5/98 Westfälische Wilhelms-Universität Münster Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Direktor: Univ.-Prof. Dr. Dr. O. Schober Schilddrüsenautonomie Was ist eine Schilddrüsenautonomie? Schilddrüsenautonomie ist eine Verselbständigung von Schilddrüsengewebe, welches dann autonom, unabhängig von den Stoffwechselbedürfnissen des Körpers, Schilddrüsenhormon produziert. Wie entsteht die Schilddrüsenautonomie? Um Schilddrüsenhormon herzustellen, benötigt die Schilddrüse Jod. Deutschland ist mit Ausnahme der Meeresküsten ein Jodmangelgebiet. Jodmangel in der Nahrung führt zunächst dazu, daß die Schilddrüse nicht genug Hormon produzieren kann. Zum Ausgleich kommt es zu einem Wachstum der Schilddrüse (sog. Kropf oder Struma). Oft bilden sich in der Schilddrüse Knoten. Schließlich wird Schilddrüsengewebe autonom und produziert unabhängig von der Steuerung durch den Körper Hormon. Wie macht sich die Autonomie bemerkbar? Wärmeproduktion durch den Heizkörper. Der Thermostat im Körper ist die Hirnanhangsdrüse, der Heizkörper die Schilddrüse. Die Hirnanhangsdrüse mißt den Spiegel an Schilddrüsenhormon. Ist dieser zu niedrig, schüttet sie ein ein spezielles Hormon, das sog. TSH, aus, das die Schilddrüse zu vermehrter Produktion von Schilddrüsenhormon veranlaßt. Ist der Schilddrüsenhormonspiegel zu hoch, so schüttet die Hirnanhangsdrüse weniger TSH aus, und die Schilddrüse produziert entsprechend weniger Hormon. Nicht jedoch im Falle einer Schilddrüsenautonomie! In diesem Falle produziert das autonome Schilddrüsengewebe weiter Schilddrüsenhormon, obwohl dies von der Hirnanhangsdrüse gar nicht mehr gewünscht wird. Dies ist so, als stellten Sie in dem Raum zusätzlich eine Ölheizung auf. Brennt die Ölheizung auf kleiner Flamme, wird es trotzdem nicht gleich zu warm werden, denn der Thermostat kann ja noch den Heizkörper drosseln. Dies enspricht der latenten Schilddrüsenüberfunktion, bei der die Schilddrüsenhormonspiegel noch normal sind, aber das TSH bereits erniedrigt ist. Wird die Ölheizung aber hochgestellt oder jemand gießt Öl ins Feuer, so wird es in dem Raum schnell zu heiß, auch wenn der Thermostat den Heizkörper völlig abstellt. Ähnlich ist es bei der Schilddrüse: Nimmt das autonome Gewebe an Größe zu oder wird Jod von außen zugeführt (z. B. Gabe von jodhaltigem Röntgenkontrastmittel), so kann die Stoffwechsellage im Sinne einer manifesten Schilddrüsenüberfunktion entgleisen. Anfangs nur in den Laborwerten, später durch die Symptome einer Schilddrüsenüberfunktion mit innerer Unruhe, Nervosität, Fahrigkeit, Schlafstörungen, Schweißausbrüchen, Unbehaglichkeit in warmen Räumen, Gewichtsverlust trotz gesteigerten Appetits, Durchfällen, Haarausfall. Ältere Patienten haben oft vergleichsweise diskrete Beschwerden und fallen erst durch Herzbeschwerden auf, meist ein Engegefühl im Brustkorb bei psychischer oder körperlicher Belastung (Angina pectoris) oder durch Herzrhythmusstörungen mit schnellem, unregelmäßigem Puls (Vorhofflimmern), oft verbunden mit Luftnot. Was ist bei der Behandlung einer SchildWie funktioniert die Schilddrüsenautonomie? drüsenautononomie zu beachten? Normalerweise wird die Hormonproduktion (1) Unter Jodzufuhr kann es zu u. U. lebensbedrohlichen Entgleisungen der Schilddrüsender Schilddrüse durch die Hirnanhangsdrüse gefunktion kommen. Meiden Sie daher bis zur steuert. Dies funktioniert ähnlich wie die Steueabgeschlossenen Behandlung Ihrer Schildrung einer Heizung: Ein Thermostat mißt die drüsenautonomie jede Jodzufuhr von außen Raumtemperatur und regelt über ein Ventil die in Form von jodiertem Speisesalz, Jodtabletten, Wundsalben, Desinfektionsmitteln und Hustensäften. Sollte sich die Gabe von jodhaltigem Röntgenkontrastmittel nicht vermeiden lassen, so muß bereits