Vom aufregenden Lebenslauf einer B-Zelle

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AKTUELL/MEDIZINREPORT
Operationen nur noch in beschränktem Umfang durchführen. Werden
Fallpauschalen für die chirurgische
Orthopädie eingeführt, betreffen sie
einige Standardoperationen, wie
Hüftendoprothesen bei Koxarthrosen, die auch in chirurgischen Kliniken operiert werden können. Schwere
Dysplasiekoxarthrosen, die vor allem
in den großen orthopädischen Kliniken operiert werden und viel aufwendiger sind, fallen unter die gleichen
Fallpauschalen.
Stationäre Reha
häufig günstiger
Minimal invasive Eingriffe und
bessere, allerdings auch teure Operationstechniken haben den stationären
Aufenthalt in Orthopädischen Akutkliniken verkürzt. Die Nachbehandlung nach größeren Eingriffen, zum
Beispiel nach Implantation einer
Hüftgelenksendoprothese, muß aber
weiterhin gewährleistet sein. Die Patienten kommen früher und damit länger in die Nachbehandlungskliniken,
die einen günstigeren Tagespflegesatz
als die Akutkliniken aufweisen.
Die Kapazität dieser nicht-operativ eingerichteten Kliniken sollte
noch aus einem weiteren Grund erhalten bleiben: Für viele orthopädische Erkrankungen – vor allem an der
Wirbelsäule – ist eine stationär durchgeführte konservative Therapie die
bessere Alternative zur Operation.
In den Orthopädischen Akutkliniken fehlen für diese Patienten die
Bettenkapazitäten, so daß orthopädisch konservativ zu behandelnde Patienten vielfach in fachfremden internistischen oder chirurgischen Abteilungen zum Akutpflegesatz behandelt
werden. Ein entsprechender Versorgungsauftrag an Orthopädische Rehakliniken zur konservativ stationären Akutbehandlung wäre nicht
nur medizinisch notwendig, sondern
auch kostengünstiger.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Jürgen Krämer
Präsident der Deutschen Gesellschaft
für Orthopädie und Traumatologie
Orthopädische Universitätsklinik
St. Josef-Hospital, Gudrunstraße 56
44791 Bochum
Robert-Koch-Preis für immunologische Spitzenforschung
Vom aufregenden
Lebenslauf einer B-Zelle
Knochenmark, Leber, Milz,
Thymus und das Lymphsystem, mehrere Dutzend unterschiedlicher Zellen sowie mehr als hundert Signalstoffe, Hormone und die dazugehörigen
Rezeptoren – das zwei Kilogramm
schwere Immunsystem des Menschen
ist heute ein beliebig kompliziertes
Netzwerk. Kaum zu glauben, daß die
meisten Details noch vor etwa 35 Jahren völlig im dunkeln lagen, als die
deutschen Professoren Klaus Rajewski und Fritz Melchers sowie der
Australier Prof. Sir Gustav J. V. Nossal ihre wissenschaftlichen Karrieren
begannen.
Heute leitet das Triumvirat (Nossal ist emeritiert) nicht nur Institute,
die zu den weltweit besten Adressen
der Immunologie gehören; die Wissenschaftler haben auch einen wesentlichen Teil des Rahmens errichtet, in das heute täglich neue molekulare Details eingepaßt werden. Für
diese Leistungen erhielten Rajewski
und Melchers jetzt den mit 100 000
Mark dotierten Robert-Koch-Preis,
Nossal für sein Lebenswerk die
Robert-Koch-Medaille in Gold.
Das Hauptinteresse aller drei
galt den Antikörper produzierenden
B-Zellen. Nossal gelang 1958 der Einstieg in die Immunologie mit einem
Paukenschlag: Er konnte die für das
Verständnis der Immunantwort fundamental wichtige Idee beweisen, daß
jede der vielen Milliarden B-Zellen
nur je einen Antikörpertyp herstellt.
Die dazu von ihm entwickelte Methode war Grundlage für weitere elegante Experimente, darunter der Nachweis, daß Antikörper schon vor dem
ersten Kontakt mit einem Antigen
eine festgelegte Form besitzen und
daß der Klassenwechsel nicht die Spezifität verändert.
