P 1 Weinmuseum Das Ufo des Dionysos Mitten in Bordeaux ist ein Gebäude gelandet, das einer Skulptur gleicht. Es huldigt dem Edelsten, das man aus einer Traube machen kann: dem Wein. Das Ufo des Dionysos12 Steckbrief16 Konstruktion: Kein Bauteil wie das andere18 Interview: Fassade als Herausforderung20 Fazit: Revitalisierung mit Holz21 XTU_ANAKA P R O J E K T 1 // W E I N M U S E U M 14 mikado 12.2016 mit seinem Raumschiff mitten in einer der berühmtesten Weinbauregionen einmal umschauen wollte, nicht besonders abwegig. Erster Vorbote Am besten nähert man sich dem Projekt mit einem genauen Blick von außen. Auch wenn Glas und Aluminium den ersten Eindruck dominieren, entgehen dem genauen Betrachter schon aus der Ferne die ersten Boten der tragenden Holzkonstruktion nicht. Filigran windet sich eine Vielzahl dünner, gebogener Brettschichthölzer um den Turm und bildet die Tragkonstruktion für die Fassade aus Glaselementen. In 55 Metern Höhe schließlich ragen die Stäbe frei in den Himmel und umgeben eine Plattform, die der Technik dient und dem Besucher verschlossen bleibt. Doch beginnen wir unseren Besuch vielleicht nicht gleich ganz an der Spitze, sondern eher am anderen Ende des Baukörpers. 300 Pfähle mit einem Durchmesser von bis zu 1,20 m mussten bis zu 30 Meter tief in den Boden getrieben werden, um den Bau am nahen Fluss stabil zu gründen. Und dann floss neben der Garonne erst einmal sehr viel Beton: 9000 Kubikmeter mussten auf die Baustelle geschafft werden, um den Rohbau fertigzustellen. Fast 4000 Quadratmeter Schaltafeln waren wohl das erste Holz, das auf der Baustelle zumindest kurzfristig verbaut wurde. Doch schon bald rollten die Tieflader mit den riesigen Brettschichtholzbögen an, von denen keiner dem anderen gleicht. Sie bildeten das Grundgerüst für den Großteil der Ausstellungsfläche, die 13 500 Quadratmeter einnimmt. ▴▴Ein Raum für die Sinne: Die Wände des Degustationsraums bestehen aus bedrucktem Glas L AGEPL AN Autozufahrt Tiefgarage Personaleingang Feuerwehrrampe Innenhof Senke Vorplatz Zweiter Eingang Riesiger Raum geschickt zoniert Betritt man heute das Gebäude, so eröffnet sich dem Besucher ein Raumerlebnis fast ohne Ecken und Kanten. Geschwungene Linien geben dem weitgehend offenen Raum seine funktionale Aufteilung. Zwei Eingänge erschließen die unterste Ebene für die Besucher, ein dritter ist dem Personal vorbehalten. Eine Haupteingang Feuerwehrzufahrt Senke Rundweg Feuerwehrzufahrt XTU ARCHITECTS W ie ein riesiger Donut liegt die neue Attraktion von Bordeaux unter der französischen Sonne. Zu jeder Tageszeit reflektiert seine Haut aus Glas und Aluminium das Licht in anderen Farben. Gleich daneben fließt die Garonne, rundherum ragen längst verrostete Kräne auf – inmitten dieses ehemals pulsierenden Dockviertels reckt sich der künftige Hotspot des internationalen Weins dem Himmel entgegen. Das Hafenviertel „Port de la Lune“ wartet noch auf seine Wiederbelebung, doch mit der „Cité du Vin“ ist ein erster Schritt zur Revitalisierung und Umstrukturierung dieses Areals von Bacalan, einem nördlichen Stadtteil von Bordeaux, gesetzt. Unzählige Deutungsweisen lässt die gebogene, organische Form des Gebäudes zu. Vom überdimensionalen Dekanter über den im Glas geschwenkten Wein bis zu einem knotigen Weinstock reichen die Assoziationen. Steht man vor diesem funkelnden Giganten, so scheint selbst der Gedanke daran, dass sich der griechische Weingott Dionysos ▴▴Die großen Weinflaschen aus Holz erzählen dem Besucher etwas über die unterschiedlichen Weinfamilien XTU-JULIEN LANOO XTU-JULIEN LANOO P 1 www.mikado-online.de 15 XTU-P.TOURNEBOEUF STECK BR IEF BAUVORHABEN: La Cité du Vin BAUWEISE: Massivbau und Holztragwerk BAUZEIT: März 2015 bis Juni 2016 BAUKOST EN: 81 Mio. Euro NUT ZFL ÄCHE: 13 644 m² BAUHERR: Stadt Bordeaux ı www.bordeaux.fr PL ANER /ARCHIT EK T: XTU architects 32 rue de