Bericht

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2005
INSTITUT FÜR KLINISCHE UND MOLEKULARE
VIROLOGIE DER UNIVERSITÄT ERLANGEN-NÜRNBERG
IMMUNOLOGIE · BRENNPUNKT AFRIKA · KONGRESSE
FORSCHUNG
Neues zur Immunologie der HIV-Infektion
Seit mehr als 20 Jahren sind HIV-1 und
HIV-2 als Erreger der erworbenen Immunschwäche AIDS bekannt. Trotz aller therapeutischen Fortschritte der letzten Jahre ist eine
Eradikation des Virus jedoch weiterhin nicht
möglich. Eine prophylaktische Vakzine steht
bislang ebenfalls nicht zur Verfügung, ist jedoch bei aktuell mehr als 36 Millionen HIV-infizierter Menschen weltweit als eine der zentralen Herausforderungen an die medizinische
Forschung anzusehen.
Der individuelle Verlauf der Erkrankung ist
neben viralen Faktoren durch Wirtsdeterminanten bestimmt. Die Bedeutung dieser Wirtsfaktoren kann daran ermessen werden, dass
Individuen trotz gleicher Infektionsquelle sehr
unterschiedliche Krankheitsverläufe aufweisen können. Die Identifizierung und Charakterisierung dieser Wirtsfaktoren, insbesondere
von schützenden (protektiven) immunologischen und genetischen Faktoren, ist für das
Verständnis der Pathogenese der HIV-Erkrankung wesentlich und mit der Hoffnung verbunden, neue therapeutische und prophylaktische Strategien entwickeln zu können. Einige
dieser wirtsspezifischen Faktoren sollen in diesem Beitrag beleuchtet werden. Dazu gehören
das individuelle genetische »Outfit«, darunter
insbesondere Polymorphismen im Bereich der
HLA-Antigene sowie der Chemokine und Zytokine bzw. ihrer Rezeptoren. Neben einer unspezifischen Immunantwort gegen HIV, die
insbesondere durch natürliche Killerzellen (NKZellen) vermittelt wird, ist auch die Ausbildung
einer spezifischen Immunantwort gegen HIV,
die wiederum durch genetische Faktoren determiniert sein kann, wesentlich. In den letzten Jahren ist es außerdem gelungen, verschiedene zelluläre Proteine zu charakterisieren, die
für den viralen Replikationszyklus von Bedeutung sind und somit ebenfalls potentielle therapeutische Targets repräsentieren.
Schützende Wirtsfaktoren zu Beginn des
Vermehrungszklus von HIV
Anheftung des Virus an die Zelle
CD4 wurde bereits 1984 als primärer und für
den Viruseintritt notwendiger Rezeptor von
HIV-1, HIV-2 und SIV identifiziert. CD4 befin-
det sich auf der Oberfläche von ca. 60 % aller
T-Lymphozyten, von T-Zellvorläuferzellen in
Knochenmark und Thymus, auf Monozyten
und Makrophagen, Eosinophilen, dendritischen Zellen und Mikrogliazellen des ZNS. Die
Identifikation der Bindungsstelle von HIV-1
gp120 an CD4 der T-Helferzelle führte initial
zu Therapieversuchen mit löslichem (»soluble«)
sCD4. Allerdings musste schon bald realisiert
werden, dass eine Hemmung primärer Virusisolate nicht gelang. Nach Bindung an CD4
konnten vielmehr konformationelle Veränderungen im Hüllprotein beobachtet werden, die
dann sogar den Viruseintritt von HIV begünstigten. In den letzten Jahren hat die Idee, CD4
als primären Rezeptor von HIV zu blockieren,
wieder an Attraktivität gewonnen. PRO542 ist
ein tetravalentes CD4-IgG2 Fusionsprotein,
welches nicht nur in in vitro, sondern auch in
ersten klinischen Studien zu einer signifikanten Hemmung der Virusreplikation geführt
hat. Dabei zeigte sich ein besonders eindrucksvoller Effekt bei Patienten mit hoher Viruslast
(Olson et al., CROI 2003).
Experimente, bei denen nicht-humane Zelllinien mit humanem CD4 transfiziert wurden,
zeigten jedoch, dass die Expression von humanem CD4 auf der Zelloberfläche für einen erfolgreichen Viruseintritt allein nicht ausreicht.
Deshalb wurde früh die Existenz von Korezeptoren für den Eintritt von HIV in seine Zielzelle vermutet. Andererseits gibt es Labor-Isolate von HIV-1 und HIV-2, die auch unabhängig
von CD4 Zellen infizieren können.
Chemokinrezeptoren als Korezeptoren
von HIV
Die Entdeckung, dass Chemokinrezeptoren als
Korezeptoren für den Eintritt von HIV in die
Zelle fungieren, resultierte ursprünglich aus
den Bemühungen, einen löslichen CD8-Suppressorfaktor zu charakterisieren. CD8+-T-Zellen HIV-infizierter Patienten können einerseits
als zytotoxische T-Zellen (CTL) virusinfizierte
Zellen erkennen und eliminieren, andererseits
lösliche Faktoren sezernieren, die die Replikation von HIV hemmen (Levy et al., Immunology Today 1996). Cocchi beobachtete 1995,
dass die Chemokine MIP-1α, MIP-1ß und Ran-
Für den Inhalt der Artikel sind die Autoren allein verantwortlich.
Ziel dieses Bulletins ist es, Ärzte, Gesundheitsbehörden und Patienten über aktuelle
Entwicklungen in der Retrovirus-Forschung
zu informieren. Viermal im Jahr wird in
kurzer Form der aktuelle Forschungsstand
zu verschiedenen Themen wiedergegeben.
Für Verbesserungsvorschläge und Anregungen sind wir sehr dankbar.
Die Redaktion
IMMUNOLOGIE · BRENNPUNKT
AFRIKA · KONGRESSE
Inhalt:
FORSCHUNG
• Neues zur Immunologie der HIVInfektion
(PD Dr. med. Andrea Rubbert, Köln)
DIAGNOSTIK UND THERAPIE
• AIDS in Malawi – Bericht einer Projekt-Planungsreise
(Prof. Dr. med. Bernhard Fleckenstein;
Dr. med. Hauke Walter, Erlangen)
KONGRESSBERICHTE
• 12. »Conference on Retroviruses
and Opportunistic Infections« in
Boston vom 22. bis 25. Februar 2005
(Dr. rer. nat. Dr. med. Heide Reil,
Erlangen)
• Highlights vom 3. »HIV Drug Resistance Workshop« in Athen
(Monika Tschochner, Dipl. Biol.,
Erlangen)
Transmissionsrate, sondern auch eine verlangsamte Progression zum Vollbild AIDS, ein besseres Ansprechen auf HAART sowie eine verminderte Lymphom-Inzidenz. Neben dieser
Deletion des CCR5 wurden zwischenzeitlich
auch andere Polymorphismen von CCR5, seines Promoters sowie Mutationen anderer Chemokine bzw. Chemokinrezeptoren beschrieben. Auch diese Polymorphismen können,
basierend auf großen Kohortenanalysen, den
Verlauf der HIV-Infektion beschleunigen oder
verlangsamen.
Abb. 1: Hemmung des Viruseintritts CCR5-gebrauchender (monozytotroper) und CXCR4-gebrauchender
(T-zelltroper) HIV-Isolate durch die natürlichen Liganden der Chemokin-Korezeptoren CCR5 und CXCR4
tes die Replikation bestimmter, jedoch nicht
aller Virusisolate hemmen und von CD8+ TZellen sezerniert werden (Cocchi et al, Science
1995). Wenige Monate später wurde CCR5 als
notwendiger Korezeptor monozytotroper (Mtroper) HIV-Isolate und der Chemokinrezeptor
CXCR4 (Fusin) als Korezeptor T-zelltroper (Ttroper) HIV-Isolate identifiziert. Folgendes
Modell gilt heute als weithin akzeptiert: T-trope HIV-Isolate, die vorwiegend aktivierte
PBMC und Zelllinien infizieren, benutzen
CXCR4 für den Eintritt in die CD4-positive
Zielzelle. M-trope Isolate, welche sowohl
PBMC wie auch Monozyten und Makrophagen
produktiv infizieren können, benötigen CCR5
zusätzlich zu CD4 (Abb. 1). Die Bindung des
Hüllproteins gp120 an CD4 induziert konformationelle Änderungen in gp120, die dann eine Interaktion der V3-Schleife von gp120 mit
dem jeweiligen Chemokinrezeptor ermöglicht,
welche ihrerseits Voraussetzung für die nachfolgende Membranfusion ist. In Analogie mit
dem Oberflächenprotein Hämagglutinin des
Influenzavirus wird postuliert, dass gp41, der
transmembrane Anteil des Virushüllproteins
gp160, nach Bindung von gp160 an CD4 eine
Konformationsänderung erfährt, die mit einer
»Schnappfeder« verglichen werden kann. Dabei kommt es zu einem »Einhaken« des N-terminalen Endes von gp41 in die Membran der
Zielzelle, was Voraussetzung für die Fusion von
Zell- und Virusmembran ist.
