Biologie Lernen Seite 1 VORSSA 2009/CK Nervensystem, Gedächtnis, Lernen, Wissen & Erinnerung Lernen ist ein lebenslanger Prozess, durch den sich das Wissen über uns, unsere Umwelt und unsere Mitmenschen verändert und entwickelt. Lernvorgänge verändern unser Nervensystem, die Rindenfelder des Gehirns vergrössern sich durch das Lernen. Gedächtnis heisst die Fähigkeit, Wissen zu bewahren und es wieder aufzurufen. Es ist kein Ding, sondern ein Vorgang. Unser Gedächtnis ist keine exakte Kopie der Reizumwelt, sondern vielerlei Einflüssen unterworfen. 1. Das Nervensystem Das Nervensystem steuert zusammen mit dem Hormonsystem den Gesamtorganismus. Es regelt die Tätigkeit der Eingeweide und der Atmungsorgane ebenso wie die der Skelettmuskulatur oder der Fortpflanzungsorgane. Es arbeitet sehr schnell, im Bereich von Millisekunden. Das Nervensystem dient der Verständigung mit der Umwelt und dem Körperinnen und sorgt für eine schnelle Anpassung des Gesamtorganismus an Veränderungen in der Aussenwelt und im Körperinnern. Die Steuerung durch das Nervensystem kann dabei bewusst oder unbewusst erfolgen. Das Nervensystem erfüllt zudem so genannte höhere Funktionen, z.B. in Form von Speicherung von Erfahrungen (Gedächtnis), der Entwicklung von Vorstellungen (Denken) und von Gefühlen (Emotionen), die in die Steuerungstätigkeit eingehen. 1.1. Gliederung des Nervensystems Das Nervensystem besteht aus dem zentralen Nervensystem (ZNS) und dem peripheren Nervensystem (PNS). Das ZNS setzt sich aus Gehirn und Rückenmark zusammen, es ist das Steuerzentrum, in dem Informationen aus dem Körper und der Aussenwelt verarbeitet werden. Das PNS stellt hauptsächlich eine Verkabelung in Form von Nerven zwischen ZNS und peripheren Organen her. Es leitet die Informationen (Erregungen) aus dem Körper zum ZNS und umgekehrt die Steuerbefehle aus dem ZNS in periphere Organe. Nach Funktion werden das autonome und das somatische Nervensystem unterschieden. Das autonome (vegetative) Nervensystem ist im nächsten Kapitel beschrieben: es steuert die Eingeweidetätigkeit und funktioniert weitgehend unbewusst. Das somatische Nervensystem innerviert die Skelettmuskulatur und dient der bewussten Wahrnehmung von Sinneseindrücken. Die beiden Nervensysteme sind funktionell miteinander verflochten. So kommt es etwa beim Riechen einer schmackhaften Speise (somatisch) zu Speichelfluss (autonom). 1.2. Das vegetative Nervensystem Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Du wirst von jemandem unvermutet auf eine nicht ganz so angenehme Art angemacht. Ergebnis: Du wirst rot! Warum? Die einfache Begründung: du würdest am liebsten weglaufen! Um aber weglaufen zu können, müsstest du deine Muskeln bewegen. Damit sie sich bewegen können, ist eine intensivere Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff notwendig. Dazu muss mehr Blut zu allen Muskeln des Körpers transportiert werden. Äusserlich sichtbar wird dies durch eine Rötung der Haut. Biologie Lernen Seite 2 VORSSA 2009/CK Viele Stoffwechselvorgänge in unserem Organismus werden offensichtlich ohne unseren Willen beeinflusst: Atemorgane, Herz, Kreislauf. Drüsen aber auch Verdauungs‐ und Ausscheidungsorgane funktionieren auf diese Weise. Das Nervensystem, das diese Vorgänge regelt heisst vegetatives Nervensystem. "Das Herz schlägt mir bis zum Halse! ‐ "Das Herz blieb mir glatt stehen! ‐ zwei völlig entgegen gesetzte Aussagen. Doch sie sind bezeichnend für die Wirkungsweise des vegetativen Nervensystems. Es wird in zwei Hauptteile gegliedert: Sympaticus und Parasympaticus. Beide sind Gegenspieler (Antagonisten) und wirken doch in jedem Moment unseres Lebens zusammen. Der Sympathicus oder das sympathische System wirkt auf alle Organe, deren Tätigkeit die körperliche Leistungsfähigkeit steigern, hemmt zugleich die anderen Organe, so dass der Energieverbrauch zunimmt. Der Parasympathicus als Gegen‐ oder Mitspieler unterstützt die Energieeinsparung. Er wirkt aktivierend auf die Organe, die der Erholung, der Energieeinsparung und dem Körperaufbau dienen. Er hemmt alle anderen Organe, wirkt also beruhigend bzw. hemmend. Ein Beispiel: Beim Laufen benötigt der Körper mehr Sauerstoff und Nährstoffe. Deshalb erhöhen sich der Herzschlag und die Anzahl der Atemzüge. Die Blutgefässe weiten sich, so dass die benötigten Stoffe schnell zu den Muskeln gelangen können (sympathisches System gehemmt). Dazu wird auch Blut von anderen Organen wie Darm und Drüsen abgezogen. Diese arbeiten jetzt nur vermindert (parasympathisches System arbeitet). Während einer Ruhepause kehrt sich alles um. Herztätigkeit und Atmung verlangsamen sich, die Darm‐ und Drüsentätigkeit wird reger. Jetzt kann die verbrauchte Energie wieder ersetzt werden. 1.3. Bau der Nervenzellen Nervenzellen (Neuronen) sind zur Erregungsbildung – aufnahme und – keitung fähig. Sie sind hoch spezialisiert und können sich nicht mehr teilen. Nervenzellen stehen untereinander oder mit anderen Zielzellen, z.B. Muskel‐ oder Drüsenzellen über spezifische Kommunikationskontakte in Verbindung, die Synapsen. Nervenzellen bestehen aus dem kernhaltigen Zellkörper und Fortsätzen, die der Signalleitung und Verschaltung dienen. Die Zellkörper sind unterschiedlich gross und bestehen aus Zellkern und Zytoplasma. Bei den Fortsätzen werden zwei Typen unterschieden, Dendrit und Axon. Der Dendrit ist der zuführende Schenkel einer Nervenzelle, über ihn nimmt die Nervenzelle Erregungen auf, die dann auf die übrigen Abschnitte der Nervenzelle weitergeleitet werden. Er besitzt meist einen stammförmigen Ursprung, der sich baumartig in unterschiedlich viele Äste verzweigt. Das Axon (der Neurit) ist der ableitende Schenkel einer Nervenzelle, d.h. dass eine Erregung über das Axon weiterbefördert wird. Jede Nervenzelle besitzt nur ein Axon, das aber im weiteren Verlauf Seitenäste (Kollateralen) abgibt. Axone sind sehr dünn, aber sie können über 1m lang sein, z.B. vom Gehirn zum Rückenmark. Bei Verletzung, z.B. Durchtrennung, können sich die Axone des peripheren Nervensystems unter geeigneten Bedingungen wieder regenerieren. Dies ist im ZNS nicht möglich. Biologie Lernen Seite 3 VORSSA 2009/CK 1.4. Erregungsleitung in den Nervenzellen Die Erregungsleitung ist ein komplizierter elektrochemischer Prozess, hier auf das Wesentliche reduziert: Ruhepotential (Ruhespannung): An Innen‐ und Aussenseite der Zellmembranen beefinden sich verschiedene Ionen (= geladene Teilchen) in unterschiedlichen Konzentrationen. Normalerweise befinden sich aussen an der Zellmembran mehr positiv (+) geladene Ionen, innen mehr negative (‐). Durch die unterschiedliche Verteilung entsteht eine Spannung zwischen innen und aussen, das Ruhepotential. Wie stark diese Ruhespannung ist, hängt von der Konzentration und der Ladung der verschiedenen Ionen ab. Es ist eine Art zelluläre Batterie ‐ diese kann für verschiedene Vorgänge benutzt werden, sie würde sich aber über die Zeit hinweg langsam entladen. Um dieser Entladung entgegenzuwirken, also um die ungleiche Ionenverteilung aufrecht zu erhalten, sind in den Zellmembranen sogenannte Natrium‐Kalium‐Pumpen vorhanden: Sie pumpen Ionen gegen ihre bevorzugte konzentrationsabhängige