Übersicht Aktuelles zur Psychopharmakotherapie Gerd Laux, Haag i. OB/München Trotz hohem Bedarf angesichts der Häufigkeit psychischer Krankheiten und vieler therapeutischer „unmet needs“ wurden in den letzten Jahren nur wenige neue Psychopharmaka eingeführt. An der Hürde des in Deutschland zu belegenden „Zusatznutzens“ scheiterten Lurasidon und jüngst Vortioxetin, für das der Hersteller angesichts eines angebotenen Tagestherapiepreises von 9 Cent keine Re-Finanzierungschance sah. Zu den neuen Substanzen zählt der selektive Opioid-Modulator Nalmefen zur Reduktion des Alkoholkonsums, der als wirksam und kosteneffektiv bewertet wird. Das neue multimodal wirkende Antidepressivum Vortioxetin zeigte günstige Effekte auf kognitive Funktionen, ist in Deutschland jetzt nicht mehr im Handel, wird aber in neuen Indikationen weiter beforscht. Das ältere selektiv noradrenerg-serotonerg wirkende Antidepressivum Milnacipran wurde jüngst in Deutschland eingeführt, ebenso der selektive Alpha2-Rezeptoragonist Guanfacin zur Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen. Zur Therapie der Adipositas wurde der Glucagon-like-Peptid-1-Rezeptoragonist Liraglutid zugelassen. Im Ausland (USA) neu verfügbar sind die atypischen Antipsychotika Cariprazin und das Aripiprazol-verwandte Brexpiprazol. Wichtige Weiterentwicklungen fanden sich angesichts der großen Adhärenzproblematik der medikamentösen Schizophrenie-Langzeittherapie im Bereich der Depot-Antipsychotika: Paliperidon liegt nun als 3-Monats-Depot vor, Aripiprazol als monatliches Depot. Eine innovative neue Darreichungsform ist das erste inhalative Antipsychotikum Loxapin zur schnellen Kontrolle von Agitiertheit bei Erwachsenen mit Schizophrenie oder Manie. Ketamin und Botulinumtoxin werden bei Depressionen als neue Indikationen in klinischen Versuchen eingesetzt. Als Augmentations-/Add-on-Therapie bei sogenannten therapieresistenten Depressionen werden nun atypische Antipsychotika wie Quetiapin empfohlen. Eine innovative Substanz ist der in Phase-III-Studien befindliche Glycin-Inhibitor Bitopertin, zu neuen (Depressions-)Therapieansätzen im Experimentalstadium zählen Celecoxib, Pioglitazon, Minocyclin, CRH- und Glutamat/NMDA-Rezeptor-Antagonisten, Nicotin-RezeptorModulatoren und Darm-Mikrobiota („Psychobiotica“). Die Entwicklung von Psychopharmaka ist hoch aufwendig, Studien sind langwierige, riskante Investitionen, der mediale Negativ-Tenor ein weiteres Problem. Konstruktive Lösungsansätze sind dringend gefragt, um einen Stillstand in der Psychopharmaka-Weiterentwicklung zu verhindern. Arzneimitteltherapie 2016;34:394–404. D as Jahr 2015 konnte mit einer Fülle neuer Zulassungen und Markteinführungen aufwarten: Insgesamt kamen 36 neue Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen auf den Markt, davon nahezu ein Drittel im Bereich der Onkologie. Psychische Störungen und Erkrankungen gehören zu den häufigsten Krankheiten [20], Psychopharmaka zu den meistverordneten Medikamenten. Unter Patentschutz stehen nur noch wenige Psychopharmaka, der Verordnungsanteil von Generika liegt bei über 90 % [44]. Trotz des hohen Bedarfs an neuen Psychopharmaka mit besserer Wirksamkeit, beispielsweise auf bestimmte Zielsymptome, und/oder besserer Verträglichkeit wurden zuletzt nur wenige neue Substanzen eingeführt. Das atypische Antipsychotikum Lurasidon wurde nach seiner Zulassung 394 AMT 34. Jahrgang 11 | 2016 vom Hersteller nicht eingeführt, soeben meldet Lundbeck den Marktrückzug des neuen multimodalen Antidepressivums Vortioxetin. Hintergrund ist, dass mit dem Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes, kurz AMNOG, der Hersteller beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein Dossier einreichen muss, mit dem er im Vergleich zu einer festgelegten „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ (d. h. preisgünstigstes Generikum) für die neue Substanz einen „Zusatznutzen“ zu belegen hat. Univ.-Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux, Institut für Psychologische Medizin (IPM), Oberwallnerweg 7, 83527 Haag i. OB, E‑Mail: [email protected] Übersicht Aktuelles zur Psychopharmakotherapie Diese Kriterien sind methodologisch diffizil. Aufgrund des häufigen Fehlens direkter Vergleichsstudien muss oft ein indirekter Vergleich auf metaanalytischer Ebene erfolgen. Von Biometrikern und Statistikern ausgewählte kontrollierte Studien mit theorielastigen Kriterien werden für die Entscheidung herangezogen, klinische Gesichtspunkte werden überwiegend ausgeblendet, praktischer Behandlungserfahrung kommt kein Stellenwert zu, nur randomisierte möglichst Placebo-kontrollierte Doppelblindstudien finden Berücksichtigung. Da für die generischen Vergleichssub­stanzen die Tagestherapiekosten nur etwa 15 bis 35 Cent betragen, ist kein tragbares Preisniveau für die neue Substanz erzielbar. Hinzu kommt, dass geforderte neue zusätzliche Studien meist nicht vorgelegt werden können. Angesichts der Milliardensummen, die in den letzten Jahren für die Durchführung Placebo-kontrollierter Studien investiert wurden, können die Hersteller heute kaum noch damit rechnen, für ihre neuentwickelte Substanz eine entsprechende Vergütung zu erhalten – es ist deshalb beinahe zu einem Stillstand in der Entwicklung neuer Psychopharmaka gekommen. Besonders deutlich wird der