4 Wärme, Löslichkeit, Diffusion 4.4 Änderung des Aggregatzustands 87 4.4.2 Phasenübergang Alle Stoffe kommen in verschiedenen Aggregatzuständen, auch Phasen genannt, vor. Der Übergang von einer Phase (fest, flüssig oder gasförmig) in eine andere nennt man einen Phasenübergang. Der Übergang von fest nach flüssig wird Schmelzen genannt, von flüssig nach gasförmig Verdampfen, der direkte Übergang von fest nach gasförmig re ie re n ie im bl im bl su re su 4 schmelzen fest flüssig Abb. 4.10 Aggregatszustände. Schematischer Überblick von Phasenübergängen zwischen fester, flüssiger und gasförmiger Phase. wird als Sublimieren bezeichnet (Abb. 4.10). Diese Übergänge finden bei Temperaturerhöhung statt. Beim Abkühlen kondensiert ein Gas in eine Flüssigkeit, die Flüssigkeit erstarrt in einen festen Zustand, oder das Gas resublimiert direkt in einen festen Zustand ohne Umweg über den flüssigen Zustand. Phasenübergänge kosten Energie. Um einen Festkörper zu schmelzen, muss die Schmelzwärme aufgebracht werden. Zum Verdampfen einer Flüssigkeit benötigt man die Verdampfungswärme. Die Verdampfungswärme kann beim Kondensieren zurück gewonnen werden, ebenso die Schmelzwärme bei der Kristallisation. D.h. die Kondensationswärme ist gleich der Verdampfungswärme und die Kristallisationswärme ist gleich der Schmelzwärme. Beim Wasser ist die Verdampfungswärme etwa sieben mal größer als die Schmelzwärme. Phasendiagramm Phasenübergänge werden üblicherweise in Phasendiagrammen dargestellt. Ein Phasendiagramm beschreibt die Existenzbereiche der Phasen von Stoffen in Abhängigkeit von Druck, Temperatur und Volumen, die Koexistenzbereiche, und die Übergänge von einer Phase in eine andere (Abb. 4.11a). Die verschiedenen Bereiche sind durch Linien getrennt. Innerhalb der Bereiche existiert nur eine Phase. Entlang der Linien zwischen den Bereichen besteht Phasenkoexistenz. Die Koexistenz zwischen fest und gasförmig wird Sublimationskurve genannt, zwischen flüssig und gasförmig Siedepunktkurve, und zwischen fest und flüssig Schmelzpunktkurve. Zwei Punkte im Phasendiagramm sind ausgezeichnet: Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. erstarren 4.4.1 Überblick Gas ist nur eine Phase bzw. nur ein Zustand eines bestimmten Stoffes. Hier lernen wir auch die anderen möglichen Phasen bzw. Zustände kennen, nämlich flüssig und fest, sowie die Übergänge zwischen den verschiedenen Phasen, die man als Phasenübergänge bezeichnet. Kühlt man ein Gas ab, d.h. entzieht man dem Gas Wärme, dann nimmt die mittlere Geschwindigkeit der Moleküle ab. Kommen sich die Moleküle bei einem Stoß näher, dann werden sie mehr und mehr Wechselwirkungskräfte verspüren und die Moleküle werden häufiger von einem anderen Molekül gebunden sein, als bei hohen Temperaturen, bei denen sie sich ungebunden und frei bewegen. Diese Anziehungskräfte zwischen den Molekülen führt zur Kondensation von gasförmig nach flüssig, und von flüssig nach fest. Falls es also Anziehungskräfte zwischen den Molekülen gibt, dann kommen diese bei tiefen Temperaturen zum Tragen, bei hohen Temperturen überwiegt dagegen die kinetische Energie. Wie tief eine Temperatur sein muss, damit die Wechselwirkung dominiert, hängt von der Stärke der Wechselwirkung ab. Bei Wasser ist der Siedepunkt von 373 K eine tiefe Temperatur, bei Sauerstoff sind es 90 K, bei Stickstoff 77 K, und für das Edelgas Helium sind es 4,5 K. Je tiefer die Kondensationstemperatur, umso schwächer ist die Wechselwirkung zwischen den Molekülen. Oberhalb dieser Kondensationstemperaturen verhalten sich die Gase nahezu ideal. Bei Raumtemperatur ist Stickstoff und Sauerstoff weit weg vom Kondensationspunkt, d.h. Luft verhält sich bei Raumtemperatur nahezu wie ein ideales Gas. gasförmig n re sie en en pf nd am ko rd ve Lerncoach Machen Sie sich noch einmal klar, welche Annahme bei der Modellvorstellung eines idealen Gases gemacht wird. In diesem Kapitel werden wir die Annahme eines idealen Gases fallen lassen und reale Gase mit molekularer Wechselwirkung betrachten. Die Wechselwirkung hat zur Folge, dass Gase mit abnehmender Temperatur kondensieren können und eventuell auch einen festen Zustand annehmen. n 4.4 Änderung des Aggregatzustands fest Schmelzpunktkurve fest-flüssig Druck 1. Tripelpunkt: Hier koexistieren alle drei Phasen. 