SEVIR-Bericht

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Erfolgreich partizipieren
Erfahrungen und Anregungen aus einem europäischen Projekt
zum politischen Engagement älterer Menschen
Handbuch für Seniorenorganisationen
und die Kommunalpolitik
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
5
1
Einführung
6
2
Ausgangspunkt - gemeinsame gesellschaftliche Tendenzen in Europa
8
2.1
Altersbilder und Altersmythen - verbreitete Vorstellungen in Europa
8
2.2
Ältere Menschen zwischen Partizipation und Ausgrenzung
9
2.3
Partizipation älterer Menschen: Bürgerschaftliches Engagement als wichtiger
Beitrag zur Demokratisierung
10
2.4
Partizipation älterer Menschen: Bürgerschaftliches Engagement als Anerkennung
ihrer Kompetenzen
12
2.5
Bürgerschaftliches Engagement älterer Menschen als Lebensqualität - ein
unschätzbarer Wert für die europäischen Staaten
14
3
Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessensvertretung für ihre
Altersgruppe
16
3.1
Grundwerte der Partizipation von Bürgern in der Politik
16
3.2
Grundlagen für das bürgerschaftliche Engagement von Senioren als
Interessenvertretung für ihre Altersgruppe
19
3.3
Der Status Quo - erhebliche Unterschiede in den europäischen Ländern
21
3.4
Begünstigende und hemmende Faktoren für das Engagement von älteren
Freiwilligen bei der Vertretung ihrer Altersgenossen im öffentlichen Leben
24
3.5
Erfolgsfaktoren der Förderung und der Unterstützung für das politische
bürgerschaftliche Engagement von Senioren
27
3.6
Bürgerschaftliche Partizipation von Senioren, Strategien, Maßnahmen, Unterstützung 28
3.7
Werkzeuge für die Praxis
30
4
Erfahrungen in den europäischen Ländern
34
4.1
Bulgarien: Schritte zur Implementierung der Anliegen von Senioren in das
politische System
34
4.2
Deutschland: Seniorenbeiräte und neue Formen der Partizipation von Bürgern an
der Politik
36
4.3
Italien: Beispiele von guter Erfahrung mit der Politik für Senioren auf lokaler Ebene 41
4.4
Polen: Möglichkeiten der Beteiligung von Senioren am politischen System
42
4.5
Großbritannien: Erfolge der Seniorenvertretungen und neue Herausforderungen
43
4.6
Schlussfolgerungen aus den länderspezifischen Erfahrungen
45
5
Hinweise und Anregungen für die Entwicklung der politischen Partizipation älterer
Menschen in Europa als Interessenvertretung für ihre Altersgruppe
47
6
Literatur
50
7
Adressen
52
Vorwort
5
Vorwort
Das SEVIR-Projekt war erfolgreich. Es stellte zum
richtigen Zeitpunkt wichtige Fragen und entwickelte
konkrete Perspektiven. In der Debatte um die
Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union angesichts
des demographischen Wandels richtet es den Fokus auf
das bürgerschaftliche Engagement älterer Menschen
und entwickelt Instrumente für deren Partizipation im
öffentlichen Leben.
Wir bedanken uns bei allen, die zum Gelingen des
Projekts beigetragen haben, bei allen Partnern, bei
allen Kursteilnehmern, die die Modellseminare besucht
haben, bei allen Verantwortlichen in der Politik, in der
öffentlichen Verwaltung, in den Medien und in NonProfit-Organisationen, die wichtige Informationen und
Impulse beigesteuert haben.
Besonders bedanken wir uns bei Sonia Barison,
Abteilungsleiterin für das Bildungswesen in der
Regionalverwaltung der Region Veneto, Italien,
Renate Reyer-Gellert, verantwortlich für die
Sozialplanung des Landkreises Bad Tölz, Deutschland,
Dr. Klaus Schulenburg, verantwortlich für die Bereiche
Sozialfragen, Sozial- und Jugendhilfe beim Bayerischen
Landkreistag und Prof. Dr. Vladimir Topenacharov,
Sekretär des Zentralrats der Sozialistischen Partei
Bulgarien für ihre Beiträge zu den Handbüchern.
Wir bedanken uns bei der Europäischen Kommission
für die finanzielle Unterstützung durch das
Programm Sokrates/Grundtvig 1 und für die fachliche
Begleitung.
Das SEVIR-Projekt war eine inspirierende
Lernerfahrung. Es zusammen mit sieben Partnern
aus sechs Ländern durchzuführen, freut uns. Es war
spannend, unterschiedliche Kulturen, Institutionen,
Erfahrungen und Visionen zu verbinden.
Im Namen aller Partner wünschen wir, dass die
Ergebnisse des Projekts SEVIR dazu beitragen,
die politische Partizipation älterer Menschen im
öffentlichen Leben zu verbessern.
Die Projektergebnisse liegen als zwei Handbücher vor.
Eines davon richtet sich an die Erwachsenenbildung,
das andere an die Kommunalpolitik und an
Seniorenorganisationen.
Bernhard Eder
Alois Nock
Koordinator SEVIR
Geschäftsführer
Herausgeber
kifas GmbH Waldmünchen
1 Einführung
6
1
1 Einführung
Als „Reich der Möglichkeiten“ stellt die Zeit nach
dem Berufsleben mit all seinen Chancen zu „später
Freiheit“ (nach den Worten des Wiener Gerontologen
Leopold Rosenmayr) einen Lebensabschnitt
dar, der sich hervorragend dafür eignet, eigene
Wünsche und Sehnsüchte zu verwirklichen, jenseits
der Einschränkungen und Verpflichtungen des
Berufslebens. Ein bürgerschaftliches Engagement, das
sich als Teilnahme älterer Menschen am öffentlichen
Leben versteht, ist ein guter Weg, um Lebenssinn für
sich selbst zu schöpfen.
Innerhalb der politischen Entscheidungsprozesse
werden die Interessen und die Bedürfnisse der
Senioren zu wenig beachtet. Diese Erfahrung wurde
in zahlreichen europäischen Ländern gemacht.
Angesichts der demographischen Entwicklung, die eine
prozentuale Zunahme der älteren Menschen an der
Gesamtbevölkerung prophezeit, ist dies überraschend.
Aber im Verhältnis zu anderen Bevölkerungsgruppen,
Lobbyorganen und einflussreichen Gruppierungen
genießen die Bedürfnisse der Senioren bei den
politischen Entscheidungsträgern keine hohe Priorität.
Es gibt aber in den europäischen Ländern ein
beachtliches Potenzial an älteren Menschen, die im
öffentlichen Leben die Interessen der Senioren zur
Sprache bringen. Sie engagieren sich in der „Arena
der Politik“, um dort ihre Altersgruppe zu vertreten.
Dieses gemeinwohlorientierte politische Engagement
findet in unterschiedlichen Formen statt, sei es in eher
formellen Seniorenvertretungen oder in informellen
Protesten. Für eine zukunftsfähige Demokratie ist ein
solcher Einsatz sehr wichtig, denn er trägt zu einem
lebendigen Miteinander in den Kommunen bei
Ein solches Engagement braucht aber, um erfolgreich
zu sein, günstige Rahmenbedingungen und
Entfaltungsspielräume. Diese werden im Handbuch
beschrieben.
Die Staaten in der Europäischen Union scheinen
mehr oder minder stabile demokratische Länder zu
sein. Doch der Schein trügt. Das Schlagwort von der
Politikverdrossenheit drückt sehr gut das Unbehagen
aus, das viele Bürger empfinden. Sie haben den
Eindruck nur sehr wenig Möglichkeiten zu haben, die
politischen Entscheidungsprozesse zu beeinflussen.
In dieser Situation gibt es Bestrebungen, die
Souveränität des Volkes als demokratisches Prinzip
zu stärken und die Rolle des Bürgers aufzuwerten.
Demnach sollte das repräsentative System um
Elemente der direkten Demokratie, um der
unmittelbaren politischen Einbeziehung von Bürgern,
etwa als Betroffene oder als Experten, ergänzt werden.
Das Engagement der Senioren, im öffentlichen Leben
Sprachrohr für die Anliegen der älteren Menschen zu
sein, ist Teil einer solchen Bewegung für mehr direkte
Demokratie und für eine größere Bereitschaft der
Bürger, Verantwortung zum Wohle der Allgemeinheit
zu übernehmen.
Die Zielgruppen und ihre Vorteile
In diesem Handbuch werden Erfahrungen und
Anregungen für unterschiedliche Zielgruppen
vorgestellt. Es richtet sich an Fachleute, die in der
Erwachsenenbildung tätig sind, an Senioren, die
sich für das bürgerschaftliche Engagement als
Interessensvertretung interessieren, an Verantwortliche
in Seniorenorganisationen, an Entscheidungsträger in
lokalen Behörden, in regionalen und nationalen
Ministerien und auch in politischen Parteien, die sich
mit der Seniorenpolitik befassen.
Erwachsenenbildner bekommen Hinweise über die
Bereiche, in denen die aktiven Senioren engagiert sind.
Diese Informationen helfen ihnen, Bildungsprogramme
für solche Zielgruppen zu organisieren, die darin tätig
sind, sei es für die aktiven älteren Menschen oder
1 Einführung
für Mitarbeiter in Lokalverwaltungen, die mit dem
bürgerschaftlichen Engagement von Senioren befasst
sind.
Ältere Menschen erhalten Anregungen über die
verschiedenen Möglichkeiten des politischen bürgerschaftlichen Engagements von Senioren.
Seniorenorganisationen bekommen Hilfestellungen,
wie sie die politische Partizipation von Senioren
verbessern können.
Entscheidungsträger in Politik und Verantwortliche in
lokalen Gemeinschaften erhalten Vorschläge, wie sie
7
das politische Engagement älterer Menschen besser in
die kommunalen Strukturen einbeziehen können.
Das Handbuch ist von männlicher Sprache dominiert.
Das entspricht weder dem Anliegen des Projekts
SEVIR, ältere Frauen wie Männer gleichermaßen
für ein politisches bürgerschaftliches Engagement
zu qualifizieren, noch der Realität dieses Einsatzes.
Denn die Erfahrungen in den europäischen Ländern
zeigen, dass Senioren und Seniorinnen in der
Interessensvertretung für die Belange der älteren
Menschen aktiv sind. Als Entschuldigung mag gelten,
dass es den Schreib- und Übersetzungsaufwand
kompliziert hätte.
1
8
2 Ausgangspunkt - gemeinsame gesellschaftliche Tendenzen in Europa
2 Ausgangspunkt – gemeinsame gesellschaftliche Tendenzen in Europa
2.1 Altersbilder und Altersmythen – verbreitete Vorstellungen in Europa von älteren Menschen
2
Die Diskussionen über den demographischen Wandel
und seine Folgen haben dazu geführt, dass Politiker
und Medien in den europäischen Ländern ihre
Aufmerksamkeit auf die Senioren in den europäischen
Ländern richten.
Die demographische Entwicklung in Europa wird in der
öffentlichen Meinung oft unter negativen Vorzeichen
diskutiert. Beklagt wird dabei eine Überalterung der
Gesellschaft, die die Finanzierbarkeit des Sozialstaates
bedrohen, ja sprengen würde. Ohne die gravierenden
Herausforderungen zu vernachlässigen oder gar
leugnen zu wollen, sollen die positiven Elemente der
demografischen Entwicklung betont werden. Noch nie
zuvor in der Geschichte hatten Angehörige der älteren
Generationen die Chance, in einer derart hohen Zahl
so lange mit einer derart guten gesundheitlichen und
sozialen Versorgung zu leben.
Die öffentliche Meinung wird der tatsächlichen
Lebenssituation der älteren Menschen nicht gerecht:
auf der einen Seite werden sie als unproduktiv
und überflüssig für die wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Entwicklung betrachtet. Auf der anderen
Seite ist es ihr Privileg, frei zu sein von vielen
gesellschaftlichen Verpflichtungen. Auf der einen Seite
werden ihre Kompetenzen gering geschätzt, da diese
als nicht wertvoll für den Arbeitsmarkt gelten. Auf der
anderen Seite verfügen ältere Menschen über viele
Erfahrungen und Fertigkeiten, die die Gesellschaft
nutzen will. Auf der einen Seite haben die Senioren in
der öffentlichen Meinung und in den Augen mancher
Jüngerer das Image, unbeweglich, unflexibel, schwach
und kaum belastbar zu sein. Auf der anderen Seite sind
viele ältere Menschen agil, aktiv und leistungsfähig,
und dies bis ins hohe Alter.
Zusammen mit der Diskussion um den demografischen
Wandel haben sich die Bilder vom Altern geändert.
„Erfolgreiches Altern“, „produktives Altern“, „aktives
Altern“ „kompetentes Altern“ – das sind die
Leitbegriffe, die sich in den letzten Jahrzehnten in
Europa zunehmend in Wissenschaft und Politik etabliert
haben. Sie haben dazu beigetragen, die Vorstellungen
vom Alter als einem biologischen Abbauprozess zu
modifizieren und die Chancen und „späten Freiheiten“
der nachberuflichen und nachfamiliären Lebensphase
ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu lenken. Senioren
werden dargestellt als aktive, kompetente, gebildete,
streitbare Mittsechziger, die gesund, attraktiv, fröhlich
und nicht zuletzt wohlhabend sind. Die „jungen Alten“
werden dabei als Ausweg aus der gesellschaftlichen
Krise durch den demografischen Wandel angeführt.
Das hohe Erfahrungspotenzial älterer Menschen soll in
der langen nachberuflichen Phase für die Gesellschaft
nützlich sein. Dieses Umdenken im Altersbild zeigt sich
in seniorenpolitischen Programmen. Ältere Menschen
werden nicht mehr nur als eine finanzielle Belastung
des Renten- und Gesundheitssystems, sondern als
eine neu zu entdeckende gesellschaftliche Ressource
verstanden, die als unbezahlte, freiwillige Tätigkeit
der Senioren genutzt wird.
Allerdings laufen diese positiven Bilder vom Alter
Gefahr, die Gebrechlichkeit und Beschwerden, die
das Alter begleiten können, zu übersehen. Es werden
Erwartungen geweckt, dass alte Leute fit und aktiv
sein müssen. Sie sollten keine Fürsorge brauchen
und sollten der Gesellschaft nicht zur Last fallen.
„Auch positiv überzeichnete Bilder von Alter können
dazu beitragen, dass vorhandene Potenziale nicht für
andere Menschen genutzt werden; dies vor allem dann,
wenn aus bestehenden Möglichkeiten Verpflichtungen
abgeleitet werden und sich ältere Menschen überfordert
oder ausgenutzt fühlen.“ (Deutscher Bundestag 2006,
S. 50 - Die Literaturangaben hier und im übrigen Text
verweisen auf das Literaturverzeichnis Kapitel 6)
Ein vollständiges und stimmiges Image der Senioren
würdigt deren Ressourcen und Potenziale und
verschließt gleichzeitig nicht die Augen vor deren
möglichen altersbedingten Einschränkungen.
2 Ausgangspunkt - gemeinsame gesellschaftliche Tendenzen in Europa
9
2.2 Ältere Menschen zwischen Partizipation und Ausgrenzung
Nach dem Grünbuch der EU-Kommission „Im
Angesicht des demographischen Wandels – eine
neue Generationensolidarität“ (Brüssel 2005) werden
– wenn sich der augenblickliche Trend fortsetzt – die
älteren Menschen in der Europäischen Union in Zukunft
gesünder, aktiver und ökonomisch besser gestellt
sein (S. 10). Jedoch sind die Lebenssituationen der
Senioren in Europa unterschiedlich, sowohl innerhalb
wie auch zwischen den europäischen Staaten. Die
alten Menschen sind keine homogene Gruppe. Es gibt
unter ihnen reiche und arme, gesunde und todkranke,
hoch engagierte und völlig vereinsamte. Sie
unterscheiden sich ihren Lebenslagen, Lebensstilen,
Lebensorientierungen, in ihren Kompetenzen und
Bedürfnissen, in ihren Möglichkeiten und Zwängen.
Zum Pluralismus der älteren Generation in Europa
tragen auch die Senioren mit Migrationshintergrund
bei, da in vielen Staaten der Europäischen Union
in den letzten Jahren und Jahrzehnten Migranten
eingewandert sind, die nun ins Rentenalter kommen.
Wegen ihrer verschiedenartigen Lebensumstände
haben die älteren Menschen nicht per se eine
gemeinsame Interessenslage. Unter ihnen finden sich
„mehrere Formen von
Bewusstsein,
die nicht so sehr vom Alter abhängen, sondern von
Faktoren wie sozioökonomischer Status, Rasse,
Geschlecht, Religion und Wohnort“ (Walker/Naegele
1999, S. 20).
„Die Lebenschancen sind in den heutigen Gesellschaften
nicht gleich verteilt. Wirksamer und gleicher Zugang
zum Arbeitsmarkt, zu lebenslangem Lernen, sozialen
Dienstleistungen und Gesundheitsfürsorge ist innerhalb
der Europäischen Union deutlich verschieden, wobei
ein beachtlicher Teil der EU-Bevölkerung unter Armut
und Ausgrenzung leidet und große Schwierigkeiten,
hat sich einen passablen Lebensunterhalt zu sichern.“
(Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2007,
S. 8). Das gilt auch für die ältere Generation, denn
Altersarmut ist in mehreren europäischen Ländern ein
ernstes Problem. Eine Untersuchung des Europäischen
Zentrums für Sozialpolitik und Forschung, Wien, hat
jüngst gezeigt, dass eine recht bedeutende Zahl von
älteren Menschen von Armut bedroht ist – „bis zu eine
von sechs älteren Personen in privaten Haushalten“
(Europäisches Zentrum 2006, S. 45) in den EUStaaten.
Soziale Ausgrenzung ist nicht nur eine Frage von
Einkommen und Besitz. „Man nimmt an, dass soziale
Risikofaktoren wie Unselbständigkeit im Alter und
soziale Isolation noch zunehmen. Heutzutage leben
28% der Bevölkerung über 70 momentan allein“
(Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2007,
S. 4). Die Vereinzelung älterer Menschen führt leicht
zu Folgeproblemen, wie Einsamkeit, Alkoholismus,
seelischen Erkrankungen, Selbsttötung. Ältere
Menschen sind in höherem Maße davon betroffen als
Menschen im mittleren Alter.
Der Kampf um das tägliche Überleben ist typisch für die
Lebenssituation und Lebenseinstellung vieler Senioren
in den neuen EU-Staaten Mittel- und Osteuropas.
Unter solchen Lebensbedingungen bleibt wenig Raum
für bürgerschaftliches Engagement.
In Deutschland ist die Armut unter alten Menschen
von 1973 bis 1998 gesunken und entspricht nun
zahlenmäßig genau der Gesamtbevölkerung. Laut
dem 3. Nationalen Bericht zu Armut und Reichtum
in Deutschland (veröffentlicht im Juni 2008) ist der
Prozentsatz von in Armut geratenen Senioren nicht
gestiegen. Trotzdem ist zu vermuten, dass sich die
wachsende Kluft zwischen Gutsituierten und von Armut
Bedrohten und Betroffenen auch bei älteren Menschen
zunimmt.
Soziale Diskriminierung im Alter geschieht nicht
nur durch ökonomische Ausgrenzungen, sondern
auch dort, wo Strukturen fehlen, die es älteren
Menschen ermöglichen, ihr eigenes Lebensumfeld
aktiv zu gestalten. Senioren wollen mehr sein als zu
2
2 Ausgangspunkt - gemeinsame gesellschaftliche Tendenzen in Europa
10
2
versorgende entmündigte Empfänger von Leistungen
der Altenhilfe. Sie lassen sich nicht gerne als
schwache und passive Individuen oder als egoistische
Freizeitkonsumenten charakterisieren. Es ist an der
Zeit, hier einen Paradigmenwechsel durchzuführen.