Die Bedeutung von CCR5 als dominantem
Korezeptor für M-trope HIV-Isolate wird auch
dadurch deutlich, dass Individuen mit einer
Deletion von 32 Basenpaaren im CCR5 Gen gegenüber HIV weitgehend resistent sind. In vitro zeigen sich Lymphozyten dieser Individuen resistent gegenüber einer Infektion mit
M-tropen, nicht aber T-tropen Viren.
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Die Frequenz von homozygoten Genträgern
dieser Deletion in einer kaukasischen Population beträgt ca. 1 %, die der heterozygoten
Genträger ca. 20 % (Dean et al., Science 1996).
Heterozygote Merkmalsträger zeigen in vitro
eine verminderte Expression von CCR5 auf der
Zelloberfläche und finden sich gehäuft unter
HIV-infizierten Langzeitüberlebenden. Interessanterweise liegt die Expression von CCR5
bei heterozygoten Merkmalsträgern nicht wie
erwartet bei 50 %, sondern lediglich bei 25 bis
30 %. Klinisch zeigen für CCR5 heterozygote
Merkmalsträger nicht nur eine verminderte
Freisetzung der viralen RNA in die Zelle
und TRIM5 α
Nach der Membranfusion entleert sich der
Viruskern in das Zytoplasma (»uncoating«).
Neuere Untersuchungen zum »uncoating« zeigen, dass HIV in Affen-Lymphozyten eindringen kann, aber vor bzw. während der frühen
reversen Transkription gestoppt wird. Diese intrazelluläre Resistenz wird durch TRIM5αrh
vermittelt, wobei die Replikation von HIV
durch Rhesus-TRIM5α stärker gehemmt wird
als durch humanes TRIM5α (Stremlau et al.,
Nature 2004). Humanes und auch TRIM5α
nichthumaner Primaten können die Replikation auch anderer Lentiviren hemmen und
scheinen somit ein zellulärer antiviraler Resistenzfaktor zu sein, dessen vollständige Bedeutung aktuell noch gar nicht erfasst werden
kann. Unklar ist weiterhin der genaue Wirkungsmechanismus, wie TRIM5α mit der frühen reversen Transkription von Retroviren interagiert. Es wird postuliert, dass TRIM5α mit
dem »Uncoating«, also der Freisetzung viraler
RNA ins Zytoplasma der Targetzelle interferiert.
Abb. 2a: Replikation von Wildtyp-HIV. In Anwesenheit von vif wird APOBEC3G neutralisiert, und es
kommt zur ungestörten fortgesetzten Replikation von HIV in der Zielzelle.
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Reverse Transkription und APOBEC3G
Ein weiteres zelluläres Protein, welches die Replikation von HIV beeinflusst, ist APOBEC3G
(Sheehy et al., Nature 2002). APOBEC3G
(»apolipoprotein B mRNA editing enzyme
catalytic polypeptide-like 3G«) gehört zu einer
Familie von intrazellulären Enzymen, die spezifisch Cytosin zu Uracil in mRNA oder DNA
deaminieren. Dadurch entstehen vermehrt Gzu-A-Mutationen, deren Akkumulation zu einer Degradation der viralen DNA führt. In Anwesenheit von APOBEC3G kommt es daher
zu einem Stop auf Ebene der reversen Transkription. Vif, ein akzessorisches Gen von HIV,
kodiert für ein Protein, welches einen Komplex
mit APOBEC3G bildet und dadurch die inhibitorische Aktivität von APOBEC3G blockiert
(Abb. 2a). In Abwesenheit von vif wird APOBEC3G in neu produzierte Virionen inkorporiert, so dass bei nachfolgender Infektion anderer Zielzellen in diesen die Synthese
proviraler DNA blockiert wird (Abb. 2b).
Interessanterweise ist die antivirale Aktivität von APOBEC3G zwischen verschiedenen
Spezies hochkonserviert, die Blockade von
APOBEC3G durch vif dagegen hochspezifisch
für HIV. So werden APOBEC3G der Maus oder
des Affen durch vif von HIV-1 nicht blockiert
Unklar ist noch, wie die intrazelluläre Menge
an APOBEC3G reguliert wird, ob es eine kritische Menge an APOBEC3G intrazellulär gibt,
die die Zellen trotz vif resistent gegenüber einer HIV-Infektion macht, oder ob genetische
Polymorphismen die Expression von APOBEC
und somit potentiell den Verlauf der HIV-Infektion beeinflussen können. Die Bindungsstellen von vif an APOBEC3G wurden inzwischen charakterisiert und der intrazelluläre
Abbauweg von APOBEC3G untersucht. Die
Suche nach spezifischen Inhibitoren, die entweder die Inaktivierung von APOBEC3G durch
vif oder aber die intrazelluläre Degradation von
APOBEC3G inhibieren könnten, hat begonnen
und könnte einen neuen Therapieansatz für die
HIV-Infektion darstellen. Der Vorteil: Werden
zelluläre Strukturen anstatt viraler Proteine
therapeutisch blockiert, ist das Risiko, dass sich
hierbei Resistenzen ausbilden, sehr gering.
Schützende Faktoren bei der HIVspezifischen Immunabwehr
B- und T-Lymphozyten sind die Träger der spezifischen Immunantwort. Dendritische Zellen
(DC) können Antigen aufnehmen, verarbeiten
und in Bruchstücken an ihrer Oberfläche exprimieren, wodurch Lymphozyten aktiviert
werden. B-Zellen erkennen Antigene direkt
durch Bindung an den B-Zellrezeptor. T-Zellen
erkennen Antigen jedoch erst nach Prozessierung und Darbietung durch dendritische
Zellen oder andere antigenpräsentierende Zellen über ihren T-Zellrezeptor (TCR) im Kontext
mit HLA-Klasse I bzw. HLA Klasse II-Molekülen
(Abb. 3).
3
Abb. 2b: Replikation von vif-defekten HIV-Isolaten. Es kommt zur Infektion der primären Zelle; da aber
vif fehlt, wird APOBEC3G in die sich bildenden Virionen inkorporiert und hemmt die reverse Transkription in den nachfolgenden Zielzellen.
HLA-Antigene
CD8+-T-Zellen erkennen »ihr« Antigen im Zusammenhang mit HLA-Klasse-I-Antigenen
auf antigenpräsentierenden Zellen wie DC.
CD4+ T-Zellen benötigen das Antigen im Zusammenhang mit HLA-Klasse-II-Molekülen.
Die Entwicklung einer spezifischen Immunantwort ist daher auch vom individuellen
HLA-Muster abhängig: Antigen-präsentierende Zellen können HIV-Antigene in »Gruben«
der HLA-Klasse-I-Moleküle so darbieten, dass
CD8+T-Lymphozyten optimal, suboptimal
oder gar nicht aktiviert werden. In großen
Patientenkohorten wurden HLA-Muster identifiziert, die mit einem günstigen oder ungünstigen Verlauf der Erkrankung assoziiert sind.
Allein das HLA-Muster erklärt den günstigen
Verlauf bei 40 % aller Langzeitüberlebenden.
Homozygotie für HLA Bw4 gilt als protektiv. Allerdings wird sonst eher eine Heterozygotie der HLA-Klasse-I-Loci (versus Homozygotie) als günstig angesehen (Carrington
1999), da dies eine breitere Vielfalt der »Gruben« zu reflektieren scheint. HLA B14, B27,
B51 und B57 sowie C8 waren in einer großen
Kohorte mit einem langsameren Fortschreiten
des Immundefektes assoziiert. HLA A23, B37
und B49 waren hingegen mit einem raschen
Progress vergesellschaftet. Alle Patienten mit
HLA B35 waren nach 8 Jahren an AIDS erkrankt (Kaslow et al 1996). Für HLA B57 konnte nachgewiesen werden, dass tatsächlich HLA
B57 restringierte CTL gegen HIV-Peptide vorhanden sind.