Flussrichtung wieder zurück (Natrium raus und Kalium rein). Interessant ist: 30% ‐ 70% der gesamten vorhandenen Energie in einem Organismus werden für diese Ionenpumpen benötigt (also etwa die Hälfte deiner Ernährung dient dem Betrieb dieser Pumpen). Aktionspotential: Nervenzellen werden durch Reize aktiviert (Druck, Licht, Schall, Temperatur etc.). Überschreitet ein elektrischer Reiz einen bestimmten Schwellwert, so wird nach dem „Alles oder Nichts Prinzip“ ein Aktionspotential ausgelöst. Dabei werden die Na+ (Natrium) Kanäle der Membran schlagartig sehr durchlässig und es fliesst Na+ in die Zelle hinein. Am Höhepunkt dieser sog. Polarisation schliessen die Na+ Kanäle wieder und es stellt sich das ursprüngliche Membranpotential wieder ein. Bei dieser Spannungsänderung fliessen also kurzfristig sehr viele +‐Ionen nach innen. Dort begegnen sie entgegengesetzt geladenen Ionen und sie beginnen entlang entlang der Membran der Nervenzellfortsätze (Axone) zu wandern. Eine Kettenreaktion, welche den weiteren Austausch von Ionen bewirkt. Ein konkretes Beispiel: Druckrezeptoren merken, dass eine Fliege auf deiner Haut sitzt, sie wandeln diesen Druckreiz in einen elektrischen Reiz um ‐ dieser wird dann von Neuronen weitergegeben bis ins Gehirn. Für diese Wanderung werden unzählige Aktionspotentiale hergestellt, da jedes AP nur sehr lokal ist (vergleichbar mit Dominosteinen). Das subjektive Gefühl "Fliege" entsteht erst durch unzählige APs von unzählig vielen Rezeptoren, deren gesamte ankommende Info im Gehirn dann zu einem Sinneseindruck verarbeitet werden. 1.5. Die Synapsen Das Aktionspotential kann nicht so einfach von einer Zelle auf eine andere „springen“. Hierzu bedarf es spezieller Kontakte zwischen Nervenzellen, bzw. zwischen Nervenzelle und Zielzelle: der Synapsen. Synapsen befinden sich zwischen Nervenzellen, zwischen Nervenzellen und Muskelzellen und zwischen Nervenzellen und Drüsenzellen. Biologie Lernen Seite 4 An den Synapsen wird das ankommende elektrische Signal durch einen chemischen Überträgerstoff weitergeleitet. Es gibt eine grosse Zahl von Überträgerstoffen (Neurotransmittern), die Synapsen werden meist nach dem benutzten Transmitter benannt. Die Erregungsübertragung an der Synapse erfolgt so: erreicht ein Aktionspotential ein Endköpfchen (Terminale), so verschmelzen synaptische Bläschen (Vesikel) mit der präsynaptischen Membran und der Neurotansmitter wird in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. Der Neuro‐transmitter bindet an Rezeptoren der postsynap‐ tischen Memban und verändert deren Ionendurchlässigkeit. Synapsen können erregend oder hemmend wirken. Im PNS umhüllen so genannte Schwann‐Zellen die Abschnitte eines Axons. Das ist eine Hülle aus Membranwicklungen, welche als Myelinscheide bezeichnet wird. Jeweils zwischen zwei benachbarten Schwann‐Zellen entsteht ein schmaler myelinfreier Spaltraum, der sogenannte Ranvier‐Knoten. Die Aktionspotentiale werden entlang des Axons weitergeleitet, dabei wird das Axon nicht in seiner gesamten Länge gleichzeitig depolarisiert, sondern das Aktionspotenzial schreitet entlang des Axons vorwärts. Bei den nicht myelinisierten Nervenfasern muss das ganze Axon Abschnitt für Abschnitt depolarisiert werden, das Aktionspotenzial kommt nur langsam voran, die Leitungsgeschwindigkeit ist mit ca. 1m/s niedrig. Bei myelinisierten Nervenfasern hingegen springt das Aktionspotenzial von Ranvier‐ zu Ranvierknoten (saltatorische Erregungsleitung), da die Myelinscheiden isolierend wirken. Solche Nervenfasern leiten sehr schnell, bis zu 90m/s (siehe Abb. S. 3 „saltatorische Erregungsleitung). Die Multiple Sklerose ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen des ZNS. Wahrscheinlich autoimmun mitbedingt werden die Myelinscheiden in umschriebenen Bereichen zerstört (Entmarkungsherde) und dadurch die Erregungsleitung beeinträchtigt. Häufigste neurologische Ausfälle sind Augenmuskellähmungen, Taubheitsgefühl oder Missempfindungen an den Extremitäten und Lähmungen, v.a. der unteren Extremitäten. 