Parodontitis und Perimplantitis mikrobiologischer Hintergrund Dr. med. Thomas Mertes MVZ Labor Koblenz 20. Juni 2012 1 Ökosystem Zahnfleischtasche Mehr als 500 versch. Bakterienspezies in der Mundhöhle • Benefizielle Flora überwiegend aus grampositiven, aeroben Bakterien • Parodontopathogene Keime vorw. gramnegativ und anaerob • Anaerobier benötigen Standorte mit geringem Sauerstoff-Partialdruck, z.B. flache Zahnfleischtasche am marginalen Gingivasaum im Rahmen einer Gingivitis 2 Ökosystem Zahnfleischtasche Pathologische Vertiefungen des Sulcus • bieten anaeroben Keimen beste Wachstumsbedingungen: Keime werden stoffwechselaktiv produzieren zytotoxische Substanzen und proteolytische Enzyme führen zur aktiven Zerstörung des parodontalen Weich – und Knochengewebes Folge: Immer stärkere Verschiebung der Zusammensetzung der Subgingivalflora in Richtung der gramnegativen Anaerobier 3 Reaktion des Immunsystems • Gramnegative Bakterien tragen Lipopolysaccharide auf ihrer Oberfläche werden vom Immunsystem als fremdes Antigen erkannt initiieren die primäre Immunantwort: Zellen des gingivalen Saumepithels reagieren mit Freisetzung von Zytokinen (Interleukine, TNF) Bewirken Heranführen von Granulozyten anwesende Bakterien werden phagozytiert • Gelingt die Abwehr jedoch nicht, etablieren sich die Bakterien weiter Gefahr der Parodontitis 4 Reaktion des Immunsystems -genetischer Aspekt• Eine zentrale Rolle bei der Infektabwehr spielen die Zytokine Interleukin-1A und Interleukin-1B, sowie deren Gegenspieler, der Interleukin-1Rezeptorantagonist IL-1-RN • IL-1 hat auch eine Schlüsselposition bei der Regulation des Knochenumbaus: • Aktivierung von Osteoklasten/Inaktivierung von Osteoblasten verstärkter Knochenabbau ! • Veränderungen in den Genen, die zu einer überschießenden Immunantwort führen allgemein gesteigerte Entzündungsneigung und signifikant erhöhter Knochenverlust 5 Bakterielle Komplextheorie • Das klinische Bild und die Verlaufsform von Parodontalerkrankungen wird nicht allein durch das Vorhandensein und die Konzentration einzelner Keime bestimmt • Maßgeblich für den Krankheitsverlauf ist das gemeinsame Vorkommen verschiedener Bakterienspezies (Bakterienkomplexe), die interagieren und synergistisch wirken. 6 Besiedlung des Sulcus im Verlauf einer Parodontitis (1) • Primäre Biofilmschicht durch: • Vertreter des violetten ( Veillonella parvula, Actinomyces odontolyticus) und des • Orange-assoziierten Komplexes (Campylobacter rectus, Eubacterium nodatum) Erreger sind gering pathogen, liefern aber die Grundlage für die Ansiedlung weiterer Bakterienspezies mit höherer Pathogenität 7 Besiedlung des Sulcus im Verlauf einer Parodontitis (2) • Im weiteren Verlaufe siedeln sich die Erreger des orangen-Komplexes an (Prevotella intermedia, Parvimonas micros, Fusobacterium nucleatum) • produzieren versch. Toxine und Enzyme fortschreitender Attachementverlust und Zunahme der Taschentiefe • stellen „Brückenkeime“ zwischen den Frühkolonisierern und den stark pathogenen Keimen des roten Komplexes dar • schaffen durch ihre Stoffwechselaktivität die Umwelt-Voraussetzung für die strikten Anaerobier 8 Besiedlung des Sulcus im Verlauf einer Parodontitis (3) • Roter Komplex mit den obligaten Anaerobiern Porphyromonas gingivalis, Tanerella forsythia und Treponema denticola • Besitzen eine breite Ausstattung an proteolytischen Enzymen (Phosphatasen, Kollagenasen) Abbau des parodontalen Weichund Knochengewebes • Sind gewebsinvasiv können tief in das parodontale Gewebe und in einzelne Epithelzellen eindringen entziehen sich damit dem Zugriff der zahnärztlichen Instrumente Therapie bedarf einer antibiotischen Unterstützung (Metronidazol, Clindamycin) 9 Besiedlung des Sulcus im Verlauf einer Parodontitis (4) • Vertreter des grünen Komplexes (Eikenella corrodens und Capnocytophaga spec.) • fakultativ anaerobe Bakterien • sind wegen eines alternativen Metabolismus weniger eng mit den anderen Bakterienkomplexen verbunden • gelten als moderat pathogen und müssen in der Antibiose nur bei Vorliegen eines massiven klinischen Bildes und hohen Keimzahlen berücksichtigt werden (Amoxicillin, Ciprofloxacin) 10 Besiedlung des Sulcus im Verlauf einer Parodontitis (5) • Aggregatibacter actinomycetemcomitans • Erreger mit der höchsten Pathogenität und • Leitkeim für juvenile und aggressive Parodontitiden • Hohes pathogenes Potential durch: Starke Exkretion proteolytischer Enzyme Produktion eines Immunsuppressionsfaktors Produktion eines Leukotoxins Aktivierung der Interleukinausschüttung Vermögen, die epitheliale Barriere zu durchbrechen • Therapie mit Amoxicillin, Ciprofloxacin 11 