Schilddrüsenautonomie

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Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
Direktor: Univ.-Prof. Dr. Dr. O. Schober
Schilddrüsenautonomie
Was ist eine Schilddrüsenautonomie?
Schilddrüsenautonomie ist eine Verselbständigung von Schilddrüsengewebe, welches dann
„autonom“, unabhängig von den Stoffwechselbedürfnissen des Körpers, Schilddrüsenhormon
produziert.
Wie entsteht die Schilddrüsenautonomie?
Um Schilddrüsenhormon herzustellen, benötigt die Schilddrüse Jod. Deutschland ist mit Ausnahme der Meeresküsten ein Jodmangelgebiet.
Jodmangel in der Nahrung führt zunächst dazu,
daß die Schilddrüse nicht genug Hormon produzieren kann. Zum Ausgleich kommt es zu einem
Wachstum der Schilddrüse (sog. „Kropf“ oder
„Struma“). Oft bilden sich in der Schilddrüse
Knoten. Schließlich wird Schilddrüsengewebe
„autonom“ und produziert unabhängig von der
Steuerung durch den Körper Hormon.
Wie macht sich die Autonomie bemerkbar?
Wärmeproduktion durch den Heizkörper. Der
Thermostat im Körper ist die Hirnanhangsdrüse,
der Heizkörper die Schilddrüse. Die Hirnanhangsdrüse mißt den Spiegel an Schilddrüsenhormon.
Ist dieser zu niedrig, schüttet sie ein ein spezielles Hormon, das sog. TSH, aus, das die Schilddrüse zu vermehrter Produktion von Schilddrüsenhormon veranlaßt. Ist der Schilddrüsenhormonspiegel zu hoch, so schüttet die Hirnanhangsdrüse weniger TSH aus, und die Schilddrüse
produziert entsprechend weniger Hormon.
Nicht jedoch im Falle einer Schilddrüsenautonomie! In diesem Falle produziert das autonome Schilddrüsengewebe weiter Schilddrüsenhormon, obwohl dies von der Hirnanhangsdrüse
gar nicht mehr gewünscht wird. Dies ist so, als
stellten Sie in dem Raum zusätzlich eine Ölheizung auf. Brennt die Ölheizung auf kleiner Flamme, wird es trotzdem nicht gleich zu warm werden, denn der Thermostat kann ja noch den Heizkörper drosseln. Dies enspricht der „latenten“
Schilddrüsenüberfunktion, bei der die Schilddrüsenhormonspiegel noch normal sind, aber das
TSH bereits erniedrigt ist. Wird die Ölheizung
aber hochgestellt oder jemand gießt Öl ins Feuer, so wird es in dem Raum schnell zu heiß, auch
wenn der Thermostat den Heizkörper völlig abstellt. Ähnlich ist es bei der Schilddrüse: Nimmt
das autonome Gewebe an Größe zu oder wird
Jod von außen zugeführt (z. B. Gabe von jodhaltigem Röntgenkontrastmittel), so kann die Stoffwechsellage im Sinne einer „manifesten“ Schilddrüsenüberfunktion entgleisen.
Anfangs nur in den Laborwerten, später durch
die Symptome einer Schilddrüsenüberfunktion
mit innerer Unruhe, Nervosität, Fahrigkeit,
Schlafstörungen, Schweißausbrüchen, Unbehaglichkeit in warmen Räumen, Gewichtsverlust trotz
gesteigerten Appetits, Durchfällen, Haarausfall.
Ältere Patienten haben oft vergleichsweise diskrete Beschwerden und fallen erst durch Herzbeschwerden auf, meist ein Engegefühl im Brustkorb bei psychischer oder körperlicher Belastung
(Angina pectoris) oder durch Herzrhythmusstörungen mit schnellem, unregelmäßigem Puls (Vorhofflimmern), oft verbunden mit Luftnot.
Was ist bei der Behandlung einer SchildWie funktioniert die Schilddrüsenautonomie? drüsenautononomie zu beachten?
Normalerweise wird die Hormonproduktion (1) Unter Jodzufuhr kann es zu u. U. lebensbedrohlichen Entgleisungen der Schilddrüsender Schilddrüse durch die Hirnanhangsdrüse gefunktion kommen. Meiden Sie daher bis zur
steuert. Dies funktioniert ähnlich wie die Steueabgeschlossenen Behandlung Ihrer Schildrung einer Heizung: Ein Thermostat mißt die
drüsenautonomie jede Jodzufuhr von außen
Raumtemperatur und regelt über ein Ventil die
in Form von jodiertem Speisesalz, Jodtabletten, Wundsalben, Desinfektionsmitteln
und Hustensäften. Sollte sich die Gabe von
jodhaltigem Röntgenkontrastmittel nicht vermeiden lassen, so muß bereits vor der Untersuchung die Jodaufnahme in die Schilddrüse medikamentös blockiert werden.
