Verfassung her durch und durch konservativ ist. Mehr noch: Es hat seine royalistischen Züge nie verleugnet, weswegen es infolge der zahlreichen Menschheitsrevolutionen nicht weniger als angefeindet wurde. Über das christliche Zufeldeziehen ist schon mehrfach berichtet worden, auch daß im Nationalkonvent nach der Erstürmung der Bastille tatsächlich darüber diskutiert worden ist, die Figur des Königs auch auf dem Brett zu degradieren. Heftige Kontroversen gab es nach der Russischen Revolution. Aus ideologischen Gründen erwog Lenin nicht nur, den König zu proletarisieren, auch die Königin geriet ins Speerfeuer des antizaristischen Umbruchs. Viel Worte braucht man über Khomenis Versuch, das Schachspiel wegen seiner Namenswurzel Shah gänzlich zu verbieten, nicht zu verlieren. Und doch, allen Zuwiderstrebungen zum Trotz behielt das Schachspiel seine Existenzberechtigung. Es läßt sich mit geringen Abstrichen sogar die Behauptung aufstellen, daß das Schach vermutlich das letzte Relikt vordemokratischer Feudalsysteme darstellt. Die Zeit mag vergehen, unsere Leidenschaften bleiben bestehen. Denn das Schach war schlau Seite 3 Elektronische Zeitung Schattenblick genug gewesen, die Worte unseres Dichterkönigs Goethe fest in sein Herz zu schließen: "Mit den Irrtümern der Zeit ist schwer sich abzufinden; widerstrebt man ihnen, so steht man allein; läßt man sich davon befangen, so hat man weder Ehre noch Freude davon." Viel Freude an seiner Partie hatte jedenfalls Meister Bhend. Mit den schwarzen Steinen überraschte er im heutigen Rätsel der Sphinx sein Gegenüber mit einer wahrhaft beherzten Siegeskombination. Auf Ehre, Wanderer, kannst du sie finden? Gast - Bhend Schweiz 1987 Auflösung des letzten Sphinx­Rätsels: POLITIK / REDAKTION / BERICHT Kurdischer Aufbruch - Gesichter des Kapitals ... (1) Kolonialistische Herrschaft ­ unabgegolten und unterschätzt Die kapitalistische Moderne herausfordern II ­ Konferenz an der Universität Hamburg, 3. bis 5. April 2015 "Die kapitalistische Moderne sezieren" - um Alternativen zur herrschenden Gesellschafts- und Verwertungsordnung zu entwickeln, bedarf es zunächst einer gründlichen Analyse ihrer materiellen und historischen Voraussetzungen. Dies stand auf der zweiten Konferenz des Networks For An Alternative Quest am Anfang des umfangreichen dreitägigen Programms. Um dem Anspruch, gesellschaftliche Alternativen im Rahmen des demokratischen Konföderalismus aufzubauen, waren wie schon bei der ersten Konferenz vor drei Jahren zahlreiche Gäste aus aller Welt geladen. In der ersten Session trug Radha D'Souza diesem Vorhaben ausdrücklich aus der Sicht der Länder des Südens Rechnung. Mit der an der University of Westminster in London lehrenden Rechtswissenschaftlerin saß eine aus Indien stammende Aktivistin auf dem Podium, die eine dezidierte Position gegen den Kolonialismus als integralen Bestandteil des Kapitalismus vertritt. Bildet der Klassenkampf die innere Dimension des Kapitalismus, so steht die kolonialistische Expansion für seine äußere Sphäre. Es gebe keinen Kapitalismus ohne Kolonialismus, in welcher Form auch immer er auftrete, erklärte die Referentin kategorisch. listischen Debatte mehr Gewicht zu verleihen. Wer ihren englischsprachigen Ausführungen folgte, begriff bald, daß die Referentin keine Vertreterin jener Funktionseliten ist, die es sich im Elfenbeinturm akademischer Institutionen so bequem gemacht haben, daß sie Gefahr laufen, die konkreten materiellen Gewaltverhältnisse, denen das Gros der Menschen ausgesetzt ist, aus den Augen zu verlieren. Dies geht auch aus der Bewunderung hervor, die sie für den berühmten Vordenker des Antikolonialismus, Frantz Fanon, hegt. In einem Interview [1] berichtete sie 2013 davon, wie sie den inzwischen, wenn nicht rundheraus als "Prophet der Gewalt" geschmähten, so doch im Cultural Turn der Sozialwissenschaften identitätspolitisch zu einem "cool guy" transformierten Verfasser des antikolonialistischen Manifests "Die Verdammten dieser Erde" in seiner urspünglichen Wirkmächtigkeit wiederentdeckte. Wo die als monopolistischer Verfügungsanspruch moderner Exekutivmacht höchst widersprüchliche Gewaltfrage bei der Rezeption staatstragender Denker wie Machiavelli oder Hobbes als solche affirmativ legitimiert wird, wurde sie bei Fanon ihrer antikolonialistischen Bestimmung