Die hyperkinetische Störung im Jugend- und

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DIE ÜBERSICHT
Stephan
Overmeyer1
Dieter Ebert2
Die hyperkinetische
Störung im Jugend- und
Erwachsenenalter
ZUSAMMENFASSUNG
Die hyperkinetische Störung ist eine häufige und bekannte
psychiatrische Diagnose im Kindes- und Jugendalter, sie wird
hingegen sehr selten im Erwachsenenalter gestellt. Die Diskrepanz zwischen „Erkennen beziehungsweise Diagnose“
und tatsächlicher Häufigkeit bei Erwachsenen mag Folge des
geringen Bekanntheitsgrades sein oder nicht ausreichender
Kommunikation zwischen den Fachgebieten. Sicher verhindert sie eine mögliche medizinische Versorgung vieler Patienten, weil eine größere Sensibilität für dieses definierbare
Krankheitsbild eine Prävention und Therapie von Beschwerden ermöglicht, die oft als unbeeinflußbar gelten. Angesprochen sind primär nicht Psychiater, weil oft Hausärzte, andere
Spezialisten, Sozialarbeiter oder forensische Institutionen und Justiz mit den
Auswirkungen der Störung konfrontiert sind. Das Bewußtsein, daß diese Störung existiert oder behandelt werden muß,
ist selten vorhanden. Obwohl viele Kinder eine hyperkinetische Störung haben, erfolgt nur selten eine adäquate Behandlung in der späten Jugend- und frühen Erwachsenenzeit. Die
Behandlung der hyperkinetischen Störung verliert sich somit oftmals im Niemandsland zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Erwachsenenpsychiatrie.
Schlüsselwörter: Hyperkinetische Störung, Erwachsener,
Jugendlicher
Hyperkinetic Disorders in Adolescents and Adults
Hyperkinetic disorders are frequent in childhood and wellknown in child psychiatry. However, this disorder is rarely
diagnosed in adolescents or adults. This may be due to the
low awareness of this disorder in this patient population and
also to a lack of sufficient communication between the
medical disciplines. Many of these patients are then inadequately treated, as the symptoms are regarded as non influencable. This is not only important for psychiatrists but also
for general practitioners, other medical specialists,
social workers, forensic institutions and courts.
Many patients treated for hyperkinetic disorders as children
are not continuously treated as they grow older. Treatment
of hyperkinetic disorders often get lost in the no-man’sland between child and adolescent psychiatry and adult
psychiatry.
Key words: Hyperkinetic disorder, attention deficit hyperactivity disorder, adult, adolescent
SUMMARY
E
twa drei bis fünf Prozent alFragebogen für hyperkinetisches Verhalten bei Kindern (nach Conners, 1975)
ler Kinder haben eine hyAktivitätsgrad (0 = gar nicht, 1 = manchmal, 2 = oft, 3 = meistens)
perkinetische Störung, wobei etwa drei von vier betroffenen 1. Ruhelos und überaktiv
6. Unaufmerksam und unruhig
Kindern Jungen sind (3). Damit ist 2. Erregbar und impulsiv
7. Geringe Frustrationstoleranz
ein Großteil der kinder- und ju3. Stört andere Kinder
8. Weint oft und leicht
gendpsychiatrischen Patienten hy4.
Bringt
angefangene
Aktivitäten
9. Stimmung wechselt schnell und
perkinetisch, oder wird zumindest
nicht
zu
Ende,
kurze
heftig
mit dieser Differentialdiagnose
Aufmerksamkeitsspanne
10.
Wutausbrüche, unvorhersagbares
vorgestellt. Entgegen der Meinung,
5.
