Ulrich Blum Aktuelle Trends: Starke Zunahme der IWH-Publikationstätigkeit (S. 291) Udo Ludwig, Franziska Exß Aktuelle Trends: IWH-Konjunkturbarometer Ostdeutschland (S. 292) Ulrich Blum, Oliver Holtemöller Kommentar: Eine europäische Wirtschaftsregierung löst die Schuldenprobleme nicht (S. 293) Claus Michelsen, Sebastian Rosenschon, Christian Schulz Im Fokus: Im Osten nichts Neues – Ergebnisse des ista-IWH-Energieeffizienzindex – Im Jahr 2010 ist der Energiebedarf von Mehrfamilienhäusern bundesweit um rund 2,3% gegenüber dem Vorjahr gesunken. Im Osten stagnieren die Werte auf einem Niveau unterhalb des Bundesdurchschnitts. (S. 294) Arbeitskreis Konjunktur des IWH, Kiel Economics Konjunktur aktuell: Schulden- und Vertrauenskrise bringt Rezessionsgefahr nach Deutschland Das reale Bruttoinlandsprodukt wird im Jahr 2012 nur noch um 0,8% steigen, nach 3,0% im laufenden Jahr. Die Zahl der Erwerbstätigen erreicht Ende 2012 dennoch einen historischen Höchststand. (S. 298) Martina Kämpfe, Götz Zeddies Komparative Vorteile im Handel Deutschlands mit Osteuropa gering Der Handel Deutschlands mit den östlichen EU-Ländern ist größtenteils intraindustriell. Weder Ost- noch Westdeutschland verfügen über ausgeprägte komparative Vorteile bei kapital- und humankapitalintensiven Gütern. (S. 329) Cornelia Lang IWH-Industrieumfrage im Juli 2011: Konsumgüterproduzenten erwarten für das zweite Halbjahr stärkere konjunkturelle Impulse (S. 338) Brigitte Loose IWH-Bauumfrage im August 2011: Stimmungshoch überschritten (S. 340) Institut für Wirtschaftsforschung Halle Wirtschaft im Wandel Oliver Holtemöller Editorial 9/2011 29.09.2011, 17. Jahrgang Editorial Ein Sprich hwort besagt, 50 Prozent der Wirtschaft seien Pssychologie. Gegenwärtig erfah hren wir, dass dies noch untertrieben sein könnte. W Wichtige Stimmungsindikatoren n sind in jüngster Zeit gekippt und zeigen nun einne Verschlechterung der Erwarttungen für die kommenden Monate an. Auch die erhöhte Schwankungsinten nsität der Börsenkurse deutet darauf hin, dass bei dden Menschen eine enorme Veerunsicherung über die weitere wirtschaftliche Enntwicklung besteht. Wissenschaaftliche Studien zeigen, dass diese Unsicherheit alls Vorbote einer erneuten Rezzession gelten kann. In unsicheren Zeiten halten sich Konsumenten, Investoren und Arbeitgeber zurück und verschieben größeere Entscheidungen oder sparen n aus Vorsichtsgründen. Hinzu kommt, dass in einnigen fortgeschrittenen Volksw wirtschaften restriktive finanzpolitische Maßnahm men angesichts der Schuldenprrobleme unabdingbar sind. Die gesamtwirtschaftlicche Nachfrage wird durch diesee Effekte gedämpft, und sowohl der Euroraum aals Ganzes als auch Deutschlan nd stehen vor einer Rezession im Winterhalbjahr. Nun spricht gegenwärtig noch h wenig dafür, dass sich die Lage so dramatisch zuspitzt wie in der „Großen Rezession“ R 2008/2009. Aber es gibt Parallelen – so ist etwa das Vertrauen in die d ausreichende Kapitalisierung vieler Banken in Europa ähnlich erschüttert wie w zur Zeit der Lehman-Insolvenz. In dieser heiklen h Lage kommt der Wirtschaftspolitik eine herausragende Bedeutung zu u. Doch weder die Bundesregierung noch die V Verantwortlichen im Euroraum tragen t gegenwärtig viel zur Vertrauensbildung bei.. Es wäre allerdings verfehlt, nu ur der Politik den schwarzen Peter zuzuschieben. Ökonomische Stabilität kann n nicht durch Gesetze erzwungen werden. Ein vernnünftiger Ordnungsrahmen istt zwar notwendig, aber nicht hinreichend für sttabile Verhältnisse. Denn Instiitutionen, also Gesetze und Normen, funktionieeren nur, wenn die Menschen keine Anreize haben, sie zu verletzen. In der R Regel verhalten sich P bei der Gesetzgebung so, dass ihre Wiedeerwahlchancen hingewählte Politiker reichend ho och sind. Der gesetzliche Rahmen für die staatlichhe Neuverschuldung und die Hö öhe der öffentlichen Verschuldung dürften in einer Demokratie also den Präfereenzen der Mehrheit des Volkes entsprechen. Werr ökonomische Stabilität gegeenüber Schuldenkrisen präferiert, muss sich selbsst daher mit Rufen nach schulldenfinanzierten (vermeintlichen) Wohltaten zurüückhalten – das gilt übrigens au uch für die Forderung nach neuen kreditfinanzierrten Konjunkturpaketen. Oliver Holtemöller Leiter der Abteiluung Makroökonomik 290 Wirtschaft im Wa andel, Jg. 17 (9), 2011 Aktuelle Trends Starke Zunahme der IWH-Publikationstätigkeit - Anzahl der Aufsätze von IWH-Wissenschaftlern in referierten Fachzeitschriften, 2000 bis 2012* 35 30 veröffentlichte referierte Publikationen 30 25 zur Veröffentlichung angenommene referierte Publikationen ("Pipeline") 20 17 15 12 24 22 15 15 12 9 10 5 22 3 3 3 2 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 * 2011 und 2012: Stand September 2011. Quelle: Berechnungen und Darstellung des IWH. Üblicherweise analysiert das IWH an dieser Stelle Trends der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Heute sollen die Forschungsdynamik des Instituts und die wirtschaftspolitische Präsenz in den Medien thematisiert werden. Beides sind zentrale Aufgaben des IWH, die in der Satzung festgeschrieben sind: „Zweck des Vereins ist die wirtschaftswissenschaftliche Forschung sowie die wirtschaftspolitische Beratung auf wissenschaftlicher Basis.“ Zwei Erfolgsindikatoren werden exemplarisch herausgegriffen, die ein hohes Maß an Plausibilität besitzen und extern überprüft werden können: wissenschaftliche Veröffentlichungsleistung und Medienpräsenz. Ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau steigt ab dem Jahr 2003 die Publikationsleistung des IWH, gemessen an Veröffentlichungen in Zeitschriften mit institutionalisiertem Begutachtungsverfahren, stetig (vgl. Abbildung). Der Einbruch des Jahres 2006 ist der Umstrukturierung des Vorjahres, mit welcher die Vorgaben aus der Evaluierung 1999 nach dem Präsidentenwechsel im Herbst 2004 umgesetzt wurden, geschuldet. Seitdem ist der Aufwärtstrend ungebrochen, und dessen Stabilität wird durch die aktuellen Zahlen belegt: Die Säule des noch nicht abgeschlossenen Jahres 2011 enthält die – Stand September – bereits veröffentlichten Arbeiten und diejenigen, welche angenommen sind und im Veröffentlichungsprozess stehen („Pipeline“). Ein erheblicher Teil wird noch für das Jahr 2011 zu Buche schlagen, erfahrungsgemäß sind dies rund 50%. Für das Jahr 2011 sind dann insgesamt voraussichtlich rund 30 Beiträge zu zählen. Die restlichen Publikationen sind dem Jahr 2012 oder späteren Jahren zuzurechnen. Diese Ergebnisse entsprechen denen anderer Wirtschaftsforschungsinstitute ähnlicher Struktur, auch im Hinblick auf die so genannten Impact-Faktoren, die die wissenschaftliche Wertigkeit der einzelnen Publikation erfassen. Ist Forschung für die Wirtschaftspolitik relevant? Viele Beiträge zur wirtschaftspolitischen Beratung finden in Gremien, Parlamentsausschüssen oder mittels Gutachten statt. Mit relevanten Ergebnissen gelingt es, in die wirtschaftspolitische Diskussion vorzudringen. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (iw) lässt die Medienpräsenz der großen deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute regelmäßig für seinen Geschäftsbericht erheben. 14 Kriterien, beispielsweise bestimmte Gebiete der Wirtschaftspolitik (Finanzpolitik oder Konjunkturindikatoren), werden zugrunde gelegt. Für die Zeit von Juli 2009 bis Ende Juni 2010 wurden 5 651 Berichte in 37 Medien (überregionale Zeitungen und Fernsehen) ausgewertet. Das Ergebnis zeigt die dominante Stellung des IWH. Dazu führen die Verfasser aus: „Mit einer guten Positionierung des Präsidenten, einem breiten Themengebiet und einer breit wahrgenommenen Resonanz ließ das IWH seine Wettbewerber hinter sich.“a Ulrich Blum ([email protected]) a Media Tenor International AG: Media Tenor Award 2010: Economic Think Tanks. Zürich 2010. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 291 Aktuelle Trends IWH-Konjunkturbarometer Ostdeutschland* Produktionsschwung vom Jahresbeginn war nicht zu halten Reales Bruttoinlandsprodukt in Mio. Euro und Veränderung gegenüber Vorquartal in % - Verkettete Volumenangaben, kalender- und saisonbereinigter Verlauf Mio. Euro % 1,8 67 000 2,0 1,5 66 500 0,8 1,1 66 000 1,5 1,0 65 500 0,5 0,1 0,0 65 000 64 500 -0,1 -0,2 -0,5 -0,2 64 000 Vorschau 63 500 -1,0 -1,5 4. Qu. 1. Qu. 2010 2. Qu. 3. Qu. 4. Qu. 1. Qu. 2011 2. Qu. 3. Qu. Quellen: Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder“; Vierteljährliche VGR des IWH für Ostdeutschland, Stand September 2011; Darstellung des IWH. Das nach dem Schub zu Beginn dieses Jahres erreichte hohe Produktionsniveau konnte die ostdeutsche Wirtschaft in den Monaten April bis Juni nicht halten. Sowohl die Industrie als auch die Bauwirtschaft mussten nach dem Auslaufen der Sondereffekte Rückschläge hinnehmen. Das Bruttoinlandsprodukt ging gegenüber dem ersten Quartal kalenderund saisonbereinigt geringfügig um 0,2% zurück. In Deutschland insgesamt stieg es dagegen um 0,1%. Das Produktionsniveau vor der Krise wurde in der ostdeutschen Wirtschaft weiterhin knapp verfehlt. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum beläuft sich der Zuwachs im zweiten Quartal auf 4,8%, im gesamten ersten Halbjahr auf rund 3%. Die Industrie hat die kräftigen Auftragszugänge im Winterhalbjahr im zweiten Quartal nicht in entsprechende Produktionszuwächse umsetzen können. Die Produktion ist nach Ausschluss der Kalender- und Saisoneffekte geringfügig gesunken und damit hinter die Dynamik in Westdeutschland zurückgefallen. Ausschlaggebend war der Rückgang im weitaus größten Industriesegment, der Produktion von Vorleistungsgütern, für alle Absatzrichtungen, das Inland und das Ausland. Dagegen hielt die Aufwärtsentwicklung bei der Produktion von Investitionsgütern und Konsumgütern an, wenngleich in deutlich abgeschwächter Form gegenüber dem ersten Quartal. Getrieben wurde die Entwicklung erneut vom Absatz im Ausland. In der Bauwirtschaft hat sich in den Monaten April bis Juni nach dem sprunghaften Aufholen der witterungsbedingten Produktionsausfälle die schwächere, aber aufwärtsgerichtete konjunkturelle Grundtendenz wieder durchgesetzt. Das günstige Investitionsklima hat die gewerblichen Investoren und die privaten Haushalte zu Bauaktivitäten ermuntert. Die Schwäche in Industrie und Baugewerbe wurde von den Dienstleistern nicht aufgewogen. Zwar legten der Handel und Verkehr sowie das unternehmensnahe Dienstleistungsgewerbe zu, die Bereiche öffentliche Verwaltung, Erziehung und Unterricht schwächelten jedoch im Zusammenhang mit den fortgesetzten Konsolidierungsbemühungen der öffentlichen Hände. Lediglich die Expansion der Gesundheitsund Pflegedienste setzte sich fort. Für das dritte Vierteljahr 2011 deuten die vorlaufenden Indikatoren nach ersten Schätzungen des IWH auf eine Zunahme des Bruttoinlandsproduktes hin. Die Auftragseingänge in der Industrie waren zwar zuletzt rückläufig. Die vom IWH regelmäßig befragten Industrieunternehmen blicken jedoch mit viel Zuversicht in das zweite Halbjahr. Im Bauhauptgewerbe sprechen die Baugenehmigungen und die Auftragseingänge für eine abflachende Dynamik der Produktion; die Bauumfrage des IWH signalisiert eine leichte Eintrübung der Geschäfte im weiteren Jahresverlauf. Udo Ludwig ([email protected] ), Franziska Exß ([email protected]) Das Statistische Bundesamt hat im Zuge der großen Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen mit der aktuellen Veröffentlichung die Vierteljahresergebnisse für Deutschland auf die neue Wirtschaftszweigsystematik (WZ 2008) umgestellt. Für die Bundesländer sowie die Großräume Ost- und Westdeutschland steht dieser Schritt noch bevor. Damit mangelt es dem Stützbereich für regionale Prognosen, die an die Entstehungsseite des Bruttoinlandsproduktes anknüpfen, vorübergehend an Konsistenz mit den deutschen Eckgrößen. Regionale Prognosen sind damit noch unsicherer als bei den sonst üblichen jährlichen Datenrevisionen. – * Zur Berechnung des IWH-Konjunkturbarometers für Ostdeutschland siehe IWH, Wirtschaft im Wandel, Jg. 9 (16), 471 f. 292 Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Kommentar: Eine europäische Wirtschaftsregierung löst die Schuldenprobleme nicht Am 16. August 2011 haben die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy unter der Bezeichnung „europäische Wirtschaftsregierung“ mehr zentrale Wirtschaftsplanung und Wirtschaftslenkung vorgeschlagen und bekräftigt, dass sie eine Finanztransaktionssteuer durchsetzen wollen. Sie erhofften sich davon, die Schuldenkrise Europas zu lösen und so die Finanzmärkte zu beruhigen. Dies ist jedoch nicht gelungen. Das übergeordnete wirtschaftspolitische Ziel muss gegenwärtig die makroökonomische Stabilisierung sein, weil stabile Rahmenbedingungen die Voraussetzung für die Zuversicht der Unternehmen, Haushalte und Finanzmarktakteure darstellen. Die Vorschläge von Merkel und Sarkozy tragen nicht zur Stabilisierung bei, weil sie vor dem Hintergrund, dass in der Vergangenheit wichtige Stabilitätskriterien missachtet wurden, wenig glaubwürdig sind. Warum denken Merkel und Sarkozy gut 20 Jahre nach dem Scheitern der Zentralplanung, dass mehr Zentralismus in Gestalt einer demokratisch nicht ohne Weiteres legitimierten Wirtschaftsregierung die gegenwärtigen Probleme Europas lösen könnte? Wie soll eine Finanzmarkttransaktionssteuer eine ökonomisch sinnvolle Lenkungswirkung entfalten? Sie würde zwar fiskalische Lücken zu schließen helfen und das Transaktionsvolumen senken, es darf jedoch bezweifelt werden, dass dadurch „bessere“ Finanzmarktpreise zutage gefördert werden. Tatsächlich sind die Ursachen der Schuldenprobleme in den Euroländern durchaus unterschiedlich, was einen differenzierten Ansatz nahelegt: Griechenland und Portugal haben schlichtweg über ihre Verhältnisse gelebt; in Griechenland kommen noch unlautere statistische Praktiken hinzu. Irland ist Opfer von Fehlinvestitionen in überdimensionierte Immobilien- und Finanzsektoren geworden. In Spanien sind strukturelle Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt sowie die private Verschuldung die wichtigsten Probleme, und Italien hat mit Vertrauensverlusten an den Finanzmärkten zu kämpfen, weil die Verschuldung des Staates ebenso hoch wie die Wachstumsdynamik gering ist und daran gezweifelt wird, dass Strukturreformen tatsächlich in Angriff genommen werden. In diesen Ländern existiert ein enormer – aber sehr unterschiedlicher – institutioneller Veränderungsbedarf. Warum sollten die Brüsseler Zentrale oder eine Runde von Staats- und Regierungschefs diese dezentralen Probleme besser lösen können als nationale Regierungen? Und wenn Druck von außen notwendig ist, um Reformen voranzutreiben, warum sollen nach Risiko und Tragfähigkeit differenzierende Zinsen des Kapitalmarktes dies nicht besser leisten? Die vielfach geforderten Euro-Bonds wurden von Merkel und Sarkozy abgelehnt. Das ist gut so. Sie könnten zwar eine Entlastung für diejenigen Länder bringen, die akute Finanzierungsprobleme haben. Aber es würde sich ein Missverhältnis zwischen demokratischer Legitimation und finanzpolitischen Entscheidungen einstellen. Entscheidend ist, dass Europa die Grundprinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die unseren Wohlstand begründen, wieder stärkt. Ein wichtiges Prinzip ist institutionelle Kongruenz: Der Kreis der Nutznießer, der Kreis der Entscheidungsträger und der Kreis der Steuerzahler sollten sich decken, um einen effizienten Umgang mit Ressourcen zu fördern. Institutionelle Kongruenz allein reicht natürlich nicht; hinzukommen muss noch die Einheit von Nutzen und Schaden – d. h., Entscheidungsträger und Nutznießer sollten die Konsequenzen ihres Handelns tragen, auch wenn das die Insolvenz eines Staates bedeutet. Makroökonomische Überwachung in Form systematischer und gemeinsamer Auswertung makroökonomischer Entwicklungen ist dann eine sinnvolle Ergänzung. Aber eine europäische Wirtschaftsregierung würde die institutionellen Probleme nicht lösen. Da sie jedoch von der Politik mit diesem Versprechen verknüpft wird, ist die Enttäuschung der Menschen vorprogrammiert und damit auch eine zunehmende Unzufriedenheit mit dem wichtigen Projekt der europäischen Integration. Das kann niemand wollen. Ulrich Blum ([email protected]), Oliver Holtemöller ([email protected]) Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 293 IWH, Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011, S. 294-297 Im Fokus: Im Osten nichts Neues – Ergebnisse des ista-IWH-Energieeffizienzindex – Claus Michelsen, Sebastian Rosenschon, Christian Schulz Deutschlands Mehrfamilienhäuser verbrauchen immer weniger Energie. Dies ist das Ergebnis des ista-IWHEnergieeffizienzindex für die Abrechnungsperiode 2010. Gegenüber der Vorperiode ist der Energiebedarf für Raumwärme bundesweit um rund 2,3% zurückgegangen. Im Fünfjahresvergleich ist dies leicht unterdurchschnittlich: Im Mittel betrug der Rückgang rund 2,4% seit 2005. Dennoch ist der Energieverbrauch mit rund 131,1 Kilowattstunden je Quadratmeter Wohnfläche im Jahr nach wie vor deutlich von dem von der Bundesregierung formulierten Ziel – einer Reduktion des Energieverbrauches von Immobilien um 80% bis 2050 – entfernt. Das räumliche Muster der durchschnittlichen Energiekennwerte verändert sich insgesamt nur sehr langsam. Tendenziell ist eine Angleichung zwischen den Neuen und den Alten Ländern zu beobachteten. Im Osten stagnieren die Energiekennwerte auf einem Niveau unterhalb des Bundesdurchschnitts, im Westen sinken sie in den meisten Regionen. Eine höhere Dynamik geht dabei insbesondere von den Regionen im Süden Deutschlands aus. Ansprechpartner: Claus Michelsen ([email protected]) JEL-Klassifikation: R31, D21 Schlagwörter: ista-IWH-Energieeffizienzindex, Energieeffizienz, Mehrfamilienhäuser, Raumordnungsregionen Mit dem Klimakonzept der Bundesregierung und der Neuausrichtung der Energiepolitik genießt die Energieeffizienz von Immobilien in noch nie dagewesenem Maße die Aufmerksamkeit politischer Entscheidungsträger. Allerdings wird die energetische Sanierung des Immobilienbestandes nicht erst seit dem vergangenen Jahr in größerem Umfang gefördert bzw. ordnungsrechtlich forciert: Die Einführung der ersten Wärmeschutzverordnung im Jahr 1978 markiert den Beginn ernsthafter Bemühungen um mehr Energieeffizienz von Gebäuden. Trotz des vergleichsweise langen Bestehens entsprechender Regulierungen variieren die tatsächlichen Verbräuche, und damit im Wesentlichen auch die Energieeffizienz des Gebäudebestandes, nach wie vor erheblich im regionalen Vergleich. In der Literatur werden für diese unterschiedlichen Entwick294 lungen vielfältige Gründe angeführt. Beispielsweise betrachten zahlreiche Studien den Zusammenhang zwischen baustrukturellen Gegebenheiten und den daraus resultierenden energetischen Eigenschaften.1 Weitere Studien betonen die regionalen Unterschiede in der Investitionsneigung von Immobilieneigentümern, die sich auf Unterschiede in den regionalen Marktbedingungen zurückführen lassen.2 Andere wiederum betrachten individuelle Entscheidungen von Investoren für bestimmte Technologien und deren Auswirkungen auf die Energieeffizienz von Gebäuden.3 Der ista-IWH-Energieeffizienzindex dient der fortlaufenden Beobachtung durchschnittlicher Energiekennwerte auf Ebene der Raumordnungsregionen. Er gibt Auskunft über das Niveau und die Entwicklung des Heizenergie- 1 Vgl. bspw. Michelsen, C.; Müller- Michelsen, S.: Energieeffizienz im Altbau: Werden die Sanierungspotenziale überschätzt? Ergebnisse auf Grundlage des ista-IWH-Energieeffizienzindex, in: IWH, Wirtschaft im Wandel, Jg. 16 (9), 2010, 447-455, oder Greller, M. et al.: Universelle Energiekennwerte für Deutschland – Teil 2: Verbrauchskennzahlenentwicklung nach Baualtersklassen, in: Bauphysik, Bd. 32, 2010, 1-6. – Peréz-Lombard, L. et al.: A Review on Buildings Energy Consumption Information, in: Energy and Buildings, Vol. 40 (3), 2008, 394-398. 2 Vgl. grundlegend Arnott, R.; Davidson, R.; Pines, D.: Housing Quality, Main- tenance and Rehabilitation, in: The Review of Economic Studies, Vol. 50 (3), 1983, 467-494. – Capozza, D.; Helsley, R.: The Stochastic City, in: Journal of Urban Economics, Vol. 28 (2), 1990, 187-203. 3 Vgl. Claudy, M.: Beyond Economics: A Behavioural Approach to Energy Efficiency in Domestic Buildings, in: EuroAsian Journal of Sustainable Energy Development Policy, Vol. 1 (2), 2008, 27-40. – Mills, B.; Schleich, J.: Profits or Preferences? Assessing the Adoption of Residential Solar Thermal Technologies, in: Energy Policy, Vol. 37 (10), 2009, 4145-4154. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Karte 1: ista-IWH-Energieeffizienzindex 2009 und 2010 - Raumordnungsregionen; Bundesdurchschnitt 2007 = 100 - IWH Quelle: Darstellung des IWH auf Grundlage der ista-Verbrauchsdatenbank. bedarfs von Mehrfamilienhäusern auf Grundlage tatsächlich gemessener Energieverbräuche, die nach dem Verfahren VDI-3807 berechnet und mittels ortsgenauer Klimafaktoren des Deutschen Wetterdienstes (DWD) um klimatische und Witterungseinflüsse bereinigt werden.4 Der Index kann daher als Grundlage für weiterführende Untersuchungen im oben genannten Sinne dienen. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse für die Abrechnungsperiode 2010 präsentiert. 4 Zu den methodischen Grundlagen vgl. Michelsen, C.: Energieeffiziente Wohnimmobilien stehen im Osten und Süden der Republik: Ergebnisse des ista-IWHEnergieeffizienzindex, in: IWH, Wirtschaft im Wandel, Jg. 15 (9), 2009, 380-388, und das Onlineangebot unter www.iwh-halle.de/projects/2010/ista/ d/start.asp. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Regionale Disparitäten bleiben bestehen Der ista-IWH-Energieeffizienzindex für die Abrechnungsperiode 2010 zeigt, dass die bereits früher beobachteten räumlichen Disparitäten Bestand haben.5 Es sind weiterhin die Regionen im Osten sowie im Süden Deutschlands, welche einen – verglichen mit dem Bundesdurchschnitt – teilweise erheblich niedrigeren Energiebedarf aufweisen (vgl. Karte 1 sowie Tabelle 1). Angesichts der Langlebigkeit von Immobilien, beispielsweise einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von Mehrfamilienhäusern von rund 80 Jahren,6 wird sich dieses Muster auf 5 Vgl. Michelsen, C., a. a. O. 6 Vgl. Just, T.: Langfristige Trends für deutsche Büromärkte: Wie schwer wiegen die demografischen Entwicklungen?, in: Zeitschrift für Immobilienökonomie, Sonderausgabe 2008, 39-43. absehbare Zeit auch nicht verändern: dafür bedürfte es einer erheblichen Steigerung des Sanierungsaufwandes bzw. eines deutlich schnelleren Austausches des Immobilienbestandes in Regionen mit höheren Energiekennwerten. Sinkende Energiekennwerte im Westen Insgesamt sanken die durchschnittlichen Energiekennwerte seit 2005 bundesweit um rund 2,4% jährlich. Allerdings zeigt der Ost-WestVergleich, dass dies vor allem der Entwicklung in den Alten Ländern geschuldet ist. So sanken die Werte dort um durchschnittlich 2,7% pro Jahr, während in den Raumordnungsregionen der Neuen Länder ein Rückgang um lediglich knapp ein Prozent erreicht wurde (vgl. Tabelle 2). Die Niveauunterschiede der Energiekennwerte zwischen Ost- und Westdeutsch295 Tabelle 1: Top-10-Regionen (durchschnittliche Energiekennwerte) - nach Jahren, in kWh je m2 Wohnfläche; Veränderungen in % Energiekennwert Region* 2005 115,6 122,9 127,8 119,8 129,4 119,9 130,8 130,0 135,2 121,9 129,0 153,1 147,8 Allgäu (095) Landshut (092) Südostoberbayern (097) Mittelthüringen (054) Schwarzw.-Baar-Heuberg (076) Südthüringen (055) Oberland (096) Donau-Wald (091) Südlicher Oberrhein (077) Vorpommern (009) Neue Länder Alte Länder Deutschland insgesamt * 2010 101,6 105,9 108,3 110,4 110,7 110,7 110,8 111,1 111,3 111,5 122,8 133,6 131,1 Veränderung im Jahresdurchschnitt seit 2005 –2,6% –2,9% –3,2% –1,6% –3,1% –1,6% –3,3% –3,1% –3,8% –1,8% –0,97% –2,70% –2,36% In Klammern: Nummer der Raumordnungsregion. Quellen: Ergebnisse des ista-IWH-Energieeffizienzindex; Berechnungen des IWH auf Grundlage der ista-Verbrauchsdatenbank. Tabelle 2: Top-10-Regionen (Dynamik) - nach Jahren, in kWh je m2 Wohnfläche; Veränderungen in % Energiekennwert Region* 2005 135,2 135,9 164,7 143,0 130,8 127,8 151,4 159,8 157,0 132,6 129,0 153,1 147,8 Südlicher Oberrhein (077) Regensburg (090) Schleswig-Holstein Ost (004) Augsburg (088) Oberland (096) Südostoberbayern (097) Mittlerer Oberrhein (070) Starkenburg (052) Emscher-Lippe (040) München (093) Neue Länder Alte Länder Deutschland insgesamt * 2010 111,3 112,0 136,2 120,7 110,8 108,3 128,4 135,7 133,4 112,8 122,8 133,6 131,1 Veränderung im Jahresdurchschnitt seit 2005 –3,80% –3,79% –3,73% –3,34% –3,30% –3,20% –3,24% –3,22% –3,21% –3,19% –0,97% –2,70% –2,36% In Klammern: Nummer der Raumordnungsregion. Quellen: Ergebnisse des ista-IWH-Energieeffizienzindex; Berechnungen des IWH auf Grundlage der ista-Verbrauchsdatenbank. land gleichen sich demnach tendenziell an. Angesichts des relativ hohen Anteils in der Nachwendezeit sanierter Häuser und der nach wie vor geringen Neubauquote in Ostdeutschland ist diese Beobachtung wenig verwunderlich.7 7 Vgl. Michelsen, C.: Aktuelle Trends: Allerdings sind es keineswegs nur Regionen mit schlechten Ausgangswerten, die einen deutlichen Rückgang des Energiebedarfes verzeichnen. So lag beispielsweise der durchschnittliche Energiekennwert der Region Südlicher Oberrhein mit 135,2 kWh/m2 pro Jahr bereits im Jahr 2005 deutlich unter- Deutlicher Sanierungsvorsprung ostdeutscher Bestandsimmobilien, in: IWH, Wirtschaft im Wandel, Jg. 15 (9), 2009, 359, und Blum, U. et al.: Ostdeutschlands Transformation seit 1990 im Spiegel wirtschaftlicher und sozialer Indikatoren, 2. akt. u. verbess. Aufl., Halle (Saale) 2010, http://www.iwhhalle.de/d/publik/sh/dkompendium.pdf. 296 halb des Bundesdurchschnitts – dennoch ist dieser bis in das Jahr 2010 am stärksten gesunken. Ähnliches gilt für die Regionen Regensburg, Oberland, Südostoberbayern oder München. Von relativ hohem Ausgangsniveau starteten Schleswig-Holstein Ost, der Mittlere Oberrhein, Starkenburg und Emscher-Lippe, die im Jahr 2010 das durchschnittliche Niveau der Bundesrepublik erreichen konnten. Stagnation bzw. äußerst geringe Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Karte 2: Kreditzusagen und bewilligte Zuschüsse im Rahmen der KfWProgramme zur CO2-Minderung - Summe der Jahre 2002 bis 2008 in Euro je Einwohner - Dennoch wäre eine entsprechende Schlussfolgerung, die Förderung sei hier besonders erfolgreich verlaufen, verfrüht. Vielmehr ist die abgebildete Summe von Darlehens- bzw. Kreditzusagen und Zuschüssen in erster Linie als Indikator für eine generell vermehrte Bau- und Sanierungstätigkeit in den jeweiligen Regionen zu sehen. In welchem Umfang die Förderung zusätzliche Investitionen im Bereich der energetischen Ertüchtigung angestoßen hat, ist davon getrennt zu analysieren. Unter anderem ist dies eine Fragestellung des derzeit durchgeführten Projektes „Energetische Aufwertung und Stadtentwicklung“ (EASE), welches das IWH in Kooperation mit dem LeibnizInstitut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) Dresden und dem E.ON Energy Research Center an der RWTH Aachen bearbeitet. Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Veränderungen sind für weite Teile der ostdeutschen Raumordnungsregionen festzustellen. Karte 3: Veränderung der Energiekennwerte - Jahresdurchschnitt 2005 bis 2010 in % - Aufholprozesse als Ergebnis effektiver Förderpolitik? Die räumliche Verteilung der Fördermittel aus dem Bundesprogramm CO2-Gebäudesanierung legt den Schluss nahe, die beobachtbare Entwicklung sei das Ergebnis einer effektiven Förderpolitik. Sieben der zehn in Tabelle 2 geführten Regionen gehörten demnach zu den Top20-Fördermittelempfängern. Lediglich München, Emscher-Lippe und Starkenburg bezogen im bundesweiten Vergleich eine unterdurchschnittliche Förderung pro Kopf. Das räumliche Muster der Fördermittelvergabe entspricht dabei grundsätzlich den beobachteten räumlichen Trends des Energieeffizienzindex (vgl. Karte 2 und 3). Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 IWH Quellen: Ergebnisse des ista-IWH-Energieeffizienzindex; Berechnungen des IWH auf Grundlage der ista-Verbrauchsdatenbank; Darstellung des IWH. 297 IWH, Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011, 298-328 Konjunktur aktuell: Schulden- und Vertrauenskrise bringt Rezessionsgefahr nach Deutschland Arbeitskreis Konjunktur des IWH, Kiel Economics Drei Jahre nach dem Beginn der schwersten Rezession der Nachkriegsgeschichte steht die Wirtschaft des Euroraums vor einer erneuten Rezession; die Konjunktur in Deutschland gerät aller Wahrscheinlichkeit nach in eine Phase der Stagnation. Nach der hier vorgelegten Prognose wird die gesamtwirtschaftliche Produktion in Deutschland in beiden Quartalen des Winterhalbjahres 2011/2012 leicht sinken; die technische Bedingung für eine Rezession wäre damit auch hier erfüllt. Eine langsamere Gangart der Konjunktur ab dem zweiten Halbjahr 2011 war schon im Frühjahr weithin erwartet worden. In den vergangenen Wochen hat die Abschwächung jedoch eine neue Qualität bekommen. Die Aktienkurse sind rund um den Globus Tabelle: Gesamtwirtschaftliche Eckdaten der Prognose des IWH für Deutschland in massiv eingebrochen und zeigen deutlich erhöhte Schwankungen. den Jahren 2010 bis 2012 Gleichzeitig haben sich die Ver2010 2011 2012 reale Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % trauensindikatoren weltweit stark verschlechtert, zuletzt insbesondere private Konsumausgaben 0,6 1,3 1,0 auch in Deutschland. Der VertrauStaatskonsum 1,7 0,9 1,2 ensverlust setzte ein, während in Anlageinvestitionen 5,5 7,3 2,6 Ausrüstungen 10,5 9,5 3,7 den USA um die Ausweitung der Bauten 2,2 6,0 1,5 Obergrenze für Bundesschulden sonstige Anlagen 4,7 4,5 5,5 und in der Europäischen Union Inländische Verwendung 2,4 2,6 1,0 um ein neues Hilfspaket für GrieExporte 13,7 8,1 4,6 chenland sowie eine Reform des Importe 11,7 7,9 5,6 Rettungsfonds gerungen wurde. Die Bruttoinlandsprodukt 3,7 3,0 0,8 * Ende Juli ausgehandelten Komdar.: Ostdeutschland 2,0 2,3 0,8 promisse wurden weder diesseits nachrichtlich: USA 3,0 1,4 2,0 noch jenseits des Atlantiks als Euroraum 1,8 1,7 0,4 Befreiungsschläge aus den fiskalVeränderung gegenüber dem Vorjahr in % politischen Krisen aufgefasst und Arbeitsvolumen, geleistet 2,3 1,3 −0,3 Tariflöhne je Stunde 1,6 1,7 2,1 konnten deshalb die StimmungsEffektivlöhne je Stunde 0 3,2 2,6 einbrüche nicht aufhalten. StattLohnstückkostena −1,5 1,4 1,5 dessen hat sich die Situation im Verbraucherpreisindex 1,1 2,3 1,8 Euroraum in den vergangenen in 1 000 Personen Wochen weiter zugespitzt, weil an Erwerbstätige (Inland) 40 553 41 035 41 018 den Finanzmärkten Zweifel an der dar.: Ostdeutschland* 5 792 5 859 5 857 Zahlungsfähigkeit der großen Arbeitsloseb 3 238 3 047 2 991 Schuldenländer Spanien und vor dar.: Ostdeutschland* 780 726 718 allem Italien größer geworden sind. in % Zwar konnte die Europäische Zenc Arbeitslosenquote 7,4 6,9 6,8 tralbank eine deutliche Erhöhung * dar.: Ostdeutschland 11,9 11,0 10,9 der Risikoaufschläge italienischer in % zum nominalen BIP und spanischer Staatsanleihen durch Finanzierungssaldo des Staates −4,3 −0,9 −0,9 eine Ausweitung ihres Ankaufproa b c Berechnungen des IWH auf Stundenbasis. – Nationale Definition.– Arbeitslose in % der Ergramms verhindern, eine langfriswerbspersonen (Inland). – * Ohne Berlin. Quellen: Statistisches Bundesamt; Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Län- tige Lösung für die Schuldenproder“; Arbeitskreis „Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder“; Eurostat, Bureau blematik ist dies jedoch nicht. of Economic Analysis; ab 2011: eigene Schätzungen und Prognose (Stand: 13.09.2011). Dieser Beitrag wurde bereits als IWH-Pressemitteilung 37/2011 am 14. September 2011 veröffentlicht. 298 Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Für die Prognose ist unterstellt, dass sich die Lage an den Finanzmärkten wieder etwas entspannt. Unter dieser Annahme dürfte die Produktion in Deutschland im dritten Quartal 2011 zwar noch einmal kräftig zulegen (0,7%), dies signalisiert beispielsweise die gute Produktions- und Umsatzentwicklung. Vorlaufende Stimmungsindikatoren deuten jedoch darauf hin, dass sich die konjunkturelle Dynamik danach deutlich verlangsamen wird. Da sich noch immer keine Lösung der Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum abzeichnet, nimmt die Unsicherheit von privaten Konsumenten und Unternehmen zu. Sie dürften darauf mit einer gewissen Konsum- und Investitionszurückhaltung reagieren. Infolgedessen wird die Produktion in den beiden Quartalen des Winterhalbjahres wohl leicht – um jeweils 0,1% – zurückgehen. Im weiteren Jahresverlauf 2012 dürfte sich die Produktion dann mit der unterstellten langsamen Rückkehr des Vertrauens bei Unternehmen, privaten Haushalten und Finanzinvestoren zunächst stabilisieren, um in der zweiten Jahreshälfte wieder Fahrt aufzunehmen. Positive Impulse erhält die Konjunktur von den weiterhin sehr niedrigen Zinsen sowie einer aufwärtsgerichteten Produktion außerhalb des Euroraums. Auch nehmen die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte angesichts eines nur geringfügigen Beschäftigungsabbaus und abermals recht kräftig steigender Löhne weiter merklich zu. Im Jahresdurchschnitt wird das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2012 um 0,8% steigen, nach 3,0% im laufenden Jahr (vgl. Tabelle). Die Zahl der Erwerbstätigen bleibt jedoch hoch und ist Ende nächsten Jahres auf einem historischen Höchststand. Die Arbeitslosigkeit dürfte im Winterhalbjahr geringfügig zunehmen, danach aber wieder zurückgehen. Der Preisauftrieb beruhigt sich; die Verbraucherpreise werden im Jahr 2011 wohl um 2,3% und im Jahr 2012 um 1,8% steigen. Das nominale Bruttoinlandsprodukt dürfte um 3,5% im laufenden Jahr und um 2,1% im Jahr 2012 zunehmen. Die Defizitquote sinkt in diesem Jahr auf 0,9% in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt und verharrt trotz der konjunkturellen Abkühlung im kommenden Jahr wohl auf diesem Niveau. Das größte Risiko besteht in der derzeitigen Situation in einer dramatischen Zuspitzung der europäischen Staatsschuldenkrise. Derzeit scheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass die Institutionen, die derzeit noch die Stabilität der Finanzmärkte im Euroraum garantieren, nämlich die Europäische Zentralbank und der EuroRettungsschirm, wegen fehlender politischer Unterstützung aus den Mitgliedstaaten ihre Rolle nicht mehr erfüllen können und das europäische Finanzsystem erneut ins Wanken gerät. Dabei muss berücksichtigt werden, dass – anders als nach der Insolvenz von Lehman Brothers vor drei Jahren – viele Staaten eine Rekapitalisierung der nationalen Banken wohl nicht mehr leisten könnten, da die öffentlichen Haushalte bereits sehr stark angespannt sind. Eine Finanz- und Bankenkrise im Euroraum hätte gravierende Konsequenzen für Konjunktur und Wachstum. Ansprechpartner: Oliver Holtemöller ([email protected]) JEL-Klassifikation: E17, E27, E37, E50, E60 Schlagwörter: Konjunktur, Prognose, Finanzmärkte, öffentliche Finanzen, Geldpolitik, Finanzpolitik, Weltwirtschaft, Deutschland, Ostdeutschland, Arbeitsmarkt Überblick Drei Jahre nach dem Beginn der schwersten Rezession der Nachkriegsgeschichte steht die Wirtschaft des Euroraums vor einer erneuten Rezession; die Konjunktur in Deutschland gerät aller Wahrscheinlichkeit nach in eine Phase der Stagnation. Nach der hier vorgelegten Prognose wird die gesamtwirtschaftliche Produktion in beiden Quartalen des Winterhalbjahres 2011/2012 leicht sinken; die technische Bedingung für eine Rezession wäre damit auch hier erfüllt. Eine langsamere Gangart der Konjunktur ab dem zweiten Halbjahr 2011 war schon im Frühjahr weithin erwartet worden. Vielerorts waren die GeldWirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 politik und die Finanzpolitik, die die Konjunktur zuvor massiv angeregt hatten, gestrafft worden oder dies stand kurz davor. Zudem waren die Rohstoffund Nahrungsmittelpreise stark gestiegen, und die dadurch ausgelösten Kaufkraftverluste wurden nicht durch zusätzliche Ausgaben der Rohstoff- bzw. Nahrungsmittellieferanten ausgeglichen. Auch wurde insbesondere in den Schwellenländern der Preisauftrieb verstärkt, was die Notenbanken dort zu einer Straffung der Geldpolitik nötigte. Darüber hinaus waren dämpfende Impulse vom Lager- und Investitionszyklus zu erwarten. Im Frühjahr belastete dann die Katastrophe in Japan die Weltkonjunktur. Damit übereinstimmend deuten die vorlaufenden Indikatoren bereits seit dem Frühjahr 299 auf ein Nachlassen der Auftriebskräfte in der Weltwirtschaft hin. In den vergangenen Wochen hat die Abschwächung jedoch eine neue Qualität bekommen. Der seit August anhaltende Vertrauensverlust ist weitaus stärker, als die in den genannten Faktoren angelegte Verlangsamung der Weltkonjunktur anzeigen würde. So sind die Aktienkurse rund um den Globus massiv eingebrochen und zeigen seither deutlich erhöhte Schwankungen. Der DAX hat seit Ende Juni rund 30% und damit so viel verloren wie zuletzt im Herbst 2008, also direkt nach der Lehman-Insolvenz, und der Abwärtstrend scheint noch nicht gebrochen. Gleichzeitig haben sich die Vertrauensindikatoren weltweit stark verschlechtert, zuletzt insbesondere auch in Deutschland. Um 4,9 Indexpunkte sind die Geschäftserwartungen der Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft in Deutschland im August gesunken, so ausgeprägt wie – wiederum – im Oktober 2008.1 Der Vertrauensverlust setzte ein, während in den USA um die Ausweitung der Obergrenze für Bundesschulden und in der Europäischen Union (EU) um ein neues Hilfspaket für Griechenland sowie eine Reform des Rettungsfonds gerungen wurde. Die Ende Juli ausgehandelten Kompromisse wurden weder diesseits noch jenseits des Atlantiks als Befreiungsschläge aus den fiskalpolitischen Krisen aufgefasst und konnten deshalb die Stimmungseinbrüche nicht aufhalten. Stattdessen hat sich die Situation im Euroraum in den vergangenen Wochen weiter zugespitzt, weil an den Finanzmärkten Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der großen Schuldenländer Spanien und vor allem Italien größer geworden sind. Zwar konnte die Europäische Zentralbank (EZB) eine deutliche Erhöhung der Risikoaufschläge durch eine Ausweitung ihres Ankaufprogramms auf italienische und spanische Staatsanleihen verhindern; eine langfristige Lösung für die Schuldenproblematik ist dies jedoch nicht. Daher bleibt der Verkaufsdruck auf den Märkten bestehen, was seinerseits erhebliche Bilanzrisiken für Banken, die Staatsanleihen Italiens und anderer südeuropäi1 Noch jeder Rezession in Deutschland ist wenige Monate zuvor ein drastischer Vertrauenseinbruch innerhalb eines oder zweier Monate vorausgegangen. Einer Verschlechterung der vom ifo Institut erfragten Geschäftserwartungen in einem Monat um mehr als vier Indexpunkte ist bisher kurz danach immer eine Rezession gefolgt, nämlich 1966, 1973, 2001 und 2008. Anfang der 1980er Jahre und im Anschluss an die deutsche Vereinigung folgten Rezessionen sogar schon nach einer deutlich weniger ausgeprägten Verschlechterung der Geschäftserwartungen um etwas mehr als drei Indexpunkte. 300 scher Länder halten, bedeutet. Deshalb ist erneut Misstrauen gegenüber europäischen Banken aufgekommen. Dies hat zur Folge, dass die Liquiditätsversorgung über den Interbankenmarkt für etliche Finanzinstitute schwierig geworden ist. Könnte Italien seine Schulden nicht mehr bedienen, wäre ein Zusammenbruch des europäischen Bankensystems sehr wahrscheinlich. Vor allem die Aussicht auf dieses Risiko und die unklaren Reaktionen der Politik im Angesicht dieses Risikos sind es, die das Vertrauen in die Konjunktur so stark haben schwinden lassen. Auf jeden Fall wird die Zunahme an Unsicherheit in den USA und in der EU, wie sie etwa aus Preisen für Optionen auf Aktienindizes abgeleitet werden kann (vgl. Abbildung 1), die Güternachfrage dämpfen, weil viele Ausgabenentscheidungen in nächster Zeit erst einmal zurückgestellt werden. Abbildung 1: Maße für die implizite Volatilität auf den Aktienmärkten - in % 90 90 80 80 70 70 60 60 50 50 40 40 30 30 20 20 10 10 0 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 VDAX (Implizite Volatilität für den deutschen Aktienindex DAX) VIX (Implizite Volatilität für den US-Index S&P500) IWH/Kiel Economics Quellen: Deutsche Börse; Chicago Board Options Exchange. Für die Prognose ist unterstellt, dass sich die Lage an den Finanzmärkten wieder etwas entspannt. Kurzfristig wird die EZB durch weitere Anleihenkäufe und durch die langfristige Bereitstellung von Liquidität für das Bankensystem für Ruhe an den Märkten sorgen. Unter dieser Annahme dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im Winterhalbjahr leicht rückläufig sein. Im weiteren Jahresverlauf 2012 dürfte sich die Produktion dann mit der unterstellten langsamen Rückkehr des Vertrauens bei Unternehmen, privaten Haushalten und Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Finanzinvestoren zunächst stabilisieren, um dann in der zweiten Jahreshälfte wieder Fahrt aufzunehmen. Positive Impulse erhält die Konjunktur von den weiterhin sehr niedrigen Zinsen sowie einer aufwärtsgerichteten Produktion außerhalb des Euroraums. Auch nehmen die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte angesichts eines nur geringfügigen Beschäftigungsabbaus und abermals recht kräftig steigender Löhne weiter merklich zu. Im Jahresdurchschnitt wird das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2012 um 0,8% steigen, nach 3,0% im laufenden Jahr. Die Zahl der Erwerbstätigen bleibt jedoch hoch und ist Ende nächsten Jahres auf einem historischen Höchststand. Die Arbeitslosigkeit dürfte im Winterhalbjahr 2011/ 2012 geringfügig zunehmen, danach aber wieder zurückgehen. Der Preisauftrieb beruhigt sich. Die Defizitquote sinkt in diesem Jahr auf 0,9% in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt und verharrt trotz der konjunkturellen Abkühlung im kommenden Jahr auf diesem Niveau. Internationale Konjunktur Kein Aufschwung in den USA Die Konjunktur in den USA ist weiterhin schwach. Das Bild einer nur sehr zögerlichen Erholung ist durch die jüngste umfangreiche Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen noch deutlicher geworden. Demnach stagnierte die Produktionsleistung im ersten Quartal 2011 annähernd, und im zweiten Quartal legte sie um nur ¼% zu. Damit lag die Wirtschaftsleistung zwei Jahre nach Rezessionsende immer noch leicht unter dem Vorkrisenmaximum. Dies ist im Vergleich mit vergangenen Rezessionen sehr ungewöhnlich (vgl. Kasten 1). Schwach entwickelten sich in der ersten Jahreshälfte vor allem der private Konsum, der im zweiten Quartal nur noch leicht zulegte, und die Konsumnachfrage des Staates, die in beiden Quartalen sank. Dagegen beschleunigte sich die Investitionstätigkeit deutlich. Sowohl der Anstieg der Exporte als auch jener der Importe schwächte sich deutlich ab, sodass vom Außenhandel insgesamt keine nennenswerten Impulse auf die Konjunktur ausgingen. Vor dem Hintergrund der geringen Dynamik der Erholung sind die Kapazitäten in den USA noch immer stark unterausgelastet. Das Congressional Budget Office (CBO) schätzt unter der Annahme eines in der Krise nur leicht abgeschwächten Trendwachstums die derzeitige Produktionslücke Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 für die Gesamtwirtschaft auf knapp −7%. Unterstellt man dagegen, dass sich der Anstieg des Produktionspotenzials deutlich verlangsamt hat – wie es beispielsweise das Halle Economic Projection Model (HEPM) nahelegt –,2 dürfte die Produktionslücke betragsmäßig deutlich kleiner sein. Die schwache Arbeitsmarktentwicklung reflektiert zu einem Großteil die geringe gesamtwirtschaftliche Nachfrage, auch wenn aufgrund der notwendigen sektoralen Anpassungen in den USA auch die strukturelle Arbeitslosenquote gestiegen sein dürfte. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit weiter über 9%. Damit ist sie seit dem Jahresanfang sogar leicht gestiegen, obwohl die Partizipationsquote in diesem Zeitraum zurückgegangen ist. Mittlerweile geben wieder mehr als eine Million Personen an, aufgrund der schlechten Arbeitsmarktsituation vorübergehend keine Beschäftigung zu suchen. Der Beschäftigungsaufbau läuft weiter zu schleppend, um bei gegebenem Wachstum des Erwerbspersonenpotenzials zum Abbau der Arbeitslosigkeit beizutragen. Vom Immobilienmarkt gehen bei zuletzt wieder leicht steigenden Preisen, aber immer noch großem Überangebot von zum Verkauf stehenden Häusern und einer weiterhin hohen Zahl von Zwangsversteigerungen noch immer keine nennenswerten Impulse auf die Konjunktur aus. Auch die Geldpolitik liefert derzeit keine neuen Impulse, während die Finanzpolitik die Konjunktur schon seit einigen Quartalen dämpft. Gegen Ende des Prognosezeitraums und vor allem ab dem Jahr 2013 wird sich dieser negative Impuls aufgrund der Beschlüsse, die im Rahmen des Budget Control Act (zusammen mit der Anhebung des Schuldenlimits) beschlossen wurden, verstärken.3 Vor diesem Hintergrund wird sich die Erholung in den USA nur zögerlich fortsetzen. Bis zum Jahresende dämpft zusätzlich die sich abkühlende 2 Eine Produktionslücke in der Größenordnung der CBO- Schätzung müsste nach dem HEPM mit einer deutlich schwächeren Preisdynamik einhergehen. Zur Schätzmethodik vgl. Giesen, S. et al.: A First Look on the Halle Economic Projection Model. IWH-Diskussionspapier 6/2010. Halle (Saale) 2010. 3 Das CBO geht für das Jahr 2013 von einer dämpfenden Wirkung von 1½% bis 3½% in Relation zum Produktionspotenzial aus. Insgesamt sollen zwischen den Fiskaljahren 2012 und 2021 mindestens 2,1 Bill. US-Dollar eingespart werden. Das geplante neue Beschäftigungsprogramm würde, weil es nach den derzeitigen Planungen vollständig gegenfinanziert werden soll, keine zusätzlichen direkten Konjunkturimpulse leisten, auch wenn es Potenzial hat, die Lage auf dem Arbeitsmarkt etwas zu verbessern. 301 Kasten 1: Die US-Konjunkturerholung im historischen Vergleich Die Erholung der US-Wirtschaft verläuft derzeit deutlich schleppender als in früheren Aufschwungphasen. Zeichneten sich diese in der Nachkriegszeit bisher dadurch aus, dass das Vorkrisenniveau des Bruttoinlandsproduktes spätestens nach drei Quartalen wieder übertroffen wurde, sieht es nach der kräftigen Abwärtsrevision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) vom August derzeit so aus, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion selbst zwei Jahre nach Ende der Rezession ihr Niveau von vor der Krise noch nicht wieder erreicht hat (vgl. Abbildung). Abbildung: Abweichung des realen Bruttoinlandsproduktes vom Vorrezessionshöchststand - in % 16,0 historisch¹ 12,0 nur 1990/2001 aktuell 8,0 4,0 0,0 -4,0 -8,0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Quartale nach Ende der Rezession IWH/Kiel Economics 1 Berechnet über neun Aufschwungphasen seit 1953. Quellen: Bureau of Economic Analysis; eigene Berechnungen. Im Gegenteil: Betrug die Differenz der Abweichung (vom Vorkrisenniveau) zum historischen Durchschnittswert am Rezessionsende −3,2 Prozentpunkte, so lag sie im zweiten Quartal dieses Jahres bei −7,5 Prozentpunkten.* Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes seit Ende der Rezession, der mit knapp 5% im aktuellen Aufschwung deutlich hinter dem historischen Durchschnitt zurückgeblieben ist (vgl. Tabelle). Tabelle: Wachstumsbeiträge der Nachfragekomponenten während der ersten zwei Nachrezessionsjahre Bruttoinlandsprodukt privater Konsum Staatskonsum Investitionen Gewerbebau Ausrüstungsinvestitionen Wohnungsbau Vorratsveränderung Nettoexporte Exporte Importe Wachstumsbeiträge (in Prozentpunkten) aktuell historisch nur 1990/2001 4,9 9,1 6,0 3,1 5,8 4,0 −0,3 0,5 0,5 1,1 2,2 1,1 −0,5 0,1 −0,4 1,6 1,1 0,7 −0,1 1,0 0,8 1,9 1,5 1,1 −0,8 −0,9 −0,7 2,5 0,7 1,1 −3,2 −1,6 −1,8 Abweichung vom Vorrezessionsmaximum (in %) aktuell historisch nur 1990/2001 −0,5 7,0 5,3 0,8 8,5 5,3 −1,5 0,4 2,7 −21,5 2,2 −0,8 −33,1 −1,3 −58,7 4,1 4,3 5,0 −1,4 12,9 8,8 Wachstumsbeiträge zwischen Rezessionsende und achtem Quartal nach Rezessionsende. Abweichungen im Niveau gegenüber dem historischen Maximum vor der jeweiligen Rezession. Durchschnitte basierend auf neun Rezessionen seit 1953. Quellen: Bureau of Economic Analysis; eigene Berechnungen. 302 Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Eine nähere Analyse zeigt, dass allein binnenwirtschaftliche Faktoren den Aufschwung in den USA belasten. Während die Nettoexporte in den vergangenen acht Quartalen mit 0,8 Prozentpunkten ungefähr jenen Wachstumsbeitrag geleistet haben, der im historischen Durchschnitt zu beobachten war, bleibt die Binnennachfrage – insbesondere die Nachfrage nach Wohnungsbauten – deutlich hinter der üblichen Dynamik zurück. So trugen die Nachfrage nach Wohnbauten (um 0,9 Prozentpunkte), aber auch die private Konsumnachfrage (um 0,9 Prozentpunkte), der Staatskonsum (um 0,8 Prozentpunkte) und die gewerblichen Bauinvestitionen (um 0,1 Prozentpunkte) weniger zum Nachfrageanstieg bei als im Durchschnitt der Aufschwungphasen nach den beiden vorherigen „post-modernen“ Rezessionen von 1990 und 2001. Hingegen stimulierten die Ausrüstungsinvestitionen die Konjunktur deutlich stärker (0,9 Prozentpunkte), und auch die Vorratsveränderung trug merklich stärker (0,8 Prozentpunkte) zur Erholung bei als in früheren Aufschwüngen. Insgesamt zeigt sich nach der Revision der VGR noch klarer, wie stark die konjunkturelle Erholung in den USA von den beträchtlichen Angebotsüberhängen am Immobilienmarkt und der hohen Verschuldung der privaten und öffentlichen Haushalte belastet wird. Immerhin scheint die Stimulation der Wirtschaft durch die extrem expansive Geldpolitik bei den Unternehmen anzukommen und sich in einer dynamischen Erholung der Investitionstätigkeit niederzuschlagen. * Das Bild bleibt – wenn auch in abgeschwächter Form – bestehen, wenn man den Vergleich nur zu den Aufschwüngen nach den Rezessionen von 1990 und 2001 zieht. In diesem Fall betrug die Differenz bei Rezessionsende −4,5 Prozentpunkte und ist nach zwei Jahren auf −5,7 Prozentpunkte angewachsen. Weltkonjunktur. Im Jahresdurchschnitt dürfte die reale Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr um 1,4% zulegen (vgl. Tabelle 1). Im Laufe des Jahres 2012 beschleunigt sich die Konjunktur angesichts einer regen Investitionsnachfrage und einer dynamischeren Weltwirtschaft wieder, und die ProdukTabelle 1: Eckdaten zur Wirtschaftsentwicklung in den USA 2010 2011 2012 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % reales Bruttoinlandsprodukt privater Konsum öffentlicher Konsum Bruttoanlageinvestitionen inländische Verwendung Exporte Importe Außenbeitraga Verbraucherpreiseb Budgetsaldoc Leistungsbilanzsaldo Arbeitslosenquote a b 3,0 1,4 tion wird jahresdurchschnittlich wohl um 2% steigen (vgl. Abbildung 2). Die Arbeitslosigkeit sinkt in diesem Jahr kaum und wird auch im kommenden Jahr nur geringfügig zurückgehen. Im Jahresdurchschnitt wird die Arbeitslosenquote 9,1% bzw. 8,9% betragen. Die seit dem Frühjahr gesunkenen Energiepreise sorgen – bei der Annahme realer Konstanz im Prognosezeitraum – dafür, dass die InflaAbbildung 2: Reales Bruttoinlandsprodukt in den USA - Saisonbereinigter Verlauf - 2,0 2,0 2,0 1,7 0,7 −2,1 0,0 2,6 5,4 6,4 3,4 1,4 2,0 11,3 6,4 5,2 12,5 5,1 4,7 −0,5 0,0 −0,1 1,6 3,2 1,7 in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts −9,0 −9,0 −7,5 −3,2 −3,0 −3,0 in % der Erwerbspersonen 9,6 9,1 8,9 c Wachstumsbeitrag. – Vorjahresvergleich. – Bund, Fiskaljahr. Quellen: Bureau of Economic Analysis; Bureau of Labor Statistics; eigene Prognose. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Index % 114 1,5 112 1,0 110 0,5 108 0,0 1,4 106 2,0 -0,5 3,0 1,9 104 -1,0 -0,3 -3,5 102 -1,5 Prognosezeitraum 100 98 -2,0 -2,5 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Veränderung gegenüber Vo rquartal (rechte Skala) 1. Quartal 2005 = 100 (linke Skala) Jahresdurchschnitt¹ (linke Skala) IWH/Kiel Economics 1 Ursprungswerte: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. Quellen: Bureau of Economic Analysis; eigene Berechnungen; ab 3. Quartal 2011: eigene Prognose. 