HLA-Klasse-II-Antigene sind für die Immunantworten von CD4+T-Zellen wesentlich.
Seit 1997 ist bekannt, dass HIV-Patienten mit
günstigem Langzeitverlauf HIV-spezifische
CD4+T-Zellen aufweisen (Rosenberg 1997).
Die Identifikation protektiver bzw. ungünstiger HLA-Klasse-II-Antigene ist noch weniger
gut charakterisiert.
KIR-Rezeptoren
KIR-Rezeptoren (Killer cell immunoglobulin
like receptors) stellen Liganden von HLA-Klasse-I-Antigenen dar und können als stimulierende bzw. aktivierende Rezeptoren die
Funktion von NK-Zellen kontrollieren. Das
Vorliegen von KIR-Polymorphismen zusammen mit bestimmten HLA-Antigenen korreliert daher sehr gut mit einem raschen bzw.
günstigen Krankheitsverlauf. Zusammenfassend muss allerdings festgestellt werden, dass
es trotz eindrucksvoller statistischer Korrelation von genetischen Markern mit dem Krankheitsverlauf bislang keine Hinweise dafür gibt,
dass die Kenntnis dieser genetischen Marker
für den individuellen Krankheitsverlauf eines
Patienten von Bedeutung bzw. Entscheidungsrelevanz ist.
Die HIV-spezifische zelluläre
Immunantwort
Zytotoxische T-Zellen (CTL) können virusinfizierte Zellen erkennen und eliminieren. Die
bisherigen Erkenntnisse zur Rolle von CTL bei
der HIV-Infektion zeigen deutlich, dass CTL für
den Verlauf der Erkrankung von wesentlicher
Bedeutung sind, jedoch bei der primären Prävention gegen HIV wahrscheinlich eher eine
untergeordnete Rolle spielen.
Vergleicht man so genannte HIV-Langzeitüberlebende (»LTNP« = Long term non-progressors) mit Patienten mit raschem Krankheitsverlauf, so finden sich bei den LTNP eine
hohe Zahl von HIV-spezifischen Vorläufer-CTL
mit breiter Spezifität gegen verschiedenste Virusproteine. Die protektive Rolle der CTL wird
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auch dadurch deutlich, dass das Auftreten von
viralen »escape«-Mutanten spät im Krankheitsverlauf (nach 9 bis 12 Jahren) mit der
Krankheitsprogression assoziiert war (Goulder
et al., Nat Med 1997). Leider wurde aber auch
gezeigt, dass bei Patienten trotz guter CTLAntwort Superinfektionen mit einem anderen
HIV-Isolat möglich sind, obwohl sich die viralen Epitope, gegen die die CTL-Antwort in vitro gemessen werden konnte, nur geringfügig
zwischen beiden Isolaten unterschieden (Altfeld et al., Nature 2002).
Der Nachweis einer CTL-Antwort korreliert
mit der Suppression der Plasmavirämie nicht
nur im Rahmen der initialen Serokonversion,
sondern auch in Therapiepausen. Noch unklar
ist, warum diese temporär effektive CTL-Antwort im Verlauf der Erkrankung nachlässt.
Mehrere Gründe sind denkbar:
●
Durch die Bildung von »Escape«-Mutanten
wird die Erkennung durch CTL unmöglich.
●
Das nef Protein kann seinerseits HLA-Klasse-I-Antigene herunterregulieren und somit ebenfalls ein Erkennen verhindern.
●
Vorstellbar ist außerdem, dass funktionell
defekte CTL zu einem Versagen der Immunabwehr beitragen. So konnte gezeigt werden, dass die HIV-spezifischen CTL nur dann
gute Effektoren waren, wenn sie gleichzeitig Interferon-γ und TNF α produzieren
(Lichtenfeld et al., J Exp. Med. 2004).
Andere Untersucher konnten zeigen, dass
HIV-spezifische CTL einen Mangel an Perforin und einen unreifen Phänotyp aufweisen. CTL sind bei ihrer Proliferation und
Aktivierung auf die Hilfe von T-Zellen angewiesen. Diese HIV-spezifischen CD4+TZellen gehören zu den ersten CD4+T-Zellen,
die nach Eindringen von HIV in den Organismus aktiviert werden, können jedoch
auch selber mit HIV infiziert werden (Douek et al,. Nature 2002 ). Somit ist aktuell unklar, ob der häufig zu beobachtende Verlust
von HIV-spezifischer CTL-Aktivität einen
intrinsischen Defekt der CTL widerspiegelt
oder aber sekundär einen Verlust von HIVspezifischen CD4+T-Zellen reflektiert.
Verschiedene therapeutische Vakzinestrategien wurden bislang entwickelt und zumeist an
Rhesusaffen getestet mit dem Ziel, eine SIVspezifische CTL-Antwort zu induzieren. Vielversprechende Ergebnisse berichteten Lu und
Mitarbeiter (Nature Medicine 2003), die SIVinfizierte Rhesusaffen mit körpereigenenen
autologen dendritischen Zellen, beladen mit
inaktiviertem SIV, impften. Die geimpften Affen zeigten im Vergleich zu den nicht-geimpften Kontrolltieren einen dramatischen Abfall
der Viruslast und die Entwicklung SIV-spezifischer zellulärer und humoraler Immunreaktionen. Kürzlich berichtete diese Arbeitsgruppe
über eine Pilotstudie an 18 HIV- infizierten
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Abb. 3: Antigenpräsentierende Zellen (z. B. dendritische Zellen) präsentieren virale Antigene im Kontext
mit HLA Antigenen an CD4+ bzw. CD8+T-Lymphozyten. B-Zellen produzieren Antikörper, die freie Virionen neutralisieren können. HIV-spezifische zytotoxische T-Zellen können virusinfizierte Zellen erkennen
und lysieren.
Patienten ohne antiretrovirale Therapie und
mit stabiler Viruslast. Diese Probanden wurden
mit autologen, in vitro aus Monozyten hergestellten dendritischen Zellen geimpft, die mit
inaktiviertem autologen HIV beladen worden
waren. Während der nächsten 112 Tage war ein
Abfall der Viruslast von im Median 80 % zu
beobachten, der bei 8 Patienten über mehr als
ein Jahr anhielt. Parallel dazu konnten HIVspezifische CD4+T-Zellen, die Interferon-gamma und/oder Interleukin-2 produzieren, sowie
gag-spezifische CD8+T-Zellen festgestellt werden (Lu et al., Nature Medicine 2004). Weitere
Studien zu »virus-gepulsten«, autologen dendritischen Zellen als therapeutische Vakzine
können erwartet werden.
Die HIV-spezifische humorale
Immunantwort
Die Assoziation zwischen dem Auftreten einer
humoralen Immunantwort gegen HIV und
dem Krankheitsverlauf ist weniger gut charakterisiert. Im Affenmodell kann die Injektion
eines Cocktails verschiedener neutralisierender Antikörper eine mukosale SIV-Infektion
verhindern (Ferrantelli et al., J. Inf. Dis. 2004).
Dies legt die Vermutung nahe, dass für eine
primäre Vakzine gegen HIV eine humorale Immunantwort unabdingbar sein dürfte.
Zwar zeigt sich bei Rhesusaffen praktisch
kein Unterschied im Abfall der Plasmavirämie,
wenn B-Zellen mit Hilfe eines monoklonalen
Antikörpers depletiert und die Tiere anschließend mit SIV infiziert werden. Ein verlangsamter Krankheitsverlauf korrelierte aber mit dem
Fehlen einer Immunantwort gegen bestimmte
Epitope von gp120, mit dem hochtitrigen
Nachweis von p24-spezifischen Antikörpern
und der Persistenz neutralisierender Antikör-
per, insbesondere wenn neutralisierende Antikörper gegen primäre HIV-Isolate und autologes Virus vorliegen. LTNP haben häufig neutralisierende Antikörper gegen eine Vielzahl
von Primärisolaten und eine Persistenz von
Antikörpern gegen die eigenen Viren. Ob der
Erhalt von neutralisierenden Antikörpern bei
Langzeitüberlebenden aber die Ursache der
Protektion ist oder lediglich sekundär Ausdruck eines noch relativ intakten Immunsystems, ist unklar.