Immer
in
Bewegung
Verhalten
daß es sich dabei um eine Entwicklungsstörung handelt, die im Laufe Bemerkungen
der frühen Jugendzeit verschwindet, behalten nach Verlaufsstudien
30 bis 60 Prozent der hyperkinetischen Kinder diese Störung auch als den (9, 15). In Längsschnittuntersu- pessimistischen Schätzungen bei 30 bis
Jugendliche (9, 15). Ohne Behandlung chungen wurde schließlich belegt, daß 80 Prozent der ehemals hyperkinetiwerden spätestens jetzt soziale und das hyperkinetische Syndrom auch bis schen Kinder (2). Schmidt und Mitarpsychiatrische Komplikationen deut- ins Erwachsenenalter persistiert, nach beiter (13) berichteten in einer prospektiven Feldstudie, daß die Symptolich, weil ihre akademischen Chancen
matik der hyperkinetischen Störung
und beruflichen Perspektiven abneh- 1
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
men und dissoziale Störungen und Al- (Direktor: Prof. Dr. med. Bernhard Blanz), zwar bis zum Alter von 18 Jahren
deutlich abnimmt, jedoch Wutanfälle,
koholmißbrauch häufig auftreten, Friedrich-Schiller-Universität, Jena
letztere vor allem, wenn im Kindesal- 2 Abteilung für Psychiatrie und Psychothera- Ablenkbarkeit, Hyperkinese und Imter bereits zusätzlich Störungen des pie (Direktor: Prof. Dr. med. Matthias Ber- pulsivität in anderen psychiatrischen
Störungen, zum Beispiel dissozialem
Sozialverhaltens diagnostiziert wur- ger), Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19, 14. Mai 1999 (47) A-1275
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Verhalten, persistieren. In einer prospektiven Studie an Patienten (9) zeigten noch elf Prozent der im Kindesalter hyperkinetischen Jungen im Alter
von 25 Jahren hyperkinetische Symptome. Auch wenn epidemiologische
Studien in diesem Alter fehlen, kann
danach geschätzt werden, daß zumindest 0,3 bis 0,5 Prozent der jungen Erwachsenen eine persistierende hyperkinetische Störung haben. Die medizinische Relevanz dieser Prävalenzschätzung ist evident, wenn berücksichtigt wird, daß es sich um eine permanente, in der Regel nicht behandelte Symptomatik handelt. Klinische
Beobachtungen sprechen dafür, daß
die Intensität der hyperkinetischen
Störung im höheren Lebensalter (ab
zirka 40 Jahre) abnimmt. Sichere Erkenntnisse hierzu fehlen aber.
hinter können die über die Jahre
durchgängig vorhandene Aufmerksamkeits- und Impulskontrollstörung,
die affektive und die hyperkinetische
Symptomatik an Bedeutung verlieren,
auch wenn sie immer zu explorieren
sind und die Prognose der Begleiterkrankungen verschlechtern.
Psychopathologie
und Diagnose
Hyperkinetische Kinder haben
vier Kardinalsymptome: Mangel an
Aufmerksamkeit, Impulsivität, Überaktivität und emotionale Instabilität.
Zudem bestehen fast immer affektive
Störungen. Seit den achtziger Jahren
wurden sie detaillierter in die internationalen Klassifikationen (ICD-9/10
Tabelle 1
Komplikationen der hyperkinetischen Störung (nach Döpfner et al., 1997)
Grundschulalter
Jugendalter
Erwachsenenalter
– Schulleistungsstörungen
– Verminderung
motorischer Unruhe
– Verminderung
motorischer Unruhe
– Unruhe und Ablenkbarkeit im Unterricht
– Aufmerksamkeitsstörungen
– Organisationsdefizit
– Teilleistungsschwächen
– aggressiv-dissoziales
Verhalten
– Aufmerksamkeitsstörungen
– Ablehnung durch
Gleichaltrige
– Alkohol- und Drogenmißbrauch
– dissoziales Verhalten
(20–45 %)
– Umschulungen und
Klassenwiederholungen
– emotionale
Auffälligkeiten
– antisoziale Persönlichkeit (25 %)
– emotionale
Auffälligkeiten
– geringeres
Bildungsniveau
– Alkohol- bzw.
Drogenabhängigkeit
– oppositionellaggressives Verhalten
(30–50 %)
Der Verlauf der Erkrankung vom
Kindes- zum Erwachsenenalter ist
durch einen Symptomwandel gekennzeichnet, der durch die Maturation des
Dopaminsystems verständlich werden
kann. Vor allem ist das Bild aber durch
die unterschiedlichen altersspezifischen Komplikationen geprägt (Tabelle 1). Unter anderem führt die mangelnde Behandlung der hyperkinetischen Störung in der späten Jugendzeit
oft zu Alkohol-/Drogenmißbrauch
und -abhängigkeit und/oder dissozialen Persönlichkeitszügen (9, 13). Da-
– geringer
Beschäftigungsstatus
beziehungsweise DSM-III/IV) integriert. Im Erwachsenenalter bleiben
diese Grundsymptome in altersspezifischer Ausprägung vorhanden.