303 tionsrate in der zweiten Jahreshälfte zurückgeht. Auch im kommenden Jahr dürfte der Aufwärtsdruck auf Löhne und Preise wegen der geringen Kapazitätsauslastung trotz expansiver Geldpolitik gering bleiben. Im Jahresdurchschnitt werden die Lebenshaltungskosten wohl 2011 um 3,2% und 2012 um 1,7% steigen. Wachstumsdynamik in den asiatischen Schwellenländern schwächt sich leicht ab, Japan erholt sich Auch für die asiatischen Volkswirtschaften haben sich die Rahmenbedingungen im Sommer aufgrund der Zuspitzung der Probleme in den USA und in der EU ein Stück weit verschlechtert: Die Aktienmärkte sind in Asien kaum weniger eingebrochen als in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften, und die Aussichten für den Export nach Übersee haben sich eingetrübt. Allerdings verliert die Konjunktur in den asiatischen Schwellenländern wie China und Indien schon seit dem Frühjahr an Tempo. Hier hinterlassen wirtschaftspolitische Dämpfungsmaßnahmen ihre Spuren, welche auf die fast überall zu hohen Inflationsraten abzielen. So wurden die Leitzinsen in den größeren Ländern China, Indien, Korea und Indonesien erhöht. Gegenwärtig schwächt sich die Preisdynamik in einigen Ländern der Region, etwa in Indonesien und in China, bereits ab, anderswo dürften die Inflationsraten in den kommenden Monaten zurückgehen. Die Wirtschaftspolitik wird dann keinen Anlass mehr sehen, die immer noch beträchtliche Wachstumsdynamik in der Region weiter abzubremsen. Falls die konjunkturelle Abschwächung in einen regelrechten Abschwung abzugleiten drohte, hätte die Wirtschaftspolitik vielerorts – und anders als in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften – einigen Spielraum, um gegenzusteuern. In Teilen Asiens werden die Exporte im zweiten Halbjahr 2011 auch vom Wiederaufbau des durch die Katastrophe zerstörten Kapitalstocks in Japan profitieren. Die japanische Regierung plant umfangreiche eigene Investitionen sowie Kredithilfen für den privaten Wiederaufbau des zerstörten Kapitalstocks. Die Mittel im Umfang von etwa 3½% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (verteilt über fünf Jahre) sollen sowohl über Einsparungen an anderer Stelle als auch über eine höhere Neuverschuldung aufgebracht werden. Trotz des hohen Schuldenberges der öffentlichen Hand sowie des Mangels an Reformbereitschaft der politischen Führung sind die Renditen für Titel des japanischen Staates mit gut 1% gleichwohl sehr niedrig. 304 Die Wirtschaft in Japan scheint sich indes recht zügig von der Katastrophe zu erholen: Lieferketten werden wieder geschlossen, und auch die Energieversorgung funktioniert trotz geschrumpfter Kapazitäten leidlich. Von den 15%, um die die Industrieproduktion im März eingebrochen war, sind im Juli bereits zehn Prozentpunkte aufgeholt worden. Unternehmen und Haushalte blicken jüngst wieder etwas zuversichtlicher in die Zukunft. Die Produktion wird im zweiten Halbjahr nach drei negativen Quartalen wohl wieder zulegen. Sorgen bereitet der Wirtschaftspolitik der starke Yen: Auch nach dem Erdbeben hat sich der seit dem Krisenjahr 2008 anhaltende Aufwertungstrend fortgesetzt. Allerdings gibt es gute Argumente dafür, dass eine moderate Stärkung der heimischen Währung durchaus wünschenswert ist: Der Wiederaufbau wird die heimische Güterabsorption erhöhen, und ein erheblicher Teil der handelbaren Güter wird importiert werden müssen. Die japanische Wirtschaft hat sich deshalb ein Stück weit in Richtung Produktion nicht handelbarer Güter und Dienstleistungen zu orientieren. Dieser Prozess struktureller Anpassung wird beschleunigt, wenn mit einer moderaten Aufwertung des Yen nicht handelbare Güter relativ zu handelbaren Gütern im Preis steigen und ihre Produktion für japanische Unternehmen attraktiver wird. Konjunktur in der Europäischen Union Schulden- und Vertrauenskrise bringt Euroraum an den Rand einer Rezession Im Sommer 2011 steht die Wirtschaft im Euroraum vor einem neuerlichen Abschwung. Der wesentliche Grund ist die Verunsicherung von Unternehmen und Haushalten durch die Ausweitung der Schuldenkrise auf große Mitgliedstaaten sowie auf den Bankensektor. Schon im zweiten Quartal hatten die hohen Energie- und Rohstoffpreise sowie ein schwächeres weltwirtschaftliches Umfeld die zu Jahresbeginn recht kräftige konjunkturelle Dynamik gebremst (vgl. Abbildung 3). Die Abschwächung betraf sämtliche Nachfrageaggregate; privater und öffentlicher Konsum gingen sogar leicht zurück. In einigen bisherigen Aufschwungländern wie Deutschland, Frankreich und den Niederlanden ließ die Konjunktur besonders kräftig nach. Die Nachfrage in Spanien und Italien expandierte weiter mit geringen Raten. Die aus Unternehmensumfragen der Europäischen Kommission ermittelte Kapazitätsauslastung des Verarbeitenden Gewerbes erreichte im ersten Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Halbjahr 2011 ihren langfristigen Mittelwert, ist im Sommer aber wieder gesunken. Der Aufbau von Beschäftigung hatte sich schon zu Beginn des Jahres stark verlangsamt, und die Zahl der Arbeitslosen steigt seit April wieder leicht an. Weiterhin werden vor allem Stellen im Bausektor abgebaut, während im Dienstleistungssektor neue Stellen entstehen. Abbildung 3: Reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum - Saisonbereinigter Verlauf Index % 110 1,5 109 1,0 0,4 108 0,5 107 0,0 2,9 106 1,7 0,4 1,8 105 104 -0,5 -1,0 -1,5 -4,2 103 Prognosezeitraum 102 -2,0 -2,5 101 -3,0 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Veränderung gegenüber Vo rquartal (rechte Skala) über hinaus merklich sinkende konjunkturbereinigte Defizite vor. Für den Euroraum insgesamt würden die Stabilitätsprogramme vom Frühjahr eine Rückführung der bereinigten Defizitquote im Jahr 2011 um knapp einen Prozentpunkt und im darauffolgenden Jahr um etwa ½ Prozentpunkt bedeuten. Zumindest für das laufende Jahr ist allerdings mit einem geringeren restriktiven Impuls zu rechnen. Denn vor allem in Spanien wurde das Defizit des Zentralstaates bis zum Sommer weit weniger reduziert als im Stabilitätsprogramm vorgesehen, obwohl die realwirtschaftliche Entwicklung im ersten Halbjahr den im Programm getroffenen Annahmen in etwa entsprach. In einigen Ländern sahen sich die Regierungen durch den zunehmenden Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten wiederholt gezwungen, eine Verschärfung ihres Konsolidierungskurses anzukündigen. Dabei spielen in Italien und Frankreich Maßnahmen zur Einnahmensteigerung die Hauptrolle, in Spanien stehen Ausgabenkürzungen im Mittelpunkt. Für den gesamten Euroraum gilt, dass die Stabilitätsprogramme im Jahr 2012 kaum zu erfüllen sein werden, weil die gesamtwirtschaftliche Produktion wohl deutlich geringer sein wird als in den Programmen unterstellt. 1. Quartal 2005 = 100 (linke Skala) Jahresdurchschnitt¹ (linke Skala) IWH/Kiel Economics 1 Ursprungswerte: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. Tabelle 2: Eckdaten zur Wirtschaftsentwicklung im Euroraum Quellen: Eurostat; eigene Berechnungen; ab 3. Quartal 2011: eigene Prognose. Die außerhalb Deutschlands vielfach angespannte Arbeitsmarktlage lässt die Löhne nur langsam steigen, und die Lohnstückkosten stagnieren in etwa. Trotzdem ist die Inflation aufgrund der im Winterhalbjahr stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise relativ hoch; im August lag sie gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) bei 2,5%. In diesem Umfeld kräftig steigender Preise und auch, weil sich der Aufschwung im Euroraum zu festigen schien, begann die EZB, den geldpolitischen Kurs mit Zinserhöhungen im April und im Juli zu straffen. Die kurz darauf einsetzende Zuspitzung der Schuldenkrise im Euroraum hat den Zinsanhebungszyklus allerdings schon wieder abgebrochen. Die Geldpolitik wird im Prognosezeitraum auch mittels der im Sommer erneut ergriffenen unkonventionellen Maßnahmen expansiv wirken (vgl. Kasten 2). Die Fiskalpolitik hingegen ist deutlich restriktiv ausgerichtet: Die Stabilitätsprogramme der meisten Mitgliedstaaten sehen für dieses Jahr und darWirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 2010 2011 2012 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in % reales Bruttoinlandsprodukt privater Konsum öffentlicher Konsum Bruttoanlageinvestitionen inländische Verwendung Exportea Importea Außenbeitragb Verbraucherpreisec Lohnstückkosten 1,8 1,7 0,4 0.8 0,5 −0,8 1,1 10,8 9,1 0,7 1,6 −0,6 0,5 0,3 2,9 1,1 6,8 5,4 0,6 2,5 1,0 0,2 0,0 0,7 0,1 4,5 3,7 0,3 1,4 0,9 in % des nominalen Bruttoinlandsproduktes Budgetsaldod Leistungsbilanzsaldo −6,0 −0,4 −4,4 −0,1 −3,7 0,0 in % der Erwerbspersonen Arbeitslosenquotee a 10,0 b 10,0 10,4 c Einschließlich Intrahandel. – Wachstumsbeitrag. – Harmonisierter Verbraucherpreisindex. – d Gesamtstaatlich. – e Standardisiert. Quellen: Eurostat; eigene Prognose. 305 Kasten 2: Monetäre Rahmenbedingungen im Euroraum durch Schuldenproblematik beeinträchtigt Das Misstrauen gegenüber den Banken im Euroraum hat sich erneut zugespitzt: Die Versicherungsprämien für Ausfälle von Bankschulden lagen Ende August nur knapp unter dem bisherigen Höchststand vom November 2010 (vgl. Abbildung). Die Spannungen am Interbankenmarkt haben erneut zugenommen, wie die hohe Volatilität der Zentralbankguthaben, die umfangreichen Überschussreserven sowie die frühzeitige Erfüllung der Mindestreserveverpflichtung der Kreditinstitute zeigen. Das Zinsniveau am kurzen Ende ist Abbildung: jüngst leicht gesunken. Zudem hat sich Mittlere Preise für Kreditausfallversicherungen bei Bankschuldverschreidie Differenz zwischen den besicherten bungen mit einer Restlaufzeit von fünf Jahren (Januar 2008 = 100) und unbesicherten Geldmarktsätzen seit dem Frühjahr 2011 nahezu verdoppelt - in Basispunkten (auf 80 Basispunkte). Der durchschnitt900 liche Zinssatz für unbesichertes Drei800 monatsgeld (Euribor) lag im August bei durchschnittlich 1,6%, für besichertes 700 Dreimonatsgeld lag der Zins (Eurepo) 600 sogar noch 80 Basispunkte darunter. Der maßgebliche Leitzins der Europäischen 500 Zentralbank (EZB) verharrt seit der Er400 höhung im April und Juli um jeweils 300 25 Basispunkte derzeit auf einem Niveau von 1,5%. Eine rasche Änderung der 200 Leitzinspolitik wird nicht erwartet. 100 Schließlich wird die EZB die Hauptrefinanzierungsgeschäfte bis mindestens 0 Jan 08 Jul 08 Jan 09 Jul 09 Jan 10 Jul 10 Jan 11 Jul 11 Ende 2011 als Mengentender mit VollEuroraum Großbritannien USA zuteilung abwickeln, um die Liquiditätsversorgung sicherzustellen. IWH/Kiel Economics Die Umlaufrenditen zehnjähriger Staatsanleihen mit AAA-Rating im Euroraum sind im Sommer stark zurückgegangen und lagen im August bei durchschnittlich 2,7%. Die Bedingungen für die Finanzierung nichtfinanzieller Unternehmen an den Kapitalmärkten haben sich leicht eingetrübt; so lagen die Umlaufrenditen in den Sommermonaten 2011 bei durchschnittlich 3,2% (5,2%) für Schuldner mit höchster (mittlerer) Bonität und somit knapp 90 (bzw. fünf) Basispunkte unter dem Niveau von April. Das Kreditwachstum an nichtfinanzielle Unternehmen hat im dritten Quartal nur schwach zugenommen. Ebenso zeigen die Ergebnisse der jüngsten Umfrage unter den Banken im Eurosystem (Bank Lending Survey), dass sowohl für Unternehmen als auch für die privaten Haushalte die Kreditvergabebedingungen europäischer Banken wieder leicht verschärft wurden. Die Verschärfung der Kreditrichtlinien dürfte auch in den nächsten drei Monaten nicht nachlassen. Quelle: Thomson Financial. Der Wechselkurs des Euro gegenüber dem US-Dollar ist seit dem Frühjahr von 1,39 auf 1,44 Euro/Dollar Ende August angestiegen. Die Wettbewerbsfähigkeit des Euroraums, gemessen am realen gewichteten Wechselkurs des Euro gegenüber den wichtigsten Handelspartnern, ist gegenüber dem Frühjahr 2011 unverändert. Frühindikatoren deuten darauf hin, dass sich die Konjunktur im zweiten Halbjahr weiter abkühlt. Der von der Europäischen Kommission erhobene Indikator für das Wirtschaftsvertrauen ging zuletzt so stark zurück wie seit Dezember 2008 nicht mehr und befindet sich nun deutlich unter seinem langjährigen Mittelwert. Insbesondere das Konsumentenvertrauen nahm stark ab. Industrieproduktion und Auftragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe waren zuletzt rückläufig. Selbst wenn es, wie in der vorliegenden Prognose unterstellt, nicht zu 306 einer offenen Bankenkrise oder Zahlungsausfällen eines größeren Mitgliedstaates der Währungsunion kommt, dürfte der Euroraum im Winterhalbjahr 2011/2012 wohl in eine leichte Rezession geraten. Dafür sorgen die Verunsicherung von Unternehmen und Konsumenten sowie die Konsolidierungsprogramme in vielen Ländern. Unter der Voraussetzung, dass die Schuldenkrise im Winterhalbjahr wenn nicht gelöst, so doch eingedämmt werden kann, dürfte der Kurs konjunktureller Erholung Mitte 2012 wieder aufgenommen werden. Alles in Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 allem wird ein Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 1,7% im Jahr 2011 und um 0,4% im Jahr 2012 prognostiziert (vgl. Tabelle 2). Die Inflationsrate gemessen am HVPI fällt – nach 2,5% im laufenden Jahr – mit 1,4% im nächsten Jahr wohl deutlich unter den Zielwert von knapp 2%. Konjunktur in Großbritannien bleibt schwach In Großbritannien schwächelt die Konjunktur schon seit dem vergangenen Winter; der Produktionsanstieg betrug in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2011 auf Jahresrate hochgerechnet wenig mehr als 1%. Enttäuschend ist die Stagnation der Industrieproduktion, die sich seit ihrem Einbruch im Winter 2008/2009 kaum erholt hat. Nach wie vor kann der Produktionsstandort Großbritannien kaum von der drastischen realen effektiven Abwertung aus den Jahren 2007 und 2008 profitieren. Auch die Aussichten des für das Land so wichtigen Finanzsektors haben sich durch die jüngsten Vertrauensverluste im europäischen Bankensektor wieder eingetrübt. Das außenwirtschaftliche Umfeld verschlechtert sich zu einer Zeit, in der die Binnennachfrage durch die massiven Konsolidierungsanstrengungen des Staates geschwächt wird: Im (mit dem April beginnenden) Fiskaljahr 2011/2012 soll das zuletzt mit etwa 10% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt enorme Defizit um konjunkturbereinigt knapp zwei Prozentpunkte zurückgeführt werden. Die niedrigen Renditen von Schuldtiteln der öffentlichen Hand von zuletzt 2,3% (zehnjährige Laufzeit) zeigen, dass der britische Staat auf diese Weise seine Reputation als vertrauenswürdiger Schuldner wahrt, die Wachstumsaussichten aber als trübe eingeschätzt werden. Real sind die Renditen derzeit deutlich negativ: Die Inflationsrate betrug im Juli 4½% (gemessen an den Konsumentenpreisen im Vorjahresvergleich) und wird in den kommenden Monaten aufgrund von Preiserhöhungen bei den Energieversorgern wohl auf etwa 5% steigen. Preistreiber sind die Anhebung der Mehrwertsteuer zu Beginn des Jahres sowie gestiegene Energie- und Rohstoffpreise. Real gerechnet sinken die Arbeitseinkommen und mit ihnen seit Herbst 2010 der private Konsum. Angesichts der trüben konjunkturellen Aussichten wird die Bank von England den Leitzins wohl im gesamten Prognosezeitraum bei 0,5% belassen, und diese sehr expansive Geldpolitik dürfte ein Abgleiten der britischen Wirtschaft in eine neue Rezession verhindern. Freilich dürfte die Produktion in diesem Jahr um nicht mehr als gut 1% und im Jahr 2012 um 1½% expandieren. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Gute Konjunktur in den mittel- und osteuropäischen Ländern verliert an Fahrt Die zu Jahresbeginn 2011 kräftige konjunkturelle Erholung in den mittel- und osteuropäischen EUMitgliedsländern4 hat sich im Sommer leicht abgeschwächt. Die wesentlichen Impulse dafür kamen nach wie vor vom Export. Der private Konsum wurde von den im Winter stark gestiegenen Energiepreisen gedämpft. Steigende Inflationsraten haben einige Zentralbanken dazu veranlasst, ihre Zinsen im Jahresverlauf leicht anzuheben, so in Polen von 3,5% auf 4,5%. Angesichts der Verschlechterung des konjunkturellen Umfeldes in Europa werden die geldpolitischen Zügel aber kaum weiter gestrafft werden. Die Finanzpolitik ist auf einem zurzeit recht erfolgreichen Konsolidierungskurs: Während im Jahr 2010 die Budgetdefizitquoten noch überall (außer in Estland) weit über der 3%-Grenze lagen, stehen die Chancen gut, dass die Haushaltsdefizite in diesem und im nächsten Jahr überwiegend darunter liegen werden. Dagegen hat sich die Lage auf den Arbeitsmärkten trotz der konjunkturellen Erholung zumeist nur wenig verbessert. Überwiegend liegen die Arbeitslosenquoten in der Region nahe bei oder zum Teil deutlich oberhalb der 10%-Marke. Die bisher rasche wirtschaftliche Expansion wird sich vor allem aufgrund der Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum, im Prognosezeitraum wohl auch in Mittel- und Osteuropa verlangsamen. Das Bruttoinlandsprodukt wird nach rund 3,5% im laufenden Jahr nur noch um knapp 3% im kommenden Jahr zulegen. Außerdem drohen Risiken für die Finanzsysteme einiger Länder. So erhöhte im Sommer die starke Aufwertung des Schweizer Franken gegenüber dem Euro und dem an diesen eng gekoppelten Forint die Verschuldung in Ungarn, denn weit über die Hälfte aller Kredite lauten dort auf Schweizer Franken. Deutsche Konjunktur Schulden- und Vertrauenskrise bringt auch die deutsche Konjunktur aus dem Tritt Nach dem fulminanten Auftaktquartal des Jahres 2011 verläuft die Konjunktur in Deutschland nun deutlich schwächer. Im zweiten Quartal 2011 ist das reale Bruttoinlandsprodukt – nach 1,3% im Vor4 Mittel- und osteuropäische Länder: Bulgarien, Estland, Lett- land, Litauen, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn. 307 Tabelle 3: Quartalsdaten zur wirtschaftlichen Entwicklunga - Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal 2010 private Konsumausgaben öffentlicher Konsum Ausrüstungen Bauten sonstige Anlagen Vorratsinvestitionenb inländische Verwendung Außenbeitragb Exporte Importe Bruttoinlandsprodukt 2011 2012 I II III IV I II III IV I II III IV 0,0 0,8 0,4 0,5 0,4 −0,7 1,0 0,2 0,1 0,2 0,3 0,3 0,9 4,1 −2,5 0,7 1,0 −0,6 5,2 6,6 1,4 −0,2 0,8 4,9 −0,8 1,7 −0,4 0,1 2,6 −2,5 2,1 0,2 0,2 2,1 7,0 −0,3 0,0 0,2 1,7 −0,9 1,3 0,8 0,2 1,3 1,1 2,0 −0,1 0,4 −0,3 0,4 0,5 −0,3 0,3 −0,3 0,3 0,8 −0,2 0,3 1,5 0,6 1,8 −0,1 0,3 3,2 0,9 2,0 −0,2 0,0 3,5 0,9 2,0 0,1 1,3 1,3 0,2 0,6 1,1 0,4 0,6 −0,1 0,0 0,3 0,5 0,7 −0,7 3,4 5,8 0,5 0,7 7,0 6,2 1,9 0,5 2,0 0,9 0,8 0,0 1,0 1,3 0,5 0,3 2,1 1,7 1,3 −0,3 2,3 3,2 0,1 0,0 1,1 1,2 0,7 0,0 0,9 1,0 −0,1 −0,1 1,0 1,2 −0,1 0,0 1,4 1,5 0,3 0,0 1,8 1,9 0,5 0,0 1,8 2,0 0,7 a Saison- und arbeitstäglich bereinigte Werte; in Vorjahrespreisen. Beitrag zur Veränderung des Bruttoinlandproduktes (BIP) in Prozentpunkten (Lundberg-Komponenten). Quellen: Statistisches Bundesamt; ab 3. Quartal 2011: eigene Prognose. quartal – nur noch um 0,1% gestiegen. Dies ist weniger, als Indikatoren erwarten ließen. Zwar hat sich der Bau sogar etwas besser entwickelt als im Frühjahr prognostiziert, aber der Handel sowie die Finanzund Versicherungsdienstleistungen waren rückläufig, sodass sie den Anstieg der Produktion im Verarbeitenden Gewerbe um 1,4% zusammen mit der stark sinkenden Energieproduktion (−5,5%) neutralisierten. Zwar dürfte die Produktion im dritten Quartal 2011 noch einmal kräftig zulegen (0,7%), dies signalisiert beispielsweise die gute Produktions- und Umsatzentwicklung. Vorlaufende Stimmungsindikatoren deuten jedoch darauf hin, dass sich die konjunkturelle Dynamik danach deutlich verlang- samen wird. Da sich noch immer keine Lösung der Schulden- und Vertrauenskrisen im Euroraum abzeichnet, nimmt die Unsicherheit von privaten Konsumenten und Unternehmen zu. Sie dürften darauf mit einer gewissen Konsum- und Investitionszurückhaltung reagieren. Infolgedessen wird die Produktion in den beiden Quartalen des Winterhalbjahres leicht – um jeweils 0,1% – zurückgehen (vgl. Tabelle 3). Für das Jahr 2011 ergibt sich eine jahresdurchschnittliche Wachstumsrate von 3,0% (vgl. Tabelle 4 und Abbildung 4). Abbildung 4: Reales Bruttoinlandsprodukt in Deutschland - Saison- und arbeitstäglich bereinigter Verlauf Mrd. Euro Tabelle 4: Statistische Komponenten der BIP-Wachstumsrate 2 3,0 610 2010 2011 2012 600 statistischer Überhang 1,0 1,2 0,3 590 Jahresverlaufsrateb 3,8 2,1 1,5 580 jahresdurchschnittliche BIP-Rate, kalenderbereinigt 3,6 3,0 1,0 Kalendereffektc 0,1 −0,1 −0,2 jahresdurchschnittliche BIP-Rate, kalenderjährlichd 3,7 3,0 0,8 1 1,1 0 3,3 -1 3,7 -2 -5,1 570 -3 Prognosezeitraum 560 550 Saison- und kalenderbereinigtes reales BIP im vierten Quartal des Vorjahres in Relation zum kalenderbereinigten Quartalsdurchschnitt des Vorjahres. – b Jahresveränderungsrate im vierten Quartal, saisonund kalenderbereinigt. – c In % des realen BIP. – d Abweichungen in der Summe rundungsbedingt. Quellen: Statistisches Bundesamt; ab 2011: eigene Prognose. -4 -5 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Veränderung gegenüber Vo rquartal (rechte Skala) a 308 3 0,8 620 - in % bzw. Prozentpunkten a % 630 Verkettete Vo lumenangaben (linke Skala) Jahresdurchschnitt¹ (linke Skala) 1 IWH/Kiel Economics Ursprungswerte: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen; ab 3. Quartal 2011: eigene Prognose. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Kasten 3: Rahmenbedingungen für die Prognose Für die Prognose wird ein US-Dollar-Kurs des Euro von 1,43 in den Jahren 2011 und 2012 unterstellt. Der Ölpreis (Brent) wird im laufenden Jahr 2011 bei durchschnittlich 110 US-Dollar pro Barrel liegen und im Jahr 2012 bei durchschnittlich 113 US-Dollar pro Barrel. Es wird angenommen, dass die EZB bis Ende 2012 keine weiteren Leitzinsänderungen vornimmt. Der Welthandel dürfte im Jahr 2011 um 5,9% und im nächsten Jahr um 5,6% zulegen. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist im bisherigen Jahresverlauf annähernd gleich geblieben und wird sich auch im Prognosezeitraum nicht wesentlich verändern. Die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und private Haushalte in Deutschland haben sich gegenüber dem zweiten Quartal kaum verändert. Die Umlaufrendite deutscher Staatsanleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit ist jedoch um knapp 100 Basispunkte auf etwa 2% gesunken. Die Dynamik der Kreditvergabe an Unternehmen und an private Haushalte verläuft weiterhin unterschiedlich. Die Kreditentwicklung der privaten Haushalte wurde trotz des Rückganges der KonAbbildung: sumentenkredite vor allem durch eine Ausweitung der Entwicklung der Kreditrichtlinien Nachfrage nach Wohnungs- Nettosalden aus gewichteten Antwortena baukrediten getrieben. Dies -20 dürfte insbesondere durch die weiterhin niedrigen Zinsen für Wohnungsbaukredite stark be-10 günstigt werden. Die Ergebnisse der jüngsten Umfrage 0 unter den Banken in Deutschland (Bank Lending Survey) 10 zeigen, dass die Kreditvergabebedingungen der Banken an Unternehmen im Sommer 2011 20 per saldo unverändert blieben (vgl. Abbildung). Für die kom30 menden drei Monate gehen die Banken jedoch von einer leichten Lockerung der Kredit40 richtlinien aus. Insgesamt dürf2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 ten sich die Finanzierungsbedingungen bis zum Ende des Kredite an kleine und mittlere Unternehmen Prognosezeitraums hingegen Kredite an große Unternehmen leicht eintrüben, denn die ReIWH/Kiel Economics finanzierungsmöglichkeiten der a Differenz (in % der gegebenen Antworten) zwischen der Summe der Angaben „deutlich“ und Banken haben sich zuletzt „leicht verschärft“ und der Summe der Angaben „etwas“ und „deutlich gelockert“ auf die Frage deutlich verschlechtert. „Wie haben sich die Kreditrichtlinien (credit standards) Ihres Hauses für die Gewährung von Krediten an Unternehmen (inklusive Kreditlinien) in den letzten drei Monaten verändert?“. Positiver Saldo = durchschnittliche Verschärfung; negativer Saldo = durchschnittliche Lockerung. Zu Beginn des Jahres 2011 schwenkte die Finanzpolitik auf Quellen: Deutsche Bundesbank, Bank Lending Survey. einen restriktiven Kurs ein und wird diese Ausrichtung über den Prognosezeitraum beibehalten (vgl. Tabelle). So waren die zuvor ergriffenen stimulierenden Maßnahmen zu einem großen Teil zeitlich befristet, und diese Impulse entfallen nun. Vor allem aber wird die Finanzpolitik bestrebt sein, die nach wie vor hohe strukturelle Verschuldung der öffentlichen Haushalte in der mittleren Frist zurückzuführen. So erfordert die Schuldenbremse, dass der Bund und die Länder, die Konsolidierungshilfen bekommen, seit Anfang dieses Jahres ihre strukturellen Defizite gleichmäßig zurückführen. Allerdings muss bei geltender Rechtslage der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dieser Prognose bereits kommendes Jahr gesenkt werden.* Alles in allem wird von der Finanzpolitik in diesem Jahr ein restriktiver finanzpolitischer Impuls ausgehen, der bei 0,8% in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt liegt; im Jahr 2012 wird er bei 1% liegen. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 309 Tabelle: Änderung von Steuern, Sozialabgaben und Staatsausgaben durch diskretionäre Maßnahmena - Haushaltsentlastungen (+) und Haushaltsbelastungen (–), in Mrd. Euro gegenüber 2010 Einführung einer Luftverkehrsabgabe Abbau von Vergünstigungen bei der Energiesteuer 2011 2012 1 1 0,8 0,6 Einführung einer Brennelementesteuer 1,3 1,3 Erhöhung der Tabaksteuer 0,2 0,5 −0,8 −1,3 weitere steuerliche Maßnahmenb Reduktion des Elterngeldes 0,7 0,7 Bankenabgabe 0,7 1,3 Wegfall des befristeten Zuschlags beim Übergang von ALG in ALG II 0,2 0,2 Wegfall der Heizkostenkomponente beim Wohngeld 0,1 0,3 Bahndividende 0,5 0,5 2 4 Änderungen im SGB II und III Einsparungen bei disponiblen Ausgaben 1,5 2,5 Kürzung der Verwaltungsausgaben 0,8 0,8 1 1,5 −1,2 −1,2 1,9 2,0 −1,5 2,2 5,6 5,7 diskretionäre Maßnahmen von Ländern und Gemeinden Anpassung der Regelsätze bei ALG II und Bildungspaket Erhöhung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung von 2,8% auf 3,0% zum 01.01.2011 Eingriffe in die Rentenformel Erhöhung des gesetzlichen Beitragssatzes zur Krankenversicherung von 14,9% auf 15,5% zum 01.01.2011 Änderung des Satzes zur Insolvenzgeldumlage 1 Senkung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung Umsetzung von Einsparmaßnahmen im Gesundheitssektor ältere Maßnahmen 2 −3,2 3 c insgesamt 3 1,3 2,3 20,1 26,7 a Ohne makroökonomische Rückwirkungen; ohne Berücksichtigung der Stützungsmaßnahmen für Finanzinstitute. – b Jahressteuergesetz 2010, Steuervereinfachungsgesetz. – c Schrittweise Abschaffung der Eigenheimzulage, Aufschiebung des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses. Quellen: Bundesministerium der Finanzen; Berechnungen und Schätzungen des IWH. * Damit wird implizit unterstellt, dass den aktuellen Forderungen nach eine Erhöhung der Ausgaben der Rentenversicherung nicht nachgegeben wird. In Ostdeutschland wird das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2011 voraussichtlich um 2,3% zulegen. Aufgrund der schwächeren konjunkturellen Dynamik im Winterhalbjahr dürfte auch die Beschäftigung vorübergehend leicht abnehmen. Die Arbeitslosenquote wird vorübergehend geringfügig steigen. Im Jahresdurchschnitt 2011 wird sie in Deutschland wohl 6,9% betragen. Im Jahr 2012 dürfte sich die konjunkturelle Lage wieder verbessern – sofern die Politik die Schulden- und Vertrauenskrise eindämmen kann. Unter dieser Annahme wird die Unsicherheit der 310 Marktteilnehmer zurückgehen und die Nachfrage in Deutschland von dem weiterhin niedrigen Zinsniveau stimuliert werden. Angesichts der größeren konjunkturellen und strukturellen Probleme in einigen Euroländern wird die EZB die Leitzinsen nicht allzu bald auf ein für Deutschland neutrales Niveau anheben (vgl. Kasten 3). Die vierteljährlichen Wachstumsraten des realen Bruttoinlandsproduktes dürften daher über der Potenzialwachstumsrate liegen. Die wesentlichen Impulse werden dabei wohl von den privaten Konsumausgaben und den Ausrüstungsinvestitionen ausgehen, während Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 der Außenhandel aufgrund der konjunkturellen Schwäche wichtiger Handelspartner einen negativen Wachstumsbeitrag aufweisen wird (vgl. Tabelle 5). Aufgrund des schwachen Winterhalbjahres wird das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt aber nur um 0,8% (Ostdeutschland ebenfalls 0,8%) zulegen. Derzeitig ist die Prognoseunsicherheit jedoch noch relativ groß (vgl. Abbildung 5). Die Arbeitslosenquote dürfte im Jahr 2012 auf 6,8% (Ostdeutschland 10,9%) sinken. Mit der vorübergehenden Dämpfung der Konjunktur wird auch der Preisauftrieb gebremst. Nehmen die Verbraucherpreise im Jahr 2011 noch um 2,3% zu, so dürfte der Anstieg im Jahr 2012 nur noch 1,8% betragen. Der Anstieg des Deflators des Bruttoinlandsproduktes dürfte unter diesen Werten liegen, weil die Terms of Trade sinken. Somit wird das nominale Bruttoinlandsprodukt um 3,5% im laufenden Jahr und um 2,1% im Jahr 2012 zunehmen. Tabelle 5: Beiträge der Nachfragekomponenten zur Veränderung des Bruttoinlandsproduktes Vorübergehende Eintrübung der Lage auf dem Arbeitsmarkt - in Prozentpunkten Konsumausgaben private Konsumausgaben Konsumausgaben des Staates Bruttoanlageinvestitionen Ausrüstungen Bauten sonstige Anlagen Vorratsveränderung inländische Verwendung Außenbeitrag Exporte Importe Bruttoinlandsprodukt 2010 0,7 0,4 2011 0,9 0,8 2012 0,8 0,6 0,3 0,2 0,2 0,9 0,7 0,2 0,1 0,6 2,3 1,5 5,8 −4,3 3,7 1,3 0,7 0,6 0,1 0,2 2,4 0,5 3,8 −3,3 3,0 0,5 0,3 0,2 0,1 −0,3 1,0 −0,3 2,3 −2,6 0,8 Quellen: Statistisches Bundesamt; ab 2011: eigene Prognose Abbildung 5: Prognoseintervall für die Veränderung des realen Bruttoinlandsproduktes1 - Veränderung gegenüber Vorjahr in % 4,0 4,0 3,0 3,0 2,0 2,0 1,0 1,0 0,0 0,0 -1,0 -1,0 -2,0 -2,0 2010 Konfidenz 66% O Konfidenz 90% O 2011 2012 Konfidenz 66% U Konfidenz 90% U Bruttoinlandsprodukt IWH/Kiel Economics 1 Zur Berechnung werden die Prognosefehler der Vergangenheit herangezogen und Risikoszenarien ausgeblendet, d. h., die tatsächliche Prognoseunsicherheit unter Einbeziehung extremer Risiken ist höher als hier angegeben. – O = Obergrenze, U = Untergrenze. Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich im zweiten Quartal des Jahres 2011 nochmals verbessert. Die Zahl der Erwerbstätigen nahm saisonbereinigt um 150 000 Personen bzw. 0,4% zu. Mit 208 000 Personen bzw. 0,7% stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten besonders kräftig an, wobei etwa zwei Drittel Vollzeitstellen waren. Etwa ein Fünftel des Beschäftigungszuwachses entfiel auf Leiharbeiter. Der Anteil der Leiharbeiter an der Zahl der Arbeitnehmer beträgt nunmehr etwa 2,5%. Hingegen sank die Zahl der Personen mit Ein-Euro-Job, die statistisch zu den Erwerbstätigen zählen, gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 106 000. Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen stieg saisonbereinigt um 0,2%. Besonders kräftig nahm die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden im Verarbeitenden Gewerbe und bei den Unternehmensdienstleistern zu. Die Arbeitszeit je Erwerbstätigen, gemessen über alle Wirtschaftsbereiche, ging das zweite Quartal in Folge zurück und folgt nunmehr wieder dem langfristigen Abwärtstrend. Dabei zeigt sich zwischen den Wirtschaftsbereichen kein einheitliches Bild: Während im Verarbeitenden Gewerbe, in dem während der Krise durch arbeitszeitverkürzende Maßnahmen ein deutlicher Personalabbau verhindert wurde, die Arbeitszeit saisonbereinigt um 0,6% zunahm, sank in fast allen anderen Wirtschaftsbereichen die Arbeitszeit je Erwerbstätigen. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen ist weiter zurückgegangen. Im zweiten Quartal des Jahres 2011 waren saisonbereinigt 2,98 Millionen Personen arbeitslos. Dies waren 89 000 Arbeitslose weniger als im Vorquartal. Der Rückgang blieb jedoch erheblich hinter dem Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen zurück. Offensichtlich haben aufgrund der günstigen Arbeitsmarktlage Personen, die bisher der Stillen Reserve zuzurechnen waren, einen Arbeitsplatz gefunden. Hinzu kommt, dass infolge des Auslaufens der Beschränkung der Freizügig311 keit für Arbeitnehmer aus EU-Mitgliedsländern das Erwerbspersonenpotenzial gestiegen ist. Allerdings ist dieser Effekt bislang gering. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) schätzt, dass zwischen April und Juni dieses Jahres etwa 33 000 Personen infolge der uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit eine Arbeit in Deutschland aufgenommen haben.5 Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich im weiteren Verlauf des Jahres 2011 vorübergehend etwas eintrüben. Zwar gibt es nach wie vor eine große Zahl an offenen Stellen am ersten Arbeitsmarkt.6 Infolge der schwachen Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion im Winterhalbjahr wird das Arbeitsvolumen jedoch abnehmen. Da die Arbeitsstunden je Erwerbstätigen – entsprechend dem langfristigen Trend – weiter abnehmen werden, wird die Zahl der Erwerbstätigen langsamer sinken als das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen. Die Zahl der Erwerbstätigen wird in diesem Jahr um 480 000 Personen bzw. 1,2% über dem Vorjahresniveau liegen. Mit jahresdurchschnittlich 41 Millionen Erwerbstätigen wird der höchste Beschäftigungsstand seit dem Jahr 1991 erreicht. Im Jahr 2012 wird das Arbeitsvolumen um 0,3% sinken und die Zahl der Erwerbstätigen auf dem Vorjahresniveau verbleiben (vgl. Abbildung 6). Die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials wird im Prognosezeitraum durch Sonderfaktoren beeinflusst.7 Dazu zählen – neben dem Auslaufen der Beschränkung der Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus einigen EU-Mitgliedsländern – die Aussetzung der Wehrpflicht sowie die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit in einigen Bundesländern. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren wird die Zahl der registrierten Arbeitslosen im Jahr 2011 um 191 000 Personen und im Jahr 2012 um 56 000 gegenüber dem Vorjahr abnehmen. Die auf die Erwerbspersonen im Inland bezogene Arbeits- 5 Vgl. hierzu Bundesagentur für Arbeit: Auswirkungen der uneingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai auf den Arbeitsmarkt (Stand: Juni 2011). Nürnberg, August 2011, 2. 6 Im zweiten Quartal dieses Jahres gab es nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürnberg 975 000 offene Stellen am ersten Arbeitsmarkt. Das waren ca. 190 000 mehr als im zweiten Quartal 2010 (vgl. IABErhebung des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots vom 11.08.2011). 7 Nach Schätzungen des IAB nimmt das Erwerbspersonen- potenzial im Jahr 2011 um 69 000 Personen ab. Vgl. Fuchs, J.; Hummel, M.; Klinger, S.; Spitznagel, E.; Wanger, S.; Weber, E.; Zika, G.: Neue Arbeitsmarktprognose 2011: Rekorde und Risiken, in: IAB-Kurzbericht, 7/2011, 10. 312 losenquote wird 6,9% in diesem Jahr und 6,8% im Jahr 2012 betragen. Abbildung 6: Erwerbstätige - Inlandskonzept, saisonbereinigter Verlauf Millionen Personen Tausend Personen 300 42,0 250 41,5 191 482 -17 200 150 41,0 488 40,5 100 17 50 0 40,0 -50 665 39,5 Prognosezeitraum 39,0 -100 -150 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Veränderung gegenüber Vorquartal in Tausend P ersonen (rechte Skala) M illio nen Perso nen Jahresdurchschnitt¹ (linke Skala) IWH/Kiel Economics 1 Ursprungswerte: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in tausend Personen. Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen; ab 3. Quartal 2011: eigene Prognose. Die seit Beginn des Jahres 2011 ausgehandelten Tarifverträge umfassen aufgrund der ausgesprochen guten Arbeitsmarktlage teilweise kräftige tabellenwirksame Lohnsteigerungen, aber auch hohe Einmalzahlungen. Allerdings gibt es – wie bereits auch in den vergangenen Jahren – viele Bereiche, in denen keine neuen Tarifverträge abgeschlossen wurden. Insgesamt stiegen die Tariflöhne damit im ersten Quartal nur um 1,7% und im zweiten Quartal sogar nur um 1,3%. Dies führte zu einer starken Zunahme der Lohndrift, da die Effektivlöhne je Arbeitnehmer im ersten Halbjahr 2011 kräftig an Fahrt gewannen. Sie nahmen insbesondere im zweiten Quartal 2011 mit 4,1% im Vergleich zum Vorjahresquartal kräftig zu. Neben Einmalzahlungen wie im Bereich der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen hat hierzu die kräftige Zunahme der Überstunden im Verarbeitenden Gewerbe aufgrund der guten konjunkturellen Lage beigetragen. Die derzeitigen Lohnzuwächse belasten die Unternehmen in einem konjunkturellen Abschwung daher nicht dauerhaft. Insgesamt steigen die Effektivlöhne je Arbeitnehmer in diesem Jahr um 3,4%. Im kommenden Jahr wird sich dies aufgrund der etwas eingetrübten Arbeitsmarktlage allerdings leicht abschwächen, sie dürften jedoch im nächsten Jahr nochmals um Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 2,4% zulegen. Auch die Stundenlöhne folgen dieser Entwicklung. Hinzu kommt, dass die derzeit kräftigen Preissteigerungen bei den Lebenshaltungskosten geringer werden. Die Tariflöhne werden in diesem Jahr mit 1,7% und im nächsten Jahr mit 2,1% nochmals leicht zulegen. Alles in allem steigen die Effektivverdienste je Arbeitnehmer in diesem Jahr real um 1,2% und im darauffolgenden Jahr um 0,8%. Die Lohnkostenbelastung der Produktion nimmt – gemessen an den Lohnstückkosten – in diesem Jahr um 1,4% und im nächsten Jahr um 1,5% zu. den USA aufgrund des Fortbestehens der Schuldenproblematik nur geringfügig zunehmen. Allerdings werden die deutschen Ausfuhren dann von der Nachfrage der asiatischen und der mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften wieder etwas stärker gestützt. Aufgrund des starken Anstiegs im ersten Halbjahr werden die deutschen Exporte im laufenden Jahr um 8,1% zunehmen und im kommenden Jahr um 4,6% (vgl. Abbildung 7). Abbildung 7: Reale Exporte - Saison- und arbeitstäglich bereinigter Verlauf - Trotz der deutlichen konjunkturellen Verlangsamung in wichtigen Industrieländern setzten die deutschen Ausfuhren ihre Aufwärtsbewegung im Frühjahr beschleunigt fort. Damit lagen die Warenexporte im zweiten Quartal 2011 in realer Rechnung um 30% höher als zum Tiefpunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise genau zwei Jahre zuvor. Besonders kräftig expandierten im Frühjahr aufgrund der dort nach wie vor robusten Konjunktur die Lieferungen in die neuen EU-Mitgliedstaaten, nach Russland und in einige asiatische Länder. Dagegen entwickelte sich die Nachfrage wichtiger westlicher Handelspartnerländer schwächer als zuvor. Im Euroraum galt dies für die südeuropäischen Mitgliedsländer, außerdem betraf dies Großbritannien. Doch auch die Ausfuhren in das von der Natur- und Reaktorkatastrophe erschütterte Japan standen im Zeichen der dort schwachen beziehungsweise rückläufigen Produktionsentwicklung. Im kommenden Winterhalbjahr wird sich die Exportdynamik zunächst deutlich abschwächen. Verantwortlich hierfür ist insbesondere die Entwicklung im Euroraum, wo vorübergehend weitere Länder in eine Rezession abgleiten werden. Doch auch die Ausfuhren in die USA werden insbesondere durch die dort weiterhin schwache Entwicklung des privaten Konsums gedämpft. Schließlich wird die Nachfrage der asiatischen Handelspartnerländer im Winterhalbjahr etwas schwächer expandieren als zuletzt. Zwar wird die Konjunktur in Japan nach dem Einbruch infolge der Natur- und Reaktorkatastrophe einerseits kräftig anziehen; andererseits wird aber der Produktionsanstieg in den asiatischen Schwellenländern durch die konjunkturelle Verlangsamung in den westlichen Industrieländern sowie durch die heimische Wirtschaftspolitik gebremst. Im weiteren Verlauf des kommenden Jahres wird die Nachfrage im Euroraum und in Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 % Mrd. Euro Exportboom geht zu Ende 350 12 340 10 4,6 330 320 8 6 8,1 310 4 300 2 2,7 290 0 280 8,0 270 260 -2 13,7 -4 -13,6 250 -6 Prognosezeitraum 240 -8 -10 230 -12 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Veränderung gegenüber Vo rquartal (rechte Skala) Verkettete Vo lumenangaben (linke Skala) Jahresdurchschnitt¹ (linke Skala) IWH/Kiel Economics 1 Ursprungswerte: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen; ab 3. Quartal 2011: eigene Prognose. Die Einfuhren legten im zweiten Quartal noch kräftiger zu als die Exporte. Getrieben wurde der Importzuwachs allein durch die Wareneinfuhren, die sich, trotz schwächer expandierender Binnennachfrage, mit einer Rate von 4% erhöhten. Aufgrund der weiterhin kräftig expandierenden Unternehmensinvestitionen wurde insbesondere die Einfuhr von Investitionsgütern ausgeweitet. Zudem trugen die Energieimporte überdurchschnittlich zum Importanstieg bei. Doch auch die Einfuhr von Ge- und Verbrauchsgütern stieg trotz rückläufiger Konsumnachfrage weiter an. Somit wurde der Lageraufbau im zweiten Quartal offensichtlich in starkem Maße aus Importen gespeist. Im Winterhalbjahr 2011/ 2012 dürften die Einfuhren nicht zuletzt aufgrund der derzeit hohen Lagerbestände deutlich schwächer expandieren. Zudem werden die stagnierende Binnennachfrage und die langsamer zulegenden Exporte die Importdynamik dämpfen. Im weiteren Verlauf dürfte insbesondere mit dem kräftigen Wiederanziehen der Unternehmensinvestitionen und 313 der beschleunigten Ausweitung der Exporte die Nachfrage nach Investitions- und Vorleistungsgütern aus dem Ausland wieder stärker expandieren. Alles in allem werden die Einfuhren im Jahr 2012 um 5,6% zulegen, nach 7,9% in diesem Jahr. Damit wird der Außenhandel im kommenden Jahr nicht mehr zum Produktionsanstieg beitragen. Seit dem vergangenen Jahr befinden sich die Einfuhrpreise, insbesondere aufgrund der mit dem kräftigen weltwirtschaftlichen Aufschwung gestiegenen Notierungen an den Rohstoffmärkten, in einem deutlichen Aufwärtstrend. Im Prognosezeitraum dürfte sich dieser Preisauftrieb infolge der Verlangsamung der Weltkonjunktur jedoch abschwächen. Nach einer nochmals deutlichen Verschlechterung im laufenden Jahr werden sich die Terms of Trade demzufolge im kommenden Jahr nur noch leicht verringern. haltig eingetrübt. Die hier zu erwartende sinkende Kapazitätsauslastung verbunden mit Gewinneinbußen wird viele Exportunternehmen veranlassen, geplante Erweiterungsinvestitionen zunächst zurückzustellen. Die konsumnahen Industriebranchen dürften zwar von der Belebung des privaten Konsums profitieren, ihre Kapazitätsauslastung war im letzten Aufschwung aber nur geringfügig über Normalauslastung gestiegen, sodass die Investitionstätigkeit hier zunächst nur mäßig steigen und noch mehrheitlich auf Rationalisierung ausgerichtet sein wird. Die Investitionsbudgets für Baumaschinen und -geräte dürften allerdings ausgeweitet werden,9 da die Unternehmen des Baugewerbes inzwischen eine relativ hohe Geräteauslastung melden. Abbildung 8: Reale Investitionen in Ausrüstungen - Saison- und arbeitstäglich bereinigter Verlauf Mrd. Euro Bremsspuren bei den Investitionen Die Ausrüstungsinvestitionen haben im zweiten Quartal 2011 den Anstieg des Bruttoinlandsproduktes entscheidend gestützt. Sie nahmen mit 1,7% im Verlauf nur wenig schwächer zu als im Quartal zuvor. Insbesondere in der Industrie wurden bei deutlich überdurchschnittlich ausgelasteten Produktionskapazitäten dringend notwendige Anschaffungen an Maschinen und Geräten getätigt. Wesentlich stimuliert wurde dies durch die immer noch sehr günstigen internen und externen Finanzierungsmöglichkeiten. Davon profitierte auch die Baukonjunktur, die sich abgesehen von den Verzerrungen durch den außergewöhnlich harten Winter Ende 2010, nämlich die witterungsbedingten Aufholarbeiten im ersten und den negativen Echoeffekt im zweiten Quartal, im Wesentlichen fortgesetzt hat. Der Zuwachs bei den Bauinvestitionen war nach Bereinigung dieser Effekte mit mehr als 3% im Verlauf der letzten drei Quartale sogar außergewöhnlich hoch und umfasste alle Sparten. Die Investitionstätigkeit der Unternehmen scheint im Sommer noch intakt, aber wohl schon weniger dynamisch als zuvor zu sein. Darauf deuten Auftragsbestände hin.8 Im kommenden Winterhalbjahr wird sie aber einen deutlichen Dämpfer erhalten (vgl. Abbildung 8). Der weltweite Abschwung hat die Absatzaussichten der Exportwirtschaft nach8 Die Reichweite der vorhandenen Bestellungen hat laut ifo- Umfragen bis zuletzt zugenommen und liegt jetzt im Durchschnitt des Investitionsgütergewerbes bei vier, im Maschinenbau sogar bei etwa 4½ Produktionsmonaten. 314 % 60 10 55 3,7 3,6 50 5 0 10,5 10,5 45 9,5 -5 -22,8 40 -10 35 Prognosezeitraum 30 -15 -20 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Veränderung gegenüber Vo rquartal (rechte Skala) Verkettete Vo lumenangaben (linke Skala) Jahresdurchschnitt¹ (linke Skala) IWH/Kiel Economics 1 Ursprungswerte: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen; ab 3. Quartal 2011: eigene Prognose. Im späteren Verlauf des nächsten Jahres wird die Investitionstätigkeit erneut anspringen. Wie in der vorliegenden Prognose unterstellt, dürften sich die Unsicherheiten aus den Turbulenzen an den Finanzmärkten für die Investoren dann deutlich weniger akut darstellen, die Absatzaussichten im Ausland festigen sich wieder bzw. bleiben im Inland aufwärtsgerichtet. Insbesondere die Unternehmen, die im vergangenen Aufschwung an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen sind, werden ihre Investitionstätigkeit wieder ankurbeln. Neben den exportorientierten Branchen dürften dazu angesichts 9 Das signalisieren auch die Ergebnisse der DIHK-Mittelstands- umfrage, siehe DIHK-Mittelstandsreport, Sommer 2011, 17. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 der wieder anziehenden Konsumneigung auch die binnenorientierten Branchen gehören. Das Finanzierungsumfeld wird diese Entwicklung weitgehend stützen. Die Gewinne steigen wieder, und die Kreditbedingungen verschlechtern sich nur leicht. Insgesamt nehmen die Unternehmensinvestitionen im Jahr 2011 um 8% und im Jahr darauf um 3% zu (vgl. Tabelle 6). Tabelle 6: Reale Anlageinvestitionen in Deutschland - Veränderung gegenüber Vorjahr in % 2010 2011 2012 Anlageinvestitionen insgesamt 5,5 7,3 2,6 Ausrüstungen sonstige Anlagen Bauinvestitionen insgesamt Wohnbauten Nichtwohnbauten insgesamt gewerbliche Bauten öffentliche Bauten nachrichtlich: Unternehmensinvestitionen 10,5 4,7 2,2 3,5 0,6 1,7 −1,8 9,5 4,5 6,0 7,0 4,7 5,7 2,4 3,7 5,5 1,5 2,7 0 0,4 −0,9 lung hat sich allerdings die Finanzlage der Kommunen, Hauptträger der Investitionen, deutlich entspannt, sodass ihre Investitionstätigkeit im Verlauf auf dem zuvor erreichten hohen Niveau fortgeführt werden dürfte. Im kommenden Jahr gibt die Baunachfrage mit dem vollständigen Auslaufen der Konjunkturpakete zunächst leicht nach, was auch den Rückgang im Jahr insgesamt begründet. Im Jahresverlauf dürfte sich allerdings eine wenn auch geringfügige Erholung einstellen. Insgesamt steigen die Bauinvestitionen im Jahr 2011 um 6% und im kommenden Jahr um 1,5% (vgl. Abbildung 9). Abbildung 9: Reale Bauinvestitionen - Saison- und arbeitstäglich bereinigter Verlauf Mrd. Euro % 57 10 1,5 56 6,0 55 8 6 54 4 -0,3 53 2 -0,7 7,8 8,0 52 3,0 0 51 Quellen: Statistisches Bundesamt; ab 2011: eigene Prognose. -2 2,2 50 Prognosezeitraum -3,0 Die Wohnungsbauinvestitionen werden im Prognosezeitraum weiter expandieren. Die entscheidenden Anstöße kommen von der gefestigten Arbeitsmarktlage und den steigenden real verfügbaren Einkommen, die zusätzlich durch niedrige Hypothekenzinsen und die Skepsis der privaten Haushalte über die Sicherheit anderer Anlageformen gestärkt werden. Die aufwärtsgerichteten Auftragseingänge und -bestände des Bauhauptgewerbes im Wohnungsbau deuten auf eine zunächst sogar nochmals kräftig zunehmende Neubautätigkeit hin, die alle Bauarten und Bauherren erfasst. Zwar wird sich diese Aufwärtsbewegung im Winterhalbjahr 2011/2012, wie die Baugenehmigungen und Geschäftserwartungen der Bauunternehmen anzeigen, etwas abschwächen. Die mit der Schuldenkrise einhergehende Verunsicherung der privaten Haushalte über mögliche zukünftige Belastungen dürfte sich aber wieder etwas zurückbilden. Außerdem dürfte die energetische Sanierung, die bereits in den zurückliegenden Jahren der Treiber im Ausbau war, angesichts der im Rahmen der „Energiewende“ aufgestockten Förderung Impulse auslösen. Die öffentlichen Haushalte weiten ihre Investitionen im laufenden Jahr aus. Zwar schwächen sich die Impulse von Seiten der Konjunkturpakete ab. Angesichts der guten konjunkturellen EntwickWirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 49 48 -4 -6 -8 I II III IV 2007 I II III IV 2008 I II III IV 2009 I II III IV 2010 I II III IV 2011 I II III IV 2012 Veränderung gegenüber Vorquartal (rechte Skala) Verkettete Vo lumenangaben (linke Skala) Jahresdurchschnitt¹ (linke Skala) IWH/Kiel Economics 1 Ursprungswerte: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen; ab 3. Quartal 2011: eigene Prognose. Privater Konsum stützt die Konjunktur Nach der Kaufzurückhaltung der privaten Haushalte in der Krise haben diese bis Anfang 2011 wieder mehr konsumiert. Dies wurde durch eine geringe Preisdynamik, steigende Einkommen und bessere konjunkturelle Aussichten gestützt. Insbesondere im ersten Halbjahr 2011 stiegen die Löhne und Gehälter vor allem aufgrund der günstigen Arbeitsmarktlage mit 5,1% nochmals stärker als zuvor, gleichzeitig sanken durch den Abbau der Arbeitslosigkeit die monetären Sozialleistungen an die privaten Haushalte. Insgesamt nehmen damit die Masseneinkommen nominal um 2,0% zu. Die kräftige Erholung bei den Selbstständigen- und Vermögenseinkommen flachte zum Schluss etwas ab. Insgesamt stiegen die verfügbaren Einkommen in den beiden ersten Quartalen 2011 jedoch mit 315 jeweils 3,4% deutlich an. Allerdings wurde dieser Zuwachs durch die zum Jahreswechsel 2010/2011 einsetzende stärkere Inflation zu einem großen Teil aufgezehrt. Im ersten Quartal wurden davon besonders viele Kfz-Käufe getätigt und weniger gespart. Die für das zweite Quartal typische Frühjahrsbelebung im Kfz-Handel fiel hingegen geringer aus, sodass nach der Kalender- und Saisonbereinigung dem spürbaren Zuwachs von 5,6% im ersten Quartal ein kräftiges Umsatzminus von fast 4% im zweiten Quartal folgte. Insgesamt dürfte dies mit ein wesentlicher Grund sein, warum trotz kräftiger Impulse von den Löhnen im zweiten Quartal der reale private Verbrauch mit 0,7% zum Vorquartal zurückging. Im zweiten Halbjahr 2011 werden die Bruttolöhne und -gehälter weiter kräftig zunehmen (4,2%). Durch die konjunkturelle Schwächephase im kommenden Winterhalbjahr wird sich die Lage am Arbeitsmarkt jedoch etwas eintrüben und die Lohnsumme dürfte etwas geringer steigen. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass die im ersten Halbjahr beobachteten hohen Lohnzuwächse zum Teil auf Einmalzahlungen und bezahlten Überstunden basieren, die sich bei einem Einbruch der Konjunktur nicht im gleichen Ausmaß wiederholen dürften. Zu einem Rückgang der Effektivlöhne wie im Jahr 2009 wird es wohl nicht kommen. Im Jahr 2012 werden die Löhne und Gehälter um 2,2% nach 4,6% in diesem Jahr steigen. Der Abbau der Arbeitslosigkeit bis zum dritten Quartal führt wie in den Vorquartalen zu weiter sinkenden monetären Sozialleistungen. Mit der konjunkturellen Schwäche im Winterhalbjahr werden sie wieder zunehmen. Zudem ist Mitte 2012 eine etwas stärkere Rentenerhöhung zu erwarten, da sich diese an der starken Lohnentwicklung des Vorjahres orientiert. Insgesamt wird nach einer Abnahme der monetären Sozialleistungen um 0,9% in diesem Jahr eine Zunahme um 1,0% im Jahr 2012 erwartet. Auch die Selbstständigen- und Vermögenseinkommen werden von der konjunkturellen Abschwächung nicht verschont bleiben. Sie dürften nach einem nochmals kräftigen Schub im dritten Quartal nur noch geringe Zuwächse bis Mitte 2012 aufweisen. Neben dem geringen Zinsniveau bei Geldanlagen dürften zudem die niedrigeren Gewinne bei Unternehmensbeteiligungen die Dynamik der Einkünfte begrenzen. Im zweiten Halbjahr 2012 ist dann wieder von kräftiger wachsenden Selbstständigen- und Vermögenseinkommen auszugehen. 