vor der Untersuchung die Jodaufnahme in die Schilddrüse medikamentös blockiert werden. (2) Auch eine latente Schilddrüsenüberfunktion sollte behandelt werden, denn sie hat langfristig ungünstige Auswirkungen auf Herz (erhöhtes Risko für Vorhofflimmern und Schlaganfälle) und Knochen (Osteoporose). (3) Eine Schilddrüsenautonomie bildet sich nicht von selbst zurück. Die medikamentöse Behandlung dient nur zur Überbrückung bis zur definiven Behandlung durch Operation oder Radiojod. Die medikamentöse Behandlung Die medikamentöse Behandlung hat die Aufgabe, überbrückend bis zur definitiven Behandlung die Produktion von Hormon durch die Schilddrüse zu drosseln. Man verordnet dazu meist Thiamazol, Carbimazol, seltener Proyplthiourazil oder Natrium-Perchlorat. Die Dosierung dieser Medikamente muß an die aktuelle Schilddrüsenfunktionslage angepaßt werden und erfordert dazu regelmäßige Kontrollen des Blutes durch Ihren Hausarzt. Seltene Nebenwirkungen können dabei sein: (1) Hautausschlag oder Hautjucken (1 - 5 %). Bitte verständigen Sie davon Ihren Arzt. Diese Symptome verschwinden in der Regel nach einem Umsetzen des Medikaments, u. U. auch trotz Fortführung desselben Medikaments. (2) Anstieg der Leberwerte, in der Regel nur vom Arzt anhand einer Blutprobe bemerkt. (3) Verminderung der Zahl der weißen Blutkörperchen. Hinweise können sein: unklares Fieber, Mandel- und Rachenentzündungen. Suchen Sie sofort Ihren Arzt auf, wenn diese Beschwerden auftreten. Ihr Arzt wird dann die Zahl der weißen Blutkörperchen überprüfen und ggf. das Medikament sofort absetzen. Unter Umständen werden Sie in eine Klinik aufgenommen werden, bis sich das blutbildende Knochenmark wieder erholt hat. Definitive Behandlung: Operation oder Radiojod? Ziel beider Verfahren ist, das autonome Schilddrüsengewebe zu entfernen. Bei der Operation wird Schilddrüsengewebe durch einen Hautschnitt am Hals entfernt. Bei der Radiojodbehandlung schluckt der Patient eine Kapsel mit einer genau berechneten Menge an radioaktivem Jod. Dieses wird dann vor allem von dem autonomen Gewebe in der Schilddrüse angereichert und verursacht innerhalb von ca. einer Woche eine in der Regel symptomlose Entzündung des autonomen Schilddrüsengewebes, im Gefolge derer der Körper das autonome Schilddrüsengewebe vernarbt bzw. schrumpft. Vorteile der Schilddrüsenoperation sind: (1) Sofortige Beseitigung der Schilddrüsenüberfunktion. (2) Wirksame Verkleinerung großer Schilddrüsen. (3) Abklärung von Knoten in der Schilddrüse. Nachteile: (1) In ca. 1 4 % Beschädigung eines oder beider Stimmbandnerven mit der Folge einer heiseren, tonlosen Stimme (wichtiger Gesichtspunkt für Patienten mit sprechenden Berufen!). (2) In ca. 1 % Schädigung der Nebenschilddrüsen mit der Folge eines zu niedrigen Blutkalziumspiegels, der eine u. U. lebenslange Behandlung mit Kalziumtabletten und Vitamin-D-Präparaten erfordert. Vorteile der Radiojodbehandlung sind: (1) Schonende Behandlung ohne Wundschmerz und Narkoserisiko. (2) Selektive Bestrahlung des überaktiven autonomen Gewebes unter weitgehender Schonung des normalen Gewebes. Eine Schilddrüsenunterfunktion als Folge der Radiojodbehandlung ist daher selten. (3) Wiederholbarkeit, bis zu drei und mehr Behandlungen sind möglich, auch nach vorausgegangener Schilddrüsenoperation. Nachteile: (1) Wirkungseintritt erst nach ein bis drei Monaten, und nicht immer schon nach der ersten Behandlung. (2) Eine Schwangerschaft sollte innerhalb des der ersten sechs Monate nach Behandlung vermieden werden. (3) Nur begrenzte Verkleinerung der Schilddrüse. (4) Eine Erhöhung des Krebsrisikos wurde zwar immer wieder diskutiert, konnte jedoch trotz Behandlung großer Patientenzahlen seit Beginn der 50er Jahre bis heute nicht belegt werden. © WWU Münster 1998