Marc Aurel Text

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Marc Aurel Text
Es hat Zeiten gegeben, da spielten Kinder mit Ritterburgen, Zinnsoldaten und
mit kleinen Figuren, die aus Ton geformt waren. Da waren Burgen ein
besonderer Gebäudebestand. Ohne eine Burg konnte man ja gar nicht Ritter
kämpfen lassen. Der Burggraben war wichtig, ohne Zugbrücke ging es nicht,
und die Mauern, die die Burg umschließen, hatten Schießscharten, und die
Burg lag meistens auf einem hohen Berg. Trümmer und Ruinen wirklicher
Burgen kann man heute noch besichtigen; und gar manche Burg besteht noch wie etwa die Marienburg des deutschen Ritterordens. Gewaltige Anlagen.
Wenn einmal die Zugbrücke eingeholt war, die schweren Tore durch quer
liegende Balken fest geschlossen waren, wenn die Bogenschützen ihre Plätze
eingenommen hatten, wenn der Türmer Ausschau hielt nach nahenden
Angreifern, dann war die Burg gegen die Aggressoren gesichert. Vorräte waren
eingelagert, der Brunnen führte sauberes Wasser. Der Viehbestand war
gesichert. Die Burg konnte monatelang einer Belagerung standhalten. Und so
manches Mal mussten die Belagerer einsehen, dass der Aufwand für eine
Eroberung dieser Festung nicht lohnte. Eine nicht nur für Kinder faszinierende
Welt. Wasser in den Graben, Tore schließen, Zugbrücke hoch, kochendes Pech
auf die Zinnen, Bogenschützen verteilen – und unangreifbar werden die
Menschen, die sich in die Festung gerettet haben.
Vor nunmehr fast zweitausend Jahren hat ein Mann in einem kleinen Text
dieses Bild der Festung bemüht, um zu verdeutlichen, wie ein Mensch leben
kann, ohne unablässig im Krieg mit sich selbst und mit anderen zu sein. Er
schreibt dort:
„Denke daran, dass deine übergeordnete Vernunft (hegemonion), wenn sie, in
sich selbst gesammelt, sich selbst genügt und nichts tut, was sie nicht will,
unüberwindlich wird, auch wenn sie einmal ohne genügenden Grund
Widerstand leistet. Wie viel mehr also dann, wenn sie mit Grund und mit
Bedacht über etwas urteilt? Deshalb ist die denkende Seele, von Leidenschaft
frei, gleichsam eine Festung. Denn der Mensch hat keine stärkere Schutzwehr,
wohin er seine Zuflucht nehmen könnte, um fortan unbezwinglich zu sein. Wer
nun diese nicht kennt, ist unwissend; wer sie aber kennt, ohne zu ihr seine
Zuflucht zu nehmen, ist unglücklich." (48)
Dieses Büchlein, aus dem ich eben vorlas, stammt von Marcus Aurelius
Antonius, kurz Marc Aurel, der 121 n. Chr. In Rom geboren wurde; er starb auf
einem Feldzug gegen Sarmaten, Markomannen, Quaden und Wenden in einem
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Heereslager bei Vindobona (Wien) im Jahr 180. Der Wohlstand seiner Eltern
(Ziegeleibesitzer) gestatteten ihm eine umfassende Ausbildung; und schon früh
wurde Kaiser Hadrian auf ihn aufmerksam; 138 wird er zum Mitregenten
erhoben; und damit setzt ein Leben voller Härte und Unruhe ein. Verheiratet
mit der Tochter seines Mitregenten Faustina wird er dreizehn Kinder haben,
von denen sechs überleben; deren einer, Commodus, wird später selbst Kaiser
des römischen Reichs sein.
Die Zeiten waren unruhig; das Reich war geschwächt; der Ansturm der
Nordvölker und derer aus dem Osten ermüdeten die Widerstandskraft der
römischen Armeen. Im Inneren schafften dem jungen Kaiser aufbegehrende
Politiker und Offiziere zu schaffen. Und schließlich wird noch eine Pestepidemie
ausbrechen, die die ohnehin geschwächte Lage in Rom verheerend beeinflusst.
