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MÖNCH A | 7. NOV 2011, 19.30 UHR
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Was mag Bernd Alois Zimmermann gemeint haben, als er sich, es war 1967 und
somit drei Jahre bevor er seinem Leben selbst ein Ende setzte, eine »Mixtur aus
Mönch und Dionysos« nannte? Man kann davon ausgehen, dass er mit Dionysos nicht nur den griechischen Wein- und Fruchtbarkeitsgott als Paten seiner
eigenen Persönlichkeit benennen wollte, sondern mit Friedrich Nietzsche auch
den »dionysischen« Rausch, die Enthemmung dunkler Kräfte in diesem nur
vordergründig jovialen Bonmot mitgedacht hat. Und ein Mönch? Auch hier gibt
es viele Facetten, von naiver Frömmigkeit, klösterlicher Bescheidung bis hin zu
Zweifeln oder Unterdrückung. Jedenfalls deutet Zimmermanns Selbsteinschätzung auf eine Zerrissenheit, die nicht nur ihn selbst als Künstler charakterisiert.
Auch »Kunstfiguren« können zerrissen sein zwischen Mönch und Dionysos.
Tannhäuser ist nur eine von ihnen; ein Künstler, der die süße Enthemmung
genossen hat und zurück will zur – »mönchischen« – Strenge:
»Frau Venus, meine schöne Frau,
Von süßem Wein und Küssen
Ist meine Seele worden krank;
Ich schmachte nach Bitternissen.
Wir haben zu viel gescherzt und gelacht,
Ich sehne mich nach Thränen,
Und statt mit Rosen möcht’ ich mein Haupt
Mit spitzigen Dornen krönen.«
So dichtete Heinrich Heine in seinem Tannhäuserlied 1836, und auch wenn Richard Wagner dieses Stück nicht als Quelle für seine Oper nennen mochte, hat
er diese Sehnsucht des Titelhelden schon in der Ouvertüre zu Tannhäuser oder
Der Sängerkrieg auf der Wartburg musikalisch verdichtet.
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Rausch oder Nüchternheit, Ekstase oder Kasteiung – die Werke
dieses Konzerts tragen diesen Streit in sich aus. Wie viele andere
verfiel der tief gläubige Anton Bruckner (1824–1896) der sinnlichen Verlockung von Wagners »Venusbergharmonik«. In einem
fast 20 Jahre währenden Überarbeitungsprozess reinigte Bruckner
mit mönchischem Fleiß seine Dritte Sinfonie anschließend von der
Mehrzahl der Wagnerzitate. Auch für Bernd Alois Zimmermann
(1918–1970), der sich gern als »typisch rheinische Mischung aus
Mönch und Dionysos« bezeichnete, blieb seine faszinierende Sinfonie in einem Satz für viele Jahre ein Schmerzenskind – nicht anders
als für Richard Wagner (1813–1883) der Tannhäuser.
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Die Musikdramen Richard Wagners, mit dem Nietzsche eine wahrhafte Hassliebe verband, schienen dem Philosophen zunächst als ideale Vereinigung des
Dionysischen mit dem hellen, traumhaften »Apollinischen«, für das im Tannhäuser die Figur der Elisabeth steht. Im Gedanken an diese rettet sich der Titelheld
schließlich vor der im Wahn herbeigerufenen Venus. In der Ouvertüre ist dies
vorgezeichnet, wenn am Ende die anfangs choralhaft schlicht vorgetragene
Melodie des Pilgerchors sich in schönster Pracht – mit Wagners Worten: »in
gewaltiger Begeisterung« – gegen alle musikalischen Wirrnisse durchsetzt. Den
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französischen Schriftsteller Charles Baudelaire traf dies bei der Pariser Aufführung des Tannhäuser mit enormer Wucht und ließ ihn stärkste Worte finden:
»Sanftes Schmachten, von Fieber und Angstanfällen zerrissene Wonnen, Lust
in immer neuen Anstürmen, die trotz aller Verheißungen niemals die Begierde
stillt, Wahnsinnszuckungen von Herz und Sinnen, die Tyrannei des Fleisches –
was immer durch den Klang die Vorstellung der Liebe weckt, wird hier zu Tönen.« Indessen hat Richard Wagner in seiner eigenen Werkeinführung, die er
für eine Aufführung in Zürich 1852 verfasste, den »Jubel des aus dem Fluche
der Unheiligkeit erlösten Venusberges« hervorgehoben, der sich am Ende der
Ouvertüre mit dem »Gottesliede« vereine. Wenn dies eine Versöhnung ist, so
ist es eine schwer errungene: Sowohl Tannhäuser als auch Elisabeth bezahlen
diese Erlösung mit dem Leben.
