Die Strahlentherapie von Hautkarzinomen aus heutiger Sicht

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M E D I Z I N
Klaus Reisner1
Wulf Haase2
Zusammenfassung
Obwohl die meisten Hautkarzinome heute operiert werden, gibt es wichtige Indikationen für
die Bestrahlung. Basalzell- und Plattenepithelkarzinome (BCC, SCC) der Haut lassen
sich sehr gut mit ionisierenden Strahlen behandeln. Die Weichstrahltherapie mit Röntgenstrahlen wird radiologisch am häufigsten
eingesetzt. Durch Änderungen der Dosierungskonzepte und den Einsatz der Elektronenstrahlung von Linearbeschleunigern können Nebenund Spätreaktionen im Bestrahlungsbereich
minimiert werden. Elektronenstrahlen haben
gegenüber Weichstrahlen einen steilen Dosisabfall zur Tiefe hin und eine wesentlich geringere Strahlenabsorption in Knochen und Knorpel. Dies schont die unter der Haut gelegenen
gesunden Gewebsstrukturen, insbesondere bei
Bestrahlung von großen und infiltrierenden
Tumoren oder bei Knochenbefall. Die vorgestellten Langzeitbeobachtungen der ambulanten Strahlentherapie komplizierter Hautkarzinome zeigen gute kurative Ergebnisse ohne
auffallende Spätreaktionen bei sehr günstigen
kosmetischen Resultaten. Eine Indikation zur
Strahlentherapie von Basal- und Plattenepithel-
P
lattenepithelkarzinome (spinozelluläre Karzinome, Spinaliome, SCC)
und Basalzellkarzinome (Basaliome, BCC) der Haut werden heute bevorzugt chirurgisch behandelt. Die
meisten Tumoren lassen sich schnell
und einfach ambulant operieren. Große,
infiltrierende oder anatomisch ungünstig gelegene Karzinome bedürfen
hingegen der stationären operativen
Versorgung, teils mit Narkose, Mikrochirurgie und gegebenenfalls mit plastischer Deckung. Insbesondere bei
älteren Patienten kann dies wegen allgemeiner Inoperabilität oder bei operativen Grenzsituationen problematisch
sein. Manchmal hält man solche Patienten dann für „untherapierbar“ und
1
Karlsruhe
2 Klinik für Strahlentherapie und radiologische Onkologie
(Direktor: Dr. med. Wulf Haase), St. Vincentius-Kliniken,
Karlsruhe
A 1454
Die Strahlentherapie
von Hautkarzinomen aus
heutiger Sicht
karzinomen besteht für alle Tumorstadien bei
allgemeiner Inoperabilität. Spezielle Indikationen umfassen die postoperative Bestrahlung,
Rezidive und den Knochenbefall. Mikrochirurgische Grenzfälle können bei ausgedehnten, tief
infiltrierenden und ungünstig lokalisierten
Hautkarzinomen (Ohr, Nase, Augenbereich, Lippe, Schädeldach) bestehen. Die Elektronenbestrahlung bietet sich dann insbesondere bei älteren Patienten als gute therapeutische Alternative an. Die Strahlentherapie der Hautkarzinome ist als eine leistungsfähige Ergänzung der
chirurgischen Verfahren anzusehen.
Schlüsselwörter: Hautkrebs, Krebstherapie,
Strahlentherapie, Indikationsstellung, Basaliom,
Plattenepithelkarzinom
Summary
Radiotherapy of Skin Cancer
Radiotherapy is an excellent treatment for
cutaneous basal cell- und squamous cell carcinoma (BCC, SCC). Although most skin carcinomas are resected nowadays there are still indications for radiotherapy. Soft X-rays are most
berücksichtigt nicht die Möglichkeiten
der Strahlentherapie. Die hohe Strahlensensibilität der Basaliome und Spinaliome ist bekannt und seit mehr als
hundert Jahren durch die Erfolge der
Röntgenweichstrahltherapie dokumentiert. Dies berücksichtigend kann ein
Vergleich der zurzeit verfügbaren Behandlungsmethoden erfolgen und die
Indikation zur Strahlentherapie definiert werden.
