2000/2001 Zweijahresbericht GeoForschungsZentrum Potsdam IMPRESSUM Herausgeber: GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) Stiftung des öffentlichen Rechts Telegrafenberg 14473 Potsdam Redaktion: Dr. Jörn Lauterjung Franz Ossing Layout: Otto Grabe (GFZ) & Druckerei Arnold Druck: Druckerei Arnold Am Wall 15 14979 Großbeeren GFZ Potsdam 2002 Das GFZ Potsdam ist Mitglied der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V. Messeinsatz im Zugangsstollen Faido des Gotthard-Basistunnels (Foto: S. Mielitz) Messurements in the Faido Access Tunnel 334 Aufgabenbereich 5 Geomechanik und Geotechnologie Ein Schwerpunkt der FuE-Arbeiten des AB 5 ist die Erforschung von Spannungen, Verformungen und Festigkeiten der Gesteine. Für statische Berechnungen und Sicherheitsanalysen von untertägigen Felshohlraumbauten und Tiefbohrungen wird das Formänderungs- und Festigkeitsverhalten von Gesteinen unter mechanischen, hydraulischen und thermischen Einwirkungen experimentell im Labor untersucht, durch insitu-Messungen überprüft und mit numerischen Modellrechnungen analysiert. Ergänzt werden diese Arbeiten durch Entwicklungen neuer Methoden für die geophysikalische Gebirgserkundung unter Tage. Dazu wurde die Anwendung spezieller dehnungsempfindlicher Lichtleitfasern (Faser-Bragg-Gitter FBG) für die Messung von Dehnungen und Dehnungs-Gradienten in Gesteinsformationen als innovative Aufgabe in Angriff genommen. Diese Bragg-Gitter-Strukturen zeigen einen li-nearen Zusammenhang zwischen äußerlich einwirkenden Dehnungsänderungen und den dadurch induzierten Verschiebungen des Bragg-Reflexionsspektrums. Durch kraftschlüssige Einbettung der FaserBragg-Gitter in Glasfiber-Kunststoff-Anker, die im modernen Tunnelbau routinemäßig eingesetzt werden, wurde ein Sensor (BGX) entwickelt, mit dem das Monitoring von Gesteinsverformungen an beliebigen Stellen des Tunnels möglich ist. Neu ist auch die Nutzung dieser BGX-Gebirgsanker für dynamische Strain-Messungen, mit denen man z.B. während eines Tunnelvortriebs Informationen über das Gebirge im Vorfeld der Auffahrung gewinnen kann. Das Projekt dient der Entwicklung eines räumlich hochauflösenden, integrierten Seismic Imaging Systems (ISIS) für die Vorfelderkundung (z.B. bei Tunnelauffahrungen) zur Früherkennung von lithologischen Heterogenitäten und Gefahrenzonen. Mit einer servohydraulisch geregelten triaxialen Hochdruckpresse und ihren separat steuerbaren Porendruck-, Durchströmungs- und Heizungssystemen können die Festigkeits- und Verformungseigenschaften von Gesteinen systematisch untersucht werden. Die Sensorik für die axialen und radialen Dehnungsmessungen liegt im Inneren der Triaxialzelle. Ein ausgeprägter Forschungsschwerpunkt liegt in der Bewertung geothermaler Ressourcen. Die Arbeiten zielen auf eine wesentliche Weiterentwicklung der petrophysikalischen Methoden. Dabei steht im Rahmen von bereichsübergreifenden Projekten die Quantifizierung natürlicher oder anthropogen initiierter Transportprozesse in der Erde im Mittelpunkt. Diese Prozesse werden durch Gradienten in Potentialfeldern wie Temperatur und Druck ausgelöst und durch die physikalischen Eigenschaften Permeabilität, Wärmeleitfähigkeit, elektrische Leitfähigkeit, Geschwindigkeit elastischer Wellen und radiogene Wärmeproduktion einschließlich der Variation dieser Parameter innerhalb der Lithosphäre bestimmt. Betrachtet werden Speicher, aus denen Thermalwasser gefördert und/oder gespeichert wird. Dies schließt die genaue Analyse des Porenraumes und der Wechselwirkung zwischen Fluiden und Gestein ein. Die Grundlagen zur Nutzbarmachung dieser Speichergesteine werden entwickelt. Die Untersuchungen konzentrieren sich auf das Fündigkeitsrisiko geeigneter Horizonte, d. h. primär ergiebiger oder primär gering ergiebiger, aber kontrolliert stimulierbarer Speichergesteine. Wirtschaftliche Stimulationsverfahren entwickelt mit Kenntnissen aus Bohrloch- und Laboruntersuchungen zum geomechanischen Stoffverhaltens bilden den Schlüssel für eine aussichtsreiche standortvariable Nutzung der Erdwärme. Die Spannungsfelder in der Erdkruste und im Erdmantel gehören zu den am wenigsten bekannten und in ihren Ursachen nur wenig verstandenen geophysikalischen Phänomenen. Gegenstand der Forschungsarbeiten im Rahmen des Projektbereiches ”Rezentes Spannungsfeld” ist die Analyse des Spannungsfeldes der Erdkruste sowie des Auftretens von Erdbeben als Ausdruck rezenter Spannungen, der rezenten Tektonik und struktureller Inhomogenitäten. Die Informationen zum Spannungszustand in der Erdkruste, einschließlich dessen zeitlicher und räumlicher Änderungen, bergen den Schlüssel zu dynamischen Modellen der Lithosphärendeformation und -evolution. In der Verbindung mit der Betrachtung lithosphärischer Deformation und der Wechselwirkung von Spannung und Rheologie führen sie zum Verständnis des Auftretens von Erdbeben. Hier steht die Interpretation zielgerichtet kompilierter Spannungsmessdaten und beobachteter Verschiebungsfelder mittels numerischer Modellierungen unter Einbeziehung der Seismizität im Mittelpunkt. Da sich Erdbeben nicht verhindern lassen, sind die Anstrengungen auf einen entsprechenden Schutz zu forcieren. Geowissenschaftliche Grundlagen hierfür sind Aussagen zum seismogenen Potential von Störungszonen sowie probabilistische seismische Gefährdungsabschätzungen, welche den zweiten Schwerpunkt der Arbeiten im Projektbereich darstellen. Das Problem des Auftretens von Erdbeben wird demzufolge unter zwei Gesichtspunkten bearbeitet: mit einer deterministischen Vorgehensweise zur Identifikation seismogener Zonen auf der Grundlage hauptsächlich von Spannungs-, Verschiebungs- und Neotektonik-Daten sowie als statistischer Prozess der Bebentätigkeit innerhalb der seismogenen Zonen. 