immense Studienaufwand am Beispiel der Entwicklung eines Antidementivums – hier müssten Studien mit großen Fallzahlen über 10 bis 20 Jahre durchgeführt werden – ein Atem, den keiner der Beteiligten (Forscher, Kliniker, Hersteller, Patienten) hat. Neue Wirkstoffe Folgende Wirkstoffe wurden in Deutschland neu eingeführt: Nalmefen (Selincro®) Alkoholabhängigkeit weist mit Abstand die größte „Behandlungslücke“ in Europa auf – weniger als 10 % kommen in spezifische Entwöhnungstherapie. Zur Pharmakotherapie der Alkoholabhängigkeit gibt es bislang Medikamente zur Erhaltung einer durch Entzugsbehandlung erzielten Abstinenz. Diese Anti-Craving-Mittel (Acamprosat, Naltrexon) werden in Deutschland wenig verordnet und haben an der massiven Unterversorgung der Alkoholabhängigen nichts verändert – das traditionelle Therapieziel der Abstinenz scheint für viele Alkoholabhängige eine zu hohe Hürde zu sein. Auch in Deutschland gilt nun die Reduktion der Trinkmengen als zumindest intermediäres Therapieziel. Die Reduk­ tion der schweren Trinktage (Heavy drinking days – HDD) und der Gesamtmenge des konsumierten Alkohols (total alcohol consumption – TAC) gilt nun als anerkanntes Therapieziel im Sinne einer Schadensminimierung (harm reduction) bei Alkoholabhängigkeit [31]. Als neues Präparat zur Reduktion des Alkoholkonsums wurde das Naloxon- beziehungsweise Naltrexon-Derivat Nalmefen Anfang der 1970er-Jahre entwickelt und nach 395 AMT 34. Jahrgang 11 | 2016 Abschluss eines klinischen Entwicklungsprogramms 2014 in Deutschland zugelassen und schließlich eingeführt. Pharmakologie Nalmefen wurde mit dem Ziel entwickelt, einen OpioidAntagonisten mit längerer Wirkdauer zur Verfügung zu haben. Nalmefen ist ein selektiver OpioidrezeptorModulator, der antagonistisch an den µ- und δ-OpioidRezeptoren und partiell agonistisch am κ-Rezeptor wirkt. Maximale Plasmaspiegel werden nach etwa 1,5 Stunden erreicht, die Eliminationshalbwertszeit liegt bei rund 8 bis 10 Stunden, die biologische Halbwertszeit (Rezeptorblockade) ist wesentlich länger. Die Kinetik ist linear dosisabhängig, eine Altersabhängigkeit besteht nicht [45, 47]. Die Substanz wird überwiegend renal eliminiert, die Kinetik ist unabhängig von Alter und Leberfunktion. Die biologische Halbwertszeit im Zentralnervensystem (ZNS) ist deutlich länger, es kommt zu einer sehr langen Rezeptorblockade. Als selektiver Ligand an Opioid-Rezeptoren beeinflusst Nalmefen indirekt das dopaminerge Belohnungssystem. Die positiv verstärkenden Wirkungen von Alkohol werden durch ein Zusammenspiel der dopaminergen und endorphinergen Neurotransmission in das limbische System vermittelt. Wirksamkeit – klinische Studien Frühere klinische Studien der 1990er-Jahre zeigten signifikante Verminderungen der Rückfälle im Vergleich zu Placebo. In den letzten Jahren wurde ein Phase-III-Studienprogramm mit knapp 2000 Patienten durchgeführt. Die erste Studie umfasste 604 Patienten, Zielkriterien waren die von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA vorgeschriebenen HDD und der totale Alkoholkonsum. Neben der Medikation erhielten alle Patienten eine psychosoziale Beratung durch trainierte Betreuer. Die Reduktion der Trinkmengen war unter Nalmefen signifikant stärker als in der Placebo-Gruppe. Die zweite Studie mit 718 Patienten kam ebenfalls nach sechs Monaten zu einem positiven Ergebnis für Nalmefen hinsichtlich der HDD. Die Studienpatienten hatten im Mittel an 57 bis 65 % der Tage ihre Medikation eingenommen. Auch die Reduktion der Leberwerte und das Fremdrating (Clinical-Global-Impression-Scale, CGI) waren in der Nalmefen-Gruppe signifikant günstiger. In der dritten Studie wurden 675 Patienten über 12 Monate behandelt. Die Unterschiede zugunsten von Nalmefen zeigten sich auch bei dieser längeren Studiendauer [30, 45, 46]. In kontrollierten Studien konnte Nalmefen über 6 bis 12 Monate im Vergleich zu Placebo die Trinkmenge eindeutig reduzieren (Abb. 1). Eine Metaanalyse und ein systematischer Review publizierter und nichtpublizierter Studien, fünf randomisierte Übersicht Aktuelles zur Psychopharmakotherapie kontrollierte Studien (RCT) versus Placebo mit 2567 Patienten umfassend, kam jüngst zu dem Ergebnis, dass Nalmefen höchstens eine begrenzte Wirksamkeit hinsichtlich Alkoholreduktion aufweist [38]. Keine dieser Studien wurde aber an Populationen durchgeführt, für die die Nalmefen-EMA-Zulassung vorliegt, nämlich Männer mit mehr als 60 Gramm beziehungsweise Frauen mit mehr als 40 Gramm Alkoholkonsum pro Tag. In einer aktuellen indirekten Metaanalyse war Nalmefen Naltrexon signifikant überlegen [46]. Indikation Nalmefen wird zur Reduktion des Alkoholkonsums bei Erwachsenen mit Alkoholabhängigkeit angewandt, wenn der Alkoholkonsum sich auf einem hohen Risikoniveau befindet und keine körperlichen Entzugserscheinungen vorliegen. Es sollte nur in Verbindung mit kontinuierlicher psychosozialer Unterstützung verschrieben werden und wenn das Erreichen von Abstinenz aktuell nicht möglich ist. Die Verordnung darf nur für drei bis sechs Monate durch einen erfahrenen Arzt erfolgen. Verspürt der Patient das Risiko, Alkohol zu trinken, sollte Nalmefen möglichst ein bis zwei Stunden vor dem voraussichtlichen Alkoholkonsum eingenommen werden. Nebenwirkungen, Interaktionen Zu den relativ häufigen Nebenwirkungen zählen