von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und somit die Aufhebung chronologischer Ereignisfolgen, die als Sukzession von flüchtigen »Jetztpunkten«
niemals objektive Gegenwart sein können, sondern immer Aspekte von Vergangenem und Zukünftigem enthalten. Mit dieser Idee, die in ihrer Negierung von
»Endlichkeit« auch religiöse Untertöne enthält, setzte sich Zimmermann von
dem seiner Meinung nach verengten Zeitbegriff der seriellen Musik ab, deren
Konstruktionsidee er mit Elementen von Collage und Zitat verbinden und damit
zugleich bewahren und überwinden wollte: Musik als Ordnung von Zeit mit dem
Ziel der Zeitlosigkeit.
Gerade mit der traditionellen Gattung der Sinfonie, die viele Komponisten
im 20. Jahrhundert wenn überhaupt, nur mit spitzen Fingern anfassten, hat
sich Bernd Alois Zimmermann in seinen frühen Jahren selbstkritisch auseinandergesetzt. Schon mit Blick auf seine Sinfonia prosodica (1945–47) fragte er
sich, ob man »mit 27 Jahren Symphonien schreiben« könne, beim Konzert für
Orchester (1946–48) umging er den Gattungsbegriff. Beide Werke liegen wie
die Sinfonie in einem Satz in mehreren Versionen vor. Das etwa viertelstündige,
groß besetzte Werk erklärte Zimmermann erst in der zweiten Fassung von 1953
für verbindlich. Über die mehrjährige Arbeit an der Sinfonie hat Zimmermann
widersprüchliche Notizen hinterlassen, und Klaus Ebbeke, ein genauer Kenner
seiner Werke, schließt aus dessen musikalischen Eigenheiten sogar auf eine
kürzere Entstehungsphase, nicht ab 1947, sondern erst ab 1950, da der Komponist vorher gar nicht mit der Reihentechnik gearbeitet habe. Diese Technik
setzte Zimmermann hier für eine breite Ausdruckspalette ein: Es handele sich,
so schrieb er später, »um ein musikalisches Gefüge, welches aus einer einheitlichen musikalischen Grundsubstanz, einer Grundgestalt, entwickelt wird. Im
Gegensatz zur überlieferten Form der Sinfonie wird hier nicht von vorne herein
das so genannte thematische Material exponiert, sondern dieses entwickelt
sich erst in dem Zusammenwirken verschiedenster Kräfte aus dem amorphen
Zustande der musikalischen Keimzelle zum organischen Gefüge des Ganzen,
in großen Bögen von apokalyptischer Bedrohung zu meditativer Versenkung
schwingend«. Neben dem Aspekt der musikalischen Zeit (im Sinne der »Entwicklung des Materials«) spricht der Komponist hier vor allem die Gegensätze
im musikalischen Ausdruck an, die innerhalb der kurzen Dauer des Werks
und der »großen Bögen« auch auf kleinstem Raum krass aufeinander prallen
oder durch verblüffend knappe Überleitungen verbunden sind – Zimmermanns
Biograf Wulf Konold nennt die Sinfonie ein »Kaleidoskop«. Zentrum des Werks
ist ein 30 Takte langes Andante, das mit der Kombination von ruhigen Flächen
in Klavier und Harfe mit sanfter Bewegung in den anderen Instrumenten als
meditative Passage gleichsam ein Scharnier ist zwischen zwei dazu harsch
kontrastierenden Märschen. Um dieses Zentrum herum sind weitere langsame Teile gruppiert, mit Andante, Adagio oder Misterioso bezeichnet, die mit
irisierenden Effekten in Streichern und Harfe sowie gehaltenen Bläsertönen
»einen diffus-meditativen, zum Stillstand neigenden Klang erzeugen« (Konold).