enthoben und der Entsorgung durch eine kulturwissenschaftliche Rezeption preisgegeben, die sich darin als Instrument geschichtspolitischer Umdeutung erweist. Garry Kasparow ließ sich von dem plumpen Annäherungsversuch des schwarzen Turms nicht beirren, vielmehr nutzte er dessen Erscheinen nach 1...Tf8-c8, um mittels 2.Dc5xc8+! Le6xc8 3.Tb1-b8 Sh6g8 4.Tb8xc8 De7-a7 5.Kg1-h2 Da7-e7 6.Tc8-e8 seinen Gegner Jussupow zur Kapitulation zu zwingen. Auch 3...g7-g6 wäre ein Schlag ins Wasser gewesen wegen 4.Tb8xc8+ Kh8-g7 5.Tc8-c7! Radha D'Souza wandte sich im AuDe7xc7 6.Sd6-e8+# dimax der Universität Hamburg an ein Publikum, das zumindest teilweihttp://www.schattenblick.de/ se die Sicht der europäischen Metroinfopool/schach/schach/ polengesellschaften verinnerlicht sph05481.html hat, und ermahnte es, dem Problem Radha D'Souza verweist demgegendes Kolonialismus in der antikapita- über auf das für den global entgrenzSeite 4 www.schattenblick.de Fr, 22. Mai 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick ten Kapitalismus unverändert gültige Problem einer mit Gewaltmitteln durchgesetzten Ordnung von oben und unten. Wo Sklavenhandel, Landraub, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und menschlicher Arbeit eine physische, soziale, ökonomische, kulturelle und emotionale Totalität kolonialistischer Unterdrückung hervorbrachten, blieb den davon betroffenen Menschen nicht viel mehr, als sich mit den entsprechend zerstörerischen Folgen für ihr Leben in ihr Schicksal zu fügen oder individuell wie kollektiv gewaltsam dagegen aufzubegehren. Für D'Souza handelte es sich dabei um intuitive Reaktionen auf Mißstände, die der gezielt dagegen vorgehende Freiheitskämpfer beenden wollte. Darin sieht sie einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Gewalt der Kolonialherren und des gegen sie gerichteten Versuchs ihrer revolutionären Überwindung: "Der Widerstandskämpfer richtet sich gegen die ausübende Gewalt in der Hoffnung, sie für immer zu be­ enden. Revolutionäre Gewalt stellt die Menschlichkeit im mißbrauch­ ten und gefolterten Individuum wie­ der her. Der Akt des Widerstands bringt ihm die Würde und die Selbstgewißheit, die die Gewalt des Unterdrückers zerstört haben, zu­ rück." [2] Was etwa für den antifaschistischen Widerstand in den von Wehrmacht und SS besetzten Staaten als selbstverständliche Tugend betrachtet wird, läßt sich aus Sicht der Erben des europäischen Kolonialismus offensichtlich nicht eins zu eins auf den antikolonialistischen Widerstand übertragen. Die Rechtswissenschaften meiden Fanon, bedauert Radha D'Souza und prognostiziert, daß der Tag, an dem die juristischen Seminare den antikolonialistischen Vordenker in ihr Curriculum aufnehmen, den Beginn einer Zeit markiert, in der das Ziel einer gewaltfreien Welt ernsthaft verfolgt wird. Fr, 22. Mai 2015 Shops getreten, betrieben von transnationalen Unternehmen, die sich die Natur, Kultur und Arbeit der Länder des Südens aneigneten. Radha D'Souza Foto: © 2015 by Schattenblick Abstrakte Verfügungsgewalt, konkrete Zerstörung In ihrem "Industrialism: Law, Science and Imperialism" überschriebenen Vortrag stellte Radha D'Souza einige Ausschlußkriterien für die Entwicklung alternativer Gesellschaftsmodelle oder Lebensformen vor, die sich aus der historischen Zurichtung der Länder des Südens auf eine Ver- und Entsorgungsperipherie der hochproduktiven Metropolengesellschaften Westeuropas und Nordamerikas folgerichtig ergeben. So habe sich die Moderne in den Ländern des Südens, die die Referentin als Gesellschaften der "Dritten Welt" bezeichnet, nicht aufgrund innerer Widerspruchslagen entwickelt, sondern sei ihnen von den Kolonialmächten aufoktroyiert worden. Unabhängig davon, wie Kolonialismus und Imperialismus in Erscheinung traten, sei jegliche Modernisierung durch sie verordnet worden, woraus sich ein fundamentaler Unterschied zu den Modernisierungsprozessen in den Gesellschaften Europas ergebe. Den Unterschied zwischen der Ersten und Dritten Welt in Rechnung zu stellen sei eine zentrale Voraussetzung für jegliche Überlegung in Richtung auf gesellschaftliche Alternativen, bekräftigte die Referentin angesichts der tiefen Spaltungen und Brüche, die aus der verordneten Modernisierung der Produktions- und Lebensweisen und der dadurch erfolgten Verdrängung traditioneller Formen