Herz und Kreislauf, Blut und Gefäße in Ethnomedizin und Geschichte

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Herz und Kreislauf, Blut und Gefäße in Ethnomedizin und
Geschichte
Von Ao. Prof. DDr. Armin Prinz
Unit Ethnomedizin und International Health, Zentrum für Public Health
Einleitung
Im Block 6 wurde im Thema 12 „Anthropologische und ethnokulturelle Aspekte der
Genese von Krankheit“ und „Transkulturelle familienspezifische Aspekte“ eine erste
Übersicht über die Aufgabengebiete der Ethnomedizin/Medical Anthropology und
deren Bedeutung für die Tätigkeit als Arzt gebracht. Ein weiteres wichtiges Aufgabengebiet der Ethnomedizin ist die Beschäftigung mit den Körperkonzepten in den
verschiedenen Gesellschaften. Der Mensch hat zwar ein angeborenes, generelles
Gefühl für seinen Körper, das wir im Sinn der früher erwähnten Universalien als a
priori ansehen können, aber zusätzlich kommt es zu einer Aufnahme, eine Verkörperlichung von Vorstellungen aus dem umgebenden ökologischen und soziokulturellen Bereich. Dieses embodiment, wie es in der Medical Anthropology genannt wird,
harmonisiert den Körper durch Erziehung und Erfahrung mit der ihn umgebenden
Umwelt (Csordas 1994, Eves 1998). Dadurch kommt es erst zur eigentlichen körperlichen
Identität, zu dem Gefühl, wie der Körper funktioniert, was er zu seinem Überleben
braucht, wie er sich in bestimmten Situationen bewegen muss, wie er sich emotional
und sozial zu verhalten hat usw. Das Ergebnis ist das kulturgebundene Konstrukt des
idealen Körpers in ästhetischer, intellektueller und sozialer Sicht. Insbesondere werden dadurch auch die Organkonzeptionen geprägt und die Bedeutung der einzelnen
Körperteile in Hinblick auf das Ganze, eben das „Ich“, in seiner Umwelt definiert. Bei
der Betreuung „seines“ Patienten muss der Arzt dieses embodiment nachvollziehen
können, um Verständnis für den Leidensdruck bei dem Kranken aufzubringen und
demgemäß sein therapeutisches Vorgehen abzustimmen. Dies gilt insbesondere bei
Menschen unterschiedlicher ethnischer und soziokultureller Herkunft.
Die Vorstellungen der funktionellen Einheit von Herz, Kreislauf sowie Blut und Gefäßen, dem auch dieser Block 11 folgt, ist ein Resultat des wissenschaftlichen embo-
diments unserer westlichen Medizin. Gleich „logisch“ wäre es etwa auch Blut und
Gefäße, Darm und Leber, oder Herz und Lunge, Gehirn und Blut als Einheiten zusammenzufassen; Wege, die entsprechend der griechischen Wurzeln unserer abendländischen Medizin durchaus eingeschlagen werden hätten können.