Therapieverfahren
Operation – Kryotherapie, Kürettage
und Elektrodesikkation werden bei
kleinen oberflächlichen Tumoren ambulant eingesetzt. Bei den meisten
Karzinomen erfolgt jedoch eine ambulante konventionelle Chirurgie unter stichprobenartiger histologischer
Kontrolle. Risikofälle wie tief infiltrie-
frequently used for irradiation. Progress in
radiooncological techniques has arisen by new
radiation dose concepts and the use of megavoltage electrons from linear accelerators.
Electron beams have the advantage of a rapid
fall-off of depth dose and much lower absorption in bone and cartilage than soft X-rays. This
protects uninvolved tissue especially when
treating large or deep infiltrating tumours.
Cases with long follow up are presented showing favourable cosmetic results without negative
late radiation reactions. Radiotherapy of BCC
and SCC is indicated in case of general inoperability for all tumour stages. Special indications
are postoperative irradiation, treatment of
recurrences, and bone affection. Sometimes
large, deep infiltrating or unfavourable localized
skin carcinomas (ear, nose, eye-region, lips, cranium) restrict the surgical approach. Especially in
older patients electron beam therapy offers an
efficient alternative for treatment. Modern
outpatient radiotherapy of skin carcinoma is a
valuable addition to surgery.
Key words: skin cancer, cancer therapy, radiotherapy, indication, basal cell carcinoma, squamous cell carcinoma
rende, schlecht abgrenzbare oder undifferenzierte Karzinome sowie Tumoren ungünstiger Lokalisation und
Rezidive erfordern hingegen die mikrographische Chirurgie mit lückenloser histologischer Aufarbeitung der
gesamten Exzisionsränder und nach
der Tiefe zu. Dieses, allerdings aufwendige, Verfahren erreicht die niedrigsten Rezidivraten (1, 2, 3, 9, 11).
Die strahlentherapeutischen Methoden – Die Weichstrahltherapie mit
Röntgenstrahlen (20 bis 100 kV) ist
das häufigste Verfahren bei der radiologischen Behandlung der Hautkarzinome. Die Bestrahlungsplanung beruht auf der Gewebshalbwerttiefe
(GHWT), die mit der geschätzten Tiefenausdehnung des Tumors übereinstimmen soll (5, 12). Unter Beachtung
moderner Dosierungsregeln können
kleine bis mittelgroße Tumoren auf
diese Weise einfach und sehr kosten-
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´
Tabelle
´
Dosierungsvorschläge für Hautkarzinome (BCC, SCC)
Weichstrahltherapie (Gewebehalbwerttiefe entspricht der Tiefenausdehnung des
Tumorherdes)
Feldgröße (Durchmesser)
Dosis/Fraktion
Gesamtdosis
< 2 cm
5 x 5,0 Gy/Wo
50 Gy
2–4 cm
5 x 3,0 Gy/Wo
3 x 4,0 Gy/Wo
54–60 Gy
48 Gy
Elektronentherapie bei verlaufsangepasster Technik
(„shrinking field“)
Tumorausdehnung
Dosis/Fraktion
Gesamtdosis
kleiner Tumor
tief infiltrierend
5 x 3,0 Gy/Wo
5 x 2,0 Gy/Wo
60 Gy
70 Gy
exophytischer oder
ulzerierter Tumor
4 x 2,5 Gy/Wo
5 x 2,0 Gy/Wo
60 Gy
60–68 Gy
großflächiger Tumor
3 x 3,0 Gy/Wo
4 x 3,0 Gy/Wo
5 x 2,0 Gy/Wo
60–66 Gy
60–63 Gy
70–80 Gy
a
nach 6, 12; BCC, Basalzellkarzinom; SCC, spinozelluläres Karzinom
günstig behandelt werden (5, 10, 12,
13). Auch größere Tumoren sind mit
Weichstrahlen behandelbar. Es gibt
hierzu jedoch günstige Alternativen.