Zytokine in der HIV Therapie
Interleukin-2 (IL-2) ist ein Wachstumsfaktor für T-Zellen und induziert in vitro die Proliferation und Aktivierung von NK-Zellen,
CD4+- und CD8+T-Zellen. Daher war es nahe
liegend, IL-2 schon früh zur Therapie der CD4Lymphopenie im Rahmen der HIV Infektion
einzusetzen. Neben der Aktivierung von T-Zellen kann IL-2 jedoch auch eine Stimulation der
Virusreplikation induzieren, so dass prinzipiell
eine Kombination von IL-2 mit einer suffizienten HAART sinnvoll ist. Die in den letzten Jahren durchgeführten klinischen Studien zeigten
einen deutlichen Anstieg von peripher zirkulierenden CD4+- und CD8+T-Zellen unter IL-2,
die auf eine vermehrte periphere Expansion
des T-Zellpools sowie auf ein verlängertes
Überleben der T-Zellen zurückzuführen sind.
Die aktuell noch laufende ESPRIT-Studie soll
unter Einschluss von 4000 Patienten klären, ob
der Einsatz von IL-2 auch tatsächlich zu einer
Verbesserung des klinischen Verlaufs führt. Eine bereits publizierte Studie (ACTG 328) legt
nahe, dass die Therapie mit IL-2 zusätzlich zu
HAART mit einer verminderten Inzidenz an
AIDS-definierenden Ereignissen einhergeht.
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Interferon alpha (IFNα) zeigt in vitro einen dosisabhängigen antiviralen Effekt und
einen stimulierenden Effekt auf NK-Zellen. Es
stimuliert die Ausbildung von CD8+-Gedächtniszellen und steigert die Expression von HLA
Klasse I Antigenen auf virusinfizierten Zellen.
Hohe Serumspiegel von endogenem IFN α
konnten wiederum bei HIV-infizierten Patienten mit einer schlechten Prognose korreliert
werden und es wird spekuliert, ob endogenes
IFN α immunsuppressive Effekte vermitteln
kann. Therapeutisch hat IFN α einen klaren
Stellenwert bei der Therapie der Hepatitis CKoinfektion und bei Patienten mit Kaposi-Sarkom und gutem Immunstatus, hingegen ist
sein Einsatz als antiretrovirale Therapie noch
umstritten. Verschiedene, jedoch meist kleinere Studien untersuchen den Einsatz von IFN α
als Therapieoption bei Patienten mit früher
HIV-Infektion oder bei Patienten in strukturierten Therapiepausen.
Zusammenfassung
Die große Herausforderung der Zukunft ist angesichts von weltweit mehr als 40 Millionen
HIV-infizierten Menschen die Entwicklung
einer prophylaktischen Vakzine. Klinische Beobachtungen an exponierten, aber nicht infizierten Personen (Sexualpartner von HIV-Infizierten, Kinder von HIV-infizierten Müttern)
sowie an Langzeitüberlebenden mit HIV sowie
die meist nur vorübergehende Kontrolle der
HIV-Replikation im Anschluss an die Phase der
Primärinfektion legen nahe, dass nicht nur genetische, sondern auch immunprotektive Mechanismen existieren, deren Induktion nicht
nur den Verlauf einer bestehenden HIV-Infektion modulieren, sondern vielleicht sogar präventiv eine Neuinfektion verhindern könnte.
Auch tierexperimentelle Untersuchungen
legen nahe, dass potentiell protektive Immunmechanismen induziert werden können. In
nichthumanen Primaten können Immunogene, die eine CD8-Antwort induzieren, den Verlauf der SIV-Infektion abmildern. Umgekehrt
ist eine experimentell induzierte Depletion
von CD8+T-Zellen durch monoklonale Antikörper bei infizierten Primaten von einem raschen Anstieg der Plasmavirämie begleitet.
Immunogene, die in nichthumanen Primaten
neutralisierende Antikörper induzieren, können eine Infektion mit einem homologen Vi-
rus verhindern. Ebenso kann der passive Transfer neutralisierender Antikörper sowohl im
Primatenmodell als auch in der humanen
SCID-Maus eine Neuinfektion mit einem homologen Virus verhindern.
Das Spektrum der Vakzinestrategien gegen
HIV reicht von der Verwendung von HIV-Peptiden, nackter DNA, Lebendvektoren, Proteinen, Pseudovirionen, bakteriellen oder viralen
Vektoren hin bis zum möglichen Einsatz von
modifizierten HIV-Isolaten. Nachdem, historisch gesehen, zunächst nach Möglichkeiten
gesucht wurde, neutralisierende Antikörper zu
induzieren, wurde später der Schwerpunkt auf
eine Induktion der zellulären Immunantwort
gelegt. Heute geht man davon aus, dass vorzugsweise beides – sowohl eine humorale als
auch eine zelluläre Immunantwort – induziert
werden sollte. Das Fehlen eines optimalen Tiermodells einerseits sowie die Ungewissheit darüber, wie eine protektive Immunantwort beschaffen sein muss und wie diese induziert
werden kann, ist neben den logistischen und
ethischen Problemen, wie klinisch am besten
die Effizienz einer eventuellen präventiven
Vakzine getestet werden könnte, dafür verantwortlich, dass die Entwicklung einer Vakzine
gegen HIV sicherlich noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird.
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PD Dr. med. Andrea Rubbert
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50924 Köln
[email protected]
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5
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DIAGNOSTIK UND THERAPIE
AIDS in Malawi – Bericht einer ProjektPlanungsreise
AIDS in Afrika
AIDS stellt – im globalen Maßstab gesehen –
die gravierende Gesundheitskrise unserer Zeit
dar. Derzeit gibt es nach Schätzungen der
Welt-Gesundheits-Organisation zwischen 35,9
und 44,3 Millionen Menschen, die mit HIV infiziert sind. Davon leben wahrscheinlich gut
zwei Drittel in Afrika, südlich der Sahara. Dort
hat sich ein gesundheitliches und ökonomisches Problem unvorstellbarer Dimensionen
entwickelt. Die erwachsene Bevölkerungsschicht ist am meisten gefährdet. Der Verlust
an technischer Kompetenz durch das Sterben
der Leistungsträger bringt die ohnehin schwache Ökonomie der Länder ins Trudeln. Sozialgefüge und Alterssicherungssysteme desintegrieren. AIDS fördert die Ausbreitung weiterer
Infektionskrankheiten, vor allem der Tuberkulose.
Projekt-Planungsreise nach Malawi
Mit der Verfügbarkeit antiretroviraler Therapie
gibt es jetzt ernsthafte Initiativen der WeltGesundheits-Organisation (WHO) und des
Global Fund against AIDS, TBC and Malaria,
in Afrika die neuen therapeutischen Möglichkeiten zu implementieren. Dies ließ bei uns im
NRZ die Frage aufkommen, inwieweit wir unsere Erfahrungen in der therapiebegleitenden
Diagnostik einbringen können, um exemplarisch an einem Referenzlabor an der Infrastruktur zur therapiebegleitenden Diagnostik
zu arbeiten. Vor diesem Hintergrund besuchten wir gemeinsam mit Prof. Gert Faetken-
heuer (Universität Köln), Dr. Florian Neuhann
(Universität Heidelberg) und Prof. Jürgen
Rockstroh (Universität Bonn) vom 10. bis 17.
Januar 2005 verschiedene Einrichtungen in
Malawi. Dr. Florian Neuhann organisierte die
Reise, da er mit dem Land sehr gut vertraut ist,
nachdem er in der Hauptstadt Lilongwe von
2002 bis 2004 am Aufbau des AIDS- Projektes
Lighthouse mitgewirkt hat.
Landeskunde von Malawi (Abb. 1)
Malawi ist ein kleines Agrarland von 118.000
Quadratkilometern im Südosten von Afrika
und hat rund 11 Millionen Einwohner. Die
Hauptstadt Lilongwe mit 440.000 Einwohnern
hat keine universitären Einrichtungen; ein Medical College befindet sich in der zweiten größeren Stadt Blantyre mit einer Bevölkerung
von 490.000 Einwohnern. Das Land ist ethnisch vergleichsweise homogen, dominiert
vom Stamm der Chewa. Die Landessprache ist
– neben Englisch – Chichewa. Das Land war
bis 1964 britische Kolonie, bis dahin unter dem
Namen Njassaland. Die Bevölkerung ist zu etwa 75 % christlich, Katholiken und Anhänger
diverser protestantische Kirchen halten sich
dabei in etwa die Waage. Rund 20 % der Bevölkerung sind Moslems. Das Land ist politisch
ruhig. Nach der Unabhängigkeit wurde es für
fast drei Jahrzehnte mit fester Hand von Präsident Hastings Kamuzu Banda regiert. Der
zweite Präsident Bakili Muluzi, der von 1993
bis 2004 regierte, ist Moslem. Der neue Präsident Dr. Bingu wa Mutharika ist Christ.