335 Triaxiale Hochdruckuntersuchungen an Gesteinen Die Kenntnis der Festigkeits- und Verformungseigenschaften von Locker- und Festgesteinen ist für die Berechnung der Stabilität von geotechnischen Bauwerken und tiefen Bohrungen eine wesentliche Voraussetzung. Ein Schwerpunkt der Untersuchungen zum Materialverhalten von Gesteinen ist die kombinierte Nutzung der triaxialen Hochdruckpresse in Verbindung mit Hochdruck-Fluid-Pumpensystemen. Abb. 5.1: Scherversagen auf der Foliationsebene eines Fruchtschiefers aus Theuma/Sachsen nach triaxialer Belastung (Foto: M. Naumann, GFZ) Shear failure on the foliation plane of a spotted schist from Theuma/Saxonia after triaxial loading Anisotrope Verformungs- und Festigkeitseigenschaften metamorpher Gesteine wurden an Schiefern aus Theuma/Vogtland (vgl. Abb. 5.1) und an Gneisen aus dem Faido-Zugangsstollen des Gotthard-Basistunnel bestimmt. Dazu wurden ungestörte, orientierte Proben mit einem mobilen Kernbohrgerät aus dem anstehenden Fels entnommen (Abb. 5.2). Im Labormaßstab wurde eine neue Auswertemethode entwickelt, um die elastischen Parameter von foliierten Gesteinen mit StandardTriaxialtests unter Verwendung von Axial- und Umfangsextensometern zu bestimmen. Das elastische Verformungsverhalten der untersuchten Gesteine erwies sich als transversal isotrop (Abb. 5.3). Hierfür wurde ein verbessertes Kriterium zur Beschreibung der anisotropen Festigkeit von foliierten Gesteinen entwickelt (Abb. 5.4). Abb. 5.3: Vergleich von Messdaten mit theoretisch vorhergesagten Werten der Spannungs-Dehnungs-Kurve im elastischen Bereich für verschiedene Schieferungsrichtungen (Theuma-Schiefer) Comparison of measured data with theoretically predicted values of the stress-strain-curve in the elastic range for different foliation angles (Theuma Schist) 336 Abb. 5.2: Bohren orientierter Felsproben im Zugangsstollen Faido des Gotthard-Basistunnels (Foto: C. Klose, GFZ) Drilling of oriented core samples in the access gallery Faido of the Gotthard Base Tunnel Abb. 5.4: Vergleich von theoretischer Lösung und experimentellen Daten zur Festigkeit von Theuma Schiefer bei unterschiedlichen Manteldrücken Comparison of the theoretical approach with experimental data for the strength of Theuma Schist at different confining pressures Ebenfalls wurde die Abhängigkeit der Wasserdurchlässigkeit ("Permeabilität") von den auf das Gestein einwirkenden Spannungen untersucht. Dazu wurden gekoppelte hydraulisch-mechanische Tests mit der triaxialen Hochdruckpresse und den beiden Hochdruckpumpensystemen für gering- bzw. hochpermeable Gesteine durchgeführt. Jedes dieser Systeme besteht aus vier Pumpen, die in paariger Anordnung eine kontinuierliche Durchströmung der Proben bei definiertem Druckgefälle ermöglichen (Abb. 5.5). Sandsteinen unter deviatorischer Belastung bestimmt. Dazu wurden Proben von Flechtinger Bausandstein (Flechtingen/Sachsen-Anhalt) nach anfangs isotroper Belastung einer variablen Differenzspannung unterworfen, wobei die mittlere Spannung konstant gehalten wurde. Gleichzeitig wurden die Fließraten gemessen, unter denen die Proben bei einem Porendruck von 40% des Zelldrucks ("confining pressure") durchströmt wurden. Die Messungen zeigten bei deviatorischer Belastung eine Permeabilitätserhöhung um mehrere Hundert Prozent. (Abb. 5.8). Abb. 5.5: Hochdruck-Fluidpumpensystem Quizix des GFZ Potsdam (Foto: M. Naumann, GFZ) High-pressure fluid-pumping system Quizix of the GFZ Potsdam Abb. 5.6: Serpentinitprobe nach Triaxialversuch mit deutlichem Scher-Riss (Foto: M. Naumann, GFZ) Serpentinite sample after triaxial loading with clearly visible shear crack Mit einem umfangreichen Versuchsprogramm wurde der Einfluss des Porendrucks auf die mechanischen Eigenschaften von Kristallingesteinen untersucht. Das Probenmaterial bestand aus Tittlinger Granit (Tittling/Bayern) und aus Serpentinit von Zöblitz/Erzgebirge (Abb. 5.6). Es konnte nachgewiesen werden, dass die Theorie der effektiven Spannungen, die von Terzaghi für Böden entwickelt wurde, auch für die untersuchten kristallinen Gesteine gilt. Außerdem zeigte sich, dass der Elastizitätsmodul des Granits, im Gegensatz zu dem des Serpentinits, stark vom Mantelund Porendruck abhängt (Abb. 5.7). Für Abschätzungen zur geothermischen Energiegewinnung wurde die Abhängigkeit der Permeabilität von 337 Abb. 5.7: Elastizitätsmodul als Funktion des effektiven Manteldruckes für verschiedene kristalline Gesteine Young's Modulus as a function of the effective confining pressure for different crystalline rocks Intrakristalline Strainmessung mit der Neutronen-Flugzeitmethode Abb. 5.8: Relative Änderung der Gesteinsdurchlässigkeit für Sandstein in Abhängigkeit von der Differenzspannung (σ1-σ3) bei konstanter mittlerer Spannung Relative change of water permeability of sandstone as a function of the stress difference (σ1-σ3) at constant mean stress 338 Abb. 5.9: Intensitätssteigerung (ca. 100 %) eines Detektors des EPSILONMDS z.B. bei einem Nickel-Pulverspektrum Increase of intensity gain (~100 %) of a detector of EPSILON-MDS, shown e.g. for a Ni-powder spectrogram Das Strain-Diffraktometer EPSILON am Kanal 7A des Impulsreaktors IBR-2 des Vereinigten Instituts für Kernforschung in Dubna (Russland) wird seit 1997 vom GFZ Potsdam mit Projektförderung durch das BMBF betrieben. An vorwiegend monomineralischen Gesteinsproben wurden Deformationen, Restdehnungen und Tiefenprofile anisotroper Strainverteilungen durch hochaufgelöste Neutronenbeugung mit Genauigkeiten von Dd/d < 3x10 -3 gemessen. Für die Untersuchung mehrphasiger Proben wurde im Jahr 2000 mit einem vollständigen Umbau des Gerätes zu einem MultidetektorRadialkollimator-Diffraktometer (EPSILON-MDS) und mit der Erneuerung von Datenerfassung und -aufbereitung begonnen. Die Aufrüstung erfolgte im Rahmen einer Kooperation zwischen dem St. Petersburger Kernphysikalischen Institut in Gatchina, dem Vereinigten Institut für Kernforschung in Dubna, dem Forschungszentrum Rossendorf und dem GFZ Potsdam. EPSILON-MDS arbeitet mit 9 Radialkollimatorblöcken, die mit maximal 81 Detektoren besetzt werden können (gegenwärtig 31). Die Blöcke sind justierbar auf einem Ring installiert, so dass für alle Detektoren der gleiche BRAGG-Winkel 2β = 90° verwendet wird. Das bisherige zeitaufwendige Umsetzen der Probekörper entfällt damit. Ein Radialkollimator besteht aus 48, beidseitig mit 40 µm GdO2 beschichteten, 10 µm dicken Folien. Ein Kollimator überdeckt einen 2βBereich von 16°. Die Transmission der Kollimatoren beträgt 95 %. Die Detektoren mit den zugehörigen Vorverstärkern sind in einem Gitter hinter den Radialkollimatoren angeordnet. Das erste Experiment mit dem rekonstruierten Gerät wurde im Mai 2001 an Nickelpulver durchgeführt. Die Ergebnisse (Abb. 5.9) zeigen einen Intensitätsgewinn von etwa 100 % für jeden einzelnen Detektor. Damit wurde eine gute Voraussetzung auch für die Untersuchung polykristalliner Gesteine geschaffen. Faseroptische Monitorsysteme in der Geotechnik Auf der Basis optischer Faser-Bragg-Gitter wurde eine neue Messtechnologie für geotechnische Aufgabenstellungen entwickelt und zur Anwendungsreife gebracht. Faser-Bragg-Gitter sind dehnungsempfindliche Lichtleitfasern, mit denen eine hochgenaue Detektion von Dehnung ε, Temperatur T und Druck p sowie deren zeitlichen Änderungen (∆ε, ∆Τ, ∆π) realisiert werden kann. Zahlreiche Vorteile, wie z.B. die Möglichkeit der Konditionierung der Faser-Bragg-Gitter für die jeweilige Messaufgabe, Kompatibilität mit