Die Elektronentherapie – Zur Karzinomtherapie der Haut werden auch
Elektronenstrahlen von Linearbeschleunigern eingesetzt (2 bis 12 MeV)
(3, 4, 6, 12, 14). Solche Geräte werden inzwischen in allen modernen
Strahlenkliniken zur onkologischen
Behandlung verwendet. Elektronenstrahlung wirkt ionisierend wie Röntgenweichstrahlung. Ihr Vorteil gegenüber Weichstrahlen besteht in einer
homogeneren Dosisverteilung und einem steilen Dosisabfall zur Tiefe hin.
Damit ist eine bessere Schonung der
tieferen, tumorfreien Gewebsschichten möglich. Dosiert wird auf das Dosismaximum, wobei das gesamte Tumorzielvolumen in der so genannten
„therapeutischen Reichweite“ liegen
muss.
Um die Hautoberfläche in den Bereich der Maximaldosis einzubeziehen, wird absorbierendes Material in
den Strahlengang eingebracht (6, 12,
14). Ein weiterer Vorteil ist, dass Elektronenstrahlung den Knochen und
Knorpel wegen deutlich geringerer
Absorption schont: Röntgenweichstrahlen verursachen im Knochen eine
bis zu fünfmal höhere Absorption als
in Hautgewebe, wohingegen die Dosis-
anhebung in solidem Knochen durch
Elektronenstrahlung nur bei 10 bis 18
Prozent liegt und in Knorpel nicht
zum Tragen kommt (6, 12). Die genannten Vorteile nützen insbesondere
bei der Bestrahlung von großen oder
infiltrierenden Prozessen an Ohr, Nase, innerem Augenwinkel, über dem
Schädeldach sowie bei direktem Befall von Knochen und Knorpel (1, 3,
4, 6, 12, 14). Elektronenstrahlen können im Übrigen Röntgenweichstrahlen gleichwertig ersetzen, falls auch
weiterhin zu wenig neue Weichstrahltherapiegeräte angeboten werden.
Bereits A. Reisner und G. Miescher
haben in den 1930er-Jahren aufgrund
experimenteller Untersuchungen darauf hingewiesen, dass akute und chronische Strahlenreaktionen der Haut
stark von der Höhe der Einzeldosis
abhängen (15). Dies wurde lange unterbewertet und ist in der Vergangenheit für viele nachteilige Spätreaktionen verantwortlich gewesen. Heute
gilt, je größer und komplizierter das
Tumorgeschehen ist, desto niedriger
sollten die Einzeldosen und desto länger die Gesamtbestrahlungszeit gewählt werden (Tabelle). Bei fortgeschrittenen und infiltrierenden Tumoren geben die Autoren in der Regel
Einzeldosen von nicht mehr als 2 bis 3
Gy, drei- bis fünfmal pro Woche, bei
Gesamtdosen von 60 bis 70 Gy Elek-
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b
Abbildung 1: a) 64-jährige Patientin, „Riesenbasaliom“ am Hinterkopf mit Periostbefall,
b) 14 Jahre nach Therapie mit Elektronenstrahlung
a
b
Abbildung 2: a) 74-jährige Patientin, zwei spinozelluläre Karzinome im Nasenbereich, b) 7
Jahre nach Behandlung mit Elektronenstrahlung und Weichstrahltherapie
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a
b
Abbildung 3: a) 74-Jähriger mit postoperativem Rezidiv eines Basalzellkarzinoms in der Nasenregion und tiefer Knocheninfiltration, b) 9 Jahre nach Applikation von Elektronenstrahlung
a
b
Abbildung 5: a) 62-jähriger Patient mit sklerodermiformem Basalzellkarzinom am Ohr (Tragus, Gehörgang, präaurikulär, Wange und
Hals), b) 7 Jahre nach Therapie mit Elektronenstrahlung
a
b
Abbildung 7: a) Ulzerierendes Basalzellkarzinom am inneren Augenwinkel bei 83 Jahre altem Mann, b) 5 Jahre nach Behandlung mit
Elektronenstrahlung
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a
b
Abbildung 4: a) 87 Jahre alter Patient mit infiltrierendem Basalzellkarzinom an der Ohrmuschel, b) 4 Jahre nach der Behandlung mit
Elektronenstrahlung
a
b
Abbildung 6: a) 79-Jähriger mit infiltrierendem, schmerzhaftem spinozellulärem Karzinom an der Unterlippe, das die Nahrungsaufnahme behindert, b) 7 Jahre nach Anwendung von Elektronenstrahlung
a
b
Abbildung 8: a) 51-Jähriger mit postoperativem Rezidiv eines Basalzellkarzinoms an der Oberlippe mit Muskelinfiltration, Beteiligung
von Nasenansatz und Wange, b) 7 Jahre nach Elektronenbestrahlung
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tronenstrahlen. Kleine, oberflächliche
Tumoren (Vorschlag: Felddurchmesser bis 3 cm) können auch mit höheren Einzeldosen in kürzerer Gesamtzeit bestrahlt werden. Bewährte, standardisierte Dosierungsschemata zur
Weichstrahl- und Elektronentherapie
findet man in der speziellen radio- und
dermatoonkologischen Literatur (6, 10,
12, 14).
