Basler Münster 1 Programm-Magazin Nr. 1 | Saison 16/17 31. Aug. 1. Sept. 19.30 Uhr Programm Sinfoniekonzert Bruckner+ Messiaen und Reger Auszüge aus der Biografie von Marek Janowski 4 Anton Bruckner Messe e-Moll 7 12 Gesangstext Messe e-Moll 14 Andreas Liebig im Gespräch 16 Max Reger Phantasie und Fuge über B-A-C-H 19 Der MDR Rundfunkchor 20 Olivier Messiaen L’Ascension Intermezzo 25 Illustration von König Lü.Q. 26 Kritikergeschichten, Teil 1 28 Vorgestellt Immanuel Richter Vorschau 31 Im Fokus Dr. Hans-Georg Hofmann Leiter künstlerische Planung 3 32 Demnächst 1 Konzerte mit den Messen und Sinfonien Anton Bruckners haben in Basel eine lange Tradition: Zwischen 1876 und 2000 kam es im Musiksaal allein zu über 150 Aufführungen seiner Sinfonien. Dirigenten wie Hermann Suter, Felix Weingartner, Hans Münch, Moshe Atzmon, Horst Stein und Mario Venzago nahmen seine Werke immer wieder in ihre Konzertprogramme auf. Komponiert hat Bruckner seine Sinfonien als profane Musik für den Konzertsaal. Doch als Organist kam er im oberösterreichischen St. Florian täglich mit dem Kirchenraum in Berührung. Seinen Werken wird häufig eine spirituelle Wirkung zugesprochen, die ihren Ursprung in der Religiosität des Komponisten haben könnte. Für einen Bruckner-Zyklus im Basler Münster während der Bauarbeiten im Stadtcasino Basel gibt es mehrere Gründe. Ein weiterer ist, dass Gustav Mahler hier 1903 mit grossem Erfolg seine Auferstehungssinfonie dirigierte. In einem Brief berichtete er, wie ihn die besondere Stimmung im Basler Münster beeindruckt hatte. Wir freuen uns sehr, dass wir den renommierten MDR Rundfunkchor aus Leipzig und mit Marek Janowski einen der ganz grossen Bruckner-Interpreten für diesen Auftakt gewinnen konnten. Es erwartet uns eine aussergewöhnliche Saison 2016/17 - wir freuen uns auf viele unvergessliche Konzerterlebnisse gemeinsam mit Ihnen. Bruckner+ Messiaen und Reger Liebes Konzertpublikum SINFONIEKONZERT Bild: Benno Hunziker 2 VORVERKAUF UND PREISE Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel +41 (0)61 206 99 96 [email protected] oder auf www.sinfonieorchesterbasel.ch Preise CHF 70/50/30/20 3. Kategorie-Plätze nur mit eingeschränkter Sicht, 4. Kategorie-Plätze nicht nummeriert und mit sehr eingeschränkter Sicht Ermässigungen Studierende, Schüler und Lehrlinge: 50% AHV/IV: CHF 5 mit der Kundenkarte Bider & Tanner: CHF 5 SINFONIEKONZERT SOB Bruckner+ Messiaen und Reger Mittwoch, 31. August 2016 Donnerstag, 1. September 2016 19.30 Uhr BASLER MÜNSTER 18.30 Uhr: Konzerteinführung durch Dr. Hans-Georg Hofmann in der Allgemeinen Lesegesellschaft am Münsterplatz 8 ca. 12’ Max Reger (1873 –1916) Phantasie und Fuge über B-A-C-H, op. 46 (1900) PAUS E ca. 40’ Anton Bruckner (1824 –1896) Messe e-Moll, WAB 27 (Fassung 1882) Konzertende: ca. 21.30 Uhr Sinfonieorchester Basel MDR Rundfunkchor Andreas Liebig, Orgel Marek Janowski, Leitung 3 ca. 30’ Olivier Messiaen (1908 –1992) L’Ascension. Quatre méditations symphoniques (1933) 1. Majesté du Christ demandant sa gloire à son Père 2. Alléluias sereins d’une âme qui désire le ciel 3. Alléluia sur la trompette, Alléluia sur la cymbale 4. Prière du Christ montant vers son Père ZUM DIRIGENTEN Auszüge aus der autorisierten Biografie von Marek Janowski – Atmen mit dem Orchester «Es muss einer vorne stehen und das alles koordinieren» von Marek Janowski/Wolfgang Seifert Morgens auf der Probe oder abends, wenn es losgeht, dann ist es bei aller klaren Erkenntnis, dass das technische Handwerk des Dirigenten dem Handwerk eines Geigers oder Oboisten weit unterlegen ist, ganz klar: Sie sind die Zentralfigur! Der Dirigent kann etwas, was auch 100 hoch qualifizierte Musiker ohne ihn nicht zustande bringen, nämlich eine Orchesterkohäsion herstellen und die Voraussetzungen für sinnvolles Probieren und erfülltes Musizieren schaffen. Das war nicht immer so. Der Dirigentenberuf ist noch nicht alt. Früher, bei den kleinen Formationen von Barock und Frühklassik, ging es vielfach ohne Dirigenten ganz gut. Musikchefs wie Haydn und Mozart haben vom Cembalo oder vom ersten Geigenpult aus das Orchester angeführt. Auch heute spielt ein Orchester mit kleiner Streicherbesetzung, zweifachem Holz und zwei Hörnern, wenn es einen guten Konzertmeister hat, unter dessen Führung einwandfrei. Aber mit den Riesenmassen an Musikern, die moderne Werke und moderne grosse Säle erfordern, geht das nicht mehr, schon aus rein physikalisch-akustischen Gründen. Es muss einer vorne stehen und das alles koordinieren. Entfernungen über sechs bis acht Meter auf dem 4 Voraussetzungen schaffen Podium lassen ein Zusammenspiel ohne Dirigenten einfach nicht zu; selbst wenn es sich nur um einen einfachen 4/4-Takt handelt. Seine wichtigste Aufgabe ist zunächst das, was ich die «Verkehrsdienstregelung» nenne, nämlich eine präzise Koordination der einzelnen Musiker und der Orchestergruppen untereinander herzustellen – die Grundvoraussetzung für alles Weitere. Die Vertikale und die Horizontale müssen stimmen, Balancen und Farbmischungen von Akkorden sind herauszuhören und zu korrigieren, ebenso die Dynamik auszugleichen et cetera, bis ein Klangbild herauskommt, das dem Text der Partitur wirklich entspricht. Viele können das gar nicht, sondern wollen als Interpret immer gleich direkt zum lieben Gott durchmarschieren. Aber zunächst ist der Dirigent gestisch notwendig, um Akustisches zu koordinieren. Dann erst kommt das gestalterische Element hinzu. Show-Dirigieren oder Atmen mit dem Orchester Das Visuelle ist seit den siebziger Jahren immer wichtiger geworden, und das hat den Beruf verändert, womit ich meine Schwierigkeiten habe. Der Dirigent wird zum bewegungsmässig visuellen Transporteur von zu hörender Musik für ein zusehendes Publikum. Das kann man schön finden oder auch nicht, aber so ist es. Die Mehrheit der Konzertbesucher erwartet das heutzutage, obwohl es bei einem Saal mit zweitausend Menschen sicher auch immer einige gibt, die gut zuhören können. Manche machen ja die Augen zu oder lesen die Partitur mit. 5 Foto: Felix Broede 6 Aber die «trendy direction» ist, dass die Mehrheit zuschaut. Dem entsprechen mit ihrer Gestik die Show-Dirigenten, welche die Botschaft visuell nach hinten, zum Publikum übermitteln und sich damit selbst in den Vordergrund stellen, vor die Musik. Wenn sie dabei die Botschaft fachlich auch nach vorn übermitteln, zum Orchester, dann ist das fabelhaft, und es ist nichts dagegen zu sagen. Aber die andern, die reinen Show-Dirigenten und Pult-Wedler, liegen besser im Trend. Und weil die Orchester, viele davon, sich wegen Radio, Fernsehen und Schallplatte so enorm in ihrem Präzisionsgehabe schon aus sich selbst verbessert haben, funktioniert das manchmal sogar. Aber ohne die Musiker könnte die nur auf den Saal gerichtete rein visuelle Vermittlung nicht funktionieren. Doch grundsätzlich gilt: Ohne eine hohe Präzision des Spiels und ohne die «Verkehrsdienstregelung» des Dirigenten geht überhaupt nichts. Erst wenn die vertikale Präzision und die horizontalen Abläufe, die klanglichen Balancen und die instrumentalen Farbmischungen gesichert sind, kann sich eine tragfähige Orchesterkohäsion als Grundlage erfüllten Musizierens herausbilden. Um die zu erreichen, müssen auch die Musiker