Zahnmedizin 34 Seltene Infektionserkrankungen der Mundhöhle Fokale Aktinomykose der Zunge Fotos: Kunkel Martin Kunkel, Torsten E. Reichert Abbildung 1: Indurierte, fistelnde Läsion an der linken Zungenspitze. Auf Druck entleert sich aus zwei Fistelöffnungen Pus. Kasuistik Diskussion Es handelte sich um eine 45-jährige Patientin mit einem seit mehreren Wochen bestehenden Entzündungsherd am linken Zungenrand. Klinisch bestand eine gut einen Zentimeter durchmessende, das Schleimhautniveau leicht überragende noduläre Induration, aus der sich auf leichten Druck Pus exprimieren ließ (Abb. 1). Ein Aufbisstrauma oder auch eine Fremdkörpereinsprengung wurden anamnestisch verneint. Der Befund wurde in toto exzidiert. Hierbei zeigte sich vom klinischen Aspekt (Abb. 2) eine Haarbalg-ähnliche Struktur, die den Verdacht zunächst in Richtung eines Dermoides mit perifokaler Infektion lenkte. Allerdings wies die Läsion keinen zystischen Anteil auf, sondern schien im Anschnitt eher einem Granulom zu entsprechen. Histologisch (Abb. 3) ergab sich der seltene Befund einer umschriebenen Aktinomykose der Zunge. Da klinisch keine Ausbreitungstendenz der Läsion erkennbar war, wurde im Rahmen der Primärtherapie auf eine spezifische adjuvante antibiotische Therapie verzichtet. Obwohl die Aktinomykose eine insgesamt sehr seltene Infektionserkrankung ist, betreffen rund 40 bis 50 Prozent der Fälle die zervikofaziale Region. Es handelt sich typischerweise um eine chronisch verlaufende Erkrankung, die durch brettharte Infiltrate und rezidivierende Fistelbildung gekennzeichnet ist. Typische Eintrittspforten der Aktinomykose sind Wunden, beispielsweise nach Zahnentfernungen oder zm 94, Nr. 2, 16. 1. 2004, (134) In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor, die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen sollen Ihren differentialdiagnostischen Blick schulen. Frakturen im Kiefer-Gesichtsbereich. Es treten aber auch fremdkörperassoziierte Infektionen auf [Moesta et al. 1999]. Die schleichende, klinisch lange Zeit recht unspezifische Symptomatik macht die Aktinomykose zu einer diagnostischen Herausforderung und erfordert mitunter eine Abgrenzung zu neoplastischen Erkrankungen [Lang-Roth et al. 1998]. Innerhalb der zervikofazialen Region sind Manifestationen der Zunge seltene Ausnahmen [Ficarra et al. 1993]. Sie können hier das klinische Bild einer Glossitis rhombica mediana zeigen oder auch, wie im vorliegenden Fall, als noduläre Infiltrate imponieren. Eine ulceröse Verlaufsform der Schleimhautaktinomykose kann vom Aspekt her ein ulzerierendes Plattenepithelkarzinom imitieren [Alamillos-Granados et al. 2000]. Nachdem gerade Verletzungen und dentoalveoläre chirurgische Eingriffe als wesentliche Eintrittspforten der zervikofazialen Aktinomykose in Frage kommen, muss für die zahnärztliche Praxis auf den hohen Stellenwert einer eingehenden Anamnese hingewiesen werden. Das ursächliche Ereignis, beispielsweise eine Zahnentfernung, kann dabei durchaus mehrere Jahre zurückliegen. Abbildung 2: Anschnitt der exzidierten Läsion. Die markierte Struktur lässt an eine Haarwurzel und damit an ein Dermoid denken. Es fehlt aber ein typischer zystischer Anteil. Die Läsion ( ) erscheint insgesamt eher granulomatös. Fazit für die Praxis Abbildung 3: Charakteristische herdförmige Aggregate (so gen. Drusen) von Bakterien, umgeben von einem dichten Entzündungszellinfiltrat. Der Befund ist pathognomonisch für eine Aktinomykose. Eine abschließende diagnostische Einordnung für dieses klinische oft schwer abgrenzbare Krankheitsbild ergibt sich aufgrund des charakteristischen histopathologischen Befundes mit drusenartigen Bakterienkulturen und letztlich durch den bakteriologischen Nachweis von Aktinomyces Spezies. PD Dr. Dr. Martin Kunkel Prof. Dr. Dr. Torsten E. Reichert Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Johannes-Gutenberg-Universität Augustusplatz 2 55131 Mainz Die histologischen Bilder wurden freundlicherweise von Dr. T. Hansen, Institut für Pathologie der Johannes Gutenberg-Universität (Direktor: Prof. Dr. Kirkpatrick) zur Verfügung gestellt. ■ Die häufigsten Manifestationen der Aktinomykose betreffen die zervikofaziale Region und liegen damit im Arbeitsgebiet der Zahnheilkunde. ■ Auch die Eintrittspforten der Infektion stehen überwiegend im Zusammenhang mit zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen oder Verletzungen im KieferGesichtsbereich. ■ Insbesondere langwierige, chronisch fistelnde Entzündungen ohne adäquate Ursache sollten an eine Aktinomykose denken lassen, wobei grundsätzlich eine Abgrenzung gegenüber neoplastischen Läsionen mittels Biopsie erfolgen sollte. Die Literaturliste können Sie in der Redaktion anfordern. Den Kupon finden Sie auf den Nachrichtenseiten am Ende des Heftes. zm 94, Nr. 2, 16. 1. 2004, (135) 35