Hoffnung für ein Volk ohne Land

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S p ezial
Hoffnung für ein Volk ohne Land
Sinti- und Roma-Gemeinden in Deutschland
von Sofia Kwiek
Und dieses Evangelium vom
Reich wird in der ganzen Welt
gepredigt werden als Zeugnis
für alle Völker, und dann wird das
Ende kommen.1
Spricht Jesus hier von allen Völkern, meint er auch das Volk der Sinti
und Roma, dessen Evangelisierung in
Deutschland erst in den 1960er-Jahren
begann. Sicherlich waren vereinzelte
Versuche der Missionierung durch die
großen Kirchen angegangen worden,
doch ohne größere Bewegungen auszulösen. Erst durch die Pfingstbewegung
konnte Jesus in die Herzen der Sinti
und Roma einziehen und ihnen durch
die Verkündung der Frohen Botschaft
das Himmelreich öffnen. Eine Vielzahl
von Gemeinden bildeten sich, die voller Leidenschaft den Herrn loben und
autonom bestehen, auch in finanzieller Hinsicht. Neben der Verbreitung des
Evangeliums leisten sie auch karitative
Unterstützung und vertreten christliche Grundwerte.
Was ich in diesem Artikel beschreibe, ist eher beispielhaft als grundsätzlicher Natur. Werden diesmal besonders
die in Deutschland lebenden Kelderash2
betont (die erst um 1960 aus Polen eingewandert sind), so sollen in einem
Folgeartikel auch andere Gruppen beleuchtet werden. Bei alledem geht es
mir nicht um die Verherrlichung einzelner Menschen, sondern die Darstellung des Wirkens unseres Herrn. Die
hier aufgeführten Personen sehen sich
lediglich als Diener Gottes. Der Geist
Gottes aber ist es, der durch viele auch
hier ungenannte Brüder und Schwestern das Werk wachsen ließ.
Zur Autorin
Sofia Kwiek ist aktive Christin und arbeitet als freie
Journalistin in Offenburg. Sie studierte Soziologie, Politikwissenschaften und Literatur in Gießen.
Von Frankreich nach Mitteleuropa
Bevor die Verkündung des Evangeliums in Deutschland bei den Sinti
und Roma begann,
war in Frankreich die
Missionierung schon
recht weit fortgeschritten. Pastor Clement Le Cossec wurde in den 50er-Jahren
vom Herrn berufen,
mitten unter die Sinti und Roma zu gehen
und ihnen die Frohe
Botschaft zu verkünden. Er begann bei
den Sinti und betete
für einen schwerkranken Mann, der daraufhin geheilt wurde
und sein Leben Jesus schenkte.3 Nach
der Taufe von dessen Familie verbreitete sich die Botschaft von Jesus und
der Heilung eines Sterbenden unter
der Sinti- und Roma-Bevölkerung rasend schnell.4
Ende der 50er-Jahre bekehrten sich
Mitglieder der französischen Kelderash
und begannen nach ihrer Bekehrung
und Taufe sofort das Wort zu predigen
und Menschen zum Glauben zu füh-
Sinti und Roma – eine der größten Minderheiten Europas
Die Sprache „Romanes“
B
D
etrachtet man die Debatten über Sinti und Roma in Deutschland, erhält man einen eher negativen Eindruck.
In regelmäßigen Abständen tauchen Sinti und Roma in den Medien auf, doch skizzieren die Medienberichte
meistens ein sehr einseitiges Bild, das dieser Bevölkerungsgruppe und ihrer Vielfältigkeit nicht gerecht wird.
Das romantisierte Klischee vom „singenden und tanzenden Zigeuner“ wurde abgelöst von dem Klischee der
„Sozialhilfe missbrauchenden Roma“ aus Osteuropa. Das liegt nicht immer in der Absicht der Berichterstatter, umso wichtiger ist es, genauer zu definieren, über welche Gruppe der Sinti und Roma gesprochen wird.
In Europa leben etwa 11 Millionen Sinti und Roma und bilden damit eine der größten Minderheiten Europas.
Sie sind in jeder Bevölkerungs- und Berufsgruppe vertreten. Genaue Zahlen zu erfassen ist sehr schwierig,
denn die meisten Sinti und Roma besitzen die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem sie leben; und ethnische
Zugehörigkeiten werden nicht erfasst beziehungsweise viele Sinti und Roma geben sie auch gar nicht an. In
Deutschland leben nach Schätzungen von UNICEF etwa 70.000 Sinti und Roma mit deutscher Staatsbürgerschaft und etwa 50.000 Flüchtlinge.
Als Interessenvertretung wurde 1982 der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gegründet. Er setzte sich
dafür ein, dass der Völkermord an Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten von der Bundesregierung
anerkannt wurde. In der Folge erhielten überlebende Sinti und Roma ein Recht auf Entschädigung. Ferner
leistete der Zentralrat einen erheblichen Beitrag zu der Abschaffung der Bezeichnung „Zigeuner“. Sie wurde
ersetzt durch das Wortpaar „Sinti und Roma“. 1995 erwirkte der Zentralrat die gesetzliche Anerkennung der
deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit mit eigener Minderheitensprache, dem Romanes. 32
er Sprachkern des Romanes entspricht
dem indogermanischen Sanskrit. Daher
wissen wir auch, dass die Sinti und Roma
ursprünglich aus dem nördlichen Indien
stammen. Durch unterschiedliche Wanderungsbewegungen, die im ersten Jahrtausend begannen, veränderte sich freilich die
Sprache der einzelnen Gruppen unterschiedlich. Manche Gruppen flohen vor den nach
Indien einfallenden muslimischen Truppen.