der Arbeit und des Wissens in den Gesellschaften des Südens hervorgingen. Ihre Kritik entzündet sich insbesondere an der bereitwilligen Übernahme von Ideen und Theorien der westeuropäischen und nordamerikanischen Geistesgeschichte, die nicht ohne weiteres auf die ganz anders formierten Verhältnisse der Länder des Südens zu übertragen seien. Selbstbestimmung sei die Voraussetzung für eine soziale, ökonomische und kulturelle Entwicklung, die den Menschen gerecht wird. Machten sie sich allerdings daran, eigene Wege im Umgang mit ihrer natürlichen Umgebung, mit ihren kulturellen Traditionen und ihren sozialen Bedingungen einzuschlagen, seien sie unausweichlich mit der militärischen Aggression der mächtigsten kapitalistischen Staaten konfrontiert. So ständen die Bevölkerungen der Länder des Südens gleich zwei Herausforderungen gegenüber - die inneren Widersprüche gegen die Interessen ihrer eigenen Oligarchien und Eliten aufzulösen und dies auch noch gegen Während dort der Klassenantagonis- den kolonialistischen und imperialimus die Rolle des prozessierenden stischen Übergriff von außen zu verWiderspruchs einnahm, der die ge- teidigen. sellschaftliche Entwicklung vorantreibt, habe der europäische Indu- Daß dieser mitunter die Gestalt der strialismus die gesamte kolonisierte Demokratisierung annimmt, ändert Welt mit Ausbeutung und Unter- nichts an seiner destruktiven Gewalt, drückung überzogen. An die Stelle so Radha D'Souza in Hinsicht aufdie der Sklaven und Tagelöhner seien Dekolonisierung des eigenen Lanheute Arbeitsmigration und Sweat des. Die blutige Teilung Indiens hawww.schattenblick.de Seite 5 Elektronische Zeitung Schattenblick be gezeigt, worin die Etablierung einer angeblich verantwortungsvoll handelnden Regierung nach dem Vorbild der Kolonialmacht resultiere, habe diese doch ein Wahlrecht durchgesetzt, daß die Menschen auf der Basis unterschiedlicher Religionen von vornherein gegeneinander aufgebracht habe. Für die Referentin stellt sich die Teilung Indiens als eine frühe Form der humanitären Intervention dar. Auch wenn man es damals noch nicht so bezeichnete, so fühlt sich Radha D'Souza bei der blutigen Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens in jüngster Zeit an die Ereignisse vor fast 70 Jahren erinnert. durchaus lokale Lösungen für die Versorgung mit Wasser und Strom, wie Radha D'Souza auf Nachfrage unter Verweis auf die People's Science Movements [3] erläuterte. In diesen sozialen Bewegungen verfolgen Aktivistinnen und Aktivisten wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Absicht, das technische Wissen, das die innovative Dynamik kapitalistischer Produktivität antreibt, auf seine sozialökologische Verträglichkeit zurückzubinden und seinen wirtschaftlichen Ertrag zum Nutzen der Bevölkerung einzusetzen. Das Ziel, nachhaltige Formen der Produktion zu entwickeln, wird auch durch die Reaktivierung traditioneller Formen der technischen BeDemokratie und Industrialismus sei- wältigung von Versorgungsprobleen auch deshalb miteinander unver- men, die ohne extensive Naturzereinbar, weil großdimensionierte Pro- störung auskommen, verfolgt. duktionsverläufe auf der Basis weltweiter Arbeitsteilung im Wider- Den in urbanen Zentren lebenden spruch zur notwendigen Einbindung Aktivistinnen und Aktivisten der Andemokratischer Willensbildung in tistaudammbewegung, die den Wiüberschaubare soziale Verhältnisse derstand lokaler Bevölkerungen gestehe. Industrialismus beruhe auf der gen Umweltzerstörung und VertreiExpansion der Maßstäbe, was stets bung unterstützen, wird oft vorgehalin den Versuch gemündet sei, Pro- ten, bedenkenlos den Komfort der duktion, Distribution und Konsum städtischen Versorgung mit Elektrider lokalen, regionalen und nationa- zität und Wasser in Anspruch zu nehlen Ebene zu entheben und global men, ohne dies auch der Landbevölentufern zu lassen. Das wiederum kerung zu ermöglichen. Dies habe setze die umfassende Aneignung von das People's Science Movement daArbeit und Ressourcen, die Etablierung komplexer bürokratischer Apparate und professioneller Streitkräfte zur Kontrolle dieser Entwicklung voraus. Hinzu käme die Einführung von Rechtsmechanismen und -institutionen, die von der Offenheit zwischenmenschlicher Konfliktbewältigung abstrahierten, indem sie sich technologiegestützter und formalrechtlich