Georg-August-Universität Göttingen Institut für Wirtschaftsinformatik Professor Dr. Matthias Schumann Platz der Göttinger Sieben 5 37073 Göttingen Telefon: + 49 551 39 - 44 33 + 49 551 39 - 44 42 Telefax: + 49 551 39 - 97 35 www.wi2.wiso.uni-goettingen.de Arbeitsbericht Nr. 7/2003 Hrsg.: Matthias Schumann Christian Kaspar / Svenja Hagenhoff Differenzierungsstrategien für digitale Medienprodukte Inhaltsverzeichnis II Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis .........................................................................................................................III Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................................... IV 1 Einleitung ...........................................................................................................................................5 2 Grundlagen der Differenzierung ......................................................................................................5 2.1 Produktdifferenzierung.................................................................................................................6 2.2 Preisdifferenzierung.....................................................................................................................9 3 Differenzierung digitaler Informationsgüter .................................................................................11 3.1 Personalisierung und gruppenspezifische Angebote ................................................................11 3.2 Versionierung und Bündelung ...................................................................................................12 4 Differenzierung von Medienprodukten .........................................................................................15 4.1 Personalisierung als individuelles Kundenmarketing ................................................................15 4.2 Personalisierung als kundenindividuelle Massenfertigung........................................................17 5 Fazit ..................................................................................................................................................19 Literaturverzeichnis .............................................................................................................................21 Abbildungsverzeichnis III Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Differenzierung durch Qualität............................................................................................ 7 Abbildung 2: Planungsproblem der Produktvarietät................................................................................ 9 Abbildung 3: Preisdifferenzierung ......................................................................................................... 10 Abbildung 4: Bündelung ........................................................................................................................ 13 Abbildung 5: Erfolgsbedingungen der Bündelung................................................................................. 14 Abbildung 6: Datenmatrix der Ratingpräferenzen ................................................................................. 17 Abbildung 7: Produktindividualisierung ................................................................................................. 19 Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis I&K Information und Kommunikation IV 1 Einleitung 1 5 Einleitung Durch die Möglichkeiten der digitalen Erzeugung und Distribution von Medienprodukten werden digitale Kommunikationsnetze wie das Internet oder der digitale Mobilfunk zu Trägermedien publizistischer Massenkommunikation.1 Aus Sicht eines Medienunternehmens mit traditionellem Kerngeschäft in der Inhaltsproduktion stellt die strategische Diversifikation in Geschäftsfelder digitaler Inhaltsremission neue Wettbewerbsherausforderungen. Die Minderung typischer Zutrittsbarrieren zu traditionellen Medienmärkten wie hohe Kosten der Medienproduktion und des Vertriebs durch die Digitalisierung schafft eine hohe Zahl an Inhaltsanbietern auf digitalen Inhaltsmärkten mit der Folge einer hohen Wettbewerbsrivalität zwischen den Anbietern um das finanzielle und das zeitliche Budget potenzieller Rezipienten. Das inhaltliche Überangebot sowie die traditionelle Gratismentalität des Informationsangebots im Internet erlauben wenn überhaupt nur geringe direkte Erlöse im Inhaltsvertrieb.2 Dennoch übernehmen digitale Geschäftsbereiche – angesichts bereits spürbarer Veränderungen der Rezeptionsgewohnheiten der Mediennutzer in Richtung audio-visuell aufbereiteter Inhalte sowie zunehmender Kannibalisierungseffekte zwischen Onlinemedien und traditionellen Mediensegmenten – eine strategische Schlüsselbedeutung für das langfristige Überleben der Medienbranche.3 Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass Rezipienten auch in Onlinemedien grundsätzlich bereit sind, für das Informationsangebot zu bezahlen, jedoch nur dann, wenn damit für sie hinsichtlich ihres Informationsstands bzw. der Bequemlichkeit der Informationsselektion und -rezeption gegenüber alternativen Medienprodukten sowohl in traditionellen als auch in digitalen Vertriebsmärkten ein Zusatznutzen verbunden ist.4 Der Erfolg einer erlöswirksamen Inhaltsvermarktung ist aus Sicht von Medienunternehmen demnach eine strategische Differenzierungsproblematik im Rahmen ihres digitalen Angebots. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die Prinzipien der Angebotsdifferenzierung analysiert und für den Fall digitaler Medienprodukte angewendet werden. 