Dieser Kaiser nun – so die Legende – sitzt oft abends in seinem Zelt nahe bei
Wien und schreibt sich sein kleines Handbüchlein, in dem er sich selbst
Ratschläge erteilt. Das war damals durchaus üblich; gewissermaßen ein
Tagebuch des inneren Lebens.
Die Grundlage seiner Überlegungen ist die stoische Philosophie; und es wird
manchen erstaunen, dass genau diese philosophische Lebenskunde in einem
Ideal weiterlebt, das unter dem Namen des „gentleman“ bekannt ist. Dass er
seine Gedanken in griechischer Sprache verfasst, soll uns nicht wundern, denn
auch für die natürlich Latein sprechenden und schreibenden Römer war das
Griechische die Sprache der Gebildeten, der Vornehmen, die gern auf Texte
griechischer Philosophen zurückgriffen.
Was hat es mit der Stoa auf sich? Der Grieche Zenon von Kition (Ort auf Zypern,
336 v.Cr. bis 264 v. Chr.) gilt als Gründer, also als der Mensch, der die
Grundsätze der Stoa zusammenfasste; Philosophie sah er nicht als eine
Sammlung von Theorien und abstrakten Begriffen, sondern er befand, dass
Philosophie Lebenswegbegleitung sein müsse. Und darum verdient er unser
Interesse. Er lehrte in einer Säulenhalle in Athen (stoa poikile); die Wirkung
dieser stoischen Philosophie war mächtig. Während der Kaiserzeit war die Stoa
so etwas wie eine Volksreligion der Römer; auch der Apostel Paulus kannte
diese Lehre und zitierte sie, indem er sagt, dass wir in ihm, nämlich dem
Kosmos, der Gott gleichgesetzt wird, leben, weben und sind.
Und damit ist das Zentrum der Lehre der Stoa erreicht: Wir sind Teil eines
Kosmos, einer Allnatur, deren Gesetze in uns wirken, die zu beachten und nach
denen zu leben, eine Übung der Klugheit ist. Nichts geht in diesem Kosmos
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verloren, alles ist auf Werden und Vergehen, Vergehen und Werden angelegt.
Der Mensch ist Teil dieser Gott-Natur; außerhalb der Stofflichen, des
Materiellen ist nichts, alles ist Stoff, auch das Feinste, auch das Unsichtbare.
Dieser Gott, diese Gott-Natur durchdingt alles und ist eine Art Weltseele für
alles Tote und Lebendige. Alles, was irgendwie ist, besteht als Besonderung
dieser Weltseele; und in der Folge denken dann die Stoiker, dass nichts aus
Zufall, irrational, nicht einsehbar, geschieht. Alles ist notwendig so, wie es ist.
Die unmittelbare Folgerung für das Leben der Menschen: Folge den
vorgegebenen Gesetzen der Allnatur, sei aus Freiheit klug und versuche, diese
Gesetze zu verstehen und sich ihnen anzupassen. Widersetze dich nicht.
Gemäß der All-Natur zu leben, heißt vernunftgemäß zu leben.
Darauf nun baut das Handbüchlein „Ermahnungen an sich selbst“ auf. Wenn
wir nun allerdings eingebunden sind in die Gesetze der Allnatur, wenn also alles
mit Notwendigkeit geschieht, dann müssen wir die Stoiker fragen, was es denn
mit der Freiheit des Menschen auf sich hat. Die stoischen Philosophen sind
Praktiker; sie verirren sich nicht in begrifflichen Spekulationen, sondern sie
fragen nach den Möglichkeiten des Menschen, ein Leben zu führen, in dem sich
einer nicht unablässig den Kopf blutig schlägt an den Grenzen, die ihm die
Allnatur vorgibt.