Schwindel, Übelkeit und Schlaflosigkeit (Insomnie). Opioidanalgetika sind kontraindiziert, ebenso die Anwendung bei Schwangeren, Stillenden, schweren Nierenfunktionsstörungen sowie akuten Alkoholentzugserscheinungen. Interaktionen mit Opioidanalgetika (Wirkverlust), bei längerer Einnahme auch mit Diclofenac, Fluconazol, Omeprazol und Dexamethason (Wirkverstärkung von Nalmefen) sind zu beachten. Empfehlungen – Guidelines Trotz relativ hoher Therapiekosten (etwa 4,50 Euro/Tag) liegen Hinweise für eine Kosteneffektivität in Bezug auf Public-Health-Gesichtspunkte vor: In Großbritannien belegte die unabhängige Evidence Review Group (ERG) in einem Review für NICE und den NHS, dass Nalmefen in Verbindung mit psychosozialem Support nach BRENDA kosteneffektiv ist [50]. Die Empfehlungen der französischen Alkohol-Gesellschaft 2015 in Partnerschaft mit der European Federation of Addiction Societies (EUFAS) bewerteten Nalmefen als „First-Line“-Therapie (Grade A) zur Alkoholreduktion [42]. In der neuen S3-Leitlinie zu Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen wird die Verschreibung von Nalmefen im Sinne einer „B-Empfehlung“ bewertet [32]. Der G-BA beschloss 396 AMT 34. Jahrgang 11 | 2016 Abb. 1. Wirksamkeit Nalmefen versus Placebo [mod. nach 45] B: Baseline Verordnungsfähigkeit für maximal sechs Monate, wenn ein Abstinenztherapieplatz nicht direkt zur Verfügung steht. Jüngst belegte Nalmefen unter 13 Bewerbern zu herausragenden Arzneimittelinnovationen in der Kategorie „Primary care“ den ersten Platz. Vortioxetin (Brintellix®) Das strukturell neue Antidepressivum Vortioxetin wurde nach seiner Zulassung in den USA auch in Europa und 2016 in Deutschland zugelassen. Pharmakologie Vortioxetin wird aufgrund seines neuartigen pharmakologischen Profils der Klasse der multimodalen Antidepressiva zugeordnet, da es unterschiedliche pharmakologische Wirkungsmechanismen besitzt, nämlich einen 5-HT3-, 5-HT7und 5-HT1D-Rezeptor-Antagonismus, einen 5-HT1B-Rezeptor-Partialagonismus und zugleich eine Inhibition des 5-HT-Transporters. Die maximale Plasmakonzentration liegt nach 7 bis 11 Stunden vor, die mittlere Eliminationshalbwertszeit beträgt 66 Stunden [12]. Übersicht Aktuelles zur Psychopharmakotherapie Abb. 3. Kognitionsverbesserung bei älteren depressiven Patienten unter Vortioxetin versus Duloxetin [23] DSST: Digit symbol substitution test; RAVLT: Rey auditory verbal learning test Abb. 2. Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS): Veränderungen unter Vortioxetin versus Venlafaxin versus Placebo [2] ANCOVA: Kovarianzanalyse; LOCF: Last observation carried for‑ ward; OC: Observed cases analysis Wirksamkeit – klinische Studien Die Substanz wurde in umfangreichen, weltweiten Studien an mehr als 6700 Patienten mit Major Depression versus Placebo sowie versus Vergleichssubstanzen untersucht. Die Zulassung basiert auf zehn Kurzzeitstudien über jeweils sechs bis acht Wochen sowie einer Langzeitstudie zur Rezidiv-Prävention [2, 3, 12]. Vergleichssubstanzen waren Agomelatin, Venlafaxin und Duloxetin [2, 11, 23]. Abbildung 2 veranschaulicht das Hauptergebnis der Vergleichsstudie mit Venlafaxin. In einer anderen Vergleichsstudie war Vortioxetin Agomelatin signifikant überlegen. Die Responseraten bei Altersdepressionen lagen für Vortioxetin bei 53 %, für Duloxetin bei 63 %. Im Schnitt betrugen die Responseraten unter Vortioxetin 45 bis 68 %, unter Placebo 23 bis 45 %. Vortioxetin ist das erste Antidepressivum, für das günstige Effekte auf kognitive Funktionen (Gedächtnis, Exekutivfunktionen) nachgewiesen werden konnten (Abb. 3) [3, 37]. Es liegt auch eine Studie zur Fahrtauglichkeit vor – sie wurde randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert an 21 gesunden, jungen Probanden versus Mirtazapin durchgeführt [51]. Die Messergebnisse unter Vortioxetin entsprachen denen unter Placebo, während an Tag 2 unter Mirtazapin signifikante Verschlechterungen zu registrieren waren. Indikationen Vortioxetin ist zur Behandlung von Depressionen bei Erwachsenen zugelassen. Die Anfangsdosis beträgt 10 mg pro Tag, zwecks besserer Verträglichkeit empfiehlt sich initial 5 mg pro Tag, die Ma- 397 AMT 34. Jahrgang 11 | 2016 ximaldosis liegt bei 20 mg pro Tag. Vortioxetin darf nicht in Kombination mit Monoaminoxidase(MAO)-Hemmern verabreicht werden. Verträglichkeit, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen Häufigste unerwünschte Arzneimittelwirkung ist eine Serotonin-typische Übelkeit und Erbrechen. Das Risiko einer sexuellen Dysfunktion ist gering, praxisrelevant sind die fehlende Gewichtserhöhung und fehlende Effekte auf EKG, Blutdruck, Herzfrequenz, Leber- und Nierenwerte. Empfehlungen – Guidelines, Ökonomie Vortioxetin wurde jüngst vom G-BA kein Zusatznutzen attestiert, die Verhandlungen im Rahmen des AMNOG mit einem Tagestherapiepreis von etwa 9 Cent (!) führten jetzt dazu, dass der Hersteller die Substanz in Deutschland aus dem Handel nimmt – bislang wurden rund 45 000 Patienten mit Vortioxetin behandelt. International wird sie aus Preisgründen bislang als Second-Line-Antidepressivum eingeordnet [3]. Milnacipran (MilnaNeurax®) Das seit vielen Jahren unter anderem in Österreich und Frankreich verfügbare selektiv noradrenerg-serotonerg wirkende Antidepressivum ist jüngst in Deutschland eingeführt worden. Die