Ältere Menschen wollen nicht nur Betroffene, sondern
auch Beteiligte, nicht nur Objekte, sondern auch
Subjekte der Altenpolitik und ihrer Strukturen und
Prozesse sein. Altenpolitik sollte deshalb nicht nur für,
sondern vor allem mit Senioren geplant werden. Denn
diese wollen Verantwortung übernehmen und tun dies
in den europäischen Staaten bereits auf vielfältige
Weise.
Es gibt viele Senioren die sich als aktive Bürger
engagieren wollen und dies in unterschiedlichster
Weise tun. Unter diesen Freiwilligen gibt es einige,
die die wichtige und schwierige Aufgabe übernehmen,
sich im öffentlichen Leben für die Interessen ihrer
Altersgruppe einzutreten, die für mehr politische und
soziale Mitbestimmung der Senioren kämpfen. Sie
tun dies in vielerlei Formen, in klassischen Strukturen,
wie Parteien und Verbänden, aber auch in neuen, teils
auch informellen Formen der Partizipation. Zu den
im europäischen Kontext noch nicht flächendeckend
etablierten Strukturen gehören beispielsweise
Seniorenbeiräte oder Runde Tische. Möglicherweise
geht der Trend hin zu den eher informelleren Partizipationsmöglichkeiten. „Man misst den traditionellen
Formen der politischen Mitwirkung weniger und
weniger Gewicht bei und das Vertrauen zu öffentlichen
Institutionen ist oft gering. Jedoch wird nach neuen,
flexibleren Formen der Bürgerbeteiligung gesucht und
ein Verlangen nach Zukunftsgestaltung wird spürbar.“
(Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2007,
S. 4).
Ob in „klassischen“ oder in neuen Strukturen, die
Partizipation älterer Menschen wird künftig eine
wichtige Rolle in der Alten- und Lokalpolitik spielen.
Das Projekt SEVIR bietet dazu Anregungen und
Impulse.
2.3 Politische Partizipation älterer Menschen – als wichtiger Beitrag zur Demokratisierung
„Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen.“
(Max Frisch)
Das bürgerschaftliche Engagement verweist auf eine
lange europäische Tradition, von der griechischen Polis
über die römische Republik und den Stadtrepubliken
des späten Mittelalters hin zu den aktuellen Debatten
um Active Citizenship.
Der altgriechische Philosoph Aristoteles beschreibt
den Menschen als zoon politikon, als ein politisch
denkendes und handelndes Wesen.
Nach dem Philosophen Immanuel Kant sind Autonomie
und Selbstbestimmung Grundlagen der menschlichen
Würde.
Nach der Publizistin Hannah Arendt gilt es, das Alter
ins Zentrum der Gesellschaft zu rücken und nicht an
dessen Rand zu drängen (Arendt 1960).
In dieser geistesgeschichtlichen Tradition steht die
Europäische Union heute. „Die Europäische Union
ist nicht nur ein Wirtschaftsgebiet, sondern auch ein
politisches, soziales und kulturelles Projekt, das uns
von anderen Weltgegenden unterscheidet.“ (Frey 2007,
S. 11). Mitbestimmung in Form von bürgerschaftlicher
Partizipation ist ein wesentlicher europäischer Wert
mit einer langen historischen Tradition. Ein hohes Maß
an politischer Bürgerbeteiligung ist ein Gradmesser für
die demokratische Kultur von Staaten. Dazu gehört,
dass die politische Partizipation der Bürger über ihre
bloße Wahlbeteiligung hinausgeht.
2 Ausgangspunkt - gemeinsame gesellschaftliche Tendenzen in Europa
In diesem Sinne geht das Projekt SEVIR geht von einem
umfassenden Begriff von Politik und Demokratie aus.
So umschließt die Idee von Politik alle Antworten auf
die Frage, wie das gesellschaftliche Zusammenleben
der Menschen zu organisieren ist. Demokratie ist
mehr als die bloß institutionelle Organisation von
Staatsgewalt. In der Tradition von John Deweys
Pädagogischer Philosophie verstehen wir unter
Demokratie nicht nur eine „Regierungsmaschine“
sondern die „gesellschaftliche Zusammenarbeit“, die
bestimmten Regeln und Normen folgt. Dewey war
überzeugt, dass eine solche Demokratie in der Lage
ist, das Potential an Initiative, Kreativität und Protest
gegen Ungerechtigkeit freizusetzen, was für eine gute
gesellschaftliche Entwicklung nötig ist. (Himmelmann
2005, S. 43)
Der demokratische Entscheidungsprozess ist
grundsätzlich und sinnvollerweise repräsentativer
Natur; er wird von gewählten Volksvertretern ausgeübt.
Allerdings sollte er sollte jedoch durch das Element der
direkten Bürgerbeteiligung ergänzt werden. Daher
sollten die bestehenden Formen von SeniorenBeteiligung weiter entwickelt und neue Formen
geschaffen werden. Zu diesen Beteiligungsstrukturen
gehören:
Bürgergruppen,
Beratungsgremien,
Vereine, Runde Tische, Planungszellen sowie
Abstimmungskonferenzen und Bürgerausschüsse. In
Ländern wo es diese Formen von Engagement nicht
gibt, ist es wohl nützlich und wichtig, beispielhafte
Modellprojekte zu lancieren, die bürgerschaftliches
Engagement und die damit verbundene Anerkennung
und Freude für Senioren erstrebenswert machen. Das
„Glück des Öffentlichen“ (Hannah Arendt), der Spaß
daran, aktiv zu sein und „sich einzumischen“, ist zu
stärken.
Nach den Erfahrungen in den neuen EU-Mitgliedsstaaten in Mittel- und Osteuropa braucht Demokratie
als Herrschaftsform eine zivilgesellschaftliche
Fundierung, damit sich das demokratische Potenzial,
in Form eines an bestimmte Normen und Werte, wie
Gleichheit, Freiheit, Fairness, Toleranz gebundenes
11
Miteinander entfalten kann.
Das Gleiche gilt aber auch für andere europäische
Länder, z.B. Italien. Politische Gremien sind noch
nicht bereit, bürgerschaftliches Engagement bei
älteren Menschen zu fördern. Eine Bürgergesellschaft
schließt bürgerliches Engagement jenseits von Staat
und Markt ein. Sie versteht sich als öffentlicher Raum,
wo sich selbst organisierende Gruppen, Bewegungen
und Individuen in relativer Unabhängigkeit vom Staat
es versuchen, Werte zu formulieren, Verbände zu
gründen, Solidarität zu schaffen und ihre Interessen
voranzubringen.“ (Linz/Stephan 1996, S. 7)
Das bürgerschaftliche Engagement wird durch
folgende Kriterien definiert: Es ist „freiwillig, nicht auf
materiellen Gewinn orientiert, gemeinwohlorientiert,
öffentlich bzw. findet im öffentlichen Raum statt
und wird in der Regel gemeinschaftlich/kooperativ
ausgeübt“ (Deutscher Bundestag 2002, S. 38).
Dieses Projekt steht im Zusammenhang mit der
wissenschaftlichen Debatte über eine Politik der
Deliberation, der Beratung. „Die Perspektive
deliberativer (beratender) Politik liegt in einer
Demokratisierung der Gesellschaft, das heißt
einer Zurücknahme des Politischen in die in die
gesellschaftliche und politische Verantwortung real
handelnder Menschen. Demokratie wird hierbei
als unabschließbarer Prozess verstanden, für den
gemeinsame Beratung und politische Beteiligung
kennzeichnend ist.“ (Lösch 2005, S. 14) Dahinter steht
die Vorstellung, dass die Gremien und Strukturen des
Politischen, sei es ein Stadtrat einer Kommune oder
der Deutsche Bundestag in einem offenen Dialog
mit den Bürgern tritt. „Gemeinsame Beratung“ und
„politische Beteiligung“ sind wesentliche Elemente des
Engagements von Senioren im öffentlichen Leben als
Interessensvertretung ihrer Altersgruppe.
In solch einem beratenden Prozess können ältere
Menschen sich beteiligen, einerseits als Experten, aber
auch als Betroffene oder als Vertreter von Betroffenen,
besonders ihrer Altersgruppe.
2
12
2 Ausgangspunkt - gemeinsame gesellschaftliche Tendenzen in Europa
Ein solches Engagement von Bürgern im Bereich
des Politischen verändert die Rollen der beteiligten
Personen und Institutionen:
Die Bürger mutieren von altruistischen Helfern zu
2
autonomen und engagierten Bürgern.
Die Politik und die öffentliche Verwaltung wandeln sich
von der Vorstellung einer bürokratischen Instanz hin
zu Institutionen, die Partizipation fördern.
2.4 Bürgerschaftliches Engagement älterer Menschen als Anerkennung
ihrer Kompetenzen
SEVIR: Damit Wissen und Erfahrung nicht in Rente gehen
Ältere Menschen sind Wissensträger, die imstande
sind, ihre kreativen Potenziale freizusetzen, wenn
entsprechende Rahmenbedingungen zur Verfügung
gestellt werden! Diese Erkenntnis gelangt zunehmend
ins Bewusstsein nicht nur von Personalverantwortlichen
in Unternehmen, sondern auch die öffentlich und
politisch Verantwortlichen sehen hier eine bedeutende
Ressource, auf die nicht verzichtet werden kann.
Gerade im Blick auf die Weiterentwicklung der
Bürgergesellschaft – vor allem auf dem Hintergrund
des demografischen Wandels – wird die Beteiligung
von Senioren an öffentlichen Prozessen gerade
zwingend notwendig.
Bürgerschaftliches Engagement hat mit Vertrauen,
mit Zeit und Gelegenheit zum Austausch und mit
gemeinsam verfolgten Zielen zu tun. Kreativität, Mut
zum Experimentieren, Erfindungsgabe, Motivation
und Innovation brauchen Sicherheit, brauchen
Akzeptanz. Eine zielgerichtete Bildung für das
Engagement kann und wird Menschen befähigen,
die dazu erforderlichen Ressourcen bewusst bereit
zu stellen und einzusetzen. Engagement-bezogene
Fortbildung soll und wird gerade ältere Menschen
unterstützen, die für ihr Engagement notwendigen
Rahmenbedingungen einzufordern und sie erfolgreich
zu nutzen. Voraussetzung dafür ist, dass die lebenslang
erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, das im Beruf
und in allen anderen Lebensbereichen angeeignete
Wissen und Können wertgeschätzt und ins Engagement
mit einbezogen werden. Für den Zukunftsforscher
Matthias Horx bedeutet dies Wertschätzung und Respekt
für Geleistetes und Würdigung der Personen samt der
mit ihr verbundenen Kompetenzen, Interessen und
Motive. Für bürgerschaftliches Engagement resultiert
aus dieser Anerkennung ein hoher Nutzen: Motivierte
an Beteiligung interessierte Menschen bringen ihr
umfassendes Potenzial an Erfahrungswissen in ihr
Engagement ein.
Erfahrungswissen vereinigt in sich das Ergebnis
unterschiedlicher Lernprozesse:
Formelles Lernen in öffentlich organisierten
und reglementierten Institutionen wie Schule,
Berufsausbildung, Hochschule usw.; die
dabei erworbenen Zeugnisse und Zertifikate
dokumentieren lebenslang die dabei erzielten
Erfolge (aber auch Misserfolge).
Informelles Lernen aus allen durchlebten Lernorten wie Familie, Schule, Arbeitsplatz, soziales
Umfeld und soziales Engagement. Auch wenn die
institutionellen Formen des Lernens noch immer
als eigentliche Bildung gesehen werden, sind es
doch die informellen Lernprozesse, die uns in die
Lage versetzen, das alltägliche Leben mit seinen
ständig wechselnden Anforderungen erfolgreich zu
bewältigen. Die Faure-Kommission der UNESCO
2 Ausgangspunkt - gemeinsame gesellschaftliche Tendenzen in Europa
geht sogar davon aus, dass diese informellen
Lernprozesse rund 70% aller menschlichen
Lernaktivitäten umfassen. Daraus resultieren
Kompetenzen als jeweils spezifische, eng mit der
Person verknüpfte Komplexe von Kenntnissen,
Fertigkeiten, Strategien und Einstellungen. In
einer sich ständig wandelnden Welt sind sie die
Voraussetzung, den wirtschaftlichen und sozialen
Wandel aktiv mit zu gestalten. Dies gilt nicht nur
für die Bewältigung der Anforderungen unserer
modernen zunehmend entgrenzten Arbeitswelt,
dies gilt darüber hinaus für alle anderen
Lebensbereiche.
Menschen am Übergang von Erwerbsarbeit in die
erwerbsfreie Zeit des dritten Lebensalters mit Rentenbzw. Pensionsbezug haben im Verlauf ihres Lebens
immer wieder neue Anforderungen bewältigt, dabei
Erfahrungen gewonnen und vielfältige Kompetenzen
erworben. Allerdings sind - und das ist das Besondere
von informellen Lernprozessen – diese Kompetenzen
oft nicht bewusst, können nicht so einfach benannt
werden. Informell erworbene Kompetenzen sind –
anders als formale Qualifikationen – das Ergebnis von
individuellen Lernprozessen und daher nicht messoder prüfbar und ergo auch nicht mit Zertifikaten
zu belegen. Um sie sichtbar und damit nutzbar zu
machen, müssen sie über den Weg der Reflexion
bewusst gemacht werden, nur so ist der Transfer von
Erfahrungswissen aus einem Lernort in einen anderen
möglich: Jemand, der sich in einem Sportverein
engagiert, ist herausgefordert, soziale Kompetenzen
im Umgang mit den anderen Mitgliedern im Verein zu
entwickeln. Dies gilt ebenso für die Zusammenarbeit
am Arbeitsplatz oder das Zusammenleben in der
Familie. Die in diesen Lernorten durch learning
by doing entwickelten Kompetenzen können erst
dann aktiv, zielgerichtet und erfolgreich in den
verschiedenen Handlungsfeldern eingesetzt werden,
wenn sie der Person bewusst sind. Dafür braucht es
Anregungen und geeignete Methoden. Die von der
kifas GmbH entwickelte „Kompetenzbilanz“ hilft dabei,
die in verschiedenen Lernorten erworbenen fachlichen,
methodischen, personalen und sozialen Kompetenzen
zu erfassen und zu bewerten. Dieser permanent
notwendige Prozess von Reflexion und Aktion durch
Bildung im Sinne von Kompetenzentwicklung (bzw.
Weiterentwicklung) ist Grundlage und Voraussetzung
von Lebenslangem Lernen.
Die Europäische Union weist der Anerkennung
und Nutzung von informellen Kompetenzen eine
große Bedeutung zu: So spiegelt die Vereinbarung
von Kopenhagen die zunehmende politische
Aufmerksamkeit wider, die dem Lernen außerhalb
der formalen Bildungs- und Berufsbildungseinrich
tungen zukommt. In den letzten Jahren wurde auf
einzelstaatlicher und europäischer Ebene eine Reihe
von Initiativen zur Entwicklung neuer Konzepte für die
Validierung nicht formalen und informellen Lernens
ins Leben gerufen. In der Mitteilung über lebenslanges
Lernen (2001) wird der „Bewertung des Lernens“ eine
zentrale Bedeutung beigemessen und es wird die
Notwendigkeit des Erfahrungsaustausches in Europa
unterstrichen.
Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen die
Vielfalt und Qualität des Kompetenzerwerbs, der als
individuelle und gesellschaftliche Ressource auch nach
der Erwerbstätigkeit zur Verfügung steht. Damit dieses
Wissen und Können genutzt wird bzw. genutzt werden
kann, brauchen Menschen Angebote und Möglichkeiten.
Eine zentrale Rolle kommt hier der Bildungsarbeit zu:
Ihre Aufgabe ist es, die vorhandenen „KompetenzSchätze“ zu heben, die vorhandenen Stärken weiter
zu entwickeln und sie entsprechend dem gewählten
Handlungsfeld zu ergänzen. Die so praktizierte
Anerkennung von Erfahrungswissen ist sowohl
Voraussetzung für einen gelingenden Bildungsprozess
wie auch für ein erfolgreiches Engagement.
Partizipation erfordert Kompetenz für Beteiligung,
dieses Engagement gelingt dann, wenn es möglich
ist, die Kompetenzpotenziale zu erschließen, die,
– so bestätigen es wissenschaftliche Untersuchungen,
– lebenslang gefordert und trainiert, auch im Alter zur
Verfügung stehen:
13
2
14
2
2 Ausgangspunkt - gemeinsame gesellschaftliche Tendenzen in Europa
Hohe Eigenverantwortung, Selbständigkeit,
Bereitschaft, sich auf neue Wege einzulassen,
Flexibilität, Innovation, Kreativität, psychische
Belastbarkeit, Durchhaltevermögen, Lernfähigkeit, Beständigkeit.
Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein,
Kritikfähigkeit, Kooperationsfähigkeit.
Beratungskompetenz, Planungs- und Organisationsvermögen,
Präsentationsund
Verhandlungsfähigkeit, Handlungskompetenz,
Problemlösungskompetenz.
Bezogen auf das Projekt SEVIR lässt sich demnach
feststellen: Eine kompetenz-basierte Bildung schafft
nicht nur die Voraussetzung für Partizipation, sie ist in
den meisten Fällen der erste Schritt zur Partizipation.
2.5 Bürgerschaftliches Engagement älterer Menschen als Lebensqualität
– ein unschätzbarer Wert für die europäischen Staaten
Das Ausscheiden der Menschen aus dem Berufsleben
wird gängig mit dem Begriff „Ruhestand“ benannt.
„Ruhestand“ wird dabei häufig mit Stillstand,
Untätigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit
während des gesamten verbleibenden Lebens
assoziiert.
Dies muss jedoch nicht so sein. Zwar ist es erwiesen,
dass gewisse geistige Funktionen, welche mit
der Verminderung der Genauigkeit und der
Geschwindigkeit der Wahrnehmung zusammenhängen,
mit zunehmendem Alter langsamer funktionieren.
Jedoch können die tatsächlichen Funktionen der
Informationsverarbeitung bis ins hohe Alter gut
erhalten sein.
Erkenntnisse der Gerontologie und der Hirnforschung
bestätigen, dass persönliche Entwicklung und Lernen
einen lebenslangen Prozess darstellen. Aufgrund
der verbesserten gesundheitlichen Situation im Alter
und durch geeignete Förderung und Stimulierung
ihrer Lernpotentiale können viele ältere Menschen
bis ins hohe Alter ohne größere gesundheitliche und
psychische Beeinträchtigungen ihren persönlichen
Interessen nachgehen und sich neuen Aufgaben
und Anforderungen stellen. Nach aktuellen
wissenschaftlichen Studien sind aktive Menschen,
welche etwas leisten können und von anderen
„gebraucht“ werden, glücklich und zufrieden. Agile
Menschen, die auch nach dem Austritt aus dem
Beruf neue Aufgaben und Herausforderungen
suchen, erleiden im Alter keine wesentlichen
Beeinträchtigungen ihrer kognitiven Fähigkeiten.
Ebenso wie sie sich körperlich fit halten, sind sie geistig
aktiv in ihren letzten Lebensjahren. Hier bewahrheitet
sich das Sprichwort: „wer rastet, der rostet.“ Das heißt,
wer nicht rege ist und vernachlässigt, Körper und Geist
zu trainieren, verkümmert.
Menschen, welche erfolgreich altern, zeichnen sind
nicht nur dadurch aus, dass sie Aktivitäten solange
wie möglich beibehalten; sie finden auch Ersatz für
Freunde und geliebte Menschen, welche sie durch Tod
verlieren.
Das aktive Mitwirken älterer Personen am öffentlichen
Leben ist auch für die Senioren selbst von großem
Nutzen. Dass das bürgerschaftliche Engagement
einem selbst nützt, dass es lebensbereichernd und
gesundheitsfördernd ist, mag manchen überraschen,
ist dieser Einsatz doch mit Aufwand, Anstrengungen,
Mühsal und auch mit Enttäuschungen verbunden.