Herz und Kreislauf in der Antike
Choleriker
Melancholiker
Sanguiniker
Phlegmatiker
Abb.1: Elemente, Qualitäten und Körpersäfte der griechischen Humoralpathologie
mit den von Galen zugeordneten Temperamenten
(nach Rothschuh 1973; modifiziert)
Bei HIPPOKRATES (ca. 460-377 v.C.), wird der Körper gemäß der griechischen Säftelehre als Mikrokosmos des ihn umgebenden Makrokosmos gesehen. Dieser besteht aus den vier Körpersäften Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle und
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den dazugehörigen Qualitäten heiß, feucht, trocken und kalt. In der Spätantike wurden den Säften noch die vier Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde im Mittelalter
noch die Konstitutionstypen Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker
zugeordnet. In diesem System sind alle Lebensvorgänge enthalten. Das System
wurde durch die Hitze des Körpers aufrechterhalten die durch ein Feuer im linke
Ventrikel des Herzens, der als blutlos gedachten, erzeugt wurde. Um diese Verbrennung zu ermöglichen benötigt das Herz Luft, den Lebenshauch
(pneuma) und
Brennstoff in Form von Nahrung und Getränken. Als leitende Kraft dieser Vorgänge,
sowohl für das Funktionieren des Systems, als auch für dessen Gesunderhaltung,
wurde das Konzept der Lebenskraft (physis) postuliert. War diese physis zu schwach
oder durch äußere Einflüsse gestört, so bedurfte es des Arzte und seiner Heilbehandlung, um die harmonische Zusammensetzung der Säfte (eukrasie) sowohl in
quantitativer als auch qualitativer Hinsicht wiederherzustellen. In dieser Vorstellung
wurden alle Hohlorgane wie Herz, Darm, Uterus, Niere oder Harnblase als Säfte
sekretierend gedacht und alle parenchymatösen Organe wie Lunge, Leber, Milz oder
die weibliche Brust als aus den umliegenden Geweben Säfte absorbierend angesehen.
Aus diesem Konzept hätten sich viele mögliche Formen eines wissenschaftlichen
embodiments von Organvorstellungen entwickeln können, wenn nicht zwei Nachfolgeschulen der Hippokratiker, einerseits die des ARISTOTELES (384-322 v.Chr.), andererseits die von Alexandrien, ihr Hauptaugenmerk auf Herz und Kreislauf, sowie
Blut und Gefäße gerichtet hätten.
Aristoteles sah nicht mehr, wie vor ihm üblich, das Gehirn als Sitz der Seele sondern
das Herz. Demnach ist es das Zentrum des Lebens und alle übrigen Strukturen des
Körpers sind ihm untergeordnet. Es produziert das Blut, aus ihm entstehen die Gefäße und es ist der Sitz der Lebenswärme. Puls, Herzkontraktionen und die Atembewegungen haben ihren Ausgang in der Hitze des Herzens, die bei der Produktion des
Blutes entsteht. Die Lunge mit ihren Gefäßverbindungen zum Herzen hat nur die
Aufgabe diese Hitze zu kühlen.
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Dieser teleologischen, d.h. auf einen Zeck zielgerichtete, Auffassung stand die theoretisch ausgerichtete alexandrinische Ärzteschule gegenüber. Vor allem die beiden
Ärzte HEROPHILUS (ca. 335—280 v.Chr.) und ERASISTRATUS (ca. 310-250
v.Chr.) bemühten sich durch anatomische Studien das Herz-Kreislaufsystem zu erkunden. Vor allem Herophilus soll sehr eifrig seziert haben. Er soll 600 Sektionen
vorgenommen haben und er auch von PTOLOMAIOS dem I. (ca. 376-283 v.Chr.) die
Erlaubnis erhalten haben, an verurteilten Verbrechern Vivisektionen durchzuführen.
Diese letztere Behauptung wird von vielen Medizinhistorikern bezweifelt (etwa Glesinger 1960), doch es steht fest, dass die alexandrinischen Ärzte durch ihre Forschungen grundlegend neue Erkenntnisse über Herz und Kreislauf gewinnen konnten. Obwohl auch sie noch der alten Anschauung folgten, dass die Arterien nur Luft,
das pneuma, und die Venen das Blut zur Ernährung des Körpers befördern, haben
sie die Funktion des Klappensystem des Herzens erkannt und waren nur mehr einen
kleinen Schritt von der endgültigen Entdeckung des Blutkreislaufes entfernt. Herophilus war auch der erste Arzt, der mit Hilfe einer Wasseruhr Pulsmessungen durchführte und die Frequenz zu diagnostischen Überlegungen heranzog.