2 Grundlagen der Differenzierung Der Themenkomplex der Differenzierung in der Theorie des strategischen Managements rekurriert auf ein breites Feld theoretischer Vorüberlegungen, vorwiegend aus den Bereichen der Mikroökonomie und des Marketing. Das Differenzierungsproblem lässt sich allgemein beschreiben als das "Bemühen einer Unternehmung (…) sich in der Wahrnehmung der Abnehmer von der Konkurrenz entscheidend 1 Vgl. Sennewald (1998), S. 1 2 Vgl. Mings/White (2000), S.64 f. 3 Vgl. u.a. Media Perspektive (2002), S. 64 4 Vgl. u.a. Hass (2002), S. 137, ECIN (2002) und ECIN (2003) 2 Grundlagen der Differenzierung 6 abzuheben."5 Nach Chamberlin löst die Differenzierung das theoretische Spannungsfeld in der Erklärung von Marktstrukturen zwischen den in ihren Annahmen unrealistischen oder zumindest seltenen Phänomenen vollkommener Konkurrenz und Monopol.6 Zentrale Annahmen mikroökonomischer Untersuchungen der Differenzierungsproblematik bilden ein Wettbewerbsmarkt mit zumindest oligopolistischen Anbieterstrukturen und Nachfragestrukturen mit heterogenen Präferenzen hinsichtlich optimaler Leistungsvorstellungen.7 Eine Produktdifferenzierung existiert im Falle solcher Marktstrukturen immer dann, wenn die Nachfrage zwischen konkurrierenden Leistungsangeboten dieses Markts eine zumindest unvollkommene Substituierbarkeit, also Kreuzpreiselastizitäten ungleich Null aufweisen.8 Je größer der Grad der Differenzierung und damit je geringer die Kreuzpreiselastizitäten der Güter eines Markts, desto geringer die Wettbewerbsrivalität zwischen den Anbietern auf diesem Markt. Aus dieser strukturellen Marktbeschreibungstheorie leiten sich die zentralen wettbewerbstrategischen Ansätze zur Differenzierung ab. Während unter mikrökonomischer Perspektive die grundsätzliche Bedeutung und Wirkungsstruktur thematisiert wird, analysiert die wettbewerbstrategische Literatur Möglichkeiten zur Formung und Ausnutzung von Substitutionsgrenzen in der Marktnachfrage. Nach Schreyögg verfolgt eine Differenzierungsstrategie das Ziel, "bei bestimmten Produkten und deren Verwendungsmöglichkeiten Unterschiede zu schaffen; sie aus der Zone der Homogenität herauszuführen."9 Eine solche Differenzierung kann dabei auf drei Wegen erzielt werden: erstens, durch eine Heterogenisierung des Leistungsangebots auf der Grundlage einer Differenzierung der Merkmalskonfiguration (= Produktdifferenzierung); zweitens, durch eine Segmentierung des Marktes entsprechend der Zahlungsbereitschaft für ansonsten homogene Güter (= Preisdifferenzierung); drittens, durch die Schaffung heterogener Präferenzen auf der Grundlage einer marketinggestützten Nachfragebeeinflussung. Im Folgenden werden die beiden erstgenannten Möglichkeiten kurz vorgestellt. 2.1 Produktdifferenzierung Gestaltungsziel der Produktdifferenzierung bildet nach Bea/Haas die Produktion und das Angebot eines Produkts, "das sich in Qualität und Service von den Konkurrenzprodukten deutlich abhebt."10 Eine solche Differenzierung kann unter zweifacher strategischer Zielsetzung verfolgt werden: zum einen zur 5 Bohn (1993), S. 2 6 Vgl. Chamberlin (1954), S. 76ff. 7 Vgl. Bain (1968), S. 30 8 Vgl. Bohn, S. 14 9 Schreyögg (1984), S. 26 10 Bea/Haas (1995), S. 166 2 Grundlagen der Differenzierung 7 Schaffung eines differenzierten Kundennutzens, zum anderen zur Verringerung des Preiswettbewerbs und zur Schaffung monopolistischer Preissetzungsspielräume.11 Nach Bohn kann eine merkmalsspezifische Abgrenzung des Leistungsangebot vom Angebot der Konkurrenz in dreierlei Hinsicht geschehen:12 erstens, durch eine qualitativ bessere Entsprechung der Leistungspezifikationen mit den merkmalsspezifischen Präferenzen der Marktnachfrage in einem Produktsegment; zweitens, durch eine grundsätzliche, merkmalsspezifische Andersartigkeit der Leistungskonfiguration im Vergleich zu konkurrierenden Marktleistungen innerhalb eines Marktsegments; drittens, durch die vielfältig segmentierte Bearbeitung eines Gesamtmarkts auf der Grundlage anhand von Nutzerbedürfnissen konfigurierter Varianten eines Grundprodukts. 1. Lancaster unterscheidet in Bezug auf die qualitative Veränderung von Marktleistungen, gemessen am relativen Ressourcenverzehr der Variantenproduktion, zwischen einer horizontalen und einer vertikalen Merkmalsdifferenzierung. Der Ressourcenverzehr der Produktion bestimmt dabei das objektive Nutzenniveau der verschiedenen, im Rahmen dieser Fertigungstechnologie möglichen Varianten innerhalb einer Produktlinie. Eine Differenzierung gegenüber den individuellen Präferenzen auf der Nachfrageseite des Markts kann in zweierlei Form erfolgen: erstens, durch die horizontale Variation spezifischer Merkmale im Rahmen der Produktion objektiv gleichwertiger Produktvarianten; zweitens, durch die Erlangung eines vertikal höheren Ressourcen- und dadurch objektiven Nutzenniveaus durch Veränderung von Produktionstechnologie Ressourceneinsatz. Horizontale Differenzierung Produktmerkmal A Produktmerkmal A Zusammenhang. oder Abbildung 1 verdeutlicht den 13 IK² X Vertikale Differenzierung X‘ IK²’ IK² X Y Y IK¹ PDK ² PDK¹ PDK¹ Produktmerkmal B Produktmerkmal B Abbildung 1: Differenzierung durch Qualität 11 Brandtweiner, S. 80 12 Vgl. Bohn (1993), S. 14 13 Die im Rahmen einer Produktionstechnologie erzeugbaren Produktvarianten werden bestimmt durch eine konvexe Produktdifferenzierungskurve (PDK), die individuellen Präferenzen der Konsumenten bzgl. der dargestellten Merkmale durch konkave Indifferenzkurven (IK). Die Punkte X und Y, bzw. X' und Y' repräsentieren jeweils optimale Konsumentscheidungen individueller Konsumenten. 