Bakterien-Komplexe nach Socransky et al., 1998 P. gingivalis T. forsythia T. denticola Aggregatibacter V. parvula A. odontolyticus E. corrodens C. gingivalis C. sputigens C. ochracea C. concisus C. rectus E. nodadum F. nuc. nucleatum P. intermedia P. micros P. nigrescens S. mitis S. oralis S. sanguis S. intermedius 12 Diagnostik der Subgingivalflora (1) macht eine zielgerichtete antibiotische Begleittherapie möglich • Hierbei soll es möglichst selektiv zu einer Reduktion der parodontopathogenen Keime kommen, ohne die benefizielle Mundflora zu stark zu beeinträchtigen • Eine solche zielgerichtete individualisierte Behandlung ist nur auf der Grundlage einer zuvor durchgeführten Analyse der Subgingivalflora möglich z.B. ist bei einem alleinigen Nachweis von Keimen des roten Komplexes eine Therapie mit Metronidazol ausreichend 13 Diagnostik der Subgingivalflora (2) Indikationen zur Diagnostik (nach DGP und DGZMK): • Aggressive Parodontitiden • Schwere chronische Parodontitiden • Parodontitiden, die trotz vorangegangener Therapie progrediente Attachmentverluste aufweisen • Mittelschwere bis schwere Parodontitiden bei systemischen Erkrankungen oder Zuständen, die die Funktion des Immunsystems beeinträchtigen • (Kontrolluntersuchung im Rahmen der Therapienachsorge zur Dokumentation und Sicherung des Therapieerfolges) 14 Diagnostik der Subgingivalflora (3) Bei Periimplantitis: • Ätiologie und Verlauf der Periimplantitis sind vergleichbar mit der Parodontitis • Keimspektrum periimplantärer Infektionen besteht vorw. aus Pg, Tf, Td, Pi, Fn, Cr, Pm und auch Aa • Als Ursprungsort der Keime gelten in erster Linie die parodontale Tasche der natürlichen Zähne • Implantationen sollten daher erst nach der erfolgreichen Reduktion einer möglicherweise vorliegenden Keimbelastung durchgeführt werden 15 Diagnostik der Subgingivalflora (4) Mikrobiologische Laboranalyse erfolgt mittels einer multiplex-PCR • Isolierung der den Papierspitzen anheftenden Nucleinsäuren • Amplifikation definierter bakterienspezifischer Nucleinsäuresequenzen • Darstellung der Amplifikate durch Hybridisierung • Semiquantitative Auswertung der einzelnen Komplexe mit antibiotischer Therapieschwelle • microIDENT (HAIN) • microIDENTplus (HAIN) 5 Markerkeime 11 Markerkeime 16 DNA-Strip-Technologie Probenentnahme DNA-Isolation und PCR DNA-Sonden-Hybridisierung + 17 Molekulargenetische Untersuchung des Interleukin-Genclusters (Genotype IL-1;HAIN) • Probeentnahme: Abstrich der Wangenschleimhaut • Analyse: multiplex-PCR • Ermöglicht die Einteilung des IL-1 vermittelten Entzündungsrisikos in vier Risikotypen: • • • • A normaler IL1 Wirkspiegel (IL-1 n; IL-1RN n) B leicht erhöhter Spiegel (IL-1 n; IL-1RN erniedrigt) C erhöhter Spiegel (IL-1 erhöht, IL-1RN n) D deutlich erh. Spiegel (IL-1 erhöht, IL-1RN erhöht) 18 Antibiotische Therapie (1) Hauptschwierigkeit der antibiotischen Therapie: • Parodontitis = Biofilm-assoziierte Erkrankung • Biofilm bedeutet: • • • • • • Organisation der Bakterien in einem Verbund Synergistischer Metabolismus Austausch genetischer Informationen Schutz vor Angriffen durch das wirtseigene Immunsystem Zusammenarbeit bei Abwehr von Antibiotika Schlechtes Eindringen antibakterieller Substanzen in die Tiefe Macht hohe Antibiotika-Konzentrationen am Wirkort notwendig daher: 19 Antibiotische Therapie (2) daher: • muss der AB-Gabe unbedingt und unmittelbar ein sorgfältiges subgingivales Scaling, das den Biofilm temporär desintegriert und für die Wirkung des AB zugänglich macht, vorangehen • Der Biofilm regeneriert sich sehr schnell Beginn der Antibiose direkt im Anschluss an das supra- und subgingivale Debridement. 20 Antibiotische Therapie (3) • Eine Behandlung parodontaler Erkrankungen sollte erfolgen • bei aggressiven, schweren chronischen, therapieresistenten Parodontitiden • bei nekrotisierender Gingivitis • bei mittelschwerer bis schwerer Parodontitis mit Beeinträchtigung des Immunsystems • bei Periimplantitis • nach Abklärung des subgingivalen Keimspektrums und positivem Testergebnis • direkt im Anschluss an ein subgingivales Debridement 21 Antibiotische Therapie (4) • Therapieempfehlungen können ohne klinische Angaben nur allgemein gehalten sein daher auf dem Auftragsformular bitte berichten über: • • • • Mögliche Allergien und Überempfindlichkeitsreaktionen Grunderkrankungen (z.B. Epilepsie, chron. Hepatitis, D.m.) Bestehende Schwangerschaft Einnahme anderer Medikamente (Wechselwirkungen) • Information des Patienten über etwaige Nebenwirkungen (z.B. gastrointestinale Beschwerden durch Beeinträchtigung der Darmflora bei Winkelhoff-Schema) sind wichtig für die Compliance 22