überzeugt sein, dass sie nur mit dem Dirigenten zusammen die in der Partitur niedergelegte «Zielvorgabe» erreichen können. Erst dadurch wird das «Atmen mit dem Orchester» möglich. Dann erst kommt die eigentliche Interpretation. Romantische Agogik Für mich als Interpret [der] Sinfonien [Bruckners] ist es wichtig, gerade beim Aufbau grosser Steigerungen die dafür notwendigen, aber nicht notierten kleinen Tempoänderungen auf eine fast unmerkliche, organische Weise in den musikalischen Fluss einzubringen. Das ist nun ganz sicher nicht der barocke Einheitsablauf wie bei Bach, das ist romantische Agogik, die aber notwendig ist. Wenn Sie das nicht machen, besteht bei Bruckner die grosse Gefahr, dass musikalische Entwicklungen auseinanderfallen, stehen bleiben, trocken und ausdruckslos wirken. Der Grund-Pulsschlag muss freilich immer da sein, und die lebendige Fortführung muss um diesen pulsieren. Das gilt entsprechend für die Generalpausen, die auch nicht um Kleinigkeiten zu kurz oder zu lang sein dürfen. Diese Interpunktionen (manchmal ein Semikolon, zuweilen auch ein Bindestrich) müssen so vermittelt werden, dass alle, sowohl die Spieler als auch die Zuhörer, gemeinsam Atem holen können, damit man dann organisch fortschreiten kann. g Auszüge aus Atmen mit dem Orchester von Wolfgang Seifert (S. 16-18 und S. 406) © 2010 SCHOTT MUSIC, Mainz ZUM WERK Anton Bruckner Messe e-Moll von Steffen Georgi Komponierend kompensieren Gotische Vision Die Messe in e-Moll von Anton Bruckner verdankt ihre Entstehung und klangliche Eigenart dem Neubau des Mariendoms in Linz. Der 1853 berufene Bischof Rudigier proklamierte bald nach Amtsantritt den Bau einer Kathedrale für die erst 1785 gegründete Diözese. Das neugotische Bauwerk sollte ein machtvolles Symbol der katholischen Kirche werden. 1862 war die Grundsteinlegung, 1924 wurde der Dombau vollendet. Der Bischof liess listigerweise zuerst den Turm und die Apsis mit der Votivkapelle errichten. Standen diese beiden Teile, würde das verbindende Hauptschiff nicht auf die lange Bank geschoben werden. Domorganist Bruckner hatte bereits zur Grundsteinlegung des Doms am 1. Mai 1862 eine Festkantate Preiset den Herrn beigesteuert. Sodann folgte am 20. November 1864 die Uraufführung der 7 Bevor sich Anton Bruckner als Komponist verstand, pflegte er in St. Florian und in Linz (Domorganist seit 1856) als Interpret ausgiebig alle Formen vokaler Kirchenmusik, wurde somit vertraut mit Haydns, Mozarts und Schuberts Messen, musizierte Palestrina, Gabrieli und Caldara. Im Sinne seiner eigenen Lehrer Kitzler und Sechter unterrichtete er selbst den strengen Kontrapunkt. Sein Orgelspiel erreichte die Meisterschaft des Bach’schen. Es war Respekt einflössend gelehrt und überbordend fantasievoll zugleich. Doch Anton Bruckner drängte es zu mehr. Überhaupt schien er sein ganzes Leben lang ‹unter Dampf› gestanden zu haben. Mit fast beängstigender Regelmässigkeit brach sich der Überdruck in Vier-JahresRhythmen jeweils in einer Art Schaffensrausch Bahn. Der erste und heftigste, weil auch privat tiefgreifendste Ausbruch dieser Art fand von 1863 bis 1867 statt. In diese Zeit fällt die endgültige Emanzipation des immerhin bereits Vierzigjährigen von seinen Lehrern und Altvorderen. Sein Orgelspiel hatte ihm bei aller skurrilen Eigenwilligkeit sogar international einiges Ansehen eingebracht, 1869 durch Auftritte in der Notre Dame in Paris gefestigt. Er reiste viel, lernte Werke Wagners, Liszts, Berlioz’ kennen und trachtete Linz zugunsten Wiens zu verlassen. Und obendrein war er so wild entschlossen wie notorisch erfolglos, in den Stand der Ehe einzutreten. Musikalisch brachte dieser erste Schaffensrausch vor allem die drei grossen Messen d-Moll (1864), e-Moll (1866) und f-Moll (beendet 1868) hervor. Nicht zufällig gingen die kirchenmusikalischen Werke den sinfonischen voraus. Nur zwei Versuche in f-Moll und in d-Moll (die später als Nullte bezeichnete Sinfonie) sowie die erste Fassung der Sinfonie Nr. 1 in c-Moll kündeten damals bereits vom Sinfoniker Bruckner. Dagegen fehlte später die textgebundene Kirchenmusik fast völlig, von Umarbeitungen der Messen, dem Te Deum, dem 150. Psalm und einigen A-cappella-Chören abgesehen. Bruckners archaische Klangpracht 8 Doms zu Linz liess Bruckner sich beim Komponieren von der Vision eines erhabenen gotischen Bauwerks lenken – ohne die originale Musik der Gotik zu kennen! Die wurde erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts dechiffriert. Bruckner erinnerte sich noch viele Jahre später mit Stolz an die ausserordentliche Ehre, am Festtag der Uraufführung der e-Moll-Messe mit dem Bischof gespeist zu haben: «... 1869 von mir einstudiert und dirigiert an dem herrlichsten meiner Lebenstage bei der Einweihung der Votivkapelle. Bischof und Statthalter toastirten auf mich bei der Bischöfl. Tafel.» Messe d-Moll im Ignatiusdom (Alter Dom). Diese erste der drei grossen Messen Bruckners beeindruckte den Bischof so sehr, dass er eine weitere feierliche Messe für die Einweihung des ersten Bauabschnitts der neuen Kirche erbat. Die Aufführung fand am 29. September 1869 unter Bruckners Leitung auf der Baustelle im Freien statt. Dies von vornherein bedenkend, verzichtete Bruckner im Orchester auf die Streicher (und sogar auf die Flöten), beschränkte sich auf 15 Bläser. Doch mit einer ‹Freiluftmusik› hat die e-Moll-Messe nichts gemein. Vielmehr ist sie an den grossartigen Renaissancemeistern um Giovanni Pierluigi da Palestrina orientiert. Der quasi A-cappella-Charakter vor allem des Kyrie und des Sanctus wird gleichwohl klanglich angereichert mit dem sinfonischen Stil, den Bruckner später so markant ausbauen sollte. Dabei grenzte sich Bruckner scharf von den dogmatischen Restauratoren des Palestrina-Stils ab, den sogenannten Cäcilianisten, jenen katholischen Reformern der Kirchenmusik, die bis ins 20. Jahrhundert «eine Unzahl gleichförmig-mittelmässiger Motetten hervorgebracht haben. Palestrinas satztechnische Hauptmerkmale, die durchgängige Imitation und die streng geregelte Dissonanzbehandlung, fehlen bei Bruckner weitgehend. Was die Zeitgenossen in dieser Musik an Palestrina erinnern mochte, war vielmehr die ähnliche Wirkung: ein unakzentuiertes, dichte polyphone Gewebe bildendes Schweben der Stimmen in ruhigem Auf und Ab. Bruckner knüpft nicht nur an die römischen und venezianischen Meister um 1600 an, er schliesst auch die moderne Harmonik keineswegs aus: Es gelingt ihm so, den Geist der alten Musik in lebendiger Verschmelzung mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts wieder erstehen zu lassen.» (Wolfgang Dömling) 19. oder 16. Jahrhundert – gelegentlich erinnert Bruckners archaische Klangpracht an noch viel ältere, an mittelalterliche musikalische Errungenschaften. Wie die Erbauer des neuen Kyrie Das Kyrie am Beginn der Messe ruft einerseits Gedanken an die Motette Die mit Tränen säen aus der Geistlichen Chormusik (1648) von Heinrich Schütz auf, andererseits scheint Bruckner weitere 700 Jahre früher anzusetzen, indem er intuitiv den Geist der Gregorianik heraufbeschwört. Eine einfache Halbtonspannung zwischen c und h wird zum Ereignis, weil der Chorklang wunderbar um die Dissonanz oszillieren kann, bevor er sich der Auflösung hingibt. «Wenn nach