1.6. Netzwerk Gehirn Das Speichermedium sind die Nervenzellen des Gehirns und ihre Verbindungen untereinander. Es gibt 100 Milliarden dieser Zellen, und jede einzelne ist mit bis zu 10 000 anderen verbunden. Das Gehirn ist also im Prinzip ein gigantisches Kabelnetz mit mehreren 100 000 Kilometern Länge. In der Grauen Substanz (Grosshirnrinde) befinden sich vor allem die Zellkörper und Verbindungen, in der weissen Substanz die ab‐ und zuleitenden „Kabel“. VORSSA 2009/CK Biologie Lernen Seite 5 VORSSA 2009/CK 1.7. Die Wirkung von Drogen 1.7.1. Belohnungszentren Das Belohnungssystem unseres Gehirns ist normalerweise dafür zuständig, die Ausführung überlebensnotwendiger Verhaltensweisen wie Essen, Trinken, Sexualität zu belohnen. Bestimmte Regionen unseres Gehirns enthalten Nervenzellen, die den Überträgerstoff Dopamin produzieren. Bei den oben erwähnten Verhaltensweisen wird vermehrt Dopamin ausgeschüttet. Das bewirkt, dass eine positive psychische Stimmung erzeugt wird, die durch ein allgemeines Gefühl des Wohlbefindens, durch Euphorie, verminderte Müdigkeit und erhöhte Aufmerksamkeit gekennzeichnet ist. Neben Dopamin gibt es viele weitere Transmitter, die auch unsere Stimmungen und Gefühle beeinflussen. 1.7.2. Die Wirkung von Drogen Die meisten stimmungserhellenden Drogen greifen entweder direkt oder indirekt über andere Nervenzellen und Transmitter in das Belohnungssystem ein. Dies führt kurzfristig zu erhellter Stimmung und Wohlgefühl, langfristig können jedoch gravierende Störungen auftreten, da die Nervenzellen durch die Fremdsubstanz in ihrer normalen Funktion gestört werden. Halluinogene rufen Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen hervor. Häufig ähnelt ihre Struktur einem bestimmten Transmitter, den sie deshalb ersetzen und damit die Funktion der Nervenzellen stören können. Das Rauschgift Mescalin z.B. ähnelt dem Transmitter Dopamin. 2. Gedächtnismodelle Erste Erkenntnisse über unser Gedächtnis hat man bei Menschen gewonnen, welche wegen einer schweren Hirnerschütterung ohne Bewusstsein waren und sich danach an Ereignisse kurz nach dem Unfall nicht mehr erinnerten (retrograde Amnesie). An länger zurückliegende Ereignisse erinnern sich die Patienten hingegen gut. Diese Beobachtung und viele weitere Untersuchungen führten zur Annahme, dass unser Gedächtnis auf verschiedenen Ebenen funktioniert. 2.1. Ultrakurzzeitgedächtnis (sensorischer Speicher) Alle Umweltinformationen gelangen als Sinnesreize über unsere Sinnesorgane zum Gehirn. Der sensorische Speicher wirkt wie ein Sieb – die meisten Informationen gehen von uns unbemerkt wieder verloren, weil sie für uns nicht wesentlich sind. Der sensorische Speicher hält Wahrnehmungen weniger als eine Sekunde fest. 2.2. Das Kurzzeitgedächtnis Das Vorzimmer unseres Gedächtnisses ist so konstruiert, dass der neue Inhalt ziemlich unverändert mit allen wichtigen und unwichtigen Details wie ein Foto erhalten bleibt. Diesen Luxus kann sich unser Gehirn allerdings nur recht kurze Zeit leisten. Schnell muss entschieden werden, ob das eben in unser Bewusstsein Getretene einer dauerhaften Speicherung wert