Die Einbindung in das öffentliche Leben ermöglicht die
soziale Einbindung in als sinnvoll erfahrene Aktivitäten
und fördert so Wohlbefinden und Gesundheit.
Für Senioren spielt die soziale Anerkennung bei
2 Ausgangspunkt - gemeinsame gesellschaftliche Tendenzen in Europa
ehrenamtlichen Tätigkeiten und besonders bei der
politischen Partizipation als Interessensvertretung eine
zentrale Rolle.
Viele der derartigen Tätigkeiten basieren auf Fachoder Erfahrungswissen sowie auf früher erworbenen
Kompetenzen. Bei diesen Aktivitäten wird außerdem
deren soziale Anerkennung in positiver Weise an das
Alter gebunden, und dies ist für den auch im Alter
fortlaufenden Prozess der Identitätsbildung wichtig.
Freiwillige Arbeit im Dienste der Öffentlichkeit
ermöglicht es, Interessen und Leidenschaften mit
anderen Menschen zu teilen. Dadurch wird die
Verbundenheit mit der Gesellschaft gestärkt, man
lernt Leute verschiedenen Alters kennen und nimmt an
sinnvollen Aktivitäten teil.
Der positive Zusammenhang zwischen dem freiwilligen
Einsatz von Senioren und deren Gesundheitszustand
wird auf europäischer Ebene zunehmend gesehen und
gewürdigt.
„Strategien zu entwickeln, um zu einem gesünderen
Leben zu ermutigen und dadurch künftigen
Gesundheitsproblemen präventiv vorzubeugen, wird
eine wichtige Aufgabe werden im Kontext einer
alternden Bevölkerung“ (Europäische Kommission
2006, S. 21). Die Förderung des bürgerschaftlichen
Engagements älterer Menschen ist somit ein wichtiger
Baustein für ein Gesundheitspräventivprogramm für
die älteren Generationen in Europa.
Das aktive Mitwirken von Senioren im öffentlichen
Leben ist deshalb für die Gesellschaft von großem
Nutzen. Die Ausgliederung und Diskriminierung
älterer Menschen aus dem öffentlichen Leben erscheint
angesichts der demographischen Entwicklung darüber
hinaus als volkswirtschaftliche Verschwendung von
Fachwissen und Kompetenzen.
15
2
16
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung für ihre Altersgruppe
3.1 Grundwerte der Partizipation von Bürgern in der Politik
3
„Der Seniorenbeirat ist nicht erst seit der Zeit des demografischen Wandels ein
wichtiges Bindeglied zwischen der Verwaltung, der Politik und den älteren Menschen.
Längst werden hier im Ehrenamt sehr wichtige gesellschaftspolitische Aufgaben
übernommen von Menschen, die sehr vielfältige Qualifikationen und Kompetenzen
aus ihrer Lebens- und Berufserfahrung mitbringen. In der Vergangenheit war es schön,
dass es sie gab, in der Zukunft ist der Seniorenbeirat eine unverzichtbare Einrichtung
für alle Kommunen!“
(Marlies Sieburg, Bürgermeisterin von Kerpen, Deutschland)
Der folgende Beitrag von Sonia Barison,
Abteilungsleiterin des Bildungssektors der
Regionalverwaltung von Veneto, einer Region Italiens,
erklärt, ausgehend von der Situation in Italien,
wichtige europäische Werte, wie sie in der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union und im Vertrag
von Amsterdam festgeschrieben wurden: Subsidiarität,
Gleichheit und Solidarität. Sie werden mit Blick auf die
Konsequenzen für die Teilhabe der älteren Bürger am
politischen Prozess erläutert.
3.1.1 Subsidiarität als konstitutionelle Grundlage für bürgerschaftliches Engagement
In Italien hat eine Verfassungsänderung aus
dem Jahre 2001 die Beziehungen zwischen den
staatlichen Institutionen und den Bürgern radikal
reformiert. Individuen dürfen im öffentlichen Interesse
„unabhängig“, auf eigene Verantwortung handeln,
ohne auf die Genehmigung der Regierung zu warten.
Zum ersten Mal erkennt die Verfassung an, dass
öffentliche Verwaltungen nicht länger das Monopol
zum Schutz von öffentlichem Interesse haben.
Andererseits können öffentliche Verwaltungen nicht
einfach passive Beobachter bleiben oder die Bürger
behindern, wenn diese anfangen aktiv zu werden,
sondern sie müssen sie unterstützen.
Somit wurde anerkannt, dass Menschen Bedürfnisse
haben und Fähigkeiten, mit deren Hilfe sie nicht
nur die Probleme anderer lösen, sondern die sie
auch innerhalb der Kommune zur Verfügung stellen
können um kollektive Bedürfnisse zu befriedigen, in
Zusammenarbeit mit der Regierung. Das revolutionäre
Prinzip der horizontalen Subsidiarität (Artikel 118,
letzter Absatz) ist in die Verfassung eingeführt
worden: „Der Staat, die Regionen, die Metropolen, die
Provinzen und die Gemeinden fördern die autonome
Initiative von Bürgern und einzelnen Mitgliedern, um
Arbeiten von allgemeinem Interesse auszuführen,
gegründet auf dem Prinzip der Subsidiarität“. Dieses
Prinzip wurde von manchen als Privatisierung oder
eine Auslagerung von Dienstleistungen interpretiert.
Nichtsdestotrotz muss es in unser Denken eingehen,
dass die Verfassung die Rolle der Institutionen bei
der Garantie ziviler und sozialer Rechte anerkennt, da
die Institutionen in unserem System die Bedingungen
schaffen müssen, dass jeder Mensch sich selbst, seine
Wünsche und seine Fähigkeiten verwirklichen kann.
Damit die Institutionen funktionieren, sowohl „für“
die Bürger, als auch „mit“ den Bürgern, könnte die
Subsidiarität die verfassungsmäßige Grundlage für
ein Gesellschaftsmodell sein, das gekennzeichnet ist
durch eine wichtige und weit verbreitete Präsenz von
unabhängigen, verantwortlichen und miteinander
verbundenen Bürgern, mit anderen Worten von
aktiven Bürgern, unabhängig von Alter, kultureller
oder sozialer Herkunft.
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
17
3.1.2 Gleichheit, Unabhängigkeit und Verantwortung als zentrale Grundwerte
Das Prinzip der Subsidiarität fußt auf drei anderen
Prinzipien: der Gleichheit, der Unabhängigkeit und
der Verantwortung.
Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich, nach dem
Prinzip der formalen Gleichheit. Alle Bürger sollen,
jenseits aller vorhandenen Unterschiede, dieselben
Chancen zur Selbstverwirklichung haben.
Sobald die Gleichheit vor dem Gesetz und die
Chancengleichheit sichergestellt sind, die es jedem
Bürger gestatten, sich selbst zu verwirklichen, müssen
die verschiedenen Lebenssituationen, in denen
sich jeder Bürger finden kann, die Unterschiede in
Geschlecht oder Rasse, wie auch die unterschiedlichen
Fähigkeiten, als eine mögliche Ressource für die
Entwicklung unserer Gesellschaft und als eine
Bereicherung der staatlichen Gemeinschaft betrachtet
werden.
Unabhängigkeit kann als eine Verteidigung bzw.
Ablehnung von Kommunen und der sie vertretenden
Institutionen gegenüber der staatlichen Zentralgewalt
gesehen werden, aber man kann sie auch als
Organisationsprinzip verstehen, wie die Beziehung
zwischen allen öffentlichen Behörden und zwischen
ihnen und der Gesellschaft sinnvoll gestaltet werden
soll. Diese zweite Auffassung von Unabhängigkeit
bevorzugt das Ineinanderwirken von Beziehungen
in der Gesellschaft zwischen Repräsentanten
unterschiedlicher Interessen „auf der selben
Augenhöhe“.
Das Subsidiaritätsprinzip soll vor allem auf lokaler
Ebene umgesetzt werden: die Bürger können als
Individuen und als Gruppen unabhängige Initiativen
starten, aber niemand kann vorhersehen, wie
jede dieser unterschiedlichen Initiativen durch die
entsprechenden Gemeindeverwaltungen „bevorzugt“
wird, und wie die verschiedenen Erfahrungen von
geteilter Verantwortung durch die Zusammenarbeit
von Bürgern und Verwaltungen sich entwickeln.
Oft geschieht Innovation auf allen Feldern nicht
als Folge von neuen Entdeckungen, sondern durch
Neukombination von bekannten Fakten, was
unvorhergesehene und innovative Ergebnisse bringen
kann.
3.1.3 Die initiierende und unterstützende Rolle der staatlichen Organe
Die staatlichen Organe können die Funktion
haben, neue Ideen zu starten, wenn sie nicht auf
die Initiative der Bürger warten wollen. Somit
spielen sie eine Katalysatorenrolle bei dem Ziel die
Ressourcen der Bürger ernst zu nehmen. Es ist eine
Sache einfach zu warten, bis Menschen tätig werden
und um Unterstützung bitten. Es ist eine andere
Sache, sich seine eigenen Strategien zusammen
mit aktiven Bürgern zurechtzulegen, Partizipation
und Subsidiarität zu verbinden und es dadurch für
die Bürger leichter zu machen Verantwortung im
öffentlichen Leben zu übernehmen. Weitere sinnvolle
Strategien sind Geldmittel und praktische Hilfen
zur Verfügung zu stellen, die den Menschen helfen
Gemeinschaftseigentum zu pflegen, die Aktivitäten
von Bürgerinitiativen zu unterstützen, indem
man ihnen Räume, Computer, usw. zur Verfügung
stellt und so die Ausführung von Initiativen für die
Umsetzung von Subsidiarität erleichtert. Wichtig ist
eine offene Kommunikation zwischen Bürgern und der
Lokalverwaltung, um die Umsetzung von Subsidiarität
zu fördern, und um die Informationslücken zu
überbrücken, die Bürger davon abhalten beim
Einrichten von Netzwerken aktiv zu werden. Die
Verantwortlichen in der Kommunalpolitik und die
Kommunalverwaltung sollen die Aktivitäten der
Bürger unterstützen, indem sie gemeinsam mit
ihnen die am besten geeigneten Unterstützungs-
3
18
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
instrumente ermitteln, die verschiedenen Initiativen
untereinander koordinieren und somit ein Klima
von Vertrauen, Korrektheit und Transparenz
zwischen der Kommunalpolitik und den Bürgern
schaffen. Die politisch Verantwortlichen sollten die
politische Sensibilität besitzen, die notwendig ist,
3
um die Potenziale, die in den Kommunen (oftmals
im Verborgenen) vorhanden sind, zu entdecken. Sie
sollten fähig sein in diese Potenziale zu investieren, um
die Lebensqualität und den sozialen Zusammenhalt zu
fördern.
3.1.4 Bereiche der Partizipation von Bürgern am öffentlichen Leben
Wie und auf welchen Feldern mischen sich aktive
Bürger in ihrem Dienst am Gemeinwohl ein? Was das
Thema der Einmischung betrifft, gibt es keine Grenzen,
außer es fällt ausschließlich in die Kompetenz der
öffentlichen Verwaltung. Dies ist prinzipiell von
Vorteil, denn es erlaubt es allen Bürgern sich auf allen
Feldern einzumischen um Probleme von allgemeinem
Interesse zu lösen. Jedenfalls wenn wir konkrete
Aktivitäten betrachten, die von Menschen gemäß
dem Subsidiaritätsprinzip durchgeführt werden, dann
können wir sehen, dass sie mit der Bewahrung und
der Pflege von öffentlichen Gütern verbunden sind:
Land, Umwelt, Wasser, Luft, Sicherheit, Vertrauen
in die Gesellschaft, Legalität, Menschenrechte,
Marktregulierung, Gesundheitsbildung, Infrastruktur
(Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Museen),
kulturelles Erbe, öffentliche Dienste usw., die jeder
frei gebrauchen kann, die aber deswegen durch
unangemessenen Gebrauch ständig bedroht sind.
3.1.5 Konsequenzen für alternde Gesellschaften
Man sagt, dass Subsidiarität die Wertebasis sein kann,
auf der ein Gesellschaftsmodell errichtet wird, das
gekennzeichnet ist durch eine weit verbreitete Präsenz
aktiver Bürger im öffentlichen Leben, unabhängig
von deren Bildung, sozialer Schichtung, Herkunft
und Alter. Die italienische Gesellschaft ist eine schnell
alternde Gesellschaft. Das Land kann es sich nicht
leisten kein integriertes System von Instrumenten und
Maßnahmen zu entwickeln um die wirtschaftlichen
und sozialen Folgen von Alterung zu meistern. Die
Strategien für die Älteren stützen sich oft auf die
irrige Vorstellung, dass diese nicht mehr fähig sind, am
sozialen Leben teilzuhaben, eine produktive Tätigkeit
auszuführen oder für sich selbst zu sorgen. Eine solche
Haltung würde letztendlich zu einer Strategie führen,
Pflegedienstleistungen für Senioren vorrangiger zu
fördern als deren bürgerschaftliches Engagement.
Dabei kann diese Strategie genau jene Abhängigkeit
der Bürger von staatlichen Versorgungsleistungen
forcieren, die eigentlich verringert werden soll.
Diese Gefahr besteht auch in mehreren anderen
europäischen Ländern. In dieser Situation zieht das
SEVIR-Projekt die Aufmerksamkeit auf die Potentiale
von älteren Bürgern, die gewillt sind, ihr Umfeld aktiv
(politisch) zu gestalten.
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
19
3.2 Grundlagen für das bürgerschaftliche Engagement von Senioren als
Interessensvertretung für ihre Altersgruppe
„Im Zeitalter des demografischen Wandels vertreten Seniorenvertretungen die Interessen
der am stärksten wachsenden Bevölkerungsgruppe. Daher wirken Seniorenvertretungen
in ihrer Arbeit stets generationsübergreifend, denn Alter betrifft im Prinzip alle
Menschen.“
(Wilhelm Stodollick, Bürgermeister von Lünen, Deutschland)
Die politische Partizipation von älteren Menschen als
Interessensvertretung für ihre Altersgruppe ist ein
wichtiges spezifisches Element innerhalb des breiten
Spektrums des freiwilligen Engagements.
Hier wird vorgeschlagen, die politischen Beteiligung
von Senioren auf folgende Weise zu verstehen:
Freiwilliges Engagement hat eine fundamentale
Bedeutung für sozialen Zusammenhalt und für die
Zukunft unserer Gesellschaft. Diese Erfahrung hat
eine breite europäische Geschichte. „Quer über
den vielfältigen europäischen Erdteil gibt es eine
gemeinsame Charakteristik: eine lange Geschichte
von Menschen, die in ihren Gemeinschaften kostenlos
gearbeitet haben. Diese tief wurzelnde Tradition von
Freiwilligenarbeit ist gekennzeichnet und geformt
durch kulturelle, religiöse, politische und wirtschaftliche
Faktoren, die sich von Land zu Land unterscheiden.“
(Gaskin 1996, S. 25). Diese bemerkenswerte Dimension
des Freiwilligenengagements in allen europäischen
Ländern wäre ohne die älteren Generationen nicht
durchführbar gewesen (siehe: Gaskin 1996, S. 66).
Es gibt eine bedeutsame Bereitschaft von älteren
Menschen für bürgerschaftliches Engagement in
allen beteiligten Ländern. Es besteht eine große
Chance durch dieses Engagementpotenzial den
Gedanken der aktiven Bürgergesellschaft in Europa
„mit Leben zu füllen“ und die Europäische Union als
Raum der konsequenten Bürgerbeteiligung weiter zu
entwickeln.
Eine derartige Förderung der Demokratie in Europa
braucht (ältere) Bürger, die bereit sind, mehr zu tun
als das erwartete Minimum an politischer Beteiligung
durch Abstimmen bei Wahlen, die sich politisch für die
(örtliche) Gemeinschaft einsetzen. Sicherlich ist nur
eine Minderheit von Bürgern, nur eine Minderheit
von älteren Menschen so aktiv. Aber für eine starke
Demokratie ist es wesentlich, dass es genügend
aktive Bürger dieser Art gibt. Sie bereichern das
demokratische Leben in den Ländern, Regionen,
Großstädten, Städten und Gemeinden. Dies ist ein
Beitrag zur europäischen demokratischen Kultur.
Die Kernaufgabe der politischen Partizipation
älterer Menschen ist es die Interessen der Senioren
im öffentlichen Leben zu vertreten, insbesondere
gegenüber politischen Entscheidungsträgern, und dies
auf Gemeinwohl fördernde Weise. Um den möglichen
Vorwurf zu entkräften, die Vertretung der älteren
Menschen würde lediglich die egoistischen Bedürfnisse
und Wünsche der Senioren abdecken, ist es wichtig zu
betonen, dass die älteren Menschen den am schnellsten
wachsenden Teil der Bevölkerung darstellen. Die
Erfahrungen zeigen: die Interessensvertretungen der
Senioren haben das Gemeinwohl im Blick. Deren
Initiativen und Forderungen zielen oft auf einen
generationenübergreifenden Nutzen. Zum Beispiel
profitieren bei einer Absenkung der Bordsteinkanten
an den Straßen nicht nur Senioren mit Rollatoren,
sondern auch Mütter und Väter mit Kinderwägen und
Gehbehinderte aller Altersschichten.
Die Interessensvertretung von Senioren deckt eine
weite Themenpalette ab, mehr oder weniger alle
Bereiche, die das Leben der älteren Generationen
betreffen. Die Themen, an denen aktive ältere
Bürger arbeiten, sind mehr als bloß die Themen
3
20
3
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
der Sozialpolitik. Seniorenpolitik ist nämlich eine
Schnittstellenarbeit. Das bedeutet sich mit allen
Aspekten von Lebensqualität im fortgeschrittenen
Alter zu befassen, von ärztlicher Fürsorge über
Wohnprobleme, lebenslangem Lernen und den
Schwierigkeiten beim Einsatz neuer Technologien
bis zum öffentlichen Personennahverkehr und
Freizeitaktivitäten. Außerdem wird der Dialog zwischen
den Generationen forciert um Diskriminierungen zu
verringern und mehr intergeneratives Verständnis zu
ermöglichen.
Politische Teilhabe von älteren Personen ist nicht auf
formelle politische und administrative Mitwirkung
begrenzt, obwohl es beeindruckende Beispiele dieser
Art in den europäischen Staaten gibt, zum Beispiel die
Seniorenbeiräte oder das Amt eines Schöffen. Jedoch
stellen diese Tätigkeiten nur einen Teil des Gesamtbildes
an politischer Partizipation von Senioren dar. Es gibt
eine Vielzahl an informellen Beteiligungsformen,
die wahrgenommen und gewürdigt werden sollten,
gerade in einer europäischen Perspektive. Dazu
gehören die Beteiligung an öffentlichen Treffen, die
sich mit kommunalen Angelegenheiten befassen, die
Leitung einer Selbsthilfeinitiative, das Schreiben von
(Leser)Briefen an Zeitungen oder die aktive Teilnahme
an Hörfunkprogrammen über seniorenpolitische
Themen. All dies sind Beispiele für die eher informelle
politische Partizipation von älteren Bürgern als
Vertreter ihrer Altersgenossen. Denn in manchen
europäischen Ländern sind aktuell nur informelle
Pfade von Beteiligung für ältere Bürger vorhanden.
Strukturen einer formellen Partizipation fehlen dort.
Ältere Menschen können die bestehenden Aktivitäten
des bürgerschaftlichen Engagements reformieren,
indem sie neue Formen von Partizipation entwickeln.
So können sie informelle Beteiligungsformen wählen,
wo es schwierig oder gar unmöglich ist, formelle
Strukturen der Interessensvertretung einzurichten und
zu etablieren. Oder sie kämpfen für die Einrichtung
von offiziellen Gremien der Partizipation, wo die
informellen Mitbestimmungsstrategien zu schwach
sind.