strukturierter Formen der Mediation bedienten. Dies ermögliche auch industrielle Großprojekte wie den Bau von Staudämmen in Indien, die im Interesse globaler Investoren, internationaler Organisationen und zentralisierter Staatsapparate die Enteignung und Vertreibung von Millionen Menschen bewirken. Dabei gebe es Seite 6 zu veranlaßt, sich dem traditionellen Wasserversorgungssystem Indiens zuzuwenden, das für das Problem eines trockenen subtropischen Landes, nur mit drei Monaten Regen im Jahr auskommen zu müssen, längst technische Lösungen der Aufbewahrung von Wasser entwickelt hatte. Als einige dieser traditionellen Systeme der Wasserversorgung für den menschlichen Gebrauch und die Bewässerung der Felder errichtet und zudem für die Stromerzeugung eingesetzt wurden, rief das die indische Regierung auf den Plan. Sie bestand darauf, daß die Wasserversorgung eine zentralstaatliche Aufgabe sei, und weigerte sich, die gesetzlichen Grundlagen für Systeme der lokalen Selbstversorgung zu schaffen. Später wurde die nationale Stromversorgung privaten Investoren überlassen, ohne daß die Regierung ein Problem damit hatte, die dafür erforderlichen Gesetze zu beschließen. Dies sei nur nur ein Beispiel der vielen Probleme, auf die soziale Bewegungen wie das People's Science Movement stoßen, wenn sie der schlichten Tatsache, die spezifischen Bedingungen des jeweiligen Ortes in den Mittelpunkt der Entwicklung von Versorgungs- und Bewirtschaf- Die Botschaft fällt auf fruchtbaren Boden Foto: © 2015 by Schattenblick www.schattenblick.de Fr, 22. Mai 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick hin habe sich der Industrialismus des 19. Jahrhunderts zum Militarismus des 20. Jahrhunderts transformiert, sei das Militär doch seit dem letzten Weltkrieg die zentrale Triebkraft wissenschaftlicher und technologischer Innovation. Das gelte auch für die Sozialwissenschaften, für die wissenschaftliche Erforschung betrieblicher und gesellschaftlicher Organisation, für die Technologien des Managements, der Kybernetik und Kommunikation. Zwischen den Bürokratien der Unternehmen, des Staates, des Rechts und der Wissenserzeugung hätten sich zahlreiche Drehtüren geöffnet, was allerdings nur dann, wenn es an die Oberfläche der MeWissen dekolonisieren, Mensch dien gelange, als Skandal empfunden werde. und Natur regenerieren tungssystemen zu stellen, Rechnung tragen. Tatsächlich seien die Systeme der Wasserversorgung in Britannien, wo es das ganze Jahr regnet, und Indiens, wo lange Phasen der Dürre vorherrschen, nicht zu vergleichen, so Radha D'Souza. Auch das sei ein Grund dafür, daß sich die Fragestellungen, mit denen die Wissenschaften befaßt sind, ändern müßten. In Indien jedenfalls habe man erleben müssen, wie die Regierungstechniken des Kolonialismus das lokale Wissen über die Natur, die Menschen und die Gesellschaft zerstörten, um die eigene Doktrin zur alternativlosen Wahrheit zu erheben. Überall in der Dritten Welt habe man leidvoll erfahren, wie der Prozeß der Dekolonisierung in der Übernahme des Vermächtnisses der Kolonialmächte endete. Man habe geglaubt, man könne Kapitalismus praktizieren, ohne dabei kolonialistisch zu agieren, und habe so neue Abhängigkeitsverhältnisse und Zerstörungsprozesse hervorgebracht. Im Unterschied zu den antikolonialistischen Bewegungen des letzten Jahrhunderts hätten die Vertreibungen, die durch industrielle und infrastrukturelle Großprojekte in Gang gesetzt wurden, keinen in seiner Größe und Wirksamkeit vergleichbaren Widerstand hervorgerufen. Dies alles richte sich gegen die demokratische Ermächtigung von unten, beruhe diese doch auf räumlichen Verhältnissen, die eine enge Verbindung von Menschen, Kulturen und Arbeitsverhältnissen ermöglichen. Während Ortsgebundenheit für die Regeneration der Natur, der Gesellschaft und des Lebens stehe, mache die Ideologie des industriellen Militarismus Front gegen Mensch, Kultur und Natur. Wirkliche Demokratie bedürfe anderer Formen von Wissenschaft und Rechtsprechung als die des Industrialismus, der die Natur erforscht, um sie profitträchtig in Produktion, Distribution und Konsumption einspeisen zu können. Es mache eben keinen Unterschied, ob die umfassende Aneignung von Arbeit und Natur unter liberalem, sozialistischen oder nationalistischen Vorzeichen erfolge. Die Kommodifizierung von Arbeit