ist oder nicht. Die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses beträgt etwa 7 ± 2 Sinneinheiten (Informationspakete), die bis max. eine Minute gespeichert werden. Man geht davon aus, dass die Inhalte des Kurzzeit‐gedächtnisses als kurz anhaltende Veränderungen an den Synapsen oder als zirkulierende Erregungen in den Neuronen gespeichert werden. Sprachliche Informationen werden im so genannten phonologischen Kurzzeitgedächtnis gespeichert und zwar unabhängig davon, ob sie visuell oder akustisch angeliefert worden sind. Demgegenüber werden nicht sprachliche visuelle Informationen im visuellen Kurzzeitgedächtnis gespeichert. Deshalb kann eine Erhöhung der Speichermöglichkeit erreicht werden, wenn Information kombiniert sprachlich und graphisch dargestellt wird. 2.3. Langzeitgedächtnis Das Langzeitgedächtnis hat die Fähigkeit, die Vergangenheit zu erinnern und die Gegenwart zu verstehen. Die Inhalte des Langzeitgedächtnisses werden – vereinfacht gesagt ‐ in Form von Verbindungen zwischen Neuronen gespeichert (also als Hirnstruktur). Deshalb hat es eine unbegrenzte Speicherdauer und eine fast unbegrenzte Kapazität. Biologie Lernen Seite 6 VORSSA 2009/CK Wenn eine Information vom Kurzzeitgedächtnis in die dauerhafte Form des Langzeitgedächtnisses übergeführt wird, laufen in unserem Gehirn intensive Umbauprozesse ab, Nervenzellen wachsen, bilden neue Verzweigungen, sodass als letzte Folge eines intensiven Lernprozesses die Grosshirnrinde dicker wird. Diese dauerhaften Veränderungen, diese Wachstums‐ und Differenzierungsprozesse benötigen viele Stunden, Tage bis Wochen. Das eigentliche Einspeichern beginnt erst, wenn wir selbst aufgehört haben, uns mit den Lerninhalten bewusst zu befassen und läuft über längere Zeit hinweg weiter, während wir längst ganz anderes tun! Das Hirn lernt länger als das Bewusstsein. 2.4. Praktische Folgerungen für unser Lernverhalten Was bedeutet das für unser Lernverhalten? Je ungestörter wir nach dem Lernen bleiben, umso besser wird die neue Information ins Langzeitgedächtnis übertragen. Am besten wäre es daher, im Anschluss an eine intensive Lernphase überhaupt nichts zu tun, oder noch besser: einzuschlafen. Sehr nützlich ist die Abendwiederholung. Wir heben uns besonders widerspenstige Gedächtnisinhalte für den Abend auf ‐ höchstens 3 bis 4 Kerninformationsblöcke! ‐ und wiederholen sie ein letztes Mal im Bett unmittelbar vor dem Einschlafen. Eine solche Spätwiederholung wird eine ganz besondere Einprägungswirkung besitzen. Vor einer Prüfung zu schlafen bringt mehr als die Nacht durchzubüffeln. Die Forscher nehmen an, dass bei Tieren und beim Menschen das Gehirn während Tiefschlafphasen besonders plastisch ist und Gelerntes festschreibt. 2.5. Erinnerungen sind überall Warum kann man eine Erinnerung manchmal noch nach Jahrzehnten aktivieren? Die Wissenschaftler vermuten, dass bei dauerhaften Erinnerungen eine Vielzahl von Nervenzellenkreisen beteiligt ist. Die Verbindungen zwischen den beteiligten Nervenzellen werden durch häufige Aktivierung verstärkt und stabilisiert. Erinnerungen sind also immer durch Netzwerke vieler Nervenzellen festgehalten. Das Gedächtnis betreibt Arbeitsteilung. Beispiel: du suchst deinen verlegten Bleistift. Die Informationen über die Farbe, Form und Funktion des Stifts sind an jeweils verschiedenen Orten im Gehirn gespeichert. Sie scheinen den Gehirnregionen zugeordnet zu sein, die auch für die Wahrnehmung der entsprechenden Eigenschaft zuständig sind. So wird die Farbe des Stifts an einem anderen Ort verarbeitet als zum Beispiel die zylindrische