Fallbeispiele
Die guten kurativen und kosmetischen Ergebnisse der Weichstrahltherapie wurden in der Vergangenheit
oft bildlich dokumentiert. Wichtig erscheint den Autoren jedoch der Nachweis, dass unter Einbeziehung der
erwähnten Fortentwicklung der Bestrahlungsmethoden die guten kosmetischen Ergebnisse auch langfristig ohne Spätschäden erreichbar sind. Dies
gilt insbesondere für große oder infiltrierende Prozesse bei ungünstiger
Lokalisation, beispielsweise bei einem
großen BCC und SCC der Kopfhaut
(12). So genannte „Riesenbasaliome“
eignen sich wegen der Kalottennähe
bevorzugt für die Elektronentherapie
(Abbildung 1).
Die Mitbestrahlung von Knorpel
und Knochen ist bei Verwendung von
Elektronenstrahlen in der Nasenregion unproblematisch (Abbildung 2).
Dies gilt auch für eine postoperative Bestrahlung oder eine postoperative Rezidivbehandlung (Abbildung 3).
Mögliche Inhomogenitäten in der Dosisverteilung werden bei Nasenbestrahlung mit Bolusmaterial ausgeglichen (6, 14).
Größere Ulzerationen und Defekte
der Ohrmuschel sowie Karzinome in
der Tragusregion (embryonale Verschmelzungsebene) und im Gehörgang heilen kosmetisch sehr vorteilhaft und mit wenig Verstümmelung
aus (Abbildungen 4 und 5). Die Elektronenbestrahlung ist zu empfehlen
(12). Der Hinterohrbereich wird mit
strahlenabsorbierendem Material geschützt.
Die Bestrahlung des Patienten mit
Unterlippenkarzinom (Abbildung 6)
erfolgte wegen allgemeiner Inoperabilität und Tumorschmerz. Es wurde ein
strahlenabsorbierender Schutz hinter
der Lippe eingebracht. Auch bei diffusem Lippenbefall oder bei Verdacht
auf postoperative Tumorreste ist die
Bestrahlung indiziert.
Vor allem schwierig operierbare,
größere Tumoren des inneren Augenwinkels lassen sich mit sehr gutem
kosmetischem Langzeitergebnis behandeln (Abbildung 7). Dies gilt auch
für den Lidbereich. Spezielle Augenschalen schützen Linse und Bulbus.
Bei dem in Abbildung 8 vorgestellten Patienten bestand ein postoperatives, tief in die Muskulatur infiltrierendes Rezidiv im topographisch
ungünstigen Nasolabialbereich. Es wurde ein Strahlenschutz für den Oberkiefer hinter der Oberlippe angebracht.