Auf Basis dieser beiden Theorien über Herz, Kreislauf und Blut, ergänzt durch die
Vorstellungen PLATO’s (427-347 v.Chr.) des dreifachen pneumas, hat dann der griechisch-römische Arzt GALEN von PERGAMON (ca. 130-201 n.Chr) ein System entwickelt, dass für über 1200 Jahre praktisch unverändert gültig blieb. Demnach setzt
sich das Blut aus den vier Säften rotes Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim
zusammen. Der Überschuss eines dieser Säfte ist verantwortlich für die Ausbildung
des
zugehörigen
Temperamentes:
Sanguiniker
(Blut-Mensch),
Phlegmatiker
(Schleim-Mensch), Choleriker (gelbe Galle-Mensch), Melancholiker (schwarze GalleMensch), eine Einteilung der Wesensarten, die uns bis heute geläufig ist. Galen war
auch der erste, der nachwies, dass das Blut in Arterien und Venen fliest und dass
beide Herzkammern blutgefüllt sind. Das System der Herzklappen war ihm bekannt;
die Vorhöfe wurden nicht näher beachtet, da er diese gemäß der alexandrinischen
Schule wahrscheinlich nur als Ausbuchtungen der großen Gefäße sah. Der Entdeckung des Kreislaufs war er dadurch sehr nahe. Aus der Nahrung wurden in der Hitze der Leber die vier Säfte geschaffen, die dann ihrerseits durch „Verkochung“ das
Blut bildeten. Dieses erreichte durch die untere Hohlvene teilweise das Herz, teilwei4
se die Peripherie. Er nahm also eine doppelte Stromrichtung im Venensystem an.
Um das nötige Blut nun in das arterielle System zu bringen, postulierte Galen „Poren“
in der Herzscheidewand, die von Zeit zu Zeit die linke Herzkammer auffüllten und mit
Hitze versorgten.
Abb.2: Herz, Kreislauf und Blut bei Galen
(nach Meyer & Triadou 1996; modifiziert)
Das Linksherz beförderte dann das Blut in einer Pendelbewegung teils in die Lunge,
wo es mit Luft angereichert wurde, teils in die Peripherie. In der Leber wird auch das
erste Pneuma, der „natürliche Geist“ (pneuma physikon) gebildet, der „vitale Geist“
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(pneuma zooticon) aus der Luft in der linken Herzkammer, aus dem schließlich der
„beseelte Geist“ (pneuma psychikon) entsteht, der über die Arterien in die Hirnkammern getragen wird (Rullière 1980). Damit neues Blut in dieses System aus der Leber
einfließen konnte, musste Flüssigkeit an der Oberfläche des Körpers verdunsten.
Stuhl und Urin wurden als Schlacke bei der Blutgewinnung in der Leber von dieser
direkt ausgeschieden.
Die Bewegung und Bedeutung des Blutes wurden von Galen im Prinzip richtig eingeschätzt, außer dass er das kapillare System des Kreislaufes nicht erkannte, obwohl
er auch an der Peripherie und in den Lungen einige Anastomosen postuliert. Damit
sollen geringe Mengen des Leben erhaltenden Pneumas aus den Arterien in das venöse Blut gelangen. Sehr viel Wert legt Galen auf das Messen des Pulses und er
führt dafür eine Unzahl von Qualitäten von diagnostischer Bedeutung ein. Obwohl er
als ausgesprochener Praktiker von den theoretisch orientierten Alexandrinern nicht
allzu viel gehalten haben dürfte, hat ihn anscheinend bei seiner eklektischen Suche
nach Brauchbarem in der medizinischen Literatur früherer Ärzte die Pulsdiagnose
des Herophilus angesprochen.
Blut und Herz in volksmedizinischer Vorstellung
Bis zur Renaissance gab es in der abendländischen Medizin keine wesentlichen
Neuerungen, im Gegenteil; vieles aus der antiken Medizin geriet in Vergessenheit.
Die wenigen Texte, die im Kampf des Christentums gegen die „heidnischen“ Schriftquellen überlebten, waren unvollständig. Wenn nicht die wichtigsten Manuskripte ins
Arabische übersetzt worden wären, wüssten wir heute kaum etwas von der antiken
Medizin. Trotzdem war auch im Mittelalter, vor allem durch die Studien des römischen Philosophen BOETHIUS (ca. 475-525), einiges von dem alten Wissen bekannt. Sehr eindrucksvoll sieht man dieses Nachwirken in den Büchern der
HILDEGARD von BINGEN (1098-1179).