316 Alles in allem nehmen die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte damit in diesem Jahr nominal zwar stärker zu als im vorangegangenen Jahr (3,1%, davor 2,9%) die Preisentwicklung nivelliert dies jedoch (0,9%, davor 1,0%). Der Anreiz zu sparen dürfte aufgrund der niedrigen Zinsen gering sein. Daher wird davon ausgegangen, dass die Sparquote sowohl im Jahr 2011 als auch im darauffolgenden Jahr leicht sinkt. Es deutet sich an, dass die noch kräftig steigenden Lohneinkommen die privaten Käufe im dritten Quartal wieder ansteigen lassen. Die jedoch einsetzenden konjunkturellen Sorgen hemmen eine weitere kräftige Ausweitung des Konsumbudgets der privaten Haushalte, sodass die Konsumausgaben im Winterhalbjahr nur noch leicht zunehmen und sich im Laufe des nächsten Jahres etwas steigern werden. Insgesamt werden die Konsumausgaben der privaten Haushalte im Jahr 2011 voraussichtlich um 1,3% zulegen, im Jahr danach um 1,0% (vgl. Abbildung 10). Abbildung 10: Reale Konsumausgaben der privaten Haushalte1 - Saison- und arbeitstäglich bereinigter Verlauf % Mrd. Euro 348 1,5 344 1,0 1,0 1,3 340 0,5 0,0 336 -0,5 0,6 332 0,6 -0,1 -1,0 -0,2 328 Prognosezeitraum 324 320 -1,5 -2,0 -2,5 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Veränderung gegenüber Vorquartal (rechte Skala) Verkettete Volumenangaben (linke Skala) Jahresdurchschnitt² (linke Skala) IWH/Kiel Economics 1 Einschließlich Organisationen ohne Erwerbszweck. – werte: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. 2 Ursprungs- Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen; ab 3. Quartal 2011: eigene Prognose. Preisauftrieb nimmt ab Die Inflation liegt seit dem Frühjahr bei knapp 2½%. Dabei wird die Entwicklung des Verbraucherpreisindexes nach wie vor stark von den Energiepreisen beeinflusst. So lagen die Preise für Strom, Gas und andere Brennstoffe sowie für Kraft- und Schmierstoffe für Privatfahrzeuge im ersten Halbjahr um etwa 10% über ihrem Vorjahresniveau. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Auch die Preise vieler Nahrungsmittel lagen deutlich über ihren Vorjahresständen. Die Kerninflationsrate (ohne Preise für Energie und saisonabhängige Nahrungsmittel) hat dabei nur moderat zugelegt, im August lag sie bei 1,6%. Preissteigernd wirkten am Anfang des Jahres Anhebungen von administrierten Preisen und von Verbrauchsteuersätzen (Stromsteuer, Tabaksteuer,10 Luftverkehrsteuer) sowie die Energiepreiserhöhungen durch die Erneuerbare-Energien-Gesetz-Umlage.11 Im Prognosezeitraum dürfte der Anstieg der Verbraucherpreise unter der Annahme nur gering steigender Ölpreise nachlassen, sodass sich das Preisniveau in diesem Jahr um 2,3% und im kommenden Jahr um 1,8% erhöht. Defizitabbau kommt voran Die Einnahmen des Staates werden im Jahr 2011 um 5,5% und im Jahr 2012 um 2,4% zunehmen. Hierzu tragen vor allem die Steuereinnahmen bei, die im Jahr 2011 um 7,5% und im Jahr 2012 um gut 3% steigen. Waren es im vergangenen Jahr insbesondere die Gewinnsteuern, die nach dem krisenbedingten Einbruch wieder anzogen, so expandieren nunmehr vor allem die beiden aufkommenstärksten Steuern, die Lohn- und die Mehrwertsteuer. Die Lohnsteuereinnahmen werden in diesem Jahr aufgrund des Beschäftigungshöchststandes sowie der kräftig expandierenden Lohnsumme um gut 9% zulegen. Mit der abflauenden wirtschaftlichen Entwicklung wird die Zahl der Beschäftigten im kommenden Jahr dann zwar geringfügig niedriger liegen, die Lohnsumme nimmt aber noch deutlich zu, und auch die Lohnsteuer wird mit 5% weiter kräftig zulegen. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hat zudem auch die (nominalen) Konsumausgaben der privaten Haushalte spürbar zunehmen lassen. Dies spiegelt sich in den Steuern vom Umsatz wider; sie expandieren in diesem Jahr um knapp 6% und werden im kommenden Jahr um 3½% steigen. Die Steuereinnahmen nehmen allerdings auch zu, weil im Zuge der Haushaltskonsolidierung zu Beginn des Jahres 2011 eine Luftverkehrsabgabe sowie eine Kernbrennelementesteuer eingeführt wurden. Da die neu geschaffenen Beschäftigungsverhältnisse zu einem großen Teil sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsverhältnisse sind und außer10 Hier erfolgt eine stufenweise Anhebung der Steuer bis zum Jahr 2016. 11 Es erfolgt eine jährliche Neuberechnung der Umlage. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 dem zu Beginn des Jahres 2011 die Beitragssätze angehoben wurden, expandieren die Beitragseinnahmen der Sozialversicherungen kräftig, um 4%. Im Winterhalbjahr wird die Zahl der Beschäftigten allerdings vorübergehend leicht zurückgehen, und im kommenden Jahr ist von einer Senkung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung auszugehen, denn die Nachhaltigkeitsrücklage wird gegen Ende des Jahres 2011 die Höhe von 1,5 Monatsausgaben überschreiten. Alles in allem werden die Beitragseinnahmen nur noch um 1,2% zunehmen. Die übrigen Einnahmen des Staates werden um 1,7% in diesem und 2,5% im kommenden Jahr steigen. Hierzu tragen insbesondere die Einnahmen des Staates aus Verkäufen bei. Die Ausgaben des Staates werden alles in allem im Jahr 2011 um knapp 2% sinken; im Jahr 2012 werden sie um 2,3% zunehmen. Sowohl die Konsolidierungsmaßnahmen als auch die zeitliche Befristung konjunkturstimulierender Maßnahmen in den Vorjahren dämpfen in diesem Jahr den Anstieg der Ausgaben des Staates für Vorleistungen, soziale Sachleistungen und Arbeitnehmerentgelte; sie legen nur um knapp 2% zu. Im kommenden Jahr werden diese Ausgaben dann wieder etwas stärker zunehmen. So werden die Entgelte im öffentlichen Dienst nicht dauerhaft von der Lohnentwicklung in der Gesamtwirtschaft abgekoppelt sein können, und bei den sozialen Sachleistungen ist wieder mit einer höheren Dynamik zu rechnen. Die monetären Sozialleistungen sinken im Jahr 2011 um knapp 1%. Zum einen liegen die Ausgaben für Kurzarbeitergeld wieder auf ihrem Vorkrisenniveau. Zum anderen sind die Ausgaben für Lohnersatzleistungen im Aufschwung merklich zurückgegangen. Letztere werden im Gefolge der konjunkturellen Entwicklung im kommenden Jahr wieder leicht zunehmen. Vor allem aber werden die Rentenausgaben steigen, denn die Anhebung der Renten orientiert sich an der durchschnittlichen Lohnentwicklung im Vorjahr, und diese war kräftig. Allerdings wird die jährliche Rentenanhebung nach wie vor durch das Nachholen rentenmindernder Faktoren gedämpft. Alles in allem werden die monetären Sozialleistungen um 1½% steigen. Die Bruttoinvestitionen des Staates werden im Jahr 2011 um 3% steigen. In den Konjunkturpaketen waren in erheblichem Umfang Mittel für öffentliche Investitionen bereitgestellt worden. Solche Bauprojekte mussten bis Ende 2010 begonnen werden und werden zum Teil noch in diesem Jahr verbaut. Hinzu kommt, dass die Steuereinnahmen der Kommunen kräftig zugenommen haben und Haushalts317 Kasten 4: Zu den Auswirkungen der durch die Schuldenkrise gedrückten Zinsen auf die Zinsausgaben des Bundes Nach der vorliegenden Prognose ist die Zuspitzung der Schulden- und Vertrauenskrise das Hauptrisiko für die deutsche Konjunktur. Wegen der starken Abhängigkeit der Einnahmen und Ausgaben öffentlicher Haushalte von der Konjunktur wird die Krise die öffentlichen Haushalte in Deutschland erheblich belasten. Das gilt unabhängig davon, ob die im Zuge der Schuldenkrise insbesondere für den Europäischen Stabilisierungsfonds abgegebenen Garantien gezogen werden oder nicht. Gegenwärtig wirkt auf den Bundeshaushalt allerdings auch ein Entlastungseffekt, der daraus resultiert, dass der Bund geringere Zinszahlungen auf seine Schulden leisten muss, weil seit Ausbruch der Schuldenkrise Anfang 2010 die Renditen von Bundesanleihen ungewöhnlich niedrig sind, da diese als sichere Anlagen gelten. Im Folgenden wird das Ausmaß der sich daraus ergebenden Entlastung geschätzt. Vom Bund wurden im Jahr 2010 Anleihen im Wert von 322 Mrd. Euro begeben. In der ersten Hälfte des laufenden Jahres betrug der Absatz 169 Mrd. Euro;a wird davon ausgegangen, dass das Volumen der Neuemissionen in der zweiten Jahreshälfte genauso hoch ist, ergibt sich für 2011 ein erwartetes Emissionsvolumen von 338 Mrd. Euro. Die durchschnittliche Laufzeit der Neuemissionen im ersten Halbjahr 2011 betrug knapp 6½ Jahre und entsprach damit der gängigen Restlaufzeit deutscher Staatschulden.b Wie hoch die Zinsausgaben der öffentlichen Hand im vergangenen Jahr sowie in den kommenden 5½ Jahren gewesen wären bzw. sein würden, wenn die Renditen nicht von Anfang 2010 bis Ende 2011 durch die europäische Schuldenkrise gedrückt worden wären bzw. würden, lässt sich ermitteln, indem man das Emissionsvolumen multipliziert mit einem hypothetischen Zinsniveau, zu dem sich öffentliche Anleihen mit 6½-jähriger Laufzeit unter normalen Umständen verzinsen würden. Gemäß der Erwartungstheorie der Zinsstruktur sollte die Rendite von Bundesanleihen mit 6½-jähriger Restlaufzeit dem Durchschnitt der für die kommenden 6½ Jahre erwarteten Geldmarktsätze entsprechen, gegebenenfalls zuzüglich einer Liquiditäts- oder Risikoprämie. Für den Geldmarktsatz steht zu erwarten, dass er mittelfristig auf seinem konjunkturneutralen Niveau liegen wird. Dieses wird – als Summe aus der Potenzialwachstumsrate im Euroraum von 1,5%, dem Inflationsziel der EZB von 2% und einer Zeitpräferenzrate von 1% – bei 4,5% veranschlagt. Ein neutrales Zinsniveau in dieser Höhe entspricht auch den langfristigen Erwartungen des Marktes, wie sich aus der von der EZB regelmäßig berechneten Terminzinskurve für den Tagesgeldsatz ablesen lässt.c Zunächst dürften die Zinsen allerdings angesichts der schwachen Konjunktur im Euroraum deutlich unter diesem Niveau bleiben. Unterstellt man, dass die Geldmarktzinsen bis 2016 von derzeit 0,7% in gleichen Schritten auf das neutrale Niveau steigen und danach dort verharren, so ergibt sich von 2011 an gerechnet über die kommenden 6½ Jahre eine Durchschnittsverzinsung von 2,7%, von 2010 an gerechnet eine von 2,1%. Unterstellt man alternativ, dass das neutrale Geldmarktniveau erst 2017 (schon 2015) erreicht wird, errechnet sich ab 2011 eine Durchschnittsverzinsung von 2,4% (3,0%), ab 2010 eine von 1,9% (2,4%). Ein einfacher Schätzwert für die Liquiditäts- oder Risikoprämie lässt sich aus der durchschnittlichen Differenz zwischen der Rendite von Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit von sechs bis sieben Jahren und dem DreimonatsGeldmarktsatz in der Vergangenheit errechnen. Diese lag in den vergangenen 38 Jahren durchschnittlich bei 0,909 Prozentpunkten, seit 1999 betrug sie im Durchschnitt 0,913 Prozentpunkte. Als Summe aus dem erwarteten Niveau der Geldmarktzinsen in den kommenden 6½ Jahren und der Liquiditäts- oder Risikoprämie ergibt sich unter diesen Annahmen ein hypothetischer Referenzzins für Bundesanleihen mit 6½-jähriger Restlaufzeit von 3½% (ab 2011 gerechnet) bzw. 3% (ab 2010). Tatsächlich lag die Rendite von Bundesanleihen mit sechs- bis siebenjähriger Restlaufzeit im Durchschnitt des laufenden Jahres bisher bei 2,7%. Zuletzt notierte sie sogar nur bei 1,6%; bliebe sie bis Jahresende auf diesem Niveau, so läge sie im Jahresdurchschnitt bei 2,3% und damit um reichlich einen Prozentpunkt unter dem errechneten Referenzniveau. Für 2010 errechnet sich angesichts einer Durchschnittsrendite von 2,3% eine Differenz zum hypothetischen Referenzzins von rund einem halben Prozentpunkt. Für das geschätzte Emissionsvolumen des Bundes im Jahr 2011 ergibt sich vor diesem Hintergrund eine Zinsersparnis in Höhe von 3,38 Mrd. Euro pro Jahr. Aufaddiert über die Laufzeit der Anleihen von 6½ Jahren wird sich die Ersparnis auf rund 22 Mrd. Euro summieren. Für die Emissionen des Jahres 2010 beträgt die Zinsersparnis 1,61 Mrd. Euro pro Jahr und beläuft sich in der Summe über die Laufzeit von 6½ Jahren auf 10,5 Mrd. Euro. Insgesamt errechnet sich somit als Folge des durch die europäische Schuldenkrise gedrückten Niveaus der Anleiherenditen eine Ersparnis des Bundes in Höhe von 32,4 Mrd. Euro bis zum Jahr 2017. Im laufenden Jahr dürfte das öffentliche Budgetdefizit durch den Zinseffekt um fünf Mrd. Euro (0,2 Prozentpunkte in Relation zum Bruttoinlandsprodukt) geringer ausfallen. Dieser positive Effekt der Schuldenkrise im Euroraum sollte bei einer Aufstellung der durch die Krise ausgelösten Kosten berücksichtigt werden. Freilich ist er im Vergleich zu den Risiken der Schulden- und Vertrauenskrise für die öffentlichen Haushalte in Deutschland recht begrenzt. So haftet Deutschland, um nur einen Risikoaspekt der gegenwärtigen Krise zu nennen, mit etwa 120 Mrd. Euro für die vom Rettungsschirm EFSF (European Financial Stability Facility) begebenen Papiere. a Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht, verschiedene. – b Vgl. Becker und von Rotberg (2011), Staatsverschuldung 2020. Mimeo Deutsche Bank Research, Juli 2011, 8; http://www.dbresearch.de/PROD/DBR_INTERNET_DE-PROD/PROD0000000000276037/ Pr%C3%A4sentation%3A+Staatsverschuldung+2020.PDF. – c Vgl. Europäische Zentralbank (2011), Monatsbericht August, 37. 318 Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 spielräume für Investitionen genutzt werden. Da die Gewerbesteuer auch im kommenden Jahr deutlich expandieren wird, wird sich die kommunale Finanzlage weiter entspannen. Trotz des dann vollständigen Wegfalls fiskalischer Impulse werden die Bruttoinvestitionen daher auf ihrem Vorjahresniveau bleiben. Obgleich der Schuldenstand im Zuge der Finanzkrise deutlich gestiegen ist, sind die Zinsausgaben seit dem Jahr 2008 kontinuierlich gesunken, denn der deutsche Fiskus kann sich zurzeit zu ausgesprochen günstigen Bedingungen finanzieren (vgl. Kasten 4). Mit einer allmählichen Beruhigung der Finanzmärkte dürften aber auch Anleihen anderer Staaten wieder das Interesse der Kapitalgeber wecken, und der durchschnittliche Zins für deutsche Staatspapiere wird steigen. Im Jahr 2012 werden die Zinsausgaben des Staates daher um 4,2% zunehmen. Vor allem aber sinken die geleisteten Vermögenstransfers des Staates. Dahinter verbirgt sich, dass die Errichtung der Abwicklungsanstalt der Hypo Real Estate Bank (HRE) in Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zum Teil defizitwirksam verbucht wird. Nach Bewertung der Abschlussunterlagen war hier im vergangenen Jahr ein Betrag von 31 Mrd. Euro als defizitwirksam verbucht worden. Alles in allem wird der Finanzierungssaldo des Staates in beiden Jahren bei knapp 1% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt liegen. Zwar scheint die Konsolidierung damit auf den ersten Blick zu stocken. Im Jahr 2011 steht dabei aber dem Defizit der Gebietskörperschaften ein Überschuss der Sozialversicherungen von knapp 19 Mrd. Euro gegenüber. Dieser schmilzt im Jahr 2012 – auch wegen der Senkung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung – auf fünf Mrd. Euro ab. Letztlich verbirgt sich hinter der konstanten Defizitquote also ein fortgesetzter Abbau des strukturellen Defizits, allerdings um weniger als bisher geplant. Dieses liegt in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr bei 1,4% und im kommenden bei 1,2%. Die Gebietskörperschaften sind also weiter auf Konsolidierungskurs. Zu den Risiken Risiken für die Geldwertstabilität Die historisch einmalige Liquiditätsausweitung, mit der auf die Finanzkrise, die Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum sowie die anhaltende Schwäche in den USA reagiert wurde, ist bisher Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 nicht auf die Preise durchgeschlagen. Durch jahrzehntelange Erfolge in der Inflationsbekämpfung ist es den großen Zentralbanken gelungen, die langfristigen Inflationserwartungen nachhaltig zu stabilisieren. Dies wird nur so lange so bleiben, wie die Zentralbanken ihre Glaubwürdigkeit in Bezug auf das Preisstabilitätsziel nicht verspielt haben und die Liquiditätsversorgung im Falle erster Inflationsanzeichen reduzieren. Sowohl für die USA als auch für Europa ist diese Glaubwürdigkeit gefährdet. Die EZB hat ihren Grundsatz, öffentliche Verschuldung nicht direkt zu finanzieren, aufgegeben und damit begonnen, Staatsanleihen aufzukaufen. In den USA hat die Zentralbank sogar in außerordentlich großem Umfang Staatstitel aufgekauft. Nachdem die Verschuldungsgrenze mehrfach angehoben werden musste, teilweise erst nach langen und schwierigen Kontroversen zwischen Regierung und Kongress, steigt die Sorge, dass die Vereinigten Staaten ihre Schulden durch Inflation real reduzieren könnten. Sollte sich die Überzeugung durchsetzen, dass die EZB bzw. die US-Notenbank dem politischen Druck nicht standhalten können, dürften die Inflationserwartungen sprunghaft ansteigen. Auch bei schlechter Konjunktur kommt es dann zu Kostendruckinflation, da Lohnforderungen, aber auch Rohstoffpreise etc. schnell ansteigen dürften. Es drohte in diesem Fall eine Phase der Stagflation, in der die Unsicherheit über die Inflation, die bei höheren Inflationsraten meist deutlich volatiler ist, das Wachstum weiter bremsen kann. Für die USA gilt dies noch in wesentlich stärkerem Ausmaß als im Euroraum, weil dort die Reserven zur Geldschöpfung durch die Banken noch erheblich sind (vgl. Kasten 5), sodass fragwürdig ist, ob eine entschlossene Reduktion der Geldmenge durch die US-Notenbank kurzfristig überhaupt möglich ist. Risiken für die Finanzsystemstabilität Die gesamtwirtschaftliche Produktion wird im Winterhalbjahr 2011/2012 voraussichtlich geringfügig zurückgehen. Auch wenn damit technisch die Definition einer Rezession erfüllt wäre, wird es sich nach heutigem Erkenntnisstand nicht um einen schweren konjunkturellen Einbruch wie nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers handeln. Die Lage wäre eher mit den Stagnationsphasen der vergangenen Dekade vergleichbar. Allerdings sind derartige Phasen einer schwächeren Konjunktur stets mit erhöhten Risiken verbunden. 319 Kasten 5: Geldbasis, Geldmenge und Inflation Der erhebliche Anstieg der globalen Liquidität hat in jüngster Zeit vermehrt die Frage nach der Preisstabilität aufgeworfen. Dies gilt vor allem in den USA, wo die US-Notenbank nach wie vor einen stark expansiven Kurs signalisiert. Dabei ist die Inflation – ebenso wie die kurzfristigen Inflationserwartungen – bisher relativ stabil. Dies liegt wohl unter anderem daran, dass die Expansion bisher nur zu einem Bruchteil auf die für die Preisentwicklung relevanten breiten Geldmengenaggregate (in den USA M2) durchgeschlagen ist. Im Zuge der Bankenkrise ist der Geldmultiplikator in den USA (hier definiert als der Quotient von M2 und Geldbasis [MB]), der in den anderthalb Jahrzehnten vor der Krise relativ stabil um einen Wert von ca. 8,5 schwankte, auf unter vier eingebrochen. Durch das veränderte Verhalten der Banken war eine Verdopplung der Geldbasis notwendig, um eine sofortige Erleichterung der monetären Rahmenbedingungen (gemessen über M2) zu gewährleisten. Ein Zustandsraummodell, in dem die Überschussliquidität als latente Variable modelliert wird,* zeigt, dass bereits der bisherige Anstieg von M2 um ca. 10% ausreicht, um eine Überschussliquidität zu erzeugen, welche die Inflationsrate für mehr als ein Jahrzehnt über die 5%-Marke heben könnte (vgl. Abbildung). In dieser Schätzung sind die erheblichen Reservoirs für weitere Geldschöpfung aus der aktuellen Geldbasis noch nicht berücksichtigt. Abbildung: Simulation der Verbraucherpreisinflation in den USA mit 80%-Konfidenzbändern - Annualisierte Quartalsraten 0,10 0,05 0,00 -0,05 Obergrenze Konfidenzband Inflation Untergrenze Konfidenzband 2020 2019 2018 2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 -0,10 IWH/Kiel Economics Quelle: Eigene Berechnungen. Es erscheint unplausibel, dass der Geldmultiplikator, der sich seit der Krise nicht erholt hat, langfristig auf diesem Niveau verbleibt. Ein Vergleich mit den Multiplikatoren der wichtigsten Industrienationen in den vergangenen Jahrzehnten zeigt, dass der Geldmultiplikator typischerweise zwischen acht und 15 liegt. Selbst in Japan liegt er mit gut sieben immer noch deutlich über dem gegenwärtigen US-Niveau (vgl. Tabelle). Unterstellt man die (mittels eines Vektorfehlerkorrekturmodells für die Vorkrisenperiode geschätzte) Anpassungsdynamik von M2 und MB an ihr langfristiges Gleichgewicht, dürfte M2 mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% um gut 20% über dem Trend liegen, dem es in den Jahren zuvor folgte. Die Inflationsrisiken, die sich aus der gegenwärtigen geldpolitischen Situation ergeben, liegen damit deutlich höher, als sich aus dem gegenwärtigen Niveau von M2 ergibt. 320 Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Tabelle: Geldmultiplikatoren in ausgewählten Währungsräumena US EA AU CA DK 1984 bis 1988 12,1 - 7,9 11,7 - 1989 bis 1993 10,7 - 10,8 14,5 1994 bis 1998 8,5 - 11,0 1999 bis 2003 8,4 9,7 2004 bis 2008 8,5 2009 bis 2011 4,4 JP NW SD SW UK - - - 7,1 12,8 - - 13,1 - 8,3 17,2 14,2 - 10,6 11,5 10,9 11,1 18,6 14,0 13,0 9,8 8,5 12,3 10,8 11,1 18,5 8,8 15,7 14,2 11,9 7,2 15,7 12,6 10,8 20,1 7,5 - 16,2 11,9 7,6 14,8 8,9 7,3 - a Die Tabelle zeigt Geldmultiplikatoren (definiert als Quotient von M2 und Geldbasis) für die USA (US), die Eurozone (EA), Australien (AU), Kanada (CA), Dänemark (DK), Japan (JP), Norwegen (NW), Schweden (SD), die Schweiz (SW) und Großbritannien (UK). Quelle: Eigene Berechnungen. Sicherlich ist es technisch möglich, dass die US-Notenbank die Geldbasis schneller als in der Vergangenheit korrigiert, um so eine unerwünschte Ausdehnung der Geldmenge zu verhindern. Allerdings unterstellen die unteren Konfidenzbänder der Schätzung bereits eine untypisch kontraktive Politik über einen Zeitraum von vielen Jahren. Es ist allerdings fragwürdig, ob eine noch stärkere Korrektur der Geldbasis möglich ist, ohne die Stabilität der Finanzmärkte erneut zu gefährden. Gerade, wenn eine Stützung der Staatsfinanzen durch den Ankauf von US-Staatsanleihen angestrebt wird, dürfte eine solch starke Kontraktion ausgeschlossen sein. Die Belastung anderer Anleihenmärkte, die sich in diesem Fall bereits durch die Sterilisierung ergeben würde, dürfte eine nennenswerte Reduktion der Geldbasis nahezu unmöglich machen. * Vgl. El-Shagi, M.; Giesen, S.: Money and Inflation: The Role of Persistent Velocity Movements. IWH Discussion Paper 2/2010. Halle (Saale) 2010. Bei einer ohnehin schon kaum steigenden oder gar stagnierenden Nachfrage kann selbst eine negative Überraschung von deutlich geringerem Ausmaß als etwa dem des Erdbebens in Japan vom Frühjahr die Stimmung zum Kippen bringen und die Weltwirtschaft auf Rezessionskurs schicken. In der derzeitigen Situation besteht das größte Risiko in einer dramatischen Zuspitzung der europäischen Staatsschuldenkrise. So ist es denkbar, dass einzelne Euroraumländer zahlungsunfähig werden, wenn die Institutionen, die derzeit noch die Stabilität der Finanzmärkte im Euroraum garantieren – das sind insbesondere die Europäische Zentralbank und der Europäische Stabilitätsfonds (EFSF) –, ihre Rolle nicht mehr erfüllen können, weil ihr Wirken von der Politik nicht hinreichend unterstützt oder gar infrage gestellt wird. In diesem Falle geriete das europäische Finanzsystem erneut ins Wanken. Dabei muss berücksichtigt werden, dass – anders als nach der Insolvenz von Lehman Brothers vor drei Jahren – viele Staaten eine Rekapitalisierung der nationalen Banken wohl nicht mehr leisten könnten, da die öffentlichen Haushalte bereits sehr stark angespannt sind. Eine Bankenkrise im Euroraum würde angesichts der Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Vernetzung im Finanzsektor vermutlich auf andere Länder übergreifen und hätte gravierende Konsequenzen für Konjunktur und Wachstum. Mittelfristige Projektion Rahmenbedingungen der Projektion Für die Prognose des Bruttoinlandsproduktes in der mittleren Frist ist unterstellt, dass sich die Spannungen an den Finanzmärkten des Euroraums und der USA wieder abbauen. Die wirtschaftliche Aktivität in den Abnehmerländern deutscher Exporte wird zwischen 2011 und 2016 jahresdurchschnittlich langsamer zunehmen als im Trend der Jahre vor der Finanzkrise. Hier wirkt sich aus, dass die Konjunktur in vielen der wichtigsten Abnehmerländer durch die hohe Verschuldung der privaten und öffentlichen Haushalte gedämpft wird. Dies gilt insbesondere für den übrigen Euroraum, für das Vereinigte Königreich und für die USA. Zudem dürften die Zuwächse in den Schwellenländern, die den deutschen Export seit der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich stimuliert haben, in Zu321 kunft ebenfalls etwas geringer ausfallen. Der Aufholprozess beim Produktivitätsniveau gegenüber den fortgeschrittenen Volkswirtschaften ist hier bereits weit vorangekommen, und überdies zeigen sich mehr und mehr die Grenzen der Kapazitätsausweitung – nicht zuletzt in Form höherer Lohnund Preissteigerungsraten. Letztere implizieren, dass sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder gegenüber Deutschland verschlechtern wird. Dieser Effekt wird allerdings mehr als kompensiert dadurch, dass in vielen fortgeschrittenen Ländern der Preisauftrieb voraussichtlich sehr gering sein wird, nicht zuletzt auch im übrigen Euroraum. Die hohe Arbeitslosigkeit und die niedrige Kapazitätsauslastung dämpfen hier den Anstieg von Löhnen und Preisen. Insgesamt wird sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft deshalb, bei annahmegemäß unveränderten nominalen Wechselkursen, deutlich verschlechtern. Alles in allem gehen von Seiten der wirtschaftlichen Entwicklung in der übrigen Welt im Projektionszeitraum dämpfende Effekte auf den Außenbeitrag aus. Diesen stehen merkliche Anregungen für die Inlandsnachfrage gegenüber. Die Anregungen kommen insbesondere von der Geldpolitik. Vor dem Hintergrund der schwachen Konjunktur und der hohen Arbeitslosigkeit im übrigen Euroraum wird die EZB die Zinsen im Projektionszeitraum nur zögerlich anheben. Das Zinsniveau im Euroraum wird daher in Deutschland spürbar stimulierend auf die Konjunktur wirken. Zu Beginn des Projektionszeitraums wirkt zudem das in Relation zur Produktivität immer noch niedrige Lohnniveau stimulierend auf die Beschäftigung. Dieser Effekt dürfte allerdings im Verlauf des Projektionszeitraums auslaufen, da angesichts der zunehmenden Knappheit von Arbeitskräften die Löhne deutlich beschleunigt steigen werden. Zur Entwicklung des Produktionspotenzials gemäß der Methode der EU-Kommission Die Mittelfristprojektion setzt auf der Kurzfristprognose für die Jahre 2011 und 2012 auf. Die Entwicklung des Produktionspotenzials wird – in Übereinstimmung mit der Vorgehensweise bei der Gemeinschaftsdiagnose – als exogen unterstellt. Die Verwendung eines exogenen Produktionspotenzials ist nicht unproblematisch, da die hier vorgestellte Projektion einen deutlich stärkeren Anstieg des Kapitalstocks impliziert, als es die Methode der EU-Kommission, die auf einen trendmäßigen Anstieg abstellt, vorhersagt. Zudem ist laut 322 der hier vorgestellten Projektion eine Zunahme der Arbeitszeit je Erwerbstätigen zu erwarten, während die Trendschätzung gemäß der Methode der Kommission einen Rückgang der Arbeitszeit im Projektionszeitraum ergibt. Ein endogen berechnetes Produktionspotenzial wäre höher als das hier als exogen unterstellte. Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Methode basiert auf einer Cobb-DouglasProduktionsfunktion für die Inputfaktoren Arbeit und Kapital mit konstanten Skalenerträgen und Hicks-neutralem technischen Fortschritt. Letzterer wird durch den Trend der Totalen Faktorproduktivität („Solow-Residuum“) berücksichtigt.12 Die jüngste Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen hat zwar zu erheblichen Änderungen in den Niveauwerten für das Bruttoinlandsprodukt und die Produktionsfaktoren geführt. Die Zuwachsraten der Größen haben sich allerdings kaum geändert. Als Neuerung gegenüber der Frühjahrsprojektion der Institute werden nun für den Kapitalstock die Jahresdurchschnittsbestände anstelle der Jahresendbestände für das Nettoanlagevermögen verwendet. Das Wachstum des Produktionspotenzials dürfte im Projektionszeitraum rund 1% pro Jahr betragen (vgl. Tabelle 7). Es dürfte damit geringfügig schwächer ausfallen, als die Institute in ihrer Frühjahrsprojektion unterstellt hatten. Dies ist sowohl auf einen Rückgang der Wachstumsraten des Kapitalstocks als auch auf eine Abnahme des Arbeitsvolumens zurückzuführen. Beim Kapitalstock wirkt sich die revisionsbedingte Absenkung des Niveaus des Nettoanlagevermögens am aktuellen Rand auf die Höhe des Kapitalbestandes aus, da dieser mit Hilfe einer konstanten Abschreibungsrate und den Bruttoanlageinvestitionen fortgeschrieben wird. Der Rückgang des Arbeitsvolumens am aktuellen Rand ging mit einer Erhöhung der Erwerbstätigen und einer Reduzierung der Stunden einher. Für den Projektionszeitraum wird ein Rückgang des Arbeitsvolumens um 0,1% pro Jahr erwartet. Für die Partizipationsrate wird eine Zunahme um 0,5% und für die Erwerbsquote um 0,1% pro Jahr unterstellt. 12 Abweichende Änderungen zur EU-Methode orientieren sich am Vorgehen der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, Frühjahr 2011. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Tabelle 7: Das Produktionspotenzial und seine Determinanten - 1995 bis 2016;a jahresdurchschnittliche Veränderung in % 1995 bis 2010b Produktionspotenzial Kapitalstock Solow-Residuum Arbeitsvolumen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter Partizipationsrate Erwerbsquote durchschnittliche Arbeitszeit nachrichtlich: Arbeitsproduktivität 1,2 1,5 0,8 −0,1 −0,2 0,6 0,1 −0,5 1995 bis 2010 1,3 1,5 0,9 0,0 −0,2 0,6 0,1 −0,5 (0,5) (0,8) (−0,1) 1,3 2010 bis 2016 1,0 1,1 0,7 −0,1 −0,3 0,5 0,1 −0,3 (0,5) (0,9) (0,0) 1,4 (0,4) (0,7) (−0,1) 1,1 a b Differenzen in den aggregierten Werten durch Rundung. In Klammern: Wachstumsbeiträge. – Tatsächliche Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes und seiner Determinanten. Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen und Projektion. Projektion der Entwicklung bis 2016 Unter den genannten Rahmenbedingungen wird die deutsche Wirtschaft ab der zweiten Jahreshälfte 2012 erneut kräftig expandieren. Die Impulse kommen mit der Erholung der Weltkonjunktur zunächst auch vom Export, verlagern sich dann jedoch mehr und mehr auf die Inlandsnachfrage (vgl. Tabelle 8). Hauptstütze der Konjunktur werden voraussichtlich die privaten Konsumausgaben sein. Sie werden angesichts kräftig steigender real verfügbarer Einkommen deutlich rascher expandieren als in der vergangenen Dekade. Dabei wirken sich zunächst die weitere Zunahme der Beschäftigung, später die deutlichen Lohnerhöhungen stimulierend aus. Kräftiger zunehmen als in der zurückliegenden Dekade werden auch die Anlageinvestitionen. Sowohl die Nachfrage nach Ausrüstungen als auch die nach Wohnbauten werden durch das niedrige Zinsniveau und die steigende Beschäftigung Tabelle 8: Verwendung des nominalen Bruttoinlandsproduktes Jahr Bruttoinlandsprodukt Konsumausgaben private Haushalte Staat Bruttoinvestitionen insgesamt Bruttoanlageinvestitionen Vorratsveränderung Außenbeitrag in Mrd. Euro 2005 2 224,4 1 307,0 417,3 384,1 384,5 −0,3 116,0 2010 2 476,8 1 423,0 488,8 429,6 433,6 −4,0 135,4 2016 3 160 1 806 607 579 584 −5 168 Anteile am BIP in % 2005 100,0 58,8 18,8 17,3 17,3 0,0 5,2 2010 100,0 57,5 19,7 17,3 17,5 −0,2 5,5 2016 100,0 57 19¼ 18¼ 18½ −¼ 5¼ Veränderung insgesamt in % 2005/2010 11,3 2010/2016 27½ 8,9 27 17,1 11,8 12,8 - - 24¼ 34¾ 34¾ - - Jahresdurchschnittliche Veränderung in % 2005/2010 2,2 1,7 3,2 2,3 2,4 - - 2010/2016 4 4 3¾ 5 5 - - Quellen: Statistisches Bundesamt (Fachserie 18: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen); eigene Berechnungen und Projektion. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 323 Tabelle 9: Erwerbstätige, Produktivität und Wirtschaftswachstum Bruttoinlandsprodukt Jahr preisbereinigt, verkettete Volumenwerte Erwerbstätige (Inland) beschäftigte Arbeitnehmer (Inland) Arbeitszeit je Erwerbstätigen in Mio. in Mio. in Stunden je Erwerbstätigen je Erwerbstätigenstunden in Mrd. Euro in Euro in Euro insgesamt in jeweiligen Preisen in Mrd. Euro Deflator 2 000 = 100 2005 38 976 34 559 1 431 2 224,4 57071 39,9 2 224,4 100 2010 40 553 36 065 1 407,7 2 368,8 58 411,5 41,5 2 476,8 104,6 2016 40 589 36 149 1 454 2 659 65 511 45 3 160 119 Veränderung insgesamt in % 2005/2010 4,0 4,4 −1,6 6,5 2,3 4,0 11,3 4,6 2010/2016 0 ¼ 3¼ 12¼ 12¼ 8½ 27½ 13¾ Jahresdurchschnittliche Veränderung in % 2005/2010 0,8 0,9 2010/2016 0 0 −0,3 ½ 1,3 0,5 0,8 2,2 0,9 2 2 1½ 4 2¼ Quellen: Statistisches Bundesamt (Fachserie 18: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen); eigene Berechnungen und Projektion. weiter angeregt. Alles in allem dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2016 um 1,9% steigen und damit rascher als das – nach der Methode der EU-Kommission geschätzte und als exogen unterstellte – Produktionspotenzial. Die auf Basis dieses Produktionspotenzials berechnete Produktionslücke dürfte im Durchschnitt des Projektionszeitraums deutlich über der Normalauslastung liegen und diese auch am Ende des Zeitraums noch spürbar übertreffen. Dies ist hauptsächlich Folge der Tatsache, dass die Geldpolitik der EZB für Deutschland expansiv wirken wird. Der Auftrieb von Löhnen und Preisen dürfte sich deutlich beschleunigen. Zwar kommen anders als in den vergangenen Jahren von externer Seite keine Preisimpulse – für die Rohstoffpreise, insbesondere den Rohölpreis, ist unterstellt, dass er real unverändert bleibt. Dafür nimmt der Lohnanstieg angesichts der mittlerweile sehr niedrigen Arbeitslosigkeit merklich zu. Bei kräftig steigenden Lohnstückkosten und – angesichts einer hohen gesamtwirtschaftlichen Kapazitätsauslastung und einer zu Beginn des Projektionszeitraums noch hohen preislichen Wettbewerbsfähigkeit im Ausland – relativ großer Preisüberwälzungsspielräume der Unternehmen werden die Produzentenpreise und die Verbraucherpreise ebenfalls spürbar rascher steigen. Für den Durchschnitt des Projektionszeitraums wird ein Anstieg des Deflators des Bruttoinlands324 produktes um 2¼% je Jahr erwartet; der Deflator des privaten Verbrauches dürfte um 2½% steigen. Am Arbeitsmarkt dürfte sich der Aufschwung zunächst fortsetzen (vgl. Tabelle 9). Mit sinkender Arbeitslosenquote machen sich allerdings zunehmend Knappheiten am Arbeitsmarkt bemerkbar. Diese schlagen sich einerseits in einem im Vergleich zur vergangenen Dekade deutlich erhöhten Lohnanstieg nieder. Andererseits dürften sie dazu führen, dass die Arbeitszeit je Erwerbstätigen entgegen ihrem langjährigen Trend wieder ausgeweitet wird. Eine solche Tendenz war schon 2006 bis 2008 sowie am aktuellen Rand zu beobachten; dabei dürften Arbeitszeitkonten erneut eine Rolle spielen. Beide Reaktionen implizieren, dass die Beschäftigung im Projektionszeitraum kaum noch zunimmt. Gegen Ende des Projektionszeitraums dürfte sie angesichts kräftig gestiegener realer Lohnkosten sogar leicht rückläufig sein. Die Erwerbstätigkeit dürfte dann ähnlich hoch sein wie im Jahr 2010. Anhang Zur Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 2011 Das Statistische Bundesamt hat mit der Veröffentlichung der vierteljährlichen Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen für das zweite QuarWirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 tal 2011 die vom Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaft (Eurostat) beschlossene Änderung der Systematik der Wirtschaftszweige umgesetzt und sämtliche Werte der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen bis 1991 zurückrevidiert. Die Neuberechnung führt zu Verschiebungen zwischen den Wirtschaftsbereichen, das Bruttoinlandsprodukt bleibt davon unberührt. Auch die Umstellung der preisbereinigten Daten auf das neue Basisjahr 2005 (vormals 2000) hat keine inhaltlichen Auswirkungen auf die Interpretation der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Zusätzlich wurden allerdings auch methodische Anpassungen und Aktualisierungen in das Rechenwerk einbezogen, die Unterschiede im Verlauf des gemessenen Bruttoinlandsproduktes, bei den Aggregaten und deren Deflatoren zur Folge haben. Neben neuen Datenquellen zur tieferen Quantifizierung der Entstehungsrechnung (insbesondere der Unternehmensdienstleister) haben vor allem die erstmals einbezogene Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 und die Neuerungen in der Methodik der Umsatzsteuerstatistik die Neuberechnungen beeinflusst. Das Bruttoinlandsprodukt, in dem sich die berechnungsseitigen Änderungen zusammengefasst widerspiegeln, ist in realer Rechnung in nennens- werter Größenordnung (Abweichung ab 0,3 Prozentpunkte) in den Jahren 1992, 2001, 2006, 2007 und 2009 revidiert wurden (vgl. Tabelle 10). Während die Abwärtskorrektur im Jahr 1992 hauptsächlich auf Preisänderungen basiert, beruhen die Aufwärtskorrekturen in den Jahren 2001, 2006 und 2007 überwiegend auf einer nominalen Höherbewertung und die Abwärtskorrektur im Krisenjahr 2009 auf einer deutlichen nominalen Rücknahme der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Die starken zyklischen Schwankungen in den zurückliegenden fünf Jahren wurden in den ersten Veröffentlichungen zu den volkswirtschaftlichen Rechnungen offensichtlich unterschätzt. Insgesamt haben sich über den Zeitraum von 1991 bis 2010 die durchschnittlich jährlichen Zuwachsraten sowohl nominal als auch real kaum verändert: In nominaler Rechnung ergeben sich 2,4% nach 2,5% vor der Revision, in realer Rechnung liegt diese Rate vor und nach der Revision bei 1,2%. Hinsichtlich des preis-, saison- und kalenderbereinigten Verlaufs des Bruttoinlandsproduktes ist kein auffällig anderes Konjunkturbild festzustellen als auf Basis der früheren Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Tabelle 10: Bruttoinlandsprodukt nach der Revision 2011 - Differenzen zwischen den neuberechneten Werten und den Werten vor der Revision Veränderung der nominalen Werte 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 0,1 0,0 −0,1 −0,1 −0,1 −0,1 −0,1 −0,3 −0,1 0,2 0,0 −0,2 0,1 −0,1 0,3 0,4 −0,1 −0,6 0,1 Veränderung der preisbereinigten, verketteten Werte in Prozentpunkten −0,3 −0,2 −0,2 −0,2 −0,2 −0,1 −0,2 −0,1 −0,2 0,3 0,0 −0,2 0,0 −0,1 0,3 0,6 0,1 −0,4 0,1 Veränderung des Deflators 0,4 0,3 0,1 0,1 0,1 0,0 0,0 −0,2 0,0 −0,1 0,0 −0,1 0,1 0,0 −0,1 −0,2 −0,2 −0,2 0,0 Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 325 Die wichtigsten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen für Deutschland Vorausschätzung für die Jahre 2011 und 2012 2010 2011 2012 2012 2011 1. Hj. 2. Hj. 1. Hj. 2. Hj. 1. Entstehung des Inlandsproduktes Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr Erwerbstätige Arbeitsvolumen 0,5 2,3 1,2 1,3 0,0 - 0,3 1,4 2,1 1,0 0,6 0,0 - 0,3 - 0,1 - 0,4 Arbeitsstunden je Erwerbstätige Produktivität1 Bruttoinlandsprodukt, preisbereinigt 1,8 1,4 3,7 0,1 1,6 3,0 - 0,3 1,1 0,8 0,7 1,7 3,9 - 0,4 1,5 2,1 - 0,3 1,1 0,8 - 0,3 1,1 0,7 2. Verwendung des Inlandsprodukts in jeweiligen Preisen a) Mrd. Euro Konsumausgaben 1 911,8 private Haushalte2 1 423,0 Staat 488,8 Anlageinvestitionen 433,6 Ausrüstungen 170,8 Bauten 235,0 sonstige Anlageinvestitionen 27,8 Vorratsveränderung3 - 4,0 inländische Verwendung 2 341,4 Außenbeitrag 135,5 Exporte 1 159,8 Importe 1 024,4 Bruttoinlandsprodukt 2 476,8 1 970,9 1 473,4 497,5 470,8 186,6 255,7 28,5 2,8 2 444,6 118,0 1 288,2 1 170,2 2 562,5 2 022,8 1 510,9 511,9 486,6 192,8 264,3 29,4 - 3,4 2 505,9 110,3 1 359,2 1 248,9 2 616,2 959,8 717,0 242,8 223,3 88,7 120,9 13,7 7,7 1 190,8 64,8 630,6 565,9 1 255,6 1 011,1 756,4 254,8 247,5 97,9 134,8 14,8 - 4,9 1 253,8 53,2 657,6 604,3 1 307,0 987,6 737,8 249,7 229,6 90,5 125,1 14,0 4,7 1 221,9 60,2 666,6 606,5 1 282,1 1 035,2 773,1 262,1 256,9 102,3 139,3 15,3 - 8,1 1 284,0 50,1 692,6 642,5 1 334,2 3,1 3,5 1,8 8,6 9,2 8,8 2,5 4,4 11,1 14,2 3,5 2,6 2,5 2,9 3,3 3,3 3,4 3,3 2,5 5,5 6,7 2,1 3,5 3,9 2,3 10,9 13,8 9,9 2,9 4,9 14,3 16,7 4,5 2,7 3,2 1,3 6,6 5,5 7,9 2,1 3,9 8,1 12,0 2,5 2,9 2,9 2,9 2,8 2,0 3,4 2,7 2,6 5,7 7,2 2,1 2,4 2,2 2,9 3,8 4,5 3,3 3,8 2,4 5,3 6,3 2,1 3. Verwendung des Inlandsproduktes, verkettete Volumenangaben (Referenzjahr 2005) a) Mrd. Euro Konsumausgaben 1 801,5 1 823,1 1 841,7 private Haushalte2 1 338,9 1 356,4 1 369,7 Staat 462,6 466,9 472,3 Anlageinvestitionen 414,1 444,2 455,8 Ausrüstungen 175,8 192,5 199,6 Bauten 205,7 218,0 221,3 sonstige Anlageinvestitionen 32,1 33,6 35,4 inländische Verwendung 2 228,1 2 285,6 2 309,6 Exporte 1 131,9 1 223,9 1 280,4 Importe 992,0 1 070,7 1 130,6 2 368,8 2 439,0 2 457,8 Bruttoinlandsprodukt 893,7 662,7 231,1 210,0 90,5 103,5 15,9 1 122,0 601,6 519,8 1 204,0 929,4 693,7 235,8 234,2 102,0 114,5 17,7 1 163,6 622,3 551,0 1 235,1 904,2 670,6 233,8 214,4 92,7 105,0 16,7 1 134,0 630,6 550,4 1 213,5 937,4 699,0 238,5 241,5 106,9 116,3 18,7 1 175,6 649,8 580,2 1 244,2 1,4 1,6 1,0 9,5 13,9 7,0 4,8 2,9 10,4 9,1 3,9 1,0 1,0 0,9 5,3 5,9 5,0 4,3 2,2 6,0 6,9 2,1 1,2 1,2 1,2 2,1 2,4 1,5 5,0 1,1 4,8 5,9 0,8 0,9 0,8 1,2 3,1 4,8 1,6 5,8 1,0 4,4 5,3 0,7 b) Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr Konsumausgaben private Haushalte2 Staat Anlageinvestitionen Ausrüstungen Bauten sonstige Anlageinvestitionen Inländische Verwendung Exporte Importe Bruttoinlandsprodukt b) Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr Konsumausgaben private Haushalte2 Staat Anlageinvestitionen Ausrüstungen Bauten sonstige Anlageinvestitionen inländische Verwendung Exporte Importe Bruttoinlandsprodukt 326 2,6 2,6 2,7 5,9 10,1 3,5 2,7 3,8 16,5 16,7 4,3 0,9 0,6 1,7 5,5 10,5 2,2 4,7 2,4 13,7 11,7 3,7 1,2 1,3 0,9 7,3 9,5 6,0 4,5 2,6 8,1 7,9 3,0 1,0 1,0 1,2 2,6 3,7 1,5 5,5 1,0 4,6 5,6 0,8 Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 noch: Die wichtigsten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen für Deutschland Vorausschätzung für die Jahre 2011 und 2012 2010 2011 2012 2011 1. Hj. 4. Preisniveau der Verwendungsseite des Inlandsproduktes (2005 = 100) Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr private Konsumausgaben2 2,0 2,2 Konsumausgaben des Staates 1,0 0,9 Anlageinvestitionen 0,4 1,2 Ausrüstungen - 0,3 - 0,2 Bauten 1,3 2,7 Exporte 2,4 2,7 Importe 4,5 5,8 Bruttoinlandsprodukt 0,6 0,5 5. Einkommensentstehung und -verteilung a) Mrd. Euro Primäreinkommen der privaten Haushalte2 Sozialbeiträge der Arbeitgeber Bruttolöhne und -gehälter übrige Primäreinkommen4 Primäreinkommen der übrigen Sektoren Nettonationaleinkommen (Primäreinkommen) Abschreibungen Bruttonationaleinkommen nachrichtlich: Volkseinkommen Unternehmens- und Vermögenseinkommen Arbeitnehmerentgelt b) Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr Primäreinkommen der privaten Haushalte2 Sozialbeiträge der Arbeitgeber Bruttolöhne und -gehälter Bruttolöhne und -gehälter je Beschäftigten übrige Primäreinkommen4 Primäreinkommen der übrigen Sektoren Nettonationaleinkommen (Primäreinkommen) Abschreibungen Bruttonationaleinkommen nachrichtlich: Volkseinkommen Unternehmens- und Vermögenseinkommen Arbeitnehmerentgelt Sparquote (%)6 b) Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr Masseneinkommen Nettolöhne und -gehälter monetäre Sozialleistungen abz. Abgaben auf soziale Leistungen, verbrauchsnahe Steuern übrige Primäreinkommen4 verfügbares Einkommen Konsumausgaben Sparen Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 1. Hj. 2. Hj. 1,6 1,7 0,7 - 0,3 1,8 0,9 1,1 1,3 2,3 1,3 1,3 - 0,1 2,7 3,6 7,0 0,6 2,2 0,4 1,2 - 0,4 2,7 2,0 4,8 0,4 1,7 1,7 0,7 - 0,4 2,0 0,8 1,2 1,3 1,4 1,7 0,7 - 0,3 1,7 0,9 1,0 1,3 1 815,4 236,2 1 026,7 552,6 330,6 2 146,1 376,7 2 522,8 1 897,4 244,6 1 074,1 578,8 323,5 2 221,0 380,8 2 601,8 1 944,5 250,9 1 097,7 596,0 326,1 2 270,6 384,6 2 655,2 935,8 118,1 512,2 305,5 140,1 1 075,9 190,9 1 266,8 961,6 126,5 561,9 273,3 183,4 1 145,0 190,0 1 335,0 955,8 120,5 525,3 310,0 144,0 1 099,8 192,8 1 292,6 988,7 130,4 572,3 286,0 182,1 1 170,8 191,9 1 362,7 1 897,8 635,0 1 262,9 1 957,0 638,3 1 318,6 1 998,3 649,8 1 348,5 945,0 314,7 630,3 1 012,0 323,7 688,3 964,6 318,9 645,8 1 033,7 330,9 702,7 2,5 2,1 2,7 2,2 2,3 18,2 4,6 0,9 4,0 4,5 3,6 4,6 3,4 4,7 - 2,1 3,5 1,1 3,1 2,5 2,6 2,2 2,4 3,0 0,8 2,2 1,0 2,1 5,3 3,2 5,1 3,7 6,5 0,2 4,6 1,2 4,1 3,7 3,9 4,2 3,2 2,8 - 3,9 2,4 1,0 2,2 2,1 2,0 2,6 2,7 1,5 2,8 2,2 1,0 2,0 2,8 3,1 1,9 2,2 4,6 - 0,7 2,3 1,0 2,1 5,1 10,5 2,5 3,1 0,5 4,4 2,1 1,8 2,3 4,1 2,8 4,7 2,2 - 1,6 4,1 2,1 1,3 2,5 2,1 2,2 2,1 1 119,1 725,2 477,2 83,3 596,0 - 51,3 1 663,7 29,9 532,4 338,2 236,6 0,0 42,4 305,5 - 32,0 805,8 14,3 571,1 376,3 235,7 0,0 40,9 273,3 - 25,0 819,4 14,8 542,3 346,7 237,8 0,0 42,2 310,0 - 25,7 826,6 14,7 576,8 378,4 239,4 0,0 41,1 286,0 - 25,6 837,1 15,2 6. Einkommen und Einkommensverwendung der privaten Haushalte 2 a) Mrd. Euro Masseneinkommen 1 080,0 1 103,4 Nettolöhne und -gehälter 688,5 714,4 monetäre Sozialleistungen 476,6 472,2 abz. Abgaben auf soziale Leistungen, verbrauchsnahe Steuern 85,1 83,3 übrige Primäreinkommen4 552,6 578,8 sonstige Transfers (Saldo)5 - 56,8 - 57,0 verfügbares Einkommen 1 575,8 1 625,2 Zunahme betrieblicher Versorgungsansprüche 28,0 29,1 Konsumausgaben Sparen 2012 2. Hj. 1 423,0 180,8 1 473,4 180,9 1 510,9 182,7 717,0 103,1 756,4 77,8 737,8 103,5 773,1 79,2 11,3 10,9 10,8 12,6 9,3 12,3 9,3 3,0 4,1 1,2 2,2 3,8 - 0,9 1,4 1,5 1,0 2,0 4,4 - 2,1 2,3 3,2 0,3 1,9 2,5 0,5 1,0 0,6 1,6 0,9 2,3 2,9 - 2,1 4,7 3,1 0,0 3,0 2,4 - 2,4 6,5 3,4 - 1,8 2,8 2,8 - 0,4 1,5 2,6 0,5 4,6 2,2 2,6 4,5 3,5 0,0 2,5 1,0 3,9 0,2 3,2 - 0,2 2,9 0,4 2,2 1,8 327 noch: Die wichtigsten Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen für Deutschland Vorausschätzung für die Jahre 2011 und 2012 2010 2011 2012 2011 1. Hj. 2012 2. Hj. 1. Hj. 2. Hj. 7. Einnahmen und Ausgaben des Staates7 a) Mrd. Euro Einnahmen Steuern Sozialbeiträge Vermögenseinkommen sonstige Transfers Vermögenstransfers Verkäufe sonstige Subventionen insgesamt 548,9 418,7 19,6 15,8 9,5 66,8 0,6 1 079,8 589,8 435,4 19,3 15,8 9,4 69,2 0,4 1 139,2 608,4 440,7 18,8 16,0 9,9 71,7 0,4 1 166,1 294,8 211,1 10,7 7,5 4,8 33,3 0,2 562,3 295,0 224,3 8,6 8,4 4,7 35,9 0,2 576,9 304,6 214,3 11,3 7,6 5,1 34,6 0,2 577,6 303,9 226,4 7,5 8,4 4,9 37,2 0,2 588,5 Ausgaben Vorleistungen8 Arbeitnehmerentgelt Vermögenseinkommen (Zinsen) Subventionen monetäre Sozialleistungen sonstige laufende Transfers Vermögenstransfers Bruttoinvestitionen Nettozugang an nicht prod. Vermögensgütern insgesamt 323,0 194,5 61,9 27,2 429,3 54,0 60,8 40,8 - 5,8 1 185,8 329,2 198,1 60,8 25,6 426,0 55,7 26,7 42,0 - 1,5 1 162,6 341,4 202,4 63,4 24,9 432,3 58,1 26,5 42,0 - 1,5 1 189,4 160,2 96,0 30,1 12,7 213,5 28,1 11,1 18,5 - 0,6 569,5 169,0 102,2 30,7 12,9 212,5 27,6 15,6 23,5 - 0,9 593,1 166,2 97,9 31,6 12,2 215,4 29,1 10,9 17,8 - 0,6 580,4 175,3 104,4 31,8 12,7 216,9 29,0 15,6 24,2 - 0,9 609,0 Finanzierungssaldo - 106,0 - 23,4 - 23,3 - 7,2 - 16,2 - 2,8 - 20,5 b) Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr Einnahmen Steuern Sozialbeiträge Vermögenseinkommen sonstige Transfers Vermögenstransfers Verkäufe sonstige Subventionen insgesamt 0,5 2,2 - 8,4 3,4 0,4 5,5 – 1,3 7,5 4,0 - 1,6 0,4 - 0,9 3,6 – 5,5 3,2 1,2 - 2,4 1,4 5,6 3,7 – 2,4 8,5 3,7 - 1,4 - 0,8 5,6 4,4 – 6,0 6,4 4,3 - 1,8 1,5 - 6,7 2,9 – 5,0 3,3 1,5 5,5 2,3 6,9 3,8 – 2,7 3,0 0,9 - 12,3 0,6 4,2 3,7 – 2,0 Ausgaben Vorleistungen8 Arbeitnehmerentgelt Vermögenseinkommen (Zinsen) Subventionen monetäre Sozialleistungen sonstige laufende Transfers Vermögenstransfers Bruttoinvestitionen Nettozugang an nicht prod. Vermögensgütern insgesamt 3,6 2,5 - 3,1 0,1 0,9 4,2 88,9 - 1,5 – 3,8 1,9 1,8 - 1,8 - 5,9 - 0,8 3,1 - 56,1 3,0 – - 1,9 3,7 2,1 4,2 - 2,7 1,5 4,3 - 0,7 - 0,1 – 2,3 2,5 2,1 - 3,4 - 6,9 - 2,1 2,5 - 25,8 8,1 – 0,3 1,4 1,6 - 0,2 - 4,9 0,6 3,6 - 66,0 - 0,6 – - 4,0 3,7 2,1 4,8 - 4,3 0,9 3,4 - 1,4 - 3,9 – 1,9 3,7 2,2 3,7 - 1,2 2,0 5,3 - 0,2 2,9 – 2,7 1 Preisbereinigtes Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde. Einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck. 3 Einschließlich Nettozugang an Wertsachen. 4 Selbstständigeneinkommen/Betriebsüberschuss sowie empfangene abzüglich geleistete Vermögenseinkommen. 5 Empfangene abzüglich geleistete sonstige Transfers. 6 Sparen in % des verfügbaren Einkommens (einschließlich der Zunahme betrieblicher Versorgungsansprüche). 7 Gebietskörperschaften und Sozialversicherung. 8 Einschließlich sozialer Sachleistungen und sonstiger Produktionsabgaben. 2 Quellen: Statistisches Bundesamt (Fachserie 18: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen); eigene Berechnungen; ab 2011: eigene Prognose. 328 Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 IWH, Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011, S. 329-337 Komparative Vorteile im Handel Deutschlands mit Osteuropa gering Martina Kämpfe, Götz Zeddies Die mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten haben in den vergangenen Jahren im deutschen Außenhandel stetig an Bedeutung gewonnen. Während die kräftig expandierende Nachfrage in dieser Region der deutschen Exportindustrie deutliche Wachstumsimpulse lieferte, wurde in zunehmenden Importen aus diesen relativ arbeitsreichen Ländern häufig eine Gefahr für die inländische Beschäftigung gesehen. Aus Sicht der Außenhandelstheorien ist ein solcher Effekt insbesondere dann zu erwarten, wenn intersektoraler Handel vorliegt, der strukturellen Anpassungsdruck auslösen und die relative Entlohnung oder die Beschäftigung der Produktionsfaktoren in den Handelspartnerländern beeinflussen kann. Vor diesem Hintergrund analysiert dieser Beitrag zunächst die Produktions- und Beschäftigungsstrukturen ausgewählter osteuropäischer Länder. Darauf aufbauend folgt eine Untersuchung der Außenhandelsstruktur zwischen Ost- und Westdeutschland auf der einen und den osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, insbesondere Polen, der Tschechischen Republik, Ungarn und der Slowakei, auf der anderen Seite. Im Ergebnis zeigt sich, dass der Außenhandel zwischen Deutschland und Osteuropa größtenteils intra-industriell geprägt ist und weder Alte noch Neue Bundesländer über ausgeprägte komparative Vorteile bei kapital- und humankapitalintensiven Gütern gegenüber Osteuropa verfügen. Ansprechpartnerin: Martina Kämpfe ([email protected]) JEL-Klassifikation: F14, F15 Schlagwörter: europäische Integration, internationaler Handel, Osteuropa Die außenwirtschaftliche Integration der mittel- und osteuropäischen Mitgliedsländer (MOEL)1 in die Europäische Union ist in den vergangenen Jahren deutlich vorangeschritten. Im deutschen Außenhandel betrifft dies insbesondere die angrenzenden Länder Polen und die Tschechische Republik sowie Ungarn und die Slowakei. Über 85% des deutschen Außenhandels mit den osteuropäischen EUMitgliedern entfallen auf diese vier Länder. Betrachtet man Neue und Alte Bundesländer getrennt voneinander, ist die außenwirtschaftliche Verflechtung der Neuen Länder mit Osteuropa deutlich höher als diejenige Westdeutschlands. Hinsichtlich der Rückwirkungen der Integration dieser Volkswirtschaften auf die alten EU-Mitglieder wurden insbesondere die Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte diskutiert. Da es sich bei den östlichen Ländern um relativ arbeitsreiche Volkswirtschaften handelt,2 wurde über lange Zeit eine Gefahr für geringqualifizierte Beschäftigte gesehen. Aus theoretischer Sicht ist der durch den internationalen Handel ausgelöste Anpassungsdruck auf die Arbeits- und Kapitalmärkte abhängig von den Außenhandelsmustern. Eine Untersuchung der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und den osteuropäischen Ländern im vorliegenden Beitrag soll die Spezialisierungsmuster identifizieren, um Aufschluss über die jeweiligen komparativen Vorteile zu geben. Dabei soll auch überprüft werden, inwieweit Deutschland tatsächlich überwiegend kapital- und humankapitalintensive Güter gegen arbeitsintensive Güter aus den osteuropäischen Ländern tauscht. Um mögliche Unterschiede zwischen Neuen und Alten Bundesländern zu identifizieren, sollen die Analysen für beide Gebietsteile getrennt erfolgen. Während für Gesamtdeutschland bereits einige Untersuchungen zu den Handelsmustern existieren,3 wurden für den Außenhandel der Neuen und Alten Bundesländer mit Osteuropa bisher lediglich das 1 Im Folgenden werden darunter sämtliche osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, also Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Slowenien, Ungarn, Bulgarien und Rumänien, subsumiert. 2 Vgl. Klodt, H.: Perspektiven des Ost-West-Handels: Die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Reformländer, in: Die Weltwirtschaft, 1993, 424-440. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 3 Vgl. z. B. Brücker, H.: Werden unsere Löhne künftig in Warschau festgesetzt?, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 84 (5), 2004, 278-282. – Knogler, M.: Auswirkungen der EUOsterweiterung auf die Arbeitsmärkte der neuen Mitgliedstaaten und der EU-15, insbesondere Deutschland. OsteuropaInstitut München, Working Paper Nr. 257, Januar 2005. 329 Handelsvolumen, nicht aber die Spezialisierung und die Handelsmuster analysiert.4 Diese sollen im Folgenden auf der Basis der Außenhandelstheorien näher betrachtet werden. Determinanten des Außenhandels Als eine wesentliche Determinante des Außenhandels gelten internationale Preisdifferenzen. Diese können einerseits aus unterschiedlichen Faktorausstattungen in den Handelspartnerländern resultieren, die dazu führen, dass arbeitsreiche Länder komparative Kostenvorteile bei arbeitsintensiven, (human-) kapitalreiche Länder dagegen bei (human-)kapitalintensiven Gütern haben.5 Andererseits können internationale Preisdifferenzen durch internationale Produktivitätsunterschiede infolge unterschiedlicher Technologien verursacht werden. So verfügen Industrieländer in der Regel über komparative Vorteile bei technologieintensiven Gütern, die mit einem vergleichsweise hohen Einsatz von Humankapital gefertigt werden.6 Relative Preisunterschiede bewirken eine Spezialisierung auf diejenigen Güter, bei denen komparative Kostenvorteile bestehen (inter-industrielle Spezialisierung). Der Außenhandel der Industrieländer ist jedoch weitgehend intra-industriell, also durch simultanen Export und Import innerhalb einzelner Industriezweige gekennzeichnet. Intraindustrieller Handel kann zum einen auf positive Skaleneffekte und monopolistische Konkurrenz zurückgeführt werden. So ist es gerade für Produzenten in Ländern mit hohen Pro-Kopf-Einkommen vorteilhaft, sich aufgrund differenzierter Nachfragepräfe4 Vgl. z. B. Alecke, B.; Mitze, T.; Untiedt, G.: Das Handels- volumen der ostdeutschen Bundesländer mit Polen und Tschechien im Zuge der EU-Osterweiterung: Ergebnisse auf Basis eines Gravitationsmodells, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Jg. 72 (4), 2003, 565-578. – Vgl. auch Zeddies, G.: Warum exportiert der Osten so wenig? Eine empirische Analyse der Exportaktivitäten deutscher Bundesländer, in: AStA – Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv, Bd. 3 (4), 2009, 241-264. 5 Ein Land verfügt bei einem Gut über einen komparativen Vorteil, wenn zur Produktion dieses Gutes im Inland die Produktion anderer Güter weniger eingeschränkt werden muss als im Ausland (die Opportunitätskosten der Produktion des Gutes im Inland also niedriger sind als im Ausland), vgl. Heckscher, E.: The Effects of Foreign Trade on the Distribution of Income, in: Ekonomisk Tidskrift, Vol. 21, 1919, 497-512. – Ohlin, B.: Interregional and International Trade. Harvard University Press: Cambridge 1933. 6 Vgl. z. B. Rodrik, D.: One Economics, Many Recipes. Glo- balization, Institutions and Economic Growth. Princeton: Oxford 2007. 330 renzen auf bestimmte Produktvarianten zu spezialisieren, um Massenproduktionsvorteile zu nutzen.7 Zum anderen kann neben der genannten horizontalen eine vertikale intra-industrielle Spezialisierung auf qualitativ differenzierte Güter innerhalb einzelner Wirtschaftszweige erfolgen. Diese beruht, ähnlich wie der inter-industrielle Handel, entweder auf technologischen Unterschieden oder auf unterschiedlichen Faktorausstattungen der Handelspartnerländer. Danach werden sich fortgeschrittene Volkswirtschaften auf qualitativ höherwertige, (human-)kapitalintensiver gefertigte Produktvarianten spezialisieren als arbeitsreiche Länder.8 Während der horizontale intra-industrielle Handel, bei dem homogene, mit identischen Faktorintensitäten gefertigte Güter getauscht werden, mit nur geringen strukturellen Anpassungslasten in den Handelspartnerländern einhergehen sollte, kann sich die vertikale intra-industrielle, insbesondere aber die inter-industrielle Arbeitsteilung in Abhängigkeit von der Spezialisierung der Länder entsprechend auf die Nachfrage nach bestimmten Produktionsfaktoren auswirken. Dies wird umso eher der Fall sein, je heterogener die Handelspartnerländer sind. Vor diesem Hintergrund sollen zunächst die Wirtschaftsstrukturen der osteuropäischen Handelspartnerländer, die die Grundlage für deren Spezialisierung im Außenhandel bilden, betrachtet werden. Im Anschluss daran erfolgt eine Analyse der Außenhandelsmuster zwischen Deutschland und diesen Ländern. Wandel der Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen in den osteuropäischen Ländern Mit dem Beginn der Transformation hin zu marktwirtschaftlichen Systemen Anfang der 1990er Jahre setzte in den osteuropäischen Volkswirtschaften ein Strukturwandel ein, der im Verlauf 7 Vgl. Helpman, E.: International Trade in the Presence of Product Differentiation, Economies of Scale and Monopolistic Competition: A Chamberlin-Heckscher-Ohlin Approach, in: Journal of International Economics, Vol. 11 (3), 1981, 305-340. – Krugman, P.: Increasing Returns, Monopolistic Competition and International Trade, in: Journal of International Economics, Vol. 9 (4), 1979, 469-479. 8 Vgl. Flam, H.; Helpman, E.: Vertical Product Differentia- tion and North-South Trade, in: American Economic Review, Vol. 77 (5), 1987, 810-822. – Falvey, R.; Kierzkowski, H.: Product Quality, Intra-Industry Trade and (Im)Perfect Competition, in: H. Kierzkowski (ed.), Protection and Competition in International Trade. Essays in Honor of W. M. Corden. Basil Blackwell: Oxford 1987, 143-161. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Abbildung 1: Zweige des Verarbeitenden Gewerbes im Ländervergleich, 1995 und 2009 - Anteile in % 100 Nahrungsmittel Leichtindustrie Metallerzeugung Büromaschinen, -geräte, Elektrotechnik, Feinmechanik/Optik 50 Fahrzeugbau Maschinenbau sonstige 0 1995 2009 Tschechische Republik 1995 2009 1995 Ungarn 2009 Polen 1995 2009 Slowakei 1995 2009 MOEL 1995 2009 Deutschland IWH Quellen: Eurostat; Berechnungen des IWH. der letzten zwei Jahrzehnte zu einer Annäherung der Wirtschaftsstrukturen der Länder der Region an die der entwickelten Marktwirtschaften geführt hat. Kennzeichnend für diesen Strukturwandel ist vor allem ein Rückgang der Anteile von Landwirtschaft und Bergbau an der Bruttowertschöpfung bei gleichzeitiger Zunahme des Dienstleistungssektors. Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes blieb insgesamt mit etwas über einem Drittel relativ unverändert, allerdings hat sich das Gewicht einzelner Zweige innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes, nicht zuletzt infolge umfangreicher Direktinvestitionen westeuropäischer Unternehmen im Rahmen des Aufbaus internationaler Produktionsnetzwerke,9 teilweise stark gewandelt. Vor allem der Fahrzeugbau wurde zu einem prägenden Industriezweig. Sein Anteil am Verarbeitenden Gewerbe ist in Ungarn, der Tschechischen Republik und der Slowakei besonders stark gestiegen. In der Slowakei hat sich der Anteil des Fahrzeugbaus mehr als verdreifacht und bildet inzwischen den mit Abstand größten Industriezweig; in der Tschechischen Republik hat er sich mehr als verdoppelt, 9 Vgl. Jindra, B.; Giroud, A.; Scott-Kennel, J.: Subsidiary Roles, Vertical Linkages and Economic Development: Lessons from Transition Economies, in: Journal of World Business, Vol. 44 (2), 2009, 167-179. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 in Ungarn stieg er um etwa zwei Drittel (vgl. Abbildung 1).10 Die Zweige der Leichtindustrie (Textilund Bekleidungsindustrie, Lederwarenproduktion) sowie die Lebensmittelproduktion, also arbeitsintensive Branchen, haben relativ an Bedeutung verloren. Auch der Anteil der Metallindustrie und der Chemischen Industrie ist – in etwas geringerem Ausmaß – gesunken. Eine Ausnahme bildet Polen, dessen Wirtschaftsstruktur sich trotz eines starken Wirtschaftswachstums weniger deutlich veränderte und das weniger erkennbare Spezialisierungsmuster aufweist.11 Im Zuge des beschriebenen strukturellen Wandels haben sich auch die industriellen Produktionsstrukturen Deutschlands und Osteuropas seit den 1990er Jahren deutlich angenähert. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bedeutung bestimmter wichtiger Wirtschaftszweige, wie des Maschinenbaus, innerhalb Osteuropas noch erheblich variiert. 10 Quellen für die nachfolgenden statistischen Berechnungen sind die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen für die osteuropäischen Länder von Eurostat. Vgl. http://epp.eurostat. ec.europa.eu/. 11 Zum Strukturwandel in Polen vgl. auch Stephan, J.: Struktur- wandel, Spezialisierungsmuster und die Produktivitätslücke zwischen Mittel- und Osteuropa und der Europäischen Union, in: IWH, Wirtschaft im Wandel, Jg. 6 (13), 2000, 380 f. 331 Die Entwicklung der Beschäftigung folgte in den osteuropäischen Ländern dem Wandel der Wirtschaftsstruktur. In der Landwirtschaft sank die Beschäftigung etwa um die Hälfte, im Verarbeitenden Gewerbe, im Handel, Bau und Verkehr hat sie sich nur leicht verändert; überwiegend setzte ein geringer Aufbau ein, während ein größerer Aufbau im Dienstleistungssektor stattfand. Der Anteil dieses Sektors an der Gesamtbeschäftigung ist allerdings mit 5% bis 10% immer noch vergleichsweise gering. Auch innerhalb der Zweige des Verarbeitenden Gewerbes bestimmte der strukturelle Wandel die Beschäftigungsentwicklung. In den besonders arbeitsintensiven Zweigen der Leichtindustrie, in denen die Produktion teilweise erheblich eingeschränkt wurde, war auch der Beschäftigungsrückgang am größten. Beim Beschäftigungsaufbau steht der Fahrzeugbau an vorderer Stelle, nach der Metallurgie, dem Gerätebau und der Lebensmittelindustrie. Hinsichtlich der formalen Qualifikationsstruktur der Beschäftigten zeichnet sich ebenfalls ein Wandel ab. So hat sich der Anteil hochqualifizierter Beschäftigter (mit tertiärem Bildungsabschluss) in den osteuropäischen Ländern im letzten Jahrzehnt deutlich erhöht und der Abstand zu Westeuropa – zumindest formal – damit merklich verringert. In Polen etwa verdoppelte sich der Anteil Hochqualifizierter nahezu und liegt mit 28% ähnlich hoch wie in Deutschland. Dieser Trend lässt auf eine starke Zunahme der Produktion humankapitalintensiver Güter in den osteuropäischen Ländern schließen. Starke Zunahme des Außenhandels zwischen Deutschland und Mittel- und Osteuropa Der Außenhandel der mittel- und osteuropäischen Länder wurde seit dem Beginn der Transformation deutlich ausgeweitet. In allen Ländern sind dabei die Exporte kräftiger gestiegen als die Importe. Die Umlenkung des Handels von Ost nach West hat Westeuropa zur wichtigsten Handelsregion für alle osteuropäischen Länder werden lassen; zwischen zwei Drittel und vier Fünftel des Außenhandels der Länder finden inzwischen mit dieser Region statt. Deutschland ist mit Exportanteilen zwischen 20% und 30% und Importanteilen zwischen 15% und 25% der wichtigste westeuropäische Handelspartner. Umgekehrt haben auch die zehn osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren im deutschen Außenhandel erheblich an Bedeutung 332 gewonnen. Während noch Mitte der 1990er Jahre weniger als 5% der deutschen Exporte in diese Region flossen, erhöhte sich dieser Anteil bis zum Jahr 2010 auf 11%. Die neuen EU-Mitgliedstaaten lieferten somit der deutschen Exportwirtschaft kräftige Wachstumsimpulse. Für die Exportgüterproduzenten in den Neuen Bundesländern12 hatten diese Länder mit einem Ausfuhranteil von über 17% im Jahr 2010 eine größere Bedeutung als für die Produzenten in den Alten Bundesländern, die nahezu 10% ihrer Exporte in diese Region lieferten (vgl. Tabelle 1).13 Tabelle 1: Bedeutung der MOEL im Außenhandel der Alten und Neuen Bundesländer im Jahr 2010 - in % Land Anteil am Gesamtexport Anteil am Gesamtimport ABL NBL ABL NBL 9,8 17,1 11,9 20,4 Polen 3,3 7,7 3,2 9,0 Slowakei 0,8 1,2 1,2 1,0 Tschechische Republik 2,6 4,6 3,5 7,0 Ungarn 1,4 1,7 2,2 1,2 MOEL darunter: ABL = Alte Bundesländer; NBL = Neue Bundesländer. Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des IWH. Jedoch haben die mittel- und osteuropäischen Länder nicht nur als Abnehmer deutscher Waren, sondern auch als Lieferanten an Bedeutung gewonnen. Während durch die Exportgüterproduktion im Inland Arbeitsplätze gesichert oder mitunter sogar neue geschaffen werden, wird in zunehmenden Importen häufig eine Gefahr für die inländische Beschäftigung gesehen. Aus theoretischer Sicht ist der Außenhandel dann mit Anpassungslasten verbunden, wenn er mit strukturellen Veränderungen in den Handelspartnerländern infolge von Spezialisierung einhergeht. Inwieweit dies für den Außenhandel der Alten und Neuen Bundesländer mit Osteuropa zutrifft, soll nun mittels ausgewählter Indikatoren (vgl. Kasten) untersucht werden. 12 Ohne Berlin. 13 Diese Unterschiede kommen im Wesentlichen durch den deutlich höheren Stellenwert Polens und der Tschechischen Republik im ostdeutschen Außenhandel zustande. Die übrigen acht mittel- und osteuropäischen Handelspartnerländer sind für Ost- und Westdeutschland in etwa gleichbedeutend. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Kasten: Außenhandelsindikatoren Die Außenhandelsmuster von Ländern können über die Überlappung von Export- und Importströmen bestimmt werden. Als gängiger Indikator hierfür dient der Grubel-Lloyd-Index, der der Berechnung des intra-industriellen Handels in einzelnen Wirtschaftszweigen i dient.a Durch Gewichtung der sektoralen Grubel-Lloyd-Indizes mit den Anteilen der Exporte (Xi) und Importe (Mi) einzelner Wirtschaftszweige am gesamten Außenhandel lässt sich der intra-industrielle Handel (IIT) für die Gesamtwirtschaft ermitteln (GL): X M X M i i i i GL Xi Mi i 1 n X M i * n i X i M i i 1 Der Grubel-Lloyd-Index liegt zwischen null und eins, wobei der Index umso größer wird, je stärker die Handelsüberlappung ist. Inwiefern der intra-industrielle Handel durch den Tausch homogener oder qualitativ differenzierter Güter gekennzeichnet ist, wird über relative Preisunterschiede (α) ermittelt. Diese dienen als Indikator für die Produktqualität und werden in der Regel durch Einheitswerte (UV) approximiert. Unterscheiden sich die Einheitswerte der Exportgüter (UViX) und Importgüter (UViM) in einem Wirtschaftszweig um weniger als 15% (α = 0,15)b, liegt horizontaler intra-industrieller Handel vor (HIIT): 1 UVi X UVi M 1 Weichen in einem Wirtschaftszweig die Einheitswerte der Export- und Importgüter dagegen um mehr als 15% voneinander ab, wird der intra-industrielle Handel als vertikal eingestuft (VIIT). Übersteigen die Einheitswerte der Exportgüter die der Importgüter um mehr als 15%, sind die Exportgüter annahmegemäß von deutlich höherer Qualität als die Importgüter. In diesem Fall liegt superiorer vertikaler intra-industrieller Handel vor (SVIIT). Sind die Exportgüter dagegen von geringerer Qualität als die Importgüter, handelt es sich um inferioren vertikalen intra-industriellen Handel (IVIIT). Letztlich können mit Hilfe des RCA-(Revealed-Comparative-Advantage-)Koeffizienten für einzelne Wirtschaftszweige i die komparativen Kostenvorteile (RCAi) ermittelt werden. Dazu wird folgende Formel herangezogen:c RCAi X i M i X i M i n X i M i i 1 n X i Mi i 1 Der nach dieser Formel errechnete RCA-Index liegt zwischen −2 und 2, wobei der komparative Vorteil umso größer ist, je höher der RCA-Koeffizient ist. a Vgl. Grubel, H. H.; Lloyd, P. J.: Intra-Industry Trade: The Theory and Measurement of International Trade in Differentiated Products. Wiley: London, New York 1975. – b Dieser Schwellenwert gilt als Standardmaß bei der Unterscheidung von horizontalem und vertikalem intra-industriellen Handel. Gelegentlich wird auch ein Schwellenwert von ±25% verwendet. Vgl. Greenaway, D.; Hine, R.; Milner, C.: Vertical and Horizontal Intra-Industry Trade: A Cross Industry Analysis for the United Kingdom, in: The Economic Journal, Vol. 105 (33), 1994, 1505-1518. – c Vgl. z.B. Rübel, G.: Grundlagen der realen Außenwirtschaft, 2. Auflage. München 2008. Traditionell werden komparative Kostenvorteile eines Landes über die Anteile bestimmter Gütergruppen an den Ausfuhren des betreffenden Landes im Vergleich zu den Ausfuhranteilen derselben Gütergruppen für eine Referenzgruppe von Ländern ermittelt (vgl. Balassa, B.: Trade Liberalization and Revealed Comparative Advantage, Manchester School of Economics and Social Studies, Vol. 33, 1965, 99-123). Dazu sind jedoch Außenhandelsdaten nach einer international vergleichbaren Güterklassifikation erforderlich. Diese liegen getrennt für Alte und Neue Bundesländer nicht vor. Spezialisierung der Neuen und Alten Bundesländer im Außenhandel mit Osteuropa Die Spezialisierung von Ländern spiegelt sich nicht nur in der Produktions-, sondern auch in der Exportstruktur wider. Tabelle 2 zeigt die Anteile Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 wichtiger Wirtschaftszweige am Außenhandel der Neuen und Alten Bundesländer mit den osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten. Danach sind die Exportstrukturen beider deutscher Gebietsteile im Handel mit den neuen EU-Mitgliedstaaten recht ähnlich. Lediglich als Absatzmarkt für Fahrzeuge, 333 Tabelle 2: Anteile (in %) und komparative Vorteile (RCA)a einzelner Gütergruppen im Außenhandel zwischen Alten und Neuen Bundesländern und den MOEL im Jahr 2010 GP-Nr. Neue Bundesländer Alte Bundesländer Güterabteilungb Export Import RCA Export Import RCA 01, 02, 03 Erzeugnisse der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei 0,7 1,5 −0,37 1,1 5,3 −0,67 10 Nahrungsmittel 6,3 3,3 0,32 7,2 6,2 0,07 20, 21 Chemische Erzeugnissec 14,7 4,8 0,53 14,8 7,7 0,31 24, 25 Metalle und Metallerzeugnisse 15,2 9,8 0,22 15,9 12,6 0,11 26 EDVd 4,4 11,8 −0,45 2,9 1,3 0,37 27 Elektrische Ausrüstungen 6,3 7,3 −0,07 3,8 7,6 −0,33 28 Maschinen 11,8 8,6 0,16 10,3 4,9 0,35 29 Kraftwagen und -teile 15,1 18,9 −0,11 11,8 20,2 −0,27 a Zur Definition der RCA-Koeffizienten siehe Kasten. – b Laut Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken (GP). – c Einschließlich Pharmazeutische Erzeugnisse. – d Datenverarbeitungsgeräte, Elektronische und Optische Erzeugnisse. Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des IWH. Fahrzeugteile und elektrische Ausrüstungen hat Osteuropa für Westdeutschland eine deutlich höhere Bedeutung als für die Neuen Länder. Die Struktur der deutschen Importe aus Osteuropa unterscheidet sich teilweise deutlich von der Exportstruktur, so etwa bei Chemischen Erzeugnissen, Maschinen und Fahrzeugen. Auch im Ost-WestVergleich unterscheiden sich die Importanteile, etwa bei Maschinen, Datenverarbeitungsgeräten und elektronischen und optischen Erzeugnissen. Dennoch sind die komparativen Vor- und Nachteile gemäß den RCA-Koeffizienten (vgl. Tabelle 2) ähnlich strukturiert: Während Alte wie Neue Bundesländer bei Chemischen Erzeugnissen, Metallen und Metallerzeugnissen sowie bei Maschinen komparative Vorteile gegenüber den osteuropäischen Ländern aufweisen, zeigt sich bei den eher arbeitsintensiven Erzeugnissen der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei ein umgekehrtes Bild. Bemerkenswert ist in der Gütergruppe „Kraftwagen und Kraftwagenteile“ der Ausweis von Handelsbilanzdefiziten sowohl der Alten als auch der Neuen Bundesländer gegenüber den osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten. Diese Importüberschüsse im Handel mit Osteuropa sind vermutlich auf die hohen Direktinvestitionen der deutschen Automobilindustrie gerade in dieser Region zurückzuführen. Alles in allem sind die komparativen Kostenunterschiede zwischen Alten und Neuen 334 Bundesländern und Osteuropa verhältnismäßig gering.14 Außenhandelsmuster zwischen Deutschland und Osteuropa Wie oben bereits angesprochen, sind aus dem Außenhandel resultierende intersektorale Verschiebungen oder Rückwirkungen auf die Faktornachfrage abhängig von den Außenhandelsmustern. Je nach Ausprägung könnten der inter- und der vertikale intra-industrielle Handel mit den nach wie vor ver14 Da sich die RCA-Koeffizienten aus Export- und Import- werten berechnen, werden sie nicht allein durch die mengenmäßigen Exporte und Importe, sondern auch durch die realen Wechselkurse, die sich aus nominalen Wechselkursen bzw. den Terms of Trade ergeben, bestimmt. Schwankungen der realen Wechselkurse könnten sich folglich in Veränderungen der RCA-Koeffizienten niederschlagen (vgl. Schumacher, D.; Lucke, D.; Schröder, P.: Wechselkursveränderungen und Außenhandelsposition bei forschungsintensiven Waren, DIW, Berlin 2003). Ein Abgleich der Einheitswerte (unit values) von Exporten und Importen als näherungsweiser Indikator der Einfuhr- und Ausfuhrpreise für einzelne Gütergruppen im Zeitverlauf (bilaterale branchenspezifische Ein- und Ausfuhrpreisindizes liegen nicht vor) für Deutschland zeigt allerdings, dass die Terms of Trade im Handel mit den betrachteten Ländern mit Ausnahme weniger Gütergruppen (z. B. Milchprodukte, Mineralöle und Brennstoffe, Textilien oder einige Metalle) seit dem EU-Beitritt dieser Länder relativ stabil waren. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Tabelle 3: Außenhandelsmuster zwischen Deutschland und den MOEL im Jahr 2010 - Anteile des jeweiligen Handelstypus am gesamten bilateralen Handel Land Alte Bundesländer Neue Bundesländer inter IIT HIIT SVIIT IVIIT inter IIT HIIT SVIIT IVIIT Tschechische Republik 0,40 0,60 0,04 0,41 0,15 0,54 0,46 0,11 0,17 0,18 Slowakei 0,45 0,55 0,17 0,15 0,23 0,11 0,89 0,27 0,42 0,20 Polen 0,36 0,64 0,08 0,38 0,18 0,38 0,62 0,19 0,16 0,27 Ungarn 0,46 0,54 0,18 0,20 0,16 0,57 0,43 0,19 0,14 0,10 MOEL 0,31 0,69 0,08 0,47 0,14 0,43 0,57 0,11 0,29 0,17 Anmerkungen: inter = Koeffizient des inter-industriellen Handels (inter = 1 – IIT), IIT = Koeffizient des intra-industriellen Handels (Wert des GLIndex), HIIT = Koeffizient des horizontalen intra-industriellen Handels, SVIIT = Koeffizient des superioren vertikalen intra-industriellen Handels, IVIIT = Koeffizient des inferioren vertikalen intra-industriellen Handels. Vgl. auch Kasten. Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des IWH. gleichsweise arbeitsreichen osteuropäischen Ländern in Deutschland strukturelle Verschiebungen hin zu (human-)kapitalintensiven Wirtschaftszweigen bewirken. Die Außenhandelsmuster zwischen Neuen und Alten Bundesländern und den mittelund osteuropäischen Ländern sind in Tabelle 3 dargestellt. Die darin enthaltenen Koeffizienten geben den Anteil des jeweiligen Außenhandelstypus am gesamten bilateralen Handel an. Die Indikatoren wurden auf Basis disaggregierter Außenhandelsdaten der deutschen Bundesländer für 208 Warengruppen der Ernährungswirtschaft und der Gewerblichen Wirtschaft berechnet. Wie die Ergebnisse zeigen, ist sowohl der Außenhandel der Alten als auch der der Neuen Bundesländer mit den osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten größtenteils intra-industriell geprägt. Der Umfang des intra-industriellen Handels ist vor dem Hintergrund des mit nur 208 Warengruppen recht hohen Aggregationsniveaus der verwendeten Außenhandelsdaten jedoch vergleichsweise gering.15 Dies trifft für den ostdeutschen Handel mit den betrachteten Ländern (mit Ausnahme der Slowakei) in stärkerem Maße zu als für den westdeutschen.16 15 Die Koeffizienten des inter- und intra-industriellen Handels hängen stets vom Aggregationsniveau, also der Gliederungstiefe der verwendeten Außenhandelsdaten ab. Je höher das Aggregationsniveau, umso geringer der gemessene inter-industrielle und umso höher der intra-industrielle Handel (vgl. Lipsey, R.: Review of Grubel and Lloyd, in: Journal of International Economics, Vol. 6, 1976, 312-314). 16 Der hohe intra-industrielle Handel zwischen Ostdeutsch- land und der Slowakei kommt vor allem aus den WarenWirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Demzufolge dürften die aus dem Handel mit Osteuropa resultierenden strukturellen Verschiebungen in den Neuen Bundesländern stärker ausgeprägt sein als in den Alten. Außerdem zeigt sich, dass der intra-industrielle Handel zwischen Deutschland und diesen Staaten hauptsächlich vertikaler Art ist, also durch unterschiedliche Faktorausstattungen oder Produktivitäten determiniert wird. Dabei scheinen die Alten in stärkerem Maße als die Neuen Bundesländer qualitativ höherwertige gegen qualitativ geringerwertige Güter aus Osteuropa zu tauschen. Aus theoretischer Sicht dürften damit die aus dem Spezialisierungsmuster im vertikalen intra-industriellen Handel resultierenden Verschiebungen der Arbeitsnachfrage hin zu höher qualifizierten Arbeitskräften in den Alten Bundesländern stärker ausgeprägt sein als in den Neuen. Zudem macht der klassische horizontale intra-industrielle Handel, für den die so genannte Smooth-Adjustment-Hypothese gilt,17 nach der die Rückwirkungen des intra-industriellen Handels auf die Faktormärkte relativ gering sind, in Westdeutschland einen geringeren Anteil am Außenhandel mit den mittel- und osteuropäischen Ländern aus als in Ostdeutschland. Inwieweit Deutschland im inter-industriellen Handel mit den osteuropäischen Ländern über komparative Vorteile bei kapital- und humankapitalgruppen „Elektrotechnische Erzeugnisse“, „Mess-, steuerund regelungstechnische Geräte“ sowie „Fahrzeugteile“. 17 Vgl. Balassa, B.: Tariff Reductions and Trade in Manu- factures among the Industrial Countries, in: American Economic Review, Vol. 56 (3), 1966, 466-473. 