1. Politische Karte: Malawi im Zentrum Südafrikas (Quelle: http://www.ilexikon.com)
Team der Malawi-Projekt-Planungsreise
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2. Die Strandidylle trügt: Malawi ist eines der ärmsten Länder der Erde. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Existenzgrundlage ist die Landwirtschaft – vor allem für den Eigenbedarf – und Exportartikel Nr. 1 seit jeher Tabak. (Abb. 2 bis 5: Privatfotos)
Malawi und HIV
Malawi zählt zu den Ländern im Süden Afrikas mit besonders hoher Prävalenz von HIV.
Nach Schätzungen der WHO sind 14,2 % der
Erwachsenen ab 15 Jahren mit HIV infiziert.
Die Schätzungen beruhen auf Überwachungsstudien (Sentinelstudien), die teils in den beiden Großstädten des Landes, teils in ländlichen
Regionen durchgeführt wurden. Somit sind
rund eine Million Menschen mit HIV infiziert,
und jährlich kommen etwa 150.000 neue Infektionen hinzu. Bei jungen Frauen ab 13 Jahren ist die Durchseuchung zunächst etwa
sechsmal höher als bei Männern gleichen Alters. Bei Schwangeren ging man bisher von
rund 25 bis 30 % Seroprävalenz aus. Es gibt
nahezu eine Million AIDS-Waisen.
Die Regierung von Malawi hat in den zurückliegenden Jahren ihre AIDS-Politik geändert und setzt auf öffentliche Maßnahmen zur
Aufklärung und Testung. An den Straßenrändern sind zahlreiche große Plakate angebracht, die zur Beratung und Testung auffordern (Abb. 3). Man schätzt, dass etwa 3 % der
Bevölkerung bisher getestet wurden. Es mag
sein, dass die Information bereits Wirkung
zeigt. So wurde berichtet, dass bei Schwangeren in der Hauptstadt mittlerweile die Seroprävalenz von 25 auf 19 % gesunken sei. Sicher muss sich noch erweisen, ob dies eine
statistisch signifikante Tendenz darstellt. Der
Global Fund hat der Regierung von Malawi
rund 190 Millionen US Dollar zugesagt und
teilweise überwiesen, damit die antiretrovirale Therapie so rasch wie möglich implementiert werden kann. Damit erhielt Malawi, in
absoluten und relativen Zahlen, mehr als jedes
andere Land Schwarzafrikas. Ziel der Regierung ist ein umfangreiches scaling up-Programm. Danach ist vorgesehen, dass bis Ende
2006 mit Hilfe von 59 flächendeckend verteilten Therapiestationen rund 80.000 HIV-Infizierte einer Therapie zugeführt werden. Für die
7
first line-Therapie ist eine Dreifachkombination aus 3TC, d4T und Nevirapine vorgesehen.
Das Generikum wird von der Firma Cipla in
Bombay, Indische Republik, unter dem Namen
Triomune geliefert. Für die second line-Therapie ist eine Kombination aus ddI, TDF und NFV
vorgesehen. Die Ziele dieses ehrgeizigen Therapieprogramms sind beachtlich. Fraglich
bleibt dabei jedoch, in wie weit die Infrastruktur für die Begleitdiagnostik steht.
Infrastruktur von Malawi (Abb. 2)
Malawi ist ein relativ dicht besiedeltes Agrarland. Hinreichende Niederschläge und der vulkanische Boden erlauben relativ intensive
Landwirtschaft; die Bodennutzung hat jedoch
die Grenzen erreicht. Das Land lebt von Exporten an Agrarprodukten, in erster Linie Tabak.
Industriegüter werden nicht exportiert. In der
globalen Rangfolge ökonomischer Parameter
liegt Malawi auf Rang 163 von 171 Ländern.
Man schätzt, dass 65 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze mit einem durchschnittlichen Einkommen von einem Dollar pro Tag
leben. Das Land kann die Kriterien des internationalen Währungsfonds kaum erfüllen. Der
Staat ist nach außen und innen verschuldet.
Rund die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren
sind unterernährt. Kinder mit Hungerödemen
sind auf dem Land kein ungewöhnliches Bild.
Malawi hat einen approbierten Arzt auf etwa
50.000 Einwohner (im Vergleich zu 1: 289 in
Deutschland). Das staatliche Gesundheitssystem hält Ärztestellen vor; doch nur ein Teil davon ist besetzt. Auch beim medizinischen
Hilfspersonal (clinical officers), Krankenschwestern und Pflegern herrscht ein schwerer Mangel, da die Mehrzahl der entsprechenden Stellen im staatlichen System unbesetzt
sind. Im Distrikt Salima, der eine Bevölkerung
von 308.000 Einwohnern hat, trafen wir einen
Arzt als Health district officer; einen Arzt am
3. Öffentliche, staatliche Propaganda für freiwillige Beratung und Testung auf HIV, organisiert von der
National AIDS Commission (NAC)
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4. Das große Sterben durch AIDS sorgt für ein blühendes
Gewerbe: die Manufaktur von Särgen
Krankenbett oder in freier Praxis gibt es darüber hinaus nicht. Immerhin hat jedes Dorf in
ländlichen Regionen noch einen eigenen traditionellen Medizinmann. Die Lebenserwartung betrug vor der AIDS-Epidemie noch
durchschnittlich 43 Jahre; mit der AIDS-Epidemie ist die Lebenserwartung auf durchschnittlich 39 Jahre gesunken. (Abb. 4)
Besuchs-Programm in Malawi
Im Rahmen unseres Besuches hatten wir
Gelegenheit, mit den verantwortlichen Vertretern der nationalen AIDS-Kommission, des
Gesundheitsministeriums, der Deutschen Botschaft, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und anderer Einrichtungen zu
sprechen. Eindrucksvoll war der Besuch des
Lighthouse-Projektes. Dabei handelt es sich
um eine Stiftung, die am Zentralhospital von
Lilogwe angesiedelt ist. Sie betreibt eine Poliklinik, die pro Jahr von etwa 30.000 Patienten
aufgesucht wird. (Abb. 5)
Das Lighthouse führt
1. VTC ( volontary councelling and testing),
2. die ambulante Therapie von HIV-Infizierten
und
3. ein home care-Programm durch.
Diese Einrichtung beeindruckte durch gute
Organisation, ein einfaches pragmatisches
EDV-System und die Kapazität zum therapeutischen Scaling up. Etwa 1500 Patienten unter Therapie werden derzeit von Lighthouse
betreut. In unmittelbarer Nachbarschaft von
Lighthouse wurde ein Forschungszentrum der
University of North Carolina (UNC) in Chapel
Hill eingerichtet. In einem modernen Gebäude, welches vor einem Jahr bezogen wurde,
gibt es Untersuchungsräume für Studienpatienten, moderne Labors, eine elektronisch
vernetzte Bibliothek etc.. Die Forschungsstation der University of North Carolina wird aufwww.virologie.uni-erlangen.de
5. Labor-Mitarbeiter des Medical Department des Kamuzu Central Hospitals.
Hier werden CD4-Zellzahl-Bestimmungen, Viruslastbestimmungen und Resistenzbestimmungen duchgeführt, die ansonsten in staatlichen Systemen nicht
möglich sind.
grund eines Core Grants der National Institutes of Health (NIH) finanziert, ergänzt durch
weitere Formen der Forschungsförderung. Das
UNC-Labor betreibt eine Reihe epidemiologischer Studien zur Übertragung zwischen Mutter und Kind, zwischen Sexualpartnern und zu
verschiedenen Therapieprotokollen. Die Ausstattung des Labors ist exzellent und erlaubt
auch CD4-Bestimmungen, Viruslast-Bestimmungen, Zellkultur und die Vorbereitung von
genotypischen Resistenzbestimmungen, die in
Chapel Hill durchgeführt werden. Einschränkend ist allenfalls anzumerken, dass es sich
primär um eine wissenschaftsorientierte Institution handelt und sie damit nicht primär auf
die Breitenversorgung der Patienten orientiert
ist. Abgesehen vom UNC-Forschungsgebäude
sind die Laborkapazitäten ansonsten in Malawi extrem limitiert. In keinem der Labors, die
wir besuchten, weder am Kamuzu Central
Hospital in der Hauptstadt, noch in dem Distrikt-Krankenhaus Salima oder dem National
Reference Laboratory ist es bisher möglich,
CD4-Zellzahl-, Viruslast-, oder Resistenzbestimmungen durchzuführen.
tionsstrukturen zu schaffen. Ohne leistungsfähige Laborkapazität ist zu befürchten, dass
die Therapieprogramme trotz eines relativ hohen Finanzaufwandes ins Leere laufen.