Histologie – Es wird diskutiert, ist
aber nicht gesichert, dass SCC höhere
Strahlendosen erfordern als BCC. Bekannt ist hingegen, dass unkomplizierte kleine Basaliome auch mit niedrigeren Dosen (45 bis 50 Gy) ausreichend
behandelbar sind (7). Die spezielle Tumorform „sklerodermiformes“ (morpheaartiges, sklerosierendes) BCC
neigt nach Panizzon (10) zu höheren
Rezidivraten. Dies schließt eine Strahlenbehandlung als Alternative jedoch
nicht aus, insbesondere, wenn eine mikrographische Chirurgie nicht möglich oder unzumutbar ist: Man sollte
die Dosierung im Rahmen der empfohlenen Toleranzgrenzen erhöhen,
bevorzugt Elektronenstrahlen einsetzen und die Sicherheitszonen um den
Tumor und in die Tiefe vergrößern.
Letzteres ist bei Bestrahlung ohne Einschränkung durch anatomische Strukturen gut möglich (Abbildung 5).
Behandlungsergebnisse – Die Heilungsziffern liegen bei allen therapeutischen Verfahren für kleine bis mittelgroße Tumoren (BCC, SCC gemeinsam) bei mehr als 90 Prozent. Konservative Chirurgie und Radiotherapie
zeigen gleichartige Rezidivraten von
drei bis neun Prozent (3,5). Das gilt
auch für die Elektronentherapie (4,
8, 14). Die besten therapeutischen Ergebnisse erreicht die mikrographische
Chirurgie mit 95 bis 99,5 Prozent
(BCC) und 88 bis 96 Prozent (SCC)
lokaler Heilung (3). Die Statistiken
schwanken in Abhängigkeit von der
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Zusammensetzung des Krankenkollektivs. Rezidive und SCC haben
schlechtere Heilungsraten als primär
behandelte Tumoren oder BCC. Zu
großen und tiefreichenden Karzinomen (T3 bis T4) gibt es operativ wie
strahlentherapeutisch nur begrenzte
Informationen. Vergleichende, prospektive Studien wurden bisher nicht
durchgeführt. Griep (4) berichtet über
Rezidivraten bei Elektronenbestrahlung von 290 Patienten in Abhängigkeit von der Tumorgröße (Feldgröße):
5,5 Prozent (bis 20 cm2), 6,8 Prozent
(20 bis 50 cm2) und 13,8 Prozent (> 50
cm2).
Weitere Gesichtspunkte
Strahleninduzierte Tumoren – Sie treten in Hautbereichen, die zuvor mit
Tumordosen behandelt wurden, sehr
selten auf (5). Patienten unter 50 Jahren sollte man trotzdem vorrangig
operieren.
Spätreaktionen – Radiodermatitis
und Narbenulzera sind bei Anwendung der erwähnten Dosierungsschemata und richtiger Technik auch bei
einem großen Patientenkollektiv heute extrem selten (unter 1 Prozent [2]).
Auch die Autoren beobachteten bei
mit 2 bis 3 Gy Einzeldosis bestrahlten,
langzeitig beobachteten Tumoren keine auffallenden Spätreaktionen (Abbildungen 1 bis 8). Eine gelegentliche,
symptomlose Hautatrophie, Teleangiektasie oder Alopezie akzeptierten
die Patienten durchaus, weil das kosmetisch und funktionell sehr gute Therapieergebnis als entscheidend angesehen wurde.
Rumpf und Extremitäten – Diese,
der Sonnenstrahlung wenig ausgesetzten Hautpartien neigen bei kutaner
Radiotherapie zu verstärkten Strahlenreaktionen. Ist eine Radiotherapie
nicht zu umgehen, muss über die Möglichkeit verstärkter Narbenbildung
und eines Radioderms aufgeklärt werden.