335 intensiven Gütern verfügt, geht aus den obigen branchenbezogenen Analysen nicht eindeutig hervor. Tabelle 2 kann entnommen werden, dass Alte und Neue Bundesländer gegenüber dieser Region bei manchen kapital- und humankapitalintensiven Gütern, etwa bei Maschinen und chemischen Erzeugnissen, komparative Vorteile, und bei anderen, etwa elektrischen Ausrüstungen oder Fahrzeugen, eher komparative Nachteile haben. Gleiches gilt für ressourcen- und arbeitsintensive Güter: Während Alte wie Neue Bundesländer bei Erzeugnissen der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei komparative Nachteile aufweisen, werden bei Nahrungsmitteln Exportüberschüsse erzielt. Aufschluss über komparative Vor- und Nachteile bei (human-) kapital- beziehungsweise arbeitsintensiven Gütern erhält man auch durch Klassifizierung der Gütergruppen nach Faktorintensitäten in der Produktion.18 Für den Handel zwischen Deutschland und den osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten zeigt eine derartige Rechnung, dass sowohl Neue als auch Alte Bundesländer bei arbeitsintensiven Gütern komparative Nachteile, bei kapital- und humankapitalintensiven Gütern dagegen komparative Vorteile besitzen (vgl. Tabelle 4). Tabelle 4: RCA-Koeffizienten im Außenhandel der Neuen und Alten Bundesländer mit den MOEL im Jahr 2010 Güterklassifikation arbeitsintensiv (human-)kapitalintensiv Alte Bundesländer Neue Bundesländer −0,03 −0,04 0,03 0,02 Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des IWH. Sie fallen allerdings sehr gering aus. Dies erscheint vor dem Hintergrund, dass die Produktion in einigen osteuropäischen Ländern inzwischen fast ebenso humankapitalintensiv ist wie in Deutschland, durchaus plausibel. Demzufolge dürften sich die aus dem inter-industriellen Handel zwischen Deutschland und diesen Ländern resultierenden Verschiebungen der Faktornachfrage in Grenzen halten.19 18 Vgl. OECD: Industrial Policy in OECD-Countries, in: Annual Review 1994, 94. 19 Bei einer Unterteilung der gehandelten Güter nach For- schungsintensitäten ergibt sich ein ähnliches Bild. So ist der Anteil forschungsintensiver Waren an den deutschen Einfuhren aus den MOEL von knapp 27% im Jahr 1993 auf über 55% im Jahr 2003 angestiegen und war damit 336 „Basarhypothese“ trifft für Handel mit Osteuropa kaum mehr zu Die Außenhandelstheorien abstrahieren weitgehend vom Handel mit Vor- und Zwischenprodukten, der im Rahmen der internationalen Fragmentierung der Produktion jedoch stark zugenommen hat. So stellten die geringen Lohnkosten in Osteuropa über lange Zeit das Hauptmotiv für deutsche Direktinvestitionen in dieser Region dar.20 Auch im Outsourcing sahen viele deutsche Unternehmen die Möglichkeit, vornehmlich arbeitsintensiv gefertigte Vorleistungen aus den osteuropäischen Ländern zu beziehen.21 Darin wird häufig eine wesentliche Ursache für die steigende Unterbeschäftigung Geringqualifizierter in den westeuropäischen Ländern gesehen.22 Im Laufe der Jahre hat sich dieses Handelsmuster jedoch gewandelt. Zum einen ist der Handel mit Vorleistungsgütern zwischen West- und Osteuropa mittlerweile in starkem Maße intraindustriell, und die westeuropäischen Länder sind keine Netto-Importeure von Vorleistungen aus den osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten.23 Zum anderen haben westeuropäische Produzenten in den zurückliegenden Jahren mehr und mehr Endverarbeitungsstufen nach Osteuropa verlagert, die von den Stammländern aus mit Vorleistungsgütern beliefert werden.24 Aufgrund der vergleichsweise hohen Spezialisierung auf Vorleistungsgüter könnten von dieser (neuen) Form der Arbeitsteilung insbesondere Hersteller in den Neuen Bundesländern profitieren. Berechnungen auf Basis des Warenverzeichnisses für die Ernährungswirtschaft und die Gewerbliche Wirtschaft, welches die Güter u. a. in Rohstoffe, Halbwaren, Vorerzeugnisse und Endprodukte unterteilt, zeigen, dass Alte wie Neue schon zu diesem Zeitpunkt fast ebenso hoch wie bei den Ausfuhren. Vgl. Wessels, W.; Diedrichs, U.: Die neue Europäische Union: Im vitalen Interesse Deutschlands?, Studie zu Kosten und Nutzen der Europäischen Union für die Bundesrepublik Deutschland. Berlin 2006, 34. 20 Vgl. Handschuch, K.: Out of Germany, in: Wirtschafts- woche 23/2004, 30-36. 21 Vgl. Knogler, M., a. a. O. 22 Vgl. z. B. Sinn, H.-W.: Die Basar-Ökonomie. Deutschland: Exportweltmeister oder Schlusslicht?, 2. Auflage. Berlin 2005. 23 Vgl. Zeddies, G.: Determinants of International Fragmen- tation of Production in the European Union. IWH-Diskussionspapier 15/2007. Halle (Saale) 2007. 24 Vgl. Sprenger, E.: A Survey on European Integration, Off- shoring and Trade. Kurzanalysen und Informationen, Nr. 43. Osteuropa-Institut Regensburg 2009. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Tabelle 5: RCA-Koeffizienten bei Vorleistungen und Endprodukten im Jahr 2010 Handelspartner Alte Bundesländer Neue Bundesländer Vorleistungen Endprodukte Vorleistungen Endprodukte 0,02 −0,17 −0,04 −0,59 Slowakei −0,08 −0,24 0,01 −0,08 Ungarn −0,13 −0,26 0,01 −0,02 Polen 0,23 0,00 −0,04 −0,41 MOEL 0,06 −0,13 −0,07 −0,39 Tschechische Republik Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des IWH. Bundesländer im Handel mit den osteuropäischen Ländern eher bei Endprodukten komparative Nachteile besitzen. Bei Vorleistungsgütern sind die Handelsbilanzen dagegen nahezu ausgeglichen (vgl. Tabelle 5).25 liegen, haben deutsche Produzenten insgesamt gesehen offenbar keine eindeutigen komparativen Vorteile bei (human-)kapitalintensiven Gütern. Die nach wie vor existierenden Spezialisierungsvorteile werden vor allem im intra-industriellen Handel realisiert. Fazit Die Analysen haben gezeigt, dass sich die osteuropäischen Länder im Zuge ihrer verstärkten Integration in die EU hinsichtlich der Produktionsstrukturen in den vergangenen Jahren an Deutschland angenähert haben. Der deutsche Außenhandel mit diesen Ländern ist kaum mehr durch Importüberschüsse bei arbeitsintensiven Gütern gekennzeichnet. Während noch in den 1990er Jahren westeuropäische Produzenten überwiegend Vorleistungen aus den osteuropäischen Ländern bezogen haben, hat sich dieses Handelsmuster inzwischen gewandelt. Osteuropäische Länder sind keine Netto-Exporteure von Vorleistungen mehr; stattdessen haben deutsche Produzenten in den letzten Jahren zunehmend ihre Endfertigungslinien an Standorte in den neuen EU-Ländern verlagert und liefern dorthin auch Vorleistungen. Insbesondere die auf Vorleistungen stärker spezialisierten Produzenten in den Neuen Bundesländern könnten hiervon profitieren. Aber auch bei kapital- und humankapitalintensiven Gütern, einer traditionellen Domäne deutscher Exporteure, hat sich das Bild gewandelt. Obgleich innerhalb einzelner (human-)kapitalintensiver wie auch innerhalb einzelner arbeitsintensiver Wirtschaftszweige Handelsbilanzungleichgewichte vor25 Zu Untersuchungen zur Basarhypothese vgl. auch Brautzsch, H.-U.; Ludwig, U.: Ganz Westeuropa auf dem Weg in die Basarökonomie?, in: Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 2005, 513-517. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 337 IWH-Industrieumfrage im Juli 2011: Konsumgüterproduzenten erwarten für das zweite Halbjahr stärkere konjunkturelle Impulse Auch zu Beginn des dritten Quartals 2011 setzt sich im Verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands die sehr gute Stimmung fort. Das zeigen die Ergebnisse der IWH-Industrieumfrage vom Juli unter knapp 300 Unternehmen. Sowohl die aktuelle Geschäftslage als auch die Geschäftsaussichten haben sich gegenüber der Maiumfrage im Saldo nochmals verbessert (vgl. Tabelle). Die hohen Erwartungen, die sich bereits zu Jahresbeginn in der ostdeutschen Industrie eingestellt hatten, sind gegenüber Mai um sieben Saldenpunkte nach oben geschnellt. Neun von zehn Unternehmen erwarten „gute“ oder „eher gute“ Geschäfte in den nächsten sechs Monaten. Nachdem im Mai vor allem die kleinen Unternehmen eine spürbare Erwärmung des Geschäftsklimas gemeldet hatten und sie auch weiterhin in ihren Erwartungen optimistisch bleiben, glänzen diesmal die mittelgroßen Betriebe mit der stärksten positiven Veränderung; die großen Unternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten konnten das hohe Niveau ihrer Geschäftsaktivitäten halten. In den fachlichen Hauptgruppen werden sowohl die aktuelle Lage als auch die Aussichten positiver als im Mai bewertet. Allein die Investitionsgüterproduzenten melden eine Verschlechterung der Geschäftslage. Beim Ausblick auf das zweite Halbjahr schließen sie sich aber den generell optimistischen Einschätzungen an. Vor allem die Konsumgüterproduzenten erhoffen sich nach einem eher schwachen ersten Halbjahr nunmehr sehr gute Geschäfte – selbst nach Ausschluss jahreszeitlich bedingter Effekte. In der saisonbereinigten Betrachtung bleibt das Klima in der Industrie generell sehr freundlich (vgl. Abbildung). Die Hersteller von Vorleistungsund von Investitionsgütern behalten das hohe Erwartungsniveau bei, bezüglich der Geschäftslage Abbildung: Entwicklung der Geschäftslage und Geschäftsaussichten im ostdeutschen Verarbeitenden Gewerbe - Saldena, saisonbereinigte Monatswerte – Verarbeitendes Gewerbe insgesamt Vorleistungsgütergewerbe 100 100 75 75 50 50 25 25 0 0 -25 -25 -50 -50 01 05 2008 09 01 05 2009 09 01 05 2010 09 01 05 2008 01 05 2011 Investitionsgütergewerbe 09 01 05 2009 09 01 05 2010 09 01 05 2011 Konsumgütergewerbe 100 100 75 75 50 50 25 25 0 0 -25 -25 -50 -50 01 05 2008 09 01 05 2009 09 01 05 2010 ──── 09 01 05 2011 Geschäftslage 01 05 09 01 05 09 01 05 09 01 05 2008 2009 2010 2011 - - - - - Geschäftsaussichten IWH a Die Salden von Geschäftslage und -aussichten werden als Differenz aus den Prozentanteilen der jeweils positiven und negativen Urteile der befragten Unternehmen berechnet und nach dem Berliner Verfahren (BV4) saisonbereinigt. Für längere Zeitreihen siehe „Daten und Analysen/Aktuelle Konjunktur“ unter www.iwh-halle.de. Quelle: IWH-Industrieumfragen. 338 Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 bewegten sich die beiden Zweige zuletzt jedoch in unterschiedlicher Richtung. Spürbar verbessert hat sie sich bei den Vorleistungsgüterproduzenten. Sie profitieren möglicherweise von der aktuell guten Baukonjunktur, denn es sind vor allem die Hersteller von Gummi- und Kunststoffwaren sowie von elektronischen und elektrotechnischen Bauteilen, die von einer Belebung ihrer Geschäftstätigkeit berichten. Im Investitionsgütergewerbe hingegen wird die Lage nicht mehr ganz so gut eingeschätzt wie in der Maiumfrage. Die Fahrzeugbauer beispielsweise hatten damals hohe Erwartungen an die nächsten Monate; ihre Geschäftslage hat diese bisher nicht erfüllen können. Auch im Maschinenbau wird die aktuelle Lage weniger günstig eingeschätzt als in der vorherigen Umfrage. Dennoch zeigen sich beide Sparten unverdrossen optimistisch in Bezug auf die Geschäftsaussichten. Sie setzen offenbar auf eine anziehende Inlandsnachfrage nach Investitionsgütern. Das Einschwenken auf einen Aufwärtstrend im Konsumgütergewerbe, der auch jenseits saisonaler Einflüsse Bestand hat, deutet darauf hin, dass die Sparte ebenfalls von einer steigenden Nachfrage ausgeht. Im Mai schätzte knapp jeder zehnte Hersteller von Gebrauchsgütern seine Lage als „gut“ ein, nunmehr ist es über ein Drittel. Die Produzenten von Nahrungsgütern bewerten ihre wirtschaftliche Lage geringfügig besser als in der Vorperiode, während die Hersteller anderer Verbrauchsgüter von einer mäßigen Eintrübung berichten. Alle genannten Bereiche jedoch blicken ausgesprochen zuversichtlich ins zweite Halbjahr. Cornelia Lang ([email protected]) Tabelle: Geschäftslage und Geschäftsaussichten laut IWH-Umfragen im ostdeutschen Verarbeitenden Gewerbe - Vergleich der Ursprungswerte mit Vorjahreszeitraum und Vorperiode, Stand Juli 2011 Gruppen/Wertungen gut (+) Juli 10 Mai 11 eher schlecht (−) eher gut (+) Juli 11 Juli 10 Mai 11 Juli 11 Juli 10 Mai 11 Juli 11 schlecht (−) Saldo Juli 10 Mai 11 Juli 11 Juli 10 Mai 11 Juli 11 12 4 2 1 51 71 73 80 in % der Unternehmen der jeweiligen Gruppea Geschäftslage Industrie insgesamt 31 44 49 44 41 38 21 13 Vorleistungsgüter 30 43 50 44 41 40 23 14 9 3 2 1 48 68 Investitionsgüter 30 54 52 44 36 32 20 10 16 6 0 0 48 80 68 Ge- und Verbrauchsgüter 35 32 38 45 48 45 18 16 14 2 4 3 60 61 65 dar.: Nahrungsgüter 35 37 36 45 37 39 19 19 19 1 7 6 59 47 50 1 bis 49 Beschäftigte 32 38 45 32 41 30 30 18 21 6 3 4 28 58 49 50 bis 249 Beschäftigte 33 44 48 45 42 41 18 12 10 4 2 1 55 72 79 250 und mehr Beschäftigte 28 51 58 56 41 33 16 8 9 0 0 0 69 84 82 Industrie insgesamt 26 41 38 54 46 53 19 12 9 1 1 0 60 75 82 Vorleistungsgüter 28 40 38 52 45 49 19 14 12 1 1 1 61 71 76 Investitionsgüter 21 50 47 57 39 45 20 11 8 2 0 0 56 78 84 Ge- und Verbrauchsgüter 28 28 25 53 60 69 18 11 5 1 1 1 63 77 89 dar.: Nahrungsgüter 26 30 27 66 54 67 8 16 4 0 0 2 85 68 88 Hauptgruppenb Größengruppen Geschäftsaussichten b Hauptgruppen Größengruppen 1 bis 49 Beschäftigte 25 40 36 47 40 44 24 19 18 3 1 2 43 61 61 50 bis 249 Beschäftigte 29 39 40 53 48 53 17 12 7 1 1 0 65 75 86 250 und mehr Beschäftigte 26 47 36 61 47 58 13 6 6 0 0 0 74 89 88 a Summe der Wertungen je Umfrage gleich 100 - Ergebnisse gerundet, Angaben für Juli 2011 vorläufig. – wurde der Wirtschaftszweigsystematik 2008 angepasst. b Die Klassifikation der Hauptgruppen Quelle: IWH-Industrieumfragen. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 339 IWH-Bauumfrage im August 2011: Stimmungshoch überschritten Nach der neuesten Umfrage des IWH vom August 2011 hat sich die Baukonjunktur in Ostdeutschland etwas abgeschwächt. Die Geschäftslage der 300 vom IWH befragten Bauunternehmen verbesserte sich – anders als in den beiden zurückliegenden Jahren – im Verlauf des Sommers nur geringfügig. Ihre Geschäftsaussichten bewerten die Unternehmen ungünstiger als noch zu Sommerbeginn. Die saldierten Urteile der Unternehmen zu Geschäftslage und Geschäftsaussichten befinden sich aber trotz der abflauenden Stimmung auf relativ hohem Niveau. Immerhin beurteilen etwa vier von fünf Bauunternehmen ihre derzeitige bzw. zukünftige Konjunkturlage nach wie vor als gut oder eher gut (vgl. Tabelle). Unter Ausschluss der üblichen Saisoneinflüsse verstärkt sich diese Entwicklung noch. Sowohl die Geschäftslage als auch die Geschäftsaussichten trüben sich gegenüber Sommeranfang ein (vgl. Abbildung). Der Saldo aus den positiven und negativen Urteilen bleibt jedoch bei beiden Indikatoren auf einem Niveau, das noch weit über dem Stand im Aufschwungjahr 2007 liegt. Die beschriebene Gesamtentwicklung spiegelt sich im Großen und Ganzen auch in den einzelnen Bausparten wider. So stellt sich für die vorwiegend im Hochbau tätigen Unternehmen die Geschäftslage saisonbereinigt nicht mehr ganz so gut dar wie in der vorangegangenen Befragung im Juni dieses Jahres. Bei den Geschäftsaussichten für das nächste halbe Jahr bleiben sie allerdings vergleichsweise optimistisch; der Saldo verringert sich hier nur sehr wenig. Zwar waren die Auftragseingänge und die Baugenehmigungen der gewerblichen Investoren nach den starken Zuwächsen im ersten Quartal zuletzt wieder rückläufig. Von den privaten Haushalten gehen aber nach wie vor – gestützt durch die niedrigen Zinsen – Bauimpulse aus. Abbildung: Geschäftslage und Geschäftsaussichten laut IWH-Umfragen im ostdeutschen Baugewerbe - Saldena, saisonbereinigte Monatswerte 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 -10 -20 -30 04 08 12 04 08 2007 2008 12 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 -10 -20 -30 04 08 2007 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 -10 -20 -30 Baugewerbe, insgesamt 04 08 12 04 08 2009 2010 12 04 08 2011 04 08 2008 12 04 08 2009 04 08 12 04 08 12 04 08 12 04 08 12 04 08 2007 2008 2009 2010 2011 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 -10 -20 -30 Tiefbau 12 Hochbau 12 04 08 2010 ──── 12 04 08 2011 Geschäftslage 04 08 2007 Ausbau 12 04 08 2008 12 04 08 2009 12 04 08 2010 12 04 08 2011 - - - - - Geschäftsaussichten IWH a Die Salden von Geschäftslage und -aussichten werden als Differenz aus den Prozentanteilen der jeweils positiven und negativen Urteile der befragten Unternehmen berechnet und nach dem Berliner Verfahren (BV4) saisonbereinigt. Für längere Zeitreihen siehe „Daten und Analysen/Aktuelle Konjunktur“ unter www.iwh-halle.de. Quelle: IWH-Bauumfragen. 340 Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 stockte Förderung der CO2-Gebäudesanierung dürfte hier zunehmend auch bei den Eigennutzern zum Tragen kommen. Im Tiefbau haben sich die Lage und die Aussichten im August in etwa gleichem Maße zurückgebildet, verbleiben aber ebenfalls auf einem relativ hohen Stand. Die Auftragseingänge stagnierten hier zuletzt. Allerdings dürften die im ersten Quartal ausgelösten hohen Bauorder die Bautätigkeit wohl zunächst noch etwas stützen. Für später ist jedoch aufgrund der Anforderungen des Schuldenabbaus eine deutlichere Dämpfung von Seiten der öffentlichen Auftraggeber zu erwarten. Brigitte Loose ([email protected]) Im Ausbau wird im Unterschied zum Hochbau die derzeitige Lage nur wenig schlechter bewertet als zu Sommerbeginn, während die über den Jahreswechsel hinausreichenden Erwartungen deutlich abfallen. Hier ist zu berücksichtigen, dass die Salden im Ausbau über viele Monate die des Hochbaus vom Niveau her erheblich überschritten. Das Übergewicht der positiven gegenüber den negativen Stimmen dürfte sich nunmehr in den beiden Sparten angenähert haben und bleibt mit einem Wert von 50 vergleichsweise hoch. So dürfte die energetische Sanierung, der Treiber im Ausbau, weiter Impulse auslösen. Zwar ist sie bei den Wohnungsunternehmen schon weit vorangeschritten, jedoch die im Rahmen der „Energiewende“ aufge- Tabelle: Geschäftslage und Geschäftsaussichten laut IWH-Umfragen im ostdeutschen Baugewerbe im August 2011 - Ursprungswerte im Vergleich mit Vorjahreszeitraum und Vorperiode Gruppen/Wertungen Aug. 10 gut (+) eher gut (+) eher schlecht (−) Juni 11 Aug. Aug. Juni Aug. Aug. 11 10 11 11 10 Juni 11 Aug. 11 schlecht (−) Saldo Aug. Juni Aug. Aug. 10 11 11 10 Juni 11 Aug. 11 - in % der Unternehmen der jeweiligen Gruppea Geschäftslage Baugewerbe insgesamt 35 40 43 47 44 43 15 14 13 2 2 2 64 68 71 Bauhauptgewerbe darunterb 30 36 36 50 45 46 17 17 16 3 3 2 61 62 64 Hochbau 35 41 43 52 45 44 12 13 12 1 1 1 74 72 74 Tiefbau 25 30 32 50 45 46 22 21 20 4 4 2 49 49 55 Ausbaugewerbe 49 53 60 39 38 33 10 8 5 2 1 1 77 82 87 40 41 44 43 39 40 13 17 13 4 3 3 66 60 67 Zweige/Sparten Größengruppen 1 bis 19 Beschäftigte 20 bis 99 Beschäftigte 100 und mehr Beschäftigte 37 43 46 45 42 42 17 13 11 2 2 1 63 70 75 24 32 35 61 55 49 12 13 16 3 0 0 70 74 68 Geschäftsaussichten Baugewerbe insgesamt 27 33 30 49 50 49 22 16 18 3 2 3 51 65 58 Bauhauptgewerbe darunterb 22 28 24 49 52 54 26 18 18 3 2 4 43 60 57 Hochbau 27 31 27 56 54 60 16 14 14 1 1 0 66 69 73 Tiefbau 20 25 23 44 51 49 33 21 21 4 3 7 27 51 43 Ausbaugewerbe 40 47 44 48 44 37 9 8 17 4 1 2 75 81 61 32 29 30 44 49 50 20 19 19 4 2 2 51 57 59 Zweige/Sparten Größengruppen 1 bis 19 Beschäftigte 20 bis 99 Beschäftigte 100 und mehr Beschäftigte 28 36 32 53 48 50 17 14 13 2 2 5 61 68 64 19 29 24 44 55 49 34 16 24 3 0 3 25 68 46 a b Summe der Wertungen je Umfrage gleich 100 - Ergebnisse gerundet. – Hoch- und Tiefbau werden als Darunterposition ausgewiesen, da ein Teil der an der Umfrage beteiligten Unternehmen keiner dieser Sparten eindeutig zugeordnet werden kann. Quelle: IWH-Bauumfragen. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 341 Neue Diskussionspapiere An Economic Life in Vain − Path Dependence and East Germany’s Pre- and Post-Unification Economic Stagnation 20 Jahre nach dem Vollzug der Einheit stagniert die Wirtschaftsentwicklung des „ostdeutschen Zwillings“ im Vergleich zu westdeutschen Einkommens- und Produktionskennzahlen. Der starke Wachstumsschub bis in die Mitte der 1990er Jahre ebbte ab, und die Wirtschaft verharrt seitdem auf einem Niveau, das 70% bis 80% der westdeutschen Referenzgrößen entspricht. In diesem Beitrag werden zwei voneinander unabhängige Hypothesen überprüft: (i) dass bereits die kommunistische Wirtschaft Ostdeutschlands vor der Einheit auf einem Stagnationspfad war, ganz im Gegensatz zu dem, was andere Untersuchungen ausweisen; (ii) dass eine starke Pfadabhängigkeit existiert und der Umstieg von der Zentralverwaltungszur Marktwirtschaft nur diese vorangegangene Stagnationsphase kompensierte, die tiefer liegenden strukturellen Defizite aber nicht löste. Im Falle Westdeutschlands reicht ein stabiler Entwicklungspfad vom 19. Jahrhundert in die Gegenwart. Daher ist die Analyse des ostdeutschen Entwicklungspfads gleichzeitig ökonomisch relevant und wirtschaftspolitisch bedeutsam. Die ostdeutsche Wirtschaftsleistung wird rekonstruiert, um die makroökonomische Entwicklung im Vergleich zu Westdeutschland zu beschreiben. Annahmen über den historischen Startpunkt nach dem Zweiten Weltkrieg, über die für die Kaufkraft bedeutsamen Folgen der Verschlechterung der Produktqualität, den Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit und die fehlende Verfügbarkeit ausländischer Güter werden getroffen. Ebenso werden die fundamentalen Verschiebungen der Weltwirtschaft in den 1970er Jahren einbezogen, die mit einer Konfiszierungswelle mittelständischer Unternehmen in der DDR einhergehen; zeitgleich vollzieht sich ein starker Anstieg der Subventionierung der Konsumgüter durch den Staat. Im Gegensatz zu den Ergebnissen anderer Autoren vollzieht sich ab Anfang der 1970er Jahre ein Niedergang der wirtschaftlichen Leistung bis in die Mitte der 1980er Jahre. Als Ostdeutschland wirtschaftlich zusammenbricht, liegt seine wirtschaftliche Leistung auf einem Niveau, das demjenigen Westdeutschlands zwischen der Mitte der 1950er und dem Beginn der 1960er Jahre entspricht. Trotz einer zu Anfang der 1990er Jahre beachtlichen Aufbauleistung verläuft das gegenwärtige Wachstum entlang eines Pfads, der in den 1950er und 1960er Jahren begann. Nie erreichte das Land eine Wirtschaftsleistung, die diejenige der mitteldeutschen Industrieregion vor dem Krieg übertraf. Blum, Ulrich: An Economic Life in Vain − Path Dependence and East Germany’s Pre- and Post-Unification Economic Stagnation. IWH-Diskussionspapiere 10/2011, http://www.iwhhalle.de/d/publik/disc/10-11.pdf. The Importance of Estimation Uncertainty in a Multi-Rating Class Loan Portfolio Der Beitrag beschäftigt sich mit der Bewertung von Schätzunsicherheit in einem hinsichtlich der Bonität inhomogenen Kreditportfolio. Es wird zunächst gezeigt, dass neben dem in der Literatur bereits diskutierten Zusammenhang zwischen der Schätzunsicherheit und der Anzahl historisch verfügbarer Perioden beziehungsweise der Ratingklassengröße auch ein Zusammenhang zwischen diesem Modellrisiko und der Bonität, dem Grad der Inhomogenität, der Innerklassen- und Interklassenkorrelation sowie der Ratingklassenzahl besteht. Darüber hinaus wird am Beispiel eines auf Moody’s-Ratings beruhenden Portfolios verdeutlicht, dass durch eine Berücksichtigung dieses Modellrisikos der Kreditzins in relevantem Umfang steigen kann. Dannenberg, Henry: The Importance of Estimation Uncertainty in a Multi-Rating Class Loan Portfolio. IWH-Diskussionspapiere 11/2011, http://www.iwh-halle.de/d/publik/disc/11-11.pdf. 342 Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 Veranstaltungen Workshop „Ökonomische Aspekte des energieeffizienten Wohnens – Analysen aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive“ am 13. und 14. Oktober 2011 in Halle (Saale) Im Rahmen des von der Leibniz-Gemeinschaft geförderten Projektes „Energetische Aufwertung und Stadtentwicklung (EASE)“ in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) Dresden und dem E.ON Energy Research Center (E.ON ERC) der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen richtet das IWH einen Expertenworkshop aus. Ziel des Workshops ist es, zusammen mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Rahmenbedingungen der energetischen Aufwertung von Gebäuden sowie Implikationen politischer Eingriffe in diesem Bereich aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive zu beleuchten und zu diskutieren. 8. IWH-IAB-Workshop „Qualität der Arbeit im Wandel“ am 20. und 21. Oktober 2011 in Halle (Saale) Auf dem deutschen Arbeitsmarkt zeichnet sich in jüngster Zeit ein Trend zu sinkenden Arbeitslosenzahlen ab. Dies wird oft als Beleg einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik gewertet. Der Fokus auf rein quantitativen Aspekten vernachlässigt allerdings die Qualität von Beschäftigung. In den letzten Jahren ist zugleich die Rede von einem Wandel der Arbeitswelt. Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, Prekarisierung, Flexibilisierung und Ausweitung der Niedriglohnbeschäftigung sind Begriffe, mit denen versucht wird, die Veränderungen in der Arbeitswelt in einer umfassenderen Sichtweise zu begreifen und zu beschreiben. Weitere Informationen jeweils unter: www.iwh-halle.de/Veranstaltungen. Durchgeführte Veranstaltung: 5. Konferenz „Analysen und Politik für Ostdeutschland – aus der Forschung des IWH–“ am 21. September 2011 Am 21. September 2011 veranstaltete das IWH zum fünften Mal in Folge eine Tagung zum Thema: „Analysen und Politik für Ostdeutschland – aus der Forschung des IWH –“. Ziel der Veranstaltung war es, den Akteuren der Wirtschaftspolitik und weiteren Vertretern der wirtschaftspolitisch interessierten Fachöffentlichkeit Themen aus der laufenden Forschung des Instituts zur Diskussion zu stellen. Die Tagung richtete sich vor allem an Abgeordnete und Vertreter der Ministerien auf der Länder- und der Bundesebene, Mitarbeiter der für Wirtschaftsfragen zuständigen Abteilungen von Botschaften in der Bundesrepublik Deutschland sowie an Vertreter von Verbänden, Unternehmen und an Journalisten. Angesichts der zentralen Rolle, die Wissen und Innovation für das Wachstum moderner Volkswirtschaften spielen, widmeten sich verschiedene Vorträge den Themen des Technologie- und Wissenstransfers. Weitere Themen betrafen Ostdeutschlands Wachstumsperspektiven, die Zukunft der EU-Strukturpolitik sowie den „Stadtumbau Ost“, mit dem sich ostdeutsche Städte an veränderte demographische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen anpassen. Die Tagung wurde mit einem Vortrag der Ministerin für Wissenschaft und Wirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt, Frau Professor Dr. Birgitta Wolff, über die wirtschafts- und wissenschaftspolitischen Herausforderungen in Sachsen-Anhalt eröffnet. Dabei sah sie engere Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft als unerlässlich an. Die Veranstalter freuten sich über die rege Teilnahme und die fruchtbaren Diskussionen. Wirtschaft im Wandel, Jg. 17 (9), 2011 343