dem Frauenchor der Männerchor in der nämlichen Weise seinen Gesang erhebt, liegt eine weitere Bindung an den gregorianischen Geist vor: die antiphonale Gegenüberstellung des oktavversetzten Chorklanges, wie er in Doppelklöstern möglich war. Nonnen auf dieser, Mönche auf jener Seite des Chores alternierten im gottesdienstlichen Singen.» (Erwin Horn) Gloria Bruckner litt zeitlebens unter einer Zahlenmanie, 1867 erreichte der Zählzwang eine pathologische Dimension, sodass er sich in eine mehrwöchige Behandlung begeben musste. In seinen Werken achtete der Komponist penibel auf regelmässigen Phrasenbau. So überprüfte er die e-Moll-Messe (auch die d-Moll- und die f-Moll-Messe) in Bild: Wikimedia Commons 9 Anton Bruckner, gezeichnet von Hermann von Kaulbach (1885) den Jahren 1876 und 1882, ob sie dem klassischen Periodenbau von 4, 8 oder 16 Takten entsprachen. Wo es nötig war, hat er nachträglich «rhythmisch geordnet», also Takte eingefügt (sogar Pausentakte am Anfang eines Satzes) oder Kürzungen vorgenommen. Im Gloria der e-Moll-Messe aber verblieb eine spezielle Phrase, die Anrufung Jesu Christi, bei einer Länge von 7 Takten. Hier verzichtete Bruckner ausdrücklich darauf, die Periode zur 8-taktigkeit zu ergänzen. Stattdessen kennzeichnete er die Worte «Jesu Christe» mit den Worten «Misterium (unerwartet nach dem 7. Takt der Periode)». Leise und im Wortsinne «entrückt» (Fis-Dur in C-Dur-Umgebung) sei der Name des Herrn auszusprechen. Credo Eine der anrührendsten Erfindungen der ganzen Messe ist das Et incarnatus est innerhalb des Credo. Die Menschwerdung des Herrn aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria wühlte den Musiker und Menschen Bruckner bis ins Innerste auf: «Eingedenk des Unfasslichen lässt Bruckner die Harmonik im F-Dur-Klang stillestehen. Die Worte ‹Et incarnatus est de Spiritu sancto ex 10 Agnus Dei Der unwahrscheinlichste Satz der Messe ist das Agnus Dei. Bruckner stand 1866 ganz im Banne von Wagners revolutionärer Tristan-Harmonik, fühlte sich wunderbar frei, eigene neue Wege zu gehen. Und Bruckner gelang das Wie im Kyrie verbindet Bruckner im Sanctus Sanktioniertes aus der Vokalpolyfonie des 16. Jahrhunderts – Palestrinas Missa Papae Marcelli war 1565 von einer päpstlichen Kommission zur liturgisch korrekten «Mustermesse» erkoren worden – mit hochromantischem Klangempfinden. Es gelingt ihm, diese beiden Ebenen in bewundernswerter Weise ästhetisch zu verschmelzen. Das zuerst im Alt erklingende Hauptmotiv des Sanctus übernimmt Bruckner direkt aus dem zweiten Kyrie der Palestrina-Messe Assumpta est Maria. Er führt die Stimmen in einem zweistimmigen Kanon, der sich viermal höchst kunstvoll durch alle acht Stimmen zieht. Eine Herausforderung für den Chor ist die Vorschrift Bruckners zur romantischen Klangentfaltung: «Anfangs in gemässigter Stärke, die sich später mehr und mehr steigert.» Nach 26 Takten hat das gewaltige Crescendo dreifaches Forte erreicht. Die ersten Soprane müssen das hohe a über 8 Takte lang mit grösstem stimmlichen Aufwand aushalten. Erst dann unterstützen die Bläser den Chor mit machtvollen Akzenten. An dieser Stelle verlässt Bruckner das historische Vorbild. Der insistierende Schluss des Sanctus weist voraus auf monumentale Klanggebäude, wie er sie später so charakteristisch in seinen Sinfonien aufgetürmt hat. Sanctus Paradoxon, in der Rückwendung auf die Messe und den Palestrina-Stil die kühnsten, modernsten Ideen anzubringen. Wo Wagner mit progressiver Chromatik harmonische Regeln neu definierte, ging Bruckner in den Möglichkeiten von Dissonanzbildungen auf dem Boden der Diatonik so weit wie keiner vor ihm. Die Miserere-Steigerung im Agnus Dei der e-Moll-Messe ist ein schlagendes Beispiel dafür. Innerhalb von 6 Takten verdichtet Bruckner die Erbarmensbitte bis zur äussersten Grenze des diatonischen Tonsystems: Alle sieben Töne der G-Dur-Skala erklingen gleichzeitig. Dennoch klingt die Dissonanz nicht wirklich dissonant, weil Bruckner sie organisch mit Vorhaltprinzipien erzeugt, die auf den Palestrina-Stil zurückgehen. Wenig später errichtet Bruckner einen echten, diesmal terzgeschichteten Fünfklang. Vier Nonenakkorde werden stufenweise angehoben. Von dieser Dissonanzdichte am äussersten Rand des tonalen Klangfelds führt ein direkter Weg zu Gustav Mahler und Arnold Schönberg. g Maria› dienen dem Beter, das Herz zu bereiten für die eine wunderbare Aussage: ‹virgine›. Bei diesem Wort wendet Bruckner die Harmonik unerwartet nach A-Dur.» (Erwin Horn) Messe e-Moll (Fassung 1882) Besetzung 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Chor Entstehung August bis November 1866; umgearbeitet 1876, 1882, 1885, 1896 Uraufführung 29. September 1869 auf dem Domplatz in Linz unter Leitung des Komponisten Dauer ca. 40 Minuten 11 Desigen Peter J. Lassen Boutique Danoise AG Aeschenvorstadt 36 CH-4010 Basel Tel. +41 61 271 20 20 [email protected] www.boutiquedanoise.ch Montana, Design von Peter J. Lassen, das sind 36 Grundelemente, 4 Tiefen und eine Farbpalette mit 49 Farben und Oberflächen. 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Herr Jesus Christus, eingeborener Sohn. Herr und Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters. Du nimmst hinweg die Sünden der Welt, erbarme Dich unser. Du nimmst hinweg die Sünden der Welt, nimm unser Flehen gnädig auf. Du sitzest zur Rechten des Vaters, erbarme Dich unser. Quoniam tu solus Sanctus. Tu solus Dominus. Tu solus Altissimus, Jesu Christe. Cum Sancto Spiritu in gloria Dei Patris. Amen. Denn Du allein bist der Heilige. Du allein der Herr. Du allein der Höchste, Jesus Christus. Mit dem Heiligen Geiste in der Herrlichkeit Gottes des Vaters. Amen. Credo Credo in unum Deum. Patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium. Credo in unum Dominum Jesum Christum, Filium Dei unigenitum. Et ex Patre natum ante omnia saecula. Deum de Deo, lumen de lumine, Deum verum de Deo vero. Ich glaube an den einen Gott. Den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Ich glaube an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn. Er ist aus dem Vater geboren vor aller Zeit. Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott. Genitum, non factum, consubstantialem Patri: per quem omnia facta sunt. Qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis. Gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater: Durch Ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist Er vom Himmel herabgestiegen. Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau: Und ist Mensch geworden. Crucifixus etiam pro nobis, sub Pontio Pilato passus et sepultus est. Gekreuzigt wurde Er für uns, unter Pontius Pilatus hat Er den Tod erlitten und ist begraben worden. Et resurrexit tertia die secundum Scripturas. Et ascendit in coelum: sedet ad dexteram Patris. Et iterum venturus est cum gloria, iudicare vivos et mortuos: cuius regni non erit finis. Er ist auferstanden am dritten Tage gemäss der Schrift. Er ist aufgefahren in den Himmel und sitzt zur Rechten des Vaters. Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, Gericht zu halten über Lebende und Tote: Und Seines Reiches wird kein Ende sein Credo in Spiritum Sanctum, Dominum, et vivificantem: qui ex Patre Filioque procedit. Qui cum Patre et Filio simul adoratur et conglorificatur, qui locutus est per Prophetas. Credo in unam sanctam catholicam et apostolicam Ecclesiam. Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum. Et exspecto resurrectionem mortuorum et vitam venturi saeculi. Amen. Ich glaube an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der vom Vater und vom Sohne ausgeht. Er wird mit dem Vater und dem Sohne zugleich angebetet und verherrlicht, Er hat gesprochen durch die Propheten. Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Ich bekenne die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt. Amen. Sanctus Sanctus, sanctus, sanctus Dominus, Deus Sabaoth. Pleni sunt coeli et terra gloria tua. Osanna in excelsis. Heilig, heilig, heilig, Herr Gott Zebaoth. Voll sind Himmel und Erde von Deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe. Benedictus Benedictus, qui venit in nomine Domini. Osanna in excelsis. Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe. Agnus Dei Agnus Dei, qui tollis peccata mundi: miserere nobis. Agnus Dei, qui tollis peccata mundi: dona nobis pacem. Lamm Gottes, Du trägst die Sünden der Welt: Erbarme Dich unser. Lamm Gottes, Du trägst die Sünden der Welt: Gib uns Frieden. 13 Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine: Et homo factus est. INTERVIEW zV g Andreas Liebig im Gespräch 14 d: l Bi «Da wird sich das Gewölbe des Münsters heben» von Christian Fluri Er schätzt die 2003 neu gebaute Orgel des Basler Münsters, ist begeistert von ihrer grossen Klangvielfalt und stilistischen Bandbreite - das drückt Andreas Liebig, Basels Münsterorganist, mit jedem seiner Worte aus. Der leidenschaftliche Künstler freut sich auf den Bruckner-Zyklus des Sinfonieorchesters Basel im Münster, auf das «hervorragende Orchester» und den MDR Rundfunkchor unter der Leitung von Marek Janowski, «den ich sehr schätze». Liebig erinnert in unserem Gespräch auch daran, dass Gustav Mahler 1903 seine 2. Sinfonie, die Auferstehungssinfonie im Basler Münster dirigierte. Mit dem Bruckner-Zyklus eröffnet Liebig zudem das zweite Basler Orgelfestival. Es ist Max Reger gewidmet, der mit seinem Œuvre die Tore zur Moderne aufstiess. Christian Fluri: Als Münsterorganist leiten Sie die neue Saison des Sinfonieorchesters Basel ein. Sehen Sie das als Ehre oder als Pflicht? Andreas Liebig: Es ist die Kür, eine grosse Ehre und gibt mir die Möglichkeit, unsere Orgel, als Königin der Instrumente, einem breiteren Publikum vorzustellen. Weshalb wählen Sie dafür gerade Max Regers Phantasie und Fuge über B-A-C-H? Es ist eines seiner bekanntesten Werke, ein Chef d’Œuvre, ein Wurf! Wie Reger die «heiligen Lettern» B-A-C-H harmonisiert, ist genial! Dabei entwickelt diese Musik einen unheimlichen Sog. Regers Musik vermag zu bezaubern und zu erschüttern. Gleichzeitig kommen dabei die sinfonischen Qualitäten unserer Mathis-Orgel vorzüglich zur Gel- tung: die Orgel als sinfonisches Pendant zum Sinfonieorchester. Dieses Konzert ist in mehrerer Hinsicht einmalig: Es ist die Eröffnung des Bruckner-Zyklus des Sinfonieorchesters Basel, die Eröffnung des 2. Basler Orgelfestivals und zugleich Eröffnung der neuen Saison unserer Internationalen Orgelkonzerte im Basler Münster. Ich finde es wunderbar, wenn wir aus der Not des geschlossenen Stadtcasinos eine Tugend machen und hier im Münster als der ‹guten Stube Basels› die Kulturkräfte bündeln. Wo liegen die stilistischen Präferenzen der Münsterorgel in dem von Ihnen erwähnten Bereich? Unsere Orgel ist mit ihren 78 Registern, 4 Manualen und Pedal, 2 Schwellwerken, mit französischen Zungen und vielen Grundstimmen die grösste und vielseitigste der Region. Sie besitzt eine enorme Palette an Klangfarben in allen Schattierungen. Neben Bach klingt hier besonders die französische und deutsche Romantik sehr gut, auch die Moderne. Das Spektrum reicht vom zartesten Pianissimo in einer gewaltigen dynamischen Steigerung bis zum vollen Klang der Orgel. Da hebt sich das Gewölbe des Münsters! Das Sinfonieorchester Basel spielt seinen Bruckner-Zyklus im Münster. In den zwei Jahren, in denen Sie nun als Münsterorganist amten, lernten Sie die Akustik sehr gut kennen. Eignet sich das Münster als Konzertsaal? Zunächst bleibt das Münster Kirche. Dann würde ich eher von einem Klangraum sprechen, der etwas ganz Besonderes ausstrahlt. Wenn man den Klangraum Münster klug zu nutzen weiss, kann er sehr viel zurückgeben. Mit Publikum werden die Klänge noch transparenter. Alles wird hörbar. Der gläubige Bruckner baute mit seinen Messen und Sinfonien «Klangdome», Messiaens L’Ascension ist das Werk des vielleicht frömmsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, und Reger, der ökumenische Komponist par excellence, bekannte sich als «Katholik bis tief in die Fingerspitzen». Wenn die Musik dieser drei Komponisten das schlichterhabene Kirchenschiff des reformierten Münsters erfüllt, dann lässt ihre Sinnlichkeit unser Publikum in einem Klangmeer baden: In Verbindung mit dem Farbenspiel der Kirchenfester ein einmaliges Erlebnis. Darauf freue ich mich! g 15 Wo liegen Ihre eigenen stilistischen Präferenzen in der schier unermesslichen Literatur für Orgel? Eigentlich bin ich Generalist. Dabei suche ich möglichst das Repertoire den Instrumenten entsprechend aus. Für historische Orgeln etwa – sei es in Spanien, in Italien oder in Frankreich – wähle ich die Musik, die auf diesen Instrumenten am besten klingt. Das hilft, die Botschaft der Musik zu vermitteln. Dann kommt an Johann Sebastian Bach sowieso kein Organist vorbei. Er ist Dreh- und Angelpunkt meiner Arbeit. In dem wunderbaren Kirchenraum des Münsters Bach zu hören, ist immer erhebend. Wie wichtig ist Ihnen die Neue Orgelmusik, haben Sie in Stuttgart doch unter anderem bei Helmut Lachenmann, einem der bedeutendsten Komponisten unserer Zeit, studiert? Lachenmann hat mich nachhaltig geprägt. Es ist mir wichtig, zeitgenössische Musik nicht nur im Konzert, sondern auch im Gottesdienst zu vermitteln – liebevoll an die Neugier der Menschen zu appellieren: Happy new ears! Auch Regers Musik fordert mit ihrer enormen Dynamik, die von der zartesten seelischen Regung bis zu grossen Ausbrüchen reicht, noch immer das Publikum heraus. Dabei hatte ja gerade Basel eine lange und reiche Reger-Tradition. Daran wollen wir anknüpfen. ZUM WERK Max Reger Phantasie und Fuge über B-A-C-H BACH – bei seinem Namen gerufen ken ein vielfältiges Beziehungsgeflecht zwischen der auf kontrapunktischen Verfahren basierenden Alten Musik und den Ideen der Neudeutschen Schule. In der Vorrede zu seinen 1900 im Druck erschienenen Ausgewählten Orgel-Choralvorspielen für Klavier zu zwei Händen bezeichnete Reger die Sätze als «symphonische Dichtungen en miniature […]. Bach zeigt sich hier von einer Tiefe, Genialität der Textauffassung, die geradezu an R. Wagner’s grandiosen Styl erinnert.» Als Hauptwerke dieser (nach einer wahrhaft desaströsen Zeit in Wiesbaden) im Elternhaus verbrachten Jahre, die letztlich der physischen und psychischen Konsolidierung dienten wie auch zur kompositorischen Neuorientierung genutzt wurden, gelten die Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46 (1900) und die Symphonische Phantasie und Fuge op. 57 (1901). Wurde Letztere «angeregt durch Dantes