und Natur setze voraus, daß der Faden zu den lokalen Erfordernissen ihrer Erbringung und Entstehung durchschnitten wird. Eine produktive Kooperation von Mensch und Natur könne nur unter den materiellen Bedingungen des jeweiligen Ortes entstehen, nicht in der abstrakten Welt bürokratischer Institutionen. Ohne- Von daher sei es äußerst problematisch, Modernisierung und Demokratisierung in eins zu setzen. Zahlreiche Organisationen in der Dritten Welt hätten die Unvereinbarkeit von expansionistischem Industrialismus und demokratischer Entwicklung erkannt, doch wie könne man diese beiden Konzepte wieder voneinander entkoppeln? Radha D'Souza beantwortet diese Frage mit einer Kritik an der europäischen Aufklärung. Deren spezifische Entstehungsbedingungen machten diese geistesgeschichtliche Tradition ungeeignet Fr, 22. Mai 2015 www.schattenblick.de dafür, auf ganz anders gestaltete Länder und Kulturen übertragbar zu sein. Mehr als 500 Jahre Aufklärung hätten die menschliche Zivilisation an den Rand ihrer Existenz manövriert und die Menschen zu einem Leben unter permanenter Unsicherheit verurteilt. Die expandierenden Dimensionen der Produktion, Distribution und Konsumption hätten dementsprechend anwachsende Zerstörungsprozesse hervorgebracht, wozu auch die Verabsolutierung des Vertragsrechts im Neoliberalismus beitrug, so die Rechtswissenschaftlerin. Heute könne alles Objekt eines Vertrages werden, was sich besonders verheerend auswirke, wenn supranationale Organisationen wie die Weltbank oder der IWF den Ländern des Südens diktierten, welche verfassungsmäßigen und gesetzlichen Veränderungen sie zu übernehmen hätten. Die Denker der Aufklärung hätten das Vertragsrecht aufgrund seines freiwilligen Charakters auf eine metaphysische Ebene gehoben und damit die übernatürliche Quelle des Rechts in der Theologie angezapft, so die allerdings nicht zur Erheiterung bestimmte Pointe der Referentin. Radha D'Souza wirft die rhetorische Frage auf, was wohl freiwillig daran wäre, wenn eine arme Frau in einem Drittweltland als Leihmutter für ein europäisches Paar fungiert oder ein armer Mann seine Niere einem reichen Empfänger spendet, weil er sonst nichts mehr zu verkaufen hat. Im Kampf gegen den Feudalismus hätten die Denker der Aufklärung auch gegen die Verbindung des Menschen zum konkreten Ort und im Widerstand gegen den Klerus gegen die Schutzwürdigkeit der Natur rebelliert, die ihnen als gottgegeben erschien. Der Imperialismus habe jedoch die feudalistischen Machtstrukturen der Dritten Welt in ihrer Gesamtheit kooptiert, so daß Feudalismus und Imperialismus sich auf gegenseitige Weise verstärkten. Seite 7 Elektronische Zeitung Schattenblick Mithin könne nicht erstaunen, daß die nationalen Befreiungskämpfe dieser Ära keine neuen Wissenschaften und kein neues Rechtsverständnis hervorgebracht haben. Indem die Befreiungsbewegungen die wissenschaftlichen und konstitutionellen Werkzeuge der Kolonialherren in der irrtümlichen Vorstellung übernahmen, dadurch das Wohlergehen der Bevölkerung zu sichern, öffneten sie dem Neokolonialismus und schließlich dem Neoliberalismus Tür und Tor. Auch die sozialistischen Revolutionen hätten die positivistischen Wissenschafts- und Rechtssysteme der Aufklärung übernommen, ohne zu berücksichtigen, daß sich der Sozialismus nicht auf den Grundlagen des Kapitalismus und Selbstbestimmung nicht auf den Grundlagen des Imperialismus errichten lassen. Wer über gesellschaftliche Alternativen nachdenke, dem stelle sich die Aufgabe, die Voraussetzungen der herrschenden politischen Ökonomie wirksam in Frage zu stellen, um die gleichen Fehler nicht noch einmal zu wiederholen. Für südasiatische Gesellschaften sei der demokratische Konföderalismus Abdullah Öcalans nichts Neues, erklärt Radha D'Souza anschließend in der Diskussion, sondern quasi der Naturzustand. Indien sei der zentralisierte Staat kolonialistisch aufoktroyiert worden, was auch zu Lasten sogenannter Dorfrepubliken, also selbstorganisierter und selbstversorgender Dorfgemeinschaften, gegangen sei. Ob diese sich einer zentralstaatlichen Kontrolle entziehen können oder in künftigen Verteilungskämpfen bürokratisch verwalteten Apparaten, die die Ziele der Politik mit Hilfe des staatlichen Gewaltmonopols durchsetzen, unterworfen werden, ist nicht zuletzt eine Frage der Emanzipation