Morphologie Wörter – alt, neu, einfach, komplex (1) Bullen, zu, Layoutlaie, recyceln, Dachhase, AG, Wegfahrsperre, mächlich, TFT, mobben, Karaoke, Service-Team, outsourcen, andenken, quackelhaft, schneesicher, Seniorenresidenz, ätzend, Window, innovativ, ... Gegenstand der Morphologie • die Struktur und die Eigenschaften von bestehenden Wörtern und unselbständigen Wortteilen • die sprachlichen Mittel zur Bildung von neuen Wörtern/ die Kombinationsmöglichkeiten von bestehenden Wörtern und unselbständigen Wortteilen. Lexikon Morphologie Syntax Woher bezieht man in der Morphologie das sprachliche Material zur Untersuchung bestehender Wörter und zur Produktion neuer Wörter? • aus dem Lexikon Was wird von morphologische Regeln letztendlich produziert? • In einer sprachlichen Äußerung gebrauchsfähige Wörter – für die Syntax abgeschlossene Wörter. Lexikon Morphologie Syntax Was steht im (mentalen) Lexikon? • Einfache Wörter (Simplizia, Wurzeln) Bar, Haft, geben, hoch, auf, ... • (Idiomatisierte) Usuelle Wörter Haustür, Handschuh, ... • Affixe für Derivation und Flexion -bar, -sam, -haft, ... , -er, -en, -te, ... • Abkürzungen, Kürzungen, Akronyme AG, Prof, DIN • Idiome, Kollokationen, lexikalisierte metaphorische Wendungen: sich zwischen alle Stühle setzen, ... eingefleischer Junggeselle, ... Licht am Ende des Tunnels sehen, ... • Wortbildungsregeln? Lexeme und Lexikoneinträge Lexeme sind im Lexikon gelistete sprachliche Einheiten, auf die ein Sprecher bei der Verarbeitung von sprachlicher Information zugreifen kann. Ein Lexikoneintrag besteht aus: Phonologische Information (PHON): Morphologische Information (MORPH): Syntaktische Information (SYN): Semantische Information (SEM): Pragmatische Information (PRAG): Lautform(en) Flexionsklasse, Kombinationseigenschaften Kategorie, Subkategorisierung (Valenz) Semantische Klasse, ArgumentStruktur, Valenzzuordnung Stilistische/Gebrauchseigenschaften Lexeme werden üblicherweise in ihrer Nennform angegeben: Nomen, Adjektive (Nom. Sing.) Hut, Leere, frisch Verben (Infinitiv) singen Morphem, Wort, Wortform Morpheme: die kleinsten sprachlichen Einheiten, die entweder eine Bedeutung oder eine grammatische Funktion haben (wenigstens eine außerphonologische Eigenschaft haben) Einschlägige Morphemtypen: • Freie und gebundene Morpheme (Wurzeln und Affixe) • Konfixe sind weder Wurzeln noch Affixe, können aber zusammen ein Wort bilden Schwieger+eltern/sohn/..., Mikro+phon • Unikale Morpheme sind gebundene Morpheme, die nur in einer Morphemkombination vorkommen Him(+beere), Brom(+beere) • Morphemvarianten (‘Allomorphe’) wie bei den Pluralvarianten (-e, -en, -n, -er, -s), aber auch Auge, Aug(+apfel), Äug(+lein) Freie Morpheme und Morphemkombinationen aus Wurzeln und Affixen, denen noch die Flexion fehlt, nennt man Stämme. (1) Hund- (sind gekommen) Wurzel=Stamm Blut+hund- (sind gekommen) Stamm Blut+hund+artig- (sind gekommen) Stamm Flektierte Formen von Stämmen sind Wortformen: (2) Hund+e (sind gekommen) Wortform Ein (grammatisches/syntaktisches) Wort kann man dann als Menge seiner Wortformen beschreiben. Wurzel/Stamm + Flexion Bei flektierbaren Wörtern schließt die Flexion das Wort ab. Morphologie Flexion Bildung der Wortformen eines Worts (aus einer Wurzel oder einem Stamm) Wortbildung Komposition: Bildung eines Worts aus zwei (oder mehr) vorhandenen Stämmen/Wurzeln Derivation: Bildung eines Worts aus einem vorhandenen Stamm und einem oder mehr Derivationsaffixen. Konversion: ‘Implizite’ Derivation u.a. Einige weitere Wortbildungstypen • Kontamination: Verschmelzungen (1) jein (ja+nein) mainzigartig (Mainz+einzigartig) • Kürzung: Tilgung (2) Uni (Universität) Spvgg (Spielvereinigung) • Abkürzungen und Akronyme (3) OB (Oberbürgermeister, ohne Befund) (4) DIN, Bafög, ... • Rückbildung (?): (5) uraufführen (aus: Uraufführung) Wortarten (1) Weil ich oft mit dem alten Mann nur rede weil Konjunktion nur Partikel ich Pronomen rede Verb oft Adverb mit Präposition dem Artikel alten Adjektiv Mann Nomen Grammatische Merkmale im Deutschen Numerus Singular, Plural Genus Maskulinum, Femininum, Neutrum Person Kasus 1., 2., 3. Person Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ Tempus Modus Komparation Präsens, Perfekt, Präteritum, Plusquamperfekt, Futur I/II Indikativ, Imperativ, Konjunktiv I/II Positiv, Komparativ, Superlativ Genus Verbi Aktiv, Passiv (Medium) Wortart flektiert nach Nomen (N) Kasus, Numerus, Genus Adjektive (A) Kasus, Numerus, Genus Komparation Pronomen/Artikel Kasus, Numerus, Genus (D bzw. N) Verben (V) Person, Numerus, Modus, tempus, Genus verbi (finite Verben) (reiner) Inf., zu-Inf., Part. Präs./Perf. Aktiv/Passiv (infinite Verben) Die anderen Wortarten sind nicht-flektierend. Wortarten und Kategorien Ein weiteres Kriterium für die Wortartenklassifikation: Zugehörigkeit zu einer syntaktischen Kategorie – Distributionsüberlegungen • Nomen (N), Adjektive (A), Verben (V), meistens auch noch Präpositionen (P) sind Inhaltswörter und werden auch lexikalische (Haupt-) Kategorien genannt. • Konjunktionen, Subjunktionen ( C), Partikeln sind Funktionswörter. • Artikel und Pronomen kann man für unsere Zwecke zur syntaktischen Kategorie D zusammenfassen, Adverbien werden als ADV klassifiziert. Wörter flektierbar deklinierbar nicht-flektierbar konjugierbar Pronomen Artikel Adjektiv Nomen Verb Adverb Präp. Konj. Partikel Wortformen werden in Paradigmen (Flexionsparadigmen) geordnet: 1s sprech-e Nominativ das Haus 2s sprich-st Genitiv des Haus-es 3s sprich-t Dativ dem Haus(e) 1p sprech-en Akkusativ das Haus 2p sprech-t 3p sprech-en Einige Realisierungsformen von Flektion (im Dt.): Affigierung: dreh-e, dreh-st, dreh-t, (des) Herzens, breit-er, ... (Suffixe) ge-such-t (Zirkumfix) tanz-t-e, breit-er-e, ge-such-t-e (Kombination) Umlaut/Ablaut:Garten – Gärten (Umlaut) singen – sang (Ablaut) ge-sung-en (Kombination Ablaut, Zirkumfix) Null-Flektion: Balkensg. – Balkenpl. Suppletion: sein, bin, ist, war, ... Synthetische und Analytische Formen: sehen/sah vs. habe/hatte/werde ... gesehen Einige der Varianten können durch MorphemAlternationen/Variation abgeleitet werden: • Morphologisch bedingt(Umlaut) [haut] hat zwei phonologische Varianten • phonologisch bedingt (Auslautverhärtung) • eine Kombination beider Faktoren Rad[t] – Räd[d]er Trotzdem können wir festhalten: • Flektionsparadigmen können defektiv (geworden) sein, Morpheme können durch Allomorphe realisiert werden, Morpheme können nicht markiert werden, ... • Morpheme müssen abstrakt gesehen werden: Merkmale Infigierung und Reduplikation: Ein Beispiel aus Tagalog Verbstamm Infigierung Reduplikation sulat ‘schreiben’ sumulat su-sulat basa ‘lesen’ bumasa trabaho ‘arbeiten’ ta-trabaho gradwet ‘graduieren’ grumadwet (Infinitiv) (Futur) Wortbildung – Komposition Erstglied HolzN RotA DrehV AufP Zweitglied HausN LichtN GriffN WindN Kompositum HolzhausN RotlichtN DrehgriffN AufwindN Was fällt auf? • Unabhängig von der Kategorie des Erstglieds ist die Kategorie des Kompositums durch das Zweitglied gegeben Wortbildung – Komposition Erstglied HolzN RotA DrehV AufP Zweitglied HausN LichtN GriffN WindN Kompositum HolzhausN RotlichtN DrehgriffN AufwindN Was fällt auf? • Unabhängig von der Kategorie des Erstglieds ist die Kategorie des Kompositums durch das Zweitglied gegeben • Bei der Wortbildung gibt es einen Kopf, der die Kategorie des komplexen Worts bestimmt. (Kopfprinzip) • Das rechte Kompositionsglied ist der Kopf. Weitere Kompositionstypen Adjektiv-Komposition: A ! N+A sach+kundig, A ! A+A rosa+rot, alt+klug A ! V+A trink+freudig Verb-Komposition: V ! N+V bau+sparen, rad+fahren (Pseudokomposita) V ! A+V froh+locken V ! V+V mäh+dreschen Ein umstrittener Fall – Adverb-Komposition: X+-her/hinADV: daADV+her/hin, weiterA+hin, ... X+P: herADV+auf, durchP+aus, bergN+an, ... Regeln und Strukturen Wortbildungsregeln: N ! N+N, N ! A+N, N ! V+N, N ! P+N Generalisierung: N ! X+N N X Haus Blöd Hinter Web N frau mann list stuhl Kopfprinzip Allgemeine Form: X ! ... X ... X X X Y X • Binäre Verzweigung Auf die Komposition im Deutschen angewandt: • Jedes Kompositum hat einen Kopf, der die Kategorie (und damit die grammatischen Eigenschaften) des Kompositums festlegt. • Der Kopf steht in binär verzweigenden Strukturen rechts. Rekursion • Wortbildungsregeln können rekursiv angewendet werden: (1) Rotsteinpass: Rot+stein+pass N (Stamm) (Stamm) N A N Rot stein pass (Wurzel) (Wurzel) (Wurzel) N Ambiguität Ein Lehrbuch-Beispiel: Mädchen+handels+schule • Eine Handelsschule für Mädchen • Eine Schule für Mädchenhandel N N N N N Mädchen handels N N schule N N N Mädchen handels schule • Zwei mögliche Ableitungen (Derivationen) – 2 Lesarten Fugenmorpheme/-elemente (1) Handel-s-schule, Weg-e-zoll, Bild-er-rahmen, ... Fugenelemente: -e-, -n-, -en-, ens-, -s-, -es(2) Kinderwagen und -sitz *Kinderwagen und -ersitz (3) Hühnerei, Freundeskreis, Liebesbrief Nmask Nneutr Nneutr Rind Nmask braten Fm -er Komposition zwei (oder mehr) freie Morpheme bzw. Stämme werden kombiniert Schulbuch, Leselampe, Tassenhenkel, Henkeltasse, ... Die Operation ist rekursiv: Schulbuchverlag, Großraumflugzeug, Vereinsneugründung, ... Der Kopf des Kompositums steht im Normalfall rechts. Flexion folgt der Komposition: Wortform: Npl N = Stamm N N Auto fahrt PluralFlexiv -en