Inferno!», reihte sich Reger mit der Phantasie und Fuge über B-A-C-H in eine Tradition von Kompositionen über dieses Motiv ein (einem so genannten ‹soggetto cavato›), die von Johann Nikolaus Bach (1667–1753) begründet, von Johann Sebastian Bach selbst (etwa in der Kunst der Fuge) fortgesetzt und im 19. Jahrhundert durch Werke höchsten kompositorischen und spieltechnischen Anspruchs weiter gepflegt wurde – etwa bei Robert Schumann in den Sechs Fugen über den Namen BACH op. 60 für Orgel oder Pedalflügel (1845) oder bei Franz Liszt in Präludium und Fuge über den Namen BACH für Orgel (1855, rev. 1870). Offenbar dachte Reger be «Sebastian Bach ist für mich Anfang und Ende aller Musik, auf ihm ruht und fusst jeder wahre Fortschritt!» Mit diesen programmatischen Worten eröffnete Max Reger seine Antwort auf die 1905 von der Redaktion der Zeitschrift Die Musik ergangene Rundfrage «Was ist mir Johann Sebastian Bach und was bedeutet er für unsere Zeit?» Bereits knapp drei Jahre zuvor hatte er sich in diesem Sinne gegenüber dem gleichaltrigen Münchner Kritiker Theodor Kroyer (1873–1945) geäussert, auch hinsichtlich seines eigenen künstlerischen Werdeganges: «Möchte man doch bedenken, dass ich […] mit acht Jahren auf der Orgel die sämtlichen Orgelwerke Bachs, Mendelssohns spielte – nicht schlecht! –, dass ich, ohne eigentlichen Musikunterricht zu haben, bei meinem Eintritt ins Conservatorium […] sofort in jeder Beziehung der beste Schüler war – alles, alles verdanke ich Joh. Seb. Bach! Und ehe wir nicht Bach als Hausund Concertandacht in gründlicher Weise pflegen – eher wird keine Besserung in Bezug auf die zeitgenössische Produktion eintreten […]. Zuerst muss J. S. Bach als Fundament da sein! Die höchste Freiheit bekommen wir erst aus der Wiedergeburt von Bach!» Bereitete Reger im Bereich der Kammermusik durch seine neuartige kompositorische Bach-Rezeption (etwa in den Solo-Sonaten) schon frühzeitig die sich erst nach dem Ersten Weltkrieg allmählich bahnbrechenden neobarocken Tendenzen vor, so knüpfte er mit den zwischen 1898 und 1900 in Weiden/Oberpfalz entstandenen Orgelwer 16 von Michael Kube Bild: Wikimedia Commons 17 Max Reger während Aufnahmen auf der Philharmonischen Orgel von M. Welte & Söhne um 1913 18 Bil d: Wi ki m edia Common s reits bei der Konzeption seiner Partitur diese markante Linie mit. So gab er in einem seiner Briefe der Hoffnung Ausdruck, «in Bälde […] mal für Orgel eine Fantasie und Fuge über B-A-C-H zu schreiben; das muss ein Werk grössten Styls und Kalibers werden!» Und tatsächlich schuf Reger eine Komposition, die für den Organisten wie auch für den Hörer mit einigem Anspruch verbunden ist – von den geradezu eruptiven Harmonien und dynamischen Wechseln der Fantasie bis hin zur fünfstimmigen Fuge, die im Tempo nach und nach beschleunigt werden soll. g Phantasie und Fuge über B-A-C-H 2. Basler Orgelfestival 2016 zum 100. Todestag von Max Reger Besetzung Orgel solo Nach dem beeindruckenden Erfolg des Orgelfestivals ‹Bach am Rhy› 2014 feiern die Konzertveranstaltenden OrganistInnen Basels (KVOB) dieses Jahr in 16 Konzerten Max Reger (1873 - 1916). Sie knüpfen damit an die grosse Basler Reger-Tradition an, konzertierte Reger doch wiederholt in Basel. Seine Choralfantasie Ein feste Burg ist unser Gott wie auch die sog. Inferno-Phantasie op. 57 wurden beim deutsch-schweizerischen Tonkünstlerfest 1903 im Basler Münster von Karl Straube aufgeführt. Basler Musikgrössen wie Hans Huber, Hermann Suter, Adolf Hamm und Eduard Müller gehörten zu den Wegbereitern Max Regers. Das Orgelfestival findet vom 31. August bis 14. September statt. Entstehung Februar - März 1900 Widmung Karl Straube Uraufführung Sommer 1900 im Dom zu Wesel durch Karl Straube Dauer ca. 12 min Weitere Informationen: infokvob.wix.com/basler-orgelfestival Bild: Peter Adamik ZUM CHOR 19 Wenn grosse Orchester im In- und Ausland ein Werk mit Chorbeteiligung planen, steht der MDR Rundfunkchor auf der Wunschliste ganz oben. Der grösste und traditionsreichste Chor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gilt unter Experten als einer der besten. Dirigenten wie Herbert von Karajan, Kurt Masur, Colin Davis, Claudio Abbado, Simon Rattle, Neville Marriner, Seiji Ozawa, Lorin Maazel, Bernard Haitink, Riccardo Muti, Georges Prêtre oder Roger Norrington haben dem MDR Rundfunkchor ihre Reverenz erwiesen. Regelmässig konzertieren die Sängerinnen und Sänger mit dem MDR Sinfonieorchester unter Leitung seines Chefdirigenten Kristjan Järvi. Dass das Ensemble nicht nur exzellenter Partner der bedeutendsten Orchester ist, beweist es mit viel beachteten A-cappella-Interpretationen. Weltliche und geistliche Musik, Ensemblegesang sowie Chorsinfonik gehören gleichermassen zum Repertoire, das beinahe ein Jahrtausend Musikgeschichte umspannt. Als Spezialensemble für Zeitgenössische Musik haben sich die 73 Choristen durch zahlreiche Ur- und Erstaufführungen einen Namen gemacht. Mit Beginn der Spielzeit 2015/16 übernahm der estnische Dirigent Risto Joost die künstlerische Leitung des MDR Rundfunkchors. Durch innovative A-cappella-Programme und die Aufführung chorsinfonischer Werke prägt er auf besondere Weise das musikalische Profil des Chors. Unter seinen Vorgängern finden sich Namen wie Herbert Kegel, Jörg-Peter Weigle und Gert Frischmuth. In den fünfzehn Jahren seines Wirkens befestigte von 1998 an Howard Arman nachhaltig den Ruf des anerkannten Spitzenensembles. Ihm folgte 2013 Philipp Ahmann, der bis 2016 als Erster Gastdirigent tätig war und weiterhin regelmässig mit dem Chor arbeitet. Nahezu zweihundert Schallplatten und CDs – viele davon preisgekrönt – hat das Ensemble in seiner über 70-jährigen Geschichte aufgenommen. Über die Europäische Rundfunkunion wie auch auf Tourneen und Gastspielen weltweit zu hören, fungiert der 2013 mit dem Europäischen Kulturpreis ausgezeichnete MDR Rundfunkchor erfolgreich als musikalischer Botschafter Mitteldeutschlands. g Der MDR Rundfunkchor ZUM WERK Olivier Messiaen L’Ascension Christi Himmelfahrt - in vier sinfonischen Meditationen 1908 als Sohn eines bedeutenden flämischen Shakespeare-Übersetzers geboren, erhielt Olivier Messiaen bereits von seinem elften Lebensjahr an am Pariser Konservatorium eine ebenso gründliche wie umfassende musikalische Ausbildung, die er 1930 abschloss. Seine herausragende Begabung spiegelt sich dabei in den zahlreichen Preisen wider, die er von 1924 an alljährlich in den Fächern Harmonielehre, Kontrapunkt und Fuge, Klavierbegleitung, Orgel und Improvisation sowie Musikgeschichte und Komposition erhielt. Bald als Komponist und Lehrer etabliert, gelang es ihm bis weit in die Nachkriegszeit hinein, der jüngeren Generation gegenüber nicht bloss als der ältere Mentor zu erscheinen, sondern gleichermassen als ein Junggebliebener respektiert zu werden – und dies selbst im Zeichen einer alle Traditionen infrage stellenden Avantgarde. So erinnert sich etwa Karlheinz Stockhausen an seine eigene Lehrzeit in Paris Anfang der 1950erJahre: «Messiaen ist ein glühender Schmelztiegel. Er nimmt klingende Formen in sich auf und spiegelt sie in der Form seines musikalischen Verstandes.» Zwischen Kirche und Konzertsaal Diese Sichtweise reflektiert allerdings bereits die zweite Phase in