Außerdem wies Nossals Gruppe
nach, daß gegen den eigenen Körper
gerichtete B-Zellen inaktiviert werden können. Die Stiftung würdigte
auch sein Engagement bei der Ent-
wicklung von Impfstoffen für Entwicklungsländer. Nossal leitet heute
einen Ausschuß des Immunisierungsprogramms der Weltgesundheitsorganisation.
Mit Melchers und Rajewski würdigte die Stiftung zwei Forscher, deren Arbeiten sich fast ideal ergänzt
haben, weil sie sich auf unterschiedliche Abschnitte im Lebenslauf einer
B-Zelle konzentrierten. Melchers
Hauptinteresse liegt auf der Zeitspanne, bis eine B-Zelle ihren ersten Kontakt zu einem Erregerantigen hat. Bevor die aus dem Knochenmark stammenden Zellen nämlich im Blut auftauchen, haben sie insgesamt sieben
Prüfungen zu bestehen, die ihr Funktionieren sicherstellen.
Tatsächlich erreichen die meisten
jungen B-Zellen das Ziel nie. Eine
von Melchers’ Entdeckungen, der seit
1980 das Baseler Institut für Immunologie in der Schweiz leitet, war ein
neues Element des unreifen Antikörpers, die sogenannte Pre-B-L-Kette.
Diese Kette ist an der Koordination
jener Phase in der Entwicklung einer
jungen B-Zelle beteiligt, in der sie
nacheinander die Gene für die leichte
und schwere Kette ihres Antikörpers
aus zwei „Genbaukästen“ zusammenwürfelt.
Weitere Kontrollen stellen sicher, daß Zellen mit autoaggressiven
Antikörpern aus dem Verkehr gezogen werden, bevor sie Schaden anrichten können. Autoimmunkrankheiten sind ein Beleg, daß das nicht
immer perfekt geschieht.
Die Arbeiten Klaus Rajewskis
konzentrieren sich auf die Reaktionen, die eine reife B-Zelle zeigt, nachdem sie Kontakt mit einem Erregerantigen hat. Ihr Antikörper ist vor
dem ersten Antigenkontakt lediglich
ein Rohling – also weit davon entfernt, eine perfekte Waffe zu sein. Rajewski leistete entscheidende Beiträge in der Frage, wie es B-Zellen innerhalb von zwei Wochen bewerkstelli-
Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 45, 8. November 1996 (29) A-2921
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gen, die Antikörper zu exakt passenden Maßanfertigungen zurechtzufeilen. Dabei geschieht Evolution im
Zeitraffer: Durch Mutation der Antikörpergene während der Zellteilung
entsteht eine Population von TochterB-Zellen mit leicht abgewandelten
Antikörpern. Der Erreger selbst stimuliert dann jene Zelle zum schnellsten Wachstum, die den besten Antikörper herstellt.
Rajewski, der seit 1966 die Abteilung Immunologie am Institut für Genetik der Kölner Universität leitet,
hat zudem miterarbeitet, daß B-Zellen zur Aktivierung neben einem Antigen auch Kontakt- und Hormonsignale von T-Zellen benötigen. In jüngerer Zeit bemüht sich Rajewski um
enge Verknüpfung der Grundlagenmit der medizinischen Forschung. Mit
einer Methode, die die genetische
Analyse einzelner Zellen aus einem Gewebeverbund – etwa einem
Lymphknoten – erlaubt, gelang seiner
Gruppe beispielsweise der weltweit
seit Jahren versuchte Nachweis, daß
der Hodgkin-Tumor tatsächlich eine
klonale Erkrankung ist. Klaus Koch
Gen-Soja gesundheitlich
„unbedenklich“
Das Robert Koch-Institut sowie die
entsprechenden Behörden der übrigen
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union
(EU) bewerten gentechnisch veränderte
Sojabohnen hinsichtlich der Risiken „für
Gesundheit und Umwelt als unbedenklich“. Mit der diesjährigen US-Ernte soll
erstmals ein Lebensmittel und Lebensmittelrohstoff in Europa auf den Markt kommen, dem ein gentechnisch veränderter
Organismus zugrunde liegt.
Der vorgenommene gentechnische
Eingriff bewirkt, daß die Sojapflanzen resistent gegen das Unkrautbekämpfungsmittel „Roundup“ mit dem Wirkstoff Glyphosat sind. Glyphosat hemmt in Pflanzen das
Enzym EPSPS, das am lebenswichtigen
Aufbau von bestimmten aromatischen
Aminosäuren beteiligt ist. Die Hemmung
des Enzyms läßt empfindliche Pflanzen
zugrunde gehen.