von allen Formen administrativer Fremdbestimmung. (wird fortgesetzt) Seite 8 Audimax der Universität Hamburg Foto: © 2015 by Schattenblick Anmerkungen: Fanon-reflections.pdf&rct=j&q=&esrc=s&sa=U&ei=LrRdVbyQGIX8ygPtz4HoCA&ved=0CBQQFjAA&usg=AFQjCNEV9XkpaFOXqYNVDqq3Sp4a0Uso2Q [1] http://www.interfacejournal.net/wordpress/wp-content/uploads/2013/05/Issue-5_1-full- [3] http://www.unm.edu/~varPdF.pdf ma/print/EPW_Science%2520Movements.pdf [2] http://www.google.de/url?url=http://www.interfacehttp://www.schattenblick.de/ journal.net/wordpress/wp-coninfopool/politik/report/ tent/uploads/2013/05/Interface-5-1prbe0192.html POLITIK / ERNÄHRUNG / INTERNATIONAL Afrika: Gemüse aus dem Sack Von Stadtfarmern und Mikrogärtnern IPS­Inter Press Service Deutschland GmbH IPS­Tagesdienst vom 20. Mai 2015 von Miriam Gathigah und Lisa Vives NAIROBI/NEW YORK (IPS) ­ In Afrika werden bis zum Jahr 2050 aller Voraussicht nach 58 Prozent der Bevölkerung - 1,26 Milliarden Menschen - in Städten leben. Diese Menschenmassen zu ernähren, ist eine ständig wachsende Herausforderung. Inzwischen www.schattenblick.de betreiben Millionen städtische Arme erfolgreich verschiedene Formen der urbanen Landwirtschaft, um ihr Überleben zu sichern. In der größten Armensiedlung Afrikas, dem Kibera-Slum in der Fr, 22. Mai 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick Durchschnittsfamilie nur 50 bis 100 Dollar im Monat zur Verfügung stehen", meint der Wirtschaftswissenschaftler Arthur Kimani. Courtney Gallaher ist Assistenzprofessorin an der 'Michigan State University'. Sie forscht über Nahrungssysteme und nachhaltige Landwirtschaft. Ihren Untersuchungen zufolge geben die meisten Haushalte im Kibera-Slum 50 bis 75 Prozent ihrer Einkommen für Nahrungsmittel aus. Durch den Verkauf eines Teils des Gemüses, das sie in den Pflanzsäcken ziehen, können sie zwischen 20 und 30 Dollar monatlich - abzüglich der Bewässerungskosten - dazuverdienen. Alice Atieno zwischen ihren Sackbeeten im Kibera­Slum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi Bild: © Miriam Gathigah/IPS kenianischen Hauptstadt Nairobi, hat vor einigen Jahren das 'Gartenim-Sack-Konzept' Einzug gehalten. Für diese Form der vertikalen Landwirtschaft spricht eine Vielzahl von Faktoren wie die geringen Produktionskosten und die Möglichkeit, hohe Erträge auf begrenztem Raum zu erzielen. "Ein Sack kostet etwa zwölf Cent, die Erde höchstens einen Dollar", rechnet der Kibera-Farmer Peris Muriuki vor und fügt hinzu: "Für die meisten von uns ist die Erde kostenlos, weil wir sie uns aus der näheren Umgebung holen." Die Mikrogärtner brauchen neben den Säcken und der Erde Dung und kleine Steine als Bodensatz, die das überschüssige Wasser drainieren. Sind die Sack-Beete vorbereitet, werden die Pflanzensamen oben und seitlich ins Erdreich gedrückt. Wenn sie keimen, suchen sich die Triebe auf dem Weg zur Sonne ihren Weg durch die seitlich in die Säcke gebohrten Löcher. Fr, 22. Mai 2015 Erfolgreiche Projekte Gefördert wird das Prinzip von etlichen Nichtregierungsorganisationen. Die französischen 'Solidarites International' konnten seit 2008 22.109 Haushalte in den Elendsvierteln Mathare, Kiambiu und Kibera zum Sackgärtnern mobilisieren, wovon insgesamt 110.000 Menschen profitieren. Angelaufen war das Unterfangen als Projekt zur Beschäftigung junger Arbeitsloser im Zusammenhang mit den Unruhen nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2007, die landesweit mehr als 1.000 Tote forderten. Auch Alice Atieno zieht ihr Gemüse - Kohlköpfe, Spinat, Paprika und Frühlingszwiebeln - in Säcken. Ihre sechs Kinder passen auf, dass sie die Stauden nicht beschädigen. "Sie wissen, was Hunger bedeutet", sagt die Mutter. "Und sie wissen genau, dass es diese Pflanzen sind, die sie ernähren." Nach Angaben des 'Map Kibera Trust', der sich für die Partizipation von Slumbewohnern an Entscheidungsprozessen einsetzt, generieren die Pflanzsäcke ein wöchentliches Zusatzeinkommen von mindestens fünf US-Dollar. "Das ist recht viel, wenn man bedenkt, dass einer www.schattenblick.de Zahlen des Landwirtschaftsministeriums von 2010 belegen, dass 30 Prozent der Einwohner Nairobis innerstädtisch und an den Stadträndern Landwirtschaft betreiben, die meisten von ihnen greifen auf städtische Abwässer zurück. Die Nahrungsmittelproduktion in Säcken gilt als