(2) Auch eine „latente“ Schilddrüsenüberfunktion
sollte behandelt werden, denn sie hat langfristig ungünstige Auswirkungen auf Herz (erhöhtes Risko für Vorhofflimmern und Schlaganfälle) und Knochen (Osteoporose).
(3) Eine Schilddrüsenautonomie bildet sich nicht
von selbst zurück. Die medikamentöse Behandlung dient nur zur Überbrückung bis zur
definiven Behandlung durch Operation oder
Radiojod.
Die medikamentöse Behandlung
Die medikamentöse Behandlung hat die Aufgabe, überbrückend bis zur definitiven Behandlung
die Produktion von Hormon durch die Schilddrüse zu drosseln. Man verordnet dazu meist
Thiamazol, Carbimazol, seltener Proyplthiourazil
oder Natrium-Perchlorat. Die Dosierung dieser
Medikamente muß an die aktuelle Schilddrüsenfunktionslage angepaßt werden und erfordert
dazu regelmäßige Kontrollen des Blutes durch
Ihren Hausarzt.
Seltene Nebenwirkungen können dabei sein:
(1) Hautausschlag oder Hautjucken (1 - 5 %).
Bitte verständigen Sie davon Ihren Arzt. Diese
Symptome verschwinden in der Regel nach
einem Umsetzen des Medikaments, u. U. auch
trotz Fortführung desselben Medikaments.
(2) Anstieg der Leberwerte, in der Regel nur vom
Arzt anhand einer Blutprobe bemerkt.
(3) Verminderung der Zahl der weißen Blutkörperchen. Hinweise können sein: unklares Fieber, Mandel- und Rachenentzündungen. Suchen Sie sofort Ihren Arzt auf, wenn diese
Beschwerden auftreten. Ihr Arzt wird dann
die Zahl der weißen Blutkörperchen überprüfen und ggf. das Medikament sofort absetzen. Unter Umständen werden Sie in eine Klinik aufgenommen werden, bis sich das blutbildende Knochenmark wieder erholt hat.
“Definitive” Behandlung: Operation oder
Radiojod?
Ziel beider Verfahren ist, das autonome
Schilddrüsengewebe zu entfernen. Bei der Operation wird Schilddrüsengewebe durch einen
Hautschnitt am Hals entfernt. Bei der
Radiojodbehandlung schluckt der Patient eine
Kapsel mit einer genau berechneten Menge an
radioaktivem Jod. Dieses wird dann vor allem von
dem autonomen Gewebe in der Schilddrüse angereichert und verursacht innerhalb von ca. einer
Woche eine in der Regel symptomlose Entzündung des autonomen Schilddrüsengewebes, im
Gefolge derer der Körper das autonome Schilddrüsengewebe vernarbt bzw. schrumpft.
Vorteile der Schilddrüsenoperation sind: (1)
Sofortige Beseitigung der Schilddrüsenüberfunktion. (2) Wirksame Verkleinerung großer
Schilddrüsen. (3) Abklärung von Knoten in der
Schilddrüse. Nachteile: (1) In ca. 1 – 4 % Beschädigung eines oder beider Stimmbandnerven
mit der Folge einer heiseren, tonlosen Stimme
(wichtiger Gesichtspunkt für Patienten mit „sprechenden“ Berufen!). (2) In ca. 1 % Schädigung
der Nebenschilddrüsen mit der Folge eines zu
niedrigen Blutkalziumspiegels, der eine u. U. lebenslange Behandlung mit Kalziumtabletten und
Vitamin-D-Präparaten erfordert.
Vorteile der Radiojodbehandlung sind: (1)
Schonende Behandlung ohne Wundschmerz und
Narkoserisiko. (2) Selektive Bestrahlung des
überaktiven autonomen Gewebes unter weitgehender Schonung des normalen Gewebes. Eine
Schilddrüsenunterfunktion als Folge der
Radiojodbehandlung ist daher selten. (3) Wiederholbarkeit, bis zu drei und mehr Behandlungen
sind möglich, auch nach vorausgegangener
Schilddrüsenoperation. Nachteile: (1) Wirkungseintritt erst nach ein bis drei Monaten, und nicht
immer schon nach der ersten Behandlung. (2) Eine
Schwangerschaft sollte innerhalb des der ersten
sechs Monate nach Behandlung vermieden werden. (3) Nur begrenzte Verkleinerung der Schilddrüse. (4) Eine Erhöhung des Krebsrisikos wurde zwar immer wieder diskutiert, konnte jedoch
trotz Behandlung großer Patientenzahlen seit
Beginn der 50er Jahre bis heute nicht belegt werden.
© WWU Münster 1998
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