Ihrer Ansicht nach ist das Herz die Grundlage der körperlich-seelischen Organisation
des Menschen. Es ist die Intergrationszentrale für alle geistigen und körperlichen
Vorgänge im Menschen. „Das hat Gott mit dem Herzen des Menschen bestimmt,
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dass es Leben und Gefühle der ganzen Leiblichkeit ist, dass es den ganzen Leib unterhält, weil ja im Herzen das Denken des Menschen geordnet und der Wille gehütet
wird.“ (Hildegard von Bingen n. Schipperges 1957 p 111). Und weiter: „Das Herz ist das Fundament des Lebens und die Wohnstätte des Wissens von Gut und Böse“ (ibid p 91)
und „Die
Seele aber ist ihrem Wesen nach feuriger, windhafter und feuchter Natur; sie
hat das ganze Herz des Menschen in ihrem Besitz.“ (ibid p 100).
Über die Rolle der vier Elemente und dem Blut bei der Zeugung schreibt Hildegard
von Bingen folgendes:
„Alsdann kommen die vier Elemente hinzu, welche die vier verschiedenen Säfte im Menschen in Aufruhr bringen, und zwar mit all ihrem Überfluß und wie in einem Unwetter; das geht so vor sich, daß
das Feurige, das heißt das Trockene, über das Maß das Wünschen entzündet, und die Luft, das heißt
das Feuchte, maßlos die Aufmerksamkeit erregt, daß ferner das Wasser, das heißt das Schaumige,
über das Maß die Zeugungskraft zum Fließen bringt, und endlich die Erde, das heißt das Lauwarme,
die Einwilligung maßlos aufschäumen läßt. Alle diese überschießenden Kräfte lassen gleichsam einen
Sturm aufkommen und werfen aus dem Blut einen giftartigen Schaum aus, den Samen nämlich, damit
mit diesem, sobald er an seine Stelle fällt, das weibliche Blut sich verbindet und auf diese Weise ein
Blutgemisch entsteht.
Das erste Werden eines Menschen entspringt jener Lustempfindung, die die Schlange dem ersten
Menschen beim Genuß des Apfels gab, weil damals schon das Blut des Mannes durch Begierlichkeit
aufgewühlt war. Daher ergießt dieses Blut auch einen kalten Schaum in das Weib, der dann in der
Wärme des mütterlichen Gewebes zur Gerinnung kommt, wobei er jene blutgemischte Gestalt annimmt; so bleibt zunächst dieser Schaum in dieser Wärme und wird erst später von den trockenen
Säften der mütterlichen Nahrung unterhalten, wobei er zu einer trockenen, miniaturhaften Gestalt des
Menschen heranwächst, bis schließlich die Schrift des Schöpfers, der den Menschen formte, jene
Ausdehnung der menschlichen Formation als Ganzes durchdringt, wie auch ein Handwerker sein erhabenes Gefäß herausformt.“ (ibid p 125).
Diese Anschauung, nämlich dass weibliches und männliches Blut sich mischen müsse um neues Leben zu zeugen, geht auf die Epikureer zurück, die etwa zeitgleich mit
Aristoteles erstmal auch die Rolle der Frau bei der Entstehung neuen Lebens postuliert haben. Was Hildegard von Bingen jedoch nicht vermerkt, ist die Ansicht dieser
Philosophenschule, dass durch Geschlechtsverkehr in der Frühschwangerschaft
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wiederholt Sperma sich mit den Säften der Mutter mischen muss, um damit den
Embryo zu nähren und zu entwickeln (Needham 1959).