Form. Das Bleistift entspricht im Gehirn einer ganz bestimmten Kombination vieler Nervenzellen, die gemeinsam feuern. Durch die gemeinsame elektrische Aktivität entsteht ein Muster im Gehirn, das den Bleistift repräsentiert. Gesichter, Gegenstände, Telefonnummern ‐ für alles gibt es ein spezielles Muster von Nervenzellen, die gemeinsam aktiv sind. Die Funktionalität des Langzeitgedächtnisses besteht aus zwei Teilen. Erstens können wir Dinge wieder Biologie Lernen Seite 7 VORSSA 2009/CK erkennen und zweitens sind zu diesen Dingen eine Vielzahl von Beziehungen abgespeichert, z.B. "ist Teil von" oder von "ist ein", sowie Abfolgen von Ereignissen, Ziffern etc. Nicht nur das Lernen, sondern auch das Behalten komplexer Konzepte wird erleichtert, wenn geeignete Vorbildung vorhanden ist. Wir assoziieren glücklicherweise Erfahrungen und Wissen aus dem Langzeitspeicher mit den zu merkenden Informationen und öffnen so weitere Abrufpfade. Deshalb wird das Lernen immer einfacher, je mehr wir in die Tiefe gehen. Und deshalb ist es so wichtig, neue Inhalte mit schon bekannten Phänomenen zu verknüpfen und zu Fakten immer eine Erläuterung oder Begründung mitzuliefern. 3. Modell des „dreieinigen Gehirns“ (Paul D. MacLean) 3.1. Entwicklungsgeschichtliche Einteilung des Hirns in drei Bereiche Das Stammhirn (im Bild als Mittel‐ und Nachhirn bezeichnet) ist unser ältester Hirnteil. Er ist das Zentrum angeborener Steuerungen und Instinkte. Biologische Vorgänge wie Stoffwechsel, Blutkreislauf, Herzschlag, Atmung, Schlaf werden ihm zugeschrieben, aber auch Verhaltensprogramme zum Überleben: Nahrungssuche, Fortpflanzung, Brutpflege, territoriale Ansprüche usw. Es ist vergangenheitsbezogen und kann nicht lernen. Das Zwischenhirn (Limbisches System) ist gegenwartsbezogen. Emotionen und Verhalten haben hier ihren Sitz. Wir können aus Erfahrungen lernen und uns entscheiden. Es ist der Teil des Gehirns, das dafür zuständig ist, ob du dich gut oder schlecht fühlst. Die Bedeutung für das Lernen ist einfach: Damit Informationen wirksam gelernt, im Langzeitgedächtnis gespeichert und wieder abgerufen werden können, müssen sie emotional beladen sein. Was du spannend findest, bleibt haften. Das Grosshirn (Neocortex) ist der Sitz der höheren geistigen Funktionen. Hier läuft geplantes, vorausschauendes Denken ab. Es ist zukunftsbezogen. Sprache, Logik, Vorstellungsvermögen, das Erkennen von Form und Gestalt gehören ins Grosshirn ebenso wie die Fähigkeit zur Abstraktion, zum Arbeiten mit Modellen, Analogien, Mustern. Dieser Teil verarbeitet die Informationen bewusst. 3.2. Praktische Folgerungen für unser Lernverhalten Es wird deutlich, dass nur der limbische Teil unseres Gehirns und das Grosshirn lernfähig sind. Wichtig für uns zu wissen ist, dass die Bedürfnisse des Stammhirns zuerst befriedigt werden müssen, bevor das Limbische System zufrieden gestellt ist, und dieses wiederum befriedigt sein muss, bevor das Grosshirn richtig aktiviert werden kann. Dieses Modell erklärt also die Tatsache, dass zum Beispiel jemand, der den Drang verspürt, sofort auf das WC zu müssen, nicht lernen kann. und warum wir in einer entspannten, stressfreien, angenehmen Atmosphäre viel besser lernen können. 