Mit dieser kleinteiligen Reihung von gegensätzlichen Ausdrucksvarianten hebt
Zimmermann die Prinzipien der traditionellen Sinfonie im mehrfachen Sinn auf
und komponiert dem knappen Werk den spannungsgeladenen Konflikt zwischen
entwickelnder und zyklischer Form ein.
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Wie der 1845 in Dresden uraufgeführte und für die skandalumwitterte Pariser Premiere 1861 überarbeitete Tannhäuser ist die Sinfonie in einem Satz von
Bernd Alois Zimmermann das Ergebnis eines langjährigen Arbeitsprozesses.
Die zweite Fassung des Werks ist anders als bei Wagner aber keine Anpassung
an praktische Aufführungsumstände, sondern eine wesentlich umgestaltete
Komposition. Als Zimmermann 1947 mit der Arbeit an der Sinfonie begann, war
er kaum dreißig Jahre alt und in seiner Ausbildung als Komponist Autodidakt,
Nachahmer und Eigenbrötler zugleich. Die Diskontinuität seiner frühen Jahre
(Zimmermann musste sowohl seine schulische als auch seine universitäre
Ausbildung wegen der Kriegsereignisse ab- oder unterbrechen) setzte sich
in wirtschaftlich schwieriger Zeit fort in der Arbeit des Komponisten für die
Unterhaltungsmusik, den Schulfunk oder das Hörspiel. Obwohl der Dirigent
Michael Gielen später anerkannte, Bernd Alois Zimmermann habe als Letzter
in seinem Metier »alles gekonnt«, blieb dieser in doppelter Hinsicht ein Außenseiter: Zwischen den Älteren wie Fortner, Egk oder Orff und den Jüngeren
wie Stockhausen, Boulez und Nono fühlte sich Zimmermann, wie er schrieb,
»zerdrückt« und fand mit seinem pluralistischen Stil schwer Zugang zu jenen
Tempeln, in denen sich die musikalische Avantgarde feierte. Noch posthum
diskreditierte ihn Karlheinz Stockhausen als »Gebrauchsmusiker«.
Die Idee eines vielschichtigen Kunstwerks, wie es später das Musiktheater
Die Soldaten und das Requiem für einen jungen Dichter werden sollten, und das
Konzept von der »Kugelgestalt der Zeit« arbeitete Zimmermann in den späten
1950er-Jahren, also einige Zeit nach der Komposition der Sinfonie in einem Satz,
aus. Allerdings weist dieses frühe Werk durchaus auf spätere Kompositionen
voraus, zumal Zimmermann es selbst als exemplarisch aufgefasst hat und es
von seiner später gedanklich konkretisierten »Zeitphilosophie« kaum unberührt
sein kann. Unter der »Kugelgestalt der Zeit« verstand Zimmermann die Einheit
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zweite, choralartig das dritte, in dem man jene »religiöse Semantik« erblicken
kann, die viele Sätze Bruckners kennzeichnet. Der zweite Satz schöpft aus dem
Gegensatz von Stillstand und Bewegung, der dritte spielt mit den Elementen
des traditionellen Scherzos, indem er der wild herausfahrenden Thematik des
Anfangs tänzerische Passagen schroff entgegensetzt, die wiederum zwischen
Derbheit und Grazie changieren. Ganz ähnliche Binnenspannungen kennzeichnen auch den vierten Satz, wo tänzerische Geste und getragener Bläsersatz
miteinander streiten, bevor die Sinfonie mit einer Wiederaufnahme der Fanfarenthematik des ersten Satzes endet.