Prof. Bernhard Fleckenstein
[email protected]
Zusammenfassung
Das Gesamtbild der medizinischen Versorgung
von HIV-Infizierten und AIDS-Patienten ist desolat. Zwar wird einerseits ein ambitioniertes
Programm mit substanzieller finanzieller Unterstützung durch den Global Fund zur breiten Therapie implementiert. Das Geld hierzu
wird durch Institutionen des Staates Malawi,
die nationale AIDS-Kommission und das Gesundheitsministerium verwaltet und verplant.
Das Programm ist anspruchsvoll, vor allem im
Hinblick auf die Versorgungsdichte in allen anderen medizinischen Bereichen. Sehr problematisch ist es, dass die Infrastruktur für diagnostische Steuerung der Therapieprogramme
komplett fehlt. Um diese Probleme zu meistern, wird es notwendig sein, neue Organisa-
Dr. med. Hauke Walter
[email protected]
Nationales Referenzzentrum für Retroviren,
Institut für Klinische und Molekulare Virologie, Erlangen
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KONGRESSBERICHT
12. »Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections«
(12th CROI) in Boston, 22. bis 25. Februar 2005
Im Herzen des traditionsreichen Boston, inmitten einer winterlichen Atmosphäre, fand
die diesjährige 12th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (12th CROI)
statt. Vom 22. bis 25. Februar 2005 versammelten sich im Hynes Convention Centre über
3900 Teilnehmer aus 72 Ländern zu dieser
Konferenz, die von vielen als das wichtigste
Meeting für HIV-Kliniker und Grundlagenforscher angesehen wird. Die Veranstaltung wurde vom Tagungspräsidenten Professor David
Ho vom Aaron Diamond, AIDS Research Centre der Rockefeller University New York, und
dem zweiten Vorsitzenden Dr. Mario Stevenson von der Massachusetts University eröffnet.
Ungefähr ein Drittel der Beiträge stammten
dieses Jahr aus Europa, 60 % der Beiträge bestritten die US-Amerikaner.
Neue Medikamente
Auch wenn die Entwicklung neuer Medikamente – angefangen vom Screening bis zu den
klinischen Studien in Phase 2 bis 3 – unendlich zu sein scheint, wird die Industrie nicht
müde, immer wieder neue Substanzen zu entwickeln. Die nächsten Produkte in der Pipeline
sind mit Sicherheit die CCR5-Antagonisten,
andere Fusionshemmer, Integrasehemmer und
ganz neu die RNAse-H-Hemmer.
CCR5-Antagonisten
Daniel Kuritzkes vom Brigham and Women´s
Hospital aus Boston gab einen Überblick über
die neuen Corezeptor-Antagonisten (#57). Zur
Zeit sind drei CCR5-Antagonisten in Phase 2
oder 3 Prüfungen: SCH-417690, UK-427,857
und GW 873140. Die Stoffe werden in der Regel gut vertragen und zeigen in den ersten
Kurz-Therapie-Studien eine gute Wirksamkeit
auf die jeweiligen rezeptorspezifischen HIVPopulationen. Der Vorteil z. B. der CCR5-Antagonisten liegt darin, dass Resistenzen im
eigentlichen Sinne nicht entstehen können, da
der CCR5-Rezeptor ein zelluläres Ziel ist, welches das Virus nicht durch Mutation verändern
kann. Es kann lediglich durch den Selektionsdruck zur Ausbildung von CXCR4-tropen HIVStämmen führen. Tatsächlich zeigten sich bei
allen drei Substanzen vereinzelte X4-Shifte,
obwohl es sich wahrscheinlich um eine Selektion von schon vorbestehenden Viren handelte. Da kann man nur hoffen, dass diese Beobachtungen nicht erst die Spitze eines neuen
Eisberges sind. Mit Sicherheit wird deshalb in
Zukunft eine gute sensitive Analyse des HIVGenotyps und der vorliegenden Mischpopulationen an Bedeutung gewinnen. Und natürlich
sind Langzeitwirkungen, insbesondere bei
CXCR4-Antagonisten, noch nicht bekannt.
Craig Hendrix von der John Hopkins University stellte einige pharmakokinetische Aspekte
dieser Substanzklasse vor (#58). Interessant ist
die Beobachtung, dass die Wirkung auf HIV einige Zeit anzuhalten scheint, obwohl die Substanzen im Serum schnell eliminiert werden. Zu
erklären ist dies durch die interessante Erkenntnis, dass die meisten CCR5-Antagonisten
sehr starke Affinität zu ihren Rezeptoren aufweisen. Es kann bis zu 150 Stunden dauern,
bis ca. 50 % der Rezeptoren wieder frei sind.
Dies lässt hoffen, dass eine einmalige Tagesdosis für diese Substanzklasse ausreichen wird.
Intergraseinhibitoren
Auch von einer weiteren Substanzklasse, den
Integraseinhibitoren, gab es ein paar Fortschritte zu berichten. Die Integration, ein Replikationsschritt nach der revesen Transkription, wird bisher nicht von den zugelasssenen
Medikamenten erfasst. Daria Hazuda von
Merck (#115) und Susan Little von der University of California (#161) stellten die Substanzen L-870810 und L-870812 vor. Eine 10-tägige Monotherapie führte zur sehr guten
Reduktion der Viruslast, obwohl für L-870810
eine Hepatotoxizität bei Hunden schon das
klinische Aus nach sich zog.
RNAse-H-Antagonisten
Mal etwas ganz neues sind die HIV-1 RNAseH-Antagonisten (#156, #157, #114). RNAse H
(Ribonuclease H ) ist eine Endoribonuklease,
die spezifisch die Phosphodiester-Bindungen
von RNA, die spezifisch die PhosphodiesterBindungen von RNA hydrolysiert, die mit DNA
hybridisiert ist. Dieses essentielle virale Enzym
ist notwendig, um nach der Umschreibung der
viralen RNA in DNA (Reverse Transkription) die
nicht mehr notwendige RNA abzubauen, so
dass die DNA als provirale DNA in das Wirtsgenom integriert werden kann. Mit Hilfe der
Röntgen-Kristallographie wurde die Substanz
KMMP05 analysiert – ein Erkenntnisgewinn,
der für das Design neuer RNAse-H-Antagonisten hilfreich sein wird. Das Screening von
neuen Stoffen aus dieser Substanzklasse ist
erst jetzt im großen Maßstab möglich, nachdem ein Assay entwickelt worden ist, der dar-
Boston, Blick von der Bubrid Brücke.
(Foto: Jochen Dieckfoss, Erlangen)
9
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FRET RNase H assay for HTS
F
F
DAB
DAB
RNA
5’
Äquivalentes virologisches Therapieansprechen
unter Kivexa® im Vergleich zu ABC + 3TC BID
HIV RT
F
p66
p51
F
DAB
p66
p51
Therapie-Vereinfachungen
Die Hoffnung der Patienten liegt aber nicht
nur in der Entwicklung neuer Substanzen,
sondern auch in der Verbesserung der schon
vorhandenen wirksamen Therapie-Konzepte.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass die antiretrovirale Therapie einfacher einzunehmen und
weniger toxisch ist als vor einigen Jahren.
Trotzdem gibt es noch viele Patienten, die auf
ihrer ursprünglichen Medikation belassen
werden, obwohl diese zum Teil starke Nebenwirkungen mit sich zieht. Eine Reihe von Beiträgen auf der CROI beschäftigte sich mit
diesem Thema. Insgesamt zeigte sich, dass Regimewechsel durchaus zum Vorteil des Patienten dienen können, dass Vereinfachungen aber
auch Gefahren mit sich bringen können.