TelekomKomponenten, Multiplexing-Fähigkeit und Hochtemperaturtauglichkeit, Multiparameter-Sensing und Strukturintegrierung sprechen für die Auswahl und den Einsatz dieser Sensoren auch in den rauhen Umgebungsbedingungen von Tunnelbaumaßnahmen oder Bohrungen. Im Rahmen des Alpentunnel-Projekts (Gotthard Basistunnel) zur vortriebsbegleitenden Dehnungs-und Spannungsmessung wurde ein faseroptisches Monitorsystem (Faser-Bragg-Gitter-Extensometer-Anker BGX) entwickelt. Bei dem BGX-System ist das Messmittel gleichzeitig Bewehrungsmittel im Tunnelbauwerk. Es zeichnet sich durch hohe Wirtschaftlichkeit und gute Baustellentauglichkeit aus. Damit können die beim Sicherheitsmonitoring während des Tunnelvortriebs und -ausbaus registrierten Deformationsprofile mit höherer Genauigkeit als bisher erfasst und hinsichtlich Zuverlässigkeit und Aussagekraft wesentlich verbessert werden. Durch faseroptische Messungen mit kontrollierten seismischen Anregungen in Bergwerken und Tunneln konnte die Eignung der Bragg-Gitter-Sensoren auch als Antennen zur Detektion dynamischer Dehnungsschwingungen nachgewiesen werden. Zusammen mit den seismischen Signalgebern von ISIS (siehe weiter unten) und einer opto-elektronischen Signalverarbeitungseinheit mit neuen numerischen Verfahren zur Rauschunterdrückung wurde eine Systemlösung für das faseroptische Bragg-Grating Seismic Imaging BGSI entwickelt. Dieses Messsystem (Abb. 5.10) kann für die hochauflösende Abbildung von Auflockerungszonen im Nahbereich eines Tunnels eingesetzt werden. Erfolgreiche Labortests zur Überwachung von Netzwerken aus mehreren FBG-Sensoren einschließlich der Signalübertragung über große Distanzen leiteten neue Entwicklungen zum Einsatz der faseroptischen Messsysteme in Forschungs-und Erkundungsbohrungen ein: Im Rahmen des EU-Projekt-Clusters „Tiefenlabor Golf von Corinth“ wird derzeit im Programm „3F-Corinth: Faults, Fractures and Fluids“ gemeinsam mit internationalen Partnern die Einrichtung einer faseroptischen Downhole-Dehnungs-Monitorstation für Bohrlöcher vorbereitet, um die Gesteinsdeformationen an aktiven tektonischen Störflächen in der Tiefe zu beobachten. Erste Messungen wurden an einem mit FBG-Sensoren präparierten Casing-Rohr durchgeführt (Abb. 5.11). Die durch die miniaturisierten Sensor-Elemente möglich gewordene Strukturintegrierung, lange Lebensdauer unter rauhen und korrosiven Bedingungen, sowie die Unempfindlichkeit gegenüber elektrischem Übersprechen bieten sehr gute Voraussetzungen für eine Downhole-Instrumentierung. 339 Abb. 5.10: Dreikomponenten-Faser-Bragg-Gittersensor zur Detektion dynamischer Dehnungen 3-component fiber-Bragg-grating sensor for the detection of dynamic strain Integriertes Seismisches Imaging System ISIS Von März bis Juni 2001 wurden 9 Messeinsätze mit dem am GFZ entwickelten Integrated Seismic Imaging System ISIS im Zugangsstollen Faido des Gotthard-Basistunnels durchgeführt (vgl. dazu den Beitrag auf S. 113 dieses Berichtbands). Ziel der Messungen war es, die Systemkomponenten von ISIS auf ihre Einsetzbarkeit im Untertagebau zu testen und die Eigenschaften der Gneiskomplexe im Bereich der Schweizer Zentralalpen zu erforschen. Abb. 5.11: Faser-Bragg-Gitterinstrumentierung für eine BohrlochDownhole-Dehnungs-Monitorstation Fiber Bragg grating instrumentation for a deep drilling downhole strain-mo-nitoring-station Abb. 5.12 zeigt die Kabine des mobilen Messlabors des GFZ ("MobiLab"). Von hier aus wird der gesamte Messablauf kontrolliert. Die Schläge des pneumatischen Impakthammers werden aus der Messkabine gesteuert. Auch werden die von den Messankern empfangenen seismischen Signale hier aufgezeichnet. Während einer Messserie werden 30 bis 50 Schlagpunkte in Meter-Abständen entlang der Tunnelwand angeregt. Diese Schlagimpulse werden an bis zu 10 DreikomponentenGeophonankern registriert. Die gesamte Auslagenlänge betrug über 660 m. Die Seismogramme zeigten Kompressionswellen (P) bis 2 kHz und Scherwellen (S) bis 1,3 kHz. Die dominierenden Frequenzen der Reflexionen lagen für P-Wellen zwischen 600 und 800 Hz und für SWellen zwischen 200 und 400 Hz mit Wellenlängen von 8 bis 10 m. Für die Auswertung wurden tomographische Inversionen der Laufzeiten der direkten P- und S-Wellen berechnet. Die Geschwindigkeitsmodelle für die P- und S-Wellen zeigten eine Auflockerungszone von 2 bis 3 m im Nahbereich des Tunnels. Dieser Bereich wird von großen Geschwindigkeitsänderungen geprägt: zwischen 3000 und 5700 m/s für die PWellengeschwindigkeit vP und 2000 bis 3000 m/s für die S-Wellengeschwindigkeit vS. Hohe Geschwindigkeiten konnten mit Quarzlinsen und niedrigere Geschwindigkeiten mit Auflockerungen oder Kluftzonen erklärt werden. Der Ausbruch des Tunnels erhöht die Heterogenität des Geschwindigkeitsfeldes im Nahbereich. Außerhalb der ersten 2 bis 3 m Abstand von der Tunnelwand ist das Geschwindigkeitsfeld deutlich homogener. 340 Abb. 5.12: Blick in die Messkabine des GFZ-Messfahrzeugs (Foto: C. Klose, GFZ) View into the measurement cabin of the GFZ-MobiLab Ein eindrucksvolles Ergebnis war das Erkennen einer 4 m mächtigen, wasser- führenden Störungszone. Die tomographische Inversion zeigte eine signifikante Reduktion der P- und SWellengeschwindigkeiten bereits mehrere Dekameter vor Erreichen der Störungszone. Offenbar ist die Störungszone von einem Gesteinsbereich mit höherer Porosität umgeben, der zu einer Reduzierung der seismischen Geschwindigkeiten führt. Das Verhältnis vP/vS erhöht sich bei Annäherung an diese Zone. Ein wahrscheinlicher Grund hierfür ist die Zunahme des Porenwasseranteils in der Nähe der Störung, so dass das vP/vS-Verhältnis als ein guter Indikator zur Vorhersage von wasserführenden Störungen angesehen werden kann. strukturen deutlich reagieren: Die Kompressionswellen sprechen stärker auf Änderungen der Gesteinseigenschaften an (Struktur, Textur, Schieferung, Mineralbestand und Wasser) als die Scherungswellen, während die Scherungswellen ein empfindlicherer Indikator für die Identifikation von Klüften im Gestein sind. Die seismischen Aufzeichnungen wurden mit den geologischen Daten verglichen, die ein Baugeologe kontinuierlich mit dem Tunnelvortrieb kartiert und dokumentiert hat. Detaillierte geologische Kartierungen wurden zusätzlich an allen Orten durchgeführt, an denen die seismischen Messeinsätze stattgefunden haben, um eine bestmögliche Vergleichbarkeit der geologischen und seismischen Informationen zu erzielen. Entwicklung kompakter, nicht-explosiver seismischer Quellen Für ISIS wurden am GFZ Potsdam in den Jahren 2000/2001 neue, nicht-explosive seismische Quellen entwickelt. Konstruktion und Bau eines Demonstrationsmusters