Begleitbehandlung – Eine radiogene trockene oder erosive Dermatitis
ist, je nach Tumorausdehnung, verschieden häufig zu erwarten und kein
Hinweis auf eine behinderte Abheilungstendenz. Letztere sollte aber
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durch eine kontinuierliche Hautpflege
gefördert werden: Eucerinkalkwassersalbe (Eucerinum anhydricum, aqua
calcarea aa ad 100,0) oder LinolinFettcreme eignen sich für das akute
Hauterythem ebenso wie für die Dauerpflege der Narbenregion. Bei stärkeren exsudativen Reaktionen haben
die Autoren mit dem Einsatz von Actihaemyl-(Activegin-)Gel und -Creme
gute Erfahrungen gemacht. Corticosteroidpräparate sollte man nur begrenzt einsetzen. Bei Superinfektion
empfiehlt sich die lokale Anwendung
von Antibiotika zum Beispiel in Verbindung mit Gittertüll oder Gaze.
Kosten – Diese liegen nach den Sätzen der Gesetzlichen Krankenkassen
für ambulante Bestrahlungsserien mit
Weichstrahltherapie zurzeit bei 118
bis 182 Euro, mit Elektronenbestrahlung bei 783 bis 1 150 Euro.
Indikationen zur
Strahlentherapie
Die Zahl der Bestrahlungen von
Hautkarzinomen ist in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Dies
liegt nicht an der Qualität der radiologischen Verfahren. Die Strahlentherapie hat sich durch die geschilderten
Weiterentwicklungen sogar verbessert. Es wird heute seltener bestrahlt,
weil die meisten Basaliome und Spinaliome technisch einfach, ambulant und
in einer einzigen Sitzung chirurgisch
entfernt werden können. Der Satz,
„was operiert werden kann, soll operiert werden“ liegt nahe. Allerdings
nur dann, wenn als Grenze nicht allein
das chirurgisch Machbare, sondern
auch das therapeutisch Zumutbare gemeint ist. In diesem Grenzbereich ergeben sich drei Indikationsgruppen
für die Bestrahlung (Kasten).
Allgemeine Inoperabilität – Hohes
Alter ist der wichtigste Grund. 70 Jahre werden in der Regel als Grenzalter
für größere Operationen empfohlen.
Die Entscheidung sollte aber individuell nach den im Kasten genannten Gesichtspunkten erfolgen. Nicht zu unterschätzen sind psychische Probleme
bei älteren Menschen. Diese führen
manchmal zu Operationsverweigerung oder zu Angstreaktionen wegen
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Kasten
Indikationen zur Strahlentherapie von Basalzellkarzinomen (BCC) und spinozellulärem Karzinom (SCC)
Allgemeine Inoperabilität
> hohes Alter (> 70 Jahre)
> schlechter Allgemeinzustand
> psychologische und soziale Probleme
> hohes Risiko für Operation und Anästhesie
> Unzumutbarkeit oder Verweigerung eines stationären Aufenthalts
> Blutungsleiden
> Neigung zu postoperativer Keloidbildung
Spezielle Indikationen
> postoperative Bestrahlung
bei mikroskopischem Resttumor
bei makroskopischem Resttumor
bei perineuraler Tumorinfiltration ist
die prophylaktische Bestrahlung zu erwägen
> postoperative Rezidive: Bestrahlungsempfehlung (weniger Narben, bessere Kosmetik), alternativ mikrographische Chirurgie
> Rezidiv nach Bestrahlung
bei Inoperabilität Bestrahlung möglich
(protrahiert, in kleinen Einzeldosen)
> Befall von Knochen und Knorpel
> palliative Bestrahlung
zur Verbesserung der Lebensqualität
(Schmerzlinderung, Besserung funktioneller
Störungen – zum Beispiel Lippen, Auge)
Verzögerung des Tumorwachstums (vor allem
bei BCC; bei SCC wenn Osteolyse)
> Bestrahlung der Lymphabflusswege bei SCC,
abhängig von Tumorstadium
Operative (mikrochirurgische) Grenzfälle,
Option zur Strahlentherapie
> ausgedehnte oder tief infiltrierende Karzinome, ungünstige Tumorlokalisation, eingeschränkte kosmetische und funktionelle Erfolgsaussichten einer Operation
> bei eingeschränkter Belastbarkeit des Patienten, insbesondere bei hohem Alter
eines stationären Aufenthalts. Werden
solche Patienten als untherapierbar
eingestuft, leiden sie auch bei hohem
Alter unter dem Stigma ihres Aussehens. Die Strahlentherapie kann langfristig helfen (Abbildungen 2, 4, 6, 7).