Wie kann man vernünftig verstehen, dass Freiheit und von außen her auf uns
eindringende Notwendigkeit (Schicksal) zusammenpassen? Unser eigenes
Leben gibt die einfache Antwort. Wir können innerhalb gewisser
Rahmenbedingungen alles nur Mögliche tun, uns für oder gegen etwas
entscheiden. Wir haben also einen gewissen Spielraum. Den allerdings können
wir nicht verlassen. Man zieht hierzu manchmal den Vergleich mit einem
Gewehrlauf heran: Soll die Kugel den Lauf schnell, kraftvoll und zielsicher
verlassen, so darf sie sich nicht im Lauf verklemmen ; sie braucht eben „Spiel“.
Nun zu Marc Aurel.
Das kleine Büchlein besteht aus 12 Kapiteln, die jeweils wieder in kleine
Abschnitte gegliedert sind. Die etwa 200 Seiten kann man nicht durchgehend
lesen. Sie sind auch nicht als logisch fortlaufender Text geschrieben worden,
vielmehr ist es ein inneres Tagebuch, gewissermaßen eine geistige Übung,
dessen Marc Aurel sich bediente, - je nach Lage seines Nachdenkens. Das heißt
aber nicht, dass die Denker der Stoa, auf die sich Marc Aurel bezieht,
insbesondere auf Epiktet, keine Ordnung in ihren Auffassungen vom Leben der
Menschen hatten, schließlich war die Stoa schon mehr als 400 Jahre als Idee
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und als Lebensanschauung in der Welt; und sie wollte stets die Frage
beantworten, wie ein Mensch in dem Spielraum, den ihm die Gesetze der
Allnatur zubilligen, leben kann, letztlich die Sehnsucht nach einem glücklichen
Leben zu befriedigen. Diesen Motor hat sie mit allen antiken Denkgebäuden
gemeinsam.
Ich schlage nun das VII. Kapitel auf und lese den kleinen Abschnitt 21. Dort
steht:
Nah ist die Zeit, da du alles vergessen haben wirst, und bald wirst auch du bei
allen in Vergessenheit geraten.
Das klingt nicht gerade sehr lebensfreundlich und von Lebensglück erfüllt.
Diese Auffassung ist eine Täuschung. Marc Aurel nimmt mit diesem Satz die
Lebenswirklichkeit der Menschen auf; wir selbst sind in der Illusion, für alles
Ewigkeiten wichtig zu sein, erkannt und in der Erinnerung der anderen zu sein.
Diese Nüchternheit ist die Basis-Stimmung, aus der heraus Marc Aurel sich, die
Welt und die Menschen betrachtet: nüchtern, klar - im Versuch,
Selbsttäuschungen zu entgehen. Die Voraussetzung dabei ist, dass es in uns
eine innere Instanz gibt, die uns befähigt, nüchtern und klar Möglichkeiten und
Grenzen unserer Lebensentwürfe zu beurteilen.
Es sind drei Bemühungen, von denen Marc Aurel meint, dass sie unser Leben
bestimmen sollten:
* Selbsterkenntnis
* Selbstbeherrschung
* Selbstveredelung.
Diese drei Bemühungen führen zu Regeln, die wir im alltäglichen Leben
beachten sollen; und sie entsprechen den drei Tätigkeiten der Seele:
* Urteilen
* Begehren
* Handeln.
Und wieder sind es drei Bereiche, die für diese Tätigkeiten der Seele in Frage
kommen:
* Der Bereich des individuellen Urteilsvermögens
* die Allnatur, deren Teil die individuelle Seele ist
* die menschliche Natur.
Diese Aspekte betrachtet Marc Aurel schön der Reihe nach und – wie dies in
seinem Büchlein üblich ist – spricht mit sich selbst – eigentlich mit seiner Seele,
wobei wir natürlich fragen: Wer ist es, der da mit sich selbst spricht?
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Mache den Einbildungen ein Ende. Hemme den Zug der Leidenschaften.