Typ SQ1; Konstruktion, Bau, Erprobung und praktischer Versuchseinsatz sowie schrittweise Verbesserung der Quellen SQ2 für das seismische Tunnelexperiment; SQ3 für Dauerprobung und Tunnelmessung sowie SQ-TBM für den Dauereinsatz beim Vortrieb mit Tunnelbohrmaschinen (Abb. 5.13). Darüberhinaus wurde die Enwicklung tragbarer vibroseismischer Quellen vorbereitet. Seismisch-geologisches Interpretationssystem Mit der unterirdischen seismischen Vorauserkundung beim Tunnelbau werden Störungszonen in Festgesteinen identifiziert und charakterisiert. Die Messungen im Faido-Tunnel haben gezeigt, dass die Kompressionsund Scherungswellen auf Veränderungen der Gestein- Abb. 5.14: Stereografische Projektion von Felsklüften (0: unverzweigt, 10: verzweigt). SW-NO einfallende verzweigte Klüfte stehen senkrecht auf den nicht verzweigten Klüften. Stereographic projection of rock joints (0: non-branching, 10: branching). SW-NE orientated branching joints are orthogonal to the non-branching joints. Abb. 5.13: Messeinsatz des pneumatischen seismischen Schlaghammers von ISIS (Foto: P. Otto, GFZ) Tunnelseismic application of the pneumatical impact hammer of ISIS Für die Analyse der seismisch-geologischen Eigenschaften wurde ein automatisches ClusterVerfahren entwickelt, das Diskontinuitäten im Fels (Klüfte, Schichtflächen usw.) und ihre spezifischen Parameter identifiziert (Abb. 5.14). Diese Methode ist genauer als bisherige Verfahren zur Abschätzung von Verteilungsdichten der Klüfte mit Hilfe stereografischer Darstellungen. Sie wird z.Z. in ein Expertensystem implementiert, das später beim Bau des GotthardBasistunnels eingesetzt werden soll. 341 Seismologisches Tiefenlabor in den KTBBohrungen Windischeschenbach Das Gemeinschaftsprojekt SeisTL des GFZ und der Universität Potsdam (Prof. Dr. F. Scherbaum) im KTB/ICDP-Schwerpunktprogramm der DFG wurde nach mehrjähriger Laufzeit im Mai 2000 erfolgreich abgeschlossen. Ein Hauptziel der Einrichtung des Seismologischen Tiefenlabors bestand darin, aus den Seismogrammen eines neu entwickelten Bohrlochseismometers BS 125 und deren Vergleich mit den Aufzeichnungen einer Oberflächenstation die Ausbreitungs- und Dämpfungseffekte in der oberen Erdkruste zu erforschen. (Abb. 5.15). Die scheinbare Dämpfung, ausgedrückt durch den sog. Q-Faktor, ergab für 17 Mikrobeben bei Arzberg im Frequenzbereich von 26 bis 41 Hz für die P-Welle einen mittleren Wert von QP = 36,8 (30,4 bis 46,8) und für die S-Welle von QS = 117,1 (81,6 bis 209,1). Das relativ hohe Verhältnis QP/QS deutet auf einen seismisch stark streuenden Untergrund am Standort Windischeschen- 342 bach hin (Abb. 5.16). Durch Verbesserung der Sondenelektronik konnte das Signal-Rausch-Verhältnis bei Frequenzen über 5 Hz um etwa 8 dB und bei 1 Hz um etwa 10 dB erhöht werden. Die Verringerung des Eigenstörpegels des Instrumentes erhöhte die Anzahl der identifizierbaren Erdbeben mit geringeren Magnituden in den seismologischen Aufzeichnungen deutlich. Die seismologischen Registrierungen in über 3800 m Tiefe der KTB-Vorbohrung erbrachten neben zahlreichen neuen Erkenntnissen zur Durchführbarkeit von Langzeitmessungen unter extremen Bedingungen (Temperaturen >100 °C, Drücke bis 400 bar) wertvolle Informationen über die Ausbreitungs- und Dämpfungsphänomene der seismischen Wellen in der Oberkruste. Die Messergebnisse liefern Grundlagen für die Entwicklung neuer Modelle zur Simulation der seismischen Wellenausbreitung im Grundgebirge. Die Fortschritte in der Messtechnikentwicklung und im Verständnis des seismischen Verhaltens der kristallinen Erdkruste sind sehr wertvoll für die Planung künftiger Experimente in der KTB. Abb. 5.15: Bohrloch-Seismometersonde BS-125 des GFZ Potsdam (Fotos: C. Trela, GFZ) Borehole Seismometer BS-125 of the GFZ Potsdam Abb. 5.16: Q-Faktoren als Maß für die scheinbare Dämpfung von Mikroerdbebenwellen an der KTB. Kleine Q-Werte bedeuten hohe Dämpfung und umgekehrt. Q-factors as indicators for the apparent damping of microearthquake waves at the KTB. Low Q-values indicate large damping and vice versa. Vertical Seismic Profiling VSP/MSP in der KTB-Hauptbohrung In diesem gemeinsamen Projekt im KTB/ICDPSchwerpunktprogramm der DFG zwischen dem Institut für Geophysik der Universität Kiel (Prof. Dr. W. Rabbel) und dem GFZ wird das bis zur Endteufe der KTBHauptbohrung vertiefte "Multiple-Source Vertical Seismic Profiling MSP/VSP" ausgewertet. Schlüsselfragen nach der Natur der seismischen Reflektoren, nach der Geschwindigkeitsverteilung in der Tiefe und nach dem Auftreten seismischer Anisotropie in der tiefen Erdkruste sollen hier untersucht werden. In den Jahren 1999/2000 wurden umfangreiche sprengseismische Messungen an und in der KTB-Hauptbohrung durchgeführt. Die Auswertung der Daten ergab eine signifikant anisotrope Geschwindigkeitsverteilung der Kompressionswellen. Im oberen Teil der Abbildung 5.17 ist die durchschnittliche P-Wellengeschwindigkeit in Abhängigkeit von Azimut und Inklination der einfallenden Wellen dargestellt. Die höchste Geschwindigkeit wurde auf einem mit 10° in das Bohrloch aus SO einfallenden Strahlenweg gemessen. Die Schnitte durch das Geschwindigkeits-Ellipsoid im unteren Teil der Abbildung zeigen, dass die Richtung der höchsten Geschwindigkeit nach NW-SO orientiert ist. Das durchschnittliche Anisotropieverhältnis in NO-SW-Richtung ist 5%, in NO-Z-Richtung 8,4% und in SOZ-Richtung 3,4% (Z ist die Vertikale). Abb. 5.17: (oben) Durchschnittliche PWellengeschwindigkeiten zwischen den MSP-Quellpunkten und den Geophonen in Abhängigkeit von Azimut und Inklination des Einfallswinkels. Nullpunkt ist die Lage des Bohrlochs. Die schnellste Horizontalkomponente ist nach NW-SO orientiert. (unten) P-Wellen-Geschwindigkeits-Ellipsoid in der KTB Hauptbohrung nach den zero-offset VSP-Messungen und den Ersteinsätzen der MSP-Messung unter Berücksichtigung der Oberflächenstatik und geologischer Einheiten (top) Average P-wave velocities between the MSP source points and the geophones as a function of azimuth and inclination. The zero direction is normal to the surface at the center of the plot (position of the main hole), 60° being the outer rim. The axis of fastest horizontal propagation is orientated SE-NW. (bottom) P-wave ellipsoid resulting from the inversion of velocities from zero-offset VSP and from the MSP first breaks, taking into account surface statics and geological structures Abb. 5.18: Teufenabhängiger Verlauf der prozentualen P-Wellenenergie, die bei der P/S-Konvertierung umgesetzt wurde, im Vergleich zu den S- und P-WellenintervallGeschwindigkeiten und der Lithologie P-wave energy as a function of depth according to P/S conversion. For comparison, S- and P- wave interval velocities are shown and the lithology as well. 343 In Abb. 5.18 kann man eine Tiefenzonierung der Energie für die konvertierten Wellen erkennen. Zwischen 3 und 5,8 km ist die konvertierte Energie hoch im Vergleich zu der des tieferen Untergrundes. In geklüfteten Gebirgsbereichen ist die Konvertierung besonders stark ausgeprägt. Bei der Scherwellenintervalgeschwindigkeit in ca. 3,7 km Tiefe fällt ein starker Ausschlag der Konvertierungsfunktion mit einer starken Geschwindigkeitsanomalie zusammen. Modellierungen mit FiniteDifferenzen-Verfahren sollen zeigen, ob Klüfte oder Veränderungen der Gesteinsstrukturen die Ursache für diese Wellenkonvertierung sind. wurden, konnte gezeigt werden, dass die Wärmeleitfähigkeit dieser Gesteine niedriger ist, als man auf Grund der Mineraldaten erwarten würde. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass die Wärmeleitfähigkeit der Peridotite mit zunehmender Temperatur - besonders oberhalb 400 °C - abnimmt und, dass das Wärmeleitvermögen auch bei hohen Temperaturen noch richtungsabhängig ist. Die Labormessungen deuten darauf hin, dass an der Kruste-Mantel-Grenze ein signifikanter Sprung in den Wärmeleitfähigkeiten von Gesteinen der Unterkruste (Granulite und Amphibolite) und Mantelgesteinen (Peridotite) auftritt (Abb. 5.19). Thermische Eigenschaften der Lithospäre Wärmefluss und radiogene Wärmequellen in Graniten: Die Untersuchung des thermischen Oberflächenwärmeflusses im Erzgebirge durch Überarbeitung vorhandener Daten (Temperatur-Logs), zusammen mit neuen Wärmeleitfähigkeitsmessungen im Labor, zeigte für dieses Gebiet eine heterogene Verteilung (Abb. 5.20): Bereiche hoher Wärmeflusswerte korrelieren mit der Verbreitung variszischer Granite, die im Vergleich zu den Durchschnittswerten typischer Granite eine höhere Wärmeproduktion aufweisen. Erst mit zunehmender Entfernung von den Graniten nimmt der Wärmefluss im metamorphen Grundgebirge Werte an, die für variszische Gebiete in Mitteleuropa normal sind. Es konnte gezeigt werden, dass eine Wärmebilanzierung von Krustenmodellen, die auf seismischen und gravimetrischen Daten beruhen, die gemessenen bzw. berechneten Oberflächenwärmefluss-Werte reproduzieren können, wenn die Mächtigkeit der mit radioaktiven Elementen angereicherten Kruste 15 km beträgt, der reduzierte Wärmefluss unterhalb dieses Krustensegments in der Größenordnung von 30 bis 40 mW/m2 liegt und der Mantelwärmefluss Werte zwischen 20 und 30 mW/m2 nicht übersteigt. Zur Bestimmung der thermischen Eigenschaften und Zustände der Lithosphäre müssen der stoffliche Aufbau und die Struktur der Erdkruste, die Verteilung und Ergiebigkeit der Wärmequellen und die Wärmeleitungseigenschaften der Gesteine sowie der Oberflächen- und Mantelwärmefluss ermittelt werden. Thermische Leitfähigkeit von Peridotiten: Durch Entwicklung einer neuen Messmethode und Apparatur am GFZ, mit der Peridotite aus der Ivrea-Zone (Italien) in einem Temperaturbereich bis zu 1000 °C untersucht 344 Abb. 5.19: Wärmeleitfähigkeit von Gesteinen der Erdkruste und des oberen Mantels in Abhängigkeit von Temperatur und Druck nach Labormessungen. Vergleich mit einer typischen Temperatur-TiefenVerteilung der Erdkruste. Temperature and pressure dependence of the thermal conductivity of crustal and upper mantle rocks according to laboratory measurements. A typical temperaturedepth distribution of the Earth's crust is shown for comparison. Abb. 5.20: Vereinfachte geologische Karte des Erzgebirges mit Wärmefluss-Werten [mW/m2] Generalized geologic map of the Erzgebirge with heat-flow values [mW/m2] Elektrische Leitfähigkeitsänderungen bei Entwässerungsreaktionen in Serpentiniten: Zur Bestimmung der petrophysikalischen Eigenschaften bei Mineralreaktionen unter simulierten thermo-mechanischen in-situBedingungen wurde eine Gasdruckanlage konzipiert und in der Hochdruckhalle des GFZ Potsdam aufgebaut. Die Verwendung von Gas als Druckmedium und das im Vergleich zu bisherigen Untersuchungen große Probenvolumen (bis zu 75 mm Länge und 30 mm Durchmesser) erlauben eine bessere Anpassung der Messbedingungen an die natürlichen Verhältnisse im Erdinnern als bei bisherigen Methoden der Petrophysik, in denen meist feste Druckmedien und wesentlich kleinere Probenabmessungen verwendet wurden. Die Messungen der elektrischen Leitfähigkeit von Serpentinit wurden an geschlossenen Systemen durchgeführt, bei denen die Proben in einer Metallhülse druckdicht verschlossen waren (Abb. 5.21). Serpentinit enthält einen großen Anteil an gittergebundenem Wasser (ca. 12,5 Gew.%), das bei der metamorphen Umwandlung von Serpentin zu Olivin und Enstatit unter hohen Temperaturen freigesetzt wird. Im Serpentinit beginnt die Entwässerung bei ca. 500 °C mit signifikanten Änderungen der physikalischen Eigenschaften. Abb. 5.21: Messung der elektrischen Leitfähigkeit einer Serpentinitprobe im Labor. Höhe der Probe ca. 25 mm. Die Probe steht im oberen, durch hohe Temperatur dunkel gefärbten Teil des Aufbaus. Electrical conductivity measurement of a serpentinite sample. Total height is 1”. The sample is located in the uppermost part of the dark-coloured tube. Abb. 5.22: Abhängigkeit des elektrischen Widerstands einer Serpentinitprobe (Kreta) von der Temperatur Electrical resistivity of a serpentinite sample (Crete) as a function of temperature Die elektrische Leitfähigkeit der Serpentinite wurde bei Drücken von 150 bis 700 MPa, bei Temperaturen bis 600 °C und bei Frequenzen von 100 Hz bis 10 kHz gemessen. An einem Serpentinit aus Kreta wurde eine Abnahme des elektrischen Widerstands um mehrere Größenordnungen beobachtet (Abb. 5.22). Da die Experimente bei geschlossenen Bedingungen abliefen, blieb der verringerte elektrische Widerstand auch nach der Abkühlung der Proben erhalten. Die Entwässerungssprozesse in den Serpentinmineralen könnten eine Ursache für die elektrisch hochleitfähigen Strukturen in der Unterkruste sein. ICDP/DFG Hawaii Scientific Drilling Projekt (HSDP): Gekoppelte thermo-hydraulische Felder in den vulkanischen Abfolgen auf Hawaii wurden durch geophysikalische Bohrlochmessungen und numerische Modellierung untersucht. Damit sollte geklärt werden, wie der aktive Hot-Spot-Vulkanismus und die von großen Höhenunterschieden und starken Niederschlägen verursachten meteorischen Wasserströmungen die hydrogeologische Situation von Hawaii bestimmen. Temperaturprofile in der ca. 3 km tiefen ICDP-HSDP-Bohrung zeigten Zonen unterschiedlicher hydraulischer Eigenschaften. Die petrophysikalischen Parameter der erbohrten Gesteine wurden im Labor bestimmt. Die Einbeziehung von Zonen unterschiedlicher Durchlässigkeit und Wärmeleitfähigkeit in die Modellrechnungen zeigte, dass die thermischen Anomalien im oberen Bohrabschnitt (bis 600 m) durch das Eindringen von Niederschlägen an der Flanke des Mauna Kea und durch topographiebedingte Wasserströme entstehen (Abb. 5.23a). Auch der darunterliegende Bohrlochabschnitt (600 bis 1800 m) wird noch von den Niederschlägen beeinflusst, jedoch wegen der vergleichsweise geringeren Permeabilität nicht mehr so stark. Erst ab ungefähr 1800 m nimmt die Temperatur mit der Tiefe generell zu. Selbst in diesem Bereich wurde noch eine Infiltration von Meerwasser in die vulkanischen Mauna Kea-Abfolgen beobachtet (Abb. 5.23b). 