2 Grundlagen der Differenzierung 8 Kirsch und Ringlstetter greifen das Konzept von Lancaster als "Differenzierung durch Qualität" auf.14 In Anlehnung an Galtung wird unterstellt, dass Leistungen von Kunden in "Merkmalsräumen" von grundsätzlich n-dimensionaler Natur bewertet werden.15 Darin existieren solche Merkmale, die für einzelnen Kunden von kaufentscheidender Natur sind, also Kaufkriterien. Der Kunde trifft seine Kaufentscheidung aus der Vielfalt angebotener Leistungen als Nutzenmaximierer zwischen der von ihm präferierten Idealvorstellung und der empirischen Wirklichkeit des Marktangebots in Bezug auf seine Kaufkriterien. Die Nutzenbewertung erfolgt nach Kirsch und Ringlstetter dabei durch einen zweifachen Hypothesenabgleich zwischen Wirklichkeit und Idealvorstellung: Zum einen werden über Hypothesenketten zwischen den erkennbaren Produktmerkmalen und den Idealkriterien logische Verknüpfungen erzeugt und der Funktionalnutzen bewertet. Zum anderen werden sämtliche in Verbindung mit dem Produktkonsum über die gesamte Produktlebensdauer antizipierbaren Kosten summiert und ein Wirtschaftlichkeitsnutzen bewertet. 2. Die Annahme eines gemeinsamen Merkmalsraums im Modell zur qualitativen Differenzierung von Lancaster oder Kirsch/Ringlstetter stellen lediglich einen verkürzten Ausschnitt der Realität dar. Denkbar sind darüber hinaus jedoch auch Fälle, in denen zum einen Produkte zwar hinsichtlich ihres Grundnutzens als Leistungen desselben Markts wahrgenommen werden, sich aber aufgrund konkurrierende der Ausgestaltung Alternativen funktionaler entziehen. Zum Zusatznutzen anderen kann einer die Bewertung als interindividuelle Nutzenbewertung der Merkmalsgestaltung derselben Produktvariante bis hin zu einer unterschiedlichen Kategorisierung dieses Produkts abweichen. Kirsch und Ringlstetter sprechen in beiden Fällen von einer "Inkommensurabilität" oder Nichtvergleichbarkeit der zu Grunde liegenden Bewertungskontexte für die Bestimmung eines Produktnutzens.16 Bohn beschreibt zwei Beispiele, in denen eine solche Nichtvergleichbarkeit von Relevanz ist:17 Erstens, der Fall einer Indifferenz in der Konsumentscheidung zwischen Produktalternativen aufgrund gleichstarker positiver Verhaltenstendenzen – bspw. im Falle einer Kaufentscheidung zwischen äquivalenten Fahrzeug im Luxuswagensegment. Zweitens, die Einführung einer Produktinnovation in neuem Marktsegment zur Bedienung bis dahin unartikulierter und gleichzeitig unbefriedigter Bedürfnisse – wie das Beispiel der Markteinführung der Swatch-Uhr im dadurch geschaffenen Marktsegment für preisgünstige Designuhren. In beiden Fällen schafft die Generierung einer nichtvergleichbaren, andersartigen Nutzenposition bzw. alternativ 14 Vgl. Kirsch (1997), S. 472 f. 15 In seiner Auseinandersetzung mit Inhalt und Form wissenschaftlicher Tätigkeit erläutert Galtung das Vorgehen empirischer Wissenschaft anhand der These so genannter "Weltpunkträume". Diese repräsentieren ein Gitter möglicher Wertkombinationen betrachteter Variablen, auf deren Grundlage wissenschaftliche Thesenformulierung durch Einschließung bzw. Ausschließung bestimmter Merkmalsmengen erfolgt. Nach Kirsch nimmt ein Kunde die ihm angebotenen Leistungen in analoger Weise, anhand für ihn kaufrelevanter Merkmale in einem n-dimensionalen Weltpunktraum bzw. Merkmalsraum wahr. 16 Kirsch (1997), S. 474 17 Vgl. Bohn (1993), S. 103 f. 2 Grundlagen der Differenzierung 9 lediglich die Kommunikation einer solchen Nutzenposition, eine gegenüber der Konkurrenz einzigartige, monopolistische Stellung. Im oben genannten Beispiel des Luxuswagensegments wäre die Entwicklung einer neuartigen Bordelektronik bspw. zur Bremssicherheit denkbar. 3. Wurde in Bezug auf qualitative und inkommensurable Differenzierung implizit von einer Gesamtmarktstrategie ausgegangen, ergänzen Kirsch und Ringlstetter schließlich die Möglichkeit einer segmentspezifischen Marktbearbeitung. Optimierungskriterium für die angestrebte Verringerung der Distanz zwischen Real- und Idealleistung einer Produktlinie bildet die Varietät, im Sinne der "Mächtigkeit der Menge der der angebotenen Leistungsvarianten". Abbildung 2 stellt das Problem der Varietätsplanung im Zusammenhang den Zusammenhang mit Preisen, Kosten und Stückgewinnen grafisch dar: Optimale Varietät Preis, Stückgewinn Preis Stückgewinn Anzahl der Produktvarianten Produktionskosten Transaktionskosten Stückkosten Abbildung 2: Planungsproblem der Produktvarietät Eine Erhöhung der Variantenzahl steigert aufgrund differenzierter Preissetzung den Stückgewinn. Die Zahl der Varianten erhöht sowohl zum einen die Komplexität und dadurch die Transaktionskosten der Produktion, als auch die direkten Produktionskosten – allerdings durch Verbund- und Skaleneffekte bei eingeschränkter Variantenvielfalt zunächst nur in begrenztem Maße. Eine darüber hinausgehende Ausdehnung der Varietät führt schließlich nur noch zu geringeren Preissteigerungsmöglichkeiten, gleichzeitig jedoch zu exponentiell wachsenden Transaktionskosten mit dem Ergebnis sinkender bis hin zu negativen Stückgewinnen. 2.2 Preisdifferenzierung Wie bereits kurz angesprochen, eröffnet die Merkmalsdifferenzierung einer produzierten Leistung den Spielraum für eine differenzierte Preissetzung. Die unterschiedlichen Modelle zur Preisdifferenzierung setzen dies z.T. jedoch nur implizit voraus, beispielsweise als Rechtfertigung einer intersubjektiven Preisdiskriminierung für die Marktkommunikation. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Produktdifferenzierung bildet wiederum die Annahme heterogener Nutzerpräferenzen gegenüber unterschiedlichen Produktvarianten. Ziel der Preisdifferenzierung ist dabei die Optimierung der 2 Grundlagen der Differenzierung 10 Preissetzung entsprechend der jeweiligen, nutzerspezifischen Reservationspreise zur Abschöpfung der Konsumentenrente.18 Möglichkeiten einer Preisdifferenzierung eröffnen sich einem Anbieter immer dann, wenn er sich einer fallenden Preis-Absatz-Funktion gegenübersieht und dementsprechend als Preissetzer handeln kann. Dies kann in zweierlei Form geschehen: Erstens, durch eine horizontale Segmentierung und segmentspezifische Preissetzung innerhalb eines Produktmarkts mit einer einzigen Preis-Absatz-Funktion entsprechend der jeweiligen Nutzbewertung auf Nachfrageseite. Zweitens, durch eine vollständige (vertikale) Spaltung des Gesamtmarkts in solcher Art, dass sich "in jedem Submarkt Käufer aller oder aber zumindest mehrerer Preisschichten befinden."19 Abbildung 3 stellt den Unterschied zwischen gewinnoptimaler Gesamtmarktstrategie und differenzierter Preissetzung im Monopolfall unter vereinfachender Annahme konstanter Grenzkosten dar: p p Gewinnmaximaler Monopolpreis Monopolistische Preisdifferenzierung E P²* P¹* P* GK C C x* GE x x* GE x Abbildung 3: Preisdifferenzierung Die gewinnoptimale Absatzmenge x* wird im Fall der Gesamtmarktstrategie bestimmt durch den Schnittpunkt von Grenzerlös- und Grenzkostenkurve, dem so genannten "Cournot'schen Punkt". Der entsprechende Monopolpreis p* ergibt sich anhand der gewinnoptimalen Absatzmenge über die PreisAbsatzfunktion.20 Existieren am Markt allerdings unterschiedliche Käufer mit heterogenen Nutz- und damit Preisvorstellungen, kann eine differenzierte Preissetzung von p¹* oder p²* gegenüber einem Einheitspreis eine Gewinnsteigerungsmöglichkeit bieten. Nach der Optimalitätsbedingung von Stackelberg kann ein Produzent bei n-facher Preisdifferenzierung seinen Erlös um das n-fache seiner ursprünglichen Konsumentenrente bei Setzung eines Einheitspreises für den Gesamtmarkt steigern.21 Dies erfordert im Sinne der Preisdifferenzierung ersten Grades nach Pigou, dass jedem Konsumenten sein individueller Reservationspreis verrechnet wird. Dies setzt zum einen eine annähernd vollständige Information über die Reservationspreise der Produktnachfrage voraus, zum anderen die grundsätzliche 18 Als Reservationspreis wird die maximale Zahlungsbereitschaft, also der Preis, den ein Konsument für den Erwarb eines Gutes höchstens ausgeben würde, verstanden; Vgl. u.a. Gehrke; Burghardt, Schumann (2002), S. 3 19 Brandtweiner (2000), S. 89 20 Vgl. für den Fall konstanter Grenzkosten u.a. Meffert (2000), S. 514 ff.; für den Fall nicht-linearer Kosten vgl. u.a. Schumann/Meyer/Ströbele (1999), S. 284 ff. 21 Vgl. Brandtweiner (2000), S. 83 3 Differenzierung digitaler Informationsgüter 11 Spaltbarkeit des Markts in verschiedene Segmente, beispielsweise durch eine segmentspezifische Merkmalsgestaltung unterschiedlicher Produktvarianten. Liegt diese nicht vor, bieten sich nach Pigou zwei Alternativen: A second degree would obtain if a monopolist were able to make n seperate prices, in such wise that all units with a demand price were sold at a price x, all with a demand price less than x and greater than y at a price y and so on. A third degree would obtain if the monopolist were able to distinguish among his customers n different groups, seperated from another more or less by some practicable mark, and could charge a seperate monopoly price to the members of each group.22 3 Differenzierung digitaler Informationsgüter In ihrer im Bereich der Differenzierbarkeit von Informationsangeboten sicherlich in der Forschungsgemeinde richtungweisenden Veröffentlichung aus dem Jahr 1997 benennen Shapiro und Varian drei grundsätzliche Formen der Differenzierung von Informationsgütern: Personalisierung, Versionierung und die Angebotsdifferenzierung nach Käufergruppen. Die Autoren nehmen dabei direkten Bezug auf das bereits im voran stehenden Kapitel vorgestellte Modell der Preisdiskriminierung ersten, zweiten und dritten Grades nach Pigou. Dieses Modell der Preisdiskriminierung wird jedoch in ein integriertes Konzept der Preis- und Produktdifferenzierung für Informationsgüter eingebettet. Im Folgenden werden die einzelnen Konzeptelemente kurz besprochen. 3.1 Personalisierung und gruppenspezifische Angebote Eine qualitative Produktdifferenzierung im Sinne der in Kapitel 2.1 angestellten Überlegungen erfordert eine Kenntnis der merkmalsspezifischen Idealvorstellungen relevanter Kunden. Im Zeitalter digitaler Reproduzierbarkeit und Remission liegt die Grenze der Varietät einer Produktlinie nicht mehr in einer Abwägung steigender Segmentierung der Komplexitäts- und Käuferschichten. Produktionskosten Durch die gegenüber Möglichkeiten einer hinreichenden interaktiver, digitaler Kommunikationsstrukturen kann heute vielmehr restriktionslos der "spezielle, subjektive Wert, den ein Service für den Kunden generiert", im Mittelpunkt stehen.23 Voraussetzung eines personalisierten Informationsangebots, so Shapiro und Varian, ist eine genaue Kenntnis der Kundenbedürfnisse.24 Die Autoren nennen drei mögliche 22 Pigou (1950), S. 279 23 Brandtweiner (2000), S. 110 24 Quellen von Kundeninformationen:25 Erstens, freiwillige Shapiro/Varian (1997), S. 33: "If you want to personalize your information product, you have to know something about your customers." 