Bürgerschaftliches Engagement ist ein wesentlicher
Teil von lebenslangem Lernen. In einer europäischen
Dimension heißt das sich nicht lediglich der Rechte und
Verantwortlichkeiten als Einwohner der Europäischen
Union bewusst zu sein und sie effektiv auszuüben
sondern auch deren Prinzipien zu bejahen und sich
die Fähigkeiten anzueignen, die man braucht, um
als aktive Bürger in pluralistischen Gesellschaften zu
leben.
Die politische Partizipation von Senioren als
Interessensvertretung hat eine doppelte Dimension:
Zum einem gegenüber den zu vertretenden
Altersgenossen: ein ständiger Kontakt mit älteren
Menschen ist notwendig, um ihre Bedürfnisse und
Wünsche kennen zu lernen und um sie über alle, die
Senioren betreffenden Sachverhalte, Strategien und
Entwicklungen zu informieren.
Gegenüber der Öffentlichkeit und den politischen
Organen: (lokalen) Regierungen und ihren Behörden
werden die Interessen und Anliegen von Senioren
nahe gebracht, damit diese bei den politischen und
administrativen Entscheidungen und Prozessen
berücksichtigt werden.
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
21
3.3 Der Status quo – erhebliche Unterschiede in den europäischen Ländern
„Der wichtigste Grund, warum ich Seniorenvertretungen außerordentlich schätze ist:
Die Mitglieder des Seniorenbeirates sind seit 25 Jahren kritische und faire Begleiter der
Gladbecker Stadtpolitik. Besonders sympathisch an der Arbeit des Seniorenbeirates ist
auch, dass er sich für ein Miteinander von Jung und Alt in unserer Stadt einsetzt.“
(Ulrich Roland, Bürgermeister von Gladbeck, Deutschland)
Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der
Situation der politischen Partizipation von Senioren in
den europäischen Ländern.
In folgenden Punkten gibt es Übereinstimmungen:
Es existiert eine wachsende öffentliche Sensibilität
für die Herausforderungen und Chancen des
demographischen Wandels.
In der öffentlichen Debatte wird das große Potenzial,
das durch die engagementbereiten älteren Menschen
für eine sinnvolle Gestaltung dieses Wandels
vorhanden ist, zunehmend erkannt.
Die älteren Menschen in Europa sind sich oft nicht
bewusst, welche politische Macht sie eigentlich hätten.
Da die politische Partizipation vor allem durch
nationale Traditionen, Strukturen und Entwicklungen
gekennzeichnet ist, müssen die folgenden
länderspezifischen Unterschiede beachtet werden:
Quantität und Qualität der bestehenden
Partizipationsstrukturen für die Vertretung der
Interessen von älteren Menschen weichen im Vergleich
der Staaten erheblich voneinander ab. Während es
in Deutschland, der Schweiz und in Großbritannien
relativ starke Strukturen der Mitwirkung gibt, fehlen
sie in Bulgarien, Italien und Polen weitgehend.
Auch Umfang und Niveau der bestehenden
Weiterbildungsprogramme für engagierte ältere
Bürger sind sehr unterschiedlich.
Es gibt in den europäischen Ländern sowohl ähnliche
wie auch divergierende Haltungen gegenüber
der Nation, gegenüber der Rolle der staatlichen
Verwaltung und gegenüber den politischen Parteien.
Im Allgemeinen ist das Bild des politischen Systems
und insbesondere das der Politiker in den Augen
der Bürger in Europa schlecht. Politik scheint ein
schmutziges Geschäft zu sein, von dem man sich
besser fern hält. Aber auch das Selbstverständnis
der staatlichen Verwaltung trägt oft dazu bei, dass
Bürger ein distanziertes Verhältnis zu Staat und
Politik haben. Noch immer ist das obrigkeitsstaatliche
Selbstbild des Beamten vorhanden, der sich selbst
als Repräsentanten der Staatsmacht und den Bürger
als Bittsteller und potenziellen Störenfried sieht.
Jenseits dieser weit verbreiteten Haltung gibt es
einige bemerkenswerte Unterschiede. Zum Beispiel
identifiziert sich die italienische Bevölkerung relativ
schwach mit Staat und Nation. Sie steht Gesetzen und
staatlichen Institutionen sehr skeptisch gegenüber. Im
europäischen Vergleich ist sie besonders unzufrieden
mit dem Zustand der Demokratie in ihrem Land.
Regionale und lokale Behörden betrachten in vielen
ost- wie westeuropäischen Staaten ältere Bürger
hauptsächlich als Konsumenten und Kunden der
sozialen Fürsorge.
Der Systemwechsel in den neuen Mitgliedsstaaten
der Europäischen Union hat für die Bevölkerung
dieser Länder seit 1989 eine völlig neue Situation
gebracht. Die Mehrheit unter ihnen auch die älteren
Bürger, konnte und kann sich daran nur mit großen
Schwierigkeiten anpassen. Es gibt einen „langen
Schatten“ der kommunistischen Periode im Bereich
des bürgerschaftlichen Engagements. In jenen Zeiten
3
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
22
wurden die Menschen durch die staatlichen Behörden
zum ehrenamtlichen Einsatz gedrängt. Diese
Erfahrung der erzwungenen Freiwilligkeit schwächt
die Motivation der älteren Menschen für freiwilliges
Engagement bis heute.
3
Es gibt keine umfassenden Informationen über
Umfang, Strukturen, Befugnisse, Aufgaben und
Anliegen der Interessensvertretung von Senioren
in den europäischen Ländern. Die folgenden
Ausführungen bieten demnach einen Überblick über
die Situation in einigen europäischen Staaten.
Italien
Es gibt in Italien eine sehr große Zahl verschiedener
Organisationen, die mit Senioren zu tun haben. Aber
deren Aufgabenschwerpunkt ist nicht die politische
Partizipation. Die meisten von ihnen haben keine
institutionelle Unterstützung, zum Beispiel durch
eine finanzielle Förderung seitens der Kommunen.
Grund dafür scheint das stark bürokratisch orientierte
Regierungshandeln zu sein, das eine Mitwirkung
hemmt oder gar unmöglich macht. Nur in Wahlzeiten
beachten die Politiker die Organisationen von älteren
Menschen und häufig benützen sie diese nur als
Werkzeug für kostengünstige freiwillige Arbeit. Es
scheint nötig zu sein, dass man ältere Freiwillige
aus diesem unpolitischen Vakuum herausholt und
ihnen ihre Macht bewusst macht. Andererseits gibt
es in Italien unter den Senioren ein hohes Maß an
Frustration, da sie ein Engagement auf kommunaler
Ebene als wenig erfolgsträchtig einschätzen.
Bulgarien
Obwohl es in Bulgarien einige Institutionen gibt, die
sich mit den Belangen von älteren Bürgern befassen,
müssen sie weiterentwickelt und besser platziert
werden. Die vorhandenen Seniorenorganisationen, die
allesamt in der postkommunistischen Zeit gegründet
wurden, kämpfen isoliert und haben Schwierigkeiten
überhaupt von den politischen Entscheidungsträgern
wahrgenommen zu werden. Ein Beispiel erfolgreichen
Einsatzes ist der Kampf solcher Organisationen für die
Erhöhung der Renten. Sie organisierten verschiedene
Protestmaßnahmen und schafften es den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg
einzubeziehen. Bis heute gibt es kein Ministerium, das
dezidiert die Aufgabe hat, sich mit Seniorenpolitik zu
beschäftigen. Es ist nötig, die Sensibilität zu steigern,
wie wichtig die Belange der älteren Menschen sind.
Eine neue Initiative dafür hat eine linksgerichtete
Partei zusammen mit einigen älteren Aktivisten
und mehreren Seniorenorganisationen gestartet.
Die Senioren selbst sind seit Jahren aus dem
gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen.
Man muss befürchten, dass sie nicht gut vorbereitet und
willens sind, sich mit Fragen der Interessensvertretung
zu befassen. Gründe dafür könnten ihre schwierige
wirtschaftliche Lage, der Mangel an Strukturen
und Selbstwertschätzung, die Ablehnung durch die
Regierung, wie auch die Tatsache sein, dass freiwilliges
Engagement während der Zeit des Kommunismus
verpflichtend war, und viele ältere Leute nichts mehr
von Freiwilligenarbeit wissen wollen.
Großbritannien
Aufgrund der aktuellen demographischen Änderungen
und des allgemeinen Nachlassens des Vertrauens in
die staatliche Altersvorsorge gibt es in Großbritannien
viele fähige ältere Menschen, die freiwillig tätig
werden, und bei der Art und Weise, wie sie regiert
werden, ein Wörtchen mitreden wollen. Jedoch bleiben
innerhalb der dichten Strukturen der bestehenden
Seniorenorganisationen die Möglichkeiten, Entscheidungsfindungsprozesse zu beeinflussen, begrenzt.
Wichtige Fragen sind, welche Arten und Ebenen der
Vertretung angestrebt werden sollten, und wie man
ältere Freiwillige am besten bei der Vertretung ihrer
Altersgenossen unterstützt. Bildungsmaßnahmen
scheinen dabei eine entscheidende Rolle zu spielen.
Deutschland
In Deutschland gibt es eine ziemlich gut ausgearbeitete
Struktur von Seniorenorganisationen. Die bestehenden
Strukturen können in formale Strukturen, wie
Seniorenorganisationen von politischen Parteien,
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
informelle Strukturen wie Agenda-21-Gruppen und
halbformale Strukturen wie Seniorenbeiräte, die
ein Teil der kommunalen Selbstverwaltung wie auch
der Bürgergesellschaft sind, eingeteilt werden. Die
Kommunen können - sind aber nicht dazu verpflichtet
- einen Seniorenbeirat einrichten. Es gibt dazu keine
verallgemeinerbare Regelungen. Somit unterscheiden
sich die einzelnen Verhältnisse von Kommune zu
Kommune erheblich. Unter anderen sind die finanzielle
Unterstützung durch die Kommunalverwaltung, der
Umfang der Mitwirkungsrechte, der politische Einfluss
wie auch die Verfahren für die Wahl der Seniorenräte
sehr unterschiedlich geregelt. Die Interessensvertretung
von älteren Freiwilligen richtet ihr Augenmerk auf
politische Partizipation, um in der Kommunalpolitik
das Sprachrohr für Belange der Senioren zu sein. Die
lokalen Seniorenvertretungen sind in Heimbeiräten,
die in Altenheimen und Altenpflegeheimen vorhanden
sind, als Mitglieder präsent.
Neben diesen im politischen System strukturell
verankerten Lobbyorganen als Seniorenvertretungen
gibt es die Bundesarbeitsgemeinschaft der SeniorenOrganisationen (BAGSO). Als nationaler Dachverband
von 97 Verbänden, Organisationen und Initiativen der
freien Altenarbeit vertritt sie die Interessen der älteren
Menschen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.
Polen
In Polen hat in den letzten zwei Jahrzehnten das
Vertrauen der Bürger in gemeinwohlorientierte
Interessensvertretungen erheblich abgenommen,
nachdem Politiker und eine Vielzahl von
selbsternannten Vertretern oft das Vertrauen der
Bürger missbrauchten. Die Interessen der älteren
Bürger sind in den öffentlichen Debatten nicht
präsent. Seniorenbeiräte existieren in einigen wenigen
Städten, in denen sie durch eine freiwillige Initiative
eingerichtet wurden.
Schweiz
In der Schweiz gibt es den Schweizerischen Seniorenrat,
der als beratendes Gremium auf nationaler Ebene die
wirtschaftlichen und sozialen Anliegen der älteren
Menschen gegenüber der Regierung, den Verbänden,
Institutionen, Medien und Öffentlichkeit vorbringen.
Außerdem sind weitere Organisationen aktiv, die
als Dachorganisationen auf nationaler Ebene die
Interessen der Senioren vertreten. Es gibt eine
Vielzahl von Bildungsangeboten, die für Erwachsene
im Allgemeinen und für Freiwillige im Besonderen
angeboten werden. Nichtsdestotrotz existieren keine
speziellen Weiterbildungen für ältere Freiwillige,
die sich als Interessensvertreter ihrer Altersgruppe
engagieren.
Norwegen
In Norwegen existiert ein Seniorenrat auf nationaler
Ebene, der die Regierung, die Ministerien und
die freiwilligen Organisationen in allen Fragen,
die ältere Menschen betreffen, berät. Seit 1991
gibt es auf gesetzlicher Grundlage entsprechende
Beratungsstrukturen in den Gemeinden und Bezirken.
Niederlande
In den Niederlanden ist das Spektrum an politischen
Partizipationsmöglichkeiten ähnlich ausgeprägt
wie in Deutschland. Auf nationaler Ebene bündelt
ein Dachverband die Interessen einer Vielzahl von
Seniorenorganisationen. Auf kommunaler Ebene
sind Seniorenbeiräte vorhanden. Auch die Situation
der Heimbeiräte ist vergleichbar. Anders als in
Deutschland haben Senioren formelle Positionen
innerhalb der Ausschüsse in den Pensionskassen, in
der Regionalplanung für Pflegeeinrichtungen und in
ambulanten Pflegeeinrichtungen.
Der wesentliche Unterschied zwischen den Ländergruppen Italien/Bulgarien/Polen und Großbritannien/
Deutschland/Schweiz/Niederlande und Norwegen ist
der, dass bei den Staaten der zweiten Ländergruppe
die Senioren Partizipationsrechte innerhalb von
staatlichen Strukturen haben, und zwar auf nationaler
und auf kommunaler Ebene. Dabei ist zu beachten,
dass diese Rechte auf unterschiedlicher Basis gewährt
werden, auf freiwilliger Basis (in Deutschland) oder
23
3
24
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
auf gesetzlicher Grundlage (in Norwegen). Die
Einbindung der Interessensvertretung der Senioren
in das politische System bringt den unschätzbaren
Vorteil mit sich, „einen Fuß in der Tür zu haben“
und somit zumindest ein wenig an den politischen
3
Kommunikationsprozessen beteiligt zu sein.
Allerdings ist diese strukturelle Einbindung an die
Bedingung geknüpft, das die politisch Verantwortlichen
diese Beteiligung zulassen und nicht blockieren.
3.4 Begünstigende und hemmende Faktoren für das Engagement von älteren Freiwilligen
bei der Vertretung ihrer Altersgenossen im öffentlichen Leben
3.4.1 Voraussetzungen für erfolgreiche politische Beteiligung
Wie bei jeder Altersgruppe hängt das Interesse
der älteren Menschen an bürgerschaftlichem
Engagement von verschiedenen Faktoren wie
Finanzen, Lebenssituation, Lebensweise und der
Wahrnehmung der Senioren durch die Gesellschaft ab.
Die Möglichkeiten können durch persönliche, soziale,
kulturelle und familiäre Einschränkungen begrenzt
sein.
Nach den Ergebnissen der Sozialforschung sind
vor allem Angehörige der mittleren Schichten
bürgerschaftlich engagiert. Akademische Bildung,
höheres Einkommen und berufliches Ansehen
erleichtern offenbar einen solchen Einsatz (Putnam
2001). Dennoch wäre es falsch daraus den Schluss
zu ziehen, dass Angehörige der Arbeiterklasse nicht
bereit und nicht vorbereitet sind sich politisch zu
beteiligen. Die Forschung zeigt, dass die Menschen sich
dann konkret mehr einbringen, wenn (Detjen 2007,
S. 221) sie Chancen sehen, politische Entscheidungsfindungsprozesse beeinflussen zu können und wenn
in ihrem sozialen Umfeld Partizipation als soziale
Norm gilt.
Ältere Menschen sind heutzutage aktiver, gesünder und
gebildeter als ihre Altersgenossen vor zwanzig Jahren.
Obgleich diese Verallgemeinerung eine positive sein
mag, könnte es sein, dass sie nicht zum Vorteil der
Älteren dient. Dies mag die Senioren zu falschen
Annahmen verleiten und falsche Erwartungen über die
Situation von Senioren bei politisch Verantwortlichen
wecken. „Ein zu rosiges Bild vom Älterwerden kann
auch negativ sein, weil es ältere Menschen unter einen
gewaltigen Erwartungsdruck setzen und sie somit
ihrer Individualität und Einzigartigkeit berauben
kann“ (Filipp/Mayer 2005, S. 30). Aus diesem Grund
betont das SEVIR-Projekt, dass das bürgerschaftliche
Engagement ein freiwilliger Einsatz ist. Es ist zu
vermeiden zu starken Druck auf Ältere auszuüben.
Sinnvoll hingegen ist es sie zu ermutigen Kompetenzen
für Beteiligung zu entwickeln und sie auf diesem Weg
weiterzubilden und zu unterstützend zu begleiten.
3.4.2 Ergebnisse der Analyse von Bildungs- und Unterstützungsbedarf
Bei der im Zeitraum von November 2006 bis März
2007 durchgeführten Analyse von Bildungs- und
Unterstützungsbedarf für Senioren (um als Freiwillige
ihre Altersgenossen im öffentlichen Leben zu
vertreten), untersuchten wir, welche begünstigenden
und welche hemmenden Faktoren es für die aktive
Präsenz älterer Menschen im öffentlichen Leben als
Interessensvertretung für ihre Altersgenossen gibt.
Der Vergleich beider Faktoren zeigt, dass einerseits
eine sehr große Chance besteht, das bürgerschaftliche
Engagement der älteren Menschen zu intensivieren.
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
Andererseits gibt es dabei einige erhebliche Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt. Weiterbildung
und Unterstützung der Freiwilligenarbeit werden
bis zu einem gewissen Grad die Auswirkungen von
manchen dieser Hemmnisse minimieren, aber es wird
schwierig sein, andere, strukturelle Hindernisse, wie
zum Beispiel Armut durch kurzfristige Maßnahmen zu
überwinden.
Sozioökonomische Schwierigkeiten sind ein
Hemmschuh für jede Freiwilligenarbeit von Älteren.
Denn wer darum kämpfen muss, mit dem Einkommen
auszukommen, hat wenig Energie für andere Dinge.
In Bulgarien sind zum Beispiel wegen der prekären
materiellen Situation die meisten der Senioren
gesellschaftlich ausgegrenzt. Andererseits könnten
sozioökonomische Schwierigkeiten ein Ansporn für
ältere Freiwillige sein, sich zu engagieren um ihre
soziale Lage und damit auch die ihrer Altersgenossen
zu verbessern.
Der Überblick über Anreize und Hürden seitens
der Politik und der Gesellschaft zeigt, dass es
Einiges an Hilfestellung und Begleitung für das
politische Engagement gibt. Jedoch sind ein paar
wichtige Schwierigkeiten zu meistern, da diese Art
des bürgerschaftlichen Engagements nicht immer
willkommen ist. Darüber hinaus besteht die Gefahr,
dass nationale und lokale politische Organisationen
die Engagementbereitschaft missbrauchen, indem
sie Freiwillige benützen, um Dienstleistungen
vorzuhalten, für die der Staat verantwortlich ist, mit
dem Ergebnis, dass man Ehrenamtliche einsetzt um
bezahltes Personal zu ersetzen.
Nach den Ergebnissen des Projektes SEVIR
unterscheiden sich die Lebensbedingungen der
älteren Menschen zwischen den europäischen
Ländern erheblich. Die Lage in Deutschland und in
Großbritannien scheint relativ optimistisch zu sein. Es
gibt viele Gründe anzunehmen, dass in diesen Ländern
eine größere Beteiligung von älteren Menschen erreicht
werden kann. Senioren in diesen Ländern haben ein
großes Interesse daran sich in das öffentliche Leben als
Interessensvertretung einzumischen. Ältere Menschen
haben heutzutage (theoretisch) mehr Zeit als früher,
sie gehen eher in den Ruhestand und leben länger
- und sie haben mehr verfügbares Einkommen.
Dennoch gibt es selbst in diesen zwei Ländern
einige Hürden zu überwinden. Dazu gehören die
Vorbehalte gegenüber der Partizipation der älteren
Menschen als Seniorenvertretungen an politischen
Entscheidungsprozessen.