345 Abb. 5.23: (a) Tiefenverteilung der Temperatur bei einem gekoppelten thermohydraulischen Modell für Hawaii. Die Pfeile markieren die Fließwege von Frischwasser und Meerwasser. (b) Salzkonzentrationsverteilung im Wasser und Fließwege der Hauptströmungssysteme (Pfeile). Im oberen Teil des Modells sieht man das Zurückdrängen des Meerwassers durch abwärts fließendes Frischwasser. (a) Temperature-depth distribution of a coupled thermo-hydraulic model of Hawaii. Arrows indicate flow directions of fresh and salt water. (b) Distribution of salt concentration in water and the respective flow directions (arrows). In the upper part of the model, the deflashing of sea water by downflowing of fresh water can be seen 346 ICDP/DFG Long Valley Caldera DrillingProjekt: Die Bohrung Long Valley Exploratory Well (LVEW), die 1989 für die Nutzung geothermischer Energie im Zentrum der Long Valley Caldera in Kalifornien abgeteuft worden ist, wurde im Sommer 1998 mit Förderung durch das ICDP von 2 km auf 3 km vertieft. Drei Aspekte des hydrothermalen Systems sollten u.a. geklärt werden: (a) episodische hydrothermale Aktivität in der Vergangenheit, (b) Fluid-Einschlüsse in Kluftmineralen, (c) Temperatur- und Pegelschwankungen. Jedes dieser Phänomene wurde mit numerischen Simulationen untersucht, welche die Zwei-Phasen Systeme (H2OCO2) berücksichtigten, um die Effekte episodischer Wärmezufuhr durch seichte Intrusionen und die Auswirkungen von seismischer Aktivität und von Phasentrennungen auf das Temperatur- und Strömungsfeld in Long Valley zu erklären (Abb. 5.24). Geothermielabor in der Bohrung Groß Schönebeck: In der Bohrung Groß Schönebeck 3/90 des GFZ Potsdam (vgl. dazu den Bericht auf S. 25 dieses Bandes) werden Injektionstests zur Ermittlung petrophysikalischer Parameter in-situ durchgeführt. Die Kenntnis dieser Parameter ist für die Auslegung von massiven Stimulationsexperimenten notwendig. Außerdem kann man damit durch hydraulisches Aufbrechen die Richtung der größten horizontalen Gebirgsspannung bestimmen. Weitere Untersuchungsschwerpunkte sind z. B. Speicherschädigung und gezielte Stimulation einzelner Speicherschichten. Abb. 5.24: Dreidimensionales Modell des Temperaturfeldes der Long Valley Caldera, CA. Die Strömung konzentriert sich auf Störungen und Klüfte und erzeugt ein heterogenes Temperaturfeld, bei dem in 3 km Tiefe Temperaturunterschiede von über 200 °C vorkommen. Schwarzer Pfeil: Bohrung LVEW Three-dimensional numerical model for the temperature field of the Long Valley Caldera, CA. The fluid flow is localized in faults and fractures exhibiting a heterogeneous temperature field where, at depths of 3 km, temperature differences exceed 200 °C. Black arrow: LVEW location Untersuchung gashydratführender Sedimente Gashydrate sind eisähnliche, feste Verbindungen von Gas und Wasser, die bei niedrigen Temperaturen und hohen Drücken in Ozeanböden und in den Sedimenten von Permafrost-Gebieten vorkommen. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass die Menge des an Methanhydrat gebundenen Kohlenstoffs größer ist als die aller anderen fossilen Kohlenstoffträger zusammen. Eine zuverlässige Abschätzung der Größe von Gashydratlagerstätten erfordert neue Messtechniken zur Auffindung und Abgrenzung der Reservoire und zur Bestimmung der Gashydratführung. Von den geophysikalischen Methoden ist die Seismik gegenwärtig das einzige Verfahren, das erfolgreich zur Auffindung von Gashydratakkumulationen eingesetzt werden kann. Sie ist aber nur ein indirektes Nachweisverfahren, da die Reflexionen nicht von den Gashydraten selbst verursacht werden sondern an Gasakkumulationen gebunden sind, die sich unterhalb der sog. Gas-Hydrate Stability Zone bilden können. Die geophysikalische Abbildung von Lagerstättenkörpern basiert auf den Kontrasten in den petrophysikalischen Eigenschaften der Reservoirgesteine gegenüber dem umgebenden Material. Da es bisher noch keine systematischen Daten zu den physikalischen Eigenschaften der Gashydrat-führenden Gesteine gibt, wurden am GFZ Potsdam neue Apparaturen zur Herstellung und Untersuchung von Methanhydraten für den Temperaturbereich von -20 bis +80 °C und bei hydrostatischen Drücken bis 70 MPa entwickelt. Mit deren Hilfe sollen gesteinsphysikalische Standardgrößen wie z. B. elektrische Parameter und Ultraschallgeschwindigkeit für die petrophysikalische Interpretation der geophysikalischen Feld- und Bohrlochmessungen bestimmt werden. Hierfür werden an synthetisch hergestellten, hydrathaltigen Gesteinsproben Grundlagenuntersuchungen zum Einfluss der Sediment-Substrat-Eigenschaften (Porosität, Permeabilität, Poren- und Korngrößenverteilung, Grenzflächeneffekte) auf die Dynamik der Bildungs- und Zerfallsprozesse von Gashydraten durchgeführt (Abb. 5.25, 5.26). Abb. 5.26: Messzelle für die Untersuchung von elektrischem Widerstand und Schallgeschwindigkeit während der Bildung und Dissoziation von Gashydraten in Sedimenten Wasser (Foto: E. Spangenberg, GFZ) Pressure vessel for measuring electrical resistivities and sonic wave velocities during hydrate formation and decomposition in soil sediments 347 Abb. 5.27: Feldlaborsystem FLECAS zur Untersuchung von Gashydrat-Bohrkernen (Foto: E. Spangenberg, GFZ) Field Laboratory Experimental Core Analysis System (FLECAS) for the investigation of gashydrate-bearing cores Abb. 5.25: Pumpe für die Anreicherung von Methan in Wasser (Foto: E. Spangenberg, GFZ) Pump for charging of pore-water with methane In Feldversuchen sollen im Rahmen der internationalen Gashydrat-Forschungsbohrung Mallik 3L-38 im Mackenzie-Delta (Kanada, Dezember 2001 bis April 2002) Bohrkerne aus natürlichen Hydratvorkommen vor Ort unmittelbar nach ihrer Gewinnung auf ihre gesteinsphysikalischen Parameter hin untersucht werden (Abb. 5.27). Alterationseffekte in Folge von Dissoziation der Hydrate oder durch Einbau von Fremdgasen können damit weitgehend vermieden werden. Erdbebengefährdungsanalysen