Diese Vorstellung ist jedoch bei den Völkern der Sahel Zone, die schon seit langem
in Kontakt mit der großteils auf antiken Traditionen aufbauenden arabischen Medizin
standen, fest verankert. Von den Samo in Burkina Faso gibt es ethnographische Berichte zur Zeugung und Menschwerdung, die überraschend genau mit den antiken
Theorien übereinstimmen (Hértier-Augé 1989). Ebenso wird dort, im Gegensatz zu Hildgard von Bingen, der wiederholte Geschlechtsverkehr in den ersten sieben Lunarmonaten gefordert, um den Fötus und insbesondere sein Blut zu entwickeln. Auch bei
den Seereer im Senegal habe ich bei eigenen Forschungen ein ähnliches Konzept
aufzeichnen können.
Wie sich ein vollkommen anderes embodiment antiker Vorstellungen vom Herzen
und seinen Aufgaben und Beziehungen im Körper entwickeln kann, soll folgendes
Beispiel zeigen. Gemäß des Postulates Galen’s wird der „beseelte Geist“ (pneuma
psychikon), in der linken Herzkammer gebildet und von dort in die Hirnhohlräume
transportiert, um das Gehirn zu beseelen. In der iranischen Volksvorstellung wird
diese Verbindung zwischen Herz, Hirn und bis zu einer gestörten Lebenssituation in
Beziehung gebracht. Dieses kulturgebundene Syndrom (siehe Block 6, Thema 8)
wird im Iran als „Herzkummer“ (narahatiye qalb) bezeichnet. Die Leute sprechen untereinander häufig über dieses Problem, um sich dabei gleichzeitig den Puls zu fühlen. In einer Fallbeschreibung von Byron Good (1977) wird dieses embodiment des
Herzkummers verdeutlicht (dt. Übersetzung aus Löwe & Lux 1999):
Frau Z. ist 27 Jahre alt, verheiratet und hat fünf Kinder. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann und
ihren Kindern in einem Zimmer im Haus des Schwiegervaters. Das Nachbarzimmer wird von der
Schwiegermutter und den beiden unverheirateten Schwägerinnen bewohnt. Umgeben ist das Haus
von einer viereinhalb Meter hohen Mauer. Die Ausgaben betragen etwa 200 DM im Monat. Diese werden vom Einkommen des Ehemannes und dem zusätzlichen geringen Verdienst der Schwägerin, die
als Näherin beschäftigt ist, bestritten. Frau Z. besuchte nie eine Schule, ist Analphabetin und spricht
nicht die Landessprache Farsi. Möchte sie auf dem Markt einkaufen, so muss sie ihr Ehemann oder
eine ihrer Schwägerinnen begleiten. Einmal pro Woche besucht sie ihre Eltern, die ärmer sind als sie,
und putzt ihnen das Haus. Sie hat wenig Gelegenheit das Haus ihres Mannes zu verlassen, außer zu
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Hochzeiten, Beerdigungen oder zum Besuch eines Arztes oder einer Sprechstunde im Basisgesundheitszentrum (public health clinic). Den größten Teil ihrer Zeit verbringt Frau Z. zusammen mit ihren
Kindern und den Frauen der Familie ihres Mannes. Frau Z. klagt über Herzkummer, der sich für sie
durch Schwäche, Blutarmut, geringes Körpergewicht, Herzklopfen, schwache Nerven und ein Gefühl,
dass ihr Herz zusammendrückt wird, äußert. Charakteristisches Symptom ihrer Leidensgeschichte ist
ein Schreien, welches sie selbst auf den Umstand zurückführt, dass sie schon 27 Jahre alt ist, fünf
Kinder hat und immer noch im Haus der Schwiegermutter lebt, die auch der Haushaltsvorstand ist.