2. Kritischer Punkt: Dies ist der Endpunkt der Siedepunktkurve. An diesem Punkt können Flüssigkeit und Gas nicht mehr voneinander unterschieden werden. Man spricht dann auch vom überkritischen Zustand. Ihre Dichten haben sich aneinander angenähert und ein Gas kann oberhalb dieses Punktes durch weitere Druckerhöhung auch nicht mehr verflüssigt werden. Die Schmelzpunktkurve hat keinen Endpunkt. Anomalie des Wassers Wegen der Wichtigkeit von Wasser für das Leben wird das Phasendiagramm von Wasser in Abhängigkeit von Druck und Temperatur gesondert diskutiert (Abb. 4.11b). Der Tripelpunkt von Wasser liegt bei 0,01 °C (= 273,16 K) und 0,006 bar, der kritische Punkt bei 374 °C und 128 bar. Bei 1 bar und 100 °C wird die Siedepunktkurve überschritten und flüssiges Wasser geht in Wasserdampf über. Aus dem Phasendiagramm lässt sich eine fundamentale Anomalie des Wassers ablesen, die bei anderen Flüssigkeiten nicht vorkommt: die Steigung der Schmelzpunktkurve ist negativ. Daraus folgt, dass mit zunehmendem Druck die Temperatur, bei der Wasser schmilzt, abnimmt. Darüber hinaus gibt es zwei weitere Anomalien des Wassers, die aber nicht aus dem Phasendiagramm hervorgehen und auf den Seiten 77 und 78 diskutiert werden. Diese betreffen die thermische Ausdehnung von Wasser bzw. Eis und den Dichtesprung beim Schmelzen. KP TP gasförmig Sublimationskurve fest-gasförmig Temperatur a H2O 128 überkritisch KP flüssig fest 1 Klinischer Bezug Lyophilisation (Gefriertrocknung) ist eine Methode, mit der z.B. Nahrungsmittel oder Impfsstoffe haltbar gemacht werden können. Dabei wird die wasserhaltige Substanz schnell eingefroren und das gefrorene Wasser durch Sublimation (also direkt von der festen in die gasförmige Phase) verdampft. Man erreicht das schnelle Verdampfen einer Flüssigkeit (auch einer gefrorenen) dadurch, dass man entweder die Temperatur der Flüssigkeit erhöht und damit auch den Dampfdruck über der Flüssigkeit, oder dass man den äußeren (Luft-)Druck erniedrigt, damit die Teilchen die Flüssigkeit besser und schneller verlassen können. flüssig Siedepunktkurve flüssig-gasförmig MERKE Übergänge: fest→flüssig: Schmelzen flüssig→gasförmig: Verdampfung gasförmig→flüssig: Kondensation flüssig→fest: Erstarrung fest→gasförmig: Sublimation gasförmig→fest: Resublimation Kondensationswärme = Verdampfungswärme Kristallisationswärme = Schmelzwärme überkritisch 4 Wärme, Löslichkeit, Diffusion 0,006 b TP 0 0,01 100 374 T [°C] Abb. 4.11 Druck-Temperatur-Phasen-Diagramm. a Allgemeines Druck-Temperatur-Phasen-Diagramm. b Druck-TemperaturPhasen-Diagramm von Wasser. TP, Tripelpunkt; KP, Kritischer Punkt. Oberhalb des kritischen Punktes spricht man vom überkritischen Zustand. 4.4.3 Sättigungsdampfdruck und Siedepunkt Aus der Siedepunktkurve von Wasser folgt, dass bei 20 °C der Wasserdampfdruck über Wasser im Gleichgewicht 0,023 bar beträgt. Wenn eine halb gefüllte Wasserflasche bei normalem Luftdruck von 1 bar mit einer Kappe abgeschlossen wird, dann stellt sich über der Wasseroberfläche ein Wasserdampf-Partialdruck von 0,023 bar = 23 hPa ein, sodass bei 20 °C der Gesamtdruck in der Flasche im Gleichgewicht 1,023 bar beträgt. Dieser Wasserdampfdruck ist gleichzeitig auch der Sättigungsdampfdruck von Wasser in Luft. Das heißt, mehr Wasserdampf kann Luft bei diesem Druck und dieser Temperatur nicht aufnehmen. Steigt der Wasserdampfdruck bei 20 °C über 23 hPa hinaus, dann wird solange Wasserdampf wieder in flüssiges Wasser umgewandelt, bis wieder ein Wasserdampfdruck von 23 hPa erreicht ist. Mit zunehmender Temperatur steigt der Sättigungsdampfdruck und erreicht bei 100 °C einen Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 4 4.4 Änderung des Aggregatzustands p (bar) 88 4 Wärme, Löslichkeit, Diffusion Rechenaufgabe Aufgabe 4.6: 1 Liter Wasser soll von –100 °C auf 200 °C bei konstantem Druck von 1 bar erhitzt werden. Wie viel Energie wird dazu benötigt? (Lösung S. 226) Bei der Verdampfung von Flüssigkeiten wird der Flüssigkeit Verdampfungsenergie entzogen. Diese kühlt sich dabei ab. Lokale Abkühlung des Gewebes durch Verdampfen von Alkohol wird zur örtlichen Betäubung genutzt. Betäubung durch lokale Unterkühlung wird in der Kryotherapie und Kryochirugie eingesetzt. Entzug der Luftfeuchtigkeit durch Kühlen wird bei der Herstellung von Gewebeschnitten genutzt. 