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Soziale Kohäsion und Soziokultur — Förderung des sozialen Zusammenhalts als Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation Benjamin van Vulpen und Andi Wüthrich Januar 2012 Bachelorarbeit Hochschule Luzern — Soziale Arbeit Studiengang Soziokultur + 3 + 1 Bachelor-Arbeit Ausbildungsgang Soziokultur Kurs TZ 2007-2012 Benjamin van Vulpen & Andi Wüthrich Soziale Kohäsion und Soziokultur Förderung des sozialen Zusammenhalts als Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation Diese Bachelor-Arbeit wurde eingereicht im Januar 2012 in 4 Exemplaren zur Erlangung des vom Fachhochschulrat der Hochschule Luzern ausgestellten Diploms für Soziokulturelle Animation. Diese Arbeit ist Eigentum der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Sie enthält die persönliche Stellungnahme des Autors/der Autorin bzw. der Autorinnen und Autoren. Veröffentlichungen – auch auszugsweise – bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch die Leitung Bachelor. Reg. Nr.: Vorwort der Schulleitung Die Bachelor-Arbeit ist Bestandteil und Abschluss der beruflichen Ausbildung an der Hochschule Luzern, Soziale Arbeit. Mit dieser Arbeit zeigen die Studierenden, dass sie fähig sind, einer berufsrelevanten Fragestellung systematisch nachzugehen, Antworten zu dieser Fragestellung zu erarbeiten und die eigenen Einsichten klar darzulegen. Das während der Ausbildung erworbene Wissen setzen sie so in Konsequenzen und Schlussfolgerungen für die eigene berufliche Praxis um. Die Bachelor-Arbeit wird in Einzel- oder Gruppenarbeit parallel zum Unterricht im Zeitraum von zehn Monaten geschrieben. Gruppendynamische Aspekte, Eigenverantwortung, Auseinandersetzung mit formalen und konkret-subjektiven Ansprüchen und Standpunkten sowie die Behauptung in stark belasteten Situationen gehören also zum Kontext der Arbeit. Von einer gefestigten Berufsidentität aus sind die neuen Fachleute fähig, soziale Probleme als ihren Gegenstand zu beurteilen und zu bewerten. Soziokulturell-animatorisches Denken und Handeln ist vernetztes, ganzheitliches Denken und präzises, konkretes Handeln. Es ist daher nahe liegend, dass die Diplomandinnen und Diplomanden ihre Themen von verschiedenen Seiten beleuchten und betrachten, den eigenen Standpunkt klären und Stellung beziehen sowie auf der Handlungsebene Lösungsvorschläge oder Postulate formulieren. Ihre Bachelor-Arbeit ist somit ein wichtiger Fachbeitrag an die breite thematische Entwicklung der professionellen Sozialen Arbeit im Spannungsfeld von Praxis und Wissenschaft. In diesem Sinne wünschen wir, dass die zukünftigen Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren mit ihrem Beitrag auf fachliches Echo stossen und ihre Anregungen und Impulse von den Fachleuten aufgenommen werden. Luzern, im Januar 2012 Hochschule Luzern, Soziale Arbeit Leitung Bachelor Abstract Soziale Kohäsion (resp. sozialer oder gesellschaftlicher Zusammenhalt) wird im aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskurs vermehrt diskutiert und findet als gesellschaftliches Ziel seit einigen Jahren zunehmend Eingang in die Politik westlicher demokratisch organisierter Städte, Staaten und Staatenbunden. Soziale Kohäsion stellt sich als komplexes, mehrdimensionales Konzept heraus. Mit ihrem Arbeitsprinzip Partizipation und ihren berufsethischen Grundwerten sowie aufgrund ihres professionellen Handelns in der Vermittlungsrolle und beim Aufbau und der Pflege von sozialen Netzwerken arbeitet die Soziokulturelle Animation letztlich auf soziale Kohäsion hin. Die Verfasser dieser Bachelorarbeit geben einen Überblick über aktuelle Konzepte, Definitionen und Operationalisierungen sozialer Kohäsion aus der Soziologie, Politologie und Politik und stellen die vielfältigen Bezüge zwischen der Profession Soziokulturelle Animation und sozialer Kohäsion dar. Damit unterstreichen sie die These, dass die Förderung sozialer Kohäsion die Kernaufgabe der Soziokultur darstellt. Um das Wissen über soziale Kohäsion nutzbar für die Praxis Soziokultureller Animatorinnen und Animatoren zu machen, stellen die Verfasser ein eigenes Modell sozialer Kohäsion sowie die Kohäsionsanalyse vor, welche Berufsleute dabei unterstützen soll, soziale Kohäsion innerhalb ihrer Praxisforschung, bezogen auf einen Sozialraum oder eine resp. mehrere Zielgruppen, zu beschreiben, zu bewerten und zu erklären. Ein Verständnis von Soziokultur auf dem Hintergrund von sozialer Kohäsion bietet unter anderem die Chance, Soziokulturelle Animation wirksamer zu positionieren und deren Funktionen eine schärfere Kontur zu geben. 2 + 3 Die Welt ist voller Rätsel, für diese Rätsel aber ist der Mensch die Lösung. — Joseph Beuys 2 + 5 Inhaltsverzeichnis 11 Dank 12 1 Einleitung — worum geht’s in der Soziokultur? 13 1.1 Ausgangslage und Motivation 14 1.2 Fragestellungen und Zielsetzungen 15 1.3 Aufbau und Adressatenschaft 16 2 Soziale Kohäsion — schillernder Begriff und mehrdimensionales Konzept 18 2.1 Eine historische Betrachtung des sozialwissenschaftlichen Diskurses 19 Soziale Kohäsion, Solidarität und Integration 20 Soziale Kohäsion und Sozialkapital 21 Zusammenfassung 22 2.2 Soziale Kohäsion im aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskurs 22 Empirische Forschung zu sozialer Kohäsion 23 Fünf Dimensionen sozialer Kohäsion nach Kearns und Forrest (2000) 25 Vier Dimensionen sozialer Kohäsion nach Chiesi (2005) 27 Zwei Dimensionen und zwei Komponenten sozialer Kohäsion nach Chan et al. (2006) 30 Fazit — ein eigenes Modell sozialer Kohäsion 33 2.3 Operationalisierung und Messung sozialer Kohäsion 34 Komplexität und Umfang 36 Quantitative und qualitative Daten 37 Zusammenfassung 40 3 Soziokultur auf den Punkt gebracht — Förderung sozialer Kohäsion als Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation 41 3.1 Interaktion, Soziokulturelle Animation und die Förderung sozialer Kohäsion 42 Förderung sozialer Kohäsion durch Aufbau und Pflege sozialer Netzwerke 47 Förderung sozialer Kohäsion in der Vermittlungsrolle 50 3.2 Partizipation, Soziokulturelle Animation und die Förderung sozialer Kohäsion 51 Partizipation, ein Begriff mit vielen Definitionen 54 Förderung von sozialer Kohäsion auf der Basis des Arbeitsprinzips Partizipation 60 3.3 Demokratische Grundwerte, Soziokulturelle Animation und die Förderung sozialer Kohäsion 60 Werte und Normen der Sozialen Arbeit 62 Förderung von sozialer Kohäsion auf der Basis demokratischer Werte 65 3.4 Zusammenfassung und Fazit 68 4 Die Kohäsionsanalyse — ein Reflexionsinstrument zum Wissenserwerb in der Praxisforschung Soziokultureller Animatorinnen und Animatoren 69 4.1 Wissenserwerb in der Soziokulturellen Animation 70 Wissen-Praxis-Transfermodell 71 Soziokulturelle-animatorische Diagnostik 72 4.2 Kohäsionsanalyse 74 Erster Schritt: Beschreibung einer Situation hinsichtlich sozialer Kohäsion 77 Zweiter Schritt: Bewertung einer Situation hinsichtlich sozialer Kohäsion 78 Dritter Schritt: Erklärung einer Situation hinsichtlich sozialer Kohäsion 79 4.3 Verortung der Kohäsionsanalyse innerhalb des professionellen Handelns 79 Die Kohäsionsanalyse im Handlungsmodell mit den vier Interventionspositionen 80 Die Kohäsionsanalyse und das Projekt 82 4.4 Zusammenfassung 84 5 Schlussbetrachtungen — Soziale Kohäsion und Soziokultur als Paar mit Zukunft 85 5.1 Rückblick 87 5.2 Ausblick 90 6 Literatur- und Quellenverzeichnis Benjamin van Vulpen und Andi Wüthrich haben alle Kapitel dieser Bachelorarbeit gemeinsam verfasst. + 7 Abbildungsverzeichnis 18 Abbildung 1 (eigene Darstellung) Diskursvielfalt zur Thematik soziale Kohäsion 23 Abbildung 2 (eigene Darstellung) Dimensionen sozialer Kohäsion nach Kearns & Forrest 26 Abbildung 3 (eigene Darstellung) Dimensionen sozialer Kohäsion nach Chiesi 28 Abbildung 4 Grundstruktur sozialer Kohäsion nach Chan et al. 31 Abbildung 5 (eigene Darstellung) Modell der Sphären und Ebenen einer kohäsiven demokratischen Gesellschaft (eigenes Modell) 70 Abbildung 6 Wissen-Praxis-Transfermodell 73 Abbildung 7 (eigene Darstellung) Schritte, Kategorien und Faktoren der Kohäsionsanalyse 79 Abbildung 8 Die vier Interventionspositionen nach Moser et al. und Hangartner 81 Abbildung 9 (eigene Darstellung) Phasen integraler Projektmethodik Tabellenverzeichnis 47 Tabelle 1 Vermittlung in der Soziokulturellen Animation 53 Tabelle 2 Stufenmodell der politischen Partizipation inkl. Grundlagen politischer Partizipation Abkürzungsund Zeichenverzeichnis et al. etc. resp. S. vgl. zit. in „ ... “ und andere et cetera respektive Seite vergleiche zitiert in wörtliches Zitat < 40 Wörter, Titel (von Büchern, Projekten etc.) sowie englische Begriffe ( . . . ) ( . . . . ) [ ... ] & kursiv Auslassungen innerhalb eines Satzes in wörtlichen Zitaten Auslassungen zwischen Sätzen in wörtlichen Zitaten eigene Anmerkungen innerhalb wörtlicher Zitate und Einführung oder Betonung von Begriffen 2 + 9 Dank Verschiedene Personen unterstützten und animierten die Verfasser dieser Arbeit. Sie bedanken sich herzlich bei :: Gregor Husi für die fachlichen Inputs, :: Anita Glatt für die Hilfestellungen beim Aufbau der Arbeit, :: Pablo Berger für die grafische Gestaltung, :: Anna Haebler Lietz und Philip Sieber-Reidy für das Lektorat, :: Willem van Vulpen, Margrit und Hans Wüthrich sowie dem Gemeinschaftszentrum Grünau für Räume, Kafi und W-Lan. 10 + 11 1 Einleitung — worum geht’s in der Soziokultur? 1.1 Ausgangslage und Motivation Soziokulturelle Animation als Teildisziplin Sozialer Arbeit in der Schweiz ist ein junger Beruf und ihre Positionierung und damit das Festlegen von Funktionen, Aufgaben und Grundlagen stellt eine Herausforderung dar. Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren sind ständig auf der Suche nach beruflicher Identität und haben ihr professionelles Handeln fortwährend zu legitimieren. Um Klarheit darüber zu schaffen, worum es in der Soziokulturellen Animation geht, sind schon verschiedene gesellschaftliche Aufgaben der Profession ins Feld geführt worden. Diese Aufgaben haben sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung verändert und werden ( immer wieder ) neu diskutiert. So wurden ihr in der Vergangenheit Aufgaben wie Prävention, Förderung von Partizipation oder die Förderung alltäglicher Demokratie zugeschrieben. Aufgrund der Auseinandersetzung mit der Positionierung der eigenen Profession während des Studiums und in der alltäglichen Praxis haben die Verfasser dieser Arbeit ein grosses Interesse an einem fundierten Verständnis davon, auf welches gesellschaftliche Ziel die Soziokulturelle Animation hinarbeitet. Dieses hat einen grossen Einfluss auf die berufliche Identität, die Motivation zur Berufsausübung und hilft, die Arbeit gegen aussen zu legitimieren. Gregor Husi ( 2010 ), Soziologe und Professor an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, beschreibt in einem aktuellen Beitrag die Förderung des sozialen Zusammenhalts als eine gesellschaftliche Aufgabe der Soziokulturellen Animation ( S.98-102 ). Er schlug vor, im Rahmen einer Bachelorarbeit die Förderung sozialer Kohäsion als gesellschaftliche Aufgabe der Soziokulturellen Animation anhand bestehender Konzepte und Theorien sozialen Zusammenhalts zu beschreiben. Es besteht ohne Zweifeln ein Konsens darüber, dass sich die Soziokulturelle Animation in einer bestimmten Form um das Zusammenleben zwischen Menschen kümmert. Im Berufsalltag sind Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren häufig an Orten tätig, an denen soziale Problemlagen bestehen und das Zusammenleben von Menschen in irgendeiner Form gefährdet erscheint. Dabei richtet sie ihr professionelles Handeln hauptsächlich auf Gruppen aus. Im Grunde arbeitet sie mit dem Fokus auf den Zusammenhalt zwischen Gruppen von Menschen. Fundierter beschrieben wurden Bezüge zwischen sozialwissenschaftlicher Theorie zu sozialer Kohäsion und Praxis- resp. Professionswissen der Soziokulturellen Animation bisher jedoch erst durch Husi (2010). Die Verfasser dieser Arbeit reizte es, sich mit dem sozialwissenschaftlichen Diskurs zu sozialer Kohäsion auseinanderzusetzen und das professionelle Handeln Soziokultureller Animatorinnen und Animatoren auf diesem Hintergrund zu beschreiben. 12 + 13 1.2 Fragestellungen und Zielsetzungen Diese Arbeit beschäftigt dich mit der These, dass die Förderung sozialer Kohäsion die eigentliche gesellschaftliche Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation darstellt. Folgende Fragestellungen stehen im Zentrum dieser Arbeit: Frage 1 ( vgl. Kapitel 2 ) Was ist soziale Kohäsion? Frage 2 ( vgl. Kapitel 2 ) Wie lässt sich soziale Kohäsion messen? Frage 3 ( vgl. Kapitel 3 ) Wie nimmt die Soziokulturelle Animation die Förderung sozialer Kohäsion wahr? Frage 4 ( vgl. Kapitel 3 ) Inwiefern lässt sich die Förderung sozialer Kohäsion als Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation bezeichnen? Frage 5 ( vgl. Kapitel 4 ) Wie können Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren Wissen über soziale Kohäsion mit Bezug auf ihre berufliche Praxis erwerben? Damit verfolgt die Arbeit folgende Ziele: :: Der Begriff soziale Kohäsion ist greifbar dargestellt und wichtige Begrifflichkeiten rund um soziale Kohäsion sind erläutert :: Es ist dargestellt, wie soziale Kohäsion analysiert und gemessen wird :: Aufgrund einer Gegenüberstellung des professionellen Handelns der Soziokulturellen Animation und Konzepten sowie Definitionen sozialer Kohäsion sind Aussagen darüber gemacht, wie und wo die Soziokulturelle Animation die Aufgabe der Förderung sozialer Kohäsion wahrnimmt :: Die These, dass die Förderung sozialer Kohäsion die gesellschaftliche Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation darstellt, ist unterstrichen :: Ein Diagnoseinstrument zur Beschreibung, Bewertung und Erklärung von sozialer Kohäsion für die Praxis Soziokultureller Animatorinnen und Animatoren ist vorgestellt :: Die Leserinnen und Leser erhalten ein greifbares Bild davon, worum es in der Soziokulturellen Animation im Grunde geht 1.3 Aufbau und Adressatenschaft Nach der Einleitung in Kapitel 1 folgen drei inhaltliche Hauptkapitel, in denen die oben erläuterten Fragen beantwortet werden. Ein erster theoretischer Teil in Kapitel 2 betrachtet den Begriff soziale Kohäsion historisch und im aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskurs. Er stellt verschiedene Definitionen und Konzepte gesellschaftlichen Zusammenhalts dar und zeigt Operationalisierungen sozialer Kohäsion auf. Auf der Basis des erworbenen Wissens aus den Sozialwissenschaften stellen die Verfasser dieser Arbeit ein eigenes Modell sozialer Kohäsion vor. In Kapitel 3 stellen die Verfasser aufgrund von Berufstheorien Soziokultureller Animation und der Theorie zu sozialer Kohäsion dar, wie Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren soziale Kohäsion fördern kann. Als Kategorien für die gemachten Aussagen dienen dabei Interaktion, Partizipation und demokratische Werte. Anhand von Praxisbeispielen werden die Aussagen illustriert. Wie Wissen über theoretischen Grundlagen von sozialem Zusammenhalt und Soziokultureller Animation in die Praxis der Profession einfliessen kann, zeigt Kapitel 4 auf. Darin wird mit der Kohäsionsanalyse ein Diagnoseinstrument für die Praxisforschung vorgestellt. Dieses soll Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren im Praxisalltag dabei unterstützen, soziale Kohäsion zu beschreiben, zu bewerten und zu erklären. In Kapitel 5 schliesslich blicken die Verfasser auf die Beantwortung der Fragestellungen zurück und nehmen Bezug zur These und zur Zielerreichung der Arbeit, wagen einen Ausblick auf die berufliche Praxis mit Bezug auf ihre These und formulieren Empfehlungen für weitere Bachelorarbeiten. Die vorliegende Arbeit ist an Studierende und Berufstätige der Soziokulturelle Animation, an Fachleute aus verwandten Disziplinen und an Interessierte gerichtet. 14 + 15 2 Soziale Kohäsion schillernder Begriff und mehrdimensionales Konzept Simon Güntner ( 2009 ) nennt soziale Kohäsion einen schillernden Begriff (S.379). Einen schwer durchschaubaren, verschwommenen Begriff also, einen, der seine Bedeutung nicht sofort preisgibt und nicht mit wenigen Worten zu beschreiben ist. Das Wort Kohäsion hat seine Herkunft in der lateinischen Sprache und bedeutet innerer Zusammenhalt ( Duden, 2010, S.546 ). Als Synonym für soziale Kohäsion wird oft sozialer Zusammenhalt gebraucht. Auch gesellschaftlicher Zusammenhalt wird häufig als bedeutungsgleiches Wort beigezogen, wird doch mit Hilfe des Begriffs eine reale gesellschaftliche Wirklichkeit beobachtet, beschrieben oder erklärt. Gesellschaftlicher Zusammenhalt mag als Begriff zugänglicher als soziale Kohäsion sein. Nichtsdestotrotz stellen sich bei einer ersten Reflexion darüber, was das genau sein soll, wohl schnell mehr Fragen, als dass Antworten gefunden würden. Was ist es, was Menschen untereinander zusammenhält? Wer leistet was, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten? Ist ein Zusammenhalt stets wünschenswert? In der modernen sozialwissenschaftlichen und politischen Literatur bestehen denn auch unterschiedliche und unterschiedlich komplexe Konzepte und Definitionen von sozialer Kohäsion, oft miteinander verwandt, aufeinander bezogen und dann doch wieder mit unterschiedlichen Ausrichtungen, sei es aufgrund der gesellschaftlichen Situation, aus der die Autorenschaft schreibt, oder deren Interessen. Literatur über empirischer Forschung zur Thematik ist noch eher wenig vorhanden. Gleichzeitig finden Konzepte sozialer Kohäsion seit mehreren Jahren Eingang in die Politik von Staaten, Staatenbunden und Städten und haben dadurch Auswirkungen auf die reale Ausgestaltung von Zusammenleben. Im vorliegenden Kapitel stehen folgende Fragen im Zentrum: :: Was ist soziale Kohäsion? :: Wie lässt sich soziale Kohäsion messen? In Kapitel 2.1 wird ein Blick auf die historische Entwicklung von Konzepten zu sozialer Kohäsion in der Sozialwissenschaft geworfen und diese werden von den Konzepten zu Sozialkapital, Solidarität und Integration sowie denjenigen zu sozialer Integration und Systemintegration abgegrenzt. Folgend wird in Kapitel 2.2 nach einer kurzen Hinwendung zur empirischen Forschung zu sozialer Kohäsion einen Überblick über aktuelle sozialwissenschaftliche Konzepte und Definitionen sozialer Kohäsion gegeben. Beigezogen werden dazu aktuelle und oft zitierte Beiträge aus dem sozialwissenschaftlichen Diskurs. Drei Theoriebeiträge zu sozialer Kohäsion ( zwei Konzepte und eine Definition ) werden ausführlicher beschrieben. Die Beiträge werden einander auf der Basis derer Unterschiede und Gemeinsamkeiten gegenübergestellt, um zentrale Faktoren sozialer Kohäsion zu identifizieren. Daraus folgernd stellen die Verfasser dieser Arbeit ein eigenes Modell sozialer Kohäsion vor. 16 + 17 In Kapitel 2.3 wird anhand von Beispielen dargestellt, wie Sozialwissenschaft und Politik bisher versucht haben, Konzepte sozialer Kohäsion zu operationalisieren, um anhand von Indikatoren den Grad an gesellschaftlichem Zusammenhalt messbar zu machen. Ziel des Kapitels 2 ist es, dem schillernden Begriff soziale Kohäsion aufgrund von Literatur aus Wissenschaft und Politik fassbare Konturen zu geben, um in den Folgekapiteln Aussagen zur Förderung sozialer Kohäsion durch die Soziokulturelle Animation ( in der Schweiz ) machen zu können. 2.1 Eine historische Betrachtung des sozialwissenschaftlichen Diskurses Gemäss Elaine Chan, Joseph Chan und Ho-Pong To ( 2006 ) kann grundsätzlich von zwei Diskursen zu sozialer Kohäsion in der Literatur gesprochen werden: dem akademischen und dem politischen Diskurs. Der akademische Diskurs wird von der Sozialwissenschaft geleistet, hauptsächlich die Soziologie beschäftigt sich mit der Thematik soziale Kohäsion. Der politische Diskurs ist ebenso von Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern geprägt, häufig von Politologinnen und Politologen sowie von Soziologinnen und Soziologen, die stärker Bezug zur Politik nehmen. Gleichzeitig tragen aber auch Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung sowie Politikerinnen und Politiker wesentlich zum politischen Diskurs bei. ( S.274- 275 / eigene Übersetzung ) Nach Ansicht der Verfasser dieses Kapitels lässt sich die Vielfalt der Beiträge zur Thematik soziale Kohäsion nur schwerlich trennscharf in einen akademischen und politischen Diskurs einteilen. Der grösste Anteil von Literatur zur Thematik ist im Gegenteil sowohl akademischer Natur als auch auf die Politik bezogen. Es macht also Sinn, den politischen und den sozialwissenschaftlichen Diskurs als sich überlappend zu betrachten. Alle Beiträge sozialwissenschaftlicher Natur ( ob mit oder ohne Bezugnahme zur Politik ) werden in dieser Arbeit als Teil des sozialwissenschaftlichen Diskurses betrachtet. Abbildung 1 Von der Politik ( eigene Darstellung ) Diskursvielfalt zur Theorie und Thematik soziale Forschung der Sozialwissenschaftliche sowie anderen Entscheidungs- Kohäsion Sozialwissenschaften Theorie und Forschung trägerinnen und tägern ohne Bezugnahme auf mit Bezugnahme zur Politik und politischen Politik von Gemeinwesen Diskurs (Politikerinnen und Politikern inizierte Debatte) -­Konzepte, Operationalisierungen von oder im Auftrag von Gemeinwesen sozialwissenschaftlicher Diskurs politischer Diskurs Alle sozialwissenschaftlichen Beiträge mit Bezugnahme zur Politik gehören zusammen mit Beträgen von Politikerinnen und Politikern sowie von anderen politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern dem politischen Diskurs an. ( vgl. Abbildung 1 ) Der politische Diskurs zu sozialer Kohäsion ist ein eher neueres Phänomen und Kohäsion als Politikziel steht erst seit wenigen Jahren auf den Agenden westlicher Regierungen. Ursprünge des sozialwissenschaftlichen Diskurses zu sozialer Kohäsion resp. die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit gesellschaftlichem Zusammenhalts können dagegen bis anfangs des 20. Jahrhundert zurückverfolgt werden. ( Rainer Zoll, 2000, S.78 ) Soziale Kohäsion, Solidarität und Integration Damals war der Begriff soziale Kohäsion im sozialwissenschaftlichen Diskurs jedoch weniger präsent als Solidarität und soziale Integration. Auguste Comte ( 1844 ), einer der Väter der Soziologie, benutzt die Begriffe Solidarität und soziale Integration als Synonyme für soziale Kohäsion, um eine Weltanschauung zu beschreiben, in der eine Verbindung jedes Einzelnen mit allen anzustreben ist ( zit. in Antonio M. Chiesi, 2005, S.240 ). Etwas später beschreibt Emile Durckheim ( 1893 ) zwei Arten von Solidarität in Zeiten der Industrialisierung. Einerseits definiert er die mechanische Solidarität als eine Form der Solidarität, die in kleinen, traditionellen Gemeinschaften, deren Mitglieder eine gemeinsame soziale Lage aufweisen, typisch ist. Gegenüber dieser grenzt er die organische Solidarität ab, die aufgrund der vermehrten Arbeitsteilung in der modernen Gesellschaft entsteht und auf den Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Rollen, welche