Bernd Alois Zimmermann hat in seiner Selbsteinschätzung zwischen Mönch
und Dionysos von einer »Mixtur« gesprochen. Jenseits von Assoziationen des
»Mönchischen« oder »Dionysischen« mit den wechselhaften Biografien und
komplexen Persönlichkeiten Zimmermanns, Wagners oder Bruckners findet
sich in ihren hier gespielten Werken eben dies: Eine Mixtur – und darin das
Zusammendenken von Gegensätzen in künstlerischer Form; Bindung von Widersprüchen ohne deren Aufhebung. Auch dies findet sich in Zimmermanns
faszinierendem Gedanken von der »Kugelgestalt der Zeit«, in deren Vielschichtigkeit, dem In-Eins-Sein von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
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Auch bei Anton Bruckner findet sich dieses Konfliktpotenzial, finden sich schroffe musikalische Gegensätze, doch der Blick auf die »mönchische« Person des
Komponisten hat hier die Sicht auf dessen Modernität, die »Apokalyptisches«
umfasst, lange verstellt. Der Spott Karlheinz Stockhausens über den »Gebrauchsmusiker« Zimmermann spiegelt sich in den Verdikten von Johannes
Brahms, der den Kollegen und Konkurrenten Bruckner mit den Schlagworten
»Unbildung« und »Verrücktheit« belegte. Mit dem Problem der Sinfonie schlugen sich alle herum, Brahms wie Bruckner und später der noch junge Zimmermann. Dessen modernes, prozessuales Konzept, das thematische Material nicht
am Werkbeginn vorzustellen, sondern sich für das Publikum hörbar entwickeln,
sich formen zu lassen, hat in Anton Bruckner einen Vorläufer. In Bruckners sinfonischem Kosmos entstehen Klang, Rhythmus und Bewegung wie aus einem
Urgrund heraus, werden folgerichtig auch die gewaltigen »Apotheosen« mit
ausführlichem Vorlauf entwickelt. In Verbindung mit dem Übergewicht langsamer Tempi, die noch die kürzeste Bruckner-Sinfonie kaum weniger als eine
Stunde lang sich ausdehnen lassen, mussten diese Werke den Zeitgenossen als
Zumutung erscheinen – was sich in der kritischen Rezeption ebenso ablesen
lässt wie in den teilweise verzweifelten Versuchen des Komponisten, seine Sinfonien durch Neufassungen für eine weitgehend verständnislose Welt zu retten.
Die Fassungsproblematik berührt auch die Dritte Sinfonie, die zu Lebzeiten
des Komponisten sogar in zwei Druckversionen herausgegeben wurde. Die
Entstehung des Werkes ist eng mit Bruckners Wagner-Verehrung verknüpft,
die seit seinem Tannhäuser-Erlebnis 1863 in Linz andauerte und die in ihrer
Unterwürfigkeit (»ich bete Sie an!«) viel zum Klischee von Bruckner als »kleinkarierter Persönlichkeit« beigetragen hat. Dabei ist die »Wagnersymphonie«,
wie der Komponist sie wegen der vom »Bayreuther Meister« autorisierten Widmung zeitlebens nannte, gar nicht so sehr eine musikalische Reverenz. Denn
die Wagner-Zitate, die ohnehin eher Anspielungen waren, tilgte Bruckner schon
in der zweiten Fassung von 1876–78. Seine erste Version, 1872–73 komponiert,
mochten die Wiener Philharmoniker nicht einmal zur unverbindlichen Probe
annehmen, mit der zweiten erlitt Bruckner als einspringender Dirigent einen
der bittersten Misserfolge seines Lebens. 1890 dirigierte Hans Richter, erneut
in Wien, die erste Aufführung der dritten Fassung, die Bruckner 1887–89 erstellt hatte. Diese pragmatische Version »letzter Hand« wird auch im heutigen
Konzert gespielt.
In Bruckners Dritter Sinfonie, die der Musikwissenschaftler Egon Voss so
treffend als »besonders ehrgeiziges Schmerzenskind« bezeichnete, lässt sich
viel für diesen Komponisten Typisches ablesen. Vor allem die starken, blockhaft
gereihten Kontraste, die sowohl Spannung als auch Klarheit erzeugen, finden
sich in allen späteren Sinfonien wieder. Die drei Themengruppen (eine Bruckner-Spezialität) entfalten je eigenen Charakter: fanfarenartig schmetternd das
erste Thema (nach der vergleichsweise zügigen Einleitung), chromatisch das
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