Ein ähnliches Bild existiert in Italien. Das Engagementpotenzial hier ist dank der demographischen
Entwicklung sowie einer gewachsenen Infrastruktur
zugunsten der Senioren, etwa durch die sogenannten
„Universitäten für das Dritte Lebensalter“, enorm
gewachsen. Hier scheinen die Hürden eher politischer
und kultureller Natur zu sein, was bedeutet, einen
Mentalitätswandel einzuläuten. Anders als Wirtschaft
und Handel hat die Welt der Politik das Potenzial der
älteren Menschen noch kaum erkannt.
Polen bietet ein zwiespältiges Bild. Auf der einen Seite
gibt es eine beachtliche Zahl von älteren Menschen,
die zum freiwilligen Engagement bereit sind. Sie
sind gut gebildet und dadurch auf das Aktivsein
vorbereitet, haben wenig zeitliche Einschränkungen
und ein wachsendes Bewusstsein, wie wichtig eine
Interessensvertretung von Senioren durch Senioren
ist. Auf der anderen Seite sehen sie sich mit einigen
erheblichen gesellschaftlichen Schwierigkeiten
konfrontiert: Sie sind sich der gesetzlichen und
politischen Möglichkeiten, die ihnen die Chance
geben auf die Entscheidungsfindungsprozesse
einzuwirken wenig bewusst, und glauben nicht, dass
ihre Aktionen diese Prozesse effektiv beeinflussen
können. Bis vor kurzem betrachteten die regionalen
und lokalen Behörden ältere Bürger lediglich als
‘Konsumenten’ von sozialer Hilfe und ‘Kunden’ des
Gesundheitsdienstes. Während der letzten Jahre sind
einige Änderungen eingetreten, aber noch immer zu
langsam und mit begrenzter Effizienz.
Der europäische Vergleich macht deutlich: Bei der
politischen Partizipation von Senioren gilt es einige
25
3
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3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
Hemmnisse und Hürden zu überwinden. Diese
Barrieren mögen im Einzelnen in den europäischen
Ländern in unterschiedlichem Ausmaß vorhanden
sein; jedoch werden immer wieder folgende
übereinstimmende Faktoren genannt:
3
Finanzen: Nachdem die wirtschaftliche Unsicherheit anhält und der tatsächliche Wert der Renten
abnimmt, kann es eine Einkommenslücke und
damit eine Notwendigkeit geben über das
‘Rentenalter’ hinaus zu arbeiten. Das kann dazu
führen, dass wenig Zeit zum Lernen und für das
bürgerschaftliche Engagement bleibt.
Bildung: Der Dialog von Interessensvertretungen
mit politisch Verantwortlichen erfordert
Fähigkeiten und Wissen, über die manche
Senioren nicht verfügen. Die Vorstellung, selbst
nicht genug zu wissen, kann das politische
Engagement älterer Menschen blockieren,
ebenso das Gefühl, generell nicht genügend
schulisch und beruflich gebildet zu sein. Dort,
wo lebenslanges Lernen keine soziale Norm
ist, kann die Zumutung sich noch in einem
fortgeschrittenen Alter auf Lernen einzustellen,
und sich damit beschäftigen zu müssen, auf
Widerstand bei Senioren stoßen
Gesundheit: Schlechte Gesundheit kann die volle
Teilnahme an Bildungsprozessen hemmen und
somit verhindern, dass Menschen eine aktive
Rolle bei der Vertretung ihrer Altersgenossen
übernehmen.
Wohnort: In den ländlichen Gegenden sind
Weiterbildungen und Unterstützungsdienstleistungen für ein bürgerschaftliches Engagement
teilweise in geringerem Umfang vorhanden als in
Ballungsgebieten.
Wahrnehmung: Die Öffentlichkeit betrachtet ältere
Bürger oft als Last oder als fürsorgebedürftig.
Ihre Leistung wird manchmal nicht genug
anerkannt. Mit solch einer Fremdwahrnehmung
werden ältere Menschen nicht motiviert politisch
aktiv zu sein.
Zusammenarbeit zwischen hauptamtlichen Mitarbeitern in den Kommunalverwaltungen und
Freiwilligen: Die Zusammenarbeit zwischen
beiden Seiten ist wichtig und sollte verbessert
werden, da sie häufig eine Quelle der Frustration
für ältere Freiwillige ist (manchmal auch
für die Hauptamtlichen). Bürgerschaftlich
Engagierte werden desillusioniert, wenn sie
den Eindruck haben, dass ihre Fähigkeiten
nicht anerkannt werden. Sie erleben Politik
und Verwaltung manchmal als restriktiv und
zu bürokratisch. Aktive Senioren brauchen
einen gewissen Freiraum um neue Ideen und
Lösungen zu entwickeln. Außerdem sollte die
Aufgabenverteilung zwischen Hauptamtlichen
und Freiwilligen klar geregelt sein.
Es wird schwierig sein alle Hürden zu beseitigen,
vor allem kurzfristig. Aber bei der Planung und
Durchführung von Bildungsangeboten spielen sie eine
wichtige Rolle. Sie sind Teil der Lernvoraussetzungen,
mit denen die älteren Menschen in die Kurse kommen.
Sie prägen die Inhalte der Weiterbildung von Senioren
für die politische Partizipation.
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
27
3.5 Erfolgsfaktoren der Förderung und der Unterstützung für das politische
bürgerschaftliche Engagement von Senioren
„So differenziert wie das Leben selbst sind auch die Ansprüche der Menschen an das
Leben im Alter. Um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, übernimmt die Kommune
eine Steuerungsfunktion in der Seniorenarbeit.
Um die Interessen und Bedürfnisse der Älteren richtig einschätzen zu können, ist
die Zusammenarbeit mit der Seniorenvertretung von großer Bedeutung. Sie ist ein
wichtiges Bindeglied zwischen den Bürgerinnen und Bürgern im Seniorenalter, den
Entscheidungsgremien und den ausführenden Stellen und somit ein wichtiger Bestandteil
der demokratischen Grundordnung in Köln. Durch ihre Anregungen, Empfehlungen und
Forderungen an die politischen Gremien, die Verwaltung und die Wohlfahrtsverbände,
wirkt sie konstruktiv an einer an den Bedürfnissen der älteren Generation ausgerichteten
Politik in Köln mit.
Die Kölner Seniorenvertretung als Interessensvertretung ist ein Vorbild für andere
Bereiche des bürgerschaftlichen Engagements von Seniorinnen und Senioren vor Ort.
Das Wissen der einzelnen Seniorenvertretrinnen und Seniorenvertreter und vor allem
der Einsatz der sozialen Kompetenzen sind für die Gesellschaft unverzichtbar.“
(Fritz Schramma, Oberbürgermeister von Köln, Deutschland )
Im Folgenden werden Faktoren benannt, die
die Gründung und die erfolgreiche und effektive
Arbeit von Interessensvertretungen für die Belange
der Senioren begünstigen. Allgemein geht es
darum aktivitätsfördernde Strukturen zu schaffen,
auszubauen, zu pflegen und zu begleiten, damit
im lokalen Umfeld die Lebensqualität für alle
Generationen erhalten bleibt und verbessert wird.
Die Analyse des Fortbildungsbedarfs ergab
folgende Ergebnisse hinsichtlich der Frage
nach den Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche
Interessensvertretung von Senioren. Es sind dabei drei
verschiedene Ebenen zu berücksichtigen, die aktiven
Senioren selbst, die politische und gesellschaftliche
Ebene und die Unterstützung des Engagements.
Eine erfolgreiche Interessensvertretung braucht
engagierte oder zumindest engagementbereite
ältere Menschen, die bereit sind, sich auf diese
besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements
einzulassen. Die Engagementbereitschaft ist hoch,
wenn die Senioren ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein
hinsichtlich der eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten
haben. Dieses Selbstbewusstsein kann durch
Weiterbildung gesteigert werden. Ältere Menschen
werden in erster Linie durch persönliche Kontakte
für ein politisches bürgerschaftliches Engagement
ermutigt. Deshalb sind informelle Netzwerke und
ein persönliches Ansprechen für sie wichtig. Senioren
engagieren sich im beschriebenen Zusammenhang,
wenn sie es für sich selbst als bedeutsam einschätzen
und diese Aktivität in ihre Lebenssituation passt. Den
engagementbereiten Senioren muss klar sein, welche
Aufgaben sie im Einsatz als Interessensvertretung zu
erfüllen haben und welchen Nutzen sie selbst durch
ihre Tätigkeit haben.
Darüber hinaus sollten diese aktiven Senioren
beharrlich die vorhandenen Möglichkeiten der
Beteiligung nutzen um die Interessen ihrer
3
28
3
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
Altersgruppe effektiv zu vertreten. Sie sollten
gegenüber den Entscheidungsträgern in Politik und
Behörden die Bereitschaft demonstrieren als politisch
interessierte Bürgergruppe zu Gunsten des öffentlichen
Wohlergehens zu kooperieren.
Die politisch Verantwortlichen sollten aktive ältere
Bürger nicht als Unruhestifter, sondern als wichtige
Berater wahrnehmen, die als fachkundige Bürger
einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der
Kommune leisten (können).
Es ist sinnvoll sich mit ähnlichen Initiativen unter dem
Dach einer koordinierenden nationalen Organisation
zu vernetzen. Die Erfahrungen aus Deutschland, etwa
seitens der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesseniorenvertretungen sind viel versprechend.
Ein nicht zu vernachlässigender Erfolgsfaktor
ist die Unterstützung dieses Engagements durch
eine entsprechende Infrastruktur, die möglichst
kontinuierlich angelegt sein soll. Im optimalen Fall
besteht sie aus hauptamtlichem Fachpersonal und aus
sachlichen Ressourcen, einem Büro und einem Etat
für Aktionen und Weiterbildung. Wichtig ist, dass das
hauptamtliche Personal beratend und begleitend tätig
ist und den aktiven Senioren nicht vorschreibt was sie
zu tun haben.
Auf politischer Ebene sollten Senioren und die
Seniorenvertretungen mehr und stärker in die
Lokalpolitik eingebunden werden, wenn möglich auch
durch entsprechende Regelungen im Kommunalrecht.
3.6 Bürgerschaftliche Partizipation von Senioren, Strategien, Maßnahmen, Unterstützung
Viele für Moers wichtige Entscheidungen sind auf die Initiative des örtlichen
Seniorenbeirats zurückzuführen. Ein Seniorenbüro in einem Stadtteil und die
Seniorenwohnungsberatung hätte es ohne den Seniorenbeirat nicht gegeben. Die
Mitglieder des Beirates sind in Moers in allen Bereichen als Partner und Ratgeber
geschätzt. Mittlerweile existiert dazu ein geflügeltes Wort in der Grafenstadt: Was gut für
Seniorinnen und Senioren ist, nutzt der ganzen Bevölkerung.“
Norbert Ballhaus, Bürgermeister von Moers, Deutschland
Der Wiener Internationale Aktionsplan der Vereinten
Nationen von 1982 zu Fragen des Alterns empfahl,
dass jeder Entscheidungsprozess, der ältere Menschen
betrifft, gewährleisten sollte, dass
Ältere in die Planung und Implementierung der
Versorgung für Ältere eingebunden werden,
Die sozialen Maßnahmen angepasst werden um
die Aufmerksamkeit für das Älterwerden und für
damit zusammenhängende Prozesse zu erhöhen,
Gleichheit beim Zugang zu allen Diensten und
Unterstützungen sichergestellt wird und
Man sich nicht auf Stereotypen von älteren Menschen bezieht.
Um die angemessenen Strategien, Maßnahmen und
Unterstützung bei der bürgerschaftlichen Partizipation
von Senioren zu definieren, ist es nötig Antworten auf
diese Frage zu finden:
Welche Unterstützung und welche Strukturen sind
hilfreich, um ältere Freiwillige zu befähigen ihr
Engagement effektiv einzusetzen und sicherzustellen,
dass sie den bestmöglichen Ertrag erbringen?
Die Antworten in den unterschiedlichen europäischen
Ländern ergaben ein relativ einheitliches Bild mit
einigen Schlüsselprinzipien und -themen.
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
Grundlegend ist eine kooperative und praktische
Unterstützung der aktiven Senioren, wobei bei ihrer
Autonomie gewahrt werden muss. Die Unterstützung
von staatlichen Stellen sollte Freiwillige bei ihrem
Einsatz eher unterstützen als sie anzuleiten. So bieten
beispielsweise in Deutschland verschiedene Akteure,
wie Seniorenbüros, Freiwilligenagenturen, Landesseniorenvertretungen und Erwachsenenbildungseinrichtungen diese unterstützenden Tätigkeiten an.
Konkret sollte die Hilfestellung folgende Punkte
umfassen:
Finanzen: Örtliche Agenturen müssen geeignete
Finanzierungsquellen finden, um diesen Gruppen
der Seniorenvertretungen ein unabhängiges
Arbeiten zu ermöglichen. Kommunale,
regionale und nationale Regierungen sollten
finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um diese
Interessensvertretung zu unterstützen.
Verwaltung: Eine aktive Beteiligung an örtlicher
Politik erfordert administrative Unterstützung,
die es den aktiven Senioren erleichtert sich
erfolgreich zu engagieren. Angemessene Druckund Kopiermöglichkeiten sollten bereit gestellt
werden.
Informations- und Kommunikationstechnologie: Der kundige Umgang mit Computer und
Informationstechnologie ist heutzutage ein
wichtiges Hilfsmittel politischer Aktivitäten.
Seniorenvertretungen sollten Zugang zu PC und
Internet haben und, sofern notwendig, für diese
Techniken Unterstützung durch Weiterbildung
und Beratung erfahren.
Räumliche Ressourcen: Es sollten Räume für
Meetings und Kurse zur Verfügung stehen.
Bildung: Qualifizierung und Weiterbildung sind
ein Schlüssel für eine erfolgreiche politische
Partizipation. Entsprechende Angebote, im
günstigen Fall ergänzt durch Coaching und
29
Supervision, sollten unbedingt vorhanden sein.
Politische Strukturen: Für eine gut funktionierende formelle Mitbestimmung sind
Strukturen der Partizipation zu schaffen, die
der Interessensvertretung alle Mitwirkungsmöglichkeiten einräumt, die im Rahmen
der repräsentativen Demokratie für solche
Beratungsgremien fachkundiger Bürger rechtlich
legitim sind. Diese Mitwirkungsmöglichkeiten
sollten durch Satzungen oder ähnliche
Dokumente juristisch festgeschrieben sein, damit
die aktiven Senioren Rechtssicherheit in ihrem
Engagement haben.
Nicht immer und überall erkennen die politisch
Verantwortlichen und die Kommunalverwaltungen
den Wert des bürgerschaftlichen Engagements älterer
Menschen. Sie müssen manchmal und mancherorts dafür
besonders sensibilisiert werden. Im Projekt SEVIR gibt
es dazu folgende Erfahrungen: In Italien werden gute
Erfahrungen damit gemacht, Rentner mit Erfahrung
in der Politik oder in der Kommunalverwaltung in
die Seniorenvertretung einzubeziehen, damit sie,
ausgehend von ihren politischen Kompetenzen, die
politischen Entscheidungsträger überzeugen, die
politische Partizipation von älteren Menschen zu
würdigen. In Polen findet man die besten Vertreter
der älteren Bürger oft in Gruppen mit besonderen
Interessen, wie Sport, Musik, Theater. Oft bieten sie
Beispiele guter Praxis aus ihrem Spezialgebiet an, die
bei der Lokalpolitik und der Kommunalverwaltung
Beachtung finden.
Bei aller gut gemeinten und guten Unterstützung,
die Forschung zeigt, dass die erfolgreichsten
Projekte der politischen Partizipation jene sind, die
„selbstbestimmt“ sind (Findsen 2007), das heißt, ins
Leben gerufen, geplant und umgesetzt durch ältere
Menschen selbst. Wichtig ist demnach, eine solche
Hilfestellung nicht für, sondern mit den Senioren zu
planen und einzurichten.
3
30
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
3.7 Werkzeuge für die Praxis
3
Die im Folgenden aufgeführten Werkzeuge, eine
Checkliste für Neueinsteiger in der politischen
Partizipation, eine Schritt-für-Schritt-Strategie für die
Gründung einer lokalen Seniorenvertretung, Hinweise,
wie man neue Engagierte gewinnt, sind dafür gedacht
die politische Beteiligung von älteren Bürgern als
Vertretung ihrer Altersgruppe zu erleichtern. Die
Checkliste für aktive Senioren, die mit dieser Art von
Arbeit beginnen möchten, hilft ihnen ihre Ideen in
die Tat umzusetzen. Die Schritt-für-Schritt-Strategie
für die Gründung einer örtlichen Seniorenvertretung
beschreibt die verschiedenen Phasen, die durchlaufen
werden, bevor solch ein Beirat nachhaltig etabliert ist.
Oft begegnet ein Team von aktiven älteren Bürgern der
Schwierigkeit neue Mitglieder zu finden. Die Checkliste
enthält Hinweise für eine wirkungsvolle Initiative um
die Zahl der aktiven Personen im Team zu erhöhen.
3.7.1 Checkliste für aktive Senioren, die eine Interessensvertretung für Senioren starten
wollen
Seien Sie mutig und riskieren Sie den ersten Schritt!
Suchen Sie nach gleichgesinnten älteren Menschen, die bereit sind sich zu engagieren und gemeinsam, als
Team, etwas erreichen wollen!
Entwickeln Sie eine gemeinsame Strategie für den Beginn der Arbeit, legen Sie konkrete Ziele fest und
erstellen Sie einen Plan!
Finden Sie Räume, die öffentlich zugänglich sind, damit Versammlungen regelmäßig stattfinden können!
Finden Sie entsprechende Möglichkeiten, um Ihre Ansprüche und Forderungen in den Medien zu veröffentlichen
Finden Sie Unterstützer, beteiligen Sie sie! Es ist hilfreich ein Netzwerk von Bündnispartnern zu haben.
Binden Sie die Öffentlichkeit ein, geben Sie Informationen weiter, organisieren Sie Kampagnen, sammeln
Sie Unterschriften für Ihre Forderungen!
Sorgen Sie im Team der Engagierte für eine gute Arbeitsatmosphäre! Delegieren Sie Verantwortung!
Verteilen Sie Aufgaben auf mehrere Schultern!
Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn Schwierigkeiten auftauchen! Erfolgreiches Engagement braucht
Geduld, Toleranz und Beharrlichkeit.
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
31
3.7.2 Eine Schritt-für-Schritt-Strategie für die Gründung einer örtlichen
Seniorenvertretung
1. Phase: Interessen klären
1. Schritt: Initialzündung: die Idee wird geboren, seitens der Politik, der Verwaltung oder der Bürger
2. Schritt: Interessen sondieren: informeller Meinungsaustausch
2. Phase: Initiieren: Start der Partizipation
1. Schritt: Politische Impulse, parlamentarische Zustimmung
2. Schritt: Öffentliche Bekanntmachung, Veranstaltung mit Medienbeteiligung in Gang setzen
3. Schritt: Gründung einer Initiativgruppe „Interessensvertretung von Senioren“
4. Schritt: politischer Konsens, Beschluss der kommunalen Entscheidungsgremien
3. Phase: Erfolgreich etablieren
1. Schritt: Gründung einer Interessensvertretung für Senioren (Zusammensetzung, Wahl)
2. Schritt: Profilierung des Gremiums
3. Schritt: Krise
4. Schritt: Neuorientierung/Stabilisierung
Dieses Entwicklungsmodell beschreibt idealtypisch die
einzelnen Phasen und Schritte bei der Gründung und
Etablierung einer kommunalen Seniorenvertretung.
Es geht dabei davon aus, dass eine solche
Beteiligungsform nicht vorhanden ist. Das Ziel ist, eine
Seniorenvertretung zu gründen, die einen festen Platz
in den politischen Strukturen einer Kommune hat.