die Gesellschaftsmitglieder einnehmen, basiert. In einer durch Arbeitsteilung geprägten Gesellschaft ist nicht mehr Ähnlichkeit die Grundlage für eine gemeinsame Identifikation, sondern die Abhängigkeit von einer ausgeführten Arbeit. Diese gesellschaftliche Differenzierung und die daraus entstehenden gegenseitigen Abhängigkeiten sieht Durckheim als problematisch und betont, dass die organische Solidarität von sozialen Institutionen unterstützt werden muss. (zit. in Chiesi, 2005, S.240-241) Seit seiner Studie zur sozialen Arbeitsteilung ist die Frage danach, wie viel Ungerechtigkeit eine Gesellschaft verträgt, bis sie auseinanderfällt, eine Grundfrage soziologischen Denkens ( Jean-Michel Bonvin, Erwin Cariget & Ueli Mäder, 2003, S.291 ). Gemäss Chiesi ( 2005 ) sind Solidarität und Integration zwei eng miteinander verwandte Konzepte, die jedoch nicht synonym zu verwenden sind. Während Solidarität sich auf die Verhältnisse zwischen Akteurinnen und Akteuren und deren (gemeinsame oder unterschiedliche) Identität bezieht, hat Integration das System und die Beziehungen zwischen seinen Teilen und deren Funktionen im Fokus. (S.242) Nach Niklas Luhmann ( 1984 ) verändern sich die Integrationsmechanismen in modernen Gesellschaften, deren auf Regeln und Hierarchien basierende Differenzierung übergeht in eine funktionale Differenzierung ( zit. in Chiesi, 2005, S.242 ). David Lookwood ( 1964 ) unterscheidet zwischen sozialer Integration und Systemintegration: Während soziale Integration auf gemeinsamen Werten, 18 + 19 Gemeinsamkeiten innerhalb von Gruppen und akzeptierten Hierarchien basiert und aufgrund der Verhältnisse zwischen individuellen und kollektiven Akteuren einer Gesellschaft entsteht, beruht Systemintegration auf der funktionalen Differenzierung einer Gesellschaft, welche auf der Basis von Geld, Gesetzen und politischen Rechten gebaut ist ( zit. in Chiesi, 2005, S.242 ). Chiesi ( 2005 ) fasst die soziale Problematik des Übergangs zu einer modernen Gesellschaft folgendermassen zusammen: In der Modernisierung werden traditionelle Mechanismen mechanischer Solidarität/sozialer Integration zunehmend von [sic!] organischer Solidarität/Systemintegration ersetzt und fordern damit Konflikt und soziale Not heraus. ( . . . ) Autoren [weisen] darauf hin, dass die entwickelnden Mechanismen von Solidarität/Integration mit Elementen der traditionellen Mechanismen ausbalanciert werden sollten. ( S.242-243 ) Chiesi ( 2005 ) nennt mehrere Gründe dafür, dass soziale Kohäsion in den aktuellen sozialwissenschaftlichen und politischen Debatten häufiger verwendet wird als Solidarität und Integration: Soziale Kohäsion lässt sich als gänzlich positives Konzept nutzen, frei von ungewollten Auswirkungen. Demgegenüber kann eine ( zu ) starke Solidarität innerhalb einer Gruppe Feindlichkeit gegenüber anderen hervorrufen und Systemintegration kann sich gegen den Willen von zu integrierenden Menschen richten. Des Weiteren lässt sich soziale Kohäsion als einen Zustand verstehen, der sowohl die Gesellschaft als Ganzes als auch die gegenseitigen Beziehungen von Individuen beschreibt. ( S.243 ) Warum auch der Begriff soziale Kohäsion ein nicht unproblematischer ist, wird im weiteren Verlauf des Kapitels ausgeführt ( vgl. Kapitel 2.2 ). Ursachen dafür, dass der Begriff soziale Kohäsion gerade im politischen Diskurs eine breite Verwendung findet, werden nach Chiesi ( 2005 ) bereits bei einer groben Beschreibung der gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre deutlich. Globalisierung und die marktgesteuerte Ökonomie der letzten Jahre haben tendenziell zu einer Schwächung von Nationalstaaten und einer Stärkung des Individualismus geführt. Um auf der Grundlage der Idee von Solidarität eine derart ausgestaltete Gesellschaft zu beschreiben, ist ein Begriff vonnöten, der sowohl der Individualität der Menschen gerecht wird als auch den Menschen als Teil der Gesellschaft berücksichtigt. ( S.253-254 ) Kohäsion scheint ein treffsichereres Konzept zu sein, um Individualität und kollektive Verantwortung der Mitglieder einer Gruppe unter einen Hut zu bringen als Solidarität oder Integration. Soziale Kohäsion und Sozialkapital Ein Begriff, der sich in den Sozialwissenschaften seit den ersten theoretischen Überlegungen von Pierre Bourdieu um 1980 und den Beiträgen von Robert Putnam in den 1990er-Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut, ist Sozialkapital ( Chiesi, 2005, S.245 ). Soziale Kohäsion und Sozialkapital sind miteinander verwandte Konzepte, die zuweilen unpräzis als Synonyme verwendet werden (Chiesi, 2005, S.253). Oft beziehen sich Konzepte sozialer Kohäsion auf Konzepte von Sozialkapital ( vgl. Kapitel 2.2 ). Sozialkapital wird häufig als der Bestand von sozialen Beziehungen eines Menschen oder innerhalb einer Gesellschaft definiert ( Chiesi, 2005, S.246 ). Putnam ( 1993 ) richtet seinen Blick auf die Gesellschaft als Ganzes, wenn er sagt, dass sich Sozialkapital auf Normen und Netzwerke der Zivilgesellschaft bezieht, welche Kooperationen – von mehreren Individuen wie auch von Individuen und Institutionen – stützen ( zit. in Ade Kearns und Ray Forrest, 2000, . Nach Bourdieu ( 1980 ) ist Sozialkapital jene Ressource, auf die ein Indivi- S.1000 / eigene Übersetzung ) duum durch die Nutzung seiner Netzwerke und persönlicher Beziehungen zugreifen kann. Ressourcen egal welcher Art, die durch ein soziales Netzwerk erreicht werden, können folglich als Sozialkapital verstanden werden. ( zit. in Chiesi, 2005, S.248 ) Nach James Coleman ( 1990 ) ist Sozial-kapital ein Netzwerk von Beziehungen und folglich eine Ressource, um wiederum andere Ressourcen zu erreichen ( zit. in Chiesi, 2005, S.248 ). Sozialkapital kann also als eine Eigenschaft von Individuen oder als eine Eigenschaft eines Gemeinwesens verstanden werden. Gleichzeitig kann Sozialkapital als die Ressourcen begriffen werden, die durch soziale Netzwerke erreicht werden, oder aber als soziale Netzwerke selbst, die ein Mittel darstellen, um Ressourcen zu erhalten. Chiesi (2005) betont, dass nicht jede soziale Beziehung zu Sozialkapital führt. Nur wenn der Beziehung ein gewisser Inhalt innewohnt, kann sie eine Dimension von Sozialkapital darstellen. Ein solcher Beziehungsinhalt kann zum Beispiel Anerkennung, Kooperation, Vertrauen, Information oder Solidarität sein. ( S.248 ) Zusammenfassung Aus Sicht der Sozialwissenschaft kann zusammenfassend festgehalten werden: In den letzen 150 Jahren hat in der westlichen Welt ein Übergang von einer Gesellschaft, die hauptsächlich aufgrund von kollektiven Werten und einer gemeinsamen Identifikation strukturiert war, hin zu einer Gesellschaft, die auf der Basis der unterschiedlichen Funktionen und Rollen der Menschen in der Arbeitswelt funktioniert, stattgefunden. Dabei veränderten sich die vorherrschenden Formen von Solidarität und Integration. Diese Modernisierung bringt auf der sozialen Ebene Probleme wie Konflikte und soziale Not mit sich. Um das Weiterbestehen von Solidarität zu gewährleisten, haben moderne Gesellschaften soziale Institutionen einzurichten, die diese stützen. Dabei ist es wichtig, neue Mechanismen von Solidarität und Integration mit Elementen von traditionellen Mechanismen ( gemeinsame Werte, anerkannte Hierarchien, gemeinsame Identifikation ) auszubalancieren. Die moderne Gesellschaft hat sich in der näheren Vergangenheit wiederum stark gewandelt. Globalisierung mit zunehmender Marktsteuerung durch die Ökonomie, zunehmende Alterung und Individualisierung ( als beispielhafte Stichworte ) verändern die Bedingungen für ein gelingendes Zusammenleben tiefgreifend. Auch die 20 + 21 auf den gesellschaftlichen Wandel reagierenden Debatten wandeln sich: Beobachtet man den aktuellen sozialwissenschaftlichen wie auch den politischen Diskurs, stellt man fest, dass die traditionellen Begriffe Solidarität und Integration eher in den Hintergrund treten zugunsten anderer Begriffe wie soziale Kohäsion und Sozialkapital. ( Chiesi, 2005, S.21 ) 2.2 Soziale Kohäsion im aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskurs Im aktuellen sozialwissenschaftlichen wie auch im politischen Diskurs stechen bereits hinsichtlich der Ausgangslage für eine Betrachtung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zwei unterschiedliche Ansätze ins Auge: der negative Ansatz und der positive Ansatz. Der negative Ansatz fokussiert negative gesellschaftliche Zustände, aufgrund derer theoretische Definitionen und Konzepte sozialer Kohäsion erarbeitet und praktische politische Massnahmen getroffen werden. Es werden hierbei unter anderem Symptome beschrieben, die als Alarmzeichen gelten. Dabei besteht die Gefahr, dass die Gesamtsicht auf eine Gesellschaft verlorengeht zugunsten einer Hinwendung zu den – oberflächlich betrachtet – wichtigsten Problematiken. ( Council of Europe, 2005, S.31 / eigene Übersetzung ) Der positive Ansatz fokussiert auf die Möglichkeiten einer Gesellschaft, all seinen Mitgliedern eine gute Lebensqualität zu ermöglichen resp. die soziale Kohäsion zu fördern . Die Grundfrage besteht darin, was die Gesellschaft ( Council of Europe, 2005, S.32 / eigene Übersetzung ) zusammenhält. Empirische Forschung zu sozialer Kohäsion Trotz zunehmender Verwendung des Begriffs soziale Kohäsion sowohl im sozialwissenschaftlichen wie im politischen Diskurs ist gemäss Barbara Müller ( 2008 ) relativ wenig Forschungsliteratur vorhanden. Bisher wurden nach ihr hauptsächlich die negativen Auswirkungen von mangelnder Kohäsion auf unterschiedliche soziale Probleme untersucht, kaum jedoch, wie soziale Kohäsion entsteht. ( S.4-8 ) Nach Sarah Botterman, Marc Hooghe und Tim Reeskens ( 2009 ) wurde in den letzten zehn Jahren zwar erheblich mehr Forschung zur Thematik geleistet als in den Jahren zuvor, hauptsächlich aber hinsichtlich der Frage, inwiefern sich soziale Kohäsion positiv auf die Ziele einzelner Disziplinen ( wie Ökonomie oder Kriminologie ) auswirkt. Auch sie weisen darauf hin, dass Forschungen hinsichtlich einer spezifischen Konzeption sozialer Kohäsion eher vernachlässigt wurden. ( S.262/eigene Übersetzung ) Chan et al. ( 2006 ) betonen, dass noch sehr viel Forschung vonnöten ist, um zu einer wirklich guten Theorie sozialer Kohäsion zu gelangen ( S.295-298/eigene Übersetzung ). Theoretische Beiträge zu gesellschaftlichem Zusammenhalt greifen unterschiedlich stark auf Forschungsergebnisse zurück. Die drei folgenden Beiträge beziehen sich hauptsächlich auf theoretische Literatur, ziehen aber zur Unterstreichung einzelner Inhalte Forschungsresultate in ihre Überlegungen mit ein. Fünf Dimensionen sozialer Kohäsion nach Kearns und Forrest ( 2000 ) Kearns und Forrest (2000), Sozialwissenschaftler an der Universität Glasgow resp. Bristol, fokussieren in ihrer Veröffentlichung „ Social Cohesion and Multilevel Urban Governance “ das Zusammenleben in Städten, Agglomerationen und Nachbarschaften. Sie gehen grundsätzlich von einem negativen Ansatz aus, indem sie die sozialen Probleme in modernen Städten ( Kriminalität, soziale Unruhen ) und deren Ursachen ( Globalisierung, Individualisierung, Wertevielfalt, Abnahme des Anteils von Familien ) als Ausgangslage für ihre Analyse beiziehen. Ihr Ziel ist es, aufzuzeigen, wie Verwaltungen von Städten dazu beitragen können, gesellschaftlichen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten und zu stützen. ( Kearns & Forrest, S.995-996 / eigene Übersetzung ) Sie vertreten also den sozialwissenschaftlichen Diskurs mit einem starken Bezug zur Politik. Zentral an einer kohäsiven Gesellschaft ist nach ihrer Ansicht, dass alle gesellschaftlichen Teile zum Wohlergehen der Gesellschaft beitragen und dass Konflikte unter Gruppen oder hinsichtlich ihrer Zielvorstellungen nicht oder nur minimal vorhanden sind ( Kearns & Abbildung 2 Gemeinsame ( eigene Darstellung ) Werte und Dimensionen sozialer zivilgesellschaftliche Kohäsion nach Kultur Kearns & Forrest Quelle: Kearns & Forrest, 2000, S.996-1002 / eigene Territoriales Soziale Zugehörigkeitsgefühl Ordnung und und Identität soziale Kontrolle Kohäsion Übersetzung Soziale Solidarität Netzwerke und Reduktion von und soziales Vermögens- Kapital ungleichheit 22 + 23 . Als Ausgangspunkt für ihre Analyse definieren sie fünf Dimensionen Forrest, S.996 / eigene Übersetzung ) sozialer Kohäsion, anhand deren sie eine ( idealtypische ) kohäsive Gesellschaft beschreiben: Gemeinsame Werte und zivilgesellschaftliche Kultur Nach Kearns und Forrest (2000) gehört zu einer kohäsiven Gesellschaft, dass ihre Mitglieder gemeinsame Werte sowie bis zu einem gewissen Grad gemeinsame moralische Ansichten und gemeinsame Verhaltensweisen teilen. Sie partizipieren eigenverantwortlich am gesellschaftlichen und politischen Leben und akzeptieren ihre politischen Autoritäten. Sie respektieren die Wichtigkeit von Toleranz sowie sozialem Frieden und lösen Konflikte auf eine demokratische Weise. Um dies gewährleisten zu können, bestehen in einer solchen Gesellschaft ( vom Staat eingerichtete ) vielfältige Möglichkeiten hinsichtlich Bildung und Partizipation. Eine kohäsive Gesellschaft weist eine partizipative zivilgesellschaftliche Kultur auf, in der Wertediskussionen auf der Basis demokratischer Werte und über die Populärkultur geführt werden und kollektive Angelegenheiten sowie soziale Kooperationen nicht von einer Kultur des Privaten negativ beeinflusst werden. ( S.997 / eigene Übersetzung ) Soziale Ordnung und Kontrolle In einer kohäsive Gesellschaft nach Kearns und Forrest (2000) bestehen keine grösseren, grundlegenden Konflikte und keine Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Individuen und Familien sind sich ihrer vielseitigen Anhängigkeiten innerhalb der Gesellschaft bewusst und verstehen sich als Teil eines sozialen Projekts, von dem alle profitieren. Hinsichtlich sozialer Kontrolle weisen Kearns und Forrest (2000) darauf hin, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt eher durch subtile Kontrollmassnahmen als durch staatliche Repression oder Regulation erreicht wird. ( S.998 / eigene Übersetzung ) Solidarität und Reduktion von Vermögensungleichheit In einer kohäsiven Gesellschaft respektieren gemäss Kearns und Forrest (2000) ihre Mitglieder die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen und sind bereit, sich für diese zu engagieren. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass für all seine Mitglieder möglichst gleiche ökonomische Chancen bestehen. Dies erreicht er unter anderem durch eine solidarische Umverteilung von Vermögen. ( S.999 / eigene Übersetzung ) Soziale Netzwerke und Sozialkapital Nach Kearns und Forrest ( 2000 ) werden in einer kohäsiven Gesellschaft gesellschaftliche Probleme durch kollektives Handeln aufgefangen und gelöst. Dazu muss die Gesellschaft über viel Sozialkapital verfügen, welches durch einen hohen Grad an Interaktion zwischen Gruppen und Familien auf lokaler Ebene und durch die Förderung der Zivilgesellschaft durch soziale Organisationen auf der lokalen Ebene produziert wird. ( S.1001 / eigene Übersetzung ) An dieser Stelle verweisen die Autoren auf Putnam (1998), der die Wechsel- wirkung von Vertrauen und Kooperation beschreibt:Vertrauen in Mitmenschen fördert Kooperation, diese wiederum ist die Voraussetzung für Vertrauen in Mitmenschen ( zit. in Kearns . & Forrest, S.1001 / eigene Übersetzung ) Territoriales Zugehörigkeitsgefühl und Identität Kearns und Forrest (2000) weisen darauf hin, dass menschliches Handeln stark durch das Zugehörigkeitsgefühl zu einem geografischen Ort geprägt ist. Grundsätzlich nimmt man an, dass ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu einem Ort und eine darauf gegründete Identität zu sozialer Kohäsion beitragen. Diese Form von Identität kann aber soziale Kohäsion auch gefährden: Wenn Menschen als Folge ihres starken Zugehörigkeitsgefühls nur noch in ihrer kleinen, gegen aussen geschlossenen Welt funktionieren und eine Beteiligung an der Gesamtgesellschaft verweigern und / oder deren Werte verneinen. ( S.1001 / eigene Übersetzung ) Zusammenfassend sind bei den fünf Dimensionen nach Kearns und Forrest ( 2000 ) folgende Spezifika zu erkennen: :: das Beiziehen negativer gesellschaftlicher Zuständen als Ausgangspunkt für die Beschreibung einer kohäsiven ( Ideal- )Gesellschaft, :: die expliziten Nennung von territorialem Zugehörigkeitsgefühl, von sozialer Ordnung und Kontrolle sowie von Sozialkapitel als Einflussfaktoren für soziale Kohäsion, :: der starke Bezug zu gesellschaftlichen Grundwerten und ihren Einfluss auf soziale Kohäsion, :: der wiederholte Verweis auf die Bedeutung von Bildung und Ökonomie. Vier Dimensionen sozialer Kohäsion nach Chiesi (2005) Chiesis Beitrag „ Soziale Kohäsion und verwandte Konzepte “ aus dem Jahr 2005 kann als ein rein sozialwissenschaftlicher bezeichnet werden. Er bezieht sich in seinem Text nur auf soziologische Theorie und Empirie; Politik klammert er aus. Hauptanliegen ist für ihn, „ eine verbindliche Definition von sozialer Kohäsion aufzustellen, die für analytische Zwecke nützlich sein kann “ ( S.244 ). Chiesi ( 2005 ), Politologe an der Universität Milano, schlägt vier Dimensionen sozialer Kohäsion vor: die strukturelle Ebene, die kulturelle Ebene, die Identitätsebene und die Handlungsebene ( S.244 ). In der folgenden Abbildung sind diese kurz umrissen: 24 + 25 Strukturelle Ebene Abbildung 3 :: soziale Inklusions- und Exklusionsmechanismen (eigene Darstellung) Dimensionen sozialer :: Grad an sozialer Mobilität Kohäsion nach Chiesi :: Grad an Arbeitsteilung :: Struktur von Ungleichheit :: Geographische Unterschiede Quelle: Chiesi, 2005, S.244 Kulturelle Ebene Handlungsebene :: Ausmass, in dem Normen, :: Auswahlmöglichkeiten Ansichten und Sprachen geteilt werden von individuellen Akteuren soziale Kohäsion :: soziale Partizipation an kollektiven Aktivitäten und Engagement in Vereinigungen :: soziale Interaktionen und Verbindungen Identitätsebene :: Stärke von Empfindungen wie Gemeinschaftsgefühl :: Akzeptanz und Ablehnung verschiedener Gruppen :: Schwelle der Toleranz Chiesi ( 2005 ) geht von sozialer Kohäsion als einem Zustand aus, der sowohl die Gesellschaft als Ganzes als auch Individuen und ihre Beziehungen untereinander betrifft. Um den Zusammenhalt in einer Gesellschaft zu beschreiben, gilt es, die strukturellen Bedingungen für das Zusammenleben ( strukturelle Ebene ) wie auch die kulturellen Bedingungen für das Zusammenleben ( kulturelle Ebene ) sowohl hinsichtlich der Gesellschaft als Ganzes wie auch hinsichtlich des Individuums zu betrachten. Die strukturelle Ebene ist eng mit der Handlungsebene verbunden: Sie hängt mit der Organisation verschiedener Institutionen zusammen, gleichzeitig aber auch mit dauerhaften Beziehungen zwischen Individuen und ihren alltäglichen Handlungen. Die kulturelle Dimension umfasst unter anderem Sozialisierungsprozesse sowie gemeinsame Gebräuche,Vorstellungen und Werte, die von den Massenmedien verbreitet werden. ( S.243-244 ) Die Identitätsebene sieht Chiesi ( 2005 ) grundsätzlich als Teil der kulturellen Ebene. Da er Empfindungen hinsichtlich Identität ( Gemeinschaftsgefühl, Akzeptanz / Ablehnung, Toleranz ) jedoch als äusserst relevant für die Qualität der sozialen Kohäsion einer Gesellschaft betrachtet, sollten sie seines Erachtens getrennt betrachtet werden. ( S.244 ) Chiesi ( 2005 ) wendet sich auch problematischen Aspekten von Konzepten sozialer Kohäsion zu. Er fragt sich beispielsweise, ob mit der Verwendung des positiv konnotierten Begriffs nicht hin und wieder versucht wird, Unbequemlichkeiten zu vermeiden. Auch hegt er Zweifel, ob Bedeutungen und Anwendungsmöglichkeiten des komplexen Konzepts sozialer Kohäsion bis dato ausreichend sorgfältig analysiert worden sind. ( S.243 ) Er konstatiert sogar, dass durch die gehäufte Anwendung des Begriffs soziale Kohäsion, dieser „ zunehmend verallgemeinert und vager geworden ist “ ( Chiesi, S.239 ). Zusammenfassend sind dem Konzept Chiesis ( 2005 ) sozialer Kohäsion folgende Spezifika eigen: :: die Unterscheidung einer strukturellen, einer kulturellen, einer handlungs sowie einer identitätsorientierten Dimension, :: der Verweis darauf, dass zur Beschreibung der Kohäsion in der Gesellschaft die Gesellschaft als Ganzes als auch Individuen und ihre Beziehungen untereinander zu betrachten sind, :: das Ausklammern der politischen Dimension sozialer Kohäsion, :: der Verweis auf die Wichtigkeit der Ebene der Identität :: und auf Inklusions - sowie Exklusionsmechanismen. Zwei Dimensionen und zwei Komponenten sozialer Kohäsion nach Chan et al. ( 2006 ) Auch Chan et al. ( 2006 ), eine Soziologin und zwei Soziologen der Universität Hong Kong, sind Vertreter des rein sozialwissenschaftlichen Diskurses. Ziel ihres Textes „ Reconsidering social cohesion: Developing a definition and analytical framework for empirical research “ ist es, den Begriff soziale Kohäsion neu zu überdenken und eine Definition und damit eine analytische Grundlage zu entwickeln für die empirische Forschung. Sie sehen soziale Kohäsion als ein bisher ungenau und oft auch falsch bestimmter Begriff, der nach einer strengeren Analyse und einer eindeutigeren und kürzeren Definition verlangt. ( S.274 / eigene Übersetzung ) Chan et al. ( 2006 ) kritisieren mehrere Punkte an Konzepten, die aus dem politisch-sozialwissenschaftlichen Diskurs stammen. Ihre Hauptkritik ist, dass viele Konzepte sozialer Kohäsion die Grundvoraussetzungen für gesellschaftlichen Zusammenhalt mit dem Inhalt resp. den gesellschaftlichen Ausgestaltungen sozialer Kohäsion verwechseln. Der Wert Toleranz beispielsweise, wie ihn Chiesi ( 2005 ) als Teil der Identitätsebene darstellt , ist nach Chan et al. ( 2006 ) keine erforderliche Grösse hinsichtlich sozialer ( vgl. oben ) Kohäsion, höchstens ein Faktor, der unter gewissen Umständen zu einem höheren Grad 26 + 27 an gesellschaftlichem Zusammenhalt beitragen kann. Auch wenn nach einer empirischen Prüfung eine Korrelation zwischen Toleranz und Kohäsion bestünde, wäre dies für Chan et al. noch kein Grund, Toleranz in eine Definition für soziale Kohäsion zu integrieren. ( S.284-285 / eigene Übersetzung ) Folglich versuchen Chan et al. (2006) eine Definition sozialer Kohäsion zu erstellen, die möglichst auf eine wertebasierten Ausrichtung des gesellschaftlichen Zusammenhalts verzichtet. Geteilte ( demokratische ) Grundwerte wie Gleichheit ( und Chancengleichheit ), Freiheit und Sicherheit findet ebenso wenig Eingang in ihre Definition wie gesellschaftliche Mechanismen wie zum Beispiel Inklusion / Exklusion oder Umgang mit Vielfalt. Auch Sozialkapital findet keinen Eingang in die Grundstruktur sozialer Kohäsion nach Chan et al. ( 2006 ). Sie betonen, dass eine Gesellschaft, deren Mitglieder über viel Sozialkapital verfügen, nicht zwingend eine kohäsive Gesellschaft sein muss ( S.292 / eigene Übersetzung ). Nach Chan et al. ( 2006 ) braucht es für eine kohäsive Gesellschaft im Grundsatz einzig Partizipation, Kooperation und gegenseitige Hilfe ( S.284 / eigene Übersetzung ). In ihrer Grundstruktur sozialer Kohäsion ziehen sie dann jedoch trotzdem weitere Determinanten wie Vertrauen und Zugehörigkeitsgefühl hinzu: Abbildung 4 ( eigene Darstellung ) Subjektive Komponenten Objektive Komponenten ( Denkhaltung / Empfindung der Menschen ) ( Manifestation im Verhalten der Menschen ) Grundstruktur sozialer Kohäsion Horizontale nach Chan et al. Dimension Grundvertrauen in Mitmenschen Soziale Partizipation und Lebendigkeit der Zivilgesellschaft ( Kohäsion Wille, Menschen – auch Mitgliedern Quelle: Chan et al., 2006, innerhalb der anderer sozialer Gruppen – zu helfen S.294 / eigene Übersetzung Zivilgesellschaft ) und mit ihnen zu kooperieren Freiwilligkeit und Spendenfreudigkeit An-­oder Abwesenheit von zu starken Zugehörigkeitsgefühl Allianzen oder Gräben zwischen verschiedenen Gruppierungen Vertikale Vertrauen gegenüber wichtigen Politische Partizipation Dimension Personen des öffentlichen Lebens (zum Beispiel bei Wahlen und in ( Kohäsion sowie gegenüber politischen und Parteien ) zwischen Staat sozialen Institutionen und Mensch ) Chan et al. ( 2006 ) unterscheiden in ihrer Grundstruktur zwei Dimensionen und zwei Komponenten sozialer Kohäsion. Die horizontale und die vertikale Dimension unterscheiden Kohäsion in der Zivilgesellschaft und Kohäsion zwischen Staat und Menschen. ( Die wörtliche Übersetzung von „ citizen “, Staatsbürgerin resp. Staatsbürger, scheint den Verfassern dieser Arbeit wenig sinnvoll; aus dem Text von Chan et al. ( 2006 ) kann nicht schlüssig ermittelt werden, ob wirklich nur Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gemeint sind. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird vom Begriff Menschen Gebrauch gemacht, da Chan et al. ( 2006 ) diesen Begriff ( „ people “ ) an anderen Stellen verwenden. ) In beiden Dimensionen bestehen nach Chan et al. ( 2006 ) subjektive sowie objektive Komponenten sozialer Kohäsion. Die subjektiven Komponenten beziehen sich auf Denkhaltungen und Empfindungen von Menschen, die objektiven auf die Manifestation dieser Denkhaltungen und Empfindungen im Verhalten der Menschen. Ähnlich wie Chiesi ( 2005 ) verweisen die Autoren also auf die Wichtigkeit der Handlungsebene. Dabei betonen sie, dass das Ausmass der sozialen Kohäsion einer Gesellschaft das Resultat von wiederholten Handlungen von Menschen und Institutionen ist. Wie Chiesi ( 2005 ) verstehen die Autorin und die Autoren soziale Kohäsion jedoch als einen Zustand, nicht als einen Prozess. ( Chan et al., 2006, S.289 / eigene Übersetzung ) Chan et al. ( 2006 ) sehen in ihrer Grundstruktur sozialer Kohäsion nur den ersten Schritt zu einer Messung sozialer Kohäsion. Um die Elemente in den vier Feldern, die durch die Aufteilung in zwei Komponenten und zwei Dimensionen sozialer Kohäsion entstanden sind, messbar zu machen, müssen spezifische Variablen erarbeitet werden. ( S.294 / eigene Übersetzung ) Chan et al. ( 2006 ) leisten diese Arbeit nicht, schlagen aber für jedes Element in den vier Feldern Fragen für Interviews innerhalb einer empirischen Forschung vor ( vgl. S.294-297 sowie . Kapitel 2.4 ) Zusammenfassend sind in der Grundstruktur sozialer Kohäsion von Chan et al. ( 2006 ) folgende Spezifika zentral: :: die Unterscheidung von Kohäsion in der Zivilgesellschaft und Kohäsion zwischen Menschen und Staat, :: die Unterscheidung in eine subjektive Komponente ( Auffassungen und Empfindungen von Menschen ) und eine objektive Komponente ( deren Manifestationen auf der Verhaltensebene ), :: der Fokus auf die wesentlichen Grundvoraussetzungen für soziale Kohäsion ( Partizipation, Kooperation und gegenseitige Hilfe ), :: das Ausklammern von gemeinsamen Werten als Grundvoraussetzung für soziale Kohäsion :: das Ausklammern einer kulturellen Ebene. Die Bestrebungen, eigentliche Grundelemente des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu ergründen, macht nach Ansicht der Verfasser dieser Arbeit durchaus Sinn, um eine 28 + 29 verständlichere Vorstellung sozialer Kohäsion zu erlangen. Dass sich Chan et al. ( 2006 ) derart von demokratischen Grundwerten distanzieren, wirft jedoch Fragen auf. Zielt die Definition von Chan et al. ( 2006 ) nicht automatisch auf eine demokratische Gesellschaft ab, wenn sie eine hohe politische und soziale Partizipation als positiv hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenhalts darstellen? Eine Gesellschaft auf der Basis von demokratischen Grundwerten steht sozialer Kohäsion ( nach den oben dargestellten Modellen ) bereits strukturell näher denn jedes andere Gesellschaftsmodell. Nach der Definition von Chan et al. ( 2006 ) misst sich der Grad an sozialer Kohäsion auf den Grundlagen von Vertrauen, Wille zur gegenseitigen Hilfe und Partizipation, Zugehörigkeitsgefühl sowie Auswirkungen dieser persönlichen Empfindungen resp. Einstellungen auf der Handlungsebene ( S.290 / eigene Übersetzung ). Folglich kann beispielsweise auch eine diktatorische Gesellschaft oder eine Gesellschaft, in der Sklaverei herrscht, einen hohen Grad an Zusammenhalt aufweisen. Eine solche Form von Zusammenhalt hat nach Ansicht der Verfasser dieser Arbeit einen beliebigen Charakter. Nicht nur bei der Messung und Analyse sondern auch bei einer Definition der Grundlagen gesellschaftlichen Zusammenhalts sind deshalb demokratische Grundwerte einzubeziehen. Fazit – ein eigenes Modell sozialer Kohäsion Soziale Kohäsion stellt sich als komplexer und vielschichtiger Begriff heraus. Obschon in den Sozialwissenschaften auch Bestrebungen in Gang sind, soziale Kohäsion so einfach und kurz wie möglich zu definieren, wird sie meist in mehrdimensionalen Konzepten beschrieben, um den mannigfaltigen Einflussfaktoren gerecht zu werden. Die drei oben vorgestellten Beiträge zur Theorie sozialer Kohäsion weisen einige Unterschiede auf. Bereits hinsichtlich der Ziele der Konzepte resp. der Definition bestehen Unterschiede: Während Kearns und Forrest (2000) versuchen, möglichst breit die unterschiedlichsten Grössen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt beeinflussen, zu beschreiben, geht es Chan et al. ( 2006 ) darum, eine Definition sozialer Kohäsion auf der Basis der grundlegendsten Voraussetzungen sozialer Kohäsion zu generieren. Die Konzepte unterscheiden sich stark hinsichtlich Gewichtung der Relevanz von gesellschaftlichen Werten und sozialen Mechanismen für die Determination von sozialer Kohäsion. Während Chan et al. ( 2006 ) diese als Grundvoraussetzung für soziale Kohäsion verneinen und sie in ihrer Definition nicht berücksichtigt, sind sie bei Kearns und Forrest ( 2000 ) wie auch bei Chiesi ( 2006 ) als wichtige Einflussfaktoren zentral. Daneben bestehen jedoch auch viele Gemeinsamkeiten. Alle drei präsentierten Beiträge betonen die Wichtigkeit von Partizipation für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Eine kohäsive Gesellschaft stellt die Voraussetzung für Partizipation durch verschiedene Institutionen sicher. Mitglieder einer kohäsiven Gesellschaft wissen um die gegenseitige Abhängigkeit und partizipieren freiwillig an Politik und Zivilgesellschaft ( vgl. Kapitel 3.2 ). Sie tun dies aufgrund von positiven Empfindungen gegenüber ihrer gesellschaftlichen Realität, aus Vertrauen gegenüber Mitmenschen und Institutionen und einem Gefühl der Zugehörigkeit. Sie interagieren, gehen Kooperationen mit ihren Mitmenschen ein und helfen sich gegenseitig. Auf der Basis dieser Gemeinsamkeiten wird hier ein eigenes Modell einer kohäsiven Gesellschaft vorgeschlagen. Neben den Gemeinsamkeiten greift das Modell auch auf Spezifika einzelner Beiträge zurück: Aufgrund der Überlegungen von Kearns & Forrest ( 2000 ) und Chiesi ( 2005 ) schliesst es den Einfluss gesellschaftlicher Grundwerte mit ein und erwähnt ausdrücklich Toleranz, zusammen mit individueller Identität. Auch die Einflussfaktoren Eigenverantwortlichkeit und das Gefühl einer kollektiven Verantwortung, welche Kearns und Forrest ( 2000 ) beschreiben sowie die Abwesenheit grösserer Konflikte, auf die Kearns und Forrest ( 2000 ) wie auch Chan et al. ( 2006 ) hinweisen, finden Eingang in das Modell. Mit seinen zwei Sphären greift das Modell auf den Beitrag von Chan et. al ( 2006 ) zurück, die eine Unterscheidung von Kohäsion innerhalb der Zivilgesellschaft und zwischen Staat und Mensch( en ) vorschlagen. Abbildung 5 Ebene der manifesten Politische ( eigene Darstellung ) gesellschaftliche Realität aufgrund von Handlungen von Modell der Sphären und Individuen sowie staatlichen und privaten Institutionen Ebenen einer kohäsiven Politische Partizipation demokratischen Gesell- Sphäre :: hohe Wahlbeteiligung :: Einnahme politischer Ämter schaft ( eigenes Modell ) Ebene der latenten Empfindungen Vertrauen in politische Entscheidungsträger / innen und politische Institutionen Ebene der dominierenden Werte Gemeinsames Verständnis demokratischer Grundwerte: Vertrauen in Partizipation Mitmenschen :: eigenverantwortliches und Institutionen :: Freiheit :: Gleichheit :: Sicherheit Handeln :: Freiwilligkeit :: Debatten und Aushandlung Individuelle Identität und Interaktion Toleranz :: soziale Netzwerke mit Beziehungsinhalt Zugehörigkeitsgefühl und Gefühl einer kollektiven Verantwortung auf der Basis von demokratischen Grundwerten Es besteht eine geeignete wechselseitige Abhängigkeit und ( staatliche und private ) Beeinflussung der Ebenen und Institutionen Sphären :: Kooperation und gegen seitige Hilfe :: gemeinsame Problem und Konfliktlösung auf der Basis demokratischer Werte Abwesenheit grösserer gesellschaftlicher Spaltungen zivilgesellschaftliche Sphäre 30 + 31 Das Modell ist in eine politische und eine zivilgesellschaftliche Sphäre aufgeteilt. In beiden Sphären sind drei Ebenen wirksam für die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Folgen von Handlungen und Verhalten von Individuen und Gruppen zeigen sich auf der äussersten Ebene, ihre latenten Empfindungen auf der mittleren und die gesellschaftlichen Grundwerte auf der innersten Ebene. Das Modell verzichtet auf eine Betrachtung von Wirtschaft, Bildung sowie anderen gesellschaftlichen Teilbereichen und deren Einfluss auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Modell basiert es auf den demokratischen Grundwerten des 21. Jahrhunderts nach Gregor Husi ( 2012 ) Gleichheit, Freiheit und Sicherheit (S.12). Diese beeinflussen sowohl die Ebene der latenten Empfindungen wie auch die Ebene der gesellschaftlichen Realität in beiden Sphären. ( vgl. Kapitel 3.3 ) Wird die politische Sphäre ausgeblendet, eignet es sich auch für die Analyse des Zusammenhalts innerhalb und zwischen kleinerer Gruppen und Sozialräumen. Das Modell legt den Fokus hinsichtlich sozialer Kohäsion in einer Gesellschaft auf :: die Politik und die Zivilgesellschaft, :: die in der Gesellschaft dominierende Werte, :: die Empfindungen der Gesellschaftsmitglieder, :: und die manifeste gesellschaftliche Realität aufgrund von Handlungen der Gesells chaftsmit glieder. Als die zentralen Einflussfaktoren von gesellschaftlichem Zusammenhalt nennt das Modell :: die dominierenden gesellschaftlichen Grundwerte, :: das Vertrauen in Mitmenschen und politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, :: Partizipation an der Politik, :: individuelle Identität der Gesellschaftsmitglieder und Toleranz, :: Zugehörigkeitsgefühl und ein Gefühl der kollektiven Verantwortung, :: Abwesenheit grösserer gesellschaftlicher Spaltungen, :: ( Soziale ) Partizipation an der Zivilgesellschaft, die sich zeigt in .: eigenverantwortlichem Handeln, .: Freiwilligkeit, .: Debatten und Aushandlung auf der Basis von demokratischen Grundwerten, :: sowie Interaktionen, die sich zeigen in .: sozialen Netzwerken mit Beziehungsinhalt, .: Kooperationen, .: gegenseitiger Hilfe, .: gemeinsamer Problem - und Konfliktlösung auf der Basis von demokratischen Grundwerten. Obschon das Modell einen Zustand einer Gesellschaft darstellt, kann es auch prozessual betrachtet werden:Veränderungen innerhalb einer Ebene haben Auswirkungen auf die anderen Ebenen, sowohl auf die Ebenen innerhalb der gleichen Sphäre, wie auch auf die Ebenen innerhalb der jeweils anderen Sphäre. Jedes durch die zwei Sphären und drei Ebenen entstehende Feld ist in einer Form wechselseitig abhängig von jedem anderen Feld. In welchem Ausmass und aufgrund welcher Mechanismen wäre näher zu bestimmen. Wie die Konzepte und Definitionen sozialer Kohäsion nach Kearns und Forrest ( 2000 ), Chiesi ( 2005 ) und Chan et al. ( 2006 ), kann auch dieses Modell als Ausgangslage genutzt werden, um den Grad an sozialer Kohäsion in einer Gesellschaft, eines Staates oder Staatenbundes zu analysieren oder gar zu messen. Wird die politische Sphäre ausgeblendet, eignet es sich auch für die Analyse des Zusammenhalts innerhalb und zwischen kleinerer Gruppen und Sozialräumen. Das Modell wird – zusammen mit den oben dargestellten Beiträgen – als Ausgangslage für Aussagen hinsichtlich der Förderung sozialer Kohäsion durch die Soziokulturelle Animation in Kapitel 3 genutzt. Gleichzeitig stellt es den Ausgangspunkt für die in Kapitel 4 vorgestellte Kohäsionsanalyse dar. 2.3 Operationalisierung und Messung sozialer Kohäsion Angesichts der vielfältigen Einflussfaktoren sozialer Kohäsion wird deutlich, dass deren Messung eine Herausforderung darstellt. Sie bedingt komplexe Messinstrumente und aufwändige Forschungsarbeit. In den 1960er-Jahren hat sich in den Sozialwissenschaften die Sozialindikatorenforschung etabliert, welche Messkonzepte, Indikatoren und andere Instrumente erarbeitet, um gesellschaftliche Entwicklung messbar zu machen. 32 + 33 Im Zentrum des Interesses standen dabei hauptsächlich die Dauerbeobachtung des sozialen Wandels sowie die Messung und Analyse von Wohlfahrt und Lebensqualität. Diese Instrumente wurden in den vergangenen drei Jahrzehnten erheblich verbessert. Heute sind die Sozialindikatorenforschung und die daraus resultierende Sozialberichterstattung nicht nur in Europa, sondern in weiten Teilen der Welt ein anerkanntes Gebiet der empirischen Sozialwissenschaften. ( Heinz-Herbert Noll, 2005, S.185-188 ) Zunehmend ist auch die Politik an diesen Instrumenten und Forschungsresultaten interessiert. Besonders ausgeprägt ist die zunehmende Nutzung von sozialen Indikatoren durch die Europäische Union, welche bereits verschiedene Indikatorenprogramme initiiert hat. ( Noll, 2005, S.204-205 ) Seit den 1990er-Jahren sind sowohl seitens der Sozialwissenschaften als auch der Politik vermehrt Bestrebungen in Gange, soziale Kohäsion messbar zu machen ( Noll, 2005, S.196 ). Noch ist jedoch vor allem hinsichtlich der Frage, wie gesellschaftlicher Zusammenhang entsteht, relativ wenig Forschungsliteratur vorhanden ( vgl. Kapitel 2.2 ). In diesem Unterkapitel werden vier Versuche, soziale Kohäsion zu operationalisieren und dadurch messbar zu machen hauptsächlich anhand ihrer Charakteristiken kurz dargestellt. Erkenntnisse dieses Unterkapitels fliessen auch in die in Kapitel 4 vorgestellte Kohäsionsanalyse ein. Komplexität und Umfang Als Beispiel für ein sehr umfangreiches und komplex aufgebautes Indikatorenset sei hier die Publikation „ Concerted development of social cohesion indicators. Methodological guide “ des Europarats aus dem Jahr 2005 erwähnt. Sie richtet sich an politische wie private Akteurinnen und Akteure auf sowohl lokaler, nationaler wie internationaler Ebene und hat zum Ziel, die Beobachtung, Messung und Implementierung sozialer Kohäsion zu erleichtern ( Council of Europe, 2005, S.17 ). Der Europarat unterscheidet darin vier Levels sozialer Kohäsion ( allgemeine Trends, soziale Kohäsion als Ganzes, soziale Kohäsion in acht Lebensbereichen, soziale Kohäsion hinsichtlich gesellschaftlicher Randgruppen) und schlägt für jedes Level hinsichtlich grundlegender Lebensinhalte ( Werte, Empfindungen,Wissen etc. ), Handlungen von Individuen, Gruppen und Institutionen sowie hinsichtlich vier Dimensionen ( Gleichheit / Nicht-Diskriminierung,Würde / Anerkennung, Autonomie / persönliche Entwicklung, Partizipation / Commitment ) eine Vielzahl an Fragen und Indikatoren für die empirische Forschung vor ( vgl. Council of Europe, 2005, S.105-194 ). Ein sehr viel weniger umfangreiches und weniger komplexes Indikatorenset erarbeiteten Sarah Botterman, Marc Hooghe & Tim Reeskens ( 2009 ) vom Center for Political Research der katholischen Universität Leuven, Belgien. In ihrer Publikation „ Is social cohesion one latent concept? Investigating the dimensionality of social cohesion on the basis of the Kearns and Forrest ( 2000 ) typology “ aus dem schlagen die Autoren und die Autorin folgende Indikatoren für die Messung sozialer Kohäsion vor: :: Anzahl kirchliche Taufen :: Anzahl kirchliche Trauungen :: Anzahl kirchliche Beerdigungen :: Besuch von Gottesdiensten :: Anzahl Autodiebstähle :: Anzahl Diebstähle aus dem Auto :: Anzahl Einbrüche :: Häufigkeit von Vandalismus an Autos :: Häufigkeit anderer Formen von Vandalismus :: Anzahl Sachschäden aufgrund von Gewalt :: Anzahl Verletzungen aufgrund körperlicher Gewalt :: Anzahl Morde :: durchschnittliches Einkommen :: Bevölkerungsdichte :: Anteil Geburten in armen Familien, :: Anteil Sozialhilfebezügerinnen und Sozialhilfebezüger :: Arbeitslosen- und Langzeitarbeitslosenquote :: Anzahl soziokulturelle Einrichtungen ( Botterman et al., 2009, S.262 / eigene Übersetzung ) 34 + 35 Botterman et al. ( 2009 ) ziehen für die Messung von gesellschaftlichem Zusammenhalt quantitative Daten aus den Bereichen Religion, Kriminalität, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bei. Gemäss den Autoren werden dadurch die im Konzept von Kearns und Forrest ( 2000 ) erwähnten Einflussfaktoren gemeinsame Werte, soziale Ordnung, Solidarität und Vermögensungleichheit abgebildet. Man kann sich fragen, wofür eine Messung sozialer Kohäsion aufgrund derart weniger Indikatoren Sinn macht. Sagt die Beteiligung am religiösen Leben in einer modernen Gesellschaft noch etwas über ihren gesellschaftlichen Zusammenhalt aus? Warum berücksichtigen die Autoren neben der Anzahl soziokultureller Institutionen beispielsweise nicht auch Mitgliedschaften in Vereinen? Ein Ziel von Botterman et al. ( 2009 ) war es, die Komplexität von Konzepten sozialer Kohäsion zu reduzieren. Sie gestehen am Schluss ihrer Publikation ein, dass dies angesichts des komplexen Phänomens äusserst schwierig ist. ( S.262 / eigenen Übersetzung ) Die Autoren ziehen nur quantitative Daten bei und lassen Empfindungen, Einstellungen und ( ausser religiöse und kriminelle ) Handlungen der Gesellschaftsmitglieder ausser Acht. Man erhält den Eindruck, dass die Zugänglichkeit der Daten ein wichtiges Kriterium für die Bestimmung der Indikatoren war. Um Aussagen über die Empfindungen, Einstellungen und Handlungen von Menschen machen zu können, reichen quantitative Daten kaum aus. Der Grad an sozialer Kohäsion basiert aber geradezu auf diesen Aussagen . Es sind also qualitative Daten gefragt. ( vgl. Kapitel 2.3 ) Quantitative und qualitative Daten Um qualitative Daten zu erhalten, ist empirische Sozialforschung vonnöten. Anhand des grossen finanziellen und zeitlichen Aufwandes für diese verwundert es nicht, dass hinsichtlich sozialer Kohäsion noch wenige qualitative Daten zugänglich sind . Chan et al. ( 2006 ) machen einen ersten Schritt in der Erarbeitung von Indika- ( vgl. Kapitel 2.2 ) toren für eine empirische Forschung und formulieren einige beispielhafte Fragen für wissenschaftliche Befragungen. Im Bereich soziale Partizipation und Lebendigkeit der Zivilgesellschaft schlagen sie zum Beispiel vor, danach zu fragen, ob die befragte Person Mitglied in Clubs, Kirchen,Vereinen, Gewerkschaften, politischen Parteien etc. ist und wie sie den Grad ihrer Partizipation in diesen Gruppen beurteilt. ( S.295- 297 / eigene Übersetzung ) Natalia Letki ( 2008 ), Sozialwissenschaftlerin am Department of Political Science des Collegiums Civitas, Warschau, wies in einer Studie nach, dass der sozioökonomische Status von Menschen einen weit grösseren Einfluss auf sozialen Zusammenhalt auf Quartierebene in Städten Englands hat als die Herkunft der Menschen. Für ihre Forschung zog sie Daten aus Bevölkerungsbefragungen der britischen Verwaltung aus dem Jahr 2001 bei. Diese Untersuchung ging hauptsächlich von Konzepten zu Sozialkapital aus und fragte Quartierbewohnerinnen und Quartierbewohner danach, :: wie gerne sie in der Nachbarschaft wohnen, :: wie stark Nachbarn füreinander da sind, :: wie viele Menschen sie in der Nachbarschaft kennen, :: wie stark sie ihren Nachbarn vertrauen, :: wie sie die Möglichkeit einschätzen, dass ein im Quartier liegengelassenes Porte monnaie zurückgegeben wird, :: wie oft sie Freunde und Nachbarn bei sich zu Gast haben, :: wie oft sie Freunde oder Nachbarn besuchen, :: wie oft sie mit Freunden oder Nachbarn ausgehen, :: wie oft sie sich an Aktivitäten von Organisationen oder Vereinen betätigen, :: wie oft sie Organisationen unbezahlte Hilfe leisten, :: wie oft sie einem Freund oder Nachbar unbezahlte Hilfe leisten, :: und wie oft sie unbezahlte Hilfe von Organisation oder Individuen erhalten. ( Letki, 2008, S.26 / eigene Übersetzung ) Eine derartige Befragung fokussiert die Empfindungen und Handlungen von Individuen und generiert Daten, die etwas über das konkrete Zusammenleben der Menschen aussagen. Studien, die den Grad an gesellschaftlichem Zusammenhalt zu messen versuchen, unterscheiden sich stark hinsichtlich der Indikatoren, die zur Erhebung beigezogen oder erarbeitet werden. Während die einen Arbeiten hauptsächlich quantitative Daten beiziehen, um Kohäsion auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene zu messen, analysieren andere qualitative Daten aus Befragungen und legen damit den Fokus auf Individuen und ihre Beziehungen untereinander.Viele Studien kombinieren quantitative und qualitative Daten. Zusammenfassung Die Messung sozialer Kohäsion stellt eine Herausforderung dar. Seit den 1990er-Jahren versuchen Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler wie auch die Politik westlicher Demokratien jedoch vermehrt, den Grad an gesellschaftlichem 36 + 37 Zusammenhalt zu messen. Die dazu erarbeiteten Operationalisierungen sozialer Kohäsion resp. die dafür geeigneten Indikatorensets unterscheiden sich sowohl inhaltlich wie auch bezüglich ihres Umfangs, ihrer Komplexität und auch ihrer Qualität. Sie legen je nachdem den Fokus eher auf quantitative oder qualitative Daten. Basis für jede Forschung ist ein gutes Konzept sozialer Kohäsion, dessen Erarbeitung wiederum Forschung bedarf. 