Substanz zeigt insgesamt eine ähnliche Wirksamkeit zu selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und trizyklischen Antidepressiva (TZA), wobei in Vergleichsstudien TZA zum Teil überlegen, aber nachteilig bezüglich (anticholinergen) unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) waren. Eine Metaanalyse von sieben Studien versus TZA ergab eine Responserate von 64 % bei zweimal täglicher Gabe von 50 mg, eine Metaanalyse von sechs Studien versus Übersicht Aktuelles zur Psychopharmakotherapie verschiedene SSRI zeigte keine signifikanten Wirkungsunterschiede. In einer Dosis von 150 mg/Tag zeigten sich höhere Response- und Remissionsraten als unter 75 mg/ Tag. Bei Patienten mit ausgeprägter Antriebslosigkeit war Milnacipran besonders effektiv [34, 49]. Die primär renale Elimination kann klinisch relevant sein (z. B. bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen), ebenso das geringe Interaktionspotenzial. Guanfacin (Intuniv®) Guanfacin ist ein selektiver Alpha2-Rezeptoragonist, der in den USA schon seit Längerem zur Behandlung von Hypertonie und Aufmerksamkeits-Defizit-HyperaktivitätsStörung (ADHS) auf dem Markt ist. Das Antisympathotonikum, das eine Weiterentwicklung des Clonidins darstellt, war auch in Deutschland eine Zeit lang als Antihypertonikum Estulic® verfügbar, ist aber nicht mehr im Handel. Seit Januar 2016 ist Guanfacin zur Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen (6 bis 17 Jahre) verfügbar, wenn eine Behandlung mit Stimulanzien nicht infrage kommt. Die initiale Tagesdosis beträgt 1 mg, sie wird wöchentlich angepasst. Typische UAW sind Somnolenz und Müdigkeit zu Behandlungsbeginn, zu beachten sind Arrhythmien und Hypotonie. Bei Erwachsenen hat eine randomisierte Studie als Zusatztherapie zu Methylphenidat keine Verbesserung gegenüber Placebo bei zusätzlicher Gabe zu Methylphenidat gezeigt [8]. Aktuell in Prüfung mit positiven Phase-III-Studienergebnissen ist der Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer Dasotralin. Liraglutid (Saxenda®) Der Glucagon-like-Peptid-1(GLP-1)-Rezeptoragonist wurde jetzt zur Therapie der Adipositas bei Erwachsenen mit einem Body-Mass-Index (BMI) > 27 zugelassen. Unter dem Namen Victoza® ist der Wirkstoff bereits seit 2009 zur Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 in Kombination mit anderen Antidiabetika verfügbar. In Studien über ein Jahr mit fast 6000 Patienten führte die Substanz zu einer Körpergewichtsreduktion von durchschnittlich 7,5 % (vs. Placebo 2,3 %). Mehr als 5 % nahmen 62 % der Patienten ohne Typ-2-Diabetes ab, 49 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes (vs. 34 % bzw. 16 % unter Placebo). 3 mg werden als Ergänzung zu kalorienreduzierter Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität subkutan injiziert. Hat der Patient nach zwölf Wochen Therapie mit 3 mg pro Tag nicht mindestens 5 % des ursprünglichen Körpergewichts abgenommen, sollte die Behandlung abgebrochen werden. Die Anfangsdosis beträgt 0,6 mg pro Tag und wird im Abstand von mindestens einer Woche jeweils um 0,6 mg erhöht. Der Behandlungseffekt ist bislang nur für ein Jahr dokumentiert [36]. 398 AMT 34. Jahrgang 11 | 2016 Neuzulassungen im Ausland In den USA zur Depressionsbehandlung zugelassen wurden der nichtselektive irreversible MAO-Hemmer Selegilin (transdermal, Emsam®), der Venlafaxin-Metabolit Desvenlafaxin (Pristiq®) und Levomilnacipran (Fetzima®) [7]. Für das häufige Reizdarmsyndrom ist auf dem amerikanischen Markt jetzt der µ/κ-Opioid-Rezeptoragonist/δ-OpioidRezeptorantagonist Eluxadolin (ViberziTM) verfügbar, die europäische Zulassung wird noch dieses Jahr erwartet. Eine Verbesserung von Bauchschmerzen und Stuhltextur an mindestens 50 % der Studientage (26–52 Wochen) erreichten etwa 30 % der Patienten (19 % unter Placebo). Obstipation war die wichtigste UAW. Zugelassen wurden das Antipsychotikum Cariprazin (VraylarTM) und jüngst das atypische Antipsychotikum (SGA) Brexpiprazol (Rexulti®). Cariprazin Cariprazin ist ein partieller D2- und D3-Rezeptoragonist, zugelassen zur Akutbehandlung der Schizophrenie und der Manie. In doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studien zeigten sich signifikante Unterschiede zugunsten von Cariprazin nach ein bis zwei Wochen, zu den UAW unter durchschnittlich 6 bis 9 mg/Tag zählten Akathisie, extrapyramidalmotorische Störung (EPMS) und Ruhelosigkeit [9]. Die hohe Selektivität gegenüber dem D3-Rezeptor soll erklären, warum Cariprazin neben den Positivsymptomen wie Wahnvorstellungen und Halluzinationen auch die Negativsymptome wie Antriebsmangel und sozialen Rückzug beeinflusst. Dies geht aus einer kürzlich vom Hersteller präsentierten Langzeitstudie an erwachsenen Patienten mit prädominanter NegativSymptomatik hervor, die allerdings bislang nicht publiziert ist und auch nicht Gegenstand des Zulassungsantrags war. Die Zulassung beruht in der Indikation Schizophrenie auf den Ergebnissen aus drei randomisierten Kurzzeitstudien, in denen 1754 Patienten über sechs Wochen mit Cariprazin oder Placebo behandelt wurden. Endpunkt war die PANSSSkala (Positive and negative syndrome scale), in der es in allen drei Studien signifikante Verbesserungen gab [19, 22]. Die Ergebnisse lagen bereits 2012 vor. Die FDA lehnte die Zulassung damals jedoch ab und forderte