Der erste Schritt ist, dass jemand den Impuls zur
Gründung eines solchen Gremiums gibt. Dieser
Impuls kann von Seiten der Politik (Bürgermeister,
Parteien), der Kommunalverwaltung, von Experten
der Altenarbeit oder von Bürgern kommen. Diese
„Initialzündung“ kann durch Initiativen gefördert
werden, die über den Nutzen einer solchen Einrichtung
für die Kommune aufklären.
Danach wird durch informelle Gespräche ausgelotet
und festgestellt, ob das Vorhaben eine Chance hat,
verwirklicht zu werden. Scheitern kann es, wenn
auch nur einer der Beteiligten (Politik, Verwaltung,
Senioren) keinen Bedarf dafür sieht.
Wenn geklärt, dass ein grundsätzliches Interesse an
der Gründung einer Seniorenvertretung besteht,
kann in einer 2. Phase deren Initiierung gestartet
werden. Ein formeller politischer Impuls, etwa durch
einen Beschluss des Stadtrates oder eine Empfehlung
durch einen kommunalen Fachausschuss, gibt der Idee
mehr politisches Gewicht und begünstigt die weiteren
Schritte.
Für die folgenden Schritte gibt es zwei Varianten.
Variante 1, die im Sinne einer breiten Beteiligung der
Öffentlichkeit und der engagementbereiten Bürger
vorzuziehen, ist eine Abfolge der Schritte zwei bis vier
dieses Phase. Durch eine öffentliche Veranstaltung
und über die Medien wird die Bevölkerung von der
Initiative, eine Seniorenvertretung zu gründen,
informiert. Dabei muss die Ernsthaftigkeit dieses
Vorhaben deutlich werden. Dazu kann die Präsenz
örtlicher Persönlichkeiten aus Politik und Verwaltung
und auswärtiger Experten bei einem solchen Ereignis
3
32
3
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
beitragen. Ein Aufruf an Interessierte, sich als
Initiativgruppe zur Gründung einer Seniorenvertretung
zu treffen, um die Idee vorzubringen und um die
weiteren Planungen zu leisten, sollte damit verbunden
werden. Wenn alle Vorarbeiten abgeschlossen sind,
erfolgt die formelle Gründung der Seniorenvertretung
einer Kommune durch einen Beschluss des
Kommunalparlaments.
Bei der Variante 2 werden die Schritte zwei und drei
dieser Phase ausgeklammert. Die Vorbereitung zur
Gründung einer Seniorenvertretung bleibt dann auf
der Ebene der Kommunalverwaltung, die das fertige
Konzept den kommunalen Entscheidungsgremien
vorlegt. Eine Bürgerbeteiligung ist dabei nicht
vorgesehen.
Nun kann die 3. Phase beginnen, die erfolgreiche
Etablierung einer Seniorenvertretung. In einem
ersten Schritt wird sie gegründet. Dabei kann
die Initiativgruppe die Kommunalverwaltung in
vielen Punkten unterstützen, zum Beispiel bei der
Suche von Kandidaten. Für die Wahl der Mitglieder
der Seniorenvertretung gibt es in der Praxis
unterschiedliche Verfahren, die hier in aller Kürze
aufgelistet werden: Urwahl durch alle Angehörigen
der älteren Generation in der Kommune, Direktwahl
im Rahmen einer Seniorenversammlung, Wahl durch
beauftragte Delegierte, Delegation von Organisationen
oder eine direkte Berufung durch die Kommune. Mit
der formellen Konstituierung der Seniorenvertretung
ist die Arbeit der Initiativgruppe beendet.
Die Seniorenvertretung wird sich idealerweise klare
und konkrete Ziele für ihr Engagement setzen und
ihre Aktionen in einem gut strukturierten Zeitplan
festlegen. Sie wird sich als Team entwickeln, in dem die
Aufgaben auf ihre Mitglieder sinnvoll verteilt werden.
Zur guten Teambildung gehört, dass die Mitglieder
der Seniorenvertretung sich in diesem Gremium
wohlfühlen und die Chance haben, eigene Fähigkeiten
und Ideen einzubringen. Dazu verhilft ein offener,
achtsamer und wertschätzender Umgang miteinander.
Für die Anerkennung seitens der Lokalpolitik, der
Kommunalverwaltung und der Senioren ist es sinnvoll,
sich mit eigenen Ideen und Projekten zu profilieren.
Eine effektive und erfolgreiche Arbeit fördert die
Wertschätzung.
Es ist üblich, dass es in Teams und Gruppen
Frustrationen, Krisen und Konflikte gibt. Davon
sind die Seniorenvertretungen nicht ausgeschlossen.
Wichtig ist dabei, die Situation zu reflektieren, die
Probleme genau zu analysieren und gemeinsam
Lösungen zu finden. Oberstes Ziel dabei ist, dass
das Gremium wieder arbeitsfähig wird. Eine offene
und ehrliche Kommunikation der Mitglieder der
Seniorenvertretungen miteinander führt zu guten
Ergebnissen. Eine Unterstützung durch eine externe
Beratung ist sehr hilfreich.
Jede erfolgreich durchlaufene Krise stabilisiert
die Seniorenvertretung. Von Zeit zu Zeit ist es
geboten, selbstkritisch das eigene Engagement zu
reflektieren, ob man die vorgenommenen Ziele
erreicht und ob die formulierten Ziele noch die
richtigen sind. Möglicherweise wird es dabei zu einer
Neuorientierung kommen. Hier bieten sich eine
externe Beratung (Supervision, Coaching) und der
Besuch von Weiterbildungsseminaren an.
(Eine vollkommen überarbeitete Version von: Ilona
Stehr, Seniorenbeiräte in ländlichen Raum, Vlotho
1999, S. 77 - 98)
3 Bürgerschaftliches Engagement von Senioren als Interessenvertretung
33
3.7.3 Wie man neue Mitglieder für ein Team von aktiven Senioren gewinnt – eine Checkliste
Erstellen Sie eine Tätigkeitsbeschreibung des konkreten bürgerschaftlichen Engagements in der
Seniorenvertretung! Beschreiben Sie, welche Aufgaben und Anforderungen von den Mitgliedern in Ihrem
Team erfüllt werden und in welchem gesellschaftlichen und politischen Kontext dies geschieht!
Überlegen Sie genau, wo und wie können Sie am besten neue Engagierte erreichen können, die von
ihren Kompetenzen und Interessen gut für die Interessensvertretung passen! Je genauer Sie konkrete
Zugangswege finden, desto eher vermeiden Sie unnötigen Aufwand. Gibt es beispielsweise Organisationen,
Vereine, Clubs, Treffpunkte, in denen Sie fündig werden können?
Starten Sie eine Strategie, wie Sie neue Freiwillige gewinnen können! Entwickeln Sie dazu eine passende Werbekonzeption! Inhaltlich sollte sie über die Tätigkeit der Interessensvertretung informieren,
beschreiben, welche Aufgaben sie erfüllt und welche Erwartungen an die neuen Freiwilligen geknüpft
werden. Dazu einige Beispiele für Instrumente einer solchen Strategie: Eine persönliche Kontaktaufnahme
ist oft sehr wirkungsvoll. Informieren Sie über die lokalen Medien (Presse, Rundfunk, Fernsehen).
Eine Werbeaktion kann gut mit einer anderen Aktion der Seniorenvertretung kombiniert werden. Die
potentiellen Freiwilligen sollten einen guten und realitätsgetreuen Eindruck von Ihrer Organisation und
deren Engagement erhalten.
Wenn Personen ein ernsthaftes Interesse an einem Engagement als Seniorenvertretung haben, ist es
sinnvoll, mit ihnen ein ausführliches Gespräch zu führen. Dabei sollen deren Motivation, Anliegen,
Fähigkeiten und Vorkenntnisse ebenso geklärt wie Aufgaben und Zeitaufwand, die von den (potenziellen)
neuen Engagierten erwartet werden. Es kann sinnvoll sein, ein Kompetenzprofil von ihnen zu erstellen und
mit dem Anforderungsprofil der zu erfüllenden Aufgaben zu vergleichen.
Der nächste Schritt ist die Integration in das Team. Je nach Struktur der Interessensvertretung wird
der neue Freiwillige in das Team integriert oder in die Liste der Kandidaten für die nächste Wahl zum
Seniorenbeirat aufgenommen. Bei der Mühe, die man sich macht, um neue Freiwillige zu gewinnen,
übersieht man manchmal, dass die Integration der „Neuen“ noch nicht zu Ende ist, wenn sie formell
in die Interessensvertretung aufgenommen worden sind. Sie wollen in die Gemeinschaft des Teams
eingebunden sein. Sie wollen gebraucht werden. Ein offenes und wertschätzendes Miteinander im Team
wirkt dabei ebenso integrierend und motivierend wie klare Informationen über die Gepflogenheiten und
Arbeitsabläufe in der Seniorenvertretung.
Fortbildungen, die ihnen wichtige Informationen, Orientierungen und Fähigkeiten vermitteln, erleichtern
die Integration der neuen Engagierten. Diese können von der Seniorenvertretung selbst oder von einem
externen Bildungsträger durchgeführt werden.
3
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
34
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
Die folgenden Abschnitte beschreiben die Erfahrungen
mit der Interessensvertretung von Senioren in
mehreren west- und osteuropäischen Ländern.
Darunter sind Staaten mit einer längeren Tradition der
bürgerlichen Demokratie und zivilgesellschaftlicher
Strukturen des freiwilligen Engagements älterer
Menschen, aber auch Länder, in denen nach 1989 ein
Systemwechsel stattfand.
4.1 Bulgarien: Schritte zur Implementierung der Anliegen von Senioren in das
politische System
4
Wie auch in den anderen EU-Staaten stellen in
Bulgarien die Senioren die am stärksten wachsende
soziale Gruppe dar. Nach der jüngsten EurostatPrognose wird der Anteil der über 65-Jährigen
21,8% der Gesamtbevölkerung des Landes im
Jahre 2025 und 32,6% im Jahre 2050 erreichen (im
Vergleich zu 17,1% im Jahre 2007). Schlimmer ist
aber die Tatsache, dass der Trend zur Überalterung
mit sinkenden Lebensstandards und Mangel an
Arbeitskräften einhergeht. Die letzten 20 Jahre
waren eine von gravierenden Veränderungen im
politischen, sozioökonomischen und kulturellen Leben
gekennzeichnete Zeit.
2008 wurde die Entwicklung einer staatlichen
Strategie für ältere Menschen und auch eines
nationalen Programms für aktives Älterwerden von
offizieller Seite vorgeschlagen, mit dem Ziel, die
Gesellschaft aller Altersgruppen zu verwirklichen. Das
Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik wurde mit der
Ausarbeitung dieser Dokumente beauftragt.
Erstmals wurden die Ergebnisse einer solchen Strategie
auf einer Sondersitzung des Höchsten Rates der
Bulgarischen Sozialistischen Partei, einer Fraktion der
derzeitigen regierenden Koalition vorgestellt. Diese
Sitzung fand am 1. August 2008 statt und befasste sich
mit den Bedürfnissen der älteren Bevölkerung und der
Vorgehensweise, diesen Bedürfnissen zu begegnen, da
sie als vorrangig betrachtet werden.
Der Sitzung waren fünf in fünf verschiedenen Städten
organisierte Gesprächsrunden vorangegangen. Diese
Meetings sensibilisierten die Beteiligten für die
Probleme der älteren Menschen. Das Ergebnis war
ein von Professor Vladimir Topencharov vorbereitetes
und am 1. August 2008 vorgestelltes Dokument.
Es behandelte eine große Zahl von Themen über
Senioren, unter anderem Wohnverhältnisse, soziale
Integration und Arbeitskräftepotential. Auf der
Grundlage dieses Dokuments stellte der Höchste
Rat der Bulgarischen Sozialistischen Partei mehrere
vorrangige Maßnahmen für die ältere Bevölkerung
vor. Unter Ausschluss der Maßnahmen, die den
Lebensstandard betreffen, sehen sie wie folgt aus:
Ausräumen von Vorbehalten gegenüber älteren
Menschen als Arbeitskräfte. Unterstützen der
Arbeitgeber darin deren Fähigkeiten und
Erfahrung einzusetzen.
Sozialer Ausgrenzung präventiv begegnen.
Verbesserung der Solidarität zwischen den
Generationen durch Bewusstmachen der Belange
älterer Menschen.
Neben dem Beschluss eine staatliche Strategie für
ältere Menschen und auch ein nationales Programm
für aktives Älterwerden zu entwickeln, wurden auf der
Sondersitzung weitere Entscheidungen getroffen:
Vorschlag, den 1. Oktober zum Tag der älteren
Menschen zu machen.
Vorschlag an die Parteiabgeordneten im
Parlament einen als Teil des parlamentarischen
Sozialausschusses funktionierenden Unter-
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
35
ausschuss von Senioren und Rentnern einzurichten
um eine enge Verbindung zwischen Parlament
und Seniorenorganisationen herzustellen.
zugunsten der Senioren achten. Einige der Ziele dieser
Bewegung sind:
Vorschlag an das Ministerium für Arbeit und
Sozialpolitik Kriterien für die Vertretung von
Seniorenorganisationen aufzustellen und jene,
die die Kriterien erfüllen, in den sozialen Dialog
einzubeziehen.
für die Entwicklung einer strukturierten sozialen
Aktivität der Bürger, die sozialistische Ideen
teilen, tätig werden;
Vorschlag an die regionalen und kommunalen
Strukturen der Partei die Zusammenarbeit
mit den lokalen Behörden zu intensivieren um
Maßnahmen für Senioren zu entwickeln und zu
implementieren.
Vorschlag an die, der Sozialistischen Partei
angehörenden Bürgermeister, ihre Arbeit für
Senioren zu intensivieren.
Das in der Partei für die Seniorenthematik
zuständige Komitee soll die Einrichtung einer
Bewegung der Veteranen initiieren.
Die Bewegung der Veteranen soll eine Parteistruktur
- ähnlich der PES – SO (Europäische Sozialistische
Partei – Seniorenorganisation) - haben. Sie soll
auch parteifremden Personen offen sein, die mit
den sozialistischen Ideen sympathisieren, und soll
darüber hinaus auf die Durchführung der Parteipolitik
an der Entwicklung und Durchführung der Politik
der Sozialistischen Partei Bulgariens zugunsten
der Senioren aktiv teilnehmen;
Senioren zur aktiven Mitarbeit in den Strukturen
der Zivilgesellschaft, die am Prozess der sozialen
Integration älterer Menschen und deren
Interessensvertretung beteiligt sind, anzuhalten.
Die Bewegung der Veteranen bietet den bestehenden
Seniorenorganisationen (zumindest denjenigen,
die sozialistische Ideen teilen) die Gelegenheit
effizienter zusammenzuarbeiten, da diese über
wenig Einfluss verfügen. Es ist Teil des Programms der
Bewegung der Veteranen, dass sie eine Internetseite
als Kommunikationsmittel unterhält auch um deren
Werte und Ansichten bekannt zu machen. Es wird
die erste bulgarische Seniorenorganisation im
Netz und vielleicht ein Modellbeispiel für andere
Seniorenorganisationen sein.
4
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
36
4.2 Deutschland: Seniorenbeiräte und neue Formen der Partizipation von Bürgern
an der Politik
„Ich bin froh darüber, dass wir als Landesregierung mit der Seniorenvertretung eine
starke und zuverlässige Partnerin an unserer Seite haben. Solche starken Partner
wünsche ich allen Bürgermeistern und Gemeinderäten in Nordrhein-Westfalen.“
(Armin Laschet, Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes
Nordrhein-Westfalen 2008)
4
Nach neuen wissenschaftlichen Untersuchungen sind
ältere Menschen in einem beachtlichen Ausmaß daran
interessiert sich bürgerschaftlich zu engagieren.
Ihre Bereitschaft dazu ist in Deutschland von 1999 bis
2004 bei der Altersgruppe 60 plus um 4% gestiegen
und hat einen Stand von 30% erreicht, bei den
60- bis 69-jährigen ist sie um 6% gestiegen und hat
einen Stand von 37% erreicht. 57% der Menschen
über 60 Jahren haben ein ausgeprägtes Interesse an
den Entwicklungen in der Politik und im öffentlichen
Leben. Bei nur 42% in der der Vergleichsgruppe,
der Altersgruppe der 14 bis 59-jährigen, ist das ein
bemerkenswertes Ergebnis.
Allgemein ist freilich das bürgerschaftliche
Engagement im politischen Bereich in Deutschland
noch wenig ausgeprägt. Jeder Zweite ist der
Meinung, es gäbe wichtigeres zu tun, als sich um
Politik zu kümmern (Glaab/Kießling 2001, p. 594).
Nur eine Minderheit der Engagierten ist aktiv in der
politischen Interessensvertretung. Dies gilt auch für
die älteren Menschen. Nach der letzten Untersuchung
zum freiwilligen Engagement aus dem Jahre 2004
sind insgesamt 7% der Menschen über 60 Jahre in
Bereichen der Interessensvertretung und in ähnlichen
lokalen Aktivitäten tätig, gegenüber 5% aus der
vorherigen Studie im Jahre 1999. Allerdings wird
wegen der politischen Sozialisation der älteren
Menschen, die geprägt durch den gesellschaftlichen
Aufbruch Ende der 1960er Jahre und wegen des
besseren Bildungsstands dieser Altersgruppe für die
Zukunft eine Zunahme des politischen Engagements
erwartet.
Ein wichtiger Ort des bürgerschaftlichen Engagements
älterer Menschen sind Seniorenvertretungen.
Auf kommunaler Ebene sind sie kein gesetzlich
vorgeschriebenes Gremien der Beteiligung, sondern
freiwillige Einrichtungen zur politischen Interessensvertretung älterer Menschen im vorparlamentarischen
Raum. Sie werden je nach den örtlichen Gegebenheiten
auf unterschiedliche Weise gebildet. Teilweise
werden ihre Mitglieder durch eine Stimmgabe von
den älteren Menschen gewählt, teilweise werden
sie von Organisationen wie den Kirchen, den
Gewerkschaften etc. delegiert, seltener von der
Kommune ernannt. Sie sind unabhängig von Parteien,
Konfessionen, Regierungen und Verbänden. Die
Seniorenvertretungen befassen sich mit allen Themen,
die die älteren Menschen oder mehrere Generationen
betreffen. Sie engagieren sich für mehr Gerechtigkeit
zugunsten dieser Zielgruppen und informieren diese
über Neuerungen in der Altenarbeit und Altenpolitik.
Aktuelle Schwerpunkte sind: Altersdiskriminierung,
Altersversorgung, Armut im Alter, Gesundheit und
Pflege, Zusammenleben der Generationen, freiwilliges
Engagement und Bildung. Die Seniorenvertretungen
kümmern sich zum Beispiel um barrierefreie Zugänge
zu öffentlichen Einrichtungen und Gehsteigen,
um Einkaufsmöglichkeiten, die für die Senioren
erreichbar sind und um attraktive und erschwingliche
kulturelle und soziale Angebote. Die ungefähr 1.200
kommunalen Seniorenvertretungen sind in 16 Landesseniorenvertretungen zusammengeschlossen. Diese
wiederum bilden die Bundesarbeitsgemeinschaft der
Landesseniorenvertretungen (Grymer 2005, S. 324).
Die Seniorenvertretungen haben sich seit der
Gründung der ersten Beiräte in den 1970er Jahren
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
mittlerweile etabliert. „Dennoch ist nicht zu übersehen,
dass viele … (von ihnen) angesichts unzureichender
Rahmenbedingungen und Unterstützung ihre
Wirkmöglichkeiten nicht ausschöpfen können“
(Olk 2008, S. 12). In dem Bericht der EnqueteKommission zum bürgerschaftlichen Engagement wird
vorgeschlagen Seniorenvertretungen flächendeckend
in allen Kommunen und Landkreisen einzuführen
und deren Beteiligungsrechte (Organisationsform,
Zusammensetzung, Aufgaben und Mitwirkungsmögli
chkeiten) klar zu formulieren (Deutscher Bundestag
2002, S. 103).