1 Unaufmerksamkeit/
Desorganisiertheit
Die Patienten haben Schwierigkeiten, Arbeiten zu organisieren und
zu planen, sind nicht fähig, selbständig
Aktivitäten in Angriff zu nehmen. Sie
führen Aktivitäten nicht zu Ende, haben Schwierigkeiten, Anordnungen
durchzuführen oder sich unterzuord-
A-1276 (48) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19, 14. Mai 1999
nen, können ihre Zeit nicht einteilen.
Häufige, oft schwer erklärliche Arbeitsplatzwechsel und -verluste sind
typisch, oppositionelles Verhalten ist
häufig. Sie sind vergeßlich, machen
Flüchtigkeitsfehler, halten Arbeiten
und Tätigkeiten, die Konzentration
erfordern, nicht durch. Sie sind ablenkbar, verlieren häufig Gegenstände, haben häufig Unfälle verschiedener Art. Sie wirken geistesabwesend,
unaufmerksam, hören nicht zu und
wechseln im Gespräch ständig Themen und Einfälle. Im anderen Extrem
wirken sie antriebslos, ohne Eigeninitiative, wortkarg und ziehen sich sozial völlig zurück.
1 Hyperaktivität (nicht obligat)
Die motorische Unruhe des Kindesalters verschwindet häufig im Erwachsenenalter, während die anderen
Symptome persistieren. Trotzdem
bleibt ein Teil der Patienten motorisch unruhig, innerlich unruhig, angespannt und unfähig zur Entspannung.
Sie sind zu ruhigen Tätigkeiten unfähig, sind schnell gelangweilt, brauchen ständig Anregung und Aktivität.
Entsprechend werden Handlungen,
die nicht unmittelbar belohnt werden,
selten beibehalten.
1 Impulsivität
Die Patienten neigen zu unüberlegten Handlungen auf verschiedenen Gebieten, auch gefährlichen Aktionen ohne Berücksichtigung der
Konsequenzen. Sie reagieren unüberlegt, oft unerwartet, auf äußere
Situationen, können sich nicht beherrschen und Handlungen kontrollieren, besonders ausgeprägt unter
Alkoholeinfluß. Bei Kritik reagieren
die Patienten häufig mit Wut, Streit,
und sie haben Schwierigkeiten, dieses explosive Verhalten zu kontrollieren.
1 Emotionale Instabilität
Die Patienten haben häufig rasche Stimmungswechsel, die kurz anhalten und schnell durch gegenteilige
Affekte abgelöst werden. Die Palette
reicht von Wut und Aggressivität über
Deprimiertheit zu Euphorie. Typischerweise führen kleine Anlässe zu
solchen Wechseln und die affektiven
Reaktionen führen zu sozialen Problemen. Am anderen Pol der Affektivität
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sind aber mit zunehmendem Lebensalter depressive Symptome, teilweise
auch als Leeregefühl und affektive
Verarmung, Angstsymptome, oft als
soziale Phobie, über weite Strecken
vorherrschend. Typische depressive
Episoden oder eine Dysthymia sind
eine häufige Komplikation. Neben den
affektiven Störungen (depressive Episode, Dysthymia) und der sozialen
Phobie sind die häufigsten Komplikationen Alkohol- und Drogenmißbrauch beziehungsweise -abhängigkeit und die dissoziale Persönlichkeit
(oder emotional-instabile Persönlichkeit vom impulsiven Typ), möglicherweise als Folge der mangelnden Behandlung der hyperkinetischen Störung in der späten Jugendzeit (9).
Zur Diagnose einer hyperkinetischen Störung des Erwachsenenalters
sollte gefordert werden:
1 Der Nachweis einer hyperkinetischen Störung im Kindesalter
nach Angaben des Patienten und unabhängig davon nach Angaben zumindest einer Bezugsperson (Textkasten).
1 Durchgehend seit Jugend und
frühem Erwachsenenalter jeweils
mehrere Symptome oder Verhaltenszüge aus mindestens zwei der oben
angegebenen Symptomgruppen.
Treten Suchterkrankungen, affektive Störungen oder Angststörungen im Verlauf auf, werden diese Diagnosen zusätzlich (als komorbide
Störungen) gestellt und behandelt.