Behalte die Gegenwart in deiner Gewalt. Mache dich mit dem, was dir oder
anderen begegnet, vertraut. Trenne und zerlege jeden Gegenstand in seine
Urkraft und in seinen Stoff. Gedenke der letzten Stunde. Lass die Fehler, die
von anderen begangen werden, da, wo sie geschehen sind. (7,29)
Das griechische Wort, das Marc Aurel für Einbildungen gebraucht, spricht für
sich: Dabei könnten wir lange verweilen: Was ist eine Phantasie?
Die Stoa unterscheidet die von außen kommenden von denen, wie wir in
unserer Seel selbst herstellen. Die moderne Psychotherapie befasst sich so
intensiv mit diesen Phänomenen: Angst, Wahn, Panik, Hektik,
Zwangsvorstellungen, eingebildeten Krankheiten. „Mache den Einbildungen
ein Ende!“ Das ist leicht gesagt und kann nicht einfach so geschehen. Es bedarf
der Übung, auf die der nüchterne Kaiser immer wieder Wert legt.
Darum fordert er von seiner Seele auch das Folgende:
Konzentriere dich auf dich selbst. (7,28)
Anders gesprochen:
„Ziehe dich in dich selbst zurück. Liefere dich nicht der Wirrnis
undurchschaubaren Geschehens aus!“
Hier sind wir wieder bei dem anfänglichen Vergleich mit der „inneren Burg“:
Bleib bei dir; und kümmere dich nicht um die Fehler, die andere machen, lasse
sie dort, wo sie geschehen sind; nimm sie nicht als „Phantasie“ in dich auf.
* Selbsterkenntnis
* Selbstbeherrschung
* Selbstveredelung
* sich nicht dem Strom irgendwelchen Geschehens ausliefern
* Abstand halten.
Und damit:
Schmücke dich mit Einfachheit, Zurückhaltung und Gleichgültigkeit
gegenüber allem, was zwischen Tugend und Laster in der Mitte liegt. Liebe
die Menschen. Folge Gott. (7,31)
Gott? Marc Aurel ist in unserem Sinne kein religiöser Mensch; wenn er von
„Gott“ spricht, so weist er auf die Allnatur und ihre Gesetze hin. Gott – das ist
der ganze Kosmos, - und wir sind ein Teil dieses Kosmos. Wenn wir uns nicht
den drei Übungen unterwerfen:
* Selbsterkenntnis
* Selbstbeherrschung
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* Selbstveredelung, dann stören wir die Ordnung, die uns Gott, die Allnatur vorgegeben hat.
Praktisch gesprochen:
* Ich muss erkennen, welche Möglichkeiten, welche Fähigkeiten, welche
Aussichten ich für mich und mein Leben habe. Ich soll mich Träumereien,
Illusionen, Phantasien nicht hingeben.
* Ich soll in diesen Grenzen meiner Fähigkeiten, Möglichkeiten und Aussichten
beharren, mich also unter Kontrolle halten, auch wenn ich noch so von
Leidenschaften und Begierden gezerrt werde.
* Ich soll mich bemühen, mich immer fester den Gesetzen der Allnatur zu
fügen, mich also in einen höheren Zustand des Menschseins bringen.
Und was für eine merkwürdige Auffassung: dass ich gleichgültig sein soll allem
gegenüber, was zwischen Tugend und Laster liegt? Nun: - Marc Aurel meint
damit, dass die unbeeinflussbaren Geschehnisse der physikalischen Welt uns
nicht beunruhigen sollen; denn wir können keinen Einfluss auf sie ausüben; wir
müssen uns ihnen fügen.
Ich finde seine neun „Hauptvorschiften“ (11,18), wie er sie nennt, sehr
einleuchtend und recht praktikabel:
1. Überprüfe immer wieder, in welchem Verhältnis du zu den Menschen stehst.
Wir sind alle füreinander da. So hat es Gott, die Allnatur eingerichtet.