Nachbesserungen. Inzwischen lagen auch die Ergebnisse aus drei Studien zur Behandlung der Bipolar-I-Störung vor. Die Studien umfassten 1037 Patienten. Unter Cariprazin besserten sich die Symptome auf der YMRS-Skala (Young mania rating scale) signifikant gegenüber einer Behandlung mit Placebo [17]. Brexpiprazol Brexpiprazol, ein Antipsychotikum der zweiten Genera­tion (SGA), wurde in den USA im Jahr 2015 zur Behandlung einer Schizophrenie und als Zusatztherapie bei einer Depression zugelassen (Rexulti®). Übersicht Aktuelles zur Psychopharmakotherapie Pharmakologie Brexpiprazol ist strukturell eng mit seinem Vorläufer Aripiprazol (Abilify®) verwandt, die Effekte beruhen auf einem partiellen Agonismus an Serotonin-5-HT1A- und Dopamin-D2-Rezeptoren sowie einem stärkeren Antagonismus an 5-HT2A-Rezeptoren. Die Halbwertszeit ist lang und liegt bei etwa 90 Stunden [10]. Indikationen Behandlung einer Schizophrenie, Behandlung einer depressiven Episode (Major Depression) in Kombination mit Antidepressiva. Wirksamkeit Poolanalysen zeigen Responseraten von etwa 46 % (vs. 31 % unter Placebo) in der Akutbehandlung Schizophrener (Number needed to treat [NNT] 7) und Rückfallraten von 13,5 % versus 38,5 % unter Placebo (NNT 4) unter 2 bis 4 mg/Tag [13, 21]. Nebenwirkungen Zu den häufigsten möglichen unerwünschten Wirkungen gehören Gewichtszunahme und Akathisie. Brexpiprazol ist ein Substrat von CYP3A4 und CYP2D6, entsprechende Arzneimittelwechselwirkungen können auftreten. Neue Darreichungsformen Etwa zwei Drittel der schizophrenen Erkrankungen nehmen einen chronisch-rezidivierenden Verlauf. Ein zentrales Therapieziel in der Behandlung schizophrener Psychosen ist deshalb die Rezidivprophylaxe – etwa 75 % der Schizophrenie-Patienten erleiden binnen fünf Jahren einen Rückfall [26]. Die Non-Adhärenz-Rate oraler Antipsychotika liegt bei über 40 % [39], Depot-Antipsychotika führen zu einer Verbesserung der Compliance/ Adhärenz und senken dadurch die Rückfall- und Hospitalisierungsrate [6]. Der Weiterentwicklung von DepotAntipsychotika kommt deshalb hohe klinische Relevanz zu [41]. eine gewisse Flexibilität, um das Auslassen einer Dosis zu verhindern (± 2 Wochen um den Injektionstermin). Pharmakokinetik Die Freisetzung der aktiven Substanz beginnt bereits am Tag 1 und dauert bis zu 18 Monate an. Nach einer intramuskulären Einzeldosis steigen die Plasmaspiegel von Paliperidon mit einer medianen tmax von 30 bis 33 Tagen allmählich auf die maximale Konzentration an. Die Eliminationshalbwertszeit ist dosisabhängig und lag bei deltoidaler Injektion zwischen 84 und 95, bei glutealer Injektion zwischen 118 und 139 Tagen. Wirksamkeit – Klinische Studien Das klinische Phase-III-Studienprogramm umfasst zwei Studien: eine Placebo-kontrollierte Studie und eine NichtUnterlegenheitsstudie zur 1-Monats-Formulierung von Paliperidonpalmitat. Die Rückfallpräventionsstudie über 29 Wochen ergab eine signifikante Überlegenheit versus Placebo hinsichtlich der Zeit bis zum Rückfall für alle Subgruppen (Alter, Geschlecht, BMI) [5]. Die andere Studie zeigte, dass die Wirksamkeit der 3-Monats-Formulierung der der 1-Monats-Formulierung nicht unterlegen war [43]. Nebenwirkungen, Interaktionen Unter Paliperidon können als unerwünschte Arzneimittelwirkungen Insomnie, Infektionen, Hyperprolaktinämie und extrapyramidal-motorische Symptome auftreten, an der Injektionsstelle gelegentlich Rötungen. Paliperidon kann die Wirkung von Levodopa antagonisieren, Kombinationen mit Medikamenten, die das QT-Intervall verlängern (z. B. Antiarrhythmika, Antihistaminika, Mefloquin), sollten vermieden werden. Empfehlungen – Guidelines In Leitlinien wird empfohlen, insbesondere bei rezidivierendem Krankheitsverlauf Depot-Antipsychotika zu erwägen und anzubieten. Paliperidon-3-Monats-Depot (Trevicta®) Aripiprazol-Depot (Abilify Maintena®) 2015 wurde in den USA eine vierteljährliche Formulierung von Paliperidonpalmitat zugelassen, in Europa wurde jüngst ebenfalls die Zulassung für die Erhaltungstherapie bei Schizophrenie erteilt. Der Palmitat-Ester von Paliperidon ist ein langwirksames Antipsychotikum der 2. Generation (SGA), entwickelt für die einmal monatliche Therapie (Xeplion®). Die 3-Monats-Formulierung ist geeignet für Patienten, die zuvor mindestens vier Monate stabil auf die 1-MonatsFormulierung eingestellt wurden. Das Dosierungsschema beträgt die etwa 3,5-fache Xeplion®-Dosis, die Dosierungen liegen zwischen 175 und 525 mg pro Quartal. Erlaubt ist Seit einem Jahr steht Aripiprazol-Depot in Deutschland für die Erhaltungstherapie bei schizophrenen Patienten zur Verfügung, die stabil mit oralem Aripiprazol eingestellt wurden. Nun liegen neue „Head-to-head“-Vergleichsstudien vor – monatlich appliziertes Aripiprazol wurde mit Paliperidon-Depot verglichen. Sowohl hinsichtlich der Wirkung auf Symptomebene (klinische Globalbeurteilung, CGI) als auch hinsichtlich der Lebensqualität (QLS) war Aripiprazol-Depot Paliperidon-Depot signifikant überlegen, auch die Abbruchsraten sowie die Nebenwirkungen waren bei Patienten unter 35 Jahren geringer [33]. Eine 399 AMT 34. Jahrgang 11 | 2016 Übersicht Aktuelles zur Psychopharmakotherapie neue randomisierte kontrollierte Studie (Depot versus orales Aripiprazol) über 38 Wochen zeigte ähnliche Wirksamkeit, die Symptommessungen mittels