25 Vgl. Shapiro/Varian (1997), S. 34 ff. 3 Differenzierung digitaler Informationsgüter 12 Registrierungsdaten mit demographischen und interessensbezogenen Profilangaben; zweitens, Daten aus der Transaktionshistorie des Kunden; drittens, zusätzlich erhobene Daten durch Observierung des Online-Nutzungsverhaltens des Kunden. Amberg und Wehrmann erweitern vor dem Hintergrund der derzeitigen technologischen Möglichkeiten von Internet- und speziell mobilen Kommunikationstechnologien die Dimensionen möglicher Referenzinformationen über den Kunden. Zielsetzung ihres Konzepts "situationsabhängiger Dienste" ist die Kombination erstens statischer Informationen zu interessensspezifischem Profil und demographischer Einordnung der Person des Kunden, zweitens allgemeiner Angaben über Zeit und Ort der Abfrage des vom Kunden beanspruchten Informationsdienstes und drittens dynamischer Kontextdaten der jeweiligen Dienstabfrage aus dem jeweiligen Nutzungsverhalten.26 Als Referenz der Personalisierung dienen demzufolge nicht lediglich Personendaten, sondern umfassende Informationen zur Situation der Dienstabfrage. Neben der Identifikation individueller Kundenbedürfnisse und der Entwicklung personalisierter Produktvarianten bildet wie gezeigt die (im Optimalfall) entsprechend der Preisdifferenzierung ersten Grades personalisierte Preissetzung aufgrund der vorausgesetzten Kenntnis der individuellen Reservationspreise relevanter Nutzer ein zentrales Informationsproblem der Differenzierung. Einfacher als eine individualisierte Preissetzung ist nach Brandtweiner die Bildung gruppenspezifischer Preise auf der Grundlage von Nachfrage-Clustern.27 Die Vorteilhaftigkeit einer solchen gruppenspezifischen Preissetzung hat nach Shapiro und Varian vier mögliche Gründe:28 Erstens die Existenz systematischer Preissensitivitäten von Gruppen wie bspw. im Falle unterschiedlicher Preisniveaus in verschiedenen Vertriebsländern oder -regionen; zweitens, das Vorliegen und Ausnutzen von Netzeffekten der Nachfrage im Rahmen einer beabsichtigten Produktstandardisierung, bspw. in Form einer volumenabhängigen Lizensierungsstrategie von Inhalten oder Softwareprodukten; drittens, die Schaffung durch Lock-In Effekten bspw. durch eine frühe Kundenanwerbung durch progressive, altersbezogene Preisdiskriminierung; viertens, durch die Schaffung von Austauscharrangements bspw. als Syndikatoren für Informationsintermediäre. 3.2 Versionierung und Bündelung Zentrale Voraussetzung personalisierter Produkte und zumindest gruppenspezifischer Preissetzung ist wie angesprochen die Kenntnis individueller Bedürfnisprofile und Preisrestriktionen. Sind diese nicht verfügbar oder nur mit hohem Aufwand zu ermitteln, bildet das Angebot einer begrenzten Anzahl von Produktversionen für verschiedene Käufersegmente eine alternative Differenzierungsstrategie. Eine solche Versionierung kann nach zweierlei Prinzipen erfolgen:29 erstens, durch eine bewusste 26 Vgl. Amberg/Wehrmann (2001) 27 Vgl. Brandtweiner (2000), S. 112 28 Vgl. Shapiro/Varian (1997), S. 44 ff. 29 Vgl. Shapiro, Varian (1997), S. 54 3 Differenzierung digitaler Informationsgüter 13 Adressierung ausgewählter Bedürfnisgruppen; zweitens durch eine Marktspaltung in Form einer Selbstselektion der Nutzer. Shapiro und Varian nennen eine Vielzahl von Beispielen denkbarer Dimensionen einer Produktversionierung, darunter die zeitliche Verzögerung von Veröffentlichung und Vertrieb, den Grad der funktionalen Ausgestaltung der angebotenen Dienste oder der inhaltliche Umfang des vertriebenen Informationsguts.30 Als spezielle Form der Versionierung führen Shapiro und Varian das Problem der Produktbündelung ein. Nach Brandtweiner lassen sich Güter, insbesondere Informationsgüter, generell als Produktbündel interpretieren.31 Das Problem der Güterbündelung als Instrument der Preisdiskriminierung wurde erstmalig ausführlich untersucht von Adams und Yellen (1976), erweitert von Schmalensee (1984).32 Gegenüber einer reinen Einzelvermarktung (= "pure components") von Gütern kann eine Vermarktung in gebündelter Form eine Einsparung von Produktions- Transaktions- und Informationskosten, die Förderung von Güterkomplementaritäten sowie eine Segmentierung der Nachfrage ermöglichen bewirken. Die Autoren unterscheiden neben der Einzelvermarktung zwei Formen der Bündelung: die reine Bündelstrategie (= "pure bundeling") und die gemischte Bündelstrategie als gleichzeitiges Angebot von Einzel- und Bündelvermarktung (= "mixed bundeling"). Abbildung 4 stellt die Konzepte der Bündelung grafisch dar: r1 r1 Pure Components B A A: B: C: D: Pure Bundling A: Bündel B: Kein Bündel Beide Güter Nur Gut 1 Kein Gut Nur Gut 2 pB* A p2* C D p1* B r2 pB* r1 pB* r2 Mixed Bundling C A: B: C: D: D Kein Kauf Nur Gut 1 Nur Gut 2 Bündel p2* A B p1* pB* r2 Abbildung 4: Bündelung Die Vorteilhaftigkeit der Bündelung lässt sich nach Adams und Yellen nicht generell festlegen sondern ist abhängig von der Streuung der Reservationspreise der jeweils einzelnen Bündelkomponenten und den jeweils Einzel- und Bündelkosten der Produktion. Unter Annahme bivariat normalverteilter 30 Vgl. Shapiro, Varian (1997), S. 56 ff. 31 Brandtweiner (2000), S. 71 32 Vgl. Adams/Yellen (1976), Schmalensee (1984) 3 Differenzierung digitaler Informationsgüter 14 Reservationspreise zweier "symmetrischer Produkte" – gemeint sind Produkte mit gleicher Nachfrageund Kostenstruktur – beschreibt Schmalensee die Vorteilhaftigkeit einer Bündelstrategie in Abhängigkeit von der Korrelation der jeweiligen Zahlungsbereitschaft für jeweils eine Bündelkomponente, der durchschnittlichen Gesamthöhe der