Neben diesen eher traditionellen Formen des
politischen bürgerschaftlichen Engagements sind ältere
Menschen in Deutschland auch in anderen, teilweise
weniger formellen Strukturen aktiv. Dort bringen sie
in intergenerativen Kontexten die Interessen ihrer
Altersgenossen ein. Zu nennen sind hier Heimbeiräte,
37
Selbsthilfe-Gruppen, sofern sie sich öffentlich
artikulieren, Agenda-Gruppen, Bürgerinitiativen,
Gruppen der Stadtteilentwicklung, Dorferneuerung und
Planungszellen. Eine Planungszelle ist eine Gruppe
von ca. 25 im Zufallsverfahren ausgewählten Bürgern,
die in einem Gruppenprozess Lösungsvorschläge
für ein aktuelles Problem, das die Bewohner einer
Kommune betrifft, erarbeiten. Die Ergebnisse
der Beratungen werden in einem sogenannten
Bürgergutachten zusammengestellt. Agenda-Gruppen
sind Arbeitskreise, die auf kommunaler Ebene die
Impulse von Agenda 21, eines entwicklungs- und
umweltpolitischen Aktionsprogramms der Vereinten
Nationen für das 21. Jahrhundert, in konkrete
kommunale Aktivitäten umsetzen.
Der folgende Beitrag beschreibt die unterschiedlichen
Formen der Beteiligung von älteren Menschen in der
Kommunalpolitik in Deutschland.
Partizipationsformen von Senioren in der Kommunalpolitik
Dr. Klaus Schulenburg, Abteilungsleiter: Soziales, Jugend und Krankenhauswesen, Bayerischer Landkreistag
Betrachtet man das Durchschnittsalter von Gemeindeund Stadträten, sowie von Kreistagen in Deutschland,
könnte man zu der Einschätzung gelangen, dass eine
weitergehende Partizipation von Senioren in der
Kommunalpolitik eigentlich gar nicht notwendig ist.
Immerhin liegen die Werte für das Durchschnittsalter
von Gemeinde- und Stadträten oder Kreistagen nicht
selten über 55 Jahre oder sogar noch deutlich höher,
woraus sich schließen lässt, dass ein nicht unerheblicher
Anteil der ehrenamtlichen Lokalpolitiker 60 Jahre und
älter sein muss. Insofern verwundert es nicht, wenn
gerade Jugendorganisationen von politischen Parteien
eine Vergreisung der Kommunalpolitik bemängeln.
Braucht es also keine Seniorenpartizipation in der
Kommunalpolitik?
Zu einer etwas anderen Einschätzung kommt
man, wenn man sich vor Augen hält, wie lange
viele Kommunalpolitiker im Amt sind. Nicht nur
Bürgermeister und Landräte sind teilweise Dekaden im
Amt, sondern auch ehrenamtliche Mandatsträger. Das
bedeutet, dass die meisten Kommunalpolitiker relativ
jung oder im mittleren Alter ihre kommunalpolitische
Karriere beginnen und dann im Amt alt werden.
Relativ selten sind dagegen Fälle, in denen ältere
Menschen und Senioren in die Kommunalpolitik neu
einsteigen und ein ehrenamtliches Mandat anstreben.
Was bedeutet das für die Repräsentation der
Interessen von Senioren bzw. für die Partizipation
älterer Menschen an der Kommunalpolitik? Es
ist davon auszugehen, dass etablierte und lang
gediente ältere Mandatsträger in der repräsentativen
Kommunalpolitik bereits so assoziiert sind, dass sie
die Interessen der älteren Bürger in der Kommune nur
aus einer bestimmten Perspektive wahrnehmen und in
eine bestimmte Richtung vertreten. Es liegt zumindest
ein gewisser Verdacht an Befangenheit vor.
4
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
38
4
Wie ist es aber nun mit den Partizipationsmöglichkeiten von Senioren in der Kommunalpolitik
bestellt? Sucht man in den Kommunalverfassungen
der Bundesländer nach entsprechenden seniorenspezifischen Regelungen, stellt man schnell
fest, dass es solche so gut wie nicht gibt. Keine
Gemeindeordnung oder Landkreisordnung sieht eine
verpflichtende Einrichtung einer Seniorenvertretung
oder eines Seniorenbeirats vor. Bestimmungen,
wie sie beispielsweise für Ausländerbeiräte oder
Behindertenbeiräte bzw. –beauftragte gibt,
fehlen. Lediglich in der Gemeindeordnung und
Landkreisordnung von Rheinland-Pfalz (§§ 56a bzw.
49a) ist die fakultative Einrichtung eines Beirats für
ältere Menschen vorgesehen.
Somit sind die Senioren hinsichtlich ihrer Partizipationsmöglichkeiten in der Kommunalpolitik auf
diejenigen Wege beschränkt, die auch allen anderen
Bevölkerungsgruppen offen stehen. Sie können
Einwohner- oder Bürgeranträge an die kommunale
Vertretungskörperschaft richten, sich in politischen
Parteien und Wählervereinigungen engagieren und
darüber ggf. ein kommunales Mandat anstreben
oder sich als sachkundige Bürger für eine Mitwirkung
in Fachausschüssen der Vertretungskörperschaft
bewerben. So etabliert und gefestigt diese Partizipationsmöglichkeiten sind, sie leiden alle darunter,
dass sie ungeeignet sind, die Interessen einer
spezifischen Bevölkerungsgruppe wie der Senioren zu
bündeln. Daneben steht es den Kommunen aber auch
frei, im Rahmen ihrer kommunalverfassungsrechtlich
gesicherten Organisationshoheit eigene Gremien zu
schaffen, in denen Senioren ihre Interessen einbringen
können. Es bedarf keiner gesonderten gesetzlichen
Grundlage um Arbeitskreise, runde Tische, Beiräte
usw. einzurichten. Diesen freiwilligen Gremien
fehlen dann aber mangels gesetzlicher Grundlage die
Legitimation sowie die notwendigen gegebenenfalls
auch einklagbaren Rechte (Anhörungsrecht,
Vorschlagsrecht), auf die es in der Politik ankommt. Ihre
Mitwirkungsrechte an der Kommunalpolitik hängen
dann eher zufällig von dem Spielraum ab, der ihnen
durch die Gemeinde bzw. den Landkreis eingeräumt
wird. Dies erklärt die großen Unterschiede zwischen
den bereits bestehenden Seniorenvertretungen und
–beiräten.
Als weitere, wenn auch nicht in allen Bundesländern
durchgängig vorhandene Partizipationsmöglichkeit,
zudem mit starker Überschneidung zum allgemeinen
bürgerschaftlichen Engagement ist der unmittelbare
Kontakt zwischen Bürger und Verwaltung zu
nennen, etwa beim Verfahren des sog. kommunalen
Bürger- bzw. Beteiligungshaushalts oder des
Quartiermanagements. Auch hier können mehr oder
weniger organisierte Bürger gezielt ihre Interessen
einbringen. Insgesamt sind diese Möglichkeiten
jedoch als zu begrenzt einzuschätzen um besondere
Interessenslagen
einer
Bevölkerungsgruppe
durchsetzen zu können.
Trotz dieses ernüchternden Befunds der kommunalve
rfassungsrechtlichen Regelungen bleibt festzuhalten,
dass die Zahl der Seniorenvertretungen und –beiräte
in den Kommunen nahezu täglich wächst. Nach Zahlen
der Seniorenliga e.V. wurden 1986 deutschlandweit
erst 147 Seniorenvertretungen gezählt, 1996 aber
bereits 735. Die letzte Erhebung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesseniorenvertretungen
(BAG LSV) aus dem Jahre 2004 kommt bereits auf
über 1.000 - wohl ganz überwiegend kommunale
– Seniorenvertretungen. Das zeigt die praktische und
empirische Relevanz der Vertretung der Interessen von
Senioren. Dies ist insofern wenig verwunderlich, als
das Thema der demographischen Entwicklung in den
vergangenen fünfzehn Jahren auch die Kommunen
zunehmend beschäftigt. Wanderungsbewegungen,
zurückgehende Geburtenzahlen und zunehmende
Lebenserwartung der Menschen führen zu einer
Überalterung ganzer Gemeinden oder gar
Landstriche. Da aufgrund der erhöhten Mobilität
auch die Familienstrukturen im Wandel befindlich
sind, stellen sich den Kommunen neue oder zumindest
anders geartete Probleme der Integration, Betreuung
und Teilhabe älterer Menschen. Gleichzeitig verfügt
die derzeitige Seniorengeneration über ein einmaliges
psychisches und physisches Potential, das gerade auf
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
örtlicher Ebene für das Gemeinwesen nutzbar gemacht
werden kann. Dies gelingt umso leichter, je eher den
Senioren die Möglichkeit zur Formulierung, Bündelung
und Vertretung ihrer Interessen gegeben wird. Dies
setzt entsprechende Strukturen, Verfahren, ihre
Anerkennung und die Ausstattung mit entsprechenden
Sachmitteln voraus.
Den Pionieren der Seniorenpolitik verlaufen
diese unkoordinierten, freiwilligen Entwicklungen
sicherlich zu langsam; sie streben vielmehr nach
einer gesetzlichen Verpflichtung der Kommunen zu
Einrichtung und Beteiligung von Seniorenvertretungen
oder –beiräten. Mit der strukturellen Verankerung
sollen die Seniorenvertretungen oder –beiräte
gegenüber der etablierten Kommunalpolitik gestärkt
und geschützt werden. Solche von oben gesetzlich
vorgegebenen Strukturen können aber auch leer
laufen, wenn sie von den etablierten Akteuren vor Ort
instrumentalisiert, ausgehebelt oder bekämpft werden.
Viele Gleichstellungsbeauftragte oder Ausländerbeiräte
können von entsprechenden Erfahrungen berichten.
Hinzu kommt die Gefahr, dass mit der Bündelung der
Klientelpolitik Themen auch isoliert und neutralisiert
werden können, ganz nach dem Motto „setzt sich erst
einmal der Beirat mit dem Thema auseinander, sind
alle anderen sowieso dagegen“.
Für die Kommunalpolitik gilt der alte Organisationsgrundsatz „Wo es funktioniert, braucht es
keine Regelung; wo es nicht funktioniert, hilft keine
Regelung!“. Seniorenvertretungen und –beiräte
funktionieren dort besonders gut, wo Themen der
Senioren schon auf der politischen Agenda stehen
und die politische Mehrheit den Beitrag der Senioren
zur Gestaltung des Gemeinwesens anerkennt. Dass so
etwas auch von oben initiiert werden kann, ohne dabei
verbindliche Strukturen vorzugeben, zeigt das Beispiel
des Freistaats Bayern. Dort wurde 2007 die frühere
Pflegebedarfsplanung der Landkreise und kreisfreien
Städte, mit denen der Bedarf an Pflegeheimplätzen
und Pflegedienstkapazitäten festgelegt wurde, zu
einem seniorenpolitischen Gesamtkonzept erweitert.
39
Unter dem seniorenpolitischen Gesamtkonzept ist
eine ganzheitliche Bestandserhebung und Prognose
der Pflegekapazitäten in einer Region unter
Berücksichtigung aller Lebensumstände älterer
Menschen zu verstehen. Dieser außerordentlich
anspruchsvolle planerische Ansatz lässt sich nach den
ersten fachlichen Empfehlungen für die Umsetzung
nur erreichen, wenn einerseits entsprechend fachlichplanerische Kompetenzen vorhanden sind (oder über
entsprechende Institute eingekauft werden) und
andererseits eine enge Abstimmung mit den Bürgern,
insbesondere den älteren Menschen in den Quartieren,
Gemeinden und Stadtteilen vorgenommen wird.
Diese kann am ehesten über kommunalpolitisch
initiierte Einwohner- und Bürgerversammlungen
oder Befragungen in kleinteiligen Strukturen oder
bereits vorhandene Seniorenvertretungen bzw. beiräte erreicht werden. Es steht zu hoffen, dass die
intensive Auseinandersetzung mit der Leitfrage des
seniorenpolitischen Gesamtkonzepts „Wie wollen
ältere Menschen in ihrer Gemeinde leben und was
brauchen sie dazu?“ in die notwendige Einbindung
und Teilhabe von Senioren in die Kommunalpolitik
mündet. Erste Beispiele wie in der Region Coburg,
wo ein Seniorenbeirat gerade diese Fragestellungen
intensiv begleitet, sind schon vorhanden.
Ähnliche Beispiele der politisch-inhaltlichen
Auseinandersetzung mit den Belangen und Interessen
der älteren Menschen lassen sich in Deutschland
sicher zahllose finden. Und dies scheint auch der
richtige Ansatzpunkt und Weg zu sein, um die
Partizipationsmöglichkeiten für Senioren in der
Kommunalpolitik nachhaltig zu verbessern. Die
Partizipation im Sinne der Selbstverwirklichung allein
reicht nicht zur Rechtfertigung einer Teilhabe eines
wenn auch gewichtigen Partikularinteresses an der
Kommunalpolitik. Es muss vielmehr darum gehen, im
Rahmen eines intergenerativen Ansatzes die Interessen
der Senioren in den Prozess des demokratischen
Zusammenwirkens zur Gestaltung des Gemeinwesens
einzubringen.
4
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
40
Engagementbegleitung aktiver Senioren, Erfahrungen eines Landkreises in Deutschland
Im Folgenden werden die Erfahrungen eines
Landkreises in Deutschland bei der Engagementbegleitung aktiver Senioren beschrieben. Diese
Darstellung ist geschrieben von Frau Renate ReyerGellert, die in der öffentlichen Verwaltung dieses
Landkreises für die Sozialplanung zuständig ist:
4
Senioren wollen Möglichkeiten zur Mitbestimmung
und Mitgestaltung ihres eigenen soziokulturellen
Umfeldes. Die Lebensqualität der älteren Menschen
wird durch diese Möglichkeit zur Mitgestaltung und
aktiven Einflussnahme auf ihre eigene Lebenslage
enorm gesteigert.
Insoweit bedarf es der Entwicklung von
Beteiligungsangeboten durch Kommunen und
Verbände; die Altenhilfeplanung hat hierzu die
entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Das
Engagement der Senioren muss einen entsprechenden
Nährboden vorfinden, der eine Berücksichtigung des
Wunsches nach Beteiligung in geeigneter Weise zulässt.
Dazu gehört auch ein stabiles Finanzierungskonzept
der Altenhilfeplanung, in der seniorenpolitische
Beteiligungsmechanismen einen festen Bestandteil der
Finanzplanung darstellen.
Auf kommunaler wie regionaler Ebene ist es ein
Erfordernis nachhaltiger Seniorenplanung die enormen
Kapazitäten älterer Menschen und deren Willen sich
ins politische Gestalten mit einzubringen, konstruktiv
zu nutzen und in geeigneten Beteiligungsformen
wie Bürgerbegehren und Bürgentscheid, durch die
Anregung von Themenforen bzw. durch die Möglichkeit
zur Teilnahme an „Runden Tischen“ aufzugreifen.
Auffallend ist, dass gerade Senioren häufig Aufgeschlossenheit für neue, kreative Beteiligungsstrukturen entwickeln und nicht jede neue Idee allein
unter dem Aspekt der sofortigen Umsetzbarkeit
prüfen. Häufig sind es gerade die Qualitäten des Alters
wie Ruhe, Beharrlichkeit und Beständigkeit, die ein
Projekt dann letztendlich doch zum Laufen bringen.
Seniorenvertretungen bzw. Seniorenbeiräte leisten
alles in allem durch ihre Erfahrung und ihren häufig
sehr komplexen Sachverstand einen erheblichen
Beitrag – auch was die Definition der Bedürfnisse ihrer
eigenen vertretenen Zielgruppe anbelangt.
Nach den Erfahrungen des Landkreises Bad Tölz
begünstigen folgende Faktoren die Entstehung von
Seniorenvertretungen:
Ein vorhandenes Potential an geeigneten Senioren, die sich gesellschaftspolitisch organisieren
möchten.
Die Bereitschaft dieser älteren Menschen, eigene
Kapazitäten für die Belange anderer Älterer
wirkungsvoll einzubringen.
Die Offenheit von kommunalen bzw. regionalen
Entscheidungsträgern für Zusammenarbeit
und Bürgernähe um aktiv auf die Senioren
zuzugehen.
Die Möglichkeit der Etablierung eines Seniorenbeirates auf lokaler bzw. regionaler Ebene, der
durch seine überzeugende Kompetenz von den
politischen Repräsentanten der Kommune bzw.
Region akzeptiert wird und die entsprechenden
Rede- und Antragsrechte erhält.
Die Steigerung der Effektivität der Arbeit „vor Ort“
durch Vernetzung und Anbindung auf Landesebene in
Landes-Seniorenvertretungen.
Durch die paritätische Vertretung von Senioreninitiativen und Senioreneinrichtungen der Kirchen,
Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Kommunen
bietet der Seniorenbeirat eine überparteiliche und
überkonfessionelle Plattform für die Belange von
Senioren.
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
41
4.3 Italien: Beispiele von guter Erfahrung mit der Politik für Senioren auf lokaler Ebene
4.3.1 ein Überblick über das Leben von Senioren
Es sollte beachtet werden, dass es innerhalb der
älteren Bevölkerungsgruppe große Unterschiede gibt.
Das Alter ist nur eine der Variablen, die die soziale
Lage von Senioren definieren, dazu kommen mehrere
andere wie Einkommen, Bildungsstand, beruflicher
Status. Im Allgemeinen widmen Rentner mehr Zeit
für die familienbezogenen Aufgaben, insbesondere
bei der Versorgung von Enkelkindern und Haushalt.
Soziales Engagement von Senioren ist nicht sehr
verbreitet, wenn auch es allmählich zunimmt. Die
Einflussmöglichkeiten von Seniorenorganisationen
werden durch das Vorurteil blockiert, wonach es
unüblich ist, dass ältere Menschen im gesellschaftlichen
Leben präsent sind.
4.3.2 Erfolgreiche Aktionen im bürgerschaftlichen Engagement von Senioren
In der lokalen politischen Wirklichkeit ist die Beobachtung bemerkenswert, dass eine Seniorengruppe
mit kleinen Aktionen manchmal viel mehr erreichen
kann als die beste Vertretungsmacht. Hier ein Beispiel,
das sich in Verona zugetragen hat: Vor einiger Zeit
demonstrierte ein Dutzend älterer Frauen, allesamt
über 70 Jahre alt, mehrere Tage lang um den Erhalt
einer Grünfläche. Sie schlossen sich spontan zu einer
Gruppe zusammen, einige mit einem Rosenkranz in
der Hand, andere mit Wärmflaschen auf den Knien.
Wo erfahrene Politiker gescheitert waren, gewann
diese Gruppe von aktiven Frauen, dank der Medien, die
sofort über ihren Protest berichteten, die Sympathie der
Bevölkerung und zog die Aufmerksamkeit der Politiker
allen Couleurs auf sich. Um die Frauen zufrieden zu
stellen, opferten die Politiker eine von der Regierung
bewilligte Summe von mehreren Millionen Euro, die
ursprünglich für ein Gebäude auf der Grünfläche
bestimmt war. Dieses Beispiel zeugt vom großen
Interesse der Öffentlichkeit an den Senioren, die heute
einen Großteil der Wählerschaft darstellen.
4.3.3 Stadtbezirke und ihre kulturellen Aktivitäten
Die Stadtbezirke spielen für das bürgerschaftliche
Engagement älterer Menschen eine wichtige Rolle.
Die Stadt Verona ist in acht Wahlbezirke unterteilt.