Manche Persönlichkeitsstörungen haben vergleichbare Diagnosekriterien
und tatsächlich ähnelt die persistierende hyperkinetische Störung einer Persönlichkeitsstörung, da es sich
um früh beginnende, durchgehende
Merkmale handelt, die als Persönlichkeitszüge imponieren. Sind die Kriterien einer hyperkinetischen Störung
erfüllt (Symptome bereits in der
Kindheit!), ist es nicht notwendig, eine weitere Persönlichkeitsstörung mit
ähnlichen Symptomen zu diagnostizieren (zum Beispiel emotional-instabile oder dissoziale Persönlichkeitsstörung), sondern die pathologischen
Tabelle 2
Nebenwirkungen von Methylphenidat
(nach Ahmann et al., 1993)
Kann im Laufe
der Medikation
zunehmen
Kann im Laufe
der Medikation
abnehmen
Schlaflosigkeit
Tagträumen
Appetitstörungen Irritierbarkeit
Magenschmerzen
Ängstlichkeit
Kopfschmerz
Nägelkauen
Schwindel
Persönlichkeitsmerkmale sind dann
als Ausdruck der hyperkinetischen
Störung zu interpretieren. Vorsicht:
Nur einige emotional-instabile oder
dissoziale Persönlichkeiten haben eine hyperkinetische Störung als Ursache und dürfen entsprechend medikamentös behandelt werden. Die hyperkinetischen Symptome müssen durchgehend seit dem Kleinkindalter nachweisbar gewesen sein, und die hyperkinetischen Symptome des Erwachsenenalters dürfen sich nicht auf die Im-
pulsivität beschränken, das heißt auch
die anderen beschriebenen Merkmale
müssen vorhanden sein.
Ätiologie der
hyperkinetischen Störung
Ähnliches Verhalten wie beim hyperkinetischen Syndrom wurde bereits
früh bei Frontalhirnverletzungen beobachtet. Die Enzephalitis lethargica
1918 bis 1923 erzeugte bei Erwachsenen deutliche Symptome eines Morbus
Parkinson, bei Kindern aber hyperkinetische Symptome, vor allem Aufmerksamkeits- und Unruhesymptome.
Deshalb nahm man nach dieser Erkrankung erstmalig an, daß hyperkinetische Patienten entsprechend dem M.
Parkinson einen Dopaminmangel entwickeln, und sich dieser vor allem in
den Basalganglien alters- beziehungsweise entwicklungsspezifisch manifestiert (8). Diese Dopaminhypothese ist
bis heute gültig, gestützt vor allem
durch die Wirksamkeit der Amphetamine, teilweise auch durch Ergebnisse
genetischer Studien mit dem Nachweis
gehäufter Polymorphismen des D4Dopaminrezeptorgens (14) und eines
Allels (480-bp) des Dopamintransportergens (DAT1) bei hyperkinetischen
Patienten (7). In neurophysiologischen
und funktionsbildgebenden Untersuchungen sind bei Tests zur Messung
von Impulsivität und Aufmerksamkeit bei hyperkinetischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen hyperkinetischen Patienten (prä)frontale
Hirnregionen, Basalganglien und Parietallappen vermindert aktiviert (4).
Auch morphologische Kernspintomo-
Tabelle 3
Psychostimulantien in der Therapie hyperkinetischer Störungen
Chemische
Kurzbezeichnung
Handelsname
Dosierung
Tägliche
Dosierung
Halbwertszeit
(Stunden)
Wirkungseintritt
nach
Methylphenidat*
Ritalin
10 mg
0,5–1,1 mg/kg KG
0–3
0,5–3 Stunden
Fenetyllinhydrochlorid*
Captagon
50 mg
12,5–75 mg
1–3
1–2 Tagen
D-L-Amphetamin*
Amphetaminsaft
Saft
0,1–0,5 mg/kg KG
4–6
1–3 Stunden
Pemolin
Tradon/Senior/
Hyperilex
20 mg
0,5–3,0 mg/kg KG
9–14
2–6 Wochen
* fällt unter das Betäubungsmittelgesetz, KG = Körpergewicht
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19, 14. Mai 1999 (49) A-1277
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gramm-Untersuchungen (NMR) unterstützen diese Befunde. Mittels des
funktionellen NMR konnte bei hyperaktiven Jugendlichen im Vergleich
zu gleichaltrigen Kontrollpatienten in
Tests, die die Hemmung überprüfen,
eine um 35 Prozent erniedrigte Hirnaktivität nachgewiesen werden (12).
Therapie
Hyperkinetische Störungen an
sich sind im Idealfall gut zu behandeln.