Einige Mikroorganismen besitzen eine Variante des Enzyms, die durch Glyphosat nicht wesentlich gehemmt wird.
Das Gen für dieses EPSPS-Enzym wurde
in die Sojapflanzen übertragen, so daß diese gegen Glyphosat resistent sind. Statt das
Herbizid – wie bisher üblich – vorbeugend
auszubringen, kann es so je nach Unkrautbefall auch in bereits wachsenden Sojakulturen eingesetzt werden.
EB
Transplantation fötalen Gewebes bei Parkinson
Kontroverse um
rechtliche Grauzone
Erstmals wurde jetzt von der Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Hannover ein Antrag auf „Verwendung von humanem embryonalen ZNS-Gewebe zur
Erforschung und Behandlung der experimentellen und klinischen Form der Parkinsonschen Erkrankung“ in einer ersten Phase genehmigt. Das löste eine Diskussion über die
Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Transplantation fötalen Gewebes aus.
ögliches Ziel eines vor kurzem in Hannover genehmigten Projekts ist die Implantation embryonaler menschlicher Zellen in das Gehirn von Morbus-Parkinson-Patienten. Diese klinische Anwendung sei jedoch nicht Inhalt der jetzigen Entscheidung, betonte die Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Hannover
(MHH). Das Teilprojekt, das „als
ethisch verantwortbar gehalten wurde, betrifft Verfahren zur Gewinnung
und Reindarstellung von menschlichen embryonalen Hirnzellen aus Gewebe, das bei Schwangerschaftsunterbrechungen bis zum dritten Monat
gewonnen wird“. Es gehe außerdem
um spezielle experimentelle Untersuchungen mit diesem Gewebe, unter
anderem auch um die Implantation
von Zellen in Ratten. Diese Versuche
sollen der Feststellung und Verbesserung der Funktionsfähigkeit von embryonalen Zellen dienen, auch nach
deren Übertragung in einen lebenden
Organismus. Über eine klinische Anwendung der Implantation embryonaler Gehirnzellen beim kranken Menschen will die Ethikkommission nach
Vorlage der Ergebnisse des jetzt genehmigten Teilprojektes erneut entscheiden. Dabei werde dann auch der
aktuelle Stand anderer Behandlungsmöglichkeiten der Parkinsonschen
Krankheit zu berücksichtigen sein.
Auf scharfe Kritik stieß die Entscheidung der Ethikkommission beim
Behindertenbeauftragten des Landes
Niedersachsen, Karl Finke. „Diese
Behandlungsmethode, deren Erfolgsaussichten äußerst ungewiß sind, degradiert die verbrauchten Embryo-
M
A-2924 (32) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 45, 8. November 1996
nen zum Ersatzteillager und drängt
Frauen in die Rolle von Rohstofflieferantinnen für ethisch äußerst fragwürdige Forschungsprojekte“, so Finke.
Er räumte jedoch ein, daß die verbrauchende Forschung an abgetriebenen Embryonen bisher gesetzlich
nicht geregelt sei. Die grundsätzliche
Entscheidung, ob kranken Menschen
embryonales Gewebe übertragen
werden dürfe, könne nicht von Ethikkommissionen getroffen werden.
„Hier ist der Gesetzgeber gefragt, der
solchen Praktiken einen Riegel vorschieben muß“, forderte Finke.
„Abtreibung auf
Bestellung“
Diese Ansicht vertrat auch Marina Steindor, gesundheitspolitische
Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen. „Derzeit nutzen Mediziner die
rechtliche Grauzone zwischen Embryonenschutzgesetz und Paragraph
218 aus, um verschiedene Verfahren
der Embryonalzelltransplantation zu
entwickeln.“ Leichtfertig würden
Ärzte und Forscher ihren kurzsichtigen Machbarkeitsvorstellungen erliegen. Solche Transplantationen förderten die Abtreibung auf Bestellung.
Das zeichne sich bereits in China und
den GUS-Staaten ab, wo der Schwangerschaftsabbruch gängiges Mittel
der Familienplanung sei. Dort würden embryonale Zellen der Bauchspeicheldrüse bereits zur Diabetesbehandlung eingesetzt.
Im Gesetzentwurf von Bündnis
90/Die Grünen sei deshalb festgelegt,
daß „Organe, Organteile, Gewebe
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