»Once daily« hat keine Nachteile
Jean Micheal Molina stellte ein Follow up von
82 %
81 %
p = 0.763
Kivexa
ABC + 3TC BID
DAB
Abb. 1: M. Parniak, 12th CROI, 2005:Vortrag #114: Neuer RNAse H
Test für High Throughput Screening (HTS). Mittels FRET (Fluoreszenz Resonanz Energie Transfer) kommt es zu einer messbaren Fluoreszenz, wenn
durch die Aktivität der RNAse H (p66) Untereinheit der Reversen Transkriptase) der Farbstoff (F) und der Quencherfarbstoff Dabcyl (DAB) voneinder
getrennt werden.
auf basiert, dass ein Hetero-Dimer von farbstoffmarkierter RNA und DNA gebildet wird.
Ist das Enzym aktiv, wird der Quencher vom
Farbstoff räumlich getrennt und eine Fluoreszenzentwicklung wird messbar. (Abb. 1). Sicherlich ein vielversprechender Ansatz, mit
dem jetzt insbesondere virusspezifische Antagonisten gefischt werden müssen.
Anteil der Patienten in %
5’
DNA
Abb. 2: N. Sosa et al. Poster # 572: Antivirale Wirksamkeit. Dargestellt
ist der Anteil der Patienten mit einer Viruslast < 50 Kopien/ml über 48 Wochen nach Umstellung auf ein »fixed dose«-Präparat für Abacavir/Lamivudin
(Kivexa) bzw. fortgesetzter Gabe von Einzeldosen von ABC und 3TC.
der französischen Studie »ALIZE-ANRS 099
Trial« vor. (#573, 830). In dieser multizentrischen Studie wurden 355 virologisch unter einer PI-basierten Therapie erfolgreich behandelte Patienten randomisiert, die ursprüngliche
Therapie beizubehalten oder auf eine vereinfachte »once daily« Therapie mit Emtricitabin
(FTC), Didanosin (ddI) und Efavirenz (EFV) zu
wechseln. Am Ende des Beobachtungszeitraumes von 2 Jahren zeigte sich, dass der Wechsel
zum »Once daily« Regime gut vertragen wurde und keinerlei Einbußen in der virologischen
Kontrolle oder in der immunologischen Antwort zu verzeichnen waren (95 % der Patienten, die das »once daily« Therapieschema erhielten, behielten eine unterdrückte Viruslast
von <400 RNA Kopien/ml). Verglich man die
hämatologischen Parameter im »Once daily«Arm mit der Gruppe, die Ziduvudine (ZDV), Lamivudin (3TC) in Kombination mit einem PI erhielten, war sogar ein signifikanter Anstieg der
Hämoglobin-Konzentration und der Anzahl
der neutrophilen Granulozyten zu ersehen.
In die SEAL Studie (ESS0008), unterstützt
von GlaxoSmithKline, wurden 260 Patienten
aufgenommen, die erfolgreich mit Abacavir
und Lamivudine (jeweils zweimal täglich)
kombiniert mit einem PI oder NNRTI therapiert
wurden (#572) (Abb. 2). Die Patienten wurden
randomisiert, entweder ihre Medikation fortzusetzen oder die Einzeldosen von Abacavir
und Lamivudin durch eine »Fixed dose combination« (FDC) für Abacavir/Laminvudin
(Kivexa) zu ersetzen. Nach dem Beobachtungszeitraum von 48 Wochen zeigten in der
FDC-Gruppe 95 % und in der »Twice-daily«
Gruppe 93 % ein anhaltendes Ansprechen auf
die Therapie. Der Prozentsatz an Patienten, die
unter 50 HIV Kopien/ml fielen, war ebenfalls
in den beiden Studienarmen mit 81 % in der
FDC-Gruppe und 82 % in der Kontrollgruppe
vergleichbar. CD4-Zellzahlen blieben in beiden
Gruppen stabil. Da alle Patienten bereits vorher unter Abacavir-Therapie waren, wurde
keine Hypersensitivität gegenüber Abacavir
beobachtet.
Margret Fischl präsentierte die Daten der
interessanten ACTG 388-Studie (#162), in der
untersucht wurde, ob man eine Standardtherapie (EFV + 2NRTIs) durch eine Zweiertherapie (EFV + LPV/r) ersetzen kann. Der primäre
Endpunkt der Studie, in die 236 Patienten eingeschlossen wurden, war Therapieversagen.
Insgesamt kam es in 21 Fällen zum Therapieversagen, wobei in der Kaletra-Gruppe (LPV/r)
doppelt so viele vorkamen (14 vs.7) wie in der
Vergleichsgruppe. Therapieabbrüche aufgrund
von Toxizität waren in der Kaletra-Gruppe so-
Abb. 3: Patient mit Lipoatrophy unter retroviraler Therapie: Typischer Verlust des subkutanen Fettes des Gesichts und der Extremitäten, wie sie bei über
50 % der HIV-Patienten beobachtet wird. (Die Abbildungen zum Thema überließ uns freundlicherweise Dr. med. Stefan Mauss, Düsseldorf.)
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10
Abb. 4: R. Murphy et al., Vortrag 45 LB 12th CROI, 2005: Anstieg des
subkutanen Fettes.
Dargestellt sind die Computertomografien (CT) vom Oberschenkel eines Patienten vor der Umstellung (Week 0) und nach 48 Wochen (week 48) Therapieumstellung mit LPV/r und NVP.
gar mindestens dreimal so hoch (17 % vs. 5 %).
Diese Daten lassen Zweifel in Bezug auf die
kürzlich propagierte Kaletra-Monotherapie
aufkommen. Unklar ist jedoch zur Zeit, ob die
hier getestete Zweierkombination Kaletra +
EFV aufgrund von unbekannten Wechselwirkungen ggf. schlechter sein kann als die Kaletra-Monotherapie. Sicherlich sind hier noch
weitere größere Studien nötig.
Therapiewechsel aufgrund metabolischer
Komplikationen
Eine Reihe von eleganten Präsentationen hatten das Management und das Vermeiden von
metabolischen Komplikationen bei virologisch
kontrollierten HIV-Patienten zum Gegenstand.
Bei vielen HIV-Patienten ist gerade die Lipoatrophie eine unschöne und stigmatisierende
Komplikation (Abb. 3). Vorangehende Studien
ließen vermuten, dass die Verwendung von
NRTIs und dabei insbesondere von Stavudin, zu
einer deutlichen Fettrückbildung in den Extremitäten und des Gesichtes führen kann (TARHEEL, MITOX). Bei therapienaiven Patienten
scheint der Verzicht auf Thymidin-NRTI-haltige Regime in den meisten Fällen diese Nebenwirkung zu verhindern. Drei Studien beschäftigten sich deshalb mit dem Therapiewechsel
von Thymidin-Analoga zu Abacavir oder Tenofovir oder mit dem Verzicht auf alle NRTI.
Graeme Moyle aus London präsentierte in
einem »Latebraker« die RAVE-Studie (#44LB),
in der 105 Patienten mit bestehender Lipoatrophie randomisiert auf Abacavir versus Tenofovir umgesetzt wurden. Nach einem 48wöchigen Beobachtungszeitraum kam es in
beiden Gruppen zu einer deutlichen Zunahme
von Fett an den Extremitäten. Dabei scheint
TDF sogar dem ABC überlegen zu sein, da es
bei TDF zusätzlich zur Reduktion von Cholesterin und Triglyceriden und seltener zu Therapieunterbrechungen kam.
Robert Murphy von der Northwestern University in Chicago ging noch einen Schritt
weiter. Er stellte die Daten der Studie 5110 der
11
Abb. 5: P. Tebas und M. Fischl et al., 12th CROI, 2005: Vortrag #162:
Veränderungen des Fettanteils in Gramm an den Extremitäten bei Therapieansätzen mit NRTIs oder Proteasehemmern.
Zum Zeitpunkt der letzten Messung (im Mittel 104 Wochen) zeigte sich
deutlich im Therapiearm mit LPV/r plus EFV eine Zunahme an Extremitätenfett (780g), während bei der Therapie mit NRTIs plus EFV es zu einer deutlichen Abnahme an Fett kam (-900g).
AIDS Clinical Trials Group (ACTG) vor, in der
Stavudin- oder Ziduvodin-haltige Regimente
entweder mit Abacavir (ABC) oder ganz ohne
NRTIs, nämlich mit Lopinavir/Ritonavir (LPV/r)
plus Nevirapine (NVP), ersetzt wurden. Beide
Ansätze führten zu einer signifikanten Verbesserung der Fettverteilung, wohingegen aber
nur die Kombination mit LPV und NVP zusätzlich zu einem Anstieg des Fettgehaltes an den
Extremitäten und einem signifikanten Anstieg
der CD4-Zellzahlen führte. Leider ging der
LPV/NVP-Arm aber auch mit höheren Cholesterin- und Triglycerid-Werten einher (Abb. 4).