Grundprinzipien sind eine medikamentöse Therapie und eine Psychotherapie. Klarheit über die Behandlung
des hyperkinetischen Syndroms bei
Kindern versuchen klinische Richtlinien zu geben (10). Für Erwachsene fehlen entsprechende Richtlinien, zumindest im europäischen Sprachraum. Die
Behandlung ist dann am effizientesten,
wenn die medikamentöse Behandlung
kombiniert wird durch eine Verhaltenstherapie. Viele Patienten erleben
durch die Medikation erst die Möglichkeit, sich in Freundeskreisen und bei
der Arbeit angemessen zu verhalten.
Darauf basierend wird die Verhaltenstherapie versuchen, zum Beispiel
Organisationsschwierigkeiten zu thematisieren und den Patienten Lösungsstrategien zu vermitteln. Eine weitere
Behandlung kann die Erlangung sozialer Kompetenz in Einzel- und Gruppentherapie sein.
Eine sichere Diagnose gemeinsam
durch Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiater ist Voraussetzung, um
die notwendigen Medikamente einzusetzen. Methylphenidat wirkt bei zirka
drei Viertel der hyperkinetischen Patienten (10) und hat sehr selten unerwünschte Wirkungen (Tabelle 2). Methylphenidat fällt unter das Betäubungsmittelgesetz und kann entsprechend mißbraucht oder verkauft werden. Es hat eine kurze Halbwertszeit
(zirka null bis drei Stunden) und muß
deshalb zwei- bis dreimal täglich eingenommen werden (genauso wie das Alternativstimulantium D-L-Amphetamin, Tabelle 3). Dies widerspricht meist
dem Störungsbild der hyperkinetischen
Störung, bei dem vor allem der Mangel
an Organisationsfähigkeit die kontinuierliche Einnahme aus eigenen Stücken
behindert und dissoziales Verhalten
und Substanzmißbrauch häufig sind.
Deshalb sollte die Medikation hyperkinetischer Jugendlicher und Erwachsener auf andere länger wirksame Medikamente umgestellt werden. Fenetyllin
hat eine längere Halbwertszeit und sollte nur zweimal täglich gegeben werden.
Dieses Präparat entspräche eher jugendlichen Patienten, die die Einnahme in ihre eigenen Hände nehmen sollten. Pemolin ist im deutschsprachigen
Raum als Stimulanz mit einer relativ
hohen Halbwertszeit von 9 bis 12 Stunden zu erhalten, das nicht unter das
BTM-Gesetz fällt. Dieses Medikament
hat die gleichen Effekte wie Methylphenidat. Der ausreichende Wirkspiegel sollte allerdings erst nach zwei bis
sechs Wochen erzielt werden, weil es
manchmal zu leichten Leberenzymerhöhungen als Ausdruck leichter Leberschädigungen kommen kann. Durch
die langsame Steigerung um wöchentlich 20 mg und regelmäßige Blutkontrollen (vor allem in der Anfangszeit)
kann eine Leberschädigung kontrolliert werden (Leberenzymerhöhung
manchmal bis zirka 50 µUnits GammaGT). Im ersten halben Jahr ist die Kontrolle der Leberwerte einmal monatlich
notwendig, später zweimonatlich, weil
in wenigen Einzelfallberichten ein Zusammenhang mit Todesmeldungen unter Pemolin bekannt wurde (10). Exzessiver Alkoholkonsum kann ebenfalls zu negativen Wirkungen unter Pemolinmedikation führen. Die Patienten vertragen mehr Alkohol mit der
Gefahr schwerer Leberschädigungen.
Neben den Amphetaminen können verschiedene trizyklische Antidepressiva zu einer Verbesserung der
hyperkinetischen Störung führen, deren Anwendung natürlich sehr genau
kontrolliert werden muß, zum Beispiel wegen möglicher schwerer Herzrhythmusstörungen. Vor allem hyperaktives und impulsives Verhalten
kann durch die Einnahme reduziert
werden, während Amphetamine auch
die Aufmerksamkeit verbessern (11).
Serotoninwiederaufnahmehemmer
zeigten inkonsistente Ergebnisse bei
hyperkinetischen Patienten, während
Venlafaxin als effektiv in bisherigen
offenen Studien erscheint.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1999; 96: A-1275–1278
[Heft 19]
A-1278 (50) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19, 14. Mai 1999
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Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Stephan Overmeyer
Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Philosophenweg 5
07740 Jena
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