Zahlungsbereitschaft für ein Bündel. Bündelung erweist sich deshalb als vorteilhaft, weil die Konsumentenrente von einem Produkt auf ein anderes übertragen wird.33 Dies setzt zum einen voraus, dass die Zahlungsbereitschaft für beide Produkte negativ korreliert ist, also die Nachfrage nach den Komponenten heterogen ist. Zum anderen, so führen Olderog und Skiera anhand von Simulationsmodellen aus, ist Bündelung nur dann sinnvoll, wenn die Zahlungsbereitschaft die jeweiligen variablen Kosten der Reproduktion deutlich übersteigen.34 Abbildung 5 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Nachfrage und variablen Kosten: Heterogene Nachfragestruktur Nachfrage Homogene Nachfragestruktur Nachfrage Gewinn Gewinn Preis, Kosten variable Kosten Nachfrage Heterogene Nachfragestruktur Nachfrage Homogene Nachfragestruktur Gewinn Gewinn variable Kosten Preis, Kosten variable Kosten Preis, Kosten variable Kosten Preis, Kosten Abbildung 5: Erfolgsbedingungen der Bündelung Eine solche Kostenstruktur mit geringen variablen Kosten, so führt Skiera weiter aus, zeichnet, wie bereits gesehen in Kapitel XX, insbesondere die Produktion digitaler Informationsgüter aus.35 Daher wird der Bündelung eine hohe Relevanz für die Differenzierung von Informationsgütern beschieden. 33 Olderog, Skiera (1998), S. 7 34 Olderog, Skiera (1998), S. 25 35 Skiera (2001), S. 250 f. 4 Differenzierung von Medienprodukten 4 15 Differenzierung von Medienprodukten Vor dem Hintergrund der einleitend in Kapitel 1 angestellten Überlegungen besteht das Differenzierungsproblem von Medienunternehmen im Bereich digitaler Vertriebsmärkte in der Schaffung eines zusätzlichen, qualitativen Produktnutzens im Rahmen ihres Güterangebots. Medienprodukte lassen sich dabei charakterisieren als Güterbündel publizistischer Inhalte, die für einen Massenmarkt produziert werden. Die Differenzierung von Medienprodukten problematisiert demnach die Schaffung einer individuellen Nutzenposition im Rahmen von Informationsgüterbündeln und stellt somit eine Kombination der Prinzipien von Personalisierung und Bündelung entsprechend der dargelegten Strategiealternativen im Rahmen der Differenzierung von Informationsgütern dar. Das Individualisierungsproblem kann dabei in zweifacher Hinsicht interpretiert werden: Erstens, als nutzerspezifische Individualisierung der Kommunikation im Rahmen des Angebots unverändert im Sinne anonymer Massenproduktion erstellter Güterbündel. Zweitens, als Konfiguration der Bestandteile des Bündels entsprechend nutzerindividueller Bedürfnisse. Diese mehrfache Interpretationsmöglichkeit der Umsetzung einer Personalisierungsstrategie ist Ausdruck einer gewissen begrifflichen Unschärfe in diesem Bereich in der betriebswirtschaftlichen Literatur. Für eine genauere Untersuchung der Prinzipien der Personalisierung wird deshalb im Folgenden zwischen einer marketingstrategischen und einer produktstrategischen Sichtweise unterschieden. 4.1 Personalisierung als individuelles Kundenmarketing Erstmals forderten Peppers/Rogers 1993 ein Umdenken weg vom Marketing zur Erringung von Marktanteilen am anonymen Massenmarkt, hin zu einem Marketing zur Steigerung der Kundenbindung und dadurch der Häufigkeit von Wiederholungskäufen eines individuellen Kunden – also eines "Kundenanteils Marketing". Die Autoren stützen sich im Wesentlich auf zwei Annahmen: 1. eine sinkende durchschnittliche Werbewirkung der Marketinginstrumente im Rahmen einer Massenmarktstrategie zur Steigerung des Marktanteils eines Unternehmens. Ursache bildet zum einen ein strategisches Wachstumsdilemma, dass im Wesen der modernen Massenproduktion begründet ist: Die zentralen Vorteile eines Massenanbieters bilden Größenund Verbundeffekte im Rahmen von Produktion und Vermarktung; Je größer entsprechend ein Konkurrent, desto größer der resultierende Wettbewerbsvorteil; Am Markt entsteht ein Wettbewerb um die Größe des Marktanteils, mit dem Effekt steigender Rabatte und sinkender Preise; Aufgrund dadurch sinkender Durchschnittsgewinne steigt wiederum die Bedeutung der Unternehmensgröße. Zum anderen sinkt im Zuge der insgesamt 36 Werbepenetration in den Märkten die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden. 36 Vgl. Skiera (2001), S. 250 f. gestiegenen 4 Differenzierung von Medienprodukten 16 2. die Vorstellung, dass ein Großteil der Geschäfte eines Unternehmens von lediglich einem kleinen Teil seiner Kunden getätigt wird – das so genannte "Pareto-Prinzip".37 Peppers/Rogers schlussfolgern, dass eine Konzentration des Produktmarketing eines Unternehmens auf lediglich diesen Teil ihres potenziellen Kundenkreises sowohl mit kosten- als auch effektivitätsspezifischen Vorteilen verbunden ist. Dies setzt im ersten Schritt eine Segmentierung des potenziellen Gesamtmarkts zur Identifikation "wertvoller" Kunden voraus, die im Verhältnis zum Gesamtaufwand einer Marketingstrategie signifikant höhere Rückflüsse erzeugen, im zweiten Schritt den Aufbau einer dialogorientierten Kundenkommunikation zur Ermittlung der Bedürfnisse und individuellen Anpassung des Angebots. Die im dritten Schritt konkrete Angebotsindividualisierung ist Gegenstand so genannter Empfehlungssysteme. Runte unterscheidet im Bereich individualisierter Empfehlungssysteme zwischen eigenschaftsbasierten und "Recommender"-Systemen.38 Eigenschaftsbasierte Systeme modellieren die zu bewertende Produkte als Bündel objektiv bewertbarer Eigenschaften. In einem mehrstufigen Filterprozess werden über die Eigenschaften auf die Präferenzen eines Kunden zurück geschlossen: Der Kunde identifiziert