Messiaens schöpferischer Biografie, die nach der in allen lichten Farben schillernden grossformatigen, zehn Sätze umfassenden Turangalîla-Sinfonie (1946–1948) von strenger Ordnung und Konstruktivität des musikalischen Materials geprägt ist; sie beginnt mit den Quatre études de rythme (1950) für Klavier, schliesst aber auch jene Werke ein, deren Melodien und Motive der bunten Vogelwelt abgelauscht wurden (allen voran der Catalogue d’oiseaux, 1956 - 1958). Gerne wird dabei vergessen, dass der Komponist Messiaen seit September 1931 als damals jüngster ‹organist titulaire› den Dienst an der Kirche de la Sainte Trinité versah – ein Amt, das er über sechzig Jahre hinweg bis zu seinem Tod pflichtbewusst und als Herzensangelegenheit ausübte. Hier bot sich dem gläubigen Katholiken zudem die Möglichkeit, an die bedeutende französische Schule der Orgelimprovisation anzuknüpfen, eigene Kompositionen wie auch Repertoirestücke zum Klingen zu bringen: «Meine Dienste verteilten sich […] folgendermassen: Beim sonntäglichen Hochamt machte ich nur den gregorianischen Choral, je nachdem harmonisiert oder nicht; bei der Messe um 11 Uhr am Sonntag: klassische und romantische Musik, bei der Mittagsmesse, immer am Sonntag, hatte ich das Recht, meine eigenen Werke zu spielen, und schliesslich zur Vesper um 5 Uhr war ich genötigt zu improvisieren, weil die Kürze der Verse das Spielen von [ganzen] Stücken zwischen den Psalmen und während des Magnificats nicht erlaubt.» Doch nicht nur die Werke für Orgel versah Messiaen mit liturgischen, zumindest aber religiösen Titeln, sondern auch zahlreiche Werke, die ihrer Besetzung nach für den Konzertsaal 20 von Michael Kube Bild: Österreichische Nationalbibliothek 21 bestimmt waren. Er stellte sich damit gegen die seit dem frühen 19. Jahrhundert allgegenwärtige Säkularisierung (nämlich die Aufführung ausgewiesen weltlicher Musik in einem kirchlichen Raum), indem nun aus der Überzeugung des Glaubens heraus geschaffene, dezidiert mystischen Themen gewidmete Werke des Komponisten in den Konzertsaal drangen. Genau daran entspann sich 1945 anhand der Trois petites Liturgies de la présence divine (1943) eine in der Pariser Presse ausgetragene Kontroverse – obwohl Messiaen schon zuvor in seiner Technique de mon langage musical (1940) darauf hingewiesen hatte, dass jenseits der sakralen Musik «noch Raum ist, weil selbst die Gregorianik nicht alles gesagt hat». Auf dem Weg Die wenigen Jahre zwischen dem Abgang vom Pariser Conservatoire und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs stellen für Messiaen eine wichtige Zeit in der Entwicklung dar. Dazu gehört nicht nur sein Engagement innerhalb der 1935 um den Komponisten Georges Migot aktiven Gruppe La Spirale, die sich für ihre Konzerte zum Programm gemacht hatte, ohne Bevorzugung eines besonderen Stils (freilich unter Ablehnung des Neoklassizismus) «weniger Uraufführungen zu präsentieren, als vielmehr bedeutende Werke wiederholt aufzuführen». Zugleich gelang es Messiaen, sich mit gewichtigen eigenen Werken im vielfältigen Musikleben der französischen Metropole Gehör, Anerkennung und Kontakte zu den grossen Verlagshäusern zu verschaffen, beginnend mit Les offrandes oubliées (1930) bis hin zum Zyklus La nativité du Seigneur (1935) für Orgel, zu dem Messiaen eine kleine Ästhetik seiner musikalischen Sprache entwarf und am Ende den entscheidenden Grundsatz seines Schaffens umriss: «[Ein] Theologisches Thema? Das Beste, denn es enthält alle Themen. Und diese Fülle an technischen Mitteln gibt dem Herzen die Freiheit überzufliessen». Eine in ihrer Art einzigartige Verbindung zwischen Kirche und Konzertsaal stellt die Partitur von L’Ascension dar. Zunächst als Orchesterwerk entworfen und mit grossem Erfolg uraufgeführt, fertigte Messiaen bald darauf eine Transkription für Orgel an – und ersetzte dabei den noch in der grossen romantischen Tradition stehenden, vergleichsweise konventionell anmutenden, sinfonisch geprägten 3. Satz durch einen neuen, der ebenso virtuos im Klanggewand einer Orgel aufgeht. Dennoch zählte er das Werk eigenartigerweise nicht zu jenen Kompositionen, die ihm ein Jahrzehnt nach der Entstehung und nach Vorgaben seiner eigenen Technique de mon langage musical beurteilt für seine Tonsprache sonderlich charakteristisch erschienen. Die im Untertitel als vier sinfonische Meditationen bezeichneten Sätze kreisen programmatisch um die Himmelfahrt Christi, wie sie zu Beginn der Apostelgeschichte beschrieben wird: «Und da er [Jesus] solches gesagt, ward er aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weissen Klei 22 L’Ascension dern, welche auch sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr und sehet gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird so kommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.» Messiaen beschreibt in seiner Vertonung dieses kaum zu fassende Geschehen nicht bildhaft, sondern in begreifbaren Stationen mit jeweils charakteristischem Kolorit. So wird Jesu Bitten um die eigene Verherrlichung (1. Satz) in ein jede Phrase abwägendes, allein von den Bläsern getragenes erhabenes Klanggerüst gegossen. Noch ganz impressionistischen Klangfarben ist das als Refrain mit zwei Couplets gestaltete Halleluja der Seele (2. Satz) verhaftet, während das Halleluja auf Trompete und Zimbel (3. Satz), zwei Instrumente mit alttestamentarischem Hintergrund, ein veritables Scherzo mit breit angelegtem Kulminationspunkt und anschliessender Stretta darstellt. Das Werk schliesst zyklisch mit einem der Zeit und dem Raum enthobenen Gebet Christi (4. Satz) als sinnlich betonter reiner Streichersatz: Extrêmement lent, ému et solennel (äusserst langsam, gerührt und feierlich). g L’Ascension Besetzung 3 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Basstuba, Schlagwerk, Pauken, Streicher Entstehung Mai bis Juli 1932 in Paris und Neussargues Uraufführung 9. Februar 1935 in Paris (Dirigent: Robert Siohan) Dauer ca. 30 Minuten Das Akzent Forum ist ein Marke von Pro Senectute beider Basel. 23 Fit, glücklich und gesund Wählen Sie zwischen 500 Kursen in Bildung und Sport. www.akzent-forum.ch I 061 206 44 66 Sonate in CLA-Dur. 24 Der CLA Shooting Brake – Mit Vorteil von Kestenholz. Kestenholz Auto AG Basel, Oberwil, Pratteln www.kestenholzgruppe.com 25 König Lü. Q.’s Orchestermusik im Münster KRITIKERGESCHICHTEN 26 Teil 1 von Sigfried Schibli Selten war ein Komponist so umstritten und umkämpft wie Anton Bruckner im Österreich seiner Zeit. Obwohl er fanatische Anhänger hatte und dankbar war für jedes Zeichen der Anerkennung, fühlte er sich von der Wiener Musikkritik regelrecht verfolgt. In einem berühmt gewordenen Schattenbild von Otto Böhler laufen die Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick, Max Kalbeck und Richard Heuberger mit ihren spitzen Federn, die sie wie Waffen tragen, dem frohgemut voranschreitenden Bruckner nach. Dazu der Text: «Der Künstler wallt im Sonnenschein, die Tintenbuben hinterdrein.» Vor allem der einflussreiche Starkritiker Eduard Hanslick (1825–1904), Autor der musikästhetischen Schrift Vom Musikalisch-Schönen, setzte sich immer wieder kritisch mit Bruckners Musik auseinander. Und fand selten ein gutes Wort dafür. Über Bruckners 3. Sinfonie schrieb der