DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 111 Die Rolle der natürlichen und „unnatürlichen" Killerzellen in der Immunabwehr Dieter Kabelitz NK-Zellen und zytotoxische T-Lymphozyten Natürliche Killerzellen („natural killers", NK-Zellen) wurden in den siebziger Jahren erstmals beschrieben. Wie der Name andeutet, zeichnen sich NK-Zellen dadurch aus, daß sie „spontan", das heißt ohne vorherige Sensibilisierung, bestimmte Zielzellen zerstören können. Da NK-Zellen in vitro vor allem Tumorzellen (aber auch zum Beispiel virusinfizierte Zellen) abtöten, wurde ihnen eine wesentliche Rolle in der „immune surveillance" gegenüber maligne entarteten Zellen zugeschrieben.*) Phänotypisch ist die Population der NK-Zellen sehr heterogen. Mit Hilfe von monoklonalen Antikörpern (zum Beispiel Leu 11, Leu 19), läßt sich die Mehrzahl der NK-Zellen erfassen; unter Verwendung von zusätzlichen „Markern" und Zwei-Farben-Zytofluorometrie kann man jedoch unterschiedliche Subpopulationen definieren. In den letzten Jahren wurde es möglich, unter Verwendung von Interleukin 2 (I1-2) NK-Zellen in der Gewebekultur zu klonieren. Die Heterogenität der NK-Zellen mit Hinblick auf ihre phänotypische Charakterisierung bestätigte sich dabei auch auf der Einzelzell-Ebene. Als „kleinster gemeinsamer Nenner" bleibt die Fähigkeit, ein breites Spektrum von Zielzellen unabhängig von der Erkennung von HLA-Antigenen zu lysieren. Darüber hinaus sind „typische" NK-Zellen dadurch gekennzeichnet, daß sie kein CD3-Antigen (CD = „cluster of differentiation", Nomenklatur entsprechend dem Internationalen Leukozyten Workshop) auf der Oberfläche tragen und somit nicht mit monoklonalen Pan-T-ZellAntikörpern wie zum Beispiel OKT 3 oder Leu 4 anfärbbar sind. Von NK-Zellen lassen sich heute zwei Arten von zytotoxischen T-Lymphozyten (ZTL) klar abgrenzen. Beide exprimieren das CD3-Antigen. Die große Mehrzahl aller „reifen" ZTL verfügt 1 *) siehe auch Gross, R.: Natürliche Abwehrzellen — Naturalkiller cells (NK), Dt. Ärztebl. 80, 50 (1983) A-704 (32) Dt. Ärztebl. 86, Heft 11, 16. März 1989 außerdem über ein T-Zellrezeptor-Molekül, das aus zwei Ketten (a- und ß-Ketten) besteht. über das T-Zellrezeptor-Molekül erkennen T-Lymphozyten ihr Antigen. Ähnlich wie die Immunglobuline besteht der T-Zellrezeptor aus konstanten und variablen Bereichen. Während der intrathymischen T-Zell-Differenzierung erfolgt in den einzelnen T-Zellen eine Umlagerung („Rearrangement") von Keimbahn-Gensegmenten, die für variable oder konstante Bereiche des T-Zellrezeptor-Moleküls kodieren. Der Mechanismus des Gen-Rearrangements führt bei den T-Zellen dazu, daß aus einer begrenzten Anzahl verschiedener Gensegmente in der Keimbahn eine nahezu unbegrenzte Anzahl unterschiedlicher T-Zellrezeptor-Moleküle gebildet werden kann — die Grundlage für das erstaunlich hohe Maß klonaler Spezifität der T-Lymphozyten: Zytotoxische T-Zellen können den Austausch einer einzelnen Aminosäure in einem zellgebundenen Antigen (zum Beispiel HLA-Antigen) erkennen! „Klassische" ZTL sind in der Regel außer durch CD3 und a/ß-T-Zellrezeptor auch durch das CD8-Molekül gekennzeichnet, das zum Beispiel durch OKT-8- oder Leu-2 a-Antikörper erkannt wird. Man weiß heute, daß CD8- (wie auch CD4- und andere) T-Zell-Oberflächenantigene nicht nur dazu da sind, um „T4/T8-Quotienten" zu bestimmen; vielmehr haben solche Antigene in der Regel auch wichtige Funktionen. So „verstärkt" zum Beispiel das CD8-Antigen die Fremdantigen-Erkennung durch CD8-positive ZTL, während das CD3-Antigen in der Signalübertragung und Zellaktivierung eine zentrale Rolle spielt. Neben den CD3-positiven, a/ß-T-Zellrezeptor-positiven „klassischen" ZTL wurde in jüngster Zeit eine weitere Gruppe von ZTL beschrieben. Es handelt sich hierbei ebenfalls um CD3positive T-Zellen, die jedoch anstelle des a/13-TZellrezeptors ein y/ö-T-Zellrezeptormolekül besitzen. Da es nur relativ wenige Gensegmente gibt, die für y/ö-T-Zellrezeptor-Regionen kodieren, ist die Anzahl potentiell unterschiedlicher y/ö-T-Zellrezeptormoleküle wesentlich geringer als bei den a/ß-Rezeptoren. Man kann deshalb davon ausgehen, daß die Population der y/8-positiven ZTL — im Unterschied zu den