PANSS und CGI statistisch signifikante Unterschiede zugunsten des Depots. Auch die Zeit bis zum Abbruch war statisch signifikant zugunsten Aripiprazol-Depot 400 mg [18]. Die Autoren schränken allerdings die Verallgemeinbarkeit ihrer Befunde aus verschiedenen Gründen ein: So war die Studienpopulation beschränkt auf Patienten leichten Schweregrades, den geringen PANSS-Verringerungen schreiben sie minimale klinische Relevanz zu. Das Nebenwirkungsprofil des Depots ähnelt dem des oralen Aripiprazols. Bei etwa 11 % der Patienten traten Insomnie und Akathisie sowie Unruhe auf, Gewichtszunahme und -abnahme wurden gleich häufig registriert. Es wurden leichte Reaktionen an der Injektionsstelle registriert, Schmerzen bei etwa 5 %, meist am 2. Tag nach der Injektion für etwa vier Tage. Die Reaktionen traten bei deltoidaler Injektion etwas häufiger auf. Loxapin (Adasuve®) In Europa wurde im Februar 2013 Loxapin als erstes inhalatives Antipsychotikum für die schnelle Kontrolle leichter bis moderater Agitiertheit bei Erwachsenen mit Schizophrenie oder bipolarer Störung (BP I) zugelassen. Das lange bekannte und in den USA zur Schizophrenie-Behandlung zugelassene trizyklische Antipsychotikum (orale Gabe bis 50 mg/Tag) wird über ein speziell entwickeltes Staccato®System (wärmevermittelte Freisetzung eines ArzneimittelAerosols) appliziert. Es steht in Deutschland in der Dosis von 10 mg, entsprechend einer Freisetzung von 9,4 mg inhalativ wirksamer Loxapin-Dosis, zur Verfügung. Pharmakologie Loxapin ist ein Antagonist von Dopamin-D2-, Serotonin5-HT2A-, Histamin-H1-, adrenergen Alpha1- und muskarinischen Acetylcholin-Rezeptoren. Die Inhalation führt zu einer raschen systemischen Aufnahme, maximale Plasmaspiegel werden nach ein bis zwei Minuten erreicht. Der Metabolit Amoxapin ist als trizyklisches Antidepressivum in Frankreich zugelassen. Die beruhigend-sedierende Wirkung von Loxapin tritt durch die inhalative Applikation nach den vorliegenden Studiendaten sehr rasch ein, das heißt innerhalb von zehn Minuten nach Inhalation. Wirkungseintritt und Wirkungsmaximum (maximale Plasmakonzentrationen bereits nach zwei Minuten) sind damit einer intravenösen Injektion vergleichbar. Loxapin wird extensiv hepatisch metabolisiert; klinisch bedeutsame pharmakokinetische Wechselwirkungen sind nicht zu erwarten. CYP1A2-Hemmer (z. B. Fluvoxamin, Ciprofloxazin, Propranolol) sollten vermieden werden, analog weisen Raucher 400 AMT 34. Jahrgang 11 | 2016 niedrigere Loxapin-Spiegel auf. Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen wurden nicht durchgeführt. Die terminale Eliminationshalbwertzeit liegt bei 6 bis 8 Stunden [52]. Anwendung Als neue Anwendungsform liegt Loxapin nun atemzugsgesteuert als Aerosol zur Inhalation für die (einmalige) Akuttherapie vor. Wirksamkeit – Klinische Studien Zur inhalativen Applikationsform liegen zwei große PhaseIII-Studien vor: 314 Patienten mit einer Manie oder gemischten Episode im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung wurden mit 5 mg versus 10 mg Loxapin versus Placebo behandelt. Loxapin erwies sich als deutlich effektiver als Placebo, bereits zehn Minuten nach der Inhalation setzten die beruhigenden Effekte ein [27]. Gleiches fand sich in der Studie (n = 344) bei agitierten Patienten mit Schizophrenie. Der Rückgang der Erregung (PANSS-Subskala) betrug unter Loxapin im Mittel nach zwei Stunden zwischen 30 und 50 %, unter Placebo weniger als 30 % [1, 40]. Indikationen Loxapin zur Inhalation ist zur schnellen Kontrolle von Agitiertheit bei erwachsenen Patienten mit Schizophrenie oder bipolarer affektiver Störung zugelassen. Es darf nur im Krankenhaus unter Aufsicht von medizinischem Fachpersonal angewendet werden, eine bronchodilatorische Therapie mit einem kurz wirksamen Betasympathomimetikum für die Behandlung von möglichen respiratorischen Nebenwirkungen (Bronchospasmus) muss verfügbar sein. Asthma bronchiale und chronische obstruktive Lungenerkrankung (COPD) sind Kontraindikationen. Die empfohlene Anfangsdosis sind 9,1 mg; nach zwei Stunden kann eine zweite Dosis angewandt werden. Der Patient muss nach jeder Dosis eine Stunde lang auf Anzeichen oder Symptome von Bronchospasmus (z. B. Kurzatmigkeit, Atemnot) überwacht werden. So rasch wie möglich sollen die Patienten eine übliche antipsychotische Behandlung (Standardtherapie) erhalten. Nebenwirkungen, Interaktionen Die Nebenwirkungen von Loxapin lassen sich aus der Pharmakodynamik (s. oben) ableiten und entsprechen im Wesentlichen denen anderer niedrig- bis mittelpotenter Antipsychotika (v. a. adrenolytische und anticholinerge Wirkungen). Hinzu kommt das Risiko für Nebenwirkungen durch die inhalative Applikation. In Studien an agitierten Patienten wurden Bronchospasmen als eine gelegentliche schwere Nebenwirkung berichtet. Bei Patienten mit aktiven Atemwegserkrankungen wurden sie hingegen sehr Übersicht Aktuelles zur Psychopharmakotherapie häufig beobachtet (meist innerhalb von 25 Minuten) und erforderten oft eine Behandlung. Kontraindikationen sind daher neben Asthma bronchiale und chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen auch akute klinische Symptome wie Keuchen und Kurzatmigkeit. Sehr häufige während der Anwendung mit Loxapin berichtete Nebenwirkungen waren Dysgeusie (Geschmacksstörungen), Sedierung oder