Allwöchentlich kommt es zu Auseinandersetzungen mit der Schwiegermutter, die von schrillem
Schreien und Weinen begleitet auf der Straße hörbar sind. Die Tatsache, daß der Streit und die Stimme der Frau nicht auf der Straße erhoben werden darf, ist Grund genug, die Familie in Verlegenheit zu
bringen. Da Frau Z. kein weiteres Kind mehr will, hat sie auf Anraten mehrerer Nachbarinnen die Antibabypille genommen. Dabei, so gibt sie an, bekam sie Herzklopfen und schwache Nerven. Frau Z.
nahm die komplette Dosis einer Monatspackung ein, in der Annahme ihren Fötus somit abzutreiben.
Sie dachte, die Antibabypille wäre für den Abort und die Verhütung einer Schwangerschaft. Gegen
Schwäche und Herzkummer nahm Frau Z. anfangs eine Kräutermedizin ein. Sie besuchte auch einen
Arzt, der ihr ein Vitamin-B-Aufbaumittel verschrieb. Ihren Zustand führt sie auf die hohe Kinderanzahl,
die schlechten Lebensumstände, die Armut ihrer Eltern, die chronische Erkrankung ihres Bruders,
sowie auf die Einnahme der Antibabypille zurück. Unter diesen Beeinträchtigungen leidet sie weiter,
wie auch unter ihrem Herzkummer.
Die Renaissance: Wegbereiter für die moderne Medizin
Nach einem Stillstand, ja sogar Rückschritt, in den anatomischen und physiologischen Ideen im frühen Mittelalter, beginnen sich im 12. und 13. Jahrhundert christliche Gelehrte sich mit den antiken Schriften zu beschäftigen. Ermöglicht wurde dies
durch deren Rückübersetzungen aus dem Arabischen, vor allem durch den arabischstämmigen Mönch CONSTANTINUS AFRICANUS (ca. 1010-1087), der in dem berühmten süditalienischen Kloster Monte Cassino wirkte. Es waren dann vor allem die
Scholastiker wie der deutsche Philosoph und Heilige ALBERTUS MAGNUS (ca.
1193-1280) und der Philosoph THOMAS von AQUIN (ca. 1225-1274), die die alten
Schriften in Einklang mit den herrschenden Dogmen der katholischen Kirche brachten. Trotzdem bereiteten sie auch den Weg für die Wissenschaftler und Künstler der
Renaissance. Damals war auch die Zeit der Gründungen der großen Universitäten
Europas (Bologna 1119, Paris 1200, Oxford 1249 und Prag – als erste deutsche Universität – 1348, Wien 1365).
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Die in Italien einsetzende Emanzipation der Wissenschaften vom Gängelband der
Theologie führte zum Grundstein für die moderne Anatomie und Physiologie. Besonders zwei Gelehrte haben sich für diese Entwicklung verdient gemacht - LEONARDO
DA VINCI (1452-1519), mit seinen anatomischen und physiologischen Zeichnungen,
und der flämische Anatom und Professor in Padua ANDREAS VESALIUS (15141564). Sein Bruder Franziscus studierte in Wien Medizin und wurde während der
großen Pestepidemie 1552 zum „Magister Sanitatis“ damit zum Pestdoktor ernannt,
eine „Ehrung“, der er noch im selben Jahr erlag (Prinz 1991). Die folgende Abbildung
zeigt deutlich wie rasant sich das Wissen um den Körper nach dem langen Stillstand
in nur 200 Jahren verändert hat.
Abb.3: Link Skelettdarstellung aus dem 14.Jhdt.
rechts Skelettaus dem Werk De De humani corporis fabrica, Basel 1543
(aus: Rothschuh 1973)
Trotz seiner hervorragenden anatomischen Kenntnisse glaubte Vesalius in Anlehnung an Galen noch immer, dass die Venen das dicke Blut zur Versorgung zu den
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Organen bringt und in den Arterien mit dem dünnen Blut nur der Lebensgeist (pneu-
ma zooticon) verteilt wird.
Abb.4: Venendruckversuch von Harvey
(aus: Harvey 1766 [1639], Josephinische Bibliothek, Wien)
Erst 100 Jahre später konnte WILLIAM HARVEY (1578-1657) durch anatomische
Studien und klinische Versuche, wie seinem berühmten Venendruckversuch, die Natur des Körper- und Lungenkreislaufes endgültig klären.