Paradis F-75010 Paris ı www.x-tu.com HOL ZBAUER: Arbonis RN79 ı F-71220 Verosvres www.arbonis.com SZENOGR AFEN AUSST ELLUNG: Casson Mann 45 Mitchell St London EC1V 3QD www.cassonmann.com 16 mikado 12.2016 ▴▸ Brettschichtholzbögen tragen die Gebäudehülle der Cité du Vin. Jeder Bogen ist ein Einzelstück XTU-P.TOURNEBOEUF Thema des Monats // Internationaler Holzbau // Weinmuseum geschickte Zonierung vereint sehr unterschiedliche Raumnutzungen auf dieser Ebene. Neben einem Teilbereich für Personalräume befindet sich hier auch das Auditorium, das über mehrere Etagen reicht und multimedial in die Welt des Weins einführt. Der restliche Teil des Untergeschosses ist der öffentlichen Nutzung vorbehalten, in diesen Bereich kann jeder hinein, auch ohne Eintrittskarte für die Ausstellung. Der öffentliche Raum zieht sich bogenförmig zwischen diesen verschiedenen Bereichen von einem zum anderen Eingang. In der Mitte des elliptischen Baus zieht ein kleiner Patio die Blicke auf sich. Von diesem Eingangsbereich aus geht es eine Etage hinauf. Hier beginnt die multimediale Show, die auf mehreren Ebenen quer durch die Welt des Weins führt. Die Architekten und Ausstellungsmacher verzichteten bewusst auf das Anlegen eines „Rundgangs“. Wie der Wein sich im Glas dreht – diese Bewegung wie bei einem Strudel stand hinter der Idee der Architekten. Und so haben auch die Ausstellungsmacher für die inhaltliche Gestaltung auf diesen Gedanken zurückgegriffen. Die langgezogenen, gebogenen Rampen, auf denen sich die Ausstellung hinaufschraubt, verstärken diesen Eindruck. Kreuz und quer, gleich einem Labyrinth, bewegt sich der Besucher nun von Station zu Station. Die riesige Ausstellungsfläche wird dabei nicht in einzelne Räume unterteilt, sondern vielmehr durch eine Installation von Spiegeln und Glaselementen in einzelne Themenmodule gestaffelt. Sechs riesige Weinflaschen aus Holz erklären die unterschiedlichen Weinfamilien und in der großen Galerie kann man das Thema Wein archäologisch betrachten. in diesem Herzstück des Rebensafts eine große Rolle spielen sollte. Es dient innerhalb der Ausstellung als Baustoff für viele unterschiedliche Elemente, wie zum Beispiel die zehn kleinen Holzboxen, die die Zivilisation des Weins von der Antike bis heute beleuchten. Doch in erster Linie fällt es wohl als tragendes Element für den Raum ins Auge: 128 gebogene Elemente aus Brettschichtholz tragen die Fassade aus Glas und Aluminium. Keines ist wie das andere. Mit der darüberliegenden Lattung hat man fast das Gefühl, sich in einem riesigen Weinfass zu befinden. Doch zurück zur Ausstellung: Hat man erst einmal die insgesamt 19 Themenmodule ausführlich inspiziert, so fehlt noch eine Kostprobe. Um diese zu genießen, bietet es sich an, den Turm zu erklimmen. Vorbei an einigen Etagen mit Büros geht es hinauf in die oberen Stockwerke. Hier bietet die „Cité“ Raum für Genuss in 3D-MODELL HOL ZKONST RUK T ION XTU ARCHITETCS P 1 vielerlei Hinsicht: Das Restaurant in der siebten Etage eignet sich dazu ebenso gut wie das „Belvedere“, die Aussichtsetage ein Geschoss darüber. Die große Bar bietet erlesene Tropfen aus der ganzen Welt an. Wem das Wenn aus einzelnen Teilen etwas Großes wird. Egger Bauprodukte. www.egger.com/bauprodukte Unaufdringlich und doch präsent: das Holz Während der Besucher seine Reise durch die Welt des Weins in den amorphen Strukturen der Cité fortsetzt, begegnet er unmerklich überall dem Baustoff Holz. Was vielleicht wie Zufall anmutet, ist von den Architekten bewusst so gewählt. Der Wein ist mit dem Material auf vielfältige Weise so eng verknüpft, dass es auch Auf EGGER Bauprodukte kann man bauen. Unsere modulare Unternehmensarchitektur – und somit auch das Stammhaus in St. Johann in Tirol – ist der beste Beweis. Die Kombination aus OSB 4 TOP, DHF und Schnittholz bietet im flexiblen Holzrahmenbau eine einfache und nachhaltige