zunächst durch Kriterienausschluss relevante Produkteigenschaften und ordnet diese in eine individuelle Rangordnung entsprechend ihrer Bedeutungsgewichtung. Anhand dieses eigenschaftsspezifischen Präferenzprofils kann dann eine Berechnung produktbezogener Präferenzwerte und eine Zuordnung relevanter Produkte für einen Kunden vorgenommen werden.39 Recommender-Systeme stützen sich demgegenüber im Wesentlichen auf stochastische Algorithmen, die eine Zuordnung von Angeboten zu einem Kunden anhand einer Ähnlichkeit zwischen verschiedenen Kunden und deren Präferenzen vornehmen. Die erhobenen Daten für jeden Benutzer werden in spezifischen Benutzerprofilen gespeichert. Dieses Profil enthält Präferenzwert für bestimmte Objekte, so genannte "Ratings". Ratings über eine bestimmte Anzahl von Objekten können vektoriell abgebildet werden. Grundlage des nutzerspezifischen Filterverfahrens des Produktangebots bildet die Datenmatrix (U) sämtlicher Ratingvektoren (u1… uM) relevanter Nutzer (M) innerhalb der betrachteten Gruppe von Objekten (N). 37 Vgl. Peppers/Rogers (1996), S. 32 38 Vgl. Runte (2000), S. 10 39 Vgl. Runte (2000), S. 11 f.: Runte spricht im Falle der selektierten Eigenschaftsranglisten von Partial-, im Falle der vom System berechneten Nutzenwerte für konkrete Produkte von Globalpräferenzen. Einfachstes Beispiel einer Teilnutzen-Aggregation für die Berechnung der Globalpräferenzen bildet das linear-additive Präferenzmodell, das Eigenschaftsausprägungen und zugehörige Partialpräferenz als numerische Werte erfasst. Globalpräferenzen werden Summe der durch Partialpräferenzen gewichteten Eigenschaftswerte erfasst, die individuelle Angebotszuordnung erfolgt durch Auswahl des Produkts mit maximaler Globalpräferenz. 4 Differenzierung von Medienprodukten u1 ... U = ui ... u M 17 u11 ... = u i1 ... u M1 ... u1 j ... ... ... u ij ... ... ... u Mj ... u1N ... ... ... u iN ... ... ... u MN Abbildung 6: Datenmatrix der Ratingpräferenzen In der Realität ist Datenmatrix aufgrund des bereits in Kapitel X angesprochenen Informationsproblems hinsichtlich der Erhebung von Nutzerpräferenzen unvollständig. Ziel der Collaborative-FilteringMethodik besteht darin, die fehlenden Werte im Rating-Vektor jeweils eines Kunden über Ähnlichkeiten zu anderen in der Datenmatrix gespeicherten Ratings durch Prognosewerte zu ersetzen. Dabei werden systematische Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Kunden anhand von Distanz- oder Korrelationsanalysen identifiziert, ähnliche Benutzer als "Mentoren" selektiert und die jeweils fehlenden Werte der Rating-Vektoren ergänzt. Die konkrete Angebotsindividualisierung erfolgt schließlich durch eine Auswahl derjenigen Objekte mit den höchsten individuellen Prognosewerten. 4.2 Personalisierung als kundenindividuelle Massenfertigung Nach Porter bilden Differenzierung und umfassende Kostenführerschaft zwei streng zu trennende Alternativen, zwischen denen sich ein Unternehmen entscheiden muss:40 Das bedeutet (…), dass ein Unternehmen, dem es nicht gelingt, seine Strategie zumindest in eine dieser (…) Richtungen zu entwickeln – das also >>zwischen den Stühlen sitzt<< in einer äußerst schlechten strategischen Situation ist. Für die Kostenführerschaft fehlen diesem Unternehmen der Marktanteil, Kapitalinvestitionen und zudem die nötige Entschlossenheit; um aber die Notwendigkeit niedriger Kosten zu umgehen, mangelt es ihm an der branchenweiten Differenzierung;41 Eine solche Alternativenhypothese vernachlässigt jedoch nach Piller die Auswirkungen einerseits der informations- und kommunikationstechnischen Entwicklungen, andererseits moderner Prinzipien flexibler, modularer Variantenfertigung, sowie die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zur Realisierung gleichzeitiger Differenzierungs- und Kostenvorteile in der Produktion.42 Nach Pine/Anderson besitzt eine Differenzierungsstrategie im Zeitalter nachfrageorientierter Märkte ein zweifaches Varietätsproblem:43 Erstens, die externe Varietät aus Kundensicht, die es im Sinne 40 Einzige Ausnahme bildet der Fall eine Schwerpunktkonzentration auf ein einzelnes Marktsegment, innerhalb dessen nach Porter eine gleichzeitige Kostenführerschafts- und Differenzierungsstrategie möglich ist. 41 Porter (1999), S. 79 42 Vgl. Piller (2001), S. 110 43 Vgl. Anderson/Pine (1997), S. 45 f. 4 Differenzierung von Medienprodukten 18 kundenindividueller Bedürfnisbefriedigung zu Maximieren gilt. Zweitens, die interne Varietät von Produktions- und Vertriebsprozessen, die es umgekehrt durch Standardisierung von Fertigungsschritten und Reduktion der organisatorischen Komplexität zu Minimieren gilt. Moderne IuK-Technologien ermöglichen eine Handhabung der aus einer hohen Varietät der Leistungsproduktion resultierenden Komplexität in zweifacher Weise: Sie ermöglichen einerseits eine Reduktion der Planungskomplexität durch eine Erhöhung der Interaktivität im direkten Kundenkontakt, bspw. bei der Ermittlung von Kundenwünschen und Produktbewertungen.44 Andererseits verbessern innerbetriebliche Informations- und Planungssysteme in Verbindung mit einer leistungsfähigen Datenvernetzung die Möglichkeiten organisatorischer Kommunikation und dadurch der Koordination betrieblicher Leistungsprozesse.45 Ergebnis ist die Möglichkeit zur Flexibilisierung und Modularisierung betrieblicher Produktionssysteme, bspw. durch die Erhöhung des Vorfertigungsgrads für flexibel kombinierbare Produktmodule. Solche Fertigungsstrukturen erlauben eine gleichzeitige Erhöhung der externen Produktvarietät in Form einer flexiblen