In der Regel wird sie mehrere Wochen
beanspruchen: Die Patienten akzeptieren das nach Erfahrung der Autoren jedoch, weil unter der ambulanten,
kaum belastenden und schmerzfreien
Behandlung das häusliche Umfeld
und die vorhandene Mobilität erhalten bleiben. Bei Blutungsleiden oder
Keloidneigung ist die Bestrahlung das
günstigste Verfahren.
Spezielle Indikationen – (Kasten):
Die postoperative Bestrahlung ist nach
R1- (mikroskopischem) und R2- (makroskopischem) Resttumor erforderlich, wenn erneute Operationen nicht
möglich oder unzumutbar sind (3, 5, 6,
14). Eine prophylaktische postoperative Bestrahlung wird bei ungünstiger
perineuraler Tumorausdehnung empfohlen (14).
Postoperative Rezidive sollten aus
strahlentherapeutischer Sicht bevorzugt radiologisch behandelt werden,
weil oft günstigere kosmetische Ergebnisse mit wenig zusätzlichen Narben zu
erwarten sind. Der Mikrochirurg könnte trotzdem eher zur erneuten Operation neigen. Das interdisziplinäre Konsil
ist im Einzelfall die beste Hilfe für eine
optimale Entscheidung.
Bei einem Rezidiv nach Bestrahlung
ist die mikrographische Chirurgie vorzuziehen. Ist sie nicht oder nur begrenzt möglich, schließt dies eine zweite Strahlentherapie nicht aus. Es sollte
protrahiert, mit niedrigen Einzeldosen
behandelt werden. Über gute Ergebnisse mit wenig Nebenreaktionen wird
berichtet (14).
Bei Befall von Knochen und Knorpel besteht keine Kontraindikation zur
Bestrahlung. Im Gegenteil, die protrahierte Radiotherapie mit Anwendung
von Elektronenstrahlen ist speziell zu
empfehlen (1, 4, 6, 10, 12, 14) (Abbildungen 1, 3, 4). Trotz schlechter Ausgangslage wird über günstige Heilungserwartungen, gute kosmetische
Ergebnisse und wenig Spätreaktionen
berichtet (14).
Palliative Bestrahlung – Besonders
tragisch sind Einzelfälle von ausgedehnten BCC, welche trotz vieler Operationsversuche ständig rezidivieren
und manchmal tiefe Gesichtsschädeldestruktionen verursachen. Hier können nach Beobachtung der Autoren
Elektronenbestrahlungen der nicht resezierbaren Tumoranteile zu nachhaltiger Verzögerung des Karzinomwachstums führen. Dies spricht grundsätzlich
für einen wesentlich früheren, kombinierten Einsatz von Operation und Bestrahlung bei Verdacht auf ein erhöhtes Rezidivrisiko.
Mikrochirurgische Grenzfälle – Es
ist nachvollziehbar, dass ein ausgedehntes, oder tief infiltrierendes Tu-
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morwachstum, oder eine ungünstige
Tumorlokalisation bei engen anatomischen Verhältnissen am Gesichtsschädel die mikrographische Chirurgie behindern können. Bei konsequentem
operativem Vorgehen lassen sich
größere postoperative Defekte nicht
immer vermeiden. Diese bedürfen
komplizierter plastischer Deckung,
bei manchmal begrenzten kosmetischen Erfolgsaussichten. Vor allem bei
älteren Patienten mit eingeschränkter
Belastbarkeit und fortgeschrittenem
Tumor ist deshalb eine therapeutische
Alternative wünschenswert. Hierfür
ist die Radiotherapie mit Elektronenstrahlen gut geeignet. Aufgrund der
erwiesen günstigen kosmetischen und
funktionellen Ergebnisse und der Vermeidbarkeit von Spätschäden (3, 4, 6,
13, 14) (Abbildungen 1, 3, 5, 8) stellt sie
heute bei fortgeschrittenen Fällen eine wertvolle Ergänzung des therapeutischen Spektrums dar. Die therapeutische Entscheidung ist jeweils eine
fallbezogene Ermessensfrage, am besten beantwortet beim interdisziplinären Konsil von Dermatologen, spezialisierten Operateuren und Strahlentherapeuten.