Wenn wir unser Verhältnis zu anderen stören, dann stören wir die harmonische
Ordnung der Allnatur; und dies fällt schließlich auf uns zurück.
2. Betrachte, wie die Menschen sich so zeigen: Haben die Grundsätze, nach
denen sie leben, Gewalt über sie?
Oder ist es so, dass sie sich treiben lassen in ihrem kleinen Reich der Freiheit, in
dem sie ein gewisses Spiel haben, in dem sie aber von Leidenschaften, trieben
oder blinden Gefühlen getrieben werden? An einigen Stellen hebt Marc Aurel
hervor, dass die anderen zu oft einfach nur eine Belästigung sind. Trotzdem
sagt er auch (im Sinne der Harmonie der Allnatur), dass wir sie lieben sollen, der
Gemeinschaft dienen sollen; - nach dem stoischen Grundsatz: das geht vorüber,
ist endlich und irgendwann gar nicht mehr da.
3. Ist das Handeln der Menschen vernünftig? Folgt es den Grundsätzen der
Gleichklangs mit den Gesetzen der Natur?
Vernunft! Was soll das bedeuten? - : Nach den Regeln der Vernunft leben? In
der antiken Philosophie gibt es eine zentrale Idee, - das ist die des LOGOS. Wir
erkennen in diesem Begriff den Ursprung unseres Begriffs von der Logik. Wir
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sagen ja oft: „Das ist unlogisch!“, oder: „Diese Logik verstehe ich nicht.“ Und
wir folgen damit der Einsicht, dass das, was wir tun wollen, stimmig sein muss,
es muss mit den Gesetzen der Natur, die uns vorgegeben sind, übereinstimmen,
in sie passen. Wenn nicht, dann ist unser Handeln gesperrt. Wir kommen nicht
weiter. Und wenn wir dann doch wollen, dann reißt uns die Gewalt unseres
Willens fort, wir versuchen, den Logos, der uns das gültige Maß vorgibt, hinweg
zu drängen. So entwickelt sich die zerstörerische Spirale der Leidenschaften.
Affekten zu folgen, heißt, sich flüchtig in eine Illusion zu verbohren; die
Vernunft, der Logos wird ausgesetzt. Und doch drängt er immer wieder in unser
Leben; denn schließlich ist er das Wirkende in der Welt.
4. Nimm Einsicht in deine eigenen Vergehen und bekenne dich zu ihnen.
Marc Aurel: „Bist du selbst ohne Fehl? Bedenke, was du anderen zu verdanken
hast. Die anderen handeln ja auch gar nicht aus der Lust am Bösen… Schaden
kann dir der andere ja doch nicht; das tust du nur selbst, wenn du dich durch
sein Verhalten zu leidenschaftlicher Erregung und zu falschem Handeln
hinreißen lässt. Wenn ein anderer fehlt, so ist das seine Sache; du tue, was in
deiner Macht steht – und bewahre dein Inneres vor wilden Affekten. Zorn etwa
ist schlimmer als alles, was dir von außen angetan werden kann.“
5. Urteile nur dann über einen anderen, wenn du Beweggründe und Umstände
verstanden hast.
Hören wir, was Marc Aurel hierzu sagt:
Es gibt nun einmal viele Menschen ohne sittliches Gefühl. Wahnsinn wäre es,
das Unmögliche zu verlangen oder zu erwarten, dass du persönlich von ihrer
Schlechtigkeit verschont bleiben sollst. Die Menschen ändern sich nicht, selbst
wenn du dich zerreißest. Aber trotzdem bleiben sie deine Mitmenschen, und
wir sind wie die Glieder eines Körpers aufeinander angewiesen. Alle
Menschen sind dir verwandt, vom selben Fleisch und Blut, ja vom selben
Geiste…
6. Mäßige dich in allen deinen Gefühlen, insbesondere, wenn du zornig werden
könntest. Bedenke einfach, dass du bald nicht mehr sein wirst.