Für konstruktive Schutzmaßnahmen gegen Erdbeben benötigt man realistische physikalische Beschreibungen der seismischen Lastannahmen. Im Global Seismic Hazard Assessment Program GSHAP wurde für den Mittelmeerraum, dem seismisch aktivsten Teil Europas, auf Datengrundlagen zurückgegriffen, die im Rahmen nationaler Projekte erarbeitet worden sind. Eine Weiterentwicklung der Gefährdungseinschätzungen in Hinblick auf eine einheitliche Datenbank war Ziel des IGCP-Projektes 382 "Seismotectonics and Seismic Hazard in the Mediterranean Region SESAME", das gemeinsam von dem Institut für Geophysik der ETH Zürich, dem Institut für Erdwissenschaften Barcelona und dem GFZ Potsdam bearbeitet wurde. Abb. 5.28 zeigt die bisher verwendeten inhomogenen seismischen Quellregionen für den Mittelmeerraum als Ausgangsdatensatz für die GSHAP-Gefährdungskarten 1999. Deutlich sichtbar sind die unterschiedlichen seismotektonischen Konzepte und Nichtübereinstimmungen in den Abgrenzungen der Quellregionen bei den Überlappungsbereichen der regionalen und nationalen Karten. SESAME konzentrierte sich darauf, diese Quellregionenmodelle für den gesamten Mittelmeerraum zu vereinheitlichen. Hierzu wurden die Quellregionen in den Überlappungsbereichen unter Berücksichtigung von aktuellen neo- und seismotektonischen Modellvorstellungen modifiziert. Daraus entstand ein einheitliches Quellregionenmodell für den gesamten Mittelmeerraum, das auch die lokale Seismotektonik berücksichtigt. Mit diesem neuen Datensatz wurden Gefährdungsabschätzungen für verschiedene Gefährdungsniveaus, für verschiedene Untergrundtypen und diverse Erschütterungsparameter vorgenommen. Abb. 5.29 zeigt eine so erhaltene Karte der zu erwartenden Spitzenbeschleunigungen für Felsuntergrund mit einer Nichtüberschreitenswahrscheinlichkeit von 10 % in 50 Jahren. Die methodischen Arbeiten konzentrierten sich auf die Entwicklung neuer integrierter Ansätze zur Gefährdungsabschätzung unter Einbeziehung von Modellierungen krustaler Verschiebungs- und Spannungsfelder sowie auf die Einführung und Weiterentwicklung von Ansätzen, die die Fehler und Ungenauigkeiten bei den Eingangsgrößen in Form von Fraktilen berücksichtigen. Auf der Grundlage der sog. Entscheidungsbaumtechnik wurden Sensitivitätsstudien durchgeführt, um den Einfluss der wesentlichen Eingangsparameter auf die Gefährdungsabschätzungen in einem weiten Bereich von Gefährdungsniveaus bis zu jährlichen Eintreffenswahrscheinlichkeiten von kleiner als 10-4/a zu analysieren. Zu den Eingangsparametern gehören die Art der Katalogisierung, der Typ des Quellregionenmodells, die Dämpfung der Erschütterungsparameter als Funktion der Entfernung, die maximal zu erwartenden Magnituden in den Quellregionen, die Häufigkeitsverteilungen der Magnituden sowie die Herdtiefenverteilung der Quellregionen. Diese Untersuchungen ermöglichen eine Einschätzung der Fehler und des Beitrages der verschiedenen Eingangsgrößen am Gesamtfehler. Daraus ergibt sich, welche der Eingangsparameter verbessert werden müssen und welche besonders maßgebend sind. Zum Beispiel wurden für die Niederrheinische Bucht (Aachen) Sensitivitätsstudien vorgenommen. Abb. 5.30 zeigt unterschiedliche Ansätze von Quellregionenmodellen, die einen signifikanten Beitrag zur seismischen Gefährdung liefern. Die seismischen Gefährdungskurven (Mediane) mit ihren Standardabweichungen sind in Abb. 5.31 dargestellt. 348 Abb. 5.28: Früher verwendetes inhomogenes seismisches Quellregionenmodell für den Mittelmeerraum Model of inhomogeneous seismic source regions used formerly Abb. 5.29: Neuentwickeltes homogenes Quellregionenmodell für den Mittelmeerraum: Seismische Gefährdungskarte für Bodenbeschleunigungen auf Fels für eine Nichtüberschreitenswahrscheinlichkeit von 10% in 50 Jahren Newly derived homogeneous source region model: Seismic hazard map for ground accelerations in rock for a 10% probability of non-exceedence in 50 years 349 Abb. 5.30: Modelle seismischer Quellregionen in der Niederrheinischen Bucht. (a) nach Ahorner; (b) nach Grünthal u.a. (D-A-CH Modell); (c) nach Michel u.a. (GFZ Modell) Different source region models for the Lower Rhine area. (a) after Ahorner; (b) after Grünthal et al. (D-A-CH model); (c) after Michel et al. (GFZ model) Abb. 5.31: Erdbebengefährdungskurven (Median, Mittel und Fraktilen) für die Spitzen-Bodenbeschleunigung PGA im Gefährdungsniveau 10-1 bis 5 * 10-5 für den Standort Aachen Earthquake hazard curves (median, mean and fractiles) for the peak ground accdeleration (PGA) at hazard levels 10-1 to 5 * 10-5 for the test site Aachen 350 Deformationen und Bruchprozesse in der Erdkruste Paläoseismische Untersuchungen von Bergstürzen in NW-Argentinien Für die Einschätzung der Erdbebengefährdung wurden Modellrechnungen zur krustalen Spannungsentwicklung, zur Kalibrierung von Modellansätzen für die Bebenentstehung sowie zur Abschätzung der in einem Untersuchungsgebiet maximal möglichen Bebenmagnituden nach der Distinct-Element-Methode und der Finite-Element-Methode durchgeführt. Die Simulation mit verschiedenen Modellparametern zeigt, dass die Bruchprozesse bei Erdbeben und deren Zeitdauer stark vom Spannungszustand auf der Herdfläche abhängen. Es wurden verschiedene Bruchserien berechnet, um den Zusammenhang von Herdflächengröße und Maximalmagnitude zu untersuchen. Darin hat die angenommene viskose Dämpfung einen großen Einfluss auf die erzeugte Bebenverteilung: Eine niedrige Dämpfung führt zu häufigeren Starkbeben und größeren Maximalmagnituden als eine stärkere Dämpfung. Für das TürkeiErdbeben 1999 wurden Modellrechnungen zu den Bruchprozessen mit unterschiedlichen Spannungsbedingungen durchgeführt. In den ariden Tälern und Becken NW-Argentiniens weisen zeitlich-räumliche Cluster von Bergsturzablagerungen auf paläoseismische Auslösung hin. Zwei unterschiedliche Ansätze wurden verfolgt, um die seismische Ursache dieser Massenbewegungen zu belegen: Abb. 5.32: N-S- und Vertikalverschiebung der Modelloberfläche für den Pamir Hindu-Kush nach 2 bzw. 5 Mio. Jahren N-S- and vertical displacement of the model surface for the Pamir Hindu-Kush after 2 and 5 million years, respectively Außerdem wurden Gebirgsbildungsprozesse mit FiniteElement-Berechnungen modelliert. Zur Berechnung der gekoppelten elastischen, plastischen und nicht-linearen rheologischen Prozesse wurde eine neue Elementroutine entwickelt. Damit wurden Modelle zur Verformung der Lithosphäre in der Pamir Hindu-Kush Region untersucht, wo das GFZ geodätische und seismologische Arbeiten durchführt. Es konnte gezeigt werden, dass die aus Bebenverteilungen hergeleitete Hypothese einer