gesunde Alternative. Die städtische Landwirtschaft, ob nun in Säcken oder auf Mikro-Parzellen praktiziert, hat sich längst afrikaweit durchgesetzt. In Kobaya, einer Siedlung am Rand der guineischen Hauptstadt Conakry, bewirtschaftet eine Gruppe von Frauen seit 1997 drei Hektar Land. Die Brunnen auf dem Gelände haben sie selbst gegraben, und die Gartengeräte, die sie benötigen, sowie Säcke und eine Karre, auf der sie ihr Gemüse zum Markt transportieren, sind in einem Schuppen untergebracht. Die Frauenkooperative benutzt keine chemischen Düngemittel, um die Produktion anzukurbeln. "Unser Gemüse wird natürlich angebaut und geerntet", versichert Ramata Touré, die für die Vermarktung der Erzeugnisse zuständig ist. "Mit Hilfe eines Experten haben wir den Boden so bearbeitet und aufgeteilt, dass wir das ganze Jahr über ernten können." Seite 9 Elektronische Zeitung Schattenblick Afrikaweites Phänomen In Kamerun, Malawi und Ghana bauen Schätzungen zufolge zwischen 25 und 50 Prozent der urbanen Haushalte Gemüse an. In Malawi verfügen 700.000 Stadtbewohner über Mini-Gärten. In Accra (Ghana) und Freetown (Sierra Leone) ist die städtische Landwirtschaft inzwischen fester Bestandteil der jeweiligen Stadtentwicklungspläne. In vielen afrikanischen Ländern wie Burundi und der Demokratischen Republik Kongo gibt es Schulen, die die Kinder mit selbst angebauten Agrarerzeugnissen versorgen. UMWELT / INTERNATIONALES / PROTEST Karibik: Luxus-Bauprojekte in Antigua und Barbuda bedrohen Meeresökosysteme IPS­Inter Press Service Deutschland GmbH IPS­Tagesdienst vom 21. Mai 2015 von Desmond Brown Wie aus einer Untersuchung des Internationalen Wassermanagement-Instituts (IWMI) hervorgeht, gehen mindestens 20 Millionen der 100 Millionen Städter Westafrikas irgendeiner Form von Landwirtschaft nach. Weltweit produzieren 800 Millionen Stadtfarmer ein Fünftel der globalen Nahrungsmittel, heißt es in einer weiteren IWMI-Studie aus dem letzten Jahr. (Ende/IPS/kb/20.05.2015) Links: http://www.iwmi.cgiar.org/2014/01/harvesting-citiestapping-the-potential-of-urban-agriculture/ http://www.ipsnews.net/2015/05/kenyans-attack-food-insecurity-withurban-farms-and-sack-gardens/ http://www.ipsnews.net/2013/08/slum-farmers-rise-above-the-sewers/ Auf der Insel Guiana müssen Man­ grovenwälder neuen Straßen weichen Bild: © Desmond Brown/IPS GUIANA ISLAND (IPS) ­ Als Gaston platz und ein Jachthafen auf dem Programm. Dass die 2011 in Peking gegründete 'Yida International Investment Group' damit begonnen hat, die Mangroven auf der Insel abzuholzen, hat zu heftigen Protesten von Umweltschützern geführt. In einer Online-Petition forderten sie den Regierungschef auf, das illegale Vorgehen der Chinesen in dem Meeresschutzgebiet zu verhindern. Brown bei den Wahlen im Juni 2014 die Arbeiterpartei von Antigua und Barbuda zum Erdrutschsieg führte, verhieß er dem Karibikstaat eine glänzende Zukunft als regionales Wirtschaftszentrum. In den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit billigte er eine Vielzahl privater Investitions© IPS-Inter Press Service Deutsch- projekte in Wert von mehr als drei Milliarden US-Dollar. Guiana, das vor der Nordostküste land GmbH Antiguas zwischen der Halbinsel Das mondänste ist das 'Guiana Island Parham und der Insel Crump liegt, Quelle: IPS-Tagesdienst vom 20. Mai 2015 Project' der chinesischen Yida-Grup- ist die viertgrößte Insel des Karibikpe, das die Entwicklung der landes- staates und Habitat des Damhirsches, weit größten Freihandelszone vor- des Nationaltieres von Antigua und http://www.schattenblick.de/ sieht. Darüber hinaus stehen ein Barbuda. Sollte in dem Gebiet ein infopool/politik/ernaehr/ Mehrzweck-Konferenzzentrum, Vil- Jachthafen entstehen, würden Riffe peri0134.html lensiedlungen, ein 27-Loch-Golf- und Seegrasbetten zerstört, warnt Seite 10 www.schattenblick.de Fr, 22. Mai 2015 Elektronische Zeitung Schattenblick "fundamentalistische" Haltung vor. Er räumte ein, dass "manche Tierarten möglicherweise vernichtet werden müssen", wenn die Regierung ihre Entwicklungsprojekte voranbringe. "Meine Regierung muss nicht in Umweltschutz unterwiesen werden", betont er. Fuller drohte jedoch, dass die Umweltschützer Brown für Gesetzesübertretungen zur Rechenschaft ziehen würden. (Ende/IPS/ck/20.05.2015) Link: http://www.ipsnews.net/2015/05/development-threatens-antiguas-protected-guiana-island/ Eli Fuller, Vorsitzender der Umwelt­ weltorganisation 'Antigua Conser­ vation Society' Bild: © Desmond Brown/IPS Tahambey Smith, Vorsitzender der 'Environment Awareness Group' (EAG). Auch die Sicherheit der Inselbewohner sei dann in Gefahr, denn die Riffe dienten als natürliche Puffer gegen hohe Atlantikwellen. Wichtige Brut- und Laichgebiete gefährdet Der Erhalt der Natur für kommende Generationen sei wichtiger als ein paar neue Arbeitsplätze, so der Umweltaktivist. "Der Wert der Mangroven als Brut- und Laichgebiete für Fische, Hummer und Schalentiere ist wissenschaftlich erwiesen. In den Küstengewässern von Guiana vermehren sich auch Arten, die eigentlich in den Gewässern anderer Karibikinseln wie St. Kitts, St. Maarten oder Guadeloupe heimisch sind. Umweltsünden in Antigua, die auch unsere Nachbarn zu spüren bekommen." mawandel anpassen, wenn diese Systeme bedroht sind? Sind sie einmal © IPS-Inter Press Service Deutschvernichtet, wird es schwer sein, Re- land GmbH silienz aufzubauen." Quelle: Gerade für die kleinen Inseln habe IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2015 der Klimawandel weitreichende Folhttp://www.schattenblick.de/ gen, so auch Eli Fuller, Vorsitzender infopool/umwelt/internat/ der 'Antigua Conservation Society' uipt0097.html (ACS), die federführend an der Petition für den Erhalt der Natur in Guiana beteiligt ist. Diese macht geltend, dass die Insel Teil eines gesetzlich festgelegten Schutzgebietes ist. "Mangroven-Habitate tragen dazu bei, die Küstenerosion aufzuhalten, die durch den Klimawandel verstärkt wird. Zudem ist mit heftigeren Stürmen, längeren Dürren und schlimmeren Fluten zu rechnen. Mangroven können außerdem Sedimente zurückhalten, die durch starke Niederschläge oder Überschwemmungen von der Insel fortgeschwemmt werden", so Fuller. Auf diese Weise könnten Korallen oder Grasbetten gerettet werden, die durch die Ablagerungen zerstört würden. Wenn die Riffe geschützt würden, könnten sie Ruth Spencer, die für das Kleinkre- der durch den Klimawandel verurditprogramm SGB der Globalen sachten Korallenbleiche besser WiUmweltfazilität GEF in Antigua und derstand leisten. Barbuda tätig ist, rät dringend zu einem Schutz der marinen Ökosyste- Premierminister Brown wirft den me. "Wie können wir uns dem Kli- Umweltaktivisten hingegen eine Fr, 22. Mai 2015 www.schattenblick.de Ein Kampf für die Ewigkeit Vorschau auf ausgewählte Profikämpfe der kommenden Wochen 23. Mai: Andre Dirrell gegen James DeGale 29. Mai: Amir Khan gegen Chris Algieri 30. Mai: Kell Brook gegen Frankie Gavin 6. Juni: Miguel Cotto gegen Daniel Geale 12. Juni: Marco Huck gegen Krzysztof Glowacki 20. Juni: Andre Ward gegen Paul Smith http://www.schattenblick.de/ infopool/sport/boxen/ sbxm1698.html Seite 11 Elektronische Zeitung Schattenblick ______I n h a l t______________________________________Ausgabe 1470 / Freitag, den 22. Mai 2015____ POLITIK - WIRTSCHAFT SCHACH-SPHINX POLITIK - REPORT POLITIK - ERNÄHRUNG UMWELT - INTERNATIONALES DIENSTE - WETTER Brasilien - Korruption bei Megaprojekten schädigt Image der Rousseff-Regierung (IPS) Die Zeit mag vergehen ... Kurdischer Aufbruch - Gesichter des Kapitals ... (1) Afrika - Gemüse aus dem Sack, von Stadtfarmern und Mikrogärtnern (IPS) Karibik - Luxus-Bauprojekte in Antigua und Barbuda bedrohen Meeresökosysteme (IPS) Und morgen, den 22. Mai 2015 Seite Seite Seite Seite Seite Seite 1 3 4 8 10 12 DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN Und morgen, den 22. April 2015 +++ Vorhersage für den 22.05.2015 bis zum 23.05.2015 +++ Langsam fühlt 's sich danach an, als ob das späte Frühjahr auch doch noch wärmer werden kann, schon als Wohltat für Jean-Lucs Bauch. © 2014 by Schattenblick IMPRESSUM Elektronische Zeitung Schattenblick Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K. 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Wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, liegen die Urheberrechte für Bild und Text bei: Helmut Barthel Haftung: Die Inhalte dieses Newsletters wurden sorgfältig geprüft und nach bestem Wissen erstellt. Bei der Wiedergabe und Verarbeitung der publizierten Informationen können jedoch Fehler nie mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden. Seite 12 www.schattenblick.de Fr, 22. Mai 2015