38 + 39 3 Soziokultur auf den Punkt gebracht Förderung sozialer Kohäsion als Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation In Kapitel 2 wurde dargestellt, wie soziale Kohäsion in den Sozialwissenschaften verstanden und beschrieben wird. In einem eigenen Modell sozialer Kohäsion haben die Verfasser dieser Arbeit Inhalte aus zwei Konzepten und einer Definition sozialer Kohäsion verarbeitet. In zwei Sphären und drei Ebenen wird darin eine kohäsive Gesellschaft beschrieben. Zum Einfluss der Soziokulturellen Animation auf soziale Kohäsion ist kaum Literatur vorhanden. Husi ( 2010 ) stellt die These auf, dass „ Soziokulturelle Animation interveniert, wo ‚ Teile’ der Gesellschaft an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten nicht ( mehr ) zusammenhalten, und präveniert, wo dies zu geschehen droht “ ( S.98 ). Husi ( 2010 ) betont dabei, dass es nicht die Aufgabe der Soziokulturellen Animation ist, Lebensbereiche, Klassen oder Milieus untereinander zusammenzuhalten – damit wäre sie überfordert. Diese Aufgabe haben Politik und Recht zu übernehmen. ( S.98 ) „ Soziokulturelle Animation kümmert sich denn ‚bescheidener ’ ( . . . ) um zwischenmenschlichen Zusammenhalt, und das bedeutet: unter konkreten Menschen “ ( Husi, 2010, S.98 ). Die Verfasser dieser Arbeit gehen einen Schritt weiter und plädieren dafür, die Förderung sozialer Kohäsion als die Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation anzuerkennen. Sie gehen in diesem Kapitel folgenden Fragen nach: :: Wie nimmt die Soziokulturelle Animation die Förderung sozialer Kohäsion wahr? :: Inwiefern lässt sich die Förderung sozialer Kohäsion als Kernaufgabe der Sozio kulturellen Animation bezeichnen? Die in Kapitel 2.2 vorgestellten sozialwissenschaftlichen Beiträge zu sozialer Kohäsion zeigen eine Vielzahl an Einflussfaktoren sozialer Kohäsion auf. Über die Kategorien Interaktion, soziale und politische Partizipation sowie gesellschaftliche Grundwerte lässt sich soziale Kohäsion aufschlüsseln und beschreiben. Anhand dieser Kategorien wird in den Kapiteln 3.1 bis 3.3 dargestellt, wie die Soziokulturelle Animation die soziale Kohäsion fördert. Im Fazit ( Kapitel 3.4 ) wird auf die Förderung sozialer Kohäsion als Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation eingegangen. 3.1 Interaktion, Soziokulturelle Animation und die Förderung sozialer Kohäsion Wie in Kapitel 2 erläutert, sind Interaktionen ein zentraler Einflussfaktor sozialer Kohäsion: Soziale Netzwerke mit einem Beziehungsinhalt, Kooperationen und gegenseitige Hilfe sowie die gemeinsame Problem- und Konfliktlösung haben einen 40 + 41 positiven Einfluss auf soziale Kohäsion. Anhand der unterschiedlichsten Formen von Interaktionen unter Individuen und Gruppen wird sozialer Zusammenhalt sicht- und bis zu einem gewissen Grad messbar.Treten grosse gesellschaftliche Spaltungen auf, münden diese im wohl schlimmsten Fall in kriegerische Interaktionen. Obschon noch wenig Forschungsliteratur darüber vorhanden ist, wie soziale Kohäsion entsteht, besteht Konsens darüber, dass sich soziale Kohäsion letztlich in Interaktionen manifestiert ( vgl. Kapitel 2 ). Die Soziokulturelle Animation ihrerseits hat das Verhältnis zwischen Menschen stets im Fokus und richtet ihr professionelles Handeln danach aus . ( Husi, 2010, S.101 ) In diesem Unterkapitel wird die Rolle der Soziokulturellen Animation hinsichtlich sozialer Interaktion unter die Lupe genommen und aufgezeigt, wie Berufsleute der Soziokulturellen Animation in dieser Rolle soziale Kohäsion fördern. Dabei wird auf die in Kapitel 2 vorgestellten Konzepte und Definitionen wie auch auf das von den Verfassern dieser Arbeit vorges-tellte Modell sozialer Kohäsion zurückgegriffen. Förderung sozialer Kohäsion durch Aufbau und Pflege sozialer Netzwerke Im Buch „ Balancieren und Stimulieren “ umreisst Marcel Spierts ( 1998 ) unter anderem Koordinaten, Ziele, Funktionen und Aufgaben der Soziokulturellen Animation – oder in seinen Worten der soziokulturellen Arbeit. Anette Hug ( 2010 ) weist darauf hin, dass Spierts‘ Text zwar keine ausgearbeitete Theorie darstellt, er jedoch Ansatzpunkte liefert, wie die „ widersprüchliche und vielfältige Berufsrealität ( ... ) auf einen Nenner gebracht werden könnte “ ( S.205 ). Auch zehn Jahre nach dessen Erscheinen bietet dieses Werk Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren Orientierung in der Ausübung ihres Berufes. Dessen Inhalte boten Ansatzpunkte für viele weitere Publikationen, gleichzeitig finden sie noch heute Eingang in die Lehre an Hochschulen der Sozialen Arbeit. Den Ausgangspunkt für seine Aussagen findet Spierts ( 1998 ) in der Praxis der soziokulturellen Arbeit auf lokaler Ebene in den Niederlanden. Um die Aufgaben von Fachleuten der Soziokulturellen Animation zu benennen, untersucht er die Haupttätigkeiten Soziokultureller Animatorinnen und Animatoren anhand eines mustergültigen Stelleninserates und teilt dem Beruf fünf Kernaufgaben zu. Dabei ist er präzise und umfassend. Trotz recht unterschiedlichen Profilen von Arbeitsstellen bringt er den Kern jeder soziokulturellen Arbeit – auch in der Schweiz – auf den Punkt. Im Folgenden werden diese Kernaufgaben beschrieben. Dabei wird bei der Benennung des Berufsfeldes und der Berufsleute der Soziokultur die Terminologie von Spierts ( 1998 ) übernommen: Es wird nicht von Soziokultureller Animation, sondern von soziokultureller Arbeit die Rede sein, und statt von Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren wird von soziokulturellen Arbeiterinnen und Arbeitern gesprochen. Anschliessend werden die Aussagen Spierts’ ( 1998 ) mit der Förderung sozialer Kohäsion in Beziehung gebracht. Fünf Kernaufgaben nach Spierts ( 1998 ) Kernaufgabe 1: Das Knüpfen von Kontakten Um Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung zu registrieren und davon ausgehend Aktivitäten und Angebote zu gestalten, aber auch um auf bestehende soziokulturelle Aktivitäten und Angebote aufmerksam zu machen, sind soziokulturelle Arbeiterinnen und Arbeiter immer wieder aufgefordert, kreative Wege zu finden, um Kontakt aufzunehmen zu von der soziokulturellen Institution noch nicht erreichten Menschen. Nur wenn diese Kontakte auf der Basis gegenseitigen Vertrauens und Ernst- Nehmens entstehen, haben sie eine Chance, von Dauer zu sein. Das Knüpfen von Kontakten ist ein Prozess, der Diskussion, Fragestellung, Zuhören und den Versuch, einander zu verstehen, beinhaltet. ( Spierts, 1998, S.132-136 ) Kernaufgabe 2: Programmieren und Organisieren Eine professionelle soziokulturelle Arbeit bedingt gemäss Spierts ( 1998 ) die Durchführung von Analyseschritten zu verschiedenen Zeitpunkten in der Konzeption, Evaluation und Weiterentwicklung von Aktivitäten oder einer Reihe von Aktivitäten. Dabei müssen Erwägungen hinsichtlich Angebote und Ziele, Inhalte, Arbeitsweisen, Arbeitsformen und -inhalten sowie Arbeitsbedingungen stets miteinander in Beziehung gebracht werden. Durch den Begriff Programmieren wird zum Ausdruck gebracht, dass dabei eine systematische und planmässige Vorgehensweise zentral ist. ( S.136-137 ) Aufgrund des Programmierens und die Publizierens des daraus entstehenden Programms einer Institution erhält diese nach Spierts ( 1998 ) gleichzeitig ein Gesicht nach aussen und vermittelt den Zielgruppen ihre Ziele, Absichten, Hintergründe, Möglichkeiten und Grenzen. Dadurch wird den Zielgruppen im besten Fall klar, was sie erwartet und in welchem Kontext und auf welche Weise sie sich beteiligen können. In der Folge erhöht sich die Chance auf eine funktionierende Kooperation. ( S.136-155 ) Um eine erfolgreiche Durchführung einer Aktivität zu erreichen, müssen deren Bestandteile schliesslich arrangiert oder eben organisiert werden ( Spierts, 1998, S.136 ). Kernaufgabe 3: Die Betreuung von Teilnehmern und Freiwilligen Spierts ( 1998 ) schreibt, dass für das methodische Handeln der soziokulturellen Arbeiterinnen und Arbeiter entweder das Individuum, eine Gruppe ( oder mehrerere Gruppen ) oder Gesellschaftsverbände Ausgangspunkte ist / sind. Gleichzeitig müssen jeweils die beiden anderen Ausgangspunkte reflexiv in das Handeln miteinbezogen werden. Die Arbeit mit Gruppen steht allerdings auch bei einer Ausrichtung auf Individuen oder grössere Gesellschaftsverbände im Zentrum der soziokulturellen Arbeit. Dabei wird unterschieden zwischen Gruppenarbeit ( wenn Menschen im Rahmen einer Aktivität zusammenkommen ) und Gruppenbildung ( zum Beispiel bei Selbstorganisation oder Interessensvertretung ). ( S.158 ) 42 + 43 Die Zusammenarbeit der soziokulturellen Arbeiterinnen und Arbeiter mit Freiwilligen ist geprägt von einer gegenseitigen Abhängigkeit, welche die Fachpersonen vor Herausforderungen stellt. Damit soziokulturelle Arbeiterinnen und Arbeiter Aufgaben und Zuständigkeiten adäquat verteilen und koordinieren können, muss ein für die Freiwilligen attraktives Arbeitsklima bestehen, welches die Fachperson unter Abwägung unterschiedlicher Interessen der Freiwilligen, Teilnehmenden, Fachpersonen und der eigenen Institution zu schaffen hat. ( Spierts, 1998, S.158 ) Kernaufgabe 4: Einrichtungsorientierte Arbeit:Verwaltung und Organisation Soziokulturelle Arbeiterinnen und Arbeiter handeln gemäss Spierts ( 1998 ) von einer professionellen Institution aus. Ihre Institution stellt einen Player innerhalb einer umfassenden, immer grösser und komplexer werdenden Wohlfahrtsorganisation dar. Dies bedingt eine aktive Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und ein Hineindenken in die Betriebskulturen anderer Organisationen. Gleichzeitig stellt diese Ausgangssituation hohe Ansprüche an das Funktionieren der Zusammenarbeit innerhalb einer soziokulturellen Institution: Eine erfolgreiche Teamarbeit ist eine Grundvoraussetzung für das Erreichen der gesetzten Ziele in der soziokulturellen Arbeit. ( S.168-169 ) Bereits vor 13 Jahren konstatierte Spierts (1998), dass organisatorisches und massnahmeorientiertes Handeln in der soziokulturellen Arbeit zugenommen hat – unter anderem aufgrund von neuen Finanzierungsformen, die beispielsweise das Erstellen von Projektkonzepten, das Beantragen von Subventionen, aber auch die Pflege von Netzwerken mehr und mehr ins Zentrum soziokultureller Arbeit rücken ( S.169 ). Es darf hinzugefügt werden, dass der Trend hin zu mehr Management in der Soziokultur auch in der vergangenen Dekade anhielt. Kernaufgabe 5: Entwicklung und soziokulturelle Politik Spierts ( 1998 ) betont, dass soziokulturelle Arbeiterinnen und Arbeiter auf dem Hintergrund einer Institutionspolitik arbeiten, die Strategien umfasst, um die Ziele der Institution zu erreichen. Bei deren Erarbeitung und Umsetzung von Aktivitäten und Projekten reflektieren die soziokulturelle Arbeiterinnen und Arbeiter gesellschaftliche Entwicklungen, die Politik der Behörden und die Bedingungen für angestrebte Kooperationen. Gleichzeitig haben sie vorhandene Ressourcen ( Menschen, Lokalitäten, Geld etc. ) abzuwägen. Die daraus resultierenden Prioritäten für Aktivitäten und Projekte fliesst in das Erstellen des Programms einer Institution ein.Von soziokulturellen Arbeiterinnen und Arbeitern wird erwartet, dass sie die Zusammenhänge bei diesem Prozess reflektieren, dokumentieren, innerhalb der Institution kommunizieren und gegen aussen legitimieren. ( S.171-172 ) Spierts ( 1998 ) umschreibt die fünf Kernaufgaben pragmatisch; er umreisst ausführlich die Tätigkeiten und deren Rahmenbedingungen bei der Erfüllung jeder einzelnen Aufgabe, lässt dabei aber eine inhaltliche Ausrichtung des professionellen Handelns oder die Frage danach, worum es bei der Erfüllung der Aufgaben im Bezug auf die Gesellschaft geht, vermissen. Danach jedoch fragt diese Arbeit: Was ist die gesellschaftliche Aufgabe der Soziokulturellen Animation? Auf welche übergeordnete, gesellschaftliche Aufgabe deuten also die fünf Kernaufgaben nach Spierts ( 1998 ) hin? Zwei Tätigkeitsclustern ordnet Spierts (1998) die fünf Kernaufgaben zu: Tätigkeiten hinsichtlich des Begleitens von Teilnehmenden sowie Freiwilligen ( Kernaufgaben 1-3 ) und Tätigkeiten, die mit der Realisierung der Kernaufgaben 1-3 zusammenhängen ( Kernaufgaben 4 und 5 ) ( S.79 ). Damit führt er eine Art Hierarchie seiner vorgeschlagenen Kernaufgaben ins Feld und stellt die Kernaufgaben 1-3 – das Knüpfen von Kontakten, das Organisieren und Programmieren von Aktivitäten sowie das das Betreuen von Teilnehmenden und Freiwilligen – ins Zentrum der soziokulturellen Arbeit. Die drei Aufgaben weisen auf die Förderung sozialer Kohäsion hin: Das Knüpfen von Kontakten sowie das Betreuen von Teilnehmenden und Freiwilligen meint im Grunde nichts anderes als den Aufbau und die Pflege von sozialen Netzwerken. Soziale Netzwerke haben einen entscheidenden Einfluss auf den Grad an sozialer Kohäsion in einem Gemeinwesen, einem Quartier, einem Staat wie auch innerhalb einer anderen Gruppierung ( vgl. Kapitel 2 ). Martin Hafen ( 2010 ) nennt die Ermöglichung sozialer Kontakte eine zentrale Funktion der Soziokulturellen Animation ( S.198 ). Spierts ( 1998 ) spricht von einer Nischenfunktion der soziokulturellen Arbeit: Die geschützten Begegnungsorte, die sie Menschen in ihrem Quartier oder Gemeinwesen bietet, ist für viele wichtig, um sich in der Öffentlichkeit überhaupt zu zeigen und zu artikulieren. Damit fördert die soziokulturelle Arbeit die soziale Infrastruktur. ( S.86 ) Auch erwähnt Spierts ( 1998 ), dass die sich ständig verändernden Bedürfnisse der Bevölkerung den Ausgangspunkt der soziokulturellen Arbeit darstellen ( S.135 ). Es geht darum, flexibel auf diese Veränderungen zu reagieren und dabei unterschiedliche Gestalten anzunehmen ( Spierts, 1998, S.84-85 ). Mit anderen Worten: Die Soziokulturelle Animation versucht, auch oder gerade dann Interaktion zu ermöglichen und Netzwerke zu gestalten, wenn erschwerte Bedingungen dazu bestehen, resp. wenn Menschen oder Gruppen begrenzte Ressourcen hierzu mitbringen. Die Jugendarbeit ist diesbezüglich ein treffendes Beispiel. Nicht jede soziale Beziehung ist der Förderung sozialer Kohäsion dienlich ( Chiesi, 2005, S.248 ). Nur wenn die Beziehung Träger eines Inhalts wie zum Beispiel Anerkennung, Kooperation,Vertrauen, Information oder Solidarität ist, kann sie der sozialen Kohäsion förderlich sein ( vgl. Kapitel 2 ). Hier wird die Wichtigkeit einer reflektierten Vorgehensweise im Aufbau und der Pflege von sozialen Netzwerken deutlich, welche soziokulturelle Arbeiterinnen und Arbeiter nach Spierts ( 1998 ) durch Erfüllen der Kernaufgabe 2 nachgehen. Chan et al. ( 2006 ) weisen darüber hinaus darauf hin, dass über den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft oder Gemeinschaft nur aufgrund von wiederholten Aktionen von Menschen und/oder Gruppen Aussagen gemacht werden können ( S.289 ). Mit anderen 44 + 45 Worten: Nur wiederholtes gemeinsames Tun ( auf der Grundlage von Freiwilligkeit und Vertrauen ) hat einen positiven Einfluss auf soziale Kohäsion. Bei der Erfüllung der Kernaufgabe 2 nach Spierts ( 1998 ) haben soziokulturelle Arbeiterinnen und Arbeiter genau an diesem Punkt Gestaltungsmöglichkeiten: Aufgrund der stetigen Auswertung von Teilschritten und der Evaluation einer stattgefunden Aktivität entscheidet sie / er ( alleine oder gemeinsam mit Freiwilligen ) über die Aufnahme einer Aktivität in ein Programm resp. über eine wiederholte Durchführung. Nach Spierts ( 1998 ) steht sorgfältiges und reflektiertes Aufbauen und Pflegen von sozialen Netzwerken also im Zentrum der soziokulturellen Arbeit. Er deutet mit seiner Aufgabenstruktur damit letztlich auf eine gesellschaftliche Kernaufgabe hin: die Förderung der sozialen Kohäsion. Professionelles Handeln in der soziokulturellen Arbeit auf lokaler Ebene hat Einfluss auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt: Durch Aufbau und Pflege von sozialen Netzwerken wird dieser von soziokulturellen Arbeiterinnen und Arbeitern gefördert. Praxisbeispiel 1 Das Netzwerk 4057 ist eine im Postleitzahlgebiet 4057 in Basel angesiedelte Vernetzungsplattform mit dem Ziel, ausserschulische Bildung Netzwerk 4057 zu fördern. Die Koordinatorin des Netzwerks – eine Soziokulturelle Animatorin –, vermittelt Kontakte zwischen Lehrpersonen lokaler Schulen ( vgl. Stadtteilsekretariat Kleinbasel, 2011 / und Kindergärten und ausserschulischen Anbieterinnen und Anbietern von Kinder- und Jugendangeboten aus dem Quartier. Die Koordinations- Benjamin van Vulpen, 2011 / stelle des Netzwerks 4057 arrangiert und unterstützt gemeinsame http://www.4057-basel.ch ) Kooperationen und Aktionen, welche einen Mehrwert für alle Akteurinnen und Akteure bringen: Kinder und Jugendlichen lernen Freizeitangebote kennen, Lehrpersonen bereichern ihre Schulprojekte mit Ressourcen aus dem Quartier und Anbieterinnen und Anbieter erreichen über die Kooperationen mit der Schule ihre Zielgruppe. Beispielsweise führte eine Primarklasse des Schulhauses Theobald Baerwart einen Quartierrundgang durch, bei welchem die Schülerinnen und Schüler verschiedene Freizeitangebote im Quartier besuchten. Ein anderes Beispiel ist eine Kooperation einer Oberstufenschule mit dem Mädchentreff Mädona und dem Boxclub Basel, die für die Schule im Frühlingssemester 2010/11 jeweils ein Wahlfach anbieten konnten. Ein weiteres Beispiel ist die Pausenhofaktion der Primarschule Bläsi im Juni 2011. Fünf verschiedene Organisationen aus dem Quartier konnten während dieses Monats jeweils am Mittwoch in der grossen Pause am Vormittag ihre Angebote interaktiv präsentieren und Schülerinnen und Schüler hatten die Möglichkeit, die Organisationen kennen zu lernen. Förderung sozialer Kohäsion in der Vermittlungsrolle Nach Jean Claude Gillet ( 1998 ) sind Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren „ aufgefordert, als Agenten des Beziehungsaufbaus zwischen Akteuren [ sic! ], die sich nicht mehr begegnen, zu intervenieren “ ( zit. in Husi, 2010, S.102 ). Gleichzeitig hat die Soziokulturelle Animation bei Konflikten zu intervenieren. Sowohl bei mangelnder wie auch konflikthafter Interaktionen treten Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren in der Rolle von Vermittlerinnen und Vermittlern auf. Dabei verfolgen sie das Ziel, Konflikte zu lösen oder bereits im Vorfeld aufzufangen, zu verhandeln oder Kooperationen resp.Vernetzungen auf die Beine zu stellen ( Gabi Hangartner, 2010, S.315 ). Tabelle 1 soll eine Orientierung geben bei der Frage, hinsichtlich welcher Zielgruppen und Problematiken diese Vermittlung stattfinden kann ( Hangartner, 2010, S.290 ). Tabelle 1 Vermittlung in der Soziokulturelle Animation vermittelt Soziokulturelle Animation ist tätig für und mit der Zielgruppe... innerhalb oder zwischen... Soziokulturellen Animation Generationen Quelle: Hangartner, 2010, S.291, Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, ältere und ganz alte Menschen ... sowie eigene Anpassungen Geschlechtern Mädchen und/oder Jungen, Frauen und/oder Männer, Frauen und/oder Männer mit Migrationshintergrund ... Kulturen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, einheimische und zugezogene Menschen im Quartier, im Stadtteil, in der Gemeinde ... Lebenswelten, Lebensstilen, Gesunde Menschen und Menschen mit Behinderungen, Menschen Lebenslagen und sozialen mit und ohne Erwerbsarbeit, freiwillig Tätige und professionell Schichten Tätige, Familien und Alleinerziehende, Lehrpersonen, Eltern und Kinder, Bewohnerinnen und Bewohner von Wohngenossenschaften ... System( en ) und Lebenswelt( en ) Akteure aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft sowie Bewohnerinnen und Bewohner in Quartieren, Stadtteilen und Gemeinden ... Die Abbildung verdeutlicht das breite Feld, in welchem Interventionen in der Vermittlungsrolle und damit die Förderung von Zusammenhalt stattfinden können: Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren vermitteln zwischen Generationen, Geschlechtern, Kulturen, Lebenswelten / Lebenslagen / Lebensstilen / sozialen Schichten 46 + 47 sowie zwischen System und Lebenswelt. Ebenso vermitteln sie aber auch innerhalb von Zielgruppen. Soziokulturelle Animation versucht, bei Menschen das Verständnis der eigenen Lage, das Gestalten des eigenen Lebens und das Mitgestalten öffentlicher Prozesse zu fördern und geht dabei grundsätzlich von allgemeinen Bedürfnissen aller Menschen aus . Auch Spierts ( 1998 ) betont, dass es eine Ziel- ( Heinz Moser, Emanuel Müller, Heinz Wettstein & Alex Willener, 1999, S.207 ) setzung der soziokulturellen Arbeit ist, „ Menschen mit verschiedenen Hintergründen den Zugang zu den [ soziokulturellen ] Einrichtungen zu ermöglichen “ ( S.161 ). Spierts ( 1998 ) bezeichnet Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren als Zwischenpersonen, die zwischen Interessensgegensätzen und divergierenden Ansprüchen zu vermitteln haben. Dabei haben sie Beziehungen zu knüpfen, Querverbindungen zu legen und fein abgestimmt zwischen verschiedenen Sprachen ihrer Zielgruppen zu übersetzen. Ziel dabei ist es nicht, Probleme für die Menschen zu lösen, sondern Kooperationen zu gestalten, an welchen Menschen eigenverantwortlich teilnehmen und dabei lernen, die Verantwortung für die eigene Situation ( wieder ) zu übernehmen und handlungsfähig zu werden. ( S.91-93 ) Nach Hangartner ( 2010 ) kann bei der Vermittlungsarbeit Soziokultureller Animatorinnen und Animatoren entweder Problematisieren / Thematisieren, Übersetzen, ein Interessensausgleich oder Konfliktlösung im Zentrum stehen ( S.317 ). Treten hinsichtlich Zielgruppen oder dem gesellschaftlichen Kontext problematische soziale Entwicklungen auf, hat die Soziokulturelle Animation so früh wie möglich die Thematik aufzugreifen ( Problematisieren ) und möglichst viele involvierte oder betroffene Akteurinnen und Akteure darauf hinzuweisen (Thematisieren ). Dazu bedarf es einer Analyse, um Kooperations - sowie Konfliktpotenzial zu eruieren. Ziel dieser Form von professionellem Handeln ist es, präventiv auf sich anbahnende soziale Probleme wie Konflikt, Spaltung, mangelnde Kommunikation etc. einzuwirken, diese also im besten Fall gar nicht entstehen zu lassen. ( Hangartner, 2010, S.317-318 ) Nach Emanuel Müller ( 1999 ) geht es bei Übersetzungsarbeit von Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren einerseits darum, Informationen aus einer Lebenswelt den Menschen einer anderen Lebenswelt zugänglich zu machen und andererseits Begegnungsmöglichkeiten zwischen Angehörigen der unterschiedlichen Lebenswelten zu schaffen ( zit. in Hangartner, 2010, S.318 ). Ziel dabei ist es,Verständigung überhaupt erst zu ermöglichen ( Hangartner, 2010, S.318 ). Bestehen unter verschiedenen Akteurinnen und Akteuren unterschiedliche Interessen hinsichtlich eines zu lösenden Problems oder einer Thematik, können Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren als verhandelnde Instanz auftreten und einen Interessensausgleich anstreben. Sie übernehmen dabei entweder Partei für die Interessen einer Gruppe oder sie treten allparteilich auf und versuchen, als eine Art Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter eine Verhandlungslösung zu erreichen. ( Hangartner, 2010, S.318 ) Nach Müller ( 1999 ) tragen Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren dadurch dazu bei, Konflikte früh zu erkennen und zu lösen oder das Eskalieren eines Konfliktes zu verhindern ( zit. in Hangartner, 2010, S.319 ). Um bei bestehenden Konflikten zu intervenieren und im besten Fall eine Konfliktlösung zu erreichen, müssen Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren nicht nur Methoden zur Konfliktlösung kennen und diese anzuwenden wissen, sondern auch über Instrumente verfügen, um den Konflikt ( hinsichtlich Konflikttiefe, Konfliktart, Konfliktstufe, Machtkonstellationen etc. ) und die eigenen Rolle bei der Konfliktlösung zu reflektieren resp. zu analysieren ( Hangartner, 2010, S.319 ). Gegenseitiges Vertrauen ist Voraussetzung dafür, dass Netzwerke und Kooperationen entstehen, Menschen sich gegenseitig unterstützen und bereit sind, gemeinsam Probleme zu lösen. Kooperationen und gemeinsame Konfliktlösung fördern wiederum das gegenseitige Vertrauen ( vgl. Kapitel 2 ). Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren sind in der Vermittlungsrolle exakt an dieser Schnittstelle von Wechselseitigkeit tätig, fördern das gegenseitige Vertrauen und damit soziale Kohäsion. Um dies leisten zu können, müssen sie nach Hangartner (2010) über eine Vielzahl an Kenntnissen und Kompetenzen verfügen. Zentral in allen Arbeitsfeldern der Soziokultur sind kommunikative Kompetenzen. In der Arbeit mit oder sehr nahe an einer oder mehreren Zielgruppe / n ( zum Beispiel in der Jugendarbeit ) sind diese unter anderem für den Aufbau von tragfähigen Beziehungen ( auf der Grundlage von gegenseitigem Vertrauen ) zentral, in der Vermittlungsrolle in einem Quartierbüro oder Stadtteilsekretariat sind sie wichtig bei der Gesprächsführung mit unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren ( mit dem Ziel des Aufbaus von gegenseitigem Vertrauen ). Um eine gelingende Kommunikation zu ermöglichen, haben Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren Methodenkenntnisse zu besitzen – zum Beispiel bezüglich Verhandlungsführung und Konfliktlösung ( siehe oben ) – gleichzeitig aber müssen sie auch über fundierte Sachkenntnisse verfügen; bei der Konzeption von Mitwirkungsverfahren beispielsweise müssen sie die politischen Strukturen vor Ort gut kennen. Ebenso haben sich Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren für ihr professionelles Handeln Kompetenzen aus anderen Disziplinen anzueignen, so zum Beispiel kreative Techniken wie Video oder Fotografie. (S.279)  Praxisbeispiel 2 Im Sihlfeldquartier in Zürich hinter dem Schulhaus Aemtler befindet sich die viel genutzte Aemtlerwiese mit einem Spielplatz. Seit einiger Runder Tisch Aemtler Zeit häuften sich Klagen von Eltern und der Quartierbevölkerung über Abfall und Lärm. Grund genug für die Quartierkoordination, (vgl. Stadt Zürich, 2009, S.3-14 / Stadt Zürich, 2011, S.6-7) einen runden Tisch einzuberufen. Neben Nutzerinnen und Nutzern der Wiese waren auch die Abwarte der Schule, die Leiterin des anliegenden Schülergartens, die Schulleitung, Grün Stadt Zürich sowie die offene Jugendarbeit (OJA), Stadtpolizei und ERZ (Entsorgung und Recycling Zürich) zum Austausch eingeladen. Nach einer gemeinsamen Begehung der Aemtlerwiese einigte man sich auf verschiedene Unterhaltsmassnahmen zur Verbesserung der Situation: Ein neuer Grill, neue Bänke und mehr Abfallkübel wurden aufgestellt, die Beleuchtung verbessert und die Büsche zurückgeschnitten. Alles in allem sollte die Anlage gepflegter erscheinen, denn Abfall zieht in der Regel noch 48 + 49 mehr Abfall an. Die OJA und SIP züri (Sicherheit Intervention Prävention Stadt Zürich) sprachen mit den Jugendlichen auf der Wiese, um auch sie für ein störungsfreies Nebeneinander zu sensibilisieren. Der „Runde Tisch Aemtler” wird je nach Bedarf wieder einberufen. Im Vorfeld des „Runden Tisches Aemtler” wurde von der Quartierkoordination ein Projekt gestartet, welches sich den Nutzungskonflikten annimmt. Mit kreativen Angeboten wurden Identifikationsmöglichkeiten für Nutzerinnen und Nutzer mit der Parkanlage geschaffen. Es wurde ein Totemschnitzen organisiert, auf das der feierliche Abschluss FESTwurzeln folgte. Danach entstanden erste Initiativen der Bevölkerung: Es wurde ein Hunde-Workshop organisiert, ein Kürbisessen fand statt und eine Aktion Papmachee-Früchte wurde durchgeführt. Die Quartierkoordination nahm in der Umsetzung der Massnahmen ihre Funktion als Koordinationsstelle wahr. Sie vermittelte bei unterschiedlichen Interessen, suchte das Gespräch mit allen Beteiligten und bachte diese dazu, miteinander ins Gespräch zu kommen. Gerade wenn man sich vor Augen hält, dass es beim professionellen Handeln soziokultureller Animatorinnen und Animatoren – nicht nur in der Vermittlungsrolle – zu einem grossen Teil darum geht,Vertrauen aufzubauen, wird klar, dass neben dem, dass sie Wissen abrufen und Methoden anwenden, immer wieder in einem ganzheitlichen Sinne als Mensch gefordert sind. Ihr professionelles Handeln wird von persönlichen Dispositionen,Verhaltensweisen oder Einstellungen mitbestimmt – manchmal mehr, manchmal weniger. Spierts ( 1998 ) führt aus, dass Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren die Kunst des Balancierens beherrschen müssen und meint damit dass sie Wahrnehmungsvermögen besitzen müssen und die Übersicht zu behalten haben ( S.92 ). „ Dies heisst: Wache Augen und offene Ohren haben, über eine scharfe Nase für Situationen verfügen und diese Situationen – mit Gespür für Mass und Relationen – prüfen können “ . ( Spierts, 1998, S.92 ) 3.2 Partizipation, Soziokulturelle Animation und die Förderung sozialer Kohäsion In Konzepten und Definitionen sozialer Kohäsion ist Partizipation ein wichtiger Einflussfaktor sozialer Kohäsion ( vgl. Kapitel 2 ). In der Soziokulturellen Animation hat sich Partizipation nach Hangartner (2010) zu einem festen Bestandteil entwickelt ( S.284 ). In der Lehre wird Partizipation als zentrales Prinzip diskutiert und das professionelle Handeln in der Soziokulturellen Animation wird sehr oft danach ausgerichtet. Die Verfasser dieser Arbeit gehen in diesem Unterkapitel folgenden Fragen nach: Wie wird in Konzepten und Definitionen sozialer Kohäsion Partizipation verstanden? Wie versteht die Soziokulturelle Animation ihr Arbeitsprinzip Partizipation? Welche Gemeinsamkeiten bezüglich Partizipation verbinden Soziokulturelle Animation und soziale Kohäsion? Sind zwischen Soziokultureller Animation und sozialer Kohäsion über das Prinzip Partizipation Parallelen ersichtlich, welche die These unterstreichen, dass die Förderung sozialen Zusammenhalts die Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation darstellt? Zu Beginn dieses Unterkapitels wird der Begriff Partizipation sozialwissenschaftlich definiert und umschrieben. Im zweiten Teil wird Partizipation als Arbeitsprinzip der Soziokulturellen Animation dargestellt und als Faktor der im Kapitel 2 umrissenen Konzepte und Definitionen sozialer Kohäsion beschrieben. Dadurch wird ersichtlich, wie die Soziokulturelle Animation aufgrund ihres Arbeitsprinzips Partizipation soziale Kohäsion fördert. Partizipation, ein Begriff mit vielen Definitionen Partizipation, aus dem spätlateinischen participatio, definieren Dieter Nohlen und Rainer-Olaf Schultze ( 1994 ) als Beteiligung im Sinne sowohl von Teilnahme als auch von Teilhabe. Ansichten darüber, was unter Teilhabe und Teilnahme von Individuen zu verstehen ist, gehen je nach Menschenbild und Demokratieverständnis weit auseinander ( siehe unten ). ( S.396 ) Häufig wird in den Sozialwissenschaften zwischen politischer und sozialer Partizipation unterschieden. Hinsichtlich politischer resp. sozialer Partizipation bestehen zum Teil unterschiedliche Fragestellungen, Diskussionen und Ableitungen für die Praxis. Unter politischer Partizipation versteht Jan W. van Deth ( 2009 ) „ alle Aktivitäten von Bürgern [ sic! ] mit dem Ziel, politische Entscheidungen zu beeinflussen “ ( S.141 ). Zur klassischen politischen Partizipation gehören nach van Deth ( 2009 ) das Wählen, das Abstimmen oder die Beteiligung an Parteipolitik. Jedoch auch unkonventionelle Formen, wie das Sammeln von Unterschriften, das Demonstrieren, die Beteiligung an Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen und das Partizipieren an anderen Mitwirkungsprozessen zählen zur politischen Partizipation. Letztere haben in den letzten Jahrzenten stark zugenommen. Politische Partizipation bildet den Grundstein jeder Demokratie. ( S.141 ) Maria Lüttringhaus ( 2000 ) definiert hinsichtlich politischer Partizipation die Teilhabe als eine Teilnahmegewährung oder Teilnahmestärkung der Bürgerinnen und Bürger, welche durch das politische System und die Verwaltung des Staates ermöglicht wird. Teilnahme anderseits ist das aktive Annehmen und Umsetzen der Gestaltungsmöglichkeiten durch die Bevölkerung. Partizipation besteht immer sowohl aus Teilhabe und Teilnahme; 50 + 51 wenn also beispielsweise Beteiligungsmöglichkeiten angeboten werden, jene von den Bürgerinnen und Bürgern aber nicht aktiv angenommen werden, ist keine Partizipation vorhanden. (S.22-23) Bei partizipativen Prozessen bedarf es nach Lüttringhaus ( 2000 ) einer intermediären Instanz, „die wie ein Gelenkstück die beiden ersten Handlungsklassen [ ,Teilhabe und Teilnahme, ] verbindet. Durch diese Zwischeninstanzen soll der Partizipationsprozess optimiert werden, um demokratische Zivilgesellschaft zu fördern“ ( S.23 ). Peter Uebersax ( 1991 ) betont, dass die Gestaltung von politischen Entscheidungsprozessen stark davon abhängt, ob Partizipation als Ziel oder als Mittel verstanden wird. Partizipation als Ziel ist eine normative Vorstellung und bringt einen Zielwert zum Ausdruck, genauso wie beispielsweise direkte Demokratie, Autonomie oder Selbstverwaltung. Als Mittel wird Partizipation hingegen dann bezeichnet, wenn sie nicht als Ziel im Zentrum steht, sondern wenn zur Erreichung eines beliebigen Ziels partizipative Methoden verwendet werden. ( S.6-7 ) Lüttringhaus ( 2000 ) beschreibt indes, dass politische Partizipation als Ziel als einen ständigen Ausbau der Teilnahmemöglichkeiten und Förderung der Teilnahme zu verstehen ist. Partizipation als Mittel hingegen beschreibt die Methode des Entscheidungsfindungsprozesses in bestehenden politischen Strukturen. ( S.24-25 / S.30 ) Die Lenkung von politischen Beteiligungsprozessen hängt weiter von der Unterscheidung formeller und informeller Partizipation ab. Hangartner ( 2010 ) definiert formelle Partizipation als gesetzlich vorgeschriebene Instrumente, wie zum Beispiel das Wahlrecht, Abstimmungen,Vernehmlassungen und weitere Mitwirkungsrechte. Informelle Partizipation hingegen bezeichnet die ergänzende freiwillige Mitwirkung der Bevölkerung an Entscheidungsprozessen. Ein Beispiel dazu sind Quartierentwicklungsprozesse, bei welchen die Quartierbevölkerung in den Planungsvorhaben mitwirken kann. (S.285) Bei formeller Partizipation sind nach Lüttringhaus (2000) der Beteiligungsgrad und die Entscheidungsmacht klar geregelt. Bei informeller Beteiligung dagegen besteht ein Spielraum, in welchem der Partizipationsgrad ausgehandelt werden kann. ( S.38 ) Für die Einschätzung des effektiven Grades an politischer Mitwirkungsmöglichkeit von Menschen hilft das in der Tabelle 2 dargestellte Stufenmodell der Partizipation von Lüttringhaus ( 2000 ). Tabelle 2 Stufenmodell der politischen Partizipation inklusive Grundlagen politischer Partizipation Gesellschaftliche und politische Strukturen und Verhältnisse 4. Stufe Selbstverwaltung (zum Beispiel Macht und Eigentumsverhältnisse, Finanzsituation, Gesetze, Satzungen) Quelle: Lüttringhaus, 2000, S.72, Zugangsschwellen der Partizipation, sowie eigene Anpassungen Zeitbudget, Partizipationskultur, gesellschaftliche Wertigkeit 3. Stufe Mitentscheidung Einstellung zum politischen 2. Stufe Verhalten, Partizipations- Mitwirkung erfahrungen, Vertrauen in Veränderungsprozesse, Selbst-, fähigkeit des Milieus Sozial- und Systemvertrauen Betroffenheit, ökonomische Kommunikationssystem, Menschenbild der Entscheider/innen von Partizipation, Innovations- Lage, Partizipationsangebote, Demokratieverständnis, Interesse, Informationsverhalten, 1. Stufe Information Sozial- und Bildungspotential, Integrationsgrad, räumliche Milieu, materielle und personelle Identität Ressourcen objektiv-strukturelle Grundlagen Konflikt resp. Entscheidungssituation subjektive Grundlagen Die Stufen sind auf der Ebene der Teilhabe und der Ebene der Teilnahme beinahe identisch; sie richten in der Umsetzung den Fokus entweder auf die Handlung des politischadministrativen Systems oder auf die Handlung der Bürgerinnen und Bürger. Lüttringhaus ( 2000 ) unterscheidet subjektive und objektiv-strukturelle Grundvoraussetzungen für die Beteiligung auf den verschiedenen Stufen. Dabei bilden diese jeweils die Grundlage für die nächste Stufe. ( S.72 ) Information ist die erste Stufe. Dabei geht es einerseits um den Informationsfluss, um überhaupt Wissen über einen Gestaltungsprozess zu erhalten, anderseits um das Informationsinteresse und die Betroffenheit der Bürgerinnen und Bürger. ( Lüttringhaus, 2000, S.39 / 42 ) Auf der zweiten Stufe befindet sich die Mitwirkung, welche die Öffnung der Verwaltung und Politik zum Dialog und die Möglichkeit der Artikulation und Stellungnahme der Bevölkerung bedeutet ( Lüttringhaus, 2000, S.41 / 43 ). Die dritte Stufe, Mitentscheidung, beschreibt die partnerschaftliche Kooperation des politischen Systems mit den Bürgerinnen und Bürger. Diese können auf Augenhöhe als Partnerinnen und Partner bei Entscheidungsprozessen Einfluss nehmen. Entscheide werden gemeinsam ausgehandelt. ( Lüttringhaus, 2000, S.41-43 ) Auf der vierten und letzten Stufe befindet sich die Selbstverwaltung. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, autonom zu bestimmen und das Ziel und die Vorgehensweise zu kontrollieren. Seitens des Staatsystems werden Entscheide vollständig an die Bevölkerung delegiert. ( Lüttringhaus, 2000, S.42-43 ) 52 + 53 Bei der sozialen Partizipation spielen ähnliche Mechanismen wie bei der politischen Partizipation eine Rolle. Soziale Partizipation unterscheidet sich nach Sigrid Rossteutscher ( 2009 ) gegenüber politischer Partizipation dadurch, dass die Beteiligungsform keinen Einfluss auf politischer Ebene anstrebt. Soziale Partizipation ist das Engagement von Individuen in Gruppen der Zivilgesellschaft ohne politische Motivation. Soziale Partizipation meint Handlungen über den privaten und den familiären Bereich hinaus. Sie bezeichnet öffentliche Aktivitäten in Vereinen, gemeinnützigen Organisationen oder Selbsthilfegruppen, welche meist von Ehrenamtlichen mitgetragen werden. Auch die soziale Partizipation ist jedoch ein wesentlicher Bestandteil eines demokratischen Systems, da Individuen dabei lernen, demokratisch zu handeln. ( S.163-164 ) Durch soziale Partizipation lernen die Menschen nach Rossteutscher ( 2009 ) kommunikative und soziale Fähigkeiten, welche wiederum eine Voraussetzung für die politische Partizipation sind ( S.165 ). Soziale Partizipation erweitert die Erfahrung von „ Informationsgewinnung, die durch die Einbindung assoziativer Netze und damit einhergehende zwischenmenschliche und organisatorische Kontakte erhöht wird “ ( Mark E. Warren, 2001, zit. in . Rossteutscher, 2009, S.165 ) Aufgrund sozialer Partizipation erhalten alle Schichten und soziale Gruppierungen unabhängig vom Bildungshintergrund Lernmöglichkeiten. Sie ist somit eine Bildungsstätte, um Kompetenzen zu erlernen, welche in der staatlichen Bildung nicht angeboten werden. ( Rossteutscher, 2009, S.165-166 ) Zivilgesell-schaftliches Engagement und soziale Partizipation werden von der Sozialwissenschaft und der Politik immer mehr wertgeschätzt und gefördert. Sie gelten als Grundstock des demokratischen Systems und Schule der Demokratie. ( Rossteutscher, 2009, S.164 ) Förderung von sozialer Kohäsion auf der Basis des Arbeitsprinzips Partizipation In den Konzepten und Definitionen sozialer Kohäsion ist die politische wie auch die soziale Partizipation als Faktor gesellschaftlichen Zusammenhalts unübersehbar . In der Grundstruktur sozialer Kohäsion von Chan et al. ( 2006) zählen die soziale ( vgl. Kapitel 2 ) und politische Partizipation zu den objektiven Komponenten sozialer Kohäsion. Die soziale Partizipation trägt zum Zusammenhalt zwischen den Bürgerinnen und Bürgern bei. Die politische Partizipation bezeichnet die kohäsive Dimension zwischen der Bürgerin resp. dem Bürger und dem Staat. (S.294 / eigene Übersetzung ) Für die Erhebung von qualitativen Daten haben Chan et al. (2006) spezifische Fragen formuliert, welche ihr Verständnis von Partizipation verdeutlichen. Soziale Partizipation stellen sie dabei mit der Mitgliedschaft und der Häufigkeit der Teilnahme eines Individuums in gemeinschaftlichen Gruppierungen, Interessengruppen, Gewerbeverbänden, Kirchen etc. gleich. Es spielt auch die Tiefe der Partizipation eine Rolle, also welche Position und welchen Verantwortungsgrad die Person übernimmt. ( S.296 / eigene Übersetzung ) Bei Kearns und Forrest ( 2000 ) wird Partizipation nicht als eine eigene Dimension sozialer Kohäsion aufgeführt. Gleichzeitig ist diese innerhalb der Dimensionen stark präsent. Auch Chiesi (2005) sieht soziale und politische Partizipation als Einflussfaktor sozialer Kohäsion, wobei er die politische Beteiligung auf der strukturellen Ebene, die soziale Partizipation auf der Handlungsebene einordnet. Er erwähnt soziale Partizipation an kollektiven Aktivitäten als Bestandteil sozialer Kohäsion. ( S.244 ) In der Soziokulturellen Animation wird Partizipation sehr oft als Mittel eingesetzt oder als Ziel formuliert. Folgend wird auf der Basis der Unterscheidung in politische und soziale Partizipation beschrieben, wie die Soziokulturelle Animation mit ihrem auf Partizipation ausgerichteten professionellen Handeln die soziale Kohäsion fördert. a ) Soziokulturelle Animation, politische Partizipation und soziale Kohäsion Kearns und Forrest (2000) weisen hinsichtlich sozialer Kohäsion lokale Regierungen darauf hin, dass Strategien und Programme für öffentliche Partizipation erforderlich sind, um ihre demokratische Legitimität gewährleisten zu können und um „ a new brand of involved and responsile citizens “ ( S.1009 / eigene Übersetzung ) entstehen zu lassen. Dies gelinge am besten, wenn die resultierenden Strategien von den Bürgerinnen und Bürgern und lokalen Organisationen als eigene empfunden werden. ( Kearns & Forrest, 2000, S.1009-1010 / eigene Übersetzung ) Wie Lüttringhaus (2000) aufzeigt, besteht bei der politischen Partizipation das Dilemma, dass entweder die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger nicht vorausgesetzt ist, oder aber, dass sie die Teilnahme nicht wahrnehmen möchten resp. können ( S.150 ). „ Angesichts der Gräben zwischen den staatlichen Instanzen und der Lebenswelt [ bedarf es ] zunehmend des Einsatzes einer dritten ‚ Brückeninstanz ’, um die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse zu moderieren “ ( Lüttringhaus, 2000, S.150 ). Hier übernimmt die Soziokulturelle Animation als intermediäre Instanz eine wichtige Rolle und fördert die Mitwirkung an Entscheidungsprozessen. Beispiele dazu sind Quartierkoordinatorinnen und - koordinatoren, welche die Mitwirkung der Quartierbevölkerung an Planungsprozessen der Stadtverwaltung ermöglichen oder Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter, die Jugendliche an der Gestaltung des öffentlichen Raumes partizipieren lassen. Die Berufsleute befinden sich dabei in einer Vermittlungsrolle ( vgl. Kapitel 3.1 ). Eine solche intermediäre Instanz fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt nach der Definition sozialer Kohäsion von Chan et al. ( 2005 ) hinsichtlich der vertikalen Dimension, welche die Beziehung zwischen dem Staat und den Menschen beschreibt. Im besten Fall wird das Vertrauen von Menschen in den Staat sowie die politische Partizipation gefördert. ( S.294 ) Auch Kearns und Forrest (2000) betonen die Wichtigkeit von intermediären Institutionen hinsichtlich Förderung von Harmonie und der Übernahme von Verantwortung durch Bürgerinnen und Bürgern, hinsichtlich Ermächtigung zur Beteiligung, hinsichtlich Vermittlung von Konfliktlösungskompetenz und hinsichtlich Anerkennung der Wichtigkeit von Toleranz ( S.997 / eigene Übersetzung ). Alex Willener ( 2010 ), Projektleiter Quartier- und Stadtentwicklung und Dozent an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, umschreibt Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren als Brückenbauerinnen und Brückenbauer zwischen der Bevölkerung 54 + 55 und der Ebene der Politik und Verwaltung ( S.366 ). Auch Spierts ( 1998 ) sieht die Soziokulturelle Arbeit in einer Zwischenposition, in der sie sich gegenüber der Bevölkerung wie auch gegenüber den Behörden behaupten muss. Soziokulturelle Arbeiterinnen und Arbeiter sind dabei Interessensgegensätzen ausgesetzt, zwischen denen sie einen Balanceakt leisten müssen. ( S.86 / 91-92 ) In der Ausgestaltung von Partizipationssprozessen hat die Soziokulturelle Animation die Aufgabe, bestehende Beteiligungsformen zu übernehmen und neue zu kreieren, welche sich im jeweiligen Setting eignen und durchgeführt werden können ( Hangartner, 2010, S.286 ). Weiter führt Hangartner ( 2010 ) aus: In den Handlungsfeldern der Soziokulturellen Animation heisst dies: Schaffen von niederschwelligen Partizipationsangeboten für bestimmte Zielgruppen, ( . . . ) das Initiieren und Durchführen von Mitwirkung bei Gestaltung von Räumen, Orten, Spielplätzen, wo sich die jeweiligen Zielgruppen aufhalten. ( S.285 ) Dazu braucht es einen entsprechenden Methodenmix, welcher sich an die Fragestellung anpasst. ( Hangartner, 2010, S.286 ) Wird die Unterscheidung formeller und informeller Partizipation in Betracht gezogen, ist die Soziokulturelle Animation vor allem in informellen Bereichen tätig. Die Soziokulturelle Animation gestaltet informelle Partizipationsprozesse, weil es ihr nach Hangartner ( 2010 ) darum geht, die Teilhabe und Teilnahme aller Menschen zu ermöglichen. Das heisst, dass sie das Ziel verfolgt, auch Personen eine Teilnahme an Entscheidungsprozessen zu verhelfen, welche von formeller Partizipation ausgeschlossen sind. ( S.285 ) In der Praxis kann informelle politische Partizipation zu Frust führen, wenn bei Mitwirkenden zu viele Erwartungen und Hoffnungen geweckt werden und nicht genau abgesteckt wird, wie weit die Mitwirkung real möglich ist ( Anette Hug, 2007, S.61 ). Für die Analyse Praxisbeispiel 3 Das Klybeckquai – ein Industrie- und Hafenareal im Kleinbasel – wird in den nächsten Jahren für die Neunutzung Schritt für Schritt Mitwirkungsverfahren Klybeckquai Basel freigegeben. Die freiwillige Mitwirkung der Quartierbevölkerung bei Neugestaltungen und Um- und Zwischennutzungen kann im Kanton Basel-Stadt verfassungsrechtlich eingefordert werden. (vgl. Stadtteilsekretariat Kleinbasel, 2011, S.3 / http://www.kleinbasel.stadtteilsekretariatebasel.ch/index.php?id=105) Die Quartierkoordination Stadtteilsekretariat Kleinbasel veranstaltete zusammen mit dem Verein Neubasel in einem frühen Stadium des Planungsprozesses einen Workshop. Die Bewohnerinnen und Bewohner der umliegenden Quartiere Kleinhüningen, Klybeck und Matthäus diskutierten zusammen mit Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertretern der Kantonsverwaltung über Qualitäten und Organisations- formen der Mitwirkung und formulierten mögliche Ideen von Zwischennutzungen. Die Quartierbevölkerung brachte deutlich zum Audruck, dass sie künftig im Planungsprozess aktiv mitwirken will. Das Stadtteilsekretariat Kleinbasel ist als intermediäre Instanz für die Mitwirkung der Quartierbevölkerung verantwortlich und im Projektgremium zusammen mit der Verwaltung und Grundstückbesitzenden vertreten. und Einordnung der Beteiligungsmöglichkeiten in der Praxis bietet sich für die Soziokulturellen Animation das Stufenmodell von Lüttringhaus (2000) als ein praktisches Instrument an. Mit dem Modell der Partizipationsstufen wird ein klarer Rahmen von Beteiligung gesteckt. Zugleich wird verhindert, dass bei einem Entscheidungsprozess zu grosse Versprechungen gemacht werden. Das Modell hilft zur Überprüfung der Grundvoraussetzungen für die Beteiligung auf der jeweiligen Partizipationsstufe. ( Hug, 2007, S.64-65 ) ( vgl. Tabelle 2 ) Die Voraussetzungen und Folgen von politischer Partizipation müssen den Professionellen der Soziokulturellen Animation bewusst sein. So können die Berufsleute Hürden zur Beteiligung von benachteiligten Gruppen abbauen und mit kreativen Methoden die Beteiligungschancen erhöhen. Eine einmalige partizipative Aktivierung reicht jedoch nicht aus. Es sind Überlegungen nötig, wie Beteiligung längerfristig und nachhaltig eingeflochten werden kann. ( Lüttringhaus, 2007, S.68 ) b ) Soziokulturelle Animation, soziale Partizipation und soziale Kohäsion Sozialen Partizipation ist für die Soziokulturelle Animation ein genauso bedeutsames Feld, wenn nicht gar ein bedeutsameres als die politische Partizipation. Sie unterstützt oder ist selbst tätig in zivilgesellschaftlichen Einrichtungen wie Vereinen, gemeinnützige Organisationen und Selbsthilfegruppen, welche kein politisches Ziel verfolgen. Die Soziokulturelle Animation fördert mit ihren Interventionen die zivilgesellschaftliche Freiwilligenarbeit und unterstützt Gruppen,Vereine und Organisationen dabei, sich selber zu organisieren. Kearns und Forrest (2000) unterstreichen die Wichtigkeit von sozialer Partizipation für soziale Kohäsion: Engagement in zivilgesellschaftlichen Angelegenheiten und soziale Kooperationen erhöhen den Grad an sozialer Kohäsion ( S.997-998 / eigene Übersetzung ). Gemäss Kearns und Forrest (2000) nehmen Mitglieder einer kohäsiven Gesellschaft aktiv am ( zivil- )gesellschaftlichen Leben teil. Partizipative kulturelle Einrichtungen und Aktivitäten erhöhen dabei die Qualität des Zusammenlebens. ( S.1008-1009 / eigene Übersetzung ) Die soziokulturelle Animation versucht gemäss Spierts ( 1998 ) Partizipation zu fördern, indem sie Adressatinnen und Adressaten dazu befähigt, die Verantwortung für die eigene Lebenssituation wieder selber wahrzunehmen ( S.93 ). Sie bietet der Bevölkerung geschützte Räume, in denen Begegnung und Aushandlung stattfinden kann, und leistet damit einen Beitrag an die Förderung sozialer Partizipation ( Spierts, 1998, S.86 ). Partizipation in zivilgesellschaftlichen Einrichtungen ist ausserdem bedeutungsvoll 56 + 57 hinsichtlich sozialer Kohäsion, da Teilnehmende Zugang zu Lernfeldern und sozialen Ressourcen erlangen. Soziale Partizipation fokussiert Ziele wie beispielsweise Bildung, Integration, Zugang zu Kultur, Freizeitbeschäftigung, Gesundheit, respektvoller Umgang mit der Umwelt, friedliches Zusammenleben und andere mehr . Darüber hinaus will die Soziokulturelle Animation Selbsttätigkeit, ( Hangartner, 2010, S.287 ) Selbstorganisation, Selbstreflektion und Selbständigkeit der Adressatinnen und Adressaten fördern ( Hangartner, 2010, S.299 ). Treffpunkte, Netzwerke, Spielabende, Werknachmittage, Discos im Jugendtreffpunkt, Zwischen-Tür - und - Angel - Gespräche, Räumlichkeiten zur selbstständigen Nutzung, Diskussionsforen etc., werden niederschwellig von Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren angeboten und lassen Menschen zivilgesellschaftliche Kultur aufbauen. Soziale Partizipation erzeugt Lernfelder, mit welchen die autonome Lebensführung eines jeden Menschen gesteigert wird. Güntner ( 2009 ) hält hinsichtlich sozialer Kohäsion fest: „ Für die Förderung des sozialen Zusammenlebens ist es bedeutend, durch das Schaffen und Bereitstellen von Angeboten, Gelegenheiten und Orten neue Formen sozialen Engagements zu erkennen und zu fördern “ (S.385). Um soziale Partizipation zu steuern, sind Formen der Teilhabe an der Gemeinschaft zu fördern ( Hangartner, 2010, S.273 ). Soziokulturelle Animation unterstützt die soziale Partizipation, indem sie Grundvoraussetzungen zur Beteiligung schafft. Sie stellt Angebote bereit, damit sich Menschen in ihrer Freizeit beteiligen, treffen und Kontakte knüpfen können . Weiter unterstützt sie Gruppen bei ihrer Selbstorganisation, indem sie ( Spierts, 1998, S.132 ) Praxisbeispiel 4 Eine Quartierbewohnerin von Affoltern Zürich gelangte mit ihrer Idee, einen Bau- oder Abenteuerspielplatz für Kinder und Jugendliche Bauspielplatz im Quartier zu erbauen, an eine soziokulturelle Animatorin des Gemeinschaftszentrum (GZ) Affoltern. Die Idee fand Anklang, weil das (vgl. Zürcher Gemeinschaftszentren, 2011, S.15) Quartier nur über wenige Grünflächen für Kinder und Jugendliche verfügte und die bestehenden fixfertigen Spielplätze wenig Gestaltungsspielraum zuliessen. Dank der guten Vernetzung des GZs wurde mit Hilfe des Quartiervereins, der Quartierkoordination und zusammen mit interessierten Eltern der Verein Abenteuerspielplatz gegründet. Auf Druck des Vereins gab Grün Stadt Zürich bald daraufhin ein Stück Wiese frei und die gemeinsame Entwicklung des Spielplatzes konnte beginnen. Kinder und Jugendliche erarbeiteten zusammen mit Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren in einer Zukunftswerkstatt das Modell eines künftigen Spielplatzes. Der Verein erhielt beim Bau des Spielplatzes viel Unterstützung aus dem Quartier: Grün Stadt Zürich stellte Container auf die Wiese, ein Gewerbetreibender spendete Werkzeug und einen Bauwagen, ein anderer Unternehmer schenkte Bauholz. Das GZ konnte sich nach der Aufbauarbeit zurückziehen und Know-how sowie Aufgaben an Quartierbewohnerinnen und Quartierbewohnern übergeben. Der Verein betreut und unterhält den Bauspielplatz seither selbstständig. diese begleitet und Lernfelder bietet ( Hangartner, 2010, S.304-305 ). Laut Hangartner ( 2010 ) arrangiert und begleitet Soziokulturelle Animation ausserdem Freiwilligenarbeit. Dabei kommt der Betreuung von Freiwilligen eine wichtige Bedeutung zu. Der zivilgesellschaftliche Sektor beruht auf dem Ansatz der Freiwilligkeit.Viele Ehrenamtliche engagieren sich in zivilgesellschaftlichen Einrichtungen wie Vereinen und gemeinnützigen Organisationen. In diesen ist die Soziokulturelle Animation selbst tätig, oder sie arbeitet mit solchen Institutionen zusammen. ( S.272 ) Spierts ( 1998 ) betont, dass Freiwillige immer eine Schlüsselrolle in der soziokulturellen Arbeit gespielt haben ( S.161 ). Er beschreibt die Zahl der Freiwilligen als „ Gradmesser für das Engagement der lokalen Gemeinschaft “ ( S.161 ). Nach Spierts ( 1998 ) besteht zwischen den Freiwilligen und Fachpersonen ein Abhängigkeitsverhältnis. Dies fordert eine klare Aufgabenverteilung und Klärung des Verhältnisses zwischen Fachpersonen und Freiwilligen. Seitens der Professionellen ist eine sensible, fachliche sowie persönliche Betreuung gefordert. ( S.161-168 ) Die Arbeit mit Freiwilligen hat direkten Einfluss auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Versuche, den Grad an sozialer Kohäsion innerhalb einer Gemeinschaft oder einer Gruppierung zu messen, kommen an der Berücksichtigung freiwilligen Handelns ihrer Mitglieder ( zum Beispiel Bewohnerinnen und Bewohner eines Quartiers oder eines Landes, Mitglieder einer Zielgruppe wie Jugendliche etc. ) nicht vorbei. Chan et al. ( 2006 ) betrachten den Willen, mit Mitmenschen ( auch mit solchen aus anderen sozialen Gruppen ) zu kooperieren und ihnen zu helfen als eine von vier subjektiven Komponenten sozialer Kohäsion. Um diese zu messen, schlagen sie als objektive Komponente die Quantifizierung von Freiwilligenarbeit und Spendentätigkeit vor. ( S.294 / eigene Übersetzung ) Teilhabe und Teilnahme sind fundamentale Grundsteine einer kohäsiven Gesellschaft. Werden den Menschen die Möglichkeiten zur Beteiligung geboten und diese wahrgenommen, trägt dies unmittelbar zu sozialem Zusammenhalt bei (vgl. Kapitel 2). Husi ( 2012 ) führt in seinem Konzept der Beteiligungsgesellschaft hinsichtlich Partizipation zwei ergänzende Begriffe ein ( S.41 / 44 ). Neben Teilhabe benutzt er den Begriff Teilsein. Teilsein bedeutet, „ dass sich persönliche Werte in legitimen Normen aufgehoben finden, ohne in ihnen restlos aufgehen zu müssen “ ( Husi, 2012, S.43 ). Neben Teilnahme benutzt er den Begriff Anteilnahme, welcher das Erleben von und das Einfühlen in Beteiligung – neben der aktiven Beteiligung der Menschen – beschreibt. Er definiert das Anteilnehmen also als eine weitere Komponente von Partizipation. ( S.43-44 ) Beteiligung besteht demnach aus Teilhabe, Teilsein, Teilnahme und Anteilnahme. Darin sieht er die „ Antworten auf Fragen [ danach ], was die Gesellschaft zusammenhält und was sie auseinandertreibt. ( . . . ) Sozialer Zusammenhalt gründet unmittelbar auf Teilnahme und Anteilnahme und erweist sich in einer Praxis, die geprägt ist von tolerantem, solidarischem, friedlichem Handeln sowie respektvollem, liebevollem, vertrauensvollem Erleben “ ( S.47 ). ( vgl. Kapitel 3.3 ) 58 + 59 3.3 Demokratische Grundwerte, Soziokulturelle Animation und die Förderung sozialer Kohäsion Im Buch „ Ethik Sozialer Arbeit “ beschreibt Andreas Lob - Hüdepohl ( 2007 ) die moralischen und normativen Fundamente der Soziale Arbeit ( und damit der Teildisziplin Soziokulturelle Animation ). Diese werden aufgrund von Erfahrungen in der Praxis stets reflektiert ( S.113 ). Die Wertegrundlagen beeinflussen die alltägliche Arbeit Soziokultureller Animatorinnen und Animatoren. Die gleichen Grundwerte spiegeln sich auch in Konzepten sozialer Kohäsion wieder und konstatieren einen wichtigen Bestandteil einer kohäsiven Gesellschaft ( vgl. Kapitel 2 ). Aufgrund ihres berufsethischen Hintergrunds trägt die Soziokulturelle Animation mit ihren Handlungen zur Förderung dieser Grundwerte und damit auch zu sozialem Zusammenhalt bei. Das folgende Unterkapitel bringt die grundlegenden Werte und Normen der Profession in Verbindung mit der Förderung sozialer Kohäsion. Im ersten Teil werden die Grundlagen und die Funktion ethischer Werte und Normen der Profession Soziale Arbeit resp. Soziokulturelle Animation beschrieben. Dabei wird ersichtlich, welche Grundwerte die professionellen Interventionen Soziokultureller Animatorinnen und Animatoren leiten. Im zweiten Teil wird anhand von drei Beispielen gezeigt, wie die Soziokulturelle Animation aufgrund ihres werteorientierten professionellen Handelns soziale Kohäsion fördert. Werte und Normen der Sozialen Arbeit Das Wertefundament westlicher Länder hat seine Wurzeln in der Entwicklung der Demokratie. Die Grundwerte des 21. Jahrhunderts sind nach Husi ( 2012 ), Freiheit, Gleichheit, Sicherheit, Toleranz, Solidarität und Frieden. Die ersten drei Werte bilden dabei primäre, die restlichen drei sekundäre Grundwerte. Dabei definieren sich die primären Grundwerte als Endzustände oder Zielvorstellungen. Die sekundären Grundwerte können als Instrumente zur Erreichung der Endzustände gesehen werden. ( S.9-13 ) Sowohl die primären wie auch die sekundären Werte fliessen stark in die Berufsethik Sozialer Arbeit ein. „Die Berücksichtigung ethischer Werte und moralischer Normen [ ist ] unabdingbar, um das Kerngeschäft Sozialer Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen ausüben zu können “, erläutert die Philosophin Annemarie Pieper ( 2007, S.2 ). Die Werte der Sozialen Arbeit dienen als Orientierung in der Praxis. In der geschichtlichen Entwicklung der Sozialen Arbeit haben die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit, welche die vorangegangenen Sozialgesetzgebungen zur „ Aufrechterhaltung öffentlicher Ordnung durch Gewährleistung eines bestimmten Standards sozialen Friedens “ ( Lob - Hüdepohl, 2007, S.118-119 ) ablösten, einen zentralen Stellenwert. Auch gemäss der International Federation of Social Workers ( IFSW ) sind in der Definition von Sozialer Arbeit die moralischen Zielvorgaben klar ersichtlich: „ Die Prinzipien der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit [ sind ] für die Soziale Arbeit von fundamentaler Bedeutung “ ( IFSW, 2000, zit. in Silvia Staub-Bernasconi, 2003, S.20 ). Nach Staub - Bernasconi ( 2003 ), Sozialarbeiterin, Soziologin und Professorin, braucht die Soziale Arbeit die Möglichkeit, sich eigenmächtig ein Mandat zu geben, um die Unabhängigkeit der Profession gewährleisten zu können und nicht alleinig den Vorgaben ihres ( meist staatlichen ) Trägers ausgeliefert zu sein. Die Menschenrechte, mit ihrer universellen Gültigkeit und als Bestandteil des internationalen Rechts seit 1992, legitimieren die Soziale Arbeit dazu, sich eigen bestimmte Aufträge zu geben. ( S.20-22 / 28 ) Dass die Menschenrechte eine allgemeine Geltung besitzen, ist durch die unerlässliche Gewährung menschlicher Würde begründet. Es handelt sich um die Autonomie eines jeden Menschen, die es ihm erlaubt, für sich ein gutes Leben zu verfolgen, das gut für das Individuum aber auch gerecht zu allen ist. ( Lob - Hüdepohl, 2007, S.126 ) Der Berufskodex des Berufsverbandes AvenirSocial ( 2010 ) gibt die Norm - und Wertehaltung der Profession wieder und verbindet diese Werte mit der Praxis Sozialer Arbeit. Mit diesen ethischen Richtlinien bietet AvenirSocial ( 2010 ) Berufstätigen ein Instrument zur Begründung ihrer Arbeit. Die darin enthaltenen Grundlagen beziehen sich stark auf die Menschenwürde, Menschrechte und soziale Gerechtigkeit. Aus den Grundwerten Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit leitet der Berufskodex folgende Grundsätze für Professionelle Sozialer Arbeit ab: Gleichbehandlung, Selbstbestimmung, Partizipation, Integration und Ermächtigung. Weiter werden die Verpflichtungen zur Zurückweisung von Diskriminierung, zur Anerkennung von Verschiedenheiten, zur gerechten Verteilung der Ressourcen, zur Aufdeckung von ungerechten Praktiken und zur Einlösung von Solidarität abgeleitet. ( S.4-10 ) Die berufsethischen Grundwerte Sozialer Arbeit veranschaulichen deren Zielvorstellung, welche auch die Soziokulturelle Animation in ihrer Praxis anstrebt. Nach Hug ( 2010 ) hat die Soziokulturellen Animation eine Haltung gegenüber demokratischer Werte zu entwickeln und zu diskutieren. Gar sieht sie die alltägliche Demokratisierung, das heisst das Fördern von Gerechtigkeit bei der Verteilung von Gütern, Anerkennung kultureller Leistungen und Beteiligung an Entscheidungsprozessen, als gesellschaftliche Aufgabe der Soziokulturellen Animation. Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren begleiten und organisieren Menschen, die Konflikte im Bereich der gerechten Verteilung, der Anerkennung oder der Beteiligung wahrnehmen, angehen und lösen möchten. Mit der Fähigkeit, auf lokaler Ebene Beziehungen zu schaffen, Gruppen zu organisieren, bei Konflikten zu vermitteln und Partizipationsprozesse zu erweitern, ist die Soziokulturelle Animation prädestiniert dafür, alltägliche Demokratie zu fördern. (S.208-210) Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren sollen demokratische Werte in ihren alltäglichen professionellen Handlungen bewusst reflektieren und begünstigen. Nach Auffassung der Verfasser dieser Arbeit 60 + 61 ist die alltägliche Demokratisierung eine wichtige Teilkomponente der Förderung sozialer Kohäsion durch die Soziokulturelle Animation. Förderung von sozialer Kohäsion auf der Basis demokratischer Werte In vielen Konzepten sozialer Kohäsion sind demokratische Grundwerte ein zentraler Bestandteil gesellschaftlichen Zusammenhalts. So sind bei Chiesi ( 2005 ) Gleichheit, Solidarität und Toleranz wichtige Einflussfaktoren für soziale Kohäsion ( S.244 ). Auch Kearns und Forrest ( 2000 ) beschreiben Werte wie Solidarität und Gleichheit als eine Dimension sozialer Kohäsion ( S.998 ). ( vgl. Kapitel 2.2 ) Die Werte in Konzepten sozialer Kohäsion und die berufsethischen Werte der Soziokulturellen Animation sind annähernd deckungsgleich. Es handelt sich dabei um demokratische Werte wie Gleichheit, Solidarität,Toleranz, sozialer Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit und soziale Sicherheit. Anhand von drei Beispielen wird folgend aufgezeigt, inwiefern Werte in Konzepten sozialer Kohäsion eine Rolle spielen. Im Anschluss wird beleuchtet, wie die Soziokulturelle Animation hinsichtlich dieser Werte handelt und damit sozialer Zusammenhalt fördert. a ) Chancengleichheit Neben gleicher Behandlung vor dem Gesetz ( Gesetzesgerechtigkeit ) und gleicher Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse ( Bedürfnisgerechtigkeit ), ist gemäss Lob - Hüdepohl ( 2007 ) die gleiche Chance zum Erwerb von soziokulturellen Kompetenzen und sozioökonomischen Ressourcen ein Bestandteil von Gleichheit ( Chancengerechtigkeit ) . ( S.130-131 ) Professionelle der Sozialen Arbeit orientieren sich am Grundsatz der Gleichbehandlung, der besagt, dass jeder Person die Menschenrechte zu gewähren sind. Sie verpflichten sich, aktiv Ungerechtigkeiten entgegen zu wirken und Ressourcen hinsichtlich Verteilungsgerechtigkeit effizient zu gebrauchen. ( AvenirSocial, 2010, S.10 ) Die Dimensionen sozialer Kohäsion beinhalten nach Chiesi ( 2005 ) normative Elemente wie die Struktur von Ungleichheiten. Die Reduktion von Ungleichheiten durch die Förderung von Chancengleichheit erhöht den Grad an sozialer Kohäsion. ( S.244 ) ( vgl. Kapitel 2.2 ) Einen Beitrag zur Chancengleichheit steuert die Soziokulturelle Animation aufgrund ihres Arbeitsprinzips Empowerment bei. Empowerment bedeutet die Befähigung von Menschen, eigene Stärken zu entdecken und sich Selbstbestimmung und Lebensautonomie anzueignen ( Norbert Herriger, 2006, zit. in Willener, 2007, S.54 ). Soziokulturelle Animation befähigt Menschen, indem sie Voraussetzungen für Partizipation schafft und Menschen bei ihrer Beteiligung am politischen und gesellschaftlichen Leben begleitet ( vgl. Kapitel 3.2 ). Mit informellen und non-formalen Bildungsangeboten leistet sie einen weiteren wesentlichen Beitrag zu Befähigung und damit zu Chancengleichheit. Informelle Bildung ist nicht organisiert oder strukturiert und findet in der Freizeit statt. Non-formale Bildung findet nicht in Bildungseinrichtungen (Schulen) statt, ist jedoch zielgerichtet und systematisch organisiert. ( Willener, 2007, S.79-80 ) Hangartner (2010) erläutert, dass Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren das lebenslange Lernen fördern und niederschwellige nach- und ausserschulische Angebote bieten ( S.287 ). Menschen können sich dadurch niederschwellig beteiligen und erlernen Kompetenzen, welche sie befähigen, gleichberechtigt an gesellschaftlichem Leben teilzunehmen. Praxisbeispiel 5 Viele Jugendliche und junge Erwachsene haben Ideen und Pläne für ein eigenes Projekt. Oft fehlen ihnen jedoch die nötigen Ressourcen, Juniorexperts Kontakte und das Wissen darüber, wie sie ein Projekt angehen und erfolgreich durchführen können. Infoklick.ch, Kinder-und Jugendförderung (vgl. infoklick.ch, ohne Datum a / infoklick.ch, ohne Datum b / http://www.juniorexperts.ch) Schweiz, unterhält mehrere Regionalstellen, bei denen Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren angestellt sind. Im Programm Juniorexperts von infoklick.ch, das aktuell in Basel, Solothurn, im Mittelland und in der Zentralschweiz anläuft, lernen die Teilnehmenden von Juniorexperts Projekte auf der Basis von eigenen Wünschen und Ideen zu konzipieren, zu planen, umzusetzen und auszuwerten. Die Jugendlichen melden sich für verschiedene Kurse mit spezifischen Inhalten zur Projektmethodik an (zum Beispiel Kommunikation, Fundraising, Leitung, Coaching etc.). Infrastruktur und Ressourcen stehen zur Umsetzung ihrer Projekte zur Verfügung. Juniorexperts sind engagierte junge Leute, die bereits eigene Projekte realisieren. Sie sind Expertinnen und Experten und geben während den Kursen Tipps und Tricks an die Jugendlichen weiter oder vermitteln Kontakte zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Die Juniorexperts organisieren sich in lokalen Gruppen. Die Jugendlichen können nach einschlägigen Projekterfahrungen bei den lokalen Gruppen als Juniorexperts einsteigen. b ) Solidarität Solidarität bedeutet die Förderung wechselseitiger Unterstützung der Gesellschaftsmitglieder gerade dort, wo Ungleichheit vorhanden ist ( Lob - Hüdepohl, 2007, S.129 ). Nach Kearns und Forrest ( 2000 ) ist die solidarische Umverteilung von Zugangsmöglichkeiten zwischen Gruppen und Orten belangreich für die harmonische Entwicklung der Gesellschaft und damit für soziale Kohäsion. Dazu gehört die Anerkennung der Bedürfnisse der Mitmenschen, das Interesse an ihrem Wohlergehen und der Wille zur gegenseitigen Unterstützung ohne Eigennutzen. ( S.998-999 / eigene Übersetzung ) Hangartner (2010) erläutert, dass die Soziokulturelle Animation Solidarität im Bereich der 62 + 63 Zivilgesellschaft fördert. Dabei setzt sie auf den Ansatz der Freiwilligkeit und fokussiert die Solidarität der Interessen. ( S.270 ) Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren begünstigen Solidarität vor allem in lokalen Räumen, in dem sie mit Projekten, Angeboten und Aktionen auf problematische gesellschaftliche Situationen reagieren und wechselseitige Bindungen und Verpflichtungen zwischen Menschen und Gruppen unterstützen. Es ist in der Regel einfacher, soziale Bindungen innerhalb von Gruppen und Gemeinschaften zu stärken. Die Soziokulturelle Animation will jedoch auch bei der Solidarität zwischen unterschiedlichen Menschen, die nicht zur selben Gemeinschaft gehören ansetzen und diese entwickeln. Die Vermittlungsrolle ist dabei zentral ( vgl. 3.1 ). ( Hangartner, 2010, S.269-271 ) c ) Toleranz Nach Chiesi ( 2005 ) ist auf individueller Ebene Toleranz und Akzeptanz resp. Ablehnung verschiedener Gruppen ein Faktor sozialer Kohäsion ( S.244 ). Kearns und Forrest ( 2000 ) erwähnen, dass Respekt gegenüber Differenzen, Absenz von Hass und Vorurteilen, sowie Kooperationen über die eigene Gruppe hinaus förderlich für gesellschaftlichen Zusammenhalt sind ( S.998 / eigene Übersetzung ). Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren ermöglichen Begegnungen von verschiedenen Gruppierungen, Kulturen und Ethnien. Nach dem Berufskodex von AvenirSocial ( 2010 ) müssen sich Professionelle der Sozialen Arbeit für die Anerkennung von Verschiedenheiten von Individuen, Gruppen und Gemeinschaften verpflichten sowie ethische und kulturelle Unterschiede achten ( S.9 ). Für die Soziokulturelle Animation ist es also zentral, Normen und Werte jeder Gruppe zu respektieren und jedes Arrangement hinsichtlich der Unterschiede der Menschen zu reflektieren. Spierts ( 1998 ) erläutert, dass Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren Orte anbieten, wo Menschen und Gruppierungen sich in gleichwertiger Art und Weise begegnen können. Neben der Begegnung werden unterschiedliche Zielsetzungen, wie Kommunikation, Sicherheit, Unterhaltung / Vergnügen, Entspannung und Zusammengehörigkeit, angestrebt. ( S.184-185 ) Durch die Förderung niederschwelliger Begegnungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Akteurinnen und Akteuren unterstützt also die Soziokulturelle Animation das gegenseitige Verständnis,Vertrauen und Toleranz zwischen Individuen, Gruppen und Institutionen. Praxisbeispiel 6 Ein soziokultureller Animator des Kindertreffpunktes IM VIADUKT der Stadt Zürich führte ein Projekt durch, bei welchem sich Kinder, Kinder und Hunde auf der Josefwiese Hunde, Anwohnerinnen und Anwohner sowie Hundehalterinnen und -halter im Rahmen von mehreren Aktionstagen begegneten. Dabei stand im Zentrum, dass sich die verschiedenen Gruppierungen (vgl. Andi Wüthrich, 2011) besser kennenlernen konnten und voneinander lernten. Neben der Gestaltung einer Kinder-Hunde-Hütte, befassten sich die Kinder an den Aktionstagen auf verschiedenste Art und Weise mit Vierbeinern. An einem Aktionstag beispielsweise bastelten die Kinder lebensgrosse Hundemodelle. Mit diesen inszenierten, fotografierten und besprachen sie Situationen, in denen Kinder auf Hunde treffen. Das soziokulturelle Projekt ermöglichte, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen begegneten und verständigten. Dadurch förderte es die gegenseitige Toleranz. Die Soziokulturelle Animation setzt sich stark für die Werte ein, welche für gesellschaftlichen Zusammenhalt essenziell sind. Somit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Förderung sozialer Kohäsion. Oder mit den Worten Husis ( 2010 ) : Eingedenk der ( berufs )ethisch begründeten Werte Sozialer Arbeit bringt Soziokulturelle Animation Menschen mit der Absicht zusammen, den sicheren freiheitlichen Zusammenhalt aller Menschen ( . . . ) zu fördern. ( . . . ) Sie schafft Anwesenheit und orientiert sich dabei am ‚ Geist des Demokratismus ’, der Modernisierung primär als Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit ( resp. Gerechtigkeit ) und Sicherheit auffasst, die durch einen toleranten, solidarischen, friedlichen Umgang der Menschen miteinander unterstützt wird. ( S.99-100 ) 3.4 Zusammenfassung und Fazit Ähnlich breit und vielfältig wie die Einflussfaktoren sozialer Kohäsion ist das professionelle Handeln in der Soziokulturellen Animation. Hinsichtlich vieler wesentlicher Einflussfaktoren sozialer Kohäsion ist die Soziokulturelle Animation involviert. Umgekehrt wird bei der genauerer Betrachtung professionellen Handelns Soziokultureller Animatorinnen und Animatoren deutlich, dass diese im Grunde auf die Förderung sozialer Kohäsion hinarbeiten: :: Durch Aufbau und Pflege von Netzwerken sowie in der Vermittlungsrolle bei Interessensgegensätzen, bei Konflikten oder bei der Übersetzungsarbeit arbeiten Soziokulturelle Animatorinnen darauf hin, dass Konflikte gelöst und / oder Verständigung,Vertrauen und in der Folge Kooperationen zwischen verschiedenen Gruppierungen aufgebaut werden können. :: Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren kreieren Räume für soziale und politische Partizipation. Hinsichtlich politischer Partizipation vermittelt die Soziokulturelle Animation zwischen dem politischen System und den Menschen. Sie unterstützt Aushandlungen zwischen Staat und Mensch mit kreativen Methoden. 64 + 65 Sie versucht, Brücken zu schlagen und Menschen, die von der üblichen politischen Mitwirkung ausgeschlossen sind, Zugang zur Mitwirkung an Entschei dungsprozessen zu gewähren. In Bezug auf soziale Partizipation ermöglichen Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren, dass sich Menschen treffen und kennen lernen. Sie bieten Lernfelder an, in welchen Teilnehmende Kompetenzen zur Teilnahme an der Gesellschaft erlernen. :: Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren handeln auf der Basis von demo kratischen Grundwerten. Zu diesen gehören ( Chancen - ) Gleichheit, Freiheit, Sicherheit, Solidarität,Toleranz und ( sozialer ) Frieden. In Bezug auf Chancengleich heit und Solidarität befähigt die Soziokulturelle Animation Menschen, Selbsttätig keit und Selbstbestimmung zu erlangen, indem sie ihnen Lernfelder und Beteiligungsmöglichkeiten bietet. Hinsichtlich Toleranz arrangiert und begleitet die Soziokulturelle Animation Begegnungs - und Aushandlungsmöglichkeiten und versucht, gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Hinsichtlich Solidarität reagiert sie mit Projekten, Angeboten und Aktionen auf problematische gesellschaftliche Situationen und unterstützt wechselseitige Bindungen und Verpflichtungen zwischen Menschen und Gruppen. Soziokulturelle Animation reagiert in Situationen, in denen die soziale Kohäsion gefährdet erscheint, arbeitet aber auch in einer alltäglichen und selbstverständlichen Weise an der Förderung von Kohäsion. Sowohl die theoretische Begründung ihrer Interventionen sowie die praktische Ausgestaltung professionellen Handelns in der Soziokultur legen den Schluss nahe, die Förderung der sozialen Kohäsion als Kernausgabe der Profession zu bezeichnen. 66 + 67 4 Die Kohäsionsanalyse ein Reflexionsinstrument zum Wissenserwerb in der Praxisforschung Soziokultureller Animato rinnen und Animatoren Wie in Kapitel 2 dargestellt, ist soziale Kohäsion im wissenschaftlichen Diskurs ein mehrdimensionales Konzept. Auch wenn bei Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren ein alltägliches Bewusstsein von sozialer Kohäsion vorhanden ist – Zusammenhalt ist oft nicht augenfällig und im Praxisalltag eher schwierig fassbar. „ Wie und wo sehe ich, ob in meinem Quartier sozialer Zusammenhalt besteht? “, mögen sich Berufsleute fragen. Dabei würde ein professionelleres Verständnis sozialer Kohäsion im Berufsalltag viele Vorteile mit sich bringen, um bei einer Gefährdung von Zusammenhalt flexibel und rasch zu reagieren und um Potenzial hinsichtlich der Förderung von Zusammenhalt aufzudecken. Eine Analyse des Grades an sozialer Kohäsion liefert zudem Argumente, um gegenüber Trägern und Geldgebern soziokulturelle Leistungen zu legitimieren. In Kapitel 2 wurden theoretische Grundlagen zu sozialer Kohäsion präsentiert. Der Einfluss der Soziokulturellen Animation auf soziale Kohäsion waren Thema in Kapitel 3. In diesem Kapitel steht folgende Frage im Zentrum: :: Wie können Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren Wissen über soziale Kohäsion mit Bezug auf ihre berufliche Praxis erwerben? Zu Beginn wird in Kapitel 4.1 beschrieben, wie in der Soziokulturellen Animation Wissen generiert wird, das für die Praxis bedeutend ist. In Kapitel 4.2 wird mit der Kohäsionsanalyse ein Diagnoseinstrument vorgestellt, das Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren bei der Analyse sozialer Kohäsion innerhalb der Praxisforschung unterstützt. Danach wird in Kapitel 4.3 anhand von Handlungsmodellen der Soziokulturellen Animation dargestellt, wo die Kohäsionsanalyse im professionellen Handeln zu verorten ist. Das Kapitel 4 endet mit einer Zusammenfassung. 4.1 Wissenserwerb in der Soziokulturellen Animation Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren sind auf Wissen angewiesen, um ihr professionelles Handeln in der Praxis vor und nach der Intervention zu reflektieren und zu begründen. Damit dieses Wissen wiederum für professionelles Handeln genutzt werden kann, ist nach Husi (2010) ein Theorie- Praxis-Transfer erforderlich. Sein Wissen - Praxis - Transfermodell beschreibt einen Ablauf von Handlungen, welche für ein bewusstes und reflektiertes professionelles Arbeiten in der Soziokulturellen Animation nötig sind ( vgl. Abb. 6 ). ( S.132-133 ) 68 + 69 Wissen - Praxis - Transfermodell Das Wissen-Praxis-Transfermodell soll Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren dabei helfen, verfügbares Fachwissen für gezieltes professionelles Handeln zu nutzen ( Husi, 2010, S.147 ). Gemäss dem Modell beginnt ein Handlungsablauf mit einer Situation resp. einer Situationsbeschreibung. Dabei gehen Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren der Frage nach, welche Situation gegeben und worauf zu achten ist. Darauf folgt die Situationseinschätzung. Dabei wird die Situation aufgrund von werte - und normorientierten Überlegungen beurteilt. In der anschliessenden Situationsanalyse werden Ursachen und Zusammenhänge erklärt. Darauf aufbauend erfolgt die Zielsetzung, bei welcher zu erreichende Ziele und zukunftsorientierte Vorstellungen formuliert werden. Auf der Basis der erfolgten Schritte wird dann eine Handlungsplanung aufgestellt. Dabei wird entschieden, welche Interventionen umgesetzt werden, um die Situation zu verändern. Nach der Umsetzung ist wieder eine neue Situation gegeben. Sie bildet die Ausgangslage für eine erneute Situationseinschätzung. Das Wissen - Praxis - Transfermodell ist also zirkulär aufgebaut. ( Husi, 2010, S.133-135 ) Abbildung 6 Wissen - Praxis - Transfermodell Situationsbeschreibung Quelle: Husi, 2010, S.134, sowie eigene Anpassungen Zielsetzung Handlungsplanung Situationseinschätzung Situationsanalyse Jeder Schritt des Modells generiert und/oder reflektiert nach Husi ( 2010 ) spezifisches Wissen. Im ersten Schritt wird Beschreibungswissen generiert, weil danach gefragt wird, wie die gegenwärtige Situation faktisch aussieht. Bei der Situationseinschätzung entsteht Bewertungswissen; die Situation wird interpretiert und anhand von Werten und Normen eingeschätzt. Die Situationsanalyse erzeugt Erklärungswissen, mit welchem anhand von bestehenden Theorien und Fakten Zusammenhänge und Ursachen der Situation begründet werden. Zur Erarbeitung von Zielen wird wiederum Beschreibungs und Bewertungswissen benötigt. Die Handlungsplanung erfordert Handlungswissen, um die Umsetzung mit bewährten Methoden und Verfahren vollziehen zu können. ( S.134-138 ) Soziokulturellanimatorische Diagnostik Mit dem Begriff der soziokulturell - animatorischen Diagnostik hat Husi (2010) eine aus der Medizin, Psychologie und Soziologie abgeleitete Terminologie aufgenommen. Die soziokulturell-animatorische Diagnostik zeigt auf, wie Daten und Informationen gezielt und systematisch zusammengetragen und aufbereitet werden, um folgend fundiert begründete Entscheidungen und Handlungen abzuleiten. (S.132/147) Die soziokulturell-animatorische Diagnostik basiert auf :: Theorien, die helfen, eine bestimmte Situation zu beschreiben und erklären, :: Werten und Normen, die Orientierung zur Bewertung geben, :: einem Theorie-Praxis-Transfer zur Orientierung für die Nutzung von Wissen in der Praxis :: sowie auf Diagnoseinstrumenten ( Husi, 2010, S.147 ). Gemäss der soziokulturell-animatorischen Diagnostik nach Husi ( 2010 ) benötigt es neben Theorien, Werten und Normen sowie dem Theorie - Praxis - Transfer geeignete Diagnoseinstrumente, welche ein methodisch kontrolliertes Vorgehen in der Situationsbeschreibung, - einschätzung und - analyse und der darauf basierenden Handlungsplanung erlauben. Mit solchen Diagnoseinstrumenten erarbeiten Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren Beschreibungs - , Bewertungs- und Erklärungswissen und treffen darauf folgend Entscheidungen hinsichtlich Zielen und künftigen Handlungen. ( S.147 ) Husi ( 2010 ) beschreibt dazu die Stakeholderanalyse, die Sozialraumanalyse und die Zeitdiagnose ( S.147 ). Die Kohäsionsanalyse kann als ein weiteres Diagnoseinstrument innerhalb der soziokulturell-animatorischen Diagnostik Anwendung finden. 70 + 71 4.2 Kohäsionsanalyse Die Kohäsionsanalyse kann in den ersten drei Phasen des Wissen-Praxis-Transfermodell genutzt werden, also in der Situationsbeschreibung, der Situationseinschätzung (resp. -bewertung) und der Situationsanalyse (resp. -erklärung). Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren sollen mit der Kohäsionsanalyse in der Praxisforschung dabei unterstützt werden, Beschreibungs - , Bewertungs - , und Erklärungswissen hinsichtlich sozialer Kohäsion zu generieren. Ziel der Kohäsionsanalyse ist also, dass der gegenwärtige Ist - Zustand hinsichtlich sozialem Zusammenhalt beschrieben, bewertet und erklärt werden kann. Die Kohäsionsanalyse ist keine Handlungsanleitung, die aufzeigt, wie soziale Kohäsion in Arbeitsfeldern der Soziokulturellen Animation gefördert werden kann. Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren soll mit der Kohäsionsanalyse ein Instrument geboten werden, um in ihrem beruflichen Alltag – sei das in der Quartierarbeit oder in der offenen Kinder - und Jugendarbeit, in soziokulturellen Fachstellen oder Koordination von Freiwilligenarbeit etc. – die Ist - Situation betreffend sozialer Kohäsion zu reflektieren, zu bewerten und zu erklären. Die Soziokulturelle Animation reagiert auf Situationen, in denen die soziale Kohäsion gefährdet scheint, also dort, wo der soziale Zusammenhalt auseinander zu fallen droht. Gleichzeitig sorgt sie sich in ihrem Praxisalltag ständig um den Zusammenhalt zwischen Menschen und arbeitet auf eine kohäsive Gesellschaft hin ( vgl. Kapitel 3 ). Die Kohäsionsanalyse soll für die Berufsleute in beiden Fällen, also beim allfälligen Auseinanderbrechen und in der alltäglichen Arbeit als Diagnoseinstrument genutzt werden können. Die Ergebnisse der Kohäsionsanalyse helfen dabei, Handlungsbedarf oder Potenzial hinsichtlich der Förderung von sozialem Zusammenhalt aufzudecken. Die Kohäsionsanalyse ist als Reflexionsinstrument innerhalb der Praxisforschung von Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren zu verstehen. Die Praxisforschung hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, soll aber dennoch zielbewusst, planmäßig, methodisch begründet und reflektiert sein. ( Hangartner, 2010, S.312 ) „ Es geht um praxisorientierte Forschung, welche stark vom Nutzenaspekt dominiert wird. ( . . . ) Forschen ist hier mehr gebrauchsorientiert als erkenntnisorientiert “ ( Moser et al., 1999, zit. in Hangartner, 2010, S.312 ). Soziokulturelle Animation richtet ihre Arbeit nach Willener ( 2010 ) einerseits oft auf einen bestimmten Sozialraum aus ( S.350 ). Bei der sozialraumorientierten Arbeit liegt der Fokus auf Interaktionen von Menschen in einem Raum. Dabei wird nicht von einem geographischen oder politisch definierten Territorium oder Behälterraum ausgegangen, sondern von Bewohnerinnen und Bewohnern und ihren Handlungen im Raum selbst. ( S.360 ) Mit anderen Worten: „ Sozialraumorientierung heisst mithin Bewohnerorientierung [ sic! ] “ ( Werner Schöning, 2008, zit. in Willener, 2010, S.360 ). Anderseits arbeiten Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren zielgruppenorientiert, also mit spezifischen Gruppen. Nach Hangartner ( 2010 ) sind sie beauftragt, sich nach Adressatinnen und Adressaten mit bestimmter Schicht - , Geschlecht - , Lebensalter - , oder Kulturzugehörigkeit auszurichten ( S.289-290 ). Sie betont jedoch auch, dass das Prinzip der Offenheit und Flexibilität bezüglich Zielgruppen wichtig ist, und „ sich die Fachpersonen immer am gesellschaftlichen Wandel und den daraus folgenden Anforderungen, neuen Bedürfnissen und neuen Zielgruppen orientieren müssen “ ( S.290 ). ( vgl. 3.1 ) Die Kohäsionsanalyse kann hinsichtlich sozialraumorientierter und / oder zielgruppenorientierter Interventionen genutzt werden. Sie soll dabei unterstützen, den Ist - Zustand sozialer Kohäsion innerhalb eines bestimmten Sozialraumes, innerhalb einer Zielgruppe oder aber zwischen unterschiedlichen Zielgruppen zu beschreiben, zu bewerten und zu erklären. Bei der folgenden Einführung der Kohäsionsanalyse wird die politische Sphäre ausgeblendet. Reflexionen hinsichtlich politischer Partizipation und Vertrauen zu politischen Entscheidungsträgern sollen jedoch, falls die Situation es verlangt ( wie zum Beispiel bei der Planung von politisch ausgerichteten Mitwirkungsverfahren oder Quartierentwicklungsprozessen ), ebenfalls Eingang finden in die Beschreibung, Bewertung und Erklärung des Ist - Zustandes sozialer Kohäsion. Abbildung 7 Kohäsionsanalyse ( eigene Darstellung ) Schritte (blau), Kategorien (grün) und Faktoren (gelb) der Kohäsionsanalyse Soziale Interaktion 1. Schritt 2. Schritt 3. Schritt Beschreibung Bewertung Erklärung Partizipation Spaltungen Konflikte Theorien zu sozialer Kohäsion Netzwerke Freiwilligkeit Werte, Normen Theorien zu Befragungen sozialer Kohäsion Empfindungen und Berufsethik Kooperationen Eigenverantwortung geg. Hilfe Debatte Werte Konflikte und Konfliktlösung 72 + 73 Die Kohäsionsanalyse ist auf der Basis des in Kapitel 2.2 vorgestellten eigenen Modells sozialer Kohäsion aufgebaut und umfasst drei Schritte analog den Wissensarten Beschreibungswissen, Bewertungswissen und Erklärungswissen. Folgend werden die einzelnen Schritte genauer erläutert. Erster Schritt: Beschreibung einer Situation hinsichtlich sozialer Kohäsion Im ersten Schritt wird eine Situation hinsichtlich sozialer Kohäsion aufgrund von Beobachtungen in einem Sozialraum oder fokussiert auf eine oder mehrere Zielgruppe / n beschrieben. Zu jedem Faktor der drei Kategorien Interaktion, Partizipation und soziale Spaltungen werden an dieser Stelle zur Veranschaulichung beispielhafte Fragestellungen formuliert, welche die Beobachtung und Beschreibung einer Situation hinsichtlich sozialer Kohäsion in der Praxisforschung leiten und vereinfachen. Die vorgeschlagenen Fragen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen Beispiele darstellen und zur Formulierung weiterer Fragen anregen. In der Praxis müssen sie der spezifischen Situation angepasst werden. Die Beispielfragen beziehen sich auf soziale Kohäsion innerhalb eines Sozialraums und / oder auf Kohäsion innerhalb einer beobachteten Zielgruppe und / oder auf Kohäsion zwischen unterschiedlichen Gruppen. Sie sind teilweise von bereits bestehenden Operationalisierungen sozialer Kohäsion abgeleitet ( vgl. 2.3 ). Die Kategorie der Interaktion bezieht sich auf zwischenmenschliche Handlungen, welche für soziale Kohäsion belangreich sind. Dazu gehören Netzwerke mit Beziehungsinhalt, Kooperationen, gegenseitige Hilfe, Konflikte und gemeinsame Konfliktlösung. Um Interaktionen hinsichtlich sozialer Kohäsion zu beobachten und zu beschreiben, können folgende Beispielfragen nützlich sein: Hauptfrage :: Wie gestalten sich Interaktionen im Sozialraum / innerhalb einer Gruppe / zwischen den beobachteten Gruppen? Allgemeine Fragen :: Wie oft und wo treffen bestimmte Akteurinnen und Akteure eines Sozialraumes aufeinander? :: Wie oft trifft sich eine bestimmte Zielgruppe? :: Wie oft treffen bestimmte Zielgruppen aufeinander? :: Wie oft treffen sich bestimmte Zielgruppen bewusst? :: Wie gestalten sich dabei Interaktionen? :: ... Fragen hinsichtlich Netzwerke :: Welche öffentlich zugängliche Netzwerke ( Vereine,Treffpunkte, informelle Gruppierungen, soziokulturelle Einrichtungen ) sind im Sozialraum vorhanden? :: Wie stark werden diese Netzwerke genutzt? :: Welche Beziehungsinhalte weisen Beziehungen innerhalb von Netzwerken im Sozialraum auf? :: Welche Beziehungsinhalte weisen die Beziehungen innerhalb einer Zielgruppe auf? :: Welche Beziehungsinhalte weisen die Beziehungen zwischen bestimmten Gruppen auf? :: ... Fragen hinsichtlich Kooperation :: Wie und wie oft findet Zusammenarbeit zwischen bestimmten Gruppierungen und / oder Organisationen statt? :: Wie viele Kooperationen finden zwischen privaten und öffentlichen Organisationen und Gruppierungen statt? :: ... Fragen hinsichtlich gegenseitiger Hilfe :: Wie oft und in welchen Bereichen helfen sich Nachbarinnen und Nachbarn, bestimmte Gruppen und /oder Individuen ( eventuell innerhalb eines Sozialraumes ) gegenseitig? :: Werden die Menschen dabei von Institutionen unterstützt? Von welchen? :: ... Fragen hinsichtlich Konflikten und Konfliktlösung :: Bestehen im Sozialraum / innerhalb einer Gruppe / zwischen den beobachteten Gruppen Konflikte? 74 + 75 :: Wie zeigen sich diese? Wie und wo werden Konflikte im Sozialraum / innerhalb einer Gruppe / zwischen den beobachteten Gruppen ausgehandelt und gelöst? :: Wie sieht die Konfliktkultur im Sozialraum / innerhalb einer Gruppe / zwischen den beobachteten Gruppen aus? :: Bestehen lokale Institutionen, welche die Menschen beim Lösen von Konflikten unterstützen? :: ... Bei der Kategorie Partizipation steht die Beteiligung der Menschen an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten, Gruppierungen, Organisationen und Einrichtungen im Zentrum. Sie reflektiert Freiwilligkeit, Eigenverantwortung und öffentliche Debatte. Die folgenden Beispielfragen zur Beschreibung des Zustandes hinsichtlich sozialer Kohäsion beziehen sich wiederum auf Zusammenhalt innerhalb eines Sozialraums, innerhalb einer Gruppe und / oder zwischen bestimmten Gruppen: Hauptfrage :: Wie gestaltet sich Partizipation im Sozialraum / innerhalb einer Gruppe / zwischen den beobachteten Gruppen? Allgemeine Fragen :: In welchem Rahmen und wo findet Partizipation im Sozialraum statt? :: Wer partizipiert an den zivilgesellschaftlichen Gruppen, Organisationen und Einrichtungen? :: Wer nimmt nicht teil? :: ... Fragen hinsichtlich Freiwilligkeit :: Wo findet Freiwilligkeit im Sozialraum / innerhalb einer Gruppe / zwischen den beobachteten Gruppen statt? :: Wie oft und mit wie viel zeitlichem Aufwand betätigen sich Freiwillige? :: Bestehen lokale Institutionen, welche freiwillige Tätigkeiten unterstützen? :: ... Fragen hinsichtlich Eigenverantwortung :: Welche eigenverantwortlichen Initiativen oder Aktivitäten, die sich auf das Kollektiv beziehen, bestehen im Sozialraum? :: Wer nimmt daran teil? :: ... Fragen hinsichtlich Debatte :: Wie und wo werden Debatten im Sozialraum / innerhalb einer Gruppe / zwischen den beobachteten Gruppen geführt? :: Welche Plattformen zum Austausch gibt es im Sozialraum/innerhalb einer Gruppe / zwischen den beobachteten Gruppen? :: ... Obschon auch in der Kategorie Interaktion nach bestehenden Konflikten gefragt wird, weist die Kohäsionsanalyse auf der Basis des eigenen Modells sozialer Kohäsion ( vgl. Kapitel 2 ) eine Kategorie soziale Spaltungen aus. Dies weil soziale Spaltungen besondere Aufmerksamkeit benötigen. Sind bereits soziale Spaltungen vorhanden, ist die soziale Kohäsion akut bedroht und eine Bearbeitung der Situation hinsichtlich dieser Spaltungen drängt sich als erste Priorität auf. Dazu folgende Beispielfragen: :: Sind Animositäten resp. Feindseligkeiten im Sozialraum / innerhalb einer Gruppe / zwischen verschiedenen Gruppen sichtbar? Wie zeigen sich diese? :: Werden Gruppierungen oder Individuen ausgegrenzt oder diskriminiert? Wie zeigt sich das? :: ... Zweiter Schritt: Bewertung einer Situation hinsichtlich sozialer Kohäsion Im zweiten Schritt der Kohäsionsanalyse wird der im ersten Schritt beobachtete und beschriebene Ist -Zustand sozialer Kohäsion bewertet. Dazu wird die Beschreibung der Situation auf dem Hintergrund von Theorien zu sozialer Kohäsion sowie von Werten und Normen der Profession beurteilt ( vgl. Kapitel 3.3 ). Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren benötigen hierzu theoretisches Wissen zu sozialer Kohäsion ( vgl. Kapitel 2 und Kapitel 5.2 ). 76 + 77 Dritter Schritt: Erklärung einer Situation hinsichtlich sozialer Kohäsion Damit nachhaltige Handlungen geplant werden können, müssen Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren in einem dritten Schritt Erklärungen für die Ist-Situation hinsichtlich sozialer Kohäsion erarbeiten. Es wird also nach Ursachen für die Ist - Situation gefragt. Das dabei entstehende Erklärungswissen wird auf der Basis eines Abgleichens des bereits erarbeiteten Beschreibungs - und Bewertungswissen mit bestehenden Theorien und weiteren empirischen Daten generiert. Dabei soll die Ebene der Empfindungen ( Vertrauen, Zugehörigkeitsgefühl,Verantwortungsgefühl und individuelle Identität ) und die Ebene der Werte und Normen der Gesellschaftsmitglieder genauer untersucht werden. Zusätzliche empirische Daten zum Beschreibungswissen aus Schritt 1 können Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren durch weitere Praxisforschung in Form von Befragungen und Beobachtungen gewinnen. In einem grösseren Projekt oder Programm sind aber auch empirische Studien in Zusammenarbeit mit Fachleuten der sozialwissenschaftlichen Forschung denkbar. Die vorgestellte Kohäsionsanalyse stellt einen Idealablauf dar, um den sozialen Zusammenhalt in der Praxis Soziokultureller Animation zu beschreiben, zu bewerten und zu erklären. In der Praxis fehlen jedoch oft Zeit und Ressourcen, um eine ausführliche Analysen durchzuführen. Soziokulturelle Animatorinnen sind im Praxisalltag gefordert, situationsspezifisch, effizient und schnell zu reflektieren. Auch dabei kann die Kohäsionsanalyse oder Teile davon eine Stütze sein, wobei den Professionellen immer bewusst sein muss, ob der soziale Zusammenhalt beschrieben, bewertet oder erklärt werden soll. Wie auch Spierts ( 1998 ) betont, befindet sich die Soziokulturelle Animation ständig unter einem Legitimationsdruck gegenüber Behörden und Geldgeberinnen und Geldgebern. Damit Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren ihre Arbeit nicht allein durch das Prinzip Angebot und Nachfrage und Wünsche der Behörden steuern lassen, benötigt die Profession eine starke Argumentationsgrundlage. ( S.83-85 ) Die Kohäsionsanalyse kann eine Unterstützung für die Legitimation von soziokulturellen Leistungen bieten. 4.3 Verortung der Kohäsionsanalyse innerhalb des professionellen Handelns In diesem Unterkapitel wird die Kohäsionsanalyse anhand des Handlungsmodells nach Moser et al. ( 1999, zit. in Hangartner 2010, S.298 ) und hinsichtlich soziokultureller Projektarbeit verortet. Die Kohäsionsanalyse im Handlungsmodell mit den vier Interventionspositionen Das Handlungsmodell mit den vier Interventionspositionen bietet Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren bei ihrem professionellen Handeln Orientierung ( Hangartner, . Das Modell wurde erstmals im Buch „ Soziokulturelle Animation “ von Moser et 2010, S.298 ) al. ( 1999, zit. in Hangartner 2010, S.298 ) publiziert. Gabi Hangartner ( 2010 ) hat es überarbeitet. Das Modell definiert vier verschiedene Positionen, in denen Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren handeln. Jede Position verfolgt unterschiedliche Ziele und umfasst Aktivitäten von Berufstätigen, wobei alle vier Positionen miteinander in Verbindung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Die vier Positionen heissen Animationsposition, Organisationsposition, Konzeptposition und Vermittlungsposition. Die Animationsposition wird als die zentrale Position beschrieben. ( Hangartner, 2010, S.296-299 ) Abbildung 8 Organisationsposition Die vier Interventionspositionen nach Moser et al. und Hangartner Quelle: Hangartner, 2010, S.298, sowie eigene Anpassungen Animationsposition Konzeptposition Vermittlungsposition 78 + 79 In der Animationsposition setzen Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren bei ihren Interventionen direkt bei Menschen an und wollen diese zur Mitgestaltung ihrer Lebenswelt bewegen. Dabei geht es darum, zu motivieren, zu ermutigen, zu befähigen und anzuregen. Die Soziokulturelle Animation will Adressatinnen und Adressaten zu einem konkreten Tun aktivieren, damit diese ihre Situation nachhaltig verändern können. ( Hangartner, 2010, S.302-304 ) Die Interventionen in der Organisationsposition drehen sich um das Unterstützen, Planen, Durchführen und Auswerten. Dabei soll eine möglichst umfassende Selbstorganisation der Adressatinnen und Adressaten angestrebt werden ( Hangartner, 2010, S.204-309 ). In der Konzeptposition planen Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren ihre Handlungen durch eine fundierte Situationsanalyse und daraus resultierenden Zielsetzungen, welche zusammen mit der Handlungsplanung meist in einem Konzept zu Papier gebracht werden ( Hangartner, 2010, S.310-314 ). In der Vermittlungsposition dreht sich professionelles Handeln um Kooperation,Vernetzung und Konfliktbewältigung, sowie um Verständigung und Verhandlungen, um Konflikte nicht eskalieren zu lassen ( Hangartner, 2010, S.315 ). ( vgl. Kapitel 3.1 ) Die Kohäsionsanalyse ist im Handlungsmodell der vier Interventionspositionen hauptsächlich in der Konzeptionsposition einzuordnen. Nach Hangartner ( 2010 ) geht es in dieser Position darum, die Ausgangslage und den Bedarf, sowie Interessen, Erwartungen und Befürchtungen von Akteurinnen und Akteuren zu erforschen (S.310). Anschliessend wird anhand der gesammelten Informationen ein Konzept erstellt, welches „ den Zusammenhang ( . . . ) zwischen der Analyse einer Situation und ihrem Kontext, dem Entwurf von Zielen und begründeten Vorschlägen zu deren Erreichung [ herstellt ] “ ( S.310 ). Die Kohäsionsanalyse als Diagnoseinstrument in der Konzeptposition unterstützt die Erhebung von Informationen bezüglich sozialer Kohäsion. Die Kohäsionsanalyse und das Projekt Als wichtige, praxisnahe und oft verwendete Methodik in der Soziokulturellen Animation gilt die Projektmethodik. Sie gibt weitere wichtige Hinweise auf Inhalte einer Situationsanalyse und bringt dadurch auch für die praktische Anwendung der Kohäsionsanalyse weitere Erkenntnisse. Die Projektmethodik ist eine in der Soziokulturellen Animation unumgängliche Arbeitsweise, wenn – wie oft im professionellen Handeln Soziokultureller Animatorinnen und Animatoren – auf gesellschaftlichen Wandel und auf sich ständig verändernde Fragestellungen reagiert wird. Nach Willener ( 2007 ) geht es in einem Projekt darum, eine neue Aufgabenstellung anzupacken, welche innerhalb bestehender Abläufe von Organisationen kaum lösbar ist ( S.30 ). Er erwähnt in seinem Buch „ Integrale Projektmethodik “, dass innerhalb eines Projektes der Wissens - Praxis - Austausch stattfindet, da in der Konzeptionsphase der Diskurs der Theorie und in der Umsetzungsphase der Diskurs der Praxis dominiert ( S.117 ). Die Projektmethodik ist eine ideale Anleitung zur Entwicklung, Durchführung und Evaluation von zeitlich befristeten Programmen und Aktionen ( Willener, 2007, S.112 ). Willener ( 2007 ) gliedert ein Projekt in vier Hauptphasen ( vgl. Abbildung X ) : Vorprojektphase, Konzeptionsphase, Umsetzungsphase und Abschlussphase ( S.118-121 ). Die integrale Projektmethodik hat einen prozesshaften Charakter und einen zyklischen Ablauf ( Willener, 2007, S.49 ). Abbildung 9 ( eigene Darstellung ) Phasen integraler Vorprojektphase I Konzeptionsphase Projektmethodik Quelle: Willener, 2007, S.112 II IIII Abschlussphase III Umsetzungsphase Die Vorprojektphase beginnt mit dem Anstoss zu einem Projekt, welcher durch einen Handlungsbedarf ausgelöst wird. Nach einer ersten Vorabklärung entscheiden Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren, ob aufgrund der Ausgangslage die Thematik weiter zu verfolgen und ein Projekt zu entwickeln sei. ( Willener, 2007, S.118 ) In der Konzeptionsphase erarbeiten Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren die Konturen des Projektes auf Basis der Ausgangslage. Es werden erste Überlegungen gemacht, wie an die betreffende Situation herangegangen werden soll. In einer Situationsanalyse wird der Handlungsbedarf durch Gespräche und Sammeln von Daten abgeklärt und beschrieben. Darauffolgend wird die Projektorganisation aufgebaut, sowie die Zielgruppen und Projektbeteiligten definiert. Ziele und Zielvereinbarungen werden formuliert und die Umsetzungsstrategie festgelegt und geplant. ( Willener, 2007, S.119-120 / 130 ) Die Umsetzungsphase beinhaltet die Durchführung der geplanten Aktivitäten, die Steuerung der Durchführung mit Blick auf die zu erreichenden Ziele, sowie die Beobachtung und den Einbezug ausgelöster Reaktionen und Dynamiken ( Willener, 2007, S.121 ). Die Projektevaluation folgt in der Abschlussphase. Die Ergebnisse und durchgeführten Abläufe des Projektes werden ausgewertet und dokumentiert. Das Projekt wird für eine Implementierung oder ein Folgeprojekt fertig gestellt. ( Willener, 2007, S.121 ). 80 + 81 Die Kohäsionsanalyse wird innerhalb eines Projekts hauptsächlich in der Situationsanalyse angewendet, die sich in der Konzeptionsphase befindet. Willener ( 2007 ) erläutert, dass die Situationsanalyse in der Projektarbeit dazu dient, die eingehende Überprüfung einer Situation und Einschätzung des Entwicklungsbedarfs zu vollziehen ( S.143 ). Sie ist „ die systematische Untersuchung einer Ausgangslage ( . . . ) sowie das Erarbeiten der Zusammenhänge “ ( Willener, 2007, S.143 ). Willener ( 2007 ) beschreibt spezifische Methoden und Instrumente, welche bei einer Situationsanalyse zum Einsatz kommen können. Diese Methoden und Instrumente können vielfältig eingesetzt werden. Als eine wichtige Grundlagenmethode erwähnt er die Stakeholderanalyse, welche zum Ziel hat, Akteurinnen und Akteure zu ermitteln, Interessen zu identifizieren, bestehende Vernetzungen zu analysieren und ihren Einfluss auf die Thematik des Projektes zu bewerten. ( S.150 ) Je nach Ausgangslage kann eine Stakeholderanalyse gleichberechtigt neben einer Kohäsionsanalyse oder aber ergänzend zu einer Kohäsionsanalyse durchgeführt werden. Umgekehrt kann eine Kohäsionsanalyse ( oder Teile davon ) eine Stakeholderanalyse ergänzen. Bei weiteren Methoden unterscheidet Willener ( 2007 ) klassische und partizipative Methoden ( S.149 ). Zu den klassischen Methoden gehören die Erhebung von statistischen Daten, die Dokumentenanalyse, die schriftliche Befragung, die strukturierte Begehung, die Beobachtung, Interviews sowie Bild,- Ton- und Videodokumente . Für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gibt es speziell entwickelte partizipative Methoden, die das Ziel haben, dass Zielgruppen sich an der Situationsanalyse beteiligen können. Es sind dies zum Beispiel Zeichnungen, geführte Begehungen, Fotografie und Video - Aufnahmen, Spionage,Verhaltenskartografie und Zukunftswerkstatt. ( Willener, 2007, S.151-153 ) ( Willener, 2007, S.153-156 ) Sowohl klassische wie auch partizipative Methoden können spezifisch hinsichtlich der Beschreibung des Zustandes sozialer Kohäsion angewendet werden und Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren dabei unterstützen, innerhalb des ersten Schritts der Kohäsionsanalyse diesbezüglich quantitative und /oder qualitative Daten zu generieren. Sie eignen sich aber gegebenenfalls auch, um Ursachen einer bereits beschriebenen und bewerteten Ist - Situation im dritten Schritt der Kohäsionsanalyse weiter zu erforschen und damit Bewertungswissen zu generieren. 4.4 Zusammenfassung Die Förderung sozialer Kohäsion fordert von Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren ein Bewusstsein sozialer Kohäsion sowie die Fähigkeit, den Ist - Zustand hinsichtlich sozialer Kohäsion in ihrem Arbeitsfeld einzuschätzen. Dazu müssen Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren einerseits über theoretisches Wissen zu sozialer Kohäsion verfügen, andererseits benötigen sie in der Praxis erworbene Kenntnisse der Vorgänge und Handlungen hinsichtlich sozialer Kohäsion. Die Kohäsionsanalyse unterstützt Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren dabei, innerhalb der Praxisforschung theoretisches Wissen und praktische Kenntnisse zu erlangen und miteinander zu verbinden. Die Kohäsionsanalyse als Diagnoseinstrument kann dabei helfen, einen Ist - Zustand hinsichtlich sozialer Kohäsion zu beschreiben, zu bewerten und zu erklären. Um Beschreibungswissen zu generieren, definiert die Kohäsionsanalyse Kategorien, mit Hilfe derer Handlungen im Sozialraum, von Individuen, Gruppen und Institutionen hinsichtlich sozialer Kohäsion zielgerichteter beobachtet, reflektiert und beschrieben werden können. Aufgrund von Theorien zu sozialer Kohäsion sowie Werten und Normen der Profession haben Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren anschliessend die Situation hinsichtlich sozialer Kohäsion zu bewerten.Werden Theorien und weitere Erkenntnisse aus längerfristigen Beobachtungen und / oder Befragungen beigezogen und mit dem bereits erworbenen Beschreibungs - und Bewertungswissen verknüpft, können Professionelle der Soziokulturellen Animation Erklärungswissen bezüglich sozialer Kohäsion erwerben. Aus den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich in der Folge je nach Situation Ziele ableiten und eine professionelle Handlungsplanung hinsichtlich sozialer Kohäsion erarbeiten. 82 + 83 5 Schlussbetrachtungen Soziale Kohäsion und Soziokultur als Paar mit Zukunft In einer fast einjährigen Auseinandersetzung mit Soziokultur und sozialer Kohäsion sind diese beiden Begriffe für die Verfasser buchstäblich zusammengewachsen. In ihrer beruflichen Praxis – beide Verfasser sind in der Soziokultur tätig – haben sich ganz unwillkürlich Reflexionen des eigenen professionellen Handelns hinsichtlich sozialer Kohäsion eingeschlichen. Die Verfasser sehen Soziokultur und soziale Kohäsion inzwischen sozusagen als ein Paar – in einer Ehe mit Zukunft. 5.1 Rückblick Diese Arbeit geht von der These aus, dass die Förderung sozialer Kohäsion die Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation darstellt. In den Kapiteln 2-4 wurden die in der Einleitung formulierten Fragen beantwortet. Folgend werden diese Fragen und die Erkenntnisse aus den Beantwortungen der Fragen kurz zusammenfassend wiederholt und die Zielerreichung kurz diskutiert ( vgl. Kapitel 1). Frage 1 Was ist soziale Kohäsion? ( vgl. Kapitel 2 ) Frage 2 Wie lässt sich soziale Kohäsion messen? ( vgl. Kapitel 2 ) Soziale Kohäsion wird in den Sozialwissenschaften meist als mehrdimensionales Konzept beschrieben. Konzepte sozialer Kohäsion entstehen aufgrund von theoretischer Reflexion und empirischer Forschung und bilden die Ausgangslage für eine Operationalisierung sozialer Kohäsion und damit einer Messung des Grades an Zusammenhalt innerhalb von Staatenbunden, Staaten, Städten oder Quartieren. Auf der Grundlage von bestehenden Konzepten und Definitionen haben die Verfasser dieser Arbeit ein eigenes Modell einer kohäsiven Gesellschaft erstellt. Dieses beinhaltet eine soziale und eine politische Sphäre, in welchen sich jeweils auf drei Ebenen – der Handlungsebene, der Empfindungsebene und der Ebene der gesellschaftlichen Grundwerte – die Einflussfaktoren sozialer Kohäsion befinden.Wichtige Einflussfaktoren einer kohäsiven Gesellschaft sind demokratische Grundwerte, gegenseitiges Vertrauen, soziale und politische Partizipation, individuelle Identität,Toleranz, Zugehörigkeitsgefühl, Gefühl der kollektiven Verantwortung, Abwesenheit grösserer gesellschaftlicher Spaltungen sowie Interaktionen. Frage 3 Wie nimmt die Soziokulturelle Animation die Förderung sozialer Kohäsion wahr? ( vgl. Kapitel 3 ) Frage 4 Inwiefern lässt sich die Förderung sozialer Kohäsion als Kernaufgabe der Soziokulturellen Animation bezeichnen? ( vgl. Kapitel 3 ) Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren fördern soziale Kohäsion mit einem breiten Spektrum an professionellem Handeln: Sie sind an Orten tätig, wo Menschen 84 + 85 miteinander interagieren und Zusammenleben gestalten. Oft intervenieren sie dann, wenn hinsichtlich eines Sozialraumes oder einer oder mehrerer Zielgruppen eine Gefährdung des sozialen Zusammenhalts besteht. Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren vermitteln, thematisieren, problematisieren und übersetzen zur Lösungsfindung bei unterschiedlichen Interessen von Gruppen oder Konflikten zwischen Akteurinnen und Akteuren, sie bauen Netzwerke auf, unterstützen Kooperationen und pflegen Beziehungen. Die Soziokulturelle Animation schafft Voraussetzungen für politische und soziale Partizipation und begleitet Menschen bei ihrer Beteiligung. Sie setzt sich für demokratische Werte wie Gleichheit, Solidarität und Toleranz ein, indem sie zum Beispiel informelle Bildungsangebote anbietet, Begegnungsmöglichkeiten arrangiert und Menschen dazu befähigt, soziokulturelle Kompetenzen zu entwickeln. Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren arbeiten bei ihren Interventionen an gegenseitigem Verständnis und Vertrauen und damit an den Grundvoraussetzungen für soziale Kohäsion. Sowohl zentrale Aufgaben, Handlungsansätze als auch berufsethische Werte und Normen der Soziokulturellen Animation weisen auf die Förderung sozialer Kohäsion hin. Die Förderung sozialer Kohäsion als Kernaufgabe der Soziokultur zu bezeichnen, lässt sich nach Ansicht der Verfasser dieser Arbeit durch die vielfältigen Bezüge rechtfertigen. Frage 5 Wie können Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren Wissen über soziale Kohäsion mit Bezug auf ihre berufliche Praxis erwerben? ( vgl. Kapitel 4 ) Mit der Kohäsionsanalyse erarbeiteten die Verfasser dieser Arbeit ein Instrument, das Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren im Rahmen der soziokulturell-animatorischen Diagnostik dabei unterstützen kann, soziale Kohäsion innerhalb ihrer Praxisforschung zu beschreiben, zu bewerten und zu erklären. Das Wissen, dass dabei generiert wird, bietet Professionellen in der Praxis eine Grundlage, um Zielsetzungen und Handlungsplanungen hinsichtlich der Förderung sozialer Kohäsion zu erarbeiten. Die in Kapitel formulierten Ziele konnten grundsätzlich alle erreicht werden. Die Verfasser dieser Arbeit sind sich jedoch bewusst, dass einzelne Inhalte aus Konzepten sozialer Kohäsion noch nicht ausreichend diskutiert wurden, um sie für Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren wirklich greifbar zu machen. So wurden beispielsweise die Einflussfaktoren Zugehörigkeitsgefühl und Identität nicht explizit mit der Soziokulturellen Animation in Verbindung gebracht. Eine Herausforderung beim Verfassen dieser Arbeit stellte die Wahl der Kategorien dar, nach denen professionelles Handeln in der Soziokultur auf dem Hintergrund sozialer Kohäsion beschrieben wird. Die Verfasser haben sich, ausgehend von der zusammengetragenen Theorie in Kapitel 2, für die Kategorien Interaktion, Partizipation sowie demokratische Grundwerte entschieden. Es hätten auch Arbeitsprinzipien, Funktionen oder Arbeitsfelder der Profession als Ausgangspunkte für eine Analyse der Soziokulturellen Animation auf dem Hintergrund von sozialer Kohäsion etwas für sich gehabt. 5.2 Ausblick Die Verfasser dieser Arbeit sind überzeugt, dass Soziokulturelle Animatorinnen und Animatoren von einem stärkeren Bewusstsein davon, was Soziale Kohäsion ist und wie sie ihr professionelles Handeln danach ausrichten können, profitieren. Ein Verständnis von Soziokultur auf dem Hintergrund von sozialer Kohäsion bietet die Chance, Soziokulturelle Animation wirksamer zu positionieren und dem professionellen Handeln eine schärfere Kontur zu geben. Einerseits dürfte dadurch die berufliche Identität von Studierenden und Berufsleuten gestärkt werden, andererseits lassen sich auf dem Hintergrund der Förderung sozialer Kohäsion soziokulturelle Leistungen gegenüber politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern sowie Geldgeberinnen und Geldgebern legitimieren. Diese Bachelorarbeit erachten ihre Verfasser als einen ersten (oder zweiten) Schritt, soziale Kohäsion in der Lehre und Praxis Soziokultureller Animation stärker zu diskutieren. Die Kohäsionsanalyse hat sich in der Praxis noch zu bewähren. Die Verfasser dieser Arbeit hoffen darauf, dass das Instrument Anwendung findet und weiterentwickelt wird. Während der Erarbeitung dieser Bachelorarbeit stiessen die Verfasser auf Fragen und Themen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet resp. weiterverfolgt werden konnten. Etliche Aspekte konnten nur angeschnitten werden. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit mehreren dieser Aspekte bieten sich für künftige Bachelorarbeiten an. Folgende hier grob umrissene Aufträge sollen als Vorschläge für Bachelorarbeiten (oder Teile davon) gelten: :: Vertiefte Untersuchung des Zusammenhangs von Menschenrechten und sozialer Kohäsion (und der Möglichkeiten der Soziokulturellen Animation zu deren Förderung) :: Vertiefte Betrachtung des Einflusses der Soziokulturellen Animation auf soziale Kohäsion, beispielsweise aufgrund ihrer Arbeitsprinzipien, ihrer Funktionen oder ihres professionellen Handelns in einzelnen Arbeitsfeldern (der Jugendarbeit, der Projektarbeit, der Kulturarbeit etc.) :: Weiterführende Aufbereitung von Theorie zu sozialer Kohäsion spezifisch für Arbeitsfelder der Soziokulturellen Animation, zum Beispiel in Form eines Handbuchs :: Weiterentwicklung der Kohäsionsanalyse, beispielsweise durch: .: theoretisches Durchspielen einer Anwendung der Kohäsionsanalyse .: Untersuchung von professionellem Formulieren von Zielen und Planen von Handlungen aufgrund zusammengetragenen Wissens aus der Kohäsionsanalyse 86 + 87 :: Anwendung der Kohäsionsanalyse im Rahmen einer Forschungsarbeit. Äusserst interessant dürfte die Anwendung der Kohäsionsanalyse innerhalb einer Projektarbeit einer Studentin oder eines Studenten an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit sein. 88 + 89 6 Literatur- und Quellenverzeichnis AvenirSocial ( 2010 ). Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz. Ein Argumentarium für die Praxis der Professionellen. Bern: Autorinnen und Autoren. Bonvin, Jean-Michel; Cariget, Erwin & Mäder, Ueli ( Hrsg. ). ( 2003 ). Wörterbuch der Sozialpolitik. Zürich: Rotpunktverlag. Botterman, Sarah; Hooghe, Marc & Reeskens, Tim ( 2009 ). Is Social Cohesion One Latent Concept? Investigating the Dimensionality of Social Cohesion on the Basis of the Kearns and Forrest ( 2000 ) Typology. Proceedings of the Conference on New Techniques and Technologies for Statistics, Brussels, 18-20 February 2009, 255-264. Chan, Elaine; Chan, Joseph & To, Ho-Pong ( 2006 ). Reconsidering sociale cohesion: Developing a definition and analytical framework for empirical reseach. 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