Manuskript eingereicht: 11. 12. 2003, revidierte Fassung
angenommen: 21. 9. 2004
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
❚ Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2005; 102: A 1454–1459 [Heft 20]
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Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Klaus Reisner (i. R.)
Dr. med. Wulf Haase
Klinik für Strahlentherapie und Radiologische Onkologie
St. Vincentius Kliniken
Steinhäuserstraße 18
76135 Karlsruhe
MEDIZINGESCHICHTE(N))
AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT
Ärzte als Patienten
Schlaflosigkeit
Zitat: „Quält mich nachts Schlaflosigkeit, so stehe ich auf, spaziere um
mein Bett und zähle in Gedanken
bis auf 1000; auch enthalte ich mich
dann der Speisen ganz oder esse doch
um mehr als die Hälfte weniger als
sonst.
Arzneimittel gegen das Übel gebrauche ich wenig, außer etwas Pappelsalbe [1] oder Bärenfett [2] oder
Haarwurzöl [3], womit ich dann meinen Leib an 17 Stellen einreibe: an
den Schenkeln, den Fußsohlen, am
Nacken, an den Ellbogen, den Handgelenken, den Schläfen, den Halsadern, in der Herz- und in der Leber-
gegend und auf der Oberlippe. Namentlich morgens quält mich oft die
Schlaflosigkeit über die Maßen. “
Giralomo Cardano: De propria vita (posthum: Paris 1643;
deutsch: Jena 1914). In: Alfred Grotjahn: Ärzte als Patienten: Subjektive Krankengeschichte in ärztlichen Selbstschilderungen. Leipzig 1929, Seite 66. – [1] Unguentum
populeum, ein Arzneimittel aus pflanzlichen und tierischen
Bestandteilen, darunter Pappelknospen. [2] Galt wie die
Bärengalle als (All)Heilmittel. [3] Öl der Nixblume (Nymphaea), Mittel gegen Schlaflosigkeit. Diese herausragende
Autobiografie des italienischen Arztes und Universalgelehrten Cardano (1501–1576) offenbart ihren Autor als einen von Krankheit geplagten „Melancholiker“.
Sexualität und Medizin
Orgasmusreflex
Zitat: „Der Orgasmusreflex ist eine einheitliche Gesamtkörperzuckung. Im Orgasmus sind wir nichts als ein zuckender
Plasmahaufen. Nach 15jähriger Orgas-
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musforschung war es endlich gelungen,
zum biologischen Kern der seelischen
Erkrankungen vorzudringen. Der Orgasmusreflex findet sich bei allen kopulierenden Lebewesen. In der Reihe
der noch tieferstehenden biologischen
Organismen, wie etwa bei Einzellern
[1] findet er sich in Gestalt von Plasmazuckungen [...]. Die tiefste Stufe, auf
der er zu finden ist, ist die Eiteilung.“
Wilhelm Reich: Die Entdeckung des Orgons I. Die
Funktion des Orgasmus. Sexualökonomische Grundprobleme der biologischen Energie (1942). Frankfurt
am Main 1979 (fischer Taschenbuch Band 6140), Seite 262. – [1] Hier wird auf das Paradigma der Amöbe
angespielt. – Reich (1897–1957) war 1922 bis 1930
am psychoanalytischen Ambulatorium in Wien tätig,
ab 1928 Mitglied der Kommunistischen Partei; 1933
Ausschluss aus der Psychoanalytischen Vereinigung
und aus der KP, im Exil ab 1934, von 1939 bis zu
seinem Tod in den USA; Wegbereiter der späteren
Gestalt- beziehungsweise Körpertherapie. Seine Definition des „Orgasmusreflexes“ offenbart ein strikt
biologistisches Menschenbild.
A 1459
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