4. Eine Lerntechnik ­ Biologie Lernen Seite 8 VORSSA 2009/CK Karteikartenlernen Karteikartenlernprogramme arbeiten nach dem Prinzip der gesteuerten Wiederholung. Man versucht, mit möglichst wenigen Wiederholungen eine möglichst langfristige Behaltensleistung zu erreichen. Es soll damit vermieden werden, dass Wiederholungen zu früh erfolgen (Zeitverschwendung) oder zu spät erfolgen (Vergessen und ebenfalls Zeitverschwendung durch Neulernen). Das Lernen mit Lernkarteikarten beruht auf drei Grundprinzipien: Man beschriftet die Karteikarte vorne mit einer Frage (Problemstellung) und hinten mit einer Antwort (Lösung). Das Lernen erfolgt nach dem Drehprinzip. Man liest die Vorderseite, dreht die Karte, liest die Rückseite und merkt sich diese. Beim wiederholten Lernen versucht man, sich an die Rückseite zu erinnern, bevor man die Karte zur Kontrolle umdreht. Während des Wiederholens kann man die Karten sortieren. Die Karten, an deren Rückseite man sich richtig erinnert, legt man auf einen Stapel, die nicht mehr richtig gewussten Karten auf einen anderen Stapel. Dies ist das Sortierungsprinzip. Im weiteren Lernverlauf bearbeitet man dann vorrangig den Stapel mit den nicht gewussten Karten. Dieses Auswahlprinzip spart Zeit, weil die bereits gewussten Karten nicht unnötig wiederholt werden. 4.1. Was ist der Vorteil des Karteikartenlernens? 1. 2. 3. Verständnis steigt durch vorrangiges sortieren (Themenliste erstellen, Unterthemen zum Lernen formulieren) Bekanntes wird aussortiert (motiviert, weil der Stapel kleiner wird). Zwang, das Wesentliche auf die Karten zu schreiben (es bewährt sich, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu überlegen). Möglichkeit, auch abseits vom eigentlichen Lernplatz (z.B. während Freistunden) zu lernen 4. 4.2. Der Karteikasten Es bewährt sich, einen Karteikasten mit verschiedenen Fächern zu basteln. Die neu erstellten Kärtchen kommen ins vorderste Fach und werden am nächsten Tag abgefragt. Wird der Begriff richtig erinnert, kommt das Kärtchen ein Fach weiter (in 2), sonst bleibt es vorne und wird am nächsten Tag erneut kontrolliert. Bei jedem Ueben rutschen die gelernten Kärtchen weiter nach hinten, bis sie in den „Kärtchenhimmel“, das hinterste Fach (in 5) gelangen. Kärtchen die nicht richtig erinnert werden, kommen immer in das vorderste Fach zurück (in 1). 4.3. Drei Tipps fürs Wiederholen (= Wissen in den Langzeitspeicher bringen) 1. 2. 3. nicht überlernen (weglegen, was man kann) gelernter Stoff sofort wiederholen, danach in steigenden Abständen „ak‐tief“ lernen (Inhalte in eigene Worte fassen) Biologie Lernen Seite 9 VORSSA 2009/CK 5. Übungsaufgaben 5.1. Beschrifte die Bestandteile der Nervenzelle und gibt die Flussrichtung der Erregungsleitung mit Pfeilen an. 5.2. Ordne durch Vergabe gleicher Zahlen, orientiere Dich am Beispiel! Nr. Begriff Nr. Bedeutung/Erklärung 1 Reiz wandelt Reize in Erregungen um Nerv Antwort des Körpers auf einen Reiz Neurit überträgt Erregungen zu Nervenzellen oder zu Muskeln/Drüsen Nervenzelle deutet ankommende Erregungen, gibt Befehle in Form von Erregungen Sinneszelle 1 Umwelteinfluss, der zu einer Reaktion führt Reizbarkeit leitet Erregungen zu Muskeln/Drüsen Reaktion Bündel von Neuriten Synapse leitet Erregungen von Sinneszellen zu Gehirn/Rückenmark Transmitter langer Fortsatz der Nervenzelle sensorischer Nerv Grundbaustein des Nervensystems Erregung Überträgerstoff Reflex elektrischer Impuls Gehirn/Rückenmark Fähigkeit des Organismus auf Reize zu reagieren motorischer Nerv Reaktion, die nicht dem Willen unterliegt 5.3. Wie ist das Nervensystem aufgebaut? 5.4. Welche wichtigen Aufgaben hat das Nervensystem? 5.5. Wie werden Informationen in den Nervenzellen weitergeleitet? 5.6. Wie werden Informationen zwischen zwei Nervenzellen übertragen? 5.7. Wie kann die Synapsentätigeit beeinflusst werden? 5.8. Viele Nervenfasern haben eine Markscheide mit Einschnürungen: Bedeutung? 5.9. Wie wirken Drogen?