promovierte Jurist und Professor für Musikgeschichte: «Man kommt bei dieser Musik aus dem Kopfschütteln nicht heraus, greift sich wohl auch zuweilig an den Puls, um sich Komponisten und ihre Verfolger Bild: zVg Max Reger gehörte weder zu den bedingungslosen Wagnerianern noch zu den Konservativen, er äusserte bald Bewunderung für die eine, bald Verständnis für die andere Richtung. Aber dass er von Musikkritikern keine hohe Meinung hatte, ist eindeutig und in vielen glaubwürdigen Anekdoten belegt. Als einmal ein notorischer Kritiker von Regers Musik eine Bruckner-Sinfonie als «zu lang» bezeichnete, packte ihn Reger, schüttelte den eher klein gewachsenen Mann ein wenig und sagte zu ihm: «Der Bruckner, der is net z’lang – aber Sie san’s zu kurz!» Und dem Verfasser einer abfälligen Rezension teilte er einmal brieflich mit: «Ich sitze auf dem kleinsten Orte meines Hauses und habe Ihre Kritik vor mir. Bald werde ich sie hinter mir haben. Hochachtungsvoll! Ihr Max Reger» g 27 zu überzeugen, ob das Gehörte nicht etwa Product selbsteigenen Fiebers sei.» Über Bruckners 8. Sinfonie hiess es in einer anderen Zeitungskritik von Hanslick: «Alles fliesst unübersichtlich, ordnungslos, gewaltsam in eine grausame Länge zusammen.» Und die 7. Sinfonie desselben Meisters nannte er «krankhaft, unnatürlich aufgeblasen, verderblich», er verglich sie mit dem «wüsten Traum eines durch zwanzig Tristan-Proben überreizten Orchestermusikers». Zwar verhehlte Hanslick nicht, dass ihn Bruckners Musik «nachhaltiger interessiert als manche wohlgesetzte und gutgesinnte Symphonie eines dürren Schulfuchses», und er betonte gern, dass er Bruckner als Person durchaus sympathisch fand. Als Musiker aber konnte er in ihm nur einen verirrten Jünger Richard Wagners sehen. Auch dieser war von Hanslick häufig kritisiert worden, wofür sich Wagner mit seinen eigenen Mitteln rächte: Die Figur des Stadtschreibers und Kritikers Sixtus Beckmesser in Wagners komischer Oper Die Meistersinger von Nürnberg sollte ursprünglich ‹Veit Hanslich› heissen. Ob Eduard Hanslick davon wusste? Jedenfalls entging ihm nicht, dass Wagner mit dem Beckmesser einen «boshaften alten Geck» gezeichnet habe. Man kann Eduard Hanslicks schonungslose Angriffe auf Wagner und Bruckner nur verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die damalige Musikkultur in zwei Lager gespalten war, die sich unversöhnlich gegenüberstanden: die klassizistische, eher konservative Schule um Johannes Brahms und Antonín Dvořák (mit denen Hanslick sympathisierte) und die ‹neudeutsche› Schule um Franz Liszt, Hector Berlioz, Richard Wagner, Anton Bruckner, Hugo Wolf und Richard Strauss, die man auch als «Zukunftsmusiker» bezeichnete. Musiker brauchen sie, das Publikum liest sie und wundert sich manchmal: Musikkritiken gehören zu unserer Musikkultur. Sie sind ein Rädchen im Getriebe des Musiklebens, manchmal anregend für die eigene Meinungsbildung, manchmal ärgerlich. Nachdem er 45 Jahre lang Musikkritiken geschrieben hat, ist der langjährige Kulturredaktor der Basler Zeitung Dr. Sigfried Schibli im April in den Ruhestand getreten, nicht ohne sich gelegentlich über ausgewählte Themen doch noch kritisch vernehmen zu lassen. In der neuen Konzertsaison blättert er für uns in der Geschichte der Musikkritik und weist in seiner neuen Artikelfolge auf einige Episoden hin, die mehr oder weniger eng an das jeweilige Konzertprogramm angelehnt sind. VORGESTELLT Immanuel Richter Solo-Trompeter im Sinfonieorchester Basel Bild: Jean-François Taillard «Ich bin bekannt dafür, dass ich auf verschiedenen Bühnen tanze» 28 von Cristina Steinle Cristina Steinle: In den kommenden drei Spielzeiten wird das Sinfonieorchester Basel in ganz Basel unterwegs sein. Während unsere Heimspielstätte, das Stadtcasino, umgebaut wird, werden die Sinfoniekonzerte im Theater Basel, im Musical Theater Basel und im Basler Münster stattfinden. Was bedeutet es für dich, dass unsere Konzerte nun an drei neuen und an unterschiedlichen Orten stattfinden? Immanuel Richter: Für mich selbst ist es etwas extrem Spannendes – die Akustik der Räume ist sehr unterschiedlich: Das Münster hat viel Hall – es werden ja sogar Massnahmen getroffen, um diesen etwas zu dämpfen. Das Theater ist im Vergleich dazu sehr trocken, und das Musical Theater hat ein gigantisches Volumen! Die Voraussetzungen sind also sehr unterschiedlich. Für mich als Blechbläser ist es eine grosse Herausforderung, in den einzelnen Räumen die richtige Balance herzustellen. In einer Kirche geht die Trompete wahnsinnig ab! Das heisst, wenn ich da gleich laut spielen würde wie im Musical Theater, würde ich über das ganze Orchester hinwegblasen. In einer Kirche muss man viel stärker artikulieren und kürzer spielen. Man muss auf die Akustik eingehen und sehr flexibel sein – aber das konnten wir ja bereits auf unseren Tourneen üben. Du schaust also mit positiven Gefühlen auf die kommenden drei Jahre? Ja sehr. Ich finde es auch sehr klug «In einer Kirche geht die Trompete wahnsinnig ab!» ausgewählt, wo wir was spielen – man kann ja nicht alles an jedem Ort spielen. Bruckner war ein Organist, und das kommt auch in seinen Sinfonien sehr zum Tragen: Er setzt das Orchester wie eine Orgel ein. Ich finde, das hat eine sehr gute Wirkung in einer Kirche. Andererseits könnte ich mir nicht vorstellen, ein Programm mit Igudesman & Joo in einer Kirche zu machen. Ich freue mich also auf die kommende Zeit, aber ich freue mich natürlich auch wieder sehr darauf, im Casino zu spielen, denn der Musiksaal ist wirklich grandios. Spielst du zum ersten Mal ein Sinfoniekonzert im Münster? Wir haben einmal an einer Beerdigung unter der Leitung von Mario Venzago Auszüge aus Bilder einer Ausstellung gespielt. Dort habe ich das erste Mal mit dem SOB im Münster gespielt und Erfahrungen sammeln können. Wie lange bist du schon beim Sinfonieorchester Basel? Ich bin jetzt seit sieben Jahren dabei. Was waren deine schönsten Erlebnisse im oder mit dem Orchester? Kurzfristig rückblickend war mein Highlight, als ich bei einem Coop-/ Volkssinfoniekonzert das Trompetenkonzert E-Dur von Hummel als Solist spielen durfte. Es ist schon sehr schön, wenn man als Solist mit den eigenen Kolleginnen und Kollegen spielen darf. Ich denke aber auch sehr gerne an verschiedene Opernproduktionen zurück – wie zum Beispiel Macbeth: Da funktionierte es so gut mit dem Dirigenten, dem Orchester, und es hatte tolle Solisten auf der Bühne. Auch wenn die Produktion durch die Häufigkeit des Spielens eine gewisse ‹Abnutzung› erlebt, ging ich jedes Mal gerne hin. Erzähle uns doch eine Geschichte, die du mit dem Orchester erlebt hast und die dir ganz besonders in Erinnerung geblieben ist! Ein ganz aussergewöhnliches Erlebnis, wie ich es sonst noch nie erlebt hatte, war die Tournee nach Russland mit einem Konzert in St. Petersburg und einem in Moskau. Bei der Hinreise kamen alle blöden Zufalle zusammen, sodass wir viel zu spät in Moskau angekommen sind – das Konzert hat zwei Stunden zu spät angefangen, doch der Saal war immer noch voll, die Leute haben gewartet. Juri Baschmet – er spielte die Solo-Bratsche an diesem Abend – unterhielt die Leute, erzählte ihnen vom Werk, spielte Solo-Stücke und hielt so das Publikum bei der Stange. Wir