Wir sind angehalten, die Flüchtigkeit unserer Stimmungen und unserer Gefühle
stets zu bedenken; das klingt in dieser „Hauptvorschrift“ sehr düster, meint
doch aber eine Erfahrung, die wir alle teilen: Gefühle sind nicht zuverlässige
Ratgeber: Man halte inneren Abstand zu ihnen. Das meint diese Übung.
7. Unterscheide gut die Handlungen der anderen von ihren Meinungen über
sie. Es sind ja nicht die Handlungen selbst, sondern die Meinungen über sie,
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die du kennen lernst.
Wieder lehrt Marc Aurel, dass wir unterscheiden sollen: das Eine ist, dass etwas
geschieht, das Andere ist, dass es beurteilt wird. Tatsachen und Urteile über
Tatsachen gehören nicht in denselben Raum des Kosmos. Die sittliche
Konsequenz daraus:
Verachtet mich jemand? Das ist seine Sache. Meine Sache aber ist es, nichts
zu tun oder zu sagen, was Verachtung verdient. Hasst er mich, so ist das
wieder seine Sache, die meinige hingegen, liebreich und wohlwollend gegen
alle Menschen zu sein …“ (11,12)
8. Unterscheide: Zorn und Kummer über die Handlungen der anderen von den
Handlungen selbst; denn diese Empfindungen und Erregungen betreffen uns
viel härter als die Handlungen selbst.
9. Und frage dich: Ist dein Wohlwollen anderen gegenüber wirklich echt? Oder
ist es bloß vorgetäuscht, geheuchelt und von verdeckten Interessen
geleitet?
Beachten muss man bei der Betrachtung dieser Hauptvorschriften einen
zugrunde liegenden Lehrsatz der stoischen Philosophie: Es gibt in diesem
Kosmos keine Dinge, Gegenstände, Menschen, Gedanken, Gefühle, die nicht
irgendwie stofflich sind. Alles, was wir, und alles, was die anderen Lebewesen,
Gedanken, Gefühle, Steine sind, all dies setzt sich aus mal mehr mal weniger
aus Material zusammen, das den Kosmos ausmacht. Daher gibt es im letzten
Grund keinen Unterschied, der alles Seiende trennt. Nur die besondere Form,
in der alles, was ist, auftritt, ist jeweils anders.
Die eine Frage stellen sich die antiken Philosophen immer wieder, so auch Marc
Aurel – und als Stoiker in besonderer Weise. Er belehrt uns:
„Die Fähigkeit, ein glückliches Leben zu führen, ist in unserer Seele vorhanden,
sie darf nur gegen gleichgültige Dinge sich wirklich auch gleichgültig verhalten.
Und sie wird sich alsdann so verhalten, wenn sie jedes von ihnen teilweise und
im ganzen betrachtet und sich erinnert, dass kein Ding uns zwingen kann, so
oder anders davon zu urteilen, dass die Gegenstände nicht zu uns kommen,
sondern unbeweglich stehen bleiben, vielmehr WIR es sind, die die
Vorstellungen von ihnen erzeugen und uns diese gleichsam fest einprägen,
während es uns doch freisteht, dieses Urteil darüber uns nicht zu bilden oder
auch, wenn es sich etwa bei uns schon eingeschlichen hat, es sogleich wieder
zu tilgen.“ (11,16)
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Darin stecken XXX wichtige Lehren – so wie Marc Aurel das Leben sieht:
* Ein glückliches Leben zu führen – das ist der zentrale Willen aller
Menschen.
* Und die Erfüllung hängt nur von uns selbst ab.
* Geschehnisse, die gleichgültig sind, also weder gut noch böse sind, sollen uns
nicht berühren. Dabei muss der einzelne Mensch prüfen, was denn
„gleichgültige Dinge“ sind.
* Unsere Seele ist frei. Sie entscheidet selbst – sozusagen in eigener
Verantwortung - , was sie annehmen will oder nicht. Sie urteilt selbst.