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Resumee
Mit dem Werk Galen’s war die Basis für ein embodiment der Vorstellung über Herz
und Kreislauf sowie Blut und Gefäße in der Bevölkerung Europa’s geschaffen, das
bis heute in uns präsent ist. Das Herz als Zentrum des Lebens und als Sitz von Seele
und charakterlichen Eigenschaften des Menschen wird dokumentiert in Ausdrücken
wie „es bricht mir das Herz“, „an Herzleid gestorben“, „er hat ein gutes Herz“. Blut
und Gefäße werden als Versorgungsstrukturen für den Körper gesehen, die mit Sorgfalt von zerstörerischen Substanzen freigehalten werden müssen. Insbesondere das
schlechte, „stöckige“ und schwarze venöse Blut muss demnach von Zeit zu Zeit gereinigt werden, es muss eine „Blutreinigung“ vorgenommen und „Schlacken“ ausgeleitet werden. Letztendlich werden Herzschlag und Puls als Zeichen unserer Befindlichkeit gedeutet, dessen Störung als höchst bedrohlich empfunden wird und zu Aussprüchen führt wie „mir bleibt das Herz stehen“, „das Herz schlägt mir bis zum Halse“, „ich habe solches Herzklopfen“ usw. Viele Patienten sehen sich mit diesen Vorstellungen und Ängsten alleine gelassen, insbesondere wenn der moderne Mediziner
etwa auf die ängstliche Feststellung des Patienten „Ich habe solches Herzklopfen“
schnoddrig antwortet (wie ich in meiner Turnuszeit von einem Primararzt mithören
musste) „Seien sie doch froh, wenn es nicht schlagen würde ginge es Ihnen noch
schlechter!“ Diesem Unverständnis manches wissenschaftlich gebildeten Arztes dem
embodiment in seinem Patienten gegenüber, ist es wohl mit zuzuschreiben, dass
komplimentäre Methoden häufig vorgezogen werden, weil viele von diesen im wesentlichen noch den alten galenischen Ideen über die Funktionsweise des Körpers
folgen und somit dem Körpergefühl ihrer Klienten entgegenkommen.
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Literatur
CSORDAS, Thomas J. (1994): The sacred self. A cultural phenomenology of charismatic healing. Univ. of California Press, Berkeley, Los Angeles, London.
EVES, Richard (1998): The magical body. Power, fame and meaning in a Melanesian
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HÉRITIER-AUGÉ, Françoise (1989): Semen and blood: Some ancient theories concerning their genesis and relationship. In: Feher, Naddaff & Tazi (Hrsg.) Fragments of
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LÖWE, Ulrike & Thomas LUX (1999): Zur Entwicklung des Begriffes semantisches
Netzwerk. Eine Studie über Herzunruhe in Persien. In: T.Lux (Hrsg.): Krankheit als
semantisches Netzwerk. Ein Modell zur Analyse der Kulturabhängigkeit von Krankheit,VWB, Berlin, 23-45.
MEYER, Philippe & Patrick TRIADOU (1996): Leçons d’histoire de la pensée médicale. Sciences humaines et sociales en médecine. Odile Jacob, Paris
NEEDHAM, Joseph (1959): A history of Embryology. Cambridge University Press.
PRINZ, Armin (1991): Message du recteur de l’universite de Vienne à l’académie
royale de médecine de Belgique à l’occasion de la célébration de son cent cinquantième anniversaire. Manuskript
ROTHSCHUH, Karl E. (1973): History of Physiology. Robert Krieger, Huntington,
New York.
RULLIÈRE, Roger (1980): Die Kardiologie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. In:
Sournia, Poulet & Martiny (Hrsg.) Illustrierte Geschichte der Medizin. Bearbeitung der
deutschen Übersetzung durch Troellner , R. & Eckart, W. Andreas & Andreas, Salzburg.
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