Modulkonfiguration zwischen verschiednen Produktionslinien mit einer Wahrung der Skalen- und Verbundeffekte der Massenproduktion.46 Dies führt langfristig dazu, so die Leitthese zahlreicher Veröffentlichungen zum Thema "Mass Customization", dass "als Folge der Informationswirtschaft (…) die klassische Massenproduktion durch die Fertigung kundenindividueller Güter zu einem Kostenniveau vergleichbarer Massengüter abgelöst [wird]."47 Nach Schackmann und Link lassen sich die von Piller für die industrielle Fertigung beschriebenen Prinzipien auch für die Erzeugung von Informationsgütern anwenden.48 Durch den Einsatz bspw. datenbankgestützter Content Management Systeme und verwendungsneutraler Auszeichnungssprachen wie dem Protokollstandard XML können Informationsgüter beliebig kombiniert, erweitert und vertieft werden. Wie bereits angesprochen, stellen Medienprodukte in der Regel Produktbündel, traditionell aus Gründen von Größen- und Verbundeffekten des Vertriebs gekoppelter Informationsgüter dar – eine Zeitung repräsentiert bspw. ein Bündel aus redaktionellen Artikeln, Werbeund Kleinanzeigen. Im Gegensatz zum "linearen" bzw. statischen Aufbau klassischer Medienprodukte können digital erzeugte Inhalte als modulare Konfigurationen von einzelnen Informationsgüterobjekten interpretiert werden. Diese Bündelinterpretation kann nach Rawolle sowohl aus einer Makro- als auch aus einer Mikrostruktur bewertet werden.49 Während die Perspektive der Makrostruktur ein Informationsgut im Sinne geschlossener Medienobjekte, also in Form eines Textes, eines Bildes oder einer Audio-Sequenz als kleinste betrachtete Einheit versteht, repräsentiert die Mikrostruktur die Zerlegung solcher Objekte in einzelne Inhaltselemente. Die Perspektive der Mikrostruktur kann 44 Vgl. Piller (2001), S. 226 f. 45 Vgl. bspw. Picot/Reichwald/Wigand (1998), S. 91 46 Vgl. Picot/Reichwald/Wigand (1998), S. 91 47 Piller (2001), S. 200 48 Vgl. Schackmann/Link (2001) 49 Vgl. Rawolle (2002), S.16 5 Fazit 19 verdeutlicht werden am Beispiel eines einzelnen Zeitungsartikels, interpretierbar als Bündel einer Überschrift, einer Quellenangabe, einem Textkörper und eventuell einem Bild. Entsprechend erlauben digital Medienprodukte eine zweifache strukturelle Personalisierungsmöglichkeit: zum einen, die interessensspezifische Konfiguration der Kombination verschiedener Inhalte innerhalb eines Produktbündels; zum anderen, die inhaltliche Aggregationstiefe und einzelner Beiträge. Im Falle der Personalisierung von Medienprodukten wird das von Piller angesprochene Kernproblem flexibler Fertigungsstrukturen ersetzt durch die Notwendigkeit einer automatischen Integration der Kundendaten in den Bündelungs- und Vertriebsprozess.50 Nach Schackmann/Link erfordert eine solche Kundendatenintegration eine gemeinsame Taxonomie aus den Meta-Modellen und -Sprachen von sowohl Kundenbedürfnis- als auch Produktmodellierung. Die Autoren interpretieren das Problem kundenindividueller Bündelkonfigurationen als dreistufigen Abgleichprozess der zwischen Kunden- und Produktmerkmalen: einer kundenindividuellen Bedürfnisaggregation aus unmittelbar erhobenen und abgeleiteten, ggf. geschätzten Kundendaten (I1); einer Erhebung von inhaltlichen und strukturellen Produktattributen (I2); einem Abgleich zwischen Kundenbedürfnissen und Produktattributen (I3). Kundenmodell Produktmodell Produkteigenschaften • Einstellung Metainformationen über das Produkt • Geschmack • Thematik • Autor • Vorlieben • Themenrelevanz • Erstellung Kundeninformationen Abgeleitetes Kundenwissen • Kontakthistorie • Demographische Angaben (Name; Alter; Adresse; Berufsstand) • Etc. • Innovationsgrad I3 • Größe • Titel • Etc. • Etc. I2 I1 Individuelles Produkt Abbildung 7: Produktindividualisierung 5 Fazit Noch vor zwei Jahren beschieden Zerdick et al. den Möglichkeiten der Personalisierung, mehr Versprechen denn Realität der Internetökonomie zu sein.51 Diese Einschätzung trifft heute nicht mehr zu. Sind komplexe, vollentfaltete Personalisierungskonzepte im Sinne situationsabhängiger Dienste noch im Entwicklungsstadium, finden Konzepte kontextbezogener Differenzierung, wie bspw. automatisierte Empfehlungssystem, bereits regelmäßige Anwendung. Das fortbestehende Defizit in Bezug auf das Angebot individueller Medienprodukte beruht auf zwei Ursachen: 50 Vgl. Schackmann/Link (2001) 51 Vgl. Zerdick et al. (2001), S. 113 5 Fazit 20 1. die Identifizierbarkeit individueller Kundeninformationen und -bedürfnisse; Wenngleich auch verschiedene Technologien im Wettbewerb zur Profilerfassung und Wiedergewinnung von Nutzerdaten stehen, konnte sich kein allgemeiner Standard für den Datenaustausch im Prozess des Aushandelns zwischen Inhaltsanbieter bzw. Dienstanbieter und Kunden etablieren. Eine spezielle Restriktion für die Akzeptanz solcher allgemeiner Profilierungsstandards ist die Frage des Datenschutzes. 2. die Kombination verschiedener Informationselemente über denselben Kunden, die an verschiedenen Stellen der Wertschöpfung im Rahmen digitaler Inhaltsdienste von z. T. unterschiedlichen Firmen erhoben werden; Dieses Problem adressiert strategische Interaktionsbarrieren zwischen bspw. Netzbetreibern, Inhaltsproduzenten, Serviceprovidern und Geräteherstellern, die notwendigerweise im Prozess der Bereitstellung von individualisierten digitalen Medienprodukten zusammenarbeiten. Bspw. besitzen nur die Betreiber von Mobilfunknetzen Zugang zu Informationen über die aktuelle Netzposition und dadurch zur Lokalisierung eines Nutzers. 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