* Die Übung, die aus diesen Lehren folgt, führt zu einem glücklichen Leben –
meint Marc Aurel; denn nichts, was von außen eindringen könnte, kann
unsere innere Heiterkeit, Gelassenheit und Ruhe stören.
* Das bedeutet natürlich, dass wir unsere Urteilsfähigkeit gründlich ausbilden
müssen, damit eben dem Ansturm der täuschenden Wirklichkeit
Widerstand geleistet werden kann.
Dann sind wir unterwegs zu unserer inneren Burg, in deren sicheren Mauern
uns nichts erschüttern kann.
Wer der Welt antworten will, braucht eine schöne, klangvolle Stimme. Man
kann dies üben, indem man singt.
Wer in der Welt eine gute Haltung in einem stabilen Körper haben will, kann
das üben indem er die Muskeln, das Skelett, den Atem trainiert.
Und wer das denkend in sein Leben einbinden will, kann das üben, indem er
klugen Menschen folgt, die das Nötige schon lange vor uns aufgeschrieben
haben.
Starker Körper
Schöne Stimme
Klarer Geist
Mit einem Wort: BEA-Yoga-Studio.
Demnächst mehr.
9
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Übung (=„Askese“!)
1. Selbsterkenntnis
Und was genau?
2.
Selbstbeherrschung
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Wann
Wo
Wie lange
Erfolg
Marc Aurel Text
Und was genau?
3.
Selbstveredelung
Und was genau?
Marc Aurel
1. Man lebe nach der „Natur“.
2. Alles ist voller Spuren „göttlicher Vorsehung“.
3. All unsere Handlungen sollen so sein, als sollten wir möglicherweise in diesem
Augenblick aus dem Leben scheiden.
4. Alles beruht auf „Meinungen“.
5. Unser Leben verzehrt sich täglich selbst – und mit jedem Tag wird der „Rest“ kleiner.
6. Gerechtigkeit, Wahrheit, Mäßigung, Mut sind die höchsten sittlichen Güter, die in
unserer Seele wirken sollen.
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7. Keine Handlung soll aufs Geratewohl geschehen, sondern stets nach den Regeln der
Lebenskunst und der Vernunft.
8. Man höre auf, sich Sorgen zu machen.
9. Man nehme hin, was man nicht beeinflussen kann.
10. Die Welt ist Verwandlung, - das Leben ist Einbildung („Phantasie“).
11. Unsere Tätigkeiten sollten auf Weniges beschränkt sein; dann erhalten wir uns die
innere Ruhe.
12. „Die Zeit ist ein Fluss, ein ungestümer Strom, der alles fortreißt. Jegliches Ding,
nachdem es kaum zum Vorschein gekommen, ist auch schon wieder fortgerissen,
ein anderes wird herbeigetragen, aber auch das wird bald verschwinden.“
13. Die Urkraft des Kosmos ist ein gewaltiger Strom, der alles mit sich fortreißt.
14. Sei wie ein Fels, an dem sich ständig die Wellen brechen.
15. Nichts kann uns passieren, was nicht in den Gesetzen der „Allnatur“ vorgesehen ist. –
Auch wenn wir ein wenig „Spiel“ dabei haben.
16. „Keinem Menschen widerfährt etwas, was er nicht seiner Natur nach ertragen
könnte.“
17. Was stirbt, ist nicht aus der Welt; - vielmehr löst es sich in seine Urstoffe auf, die es
mit der Welt und uns allen gemeinsam hat.
18. „Die Menschen sind füreinander da. Also belehre sie oder erdulde sie.“
19. Wer Unrechtes tut, versündigt sich an sich selbst; denn begangenes Unrecht fällt auf
den Urheber zurück.
20. Die Philosophie der Lebensklugheit lehrt Einfachheit und Bescheidenheit. – und nicht
vornehm tuende Aufgeblasenheit.
21. Das Ich ist ein Teil des Ganzen, das unter der Herrschaft der Allnatur steht.
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