vertikalen Rotation der Subduktionszone mit den gemessenen Deformationen übereinstimmt. Sie erklärt die Ostdrift großer Lithospärenteile im zentralasiatischen Raum und die beobachteten Oberflächenverschiebungen im Pamir Hindu-Kush (Abb. 5.32). (a) Tephrochronologische Untersuchungen im Tal Quebrada del Toro: Hier fanden drei Bergstürze und ein Felssturz auf einer Fläche von 32 km2 gleichzeitig statt. Die stratigraphische Beziehung der Tephra zu den Bergstürzen und die Sedimentstrukturen innerhalb der Tephra-Ablagerungen deuten auf eine gemeinsame Auslöseursache hin. Die Oberflächendatierung der Abbruchkante eines dieser Bergstürze ergab ein Alter von ca. 5700 Jahren. (b) Am Abfluss der Calchaquí-Täler haben zwei Serien von Bergstürzen das Las-Conchas-Tal abgedämmt und einen See aufgestaut. Injektionsgänge von Seesediment in die Ablagerung der zweiten jüngeren Serie von Bergsturzablagerungen, die sowohl die ältere Bergsturzablagerung als auch die Seesedimente auf der Südseite von Cerro Zorrito überlagern, belegen, dass die Seesedimente zur Zeit des zweiten Bergsturzes unter Wasser standen. Das zweite Ereignis erhöhte den natürlichen Damm und damit die Ausdehnung des Sees auf ca. 600 km2. In den abgelagerten und nach teilweiser Erosion des Bergsturzdammes erodierten Seesedimenten treten zwei Horizonte seismisch deformierter Lockersedimente mit großer lateraler Ausdehnung auf. Diese sog. Seismite und die störungsversetzten Seesedimentlagen wurden mit Lumineszenzmessungen datiert. Die Altersbestimmung für die Abrisskanten der jüngeren Serie von Bergstürzen und deren Ablagerungen wurde anhand kosmogener Nuklide durchgeführt. Vergleicht man das gesamte Volumen der Bergstürze am Abfluss der Calchaquí-Täler und in der Quebrada del Tonco mit empirischen Daten, die das Volumen seismisch induzierter Massenbewegungen mit den Magnituden der auslösenden Erdbeben in Verbindung bringen, erhält man für die Paläoerdbeben Magnituden > 7. Da für dieses Gebiet keine Aufzeichnungen historischer Starkbeben existieren und hier in den vergangenen 40 Jahren keine Erdbeben mit Magnituden größer als 4 aufgetreten sind, können die paläoseismischen Untersuchungen zur Einschätzung der Erdbebengefährdung maßgeblich beitragen. Gefährdung und Risiko durch Hochwasser Beim Hochwasserschutz beschränkt man sich in Deutschland normalerweise auf Ereignisse mit Wiederkehrintervallen bis zu 100 Jahren. Zur Abschätzung und Beherrschung des Restrisikos müssen aber auch seltenere Ereignisse berücksichtigt und die Versagenswahrscheinlichkeiten von Hochwasserschutzsystemen (z.B. Deichen) durch Anwendung probabilistischer Methoden bestimmt werden. Der nächste Schritt ist dann die Umsetzung von Gefährdungs- in Risikoaussagen. Neben den wissenschaftlich-methodischen Arbeiten wurden Leitungs- und Koordinationsaufgaben für das Deutsche Forschungsnetz Naturkatastrophen DFNK wahrgenommen. Im DFNK haben sich 15 Einrichtungen aus Deutschland und Österreich mit dem Ziel vernetzt, wissenschaftliche Grundlagen für ein Risikomanagement von Naturkatastrophen zu entwickeln (vgl. dazu den Bericht auf S. 135 dieses Bandes). Das DFNK-Thema "Risikoanalyse Hochwasser" wird durch eine Wirkungskette mit folgenden Elementen bearbeitet: Starkniederschlag/Schneeschmelze, Abflussbildung und Abflusskonzentration in den Teileinzugsgebieten, Wellenablauf im Gewässersystem, Verhalten von Schutzeinrichtungen, Überflutungen, Verluste und Schäden. Jedes Element dieser Wirkungskette wurde beispielhaft für das Einzugsgebiet des Rheins mit Hilfe deterministischer, komplexer Modelle untersucht. Um die Ergebnisse der Modellstudien über die gesamte Wirkungskette zu einer Risikoaussage zusammenzuführen und dabei auch die Unsicherheiten abzuschätzen, wurde ein probabilistisches Modellkonzept entwickelt. Darin wird jedes Element der Wirkungskette durch einen funktionalen Zusammenhang abgebildet, mit dem das Risiko über Monte-Carlo-Simulationen abgeschätzt und Unsicherheitsanalysen durchgeführt werden können. Abb. 5.33a zeigt z.B. eine Gefährdungskurve für die Stadt Köln mit Angaben zur Unsicherheit nach extremwertstatistischen Auswertungen. Man sieht deutlich, wie die Unsicherheit mit größeren Abflüssen zunimmt. Diese Gefährdungsaussagen werden durch Modelle, die das Verhalten von Schutzsystemen und die Hochwasserschäden bei Überflutungen berücksichtigen, in Risikoaussagen überführt. Abb. 5.33b zeigt eine vorläufige Hochwasserrisikokarte für die Stadt Köln. Solche Kurven geben die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein bestimmter Hochwasserschaden pro Jahr erreicht oder überschritten wird. Sie dienen als Entscheidungshilfe für die Katastrophenvorsorge und verdeutlichen, wie Hochwasserschutzmaßnahmen das Risiko reduzieren. Im DFNK sollen die Hochwasser-Risikokurven mit entsprechenden Kurven für das Sturm- und Erdbebenrisiko verglichen werden, die für die Stadt Köln von anderen Gruppen des DFNK berechnet werden. Erst damit ist eine quantitative Bewertung der verschiedenen Naturgefahren möglich. Abb. 5.33: Gefährdungs- und Risikokurven mit Unsicherheitsangaben für ein Hochwasser in Köln; (a) Gefährdungskurve nach extremwertstatistischen Auswertungen der jährlichen Maximalabflüsse am Pegel Köln, (b) vorläufige Risikokurve mit und ohne Hochwasserschutz Hazard and risk curves with uncertainty for the flood risk of the city of Cologne; (a) hazard curve based on a frequency analysis of annual maximum discharge at gage Cologne; (b) tentative risk curve with and without flood defense 351 Grundlagen von Risikokurven sind statistische Analysen und Szenario-Simulationen. Abb. 5.34a zeigt beispielsweise die Überflutungsflächen einer Kleinstadt am Neckar für ein 100-jährliches Hochwasserereignis. Bei solchen Szenarien werden die monetären Schäden erfasst, die für die überfluteten Flächen zu erwarten sind. Die Überlagerung mehrerer Szenarien mit den jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten liefert Aussa- gen zum monetären Hochwasserrisiko. Abb. 5.34b zeigt einen Ausschnitt aus einer Risikokarte, die sich aus Überflutungsflächen, Schadensabschätzung und Flächennutzungsplanung ergibt. Die Karte macht deutlich, in welchen Flächen bzw. Nutzungsbereichen sich das Hochwasserrisiko konzentriert. Sie ist ein wertvolles Werkzeug für ein effektives Hochwassermanagement. 352 Abb. 5.34: Überflutungs- und Risikokarte einer Kleinstadt im Einzugsgebiet des Neckars; (a) Überflutungsflächen für ein 100-jährliches Hochwasser; (b) Karte des Hochwasserrisikos Inundation and flood risk map of a town in the Neckar catchment; (a) inundated areas for a 100-years flood; (b) flood risk map