Lösung. So wird aus vorgefertigten Elementen in kürzester Zeit etwas ganz Großes. noch nicht reicht, der sollte auf dem Weg hinaus noch einen Abstecher in den hauseigenen Shop machen. Dieser rühmt sich, über 800 verschiedene Weine aus 80 weinerzeugenden Ländern vorrätig zu haben. ▪ Thema des Monats // Internationaler Holzbau // Weinmuseum P 1 GRUNDRISS 2. OG Konstruktion Kein Bauteil wie das andere Eine Konstruktion, in der so viel Bewegung ist, kann nicht mit standardisierten Bauteilen gebaut werden. So ist jedes Teil dieser Holzkonstruktion einzigartig. GRUNDRISS 1. OG der hohe Vorfertigungsgrad der Holzbauteile: Sie konnten schon im Werk absolut maßhaltig gefertigt werden. Im Bereich des Turms gehen die Bögen in „Stacheln“ über, die den Turm förmlich umschlingen und wie Dornen in den Himmel ragen. 3D-MODELL HOL ZKONST RUK T ION Zwei Schichten Außenhaut 18 mikado 12.2016 verankern, blieb ihnen nichts anderes übrig, als den gesamten Betonbau mit einem 3D-Scanner zu vermessen und dann die richtige Lage der Stahlverbinder zu berechnen. Anschließend ging es an den Aufbau der Holzkonstruktion. Die komplexe Form des Baukörpers war aber auch eine Herausforderung für die Holzbauer. Das Zusammenspiel mit den vielen unterschiedlich zugeschnittenen Bauteilen der Glasfassade konnte nur funktionieren, wenn der Aufbau extrem präzise war: Mehr als 15 mm durfte kein Brettschichtholzbogen von seiner Position abweichen. Das war insbesondere eine Aufgabe bei der Verankerung der Stützen im Beton, da schon hier kleinste Abweichungen verheerend gewesen wären. Doch der präzise Aufbau wurde durch die kontinuierliche Arbeit des Vermessers sichergestellt. Er war die ganze Zeit auf der Baustelle und maß jedes einzelne Bauteil korrekt ein. Ein Vorteil war SCHNIT T Technikraum Warteraum Aussichtsetage Tapas-Bar Personalraum Büros Büros Technikraum Feuerwehrzufahrt Modul 17 Forum Modul 18 Modul 12 Modul 14 Modul 07 Technikraum Technikraum Öffentlicher Aufenthalts­ bereich Ladezone Garderobe Terrasse Duftgarten Lobby, öffentlicher Aufenthaltsbereich Modulare Räume Terrasse Öffentliche Etage mit Shops Christina Vogt, Gladbeck ▪ www.mikado-online.de 19 ALLE ZEICHNUNGEN: XTU ARCHITETCS S o leicht, wie die elegant geschwungene Form der „Cité du Vin“ aussieht, waren ihre Entwicklung und ihr Aufbau leider nicht. Denn wie so oft steckte der Teufel im Detail und in diesem Fall vor allem im Zusammenspiel der unterschiedlichen Bauteile. Die verschiedenen Komponenten gaben den Planern schon in der Planungsphase kniffelige Rätsel auf. Allein die Auswahl der richtigen Software zur Entwicklung des Baukörpers bereitete den Ingenieuren Kopfzerbrechen. Am Ende entschieden sie sich für eine Kombination aus mehreren Programmen, die es ermöglichten, die einzelnen Bauteile aus Holz und Glas und ihre Verbindungselemente zu berechnen. Die Maßtoleranzen der Betonkonstruktion stellten die Ingenieure vor eine echte Herausforderung. Millimeterarbeit, wie im Holzbau üblich, war hier nicht möglich. Um aber die Holzbögen an der richtigen Stelle zu Der Aufbau der Außenhaut ist auf den ersten Blick recht einfach. Auf den Brettschichtholzbögen wurde eine Lattung aufgebracht, über der die erste Schicht der Außenhaut liegt: Große Sperrholzplatten, versehen mit einer wasserdichten Schicht, liegen unter der von außen sichtbaren Fassade aus Glas- und Aluminiumplatten. Das Versetzen der Fassadenplatten schließlich war Millimeterarbeit. Zu unterschiedlich waren die Elemente aus Aluminium und zum Teil lackiertem Glas geformt. Auch hier mussten die Vermesser zurate gezogen werden, um die Aufhängungen der Platten richtig zu positionieren. Schließlich glückte das Unterfangen, doch ein Blick auf die Arbeits- und Baustoffzahlen verdeutlicht die Herkulesaufgabe, der sich die Teams stellen mussten. Insgesamt wurden für die Holzkonstruktion 8000 Abstandhalter, 574 verschiedene Bögen aus Brettschichtholz und 128 gebogene Brettschichthölzer, die sich um den Turm schlingen, verbaut. 