a/[3-positiven ZTL — nur eine beschränkte Zahl unterschiedlicher Antigene erkennen kann. Über die biologische Funktion dieser „neuen" ZTL-Population ist bisher nur wenig bekannt. y/ö-positive T-Zellen stellen in einer frühen Phase der embryonalen intrathymischen TZell-Entwicklung die vorherrschende Zellpopulation dar; möglicherweise spielen sie beim „Erlernen" der Selbst-/Nichtselbst-Diskriminierung (Toleranz) im Thymus eine wichtige Rolle. Im peripheren Blut des Erwachsenen finden sich y/ö-positive T-Zellen dagegen nur in geringer Zahl (ein bis fünf Prozent aller T-Zellen). Interessanterweise fand man jedoch, daß dieser Zelltyp innerhalb der intraepithelialen T-Zellen der Dünndarmschleimhaut von Mäusen vorherrscht. Obwohl es bisher keine entsprechenden Untersuchungen am Menschen gibt, deuten diese Befunde doch darauf hin, daß y/ö-positive ZTL eine Rolle in der lokalen Immunabwehr spielen. Dafür spricht unter anderem, daß dieser Zelltyp auch in der Epidermis angereichert ist. Über eine — mögliche — Beteiligung von y/ö-positiven ZTL im Rahmen von (Auto-)Immunerkrankungen kann man zur Zeit nur spekulieren. Erst in jüngster Zeit wurden spezifische monoklonale Antikörper gegen den y/ö-T-Zellrezeptor entwickelt, mit deren Hilfe man y/ö-positive T-Zellen etwa in der Immunfluoreszenz identifizieren kann. Die Verfügbarkeit solcher Antikörper wird es gestatten, in naher Zukunft Informationen über quantitative Verschiebungen von y/8positiven T-Zellen unter pathologischen Bedingungen zu erhalten. Lymphokin-aktivierte Killerzellen (LAK) Die Gruppe um S. Rosenberg (USA) beschrieb erstmals 1982, daß periphere Blutleukozyten nach dreitägiger In-vitro-Stimulation mit hohen Konzentrationen von Interleukin 2 (I1-2) zu Killerzellen ausdifferenzieren, die — zumindest in der Gewebekultur — vor allem Tumorzellen zerstören können. Aufgrund dieser Eigenschaft wurde große Hoffnung auf die Wirksamkeit dieser lymphokinaktivierten Killerzellen („LAK") in der Tumortherapie gesetzt. Obwohl sich der ursprüngliche Optimismus hier etwas gelegt hat, wurde das LAK-Konzept weiter entwickelt. Die ersten klinischen Erfahrungen sprechen dafür, daß infiltrierende Lymphozyten, die aus Tumorgewebe isoliert und nach dem LAKProtokoll mit 11-2 aktiviert werden, wesentlich effektiver sind: Der Einsatz von „TIL" (Tumorinfiltrierende Lymphozyten) wird sich in der Immuntherapie von (soliden) Tumoren weiter verstärken. Abgrenzung von LAK und TIL gegenüber NK und ZTL Während NK-Zellen. und ZTL durch Oberflächen-Marker klar abgrenzbar sind, trifft dies für LAK (und TIL) nicht zu: LAK-Zellen können nach Stimulation mit hohen Dosen von 11-2 sowohl aus OKT-3-negativen als auch aus OKT3-positiven Zellen entstehen. Die unphysiologisch hohen IL-2-Konzentrationen, die für die LAK-Stimulation verwendet werden, aktivieren beziehungsweise verstärken die zytotoxische Funktion sowohl in CD3-negativen (NK-) als auch in CD3-positiven (ZTL-)Zellen. Während a/ß-positive ZTL auf klonaler Ebene jedoch über ein hohes Maß an Antigen-Spezifität verfügen, sind y/ö-positive ZTL gegenüber Lymphokinen wie Interleukin 2 wesentlich sensitiver: Zumindest in der Gewebekultur läßt sich die scheinbare „Spezifität" beziehungsweise „Unspezifität" von y/ö-positiven ZTL durch die Konzentration von 11-2 steuern. Schlußfolgerungen Drei Arten von sogenannten Killerzellen lassen sich definieren: CD3-negative NK-Zellen, CD3-positive a/ß-T-Zellrezeptor-positive ZTL und CD3-positive y/ö-T-Zellrezeptor-positive ZTL. Während NK-Zellen möglicherweise in der „immune surveillance" eine Rolle spielen, sind a/ß-positive „klassische" ZTL aufgrund ihrer hohen Antigen-Spezifität für die Abwehr gegenüber zum Beispiel (viralen) Infektionen und Fremdgewebe (Transplantate) zuständig. Die biologische Funktion von y/8-positiven ZTL ist zur Zeit noch weitgehend unbekannt. Die „ortsständige" Anreicherung von y/ö-positiven ZTL in Haut und Schleimhaut läßt vermuten, daß diese Zellen wichtig für die lokale Immunabwehr sind. Anschrift des Verfassers: Professor Dr. med. Dieter Kabelitz Institut für Immunologie der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 305 6900 Heidelberg Dt. Ärztebl. 86, Heft 11, 16. März 1989 (33) A-705