Somnolenz und Schwindel. In den Zulassungsstudien waren die gegenüber Placebo häufiger berichteten Nebenwirkungen vor allem vorübergehende Dysgeusie bei etwa 5 bis 15 % der Patienten, ansonsten ergab sich – ohne klare Dosisabhängigkeit – eine mit Placebo vergleichbare Kurzzeitverträglichkeit (weniger häufig Schwindel und Kopfschmerzen) [40]. Die Zulassungsbehörde gelangte zu dem Schluss, dass der Nutzen von Loxapin gegenüber den Risiken überwiegt. Ob sich Loxapin in der Praxis umfassend durchsetzen und die relativ hohen Kosten (USA etwa 75 US-Dollar, Europa etwa 70 Euro pro Anwendung) rechtfertigen kann, hängt sicherlich vor allem von der Praktikabilität und den Erfahrungen von Wirkung und Sicherheit in der klinischen Routine ab. dung von Emotionsempfinden und -ausdruck). Motorische Unruhe wurde als möglicher Prädiktor für den Behandlungserfolg beschrieben [25, 29]. Empfehlungen Der Einsatz dieser innovativen Applikationsform in der stationären Akutbehandlung mit raschem klinischem Effekt, der einer i. v. Applikation ähnlich ist, ist interessant, „Head-to-Head“-Vergleichsdaten zu Standardtherapien liegen bislang leider nicht vor. Klinische Erfahrungen zum praktischen Handling (Ausschluss obstruktiver Lungenerkrankungen in Akutsituationen, Handhabung) stehen aus. Nach der Akutgabe ist eine Umstellung auf ein anderes Antipsychotikum erforderlich, da Loxapin oral in Deutschland leider nicht verfügbar ist. Die Kosten sind deutlich höher als bei der üblichen Therapie mit beispielsweise Olanzapin und Lorazepam. Celecoxib Neue Indikationen Ketamin Der als Narkosemittel eingesetzte N-Methyl-D-aspartatRezeptorantagonist Ketamin wird in klinischen Versuchen in subanästhetischen Dosen bei sogenannten therapieresistenten Depressionen eingesetzt. Botulinumtoxin Botulinumtoxin wird neuerdings zur Behandlung von Depressionen eingesetzt. Hierzu wird es einmalig in die Glabellaregion injiziert und unterbricht die Facial-FeedbackSchleife durch gezielte Hemmung mimischer Muskeln. Mit der Lähmung der am Ausdruck negativer Emotionen beteiligten Muskelgruppen wird die Besserung der depressiven Stimmung assoziiert (Facial-Feedback-Theorie – Verbin- 401 AMT 34. Jahrgang 11 | 2016 Quetiapin In letzter Zeit wurde über positive Resultate einer Augmentation mit atypischen Antipsychotika (Olanzapin, Risperidon, Quetiapin) bei therapieresistenten Depressionen (TRD) berichtet [48]. Eine Metaanalyse von 16 randomisierten Studien ergab eine signifikante Überlegenheit der atypischen Antipsychotika gegenüber Placebo-Augmentation, was aber mit einer erhöhten Absetzrate infolge unerwünschter Arzneimittelwirkungen einherging [35]. Placebo-kontrollierte randomisierte Studien liegen inzwischen für Aripiprazol, Ziprasidon und Quetiapin vor. So erhöhte sich die Remissionsrate bei mittelschweren Altersdepressionen unter Venlafaxin plus Aripiprazol signifikant versus Placebo [28]. Quetiapin ist inzwischen zur Add-onTherapie in Deutschland zugelassen. Im Vergleich zu Placebo waren höhere Abbruchraten sowie die UAW Akathisie und Parkinsonismus zu verzeichnen. Ein neuer Review von 14 Studien mit mehr als 6200 Patienten ergab Hinweise für eine antidepressive Wirksamkeit antiinflammatorischer Substanzen und Zytokinhemmer. Die meisten Daten liegen hierbei für Celecoxib vor [24]. Neubewertungen in Leitlinien In der jetzt in aktualisierter Form vorliegenden S3-Leitlinie „Demenzen“ wurde auf Basis der wissenschaftlichen Datenlage für Ginkgo biloba EGb 761 (Tebonin®) Evidenzgrad Ia konstatiert [15]. Mehrere RCTs und Metaanalysen kamen zu dem Ergebnis, dass der hochdosierte Spezialextrakt (240 mg/Tag) die kognitive Leistungsfähigkeit, Aktivitäten des täglichen Lebens und nicht-psychotische Verhaltenssymptome bei Patienten mit leichter bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz sowie bei vaskulärer Demenz stabilisiert oder positiv beeinflusst. In der 2. Auflage der S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression wird bei Monotherapie Nonrespondern jetzt neben Lithium eine Augmentation mit atypischen Antipsychotika (Quetiapin zugelassen, Aripiprazol, Olanzapin und Risperidon off Label) in relativ niedriger Dosis empfohlen [14]. Neuentwicklungen Bitopertin (RG-1678) Der Inhibitor des Glycintransporters vom Typ 1 (GlyT1) ist eine der momentan interessantesten Neuentwicklungen, da die Substanz einen innovativen Wirkungsmechanismus Übersicht Aktuelles zur Psychopharmakotherapie Fazit Der mediale Negativ-Tenor bezüglich Psychopharmaka („Chemie für die Seele“) ist im Rahmen des Generationenwechsels nun auch bei vielen fachvertretenden Meinungsbildern angekommen – Psychotherapie steht im Zentrum, auf eine Psychopharmaka-Gabe sollte möglichst verzichtet werden. Vor allem Antidepressiva gelten als wenig wirksam, seien Placebo nur bei schweren Krankheitsbildern überlegen. Demgegenüber wurde erst jüngst publiziert, dass die Wirksamkeit von Psychotherapie aus methodischen Gründen überschätzt wird (u. a. keine Placebo-Kontrollbedingung, keine Intent-to-treat-Analysen, Patientenselektion) und ebenso wie bei Pharmastudien ein (Publikations-)Bias gegeben ist. Die Entwicklung von Psychopharmaka ist hoch aufwendig – für die meisten psychischen Krankheiten existieren keine Tiermodelle, die Ätiopathogenese ist komplex-multifaktoriell, die Verläufe sind