mussten dann direkt aus dem Reisecar auf die Bühne, zum Teil ohne Frack, ohne Vorprobe, ohne Einspielen! Das führte aber dazu, dass die Stimmung im Orchester ganz besonders war; diese Spannung, die sich sonst so anstaut vor dem Konzert, konnte gar nicht aufkommen, und man war einfach nur froh, dass man es noch auf die Bühne geschafft hat. Das Formelle fiel weg, und man spielte einfach nur noch aus Freude und Lust. Was beschäftigt dich neben dem Orchesterbetrieb noch? Im Orchester bin ich sicher bekannt dafür, dass ich auf verschiedenen Bühnen tanze. Ich habe neben meiner Stelle hier im Orchester noch eine Stelle an der Hochschule Luzern, wo ich eine Trompetenklasse ausbilde. Für mich ist es sehr wichtig, beides zu machen. Ich profitiere an beiden Orten von der jeweils anderen Erfahrung. Im Orches- 29 Wie bist du zum Sinfonieorchester Basel gekommen? Ich hatte vorher Interim-Stellen in verschiedenen Orchestern: Ich spielte in Bern, im Opernhaus Zürich, im Sinfonieorchester St. Gallen, und dann hatte ich meinen ersten Langzeitvertrag im Orchestra della Svizzera Italiana in Lugano. Nach etwa drei Jahren habe ich an die Scala in Mailand gewechselt und bin da auch rund drei Jahre geblieben. Danach kam ich nach Basel. Ich habe also eine rechte Orchestertournee gemacht! Im Konzertbereich erinnere ich mich an verschiedene Highlights. Wie zum Beispiel als wir die Zweite von Mahler gespielt haben. Da war eine ganz besondere Stimmung im Saal, die Leute waren richtig ergriffen. 30 ter kann ich überprüfen, ob das auch wirklich stimmt, was ich den Schülern sage. Die Analyse der Schüler wiederum hilft mir, persönlich weiterzukommen. Ich spiele auch in recht vielen solistischen Projekten, und gleichzeitig habe ich eine Familie mit vier Kindern und ein grosses Haus in Knutwil – ein ehemaliges Bauernhaus mit unterdessen vielen Kleintieren. Von meinen Kindern spielen nun drei auch schon ein Instrument. Ich begleite sie dann oft auf dem Klavier, gehe mit ihnen an Vorspiele oder Wettbewerbe. Neuerdings haben meine Frau und ich den Heuboden unseres Hauses renoviert und zu einem Kulturraum umgestaltet. Jetzt organisiere ich da Konzerte, Ausstellungen, et cetera. Was sind deine Wünsche für das Orchester und das Orchesterleben? Ein Wunsch ist sicher, dass das Orchester auch in Zukunft seinen Hauptauftrag erfüllen kann, nämlich die grossen sinfonischen Werke aufzuführen. Das bedingt natürlich auch eine gewisse Grösse des Orchesters. Und aufgrund der Sparpläne wird das leider immer schwieriger. Eine Mahler-Sinfonie kann man nun mal nicht nur mit zehn 1. Geigen spielen. Ausserdem finde ich, dass unser Orchester viel Potenzial hat – wir haben ja auch einzelne Musikerinnen und Musiker im Orchester, die auch international ein grosses Renommee haben. Mein Wunsch ist, dass das Publikum diese Qualität erkennt und wir auch international vermehrt unser Können zeigen dürfen. Ich hoffe, dass unser neuer Chefdirigent Ivor Bolton dies auch noch mehr herausstreichen kann. g Das Interview wurde am 19. Mai 2016 geführt. IMPRESSUM Sinfonieorchester Basel Steinenberg 19 4051 Basel +41 (0)61 205 00 95 [email protected] www.sinfonieorchesterbasel.ch Geschäftsleitung: Franziskus Theurillat Leitung Künstlerische Planung: Dr. Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin: Simone Staehelin und Cristina Steinle Titelbild: Daily Overview, Satellite images © DigitalGlobe, Inc. Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung: eyeloveyou.ch, Basel Druck: Schwabe AG, Basel/Muttenz Auflage: 6500 Exemplare Partner: Bild (Ben Hur): eyeloveyou Bild: © Kim Hoss IM FOKUS mini.musik: In der Küche Unter dem Titel A Tale of Christ komponierte Stewart Copeland 2009 einen berauschenden Live-Soundtrack zum Schwarz-Weiss-Stummfilm Ben Hur von Fred Niblo aus dem Jahr 1925. Nun kann der Film in der grandiosen Kulisse des Römischen Theaters mit der Live-Musik von und mit Stewart Copeland, dem ehemaligen Drummer von Police, wiederentdeckt werden. Eine Koproduktion von Sinfonieorchester Basel, Stadtkino Basel und Theater-Board Augusta Raurica. mini.musik sind musikalische Entdeckungsreisen voller Überraschungen für Kinder ab 4 Jahren. In dieser Saison zieht mini.musik um und packt seine Ideen und Instrumente im Scala Basel an der Freien Strasse aus. Dieses Mal klappert’s und blubbert’s rund um die Kochtöpfe in der mini. musik-Küche. Sechs Musiker kochen ein Fünfsternemenü, das auch Kindern mundet. Bei mini.musik verderben auch viele Köche den Brei nicht, denn die Rahm- und Schaumschläger schmecken alles ab. Mit süsser und scharfer Musik, gespielt auf Klarinette, Fagott, Trompete, Violine, Violoncello und Klavier. Do, 25. Aug. 2016 Fr, 26. Aug. 2016 20.30 Uhr RÖMISCHES THEATER AUGUSTA RAURICA Concert & Cinema: Ben Hur/1925 Musik, die schmeckt, bei der mini.musik! Sa, 10. Sept. 2016 14.30 Uhr SCALA BASEL 31 Berauschender Live-Sound zum Römerfilm DEMNÄCHST Erstes Picknick-Konzert: Saitensprünge MUSEUM DER Werke von Antonio Vivaldi, Edward Elgar, KULTUREN BASEL, Wolfgang Amadé Mozart, Gustav Holst, INNENHOF Pjotr Iljitsch Tschaikowski und Benjamin Britten EINTRITT FREI Streicher des SOB / Benedikt Schobel / Soyoung Yoon MI 24.08.16 18.30 -20.00 Mix & Mingle Symphony Club – English speaking social event HOTEL EULER, BASEL DO 25.08.16 FR 26.08.16 20.30 Concert & Cinema: Ben Hur/1925 Live-Musik zu Fred Niblos Ben Hur SOB/ Stewart Copeland / Robert Emery RÖMISCHES THEATER AUGUSTA RAURICA MI 31.08.16 DO 01.09.16 19.30 / B1 Sinfoniekonzert SOB: Bruckner+ Messiaen und Reger Max Reger: Phantasie und Fuge über B-A-C-H, op. 46 Olivier Messiaen: L’Ascension Anton Bruckner: Messe e-Moll, WAB 27 SOB / MDR Rundfunkchor / Andreas Liebig / Marek Janowski BASLER MÜNSTER SA 10.09.16 12.30 Tag des Denkmals Werke von Ferruccio Busoni und Hans Huber SOB / Iryna Krasnovska / Daniel Schneller / Erik Nielsen LEONHARDS-KIRCHE BASEL SA 10.09.16 14.30 mini.musik: In der Küche Mitglieder des SOB, Irena Müller-Brozovic, Norbert Steinwarz SCALA BASEL SA 17.09.16 19.30 Premiere: Die tote Stadt THEATER BASEL Oper in drei Bildern, Libretto von Paul Schott, frei VVK: THEATERKASSE nach Georges Rodenbachs Roman Bruges-la-Morte, Musik von Erich Wolfgang Korngold SOB / Erik Nielsen / Simon Stone / Henryk Polus u.a. DI 20.09.16 19.00 ‹En route› im Literaturhaus Basel Wolfgang Amadé Mozart: Klarinettenquintett Mitglieder des SOB / Peter von Matt LITERATURHAUS BASEL MI 21.09.16 18.30- 20.00 Mix & Mingle Symphony Club – English speaking social event HOTEL EULER, BASEL SO 25.09.16 17.00 Welcome Ivor! Ludwig van Beethoven: 7. Sinfonie Wolfgang Amadé Mozart: Arien aus den Opern Le nozze di Figaro und Don Giovanni Edward Elgar: In the South (Alassio) SOB / Erwin Schrott / Ivor Bolton EVENT HALLE, MESSE BASEL 32 SO 21.08.16 11.00 A1 EVERYBODY’S WELCOME EVERYBODY’S WELCOME Vorverkauf (falls nicht anders angegeben): Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus in Basel, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf: www.sinfonieorchesterbasel.ch B S T r h a 0J g.com sber seeli . www 10 n h a B – üsi Bahn g r e elisb ib-Se Tre 2016 Seit 100 Jahren verbindet die Standseilbahn den Vierwaldstättersee mit dem Ausflugsort Seelisberg. 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