Andere wurden im Zuge verschiedener
Kriegsfeldzüge als Sklaven verschleppt. So
bewegten sich einzelne Sinti- und RomaGruppen durch verschiedene Länder und
Regionen, bis sie etwa im 15. Jahrhundert
in Deutschland ankamen. Je nach Länge
des Aufenthalts in einer Region nahmen
die Sinti und Roma Wörter oder sogar Redewendungen der Sprache des Gastlandes
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In früheren Jahren:
Antonie Demestre mit kleinem Roma-Chor bei einer Zeltmission
ren. 1963 ließen sich in Paris 63 Menschen taufen und bildeten die erste
Roma-Gemeinde, deren Pastor Loulou
Demeter wurde.
In brüderlicher Gemeinschaft arbeitete Le Cossec mit den neu gewonnenen Glaubensbrüdern zusammen, und
das Evangelium verbreitete sich unter
den Roma und Sinti wie ein Lauffeuer.
Gemeinsam konnten sie schon Anfang
der 60er-Jahre die Grenzen Frankreichs
überschreiten und in ganz Europa ar-
beiten. Drei der ersten Bekehrten reisten sogar in die USA und verkündeten dort unter den Roma das Wort des
Herrn und leiteten Gottesdienste, sodass die Missionierung der Roma auch
in den USA begann.
Missionierung in Deutschland
In Deutschland war es der Bibelschüler Gerhard Heinzmann, der 1964
den Ruf unseres Herrn hörte, unter
den Sinti und Roma in Deutschland
Anmerkungen
1 Matthäus 24,14; NeueLuther Bibel.
2 Eine Untergruppe der Roma, die sich vor Zeiten auf
das Handwerk des Kupferschmiedens spezialisiert
hatte. Auch: Kaldarash u.a.
3 http://cmeri.chez.com/sarliapeandagore.htm
»
4 Über Le Cossec und die Heilung eines schwerkranke Sinto berichten nicht nur die Sinti und Roma,
sondern auch Ethnologen, die über die „ZigeunerMission“ schreiben, vgl. Johannes Ries „Spenden
Gaben“, in: Europäische Roma – Ethnographische
und Ethnologische Beiträge; Reetta Toivanen und
Michi Knecht, 2006.
Relikte heidnischer Elemente
in ihrer Sprache auf. Das heutige Romanes
ist ein Zusammenfluss vieler Sprachen und
existiert in mehreren, teils sehr voneinander
abweichenden Dialekten.
Eine große Rolle spielt dabei der Beruf.
Denn die Sinti- und Roma-Familien gingen
immer einem Beruf nach, woraus sich zusammengehörige Sippen entwickelten. Die
verschiedenen Dialekte sind daher bis in die
heutige Zeit den ehemaligen Berufsfeldern
zuzuordnen. Ein Kelderash aus Deutschland
spricht zum Beispiel annähernd denselben
Dialekt wie ein Kelderash aus den USA. Hingegen sprechen deutsche Lovara (ehemalige
[Pferde]Händler) einen stark abweichenden
Dialekt. Die Kommunikation mit deutschen
Kelderash wäre schwierig, man würde sich
zum Teil der deutschen Sprache bedienen.
Charisma 172 · 2. Quartal 2015
D
ie Religionszugehörigkeit der Sinti und Roma hängt davon ab, in welchem Land sie leben und welches
dort die Mehrheitsreligion ist. Denn die Konvertierung zum Glauben des Landes, in dem man lebte, war
immer eine Überlebensfrage. Die ursprüngliche Religion der Sinti und Roma ist heute nicht mehr nachweisbar, es ist aber davon auszugehen, dass es sich um einen Glauben handelte, der im Hinduismus verankert
war. Sitten und Bräuche aus dem ursprünglichen Glauben sind dabei nach der Konvertierung häufig in die
neue Religion mit eingeflossen. In Deutschland zum Beispiel waren die meisten Sinti und Roma katholisch.
Die Marienverehrung war ihnen dabei besonders wichtig. Riesige Marienstatuen aus Lourdes oder Tschenstochau zierten ihre Wohnungen und Wohnwagen. Der Glaube an Schutz und Heilung durch die „Mutter Gottes“
wurde exzessiv praktiziert, zum Beispiel mit Opfergaben von Blumen und Kerzen. Hier zeichnet sich eine Anlehnung an den Glauben an die indische Göttin Kali ab. Sie ist eine wichtige Göttin des Todes, die aber auch
gleichzeitig eine Beschützerin und Mutter darstellt, weil sie gegen Dämonen und Ungerechtigkeit kämpft.
Die Verehrung der Toten ist bei Sinti und Roma Bestandteil der kulturellen und religiösen Sitten. Doch geht
es nicht nur um die Verehrung, sondern darum, dass die Seele der Verstorbenen Einfluss auf das Leben der
Hinterbliebenen haben, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Durch Opfergaben, zum Beispiel
von neuem Obst und Gemüse, konnte der Tote wohlwollend gestimmt werden. Ein Glaube, der auch im Hinduismus zu finden ist. Umgekehrt konnte die Beleidigung von verstorbenen Verwandten massive Streitigkeiten
auslösen, die sich über Generationen hielten.
Erst mit der Verbreitung der pfingstlichen Bewegung innerhalb der Sinti und Roma konnte das Fundament
zu einem wahren Glauben an Jesus Christus gelegt werden. Zum Zentrum des Glaubens wurde die Bibel und
das Wirken des Heiligen Geistes. Heidnische Elemente wurden aufgedeckt und bekämpft, an erster Stelle ist
hier der Götzendienst zu nennen. 33
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