oftmals chronisch mit zum Teil langen Prodromalstadien (s. Demenzen, Schizophrenien). Experimentelle und klinische Studien sind deshalb riskante Investitionen, die zudem medial-gesellschaftlich stigmatisiert werden. Durch das AMNOG-Verfahren mit einer biometrisch-statistisch dominierten eng definierten Zusatznutzen-Bewertungs-Hürde wenden sich die pharmazeutischen Unternehmen aussichtsreicheren Medikamentenentwicklungen zu (z. B. Onkologie, Herz-Kreislauf), die im Markt refinanzierbar sind [16]. Schlagendes Beispiel hierfür ist das neue Antidepressivum Vortioxetin – mit hohem Millionenaufwand entwickelt, für etwa 9 Cent Tagestherapiekosten auf dem Niveau billigster generischer Vergleichssubstanz im „reichen“ Deutschland ohne „Zusatznutzen“ werttaxiert und so neben den USA nur noch in anderen europäischen Ländern verfügbar. Hier sei darauf hingewiesen, dass es sinnvoll wäre, einen „Zusatznutzen“ erst nach mehrjähriger Praxiser- 402 AMT 34. Jahrgang 11 | 2016 fahrung zu evaluieren und klinisch relevante Zusatzindikationen beziehungsweise Subgruppen zu berücksichtigen. Nach der Nichteinführung von Lurasidon und dem soeben erfolgten Marktrückzug von Vortioxetin bleiben derzeit als Psychopharmaka-Innovationen für Deutschland nur Nalmefen sowie (als neue Darreichungsformen) Paliperidon-3-Monatsdepot und Loxapin. Aufgrund enger Indikationen und hohen Kosten ist nicht zu erwarten, dass diese Substanzen einen größeren Stellenwert einnehmen werden. Kontrastierend werden zum Teil extrem teure Immunsuppressiva/Onkologika in den Handel gebracht und häufig eine auch im Sinne der Arzneimittelsicherheit unsinnige Polypharmazie/Multimedikation betrieben (Geriatrie!). Es bleibt abzuwarten, ob der jetzt politisch verabschiedete obligate Standard-Medikationsplan hier positive Effekte zeigen wird. Interessenkonflikterklärung GL gibt als potenzielle Interessenkonflikte folgende Firmen an: Bayer, Janssen-Cilag, Lundbeck, Otsuka, Servier. Update Psychopharmacotherapy Despite unmet meeds regarding efficacy, tolerability and time of onset and the high importance of mental disorders very few new psychotropics have been introduced in Germany recently. Lurasidon and the new multimodal antidepressant vortioxe­ tine demonstrating clinical efficacy in the improvement of cognition have been withdrawn from the German market due to economic reasons based on an official committee judgement „missing additional benefit“. Among new substances introduced are the selective opioid modulator nalmefene for reduction of alcohol consumption, the selective alpha-2-receptor agonist guanfacine for ADHS treatment in child and youth psychiatry, the older antidepressant milnacipran and the glucagonlike-pep­tide-1-receptor agonist liraglutide for treatment of adipositas. In the USA the atypical antipsychotics cariprazine and brexpiprazole have been released. The introduction of the long acting depot antipsychotics aripiprazole (1 month) and paliperidone (3 months) can be seen as major progress in the treatment of schizophrenia. Loxapine is available as inhalative antipsychotic for rapid treatment of agitation in schizophrenia and mania. Atypical antipsychotics like quetiapine are recommended now as add-on treatment for therapy-resistant depressions. Ketamine Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Pro‑ fessor für Psychiatrie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er studierte Psycho‑ logie und Medizin in Mainz und Heidelberg und machte Ende der 1970er-Jahre die Weiterbildung zum Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Bis 2013 war er ärzt‑ licher Direktor des Inn-Salzach-Klinikums Wasser‑ burg a.Inn/Rosenheim/Freilassing. Seit 2014 leitet er das Institut für Psychologische Medizin (IPM) mit Privatarztpraxis in Haag in Oberbayern. [Foto: privat [Foto: privat] aufweist. Erste Studien an (chronisch) Schizophrenen mit dem Ziel der Besserung einer schizophrenen Negativsym­ ptomatik, eventuell auch einer persistierenden Positivsym­ ptomatik, verliefen positiv, nach negativen Phase-III-Studien wurde die Indikation Schizophrenie gestoppt, der Einsatz bei Zwangsstörungen (OCD) wird aber weiterverfolgt. In Entwicklung sind Glutamat/NMDA-Rezeptor-Antagonisten sowie neuronale Nicotin-Rezeptor-Modulatoren. Für einzelne Antidiabetika (Pioglitazon), Antibiotika (Minocyclin) und Darm-Mikrobiota („Psychobiotica“) wurden ebenfalls antidepressive Effekte beschrieben [53]. Auch Omega-3-Fettsäuren (PUFA) kommt möglicherweise eine antidepressive Wirksamkeit zu. In Phase-III-Studien sind „Triple-Reuptake-Inhibitoren“ von 5-HT, NA und DA. Zu den Hypothesen-gesteuerten neuen Wirkstoffen zählen CRH-Rezeptor-Antagonisten, Steroidsynthesehemmer (Ketoconazol, Metyrapon) und neuroaktive Steroide (DHEA) [4]. Übersicht Aktuelles zur Psychopharmakotherapie and botulinum toxin are in experimental use as antidepressants. The development of psychotropics is long lasting and costly and made even more difficult by negative medial attitudes additionally. Constructive resolving attempts are needed urgently to avoid a standstill in the development of psychotropic drugs. Key words: Nalmefene, vortioxetine, milnacipran, paliperidon-3M, loxapine Literatur 1. Allen MH, Feifel D, Lesem MD, Zimbroff DL et al. 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