Auch die dritte Studie (AACTG5125), vorgestellt von Pablo Tebas von der University of
Pennsylvania, konnte zeigen, dass der Wechsel von NRTI-haltigen Therapieansätzen zu
Proteasehemmern (unabhängig, welche NRTIs
gegeben wurden) mit einem Anstieg zugunsten der peripheren Fettverteilung assoziiert
ist. Hier wurden 62 erfolgreich therapierte Patienten entweder auf Lopinavir/Ritonavir plus
Efavirenz oder auf 2NRTIs plus Efavirenz randomisiert umgestellt. Unter NRTIs kam es zu
einem deutlichen Abfall des Extremitätenfetts
(appendicular fat), während es in der LPV/r
Gruppe deutlich anstieg (ca. 800g = 10 %). Da
nur ca.25 % Stavudin einnahmen, nehmen die
Autoren nicht an, dass in der Stoffklasse der
NRTIs nur Stavudin die Lipoatrophie auslöst.
Um diese Frage aber genau zu beantworten,
fehlte diesem Versuchsdesign jedoch die benötigte Power (Abb. 5).
Zusammenfassend bestätigen diese Studien, dass der Verzicht auf NRTIs das Ausmaß der
Lipoatrophie verringern kann. Insbesondere
scheint die Verwendung von Stavudin (und
vielleicht auch Zidovudin) mit einem höheren
Risiko, eine Lipoatrophie zu entwickeln, assoziiert zu sein als die Therapie mit Abacavir und
Tenofovir. Das Wechseln innerhalb der Stoffklasse zu den beiden letzteren NRTIs ist schon
mit einer Verbesserung der Fettverteilungsstörung assoziiert (RAVE und AACTG 5110). Der
Verzicht auf die gesamte Stoffklasse scheint
aber den besten Erfolg zu versprechen (ATCG
5125).
Insgesamt sind für diesen Themenkomplex
sicherlich noch Studien zu Langzeitergebnissen notwendig, um abschätzen zu können, ob
der Effekt in der Fettverteilung auch bei langfristiger Anwendung zum Tragen kommt und
inwieweit andere Einflüsse (z. B. Lipidhaushalt)
den Therapieerfolg beeinflussen. Leider fällt
auch auf, dass keine der vorgestellten Studien
eine Lösung für die Störung der facialen Fettverteilung anzubieten vermag, obwohl dies
meist von den Patienten als besonders beeinträchtigend empfunden wird.
Für weitere Information möchte ich auf den
Internet-Auftritt des Kongresses verweisen,
wo man sich einen guten Überblick verschaffen kann und Zugang zu vielen Originalbeiträgen hat:
www.retroconference.org
Dr. rer. nat. Dr. med. Heide Reil
Nationales Referenzzentrum für Retroviren,
Institut für Klinische und Molekulare Virologie, Erlangen
[email protected]
www.virologie.uni-erlangen.de
KONGRESSBERICHT
Highlights vom 3. »HIV Drug Resistance
Workshop« in Athen, 2005
Auf dem 3. European HIV Drug Resistance
Workshop, der dieses Jahr vom 30. März bis 1.
April 2005 in Athen statt fand, wurden in zehn
Sessions 100 Abstracts zu aktuellen Themen in
Forschung und Klinik vorgestellt. Das breit gefächerte Programm wurde ergänzt durch Diskussionsrunden zu den Themen: »Ermittlung
und Definition klinischer cut-offs« und »Neue
Kombinationen und genetische Barrieren –
was kann man erwarten und wie ist damit umzugehen«, sowie einer Diskussionsrunde zu klinischen Fallvorstellungen.
Von C. Stone (GlaxoSmithKline) konnte in
vitro sehr gut die beschleunigte Entstehung
der Mutation K65R unter Kombinationen von
Tenofovir mit NRTI (ohne AZT) gezeigt werden,
wie sie auch in vivo häufig und schnell zum
Therapieversagen geführt haben. Obwohl in
der Studie nur eine HIV-Ausgangsvariante
verwendet wurde, was in vivo normalerweise
nicht der Fall ist, könnte man zukünftig durch
ähnliche Versuche vorhersagen lernen, welche
Resistenzen durch welche Kombinationen selektioniert werden.
J. Lundgren (Kopenhagen) wies darauf hin,
dass bei Patienten im Therapieversagen mit
multiresistenten Viren die Entscheidung, die
Therapie zu wechseln oder beizubehalten,
schwierig ist. Durch die neuen Medikamente
könnte eine deutliche Suppression der viralen
Replikation möglich sein oder aber relativ
schnell durch das Auftreten von Resistenzen
eine weitere Therapieoption verloren gehen.
So scheint es vernünftig, solange abzuwarten,
bis genügend wirksame Substanzen kombiniert werden können, um einen anhaltenden
Therapieerfolg zu gewährleisten.
Als viel versprechend werden zur Zeit die
CCR-5-Antagonisten gehandelt. Substanzen
dieser neuen Stoffklasse von verschiedenen
Pharmafirmen sind derzeit in klinischen Studien der Phase 2 und 3. Sie zeichnen sich
durch besonders lange Halbwertszeiten aus
und bieten somit erweiterte Optionen für Therapiestrategien mit größerer Stabilität gegenüber non-compliance. Ungeklärt ist derzeit
noch, wie klinisch relevant die durch CCR5Antagonisten selten hervorgerufenen Wechsel
des Korezeptortropismus (zu CXCR4) sind.
www.virologie.uni-erlangen.de
A. Rendón (Madrid) erläuterte, dass Pharmakologie und Resistenz oft getrennt betrachtet werden. Um die direkte Verknüpfung
dieser Aspekte zu betonen, erstellte sie eine
Formel über den genotypischen inhibitorischen Quotienten (GIQ), welche Medikamentenspiegel und Mutationen in direkten Bezug
setzt. Problematisch dabei ist vor allem, welche Mutationen in welcher Gewichtung einbezogen werden sollen.
Besonders interessant war eine Zusammenfassung von R. Camacho (Lissabon), der
die Problematik der ansteigenden Zahlen von
Infektionen mit non B-Subtypen in Europa
näher erläuterte, welche in Belgien und Portugal bereits über 15 % liegen. So bestehen
im Vergleich zum Subtyp B nicht nur Unterschiede in den Wegen zur Resistenzentstehung
(z.B. unter Nelfinavir-Therapie D30N in Subtyp B, L90M in non-B), sondern es divergiert
auch die Codon-Benutzung an kritischen resistenzassoziierten Positionen, die in vitro getestete Fitness der Viren sowie die Bindungsfähigkeit an Protease-Inhibitoren. Künftig
werden vermutlich neue Interpretations-Algorithmen erforderlich sein, die auch an nonB Subtypen angepasst sind.
Leider war auf dem Kongress die eingeplante Zeit für Diskussionen oft zu knapp bemessen, was allgemein sehr bedauert wurde.
Insgesamt war es aber ein sehr informativer
und gelungener Kongress, auf dessen Fortsetzung im nächsten Jahr in Südfrankreich man
sich freuen kann. Weitere Informationen:
Impressum
Herausgeber:
Nationales Referenzzentrum für Retroviren
Institut für Klinische und
Molekulare Virologie
Universität ErlangenNürnberg
Sprecher des NRZ:
Prof. Bernhard
Fleckenstein
Koordinator des NRZ:
Dr. Hauke Walter
Schlossgarten 4
D-91 054 Erlangen
Tel.: 09 131 / 85 - 2 - 40 10
Fax: 09 131 / 85 - 2 - 21 01
E-mail: [email protected]
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Redaktion:
Verantwortliche Redakteurin: Dr. Monika Gröne
Tel.: 09 131 / 852 57 90
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Manuskriptbearbeitung: Dr. Klaus Korn
Grafische Gestaltung: Grafikstudio Hoffmann,
Dresden
Druck: osterchrist druck und medien gmbh,
Nürnberg
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• Primäre HIV-Infektion
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Monika Tschochner (Dipl. Biol.)
Nationales Referenzzentrum für Retroviren
Erlangen
[email protected]. de
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