8000 Planungsstunden, 17 500 Fabrikationsstunden und 15 000 Aufbaustunden verschlang das Riesenprojekt, dazu 950 m³ Brettschichtholz, 9000 m³ Beton und 100 Tonnen Stahl. Thema des Monats // Internationaler Holzbau // Weinmuseum mikado: Worin bestand Ihre Aufgabe bei diesem Projekt? Michel Chapron: Unsere Aufgabe war komplex. Sie bestand aus Planung, Produktion und Aufbau der Holzbauteile und der Metallkonstruktion. Auch die erste Schicht der Außenhaut, bestehend aus Dichtungsbahn und Sperrholzplatten, lag in unserer Hand. Interview mit dem Holzbauer „Die Fassade war eine Herausforderung“ Gab es spezielle Beweggründe, wa­ rum Holz als Baumaterial zum Ein­ satz kam? Die Architekten hatten die grundlegende Idee, dass Holz als Baustoff einen direkten Bezug zu Weinfässern, zu Weinstöcken und zu den kleinen Holzbooten herstellen würde, die in den vergangenen Jahrhunderten den Wein transportierten. Außerdem lässt sich Holz leicht modellieren, es ermöglicht außergewöhnliche architektonische Leistungen, wie bei diesem Objekt mit seiner gekrümmten Form. Das Holz umarmt buchstäblich das Gebäude. Die Außenhaut der »Cité du Vin« ist wie ein gigantisches Puzzle. Eine Herausforderung, die nur mit Akribie gelöst werden konnte. Welche Teile des Gebäudes sind aus Holz gefertigt? Zwei grundlegende Teile des Baukörpers sind aus Holz gefertigt. Zum einen ist der äußere Ring als Holzkonstruktion angelegt. Er bildet den Hauptkörper des Baus und besteht aus 574 einzelnen Brettschichtholzbögen, von denen jeder einzigartig ist. Über ihnen liegt eine Schicht aus Sperrholzpaneelen, die mit einer Dichtungsbahn versehen sind. Zum anderen ist der 50 Meter hohe Turm, also der obere Teil des Gebäudes, aus Holz gefertigt. Er besteht aus 128 gebogenen Bauteilen aus Brettschichtholz, an denen die Tragkon-struktion der Glasverkleidung befestigt ist. Die „Cité du Vin“ ist ein ambitioniertes Projekt. Was war die größte Heraus­ forderung bei diesem Projekt? Die größte Herausforderung während der Realisierung waren die verschiedenen Komponenten der Glasfassade bzw. das Zusammenspiel zwischen Glas- und Aluminiumplatten. Insbesondere die Einhaltung der Maßtoleranzen bei der Fertigung und der Installation, ausgehend von den üblichen Normen, war eine schwierige Aufgabe. ▸▸Michel Chapron ist kaufmännischer Leiter bei dem Holzbaukonzern Arbonis. Für die „Cité du Vin“ verantwortete er das Gesamtprojekt ARBONIS P 1 Baustelle jedes Metallbauteil angepasst werden, das die Holzkonstruktion mit der Glasfassade verbindet. Dafür wurde ein 3D-Scan von der Betonkonstruktion gemacht, der die Oberfläche, so wie sie ausgeführt war, abgebildet hat. Der Vergleich mit dem theoretischen Modell ließ dann Schlüsse auf die notwendigen Veränderungen der Verbindungen zwischen Beton und Holzbögen zu. Das erforderte allerdings während des kompletten Aufbaus die ständige Überprüfung der Konstruktion ▪ durch einen Vermesser. Gab es unerwartete Probleme? Und wie konnten Sie diese lösen? Ja, die Maßtoleranzen des Rohbaus und der Fassade aus Glas- und Aluminiumplatten passten nicht zueinander. Deshalb musste auf der FA Z I T Gut getarnt sind die langen unverglasten Bänder in der Fassade. Sie dienen der Luftzirkulation XTU-JULIEN LANOO XTU_ JULIEN LANOO Revitalisierung mit Holz Das Hafenviertel „Port de la Lune“ wartet noch auf seine Wiederbelebung, doch mit dem Weinmuseum „Cité du Vin“ ist ein erster Schritt zur Revitalisierung und Umstrukturierung dieses Areals von Bacalan, einem Stadtteil von Bordeaux, gesetzt. Auch wenn Glas und Aluminium den ersten Eindruck dominieren, entgehen dem Betrachter schon aus der Ferne die ersten Boten der tragenden Holzkonstruktion nicht. Auch im Inneren des Gebäudes zeigt sich Holz von seiner besten Seite. 21