473 200 173 LVerdampfen 100 T [°C] fest + flüssig 373 T [K] fest 273 0 flüssig ✔ ✔ ✔ Check-up Definieren Sie den Tripelpunkt und den kritischen Punkt in einem Phasendiagramm. Warum kocht Wasser auf der Zugspitze bei einer niedrigeren Temperatur als am Nordseestrand? Was ist ein Siedeverzug? Worauf beruht das Phänomen, dass aus einer Druckgasflasche ausströmendes CO2 sofort zu Trockeneis gefriert? flüssig + gasförmig gasförmig –100 ΔQ Abb. 4.12 Temperaturänderung bei konstanter Wärmezufuhr. Temperaturänderung tritt nur in den reinen Phasen fest, flüssig und gasförmig auf. Die Rate der Temperaturänderung (Steigung der Geraden) hängt von der spezifischen Wärmekapazität ab. Die Steigung ist umso größer, je kleiner die Wärmekapazität ist. Beim Übergang von einer Phase in eine andere wird dem System Wärme zugeführt, die dem Schmelzen und der Verdampfung dienen, aber nicht die Temperatur ändert. 4 4.5 Stoffgemische Lerncoach Bevor Sie mit diesem Abschnitt beginnen, vergewissern Sie sich noch einmal über die Begriffe Zustandsgleichung, Partialdruck, Molfraktion, Siedepunkt und Schweredruck von Wasser. Sie werden in diesem Abschnitt neue Begriffe kennen lernen, die Ihnen vielleicht schon aus der Chemie oder Physiologie geläufig sind, wie Löslichkeit und osmotischer Druck. Diese Begriffe stellen wir in den Zusammenhang der bisher über Gase und Flüssigkeiten bereits erfahrenen Eigenschaften. 4.5.1 Überblick Klinischer Bezug LSchmelzen ✔ 89 Im Alltag hat man es selten mit reinen oder idealen Substanzen zu tun. Im folgenden Kapitel erfahren Sie, wie sich Stoffgemische verhalten und welchen Einfluss die einzelnen Komponenten auf das Gesamtgemisch haben. Wir werden feststellen, dass „fremde“ Stoffe in einer Lösung nicht nur eine definierte Löslichkeit haben, sondern auch einen Druck aufbauen, der sich ähnlich wie der Druck in der allgemeinen Gasgleichung verhält. 4.5.2 Molarität Wenn eine Flüssigkeit in Kontakt mit einem Gas bei dem Partialdruck pi und der Temperatur T steht, dann dringt eine bestimmte Menge des Gases in die Flüssigkeit ein und wird dort gelöst. Im Fall von Wasser in Kontakt mit Luft wird Stickstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff molekular im Wasser gelöst. Die Löslichkeit Si in der Flüssigkeit (Lösungsmittel) ist definiert als die Zahl ni der gelösten Mole eines Stoffes i pro Volumen V in der Flüssigkeit, auch Stoffmengenkonzentration oder Molarität genannt: n mol . Si ¼ i ; Einheit: ½S ¼ V l 4.5.3 Löslichkeit Zwischen äußerem Partialdruck pi eines Gases und der Löslichkeit S von Gasmolekülen in der Flüssig- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Druck von 1 bar. In der Wasserflasche herrscht dann ein Gesamtdruck von 2 bar (Prinzip des Druckkochtopfs). In einem offenen System (Topf mit Wasser auf einer Herdplatte) ist der Luftdruck von ca. 1 bar konstant und unabhängig von der Wassertemperatur. Bei 100 °C ist dann der Wasserdampfdruck über dem Wasser gleich groß wie der Luftdruck. Dieser Punkt wird als Siedepunkt bezeichnet. Bei niedrigerem Luftdruck, z.B. auf einem Berg, wird der Siedepunkt bei einer niedrigeren Temperatur erreicht. Beim Fehlen von Kondensationskeimen kann es sowohl zum Siedeverzug kommen, d.h. Wasser kann über 100 °C erhitzt werden, ohne dass es kocht, oder es kann unter 0 °C abgekühlt werden, ohne dass es zu Eis kristallisiert. Überhitzung und Unterkühlung wird durch Kondensationskeime vermieden, z.B. durch raue Oberflächen von Gefäßen. 4.5 Stoffgemische