Gemäß der Satzung des Stadtrates stellen die
Stadtbezirke die territoriale Basis der Stadtgemeinde
dar. Sie üben administrative Funktionen aus, planen
und führen Dienstleistungen aus und sind für die
Aufstellung ihrer Büros verantwortlich. Ihre Aufgabe
besteht darin soziale Dienste zu gewährleisten und
kulturelle Aktivitäten zu organisieren. Das Ziel all
dieser Dienstleistungen mit Bezug auf Bildung und
kulturelles Erbe besteht darin, die Lebensqualität der
Stadtviertel für alle Bewohner zu erhöhen.
4
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
42
4.3.4 Fallstudie: Der 6. Stadtbezirk von Verona und sein Engagement für und durch Senioren
4
Am Beispiel des 6. Stadtbezirks von Verona soll
beispielhaft die Zusammenarbeit von Kommunalverwaltung mit aktiven Senioren illustriert werden.
Der Stadtbezirk ist gehalten, auf die Probleme der
älteren Menschen und dabei auch auf die Vielzahl der
auf seinem Gebiet vorhandenen Vereine besonders zu
achten. Denn der Anspruch von Senioren auf soziale
Dienstleistungen ist gestiegen. Eine wachsende Zahl
von Senioren ist bereit sich aktiv für die Lebensqualität
im Viertel einzusetzen. Der 6. Wahlbezirk hat deshalb
einen Arbeitsausschuss gegründet, dessen besondere
Aufgabe darin besteht darauf zu achten, dass die
Lokalpolitik auf die Interessen der älteren Menschen
Rücksicht nimmt. In diesem Ausschuss sind auch
Senioren vertreten. Die Initiativen und Vorschläge, die
diese aktiven älteren Menschen machen, finden breite
Anerkennung und werden zu einem großen Teil von
der Lokalverwaltung umgesetzt.
4.4 Polen: Möglichkeiten der Beteiligung von Senioren am politischen System
4.4.1 Gesellschaftlicher Hintergrund
In Polen stellen die Senioren die am schnellsten
wachsende soziale Gruppe dar, und diese Tendenz
wird sich in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen.
Im öffentlichen Bereich gibt es keine effizienten
Mechanismen, die eine Vertretung der Senioren
möglich machen. Und doch wäre solch eine Vertretung
auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene dringend
erforderlich.
Obwohl sie oft mit höherem Bildungsstand und mit
großen Potenzialen ausgestattet sind, verschaffen sich
die Senioren weder Instrumente noch Möglichkeiten,
ihre Interessen bei den lokalen Regierungsinstanzen
zu vertreten. Polnische Senioren sind nicht aktiv
genug, um auf Kreativität (im Sinne von Beteiligung
am politischen System) ausgerichtete Initiativen ins
Leben zu rufen.
Barrieren, die sie am öffentlichen Tätigwerden
hindern, sind:
Historische: unter dem totalitären Regime erwartete
man eine passive Auffassung vom Leben und belohnte
sie sogar, mit Ausnahme der politischen Aktivität
in der kommunistischen Partei, die überhaupt nicht
beliebt war.
Gewohnheit: Senioren werden üblicherweise als
Sozialhilfeempfänger betrachtet, die keine weiteren
Bedürfnisse und Möglichkeiten haben.
Unkenntnis und Mangel an Informationen in Bezug
auf die Regelungen des polnischen Systems und der
Behörden.
Organisatorische: die Menschen, die als ‘Senioren’
angesprochen werden, sind keine einheitliche soziale
Gruppe.
Kampagnen, vornehmlich zur Förderung der
Interessen der Senioren, werden im Prinzip nicht
durchgeführt. Systematische Anstrengungen müssten
unternommen werden um das öffentliche Image der
Senioren zu verbessern.
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
43
4.4.2 Eine Strategie zur schrittweisen Beteiligung von Senioren am öffentlichen Leben
Unter Berücksichtigung dieser Betrachtungen sollte die
erste Etappe darin bestehen, Senioren auf lokaler wie
auf regionaler Ebene effizient in das gesellschaftliche
Leben zu integrieren. Der nächste Schritt sollte sein,
über die Vorzüge einer Vertretung im öffentlichen
Leben aufzuklären. Nur dann kann der dritte Schritt
anvisiert werden ein Team von aktiven Senioren zu
bilden, das bereit ist als Seniorenvertretung in der
Öffentlichkeit zu agieren. Letzteres sollte Schritt
für Schritt vonstatten gehen, zum Beispiel, indem
Pilotprojekte in lokalen Gemeinschaften initiiert
werden um später die Initiativen wesentlich zu
erweitern.
In Polen ist die Chance für solche Aktivitäten
ziemlich gut, weil die Senioren darunter leiden keine
verlässliche und effiziente Vertretung zu haben, weder
auf nationaler noch auf lokaler und regionaler Ebene.
In einigen Regionen werden Initiativen unternommen,
die dem ersten Schritt entsprechen, und in geringerem
Umfang auch Initiativen des zweiten Schrittes
gemäß dem oben dargestellten Szenario. Manchmal
werden solche Projekte von öffentlich-privaten
Partnerschaften oder besser zwischen öffentlichen und
Nicht-Regierungs-Organisationen durchgeführt. Ein
Beispiel dafür ist der polnische Kooperationsverbund
innerhalb des SEVIR-Projektes, der Polnisch-Deutsche
Verein in Verbindung mit der Regionalen Öffentlichen
Bibliothek von Krakau. Das Gesamtprogramm
„School of @ctive Seniors“ begann 2007 und wird
durchgeführt in Form von mehreren individuellen
Projekten mit unterschiedlichen Themen: ICT, Kultur,
öffentliche Aktivitäten.
Letztendlich sollen die verschiedenen Aktivitäten zur
Bildung regionaler und nationaler Netzwerke von
lokalen Initiativen führen.
4.5 Großbritannien: Erfolge der Seniorenvertretungen und neue Herausforderungen
4.5.1 Hintergrund und Anliegen
Unsere Projektanalyse und die im Rahmen dieses
Projektes gewonnene Erfahrung weisen darauf hin,
dass die formalen und informellen Strukturen im
Hinblick auf die Vertretung der älteren Generation im
öffentlichen Leben in Großbritannien gut ausgebaut
wurden. Gruppen wie Age Concern, Help the Aged
und National Pensioners Convention führen solche
Aufgaben durch, indem sie ältere Menschen zum
Beispiel bei der Gesundheitsberatung oder bei der
Aufklärung in Bezug auf die Sicherheit im Haushalt
unterstützen. Während ihre Arbeit sehr wertvoll
und effizient ist, werden laut einer vor kurzem
durchgeführten EU-Umfrage nur die Rentner in
Lettland, Spanien und auf Zypern noch eher in Armut
fallen als die britischen Ruheständler. Das heißt, wir
haben einerseits eine wohl strukturierte Methode des
Engagements in Bezug auf ältere Menschen und Wege,
damit ältere Menschen sich am politischen System
beteiligen, und andererseits finden wir bezogen auf
das nationale Durchschnittseinkommen eine der
höchsten Altersarmutsraten Europas vor.
In Großbritannien wird Armut meistens so definiert:
arm sind Haushalte, denen weniger als 60%
des Durchschnittseinkommens zur Verfügung
stehen (entsprechend der Haushaltsgröße). Unter
Berücksichtigung der Wohnkosten leben demnach 2,1
Millionen Rentner in Armut, während die Zahl auf 2,5
Millionen steigt, wenn diese Kosten ausgeklammert
bleiben. Darüber hinaus ist es nach Angaben von
Age Concern in Großbritannien offenkundig, dass
die Diskriminierung älterer Menschen weiterhin ein
Problem darstellt. Nach dessen Untersuchungen stellt
das Altsein eine der am häufigsten erlebten Formen
4
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
44
der Diskriminierung dar, dennoch sei dies für die
gängige öffentliche Meinung nicht von Bedeutung.
Das Vorherrschen von Stereotypen gegenüber
Senioren hilft die verschiedenen und häufigen
Erscheinungsformen von Altersdiskriminierung im
Beruf und in der Versorgung mit Gütern, Einrichtungen
und Dienstleistungen quer durch alle Bereiche zu
erklären.
4
Während sich die Armutszahlen bis zur 1980
erfolgten Entkopplung von staatlicher Rente und
Durchschnittseinkommen zurück verfolgen lassen,
veranschaulichen diese Ausführungen auch, dass nicht
alle Missstände korrigiert werden, nur weil man über
Interessensvertreter verfügt.
Einer der möglichen Gründe dafür ist, dass es nicht
so viele Gruppen gibt, die ältere Menschen darin
weiterbilden (oder nur dazu ermutigen), sich selbst
zu vertreten, während in Großbritannien eine große
Zahl von Gruppen bekannt ist, die mit alten Menschen
arbeitet oder sie vertritt. Deswegen glauben wir, dass
es für SEVIR und seine Produkte eine Marktnische
gibt.
Der Standpunkt der älteren Menschen muss
wahrgenommen werden, sei es in Bezug auf
Gesundheit, Bildung, Stadtplanung und -erneuerung,
bei der Reform von Sozialleistungen wie bei der
Familiengesetzgebung. Wie bei allen benachteiligten
Gruppen können gruppenfremde Personen diese
Standpunkte vertreten, doch negiert eine solche
Situation den Sinn, der in der Fähigkeit und Erfüllung
liegt Anwalt seiner selbst zu sein. Selbst wenn wir
zugeben müssen, dass es bestimmte, vom Staat zu
erfüllende Grundvoraussetzungen gibt und es bei
Verhandlungen mit der nationalen Regierung der
Koordination von Anstrengungen bedarf, was oft
mit der Existenz einer professionellen Lobbygruppe
einhergeht, sollten die Senioren so viel Arbeit wie
möglich selbst leisten.
4.5.2 Was erforderlich ist: eine basisorientierte Strategie zur Verbesserung des
bürgerschaftlichen Engagements von Senioren
Dort, wo die englische Seniorenbewegung erfolgreich
war, stützte sie sich auf das Engagement und die
Beteiligung älterer Bürger bei den Kampagnen zur
Verbesserung ihrer Würde, ihres Wohlstandes und
ihrer finanziellen Sicherheit innerhalb einer offeneren
Gesellschaft. Die Erfahrung hat gezeigt, dass dies
durch die Gründung lokaler Gruppen am besten zu
erreichen ist. Diese sind in der Lage alle Senioren in
ihrer Umgebung zu ermutigen sich bei Fragen, die
ihr tägliches Leben betreffen, von der Verfügbarkeit
und den Kosten von häuslicher Pflege und der Höhe
der Gemeindesteuer bis zum Bedarf nach freier Fahrt
im Inland und einer höheren staatlichen Grundrente
einzumischen.
Die Bildung einer Seniorengruppe und die Beteiligung
daran können auch dazu beitragen und sicher
stellen, dass die Bedürfnisse und die Wünsche von
älteren Menschen auf allen Regierungsebenen
wahrgenommen und berücksichtigt werden.
Es stimmt, dass in Großbritannien die Qualität des
Gesundheits- und Pflegesystems für ältere Menschen
genau so umfassend wie überall in Europa ist. Dies
ist erfreulich. Doch herrscht die Sorge, dass dieses auf
Pflege und Gesundheit beschränkte Modell besser zu
einem anderen (früheren) Profil von Senioren passt,
aus einer Zeit, in der die Menschen ein weniger
komplexes Leben führten, in der der Renteneintritt
zu einem festgelegten Zeitpunkt stattfand und in
der die durchschnittliche Lebenserwartung niedriger
war. Heutzutage sind die Senioren gesünder, leben
länger und wollen länger arbeiten. Von Bedeutung
ist die Tatsache, dass sie ihr eigenes Leben und das
ihrer Altersgenossen bestimmen und gestalten wollen.
Hier besteht eine „Marktlücke“ für Projekte wie SEVIR,
und wir hoffen, dass die Mittel für dieses Projekt dazu
dienen in diesem Sinne zu wirken.
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
45
4.6 Schlussfolgerungen aus den länderspezifischen Erfahrungen
Trotz der großen Unterschiede im Status und in der
Bedeutung der Interessensvertretung von Bedürfnissen
älterer Menschen im öffentlichen Leben gibt es zwei
wichtige gemeinsame Erfahrungen:
Die Bedürfnisse älterer Menschen werden
im öffentlichen Leben und von den
Entscheidungsträgern in der Politik mehr oder
weniger nicht genug wahrgenommen. Ihre
Bedürfnisse sind anscheinend weniger relevant
und weniger gewichtig als diejenigen anderer
sozialen Gruppen und Interessenverbände.
Unter diesen Umständen müssen die Senioren
selbst „die Stimme erheben”, um sich für ihre
Belange Gehör zu verschaffen.
Die Strukturen und die Traditionen politischer
Beteiligung älterer Menschen als Interessenvertretung
zugunsten ihrer Altersgenossen sind in den
europäischen Ländern sehr unterschiedlich.
In Polen und Bulgarien finden sich wenige solcher
Strukturen und Traditionen von Seniorenvertretung,
was aktuelle und historische Gründe hat: Die älteren
Menschen sind nicht genügend in die Gesellschaft
integriert. Die kommunistischen Parteien, die
überhaupt nicht beliebt waren, vereinnahmten in der
Vergangenheit die Beteiligung am öffentlichen Leben,
was bis heute nachwirkt.
In Großbritannien und in Deutschland ist das politische
bürgerschaftliche Engagement älterer Menschen, was
Quantität, Qualität und Tradition anbelangt, durchaus
beachtlich. Dennoch ist nur eine Minderheit von
Senioren an solchem Engagement interessiert und
beteiligt sich auch daran.
In Italien gibt es viel versprechende Ansätze über
beratende Ausschüsse in den Stadtbezirken.
Die Erfahrungen des SEVIR-Projekts führen zu
folgenden Schlussfolgerungen:
1. Das bürgerschaftliche Engagement auf politischer
Ebene (im weiten Sinn) ist eine anspruchsvolle
Aufgabe, weil das Image der Politik schlecht
ist („schmutziges Geschäft“) und weil es hier
um den Dialog mit mächtigen Institutionen,
Organisationen und Personen geht.
2. Dieses Engagement auf politischer Ebene ist
sehr wichtig. Diese Aktivität, verstanden als
Interessenvertretung oder Fürsprache (in
einem weiten, nicht-juristischen Sinn), hilft,
vernachlässigte Interessen und Bedürfnisse
bekannt zu machen.
3.
Von einer europäischen Ebene aus kann keine
genaue Struktur für die politische Beteiligung
der Senioren auf lokaler, regionaler oder
nationaler Ebene vorgeschrieben werden.
Die Vorbedingungen und Verhältnisse in
den Mitgliedsstaaten der Europäischen
Union divergieren allzu sehr. Immerhin
kann man Folgendes als gemeinsame
Bedingung fordern: Die aktiven Senioren als
Interessenvertretung ihrer Altersgruppe sollten zu
Entscheidungsprozessen und Schlüsselpersonen,
die mit lokaler Seniorenpolitik zu tun haben,
einen nachhaltigen Zugang haben.
Wo bis heute noch keine Strukturen, Strategien und
Initiativen vorhanden sind, müssen welche geschaffen
werden. Die staatlichen Strukturen, von der nationalen
bis zur lokalen Ebene, sind aufgefordert, Maßnahmen
zu Gunsten älterer Menschen zu entwickeln und
durchzuführen. Neben staatlichen Strukturen und
Programmen sollte es Seniorenorganisationen in der
Zivilgesellschaft geben, deren Aufgabe darin besteht,
die Interessen älterer Menschen im öffentlichen Leben
und bei den politischen Entscheidungsträgern zu
vertreten.
4
4 Erfahrungen in den europäischen Ländern
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4
Ideal ist die Einbeziehung von Seniorenorganisationen
in das politische System, indem ihnen konkrete Wege
und Beteiligungsstrukturen zugestanden werden.
Bildung ist der Schlüssel zur Verbesserung der
Bedingungen der Senioren in Bezug auf das
Erkennen ihrer Belange und Bedürfnisse, und dies auf
mannigfache Weise:
Wo solche Strukturen vorhanden sind, sollten sie
daraufhin geprüft werden, wie effizient sie den
Dialog zwischen den politischen Schlüsselpersonen
und den aktiven Senioren als Interessenvertretung
ermöglichen und inwieweit sie dabei von Nutzen sind,
dass die Bedürfnisse der älteren Generation von den
Repräsentanten des politischen Systems respektiert
werden.
1. um das Bewusstsein für die Möglichkeiten und
die Vorzüge solcher politischen Beteiligung von
Senioren zu stärken,
2.
um die aktiven Senioren für solches
staatsbürgerliches Engagement vorzubereiten,
3. und um die politischen Strukturen und deren
Vertreter zu befähigen, vertrauensvoll mit diesen
aktiven Senioren zusammenzuarbeiten.
5 Hinweise und Anregungen für die Partizipation älterer Menschen in Europa
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5 Hinweise und Anregungen für die Entwicklung der politischen Partizipation älterer Menschen in Europa als Interessensvertretung für ihre Altersgruppe
Die folgenden Überlegungen sind Hinweise und
Anregungen, wie die politische Partizipation
älterer Menschen als Interessensvertretung für ihre
Altersgruppe in den europäischen Ländern erfolgreich
gestartet, intensiviert und etabliert werden kann.
Auch wenn das bürgerschaftliche Engagement älterer
Menschen in hohem Maße von länderspezifischen
Besonderheiten abhängt, gibt es bestimmte
Grundvoraussetzungen, die notwendig sind, damit sich
ein solcher Einsatz entfalten kann.
Die politische Partizipation älterer Menschen ist
gesellschaftlich und politisch als eine spezifische
und wichtige Form des freiwilligen Engagements
älterer Menschen anzuerkennen, zu würdigen und
zu fördern. Denn dieser Einsatz hat eine bedeutsame
gesamtgesellschaftliche Funktion. Er trägt dazu bei,
die manchmal von den staatlichen Organen und von
den gesellschaftlichen Großorganisationen zu wenig
beachteten, hintan gestellten oder vernachlässigten
Interessen und Bedürfnisse der älteren Generation
bekannter zu machen und den Dialog zwischen den
Generationen zu fördern.
Es macht Sinn ein solches Engagement in der
unmittelbaren Lebensumwelt der älteren Menschen zu
starten, in deren kommunalem Umfeld. Dabei ist es
erforderlich, dass die aktiven Senioren einen Freiraum
haben, in dem sie sich innerhalb der Kommune
politisch beteiligen können. Dieser Freiraum sollte
ihnen die Möglichkeit geben die eigenen Belange und
Ideen zu vertreten und ihnen Nachdruck zu verleihen.
„Freiraum für politische Beteiligung“ bedeutet, dass die
Beteiligung von Senioren an politischen Strukturen und
Prozessen von den politischen Entscheidungsträgern
wirklich gewollt wird. Aktive ältere Menschen
müssen echte Teilnahmerechte haben. Sie sollten
über konkrete, stabile und dauerhafte Strukturen
verfügen um die Interessen von Senioren in den
politischen Diskurs und in den Entscheidungsprozess
einzubringen. Dies ist sowohl durch Informations-,
Eingabe- und Rederechte als auch durch Mitgliedschaft
in örtlichen Gremien und Ausschüssen möglich. Eine
bloß symbolische Beteiligung wird dagegen schnell die
Engagementbereitschaft der aktiven Senioren mindern
bzw. ganz erlahmen lassen.
Hier haben wir einen kritischen und schwierigen
Punkt erreicht. Die Strategie der Integration von
Seniorenvertretung in die politischen Strukturen
bedeutet, dass sich die Politik gegenüber
der Gesellschaft öffnet und dass politische
Entscheidungsprozesse transparenter, mitunter auch
komplizierter werden. Das macht das Regieren
oft nicht einfach. Aber eine echte Demokratie lebt
vom Aushandeln unterschiedlicher Interessen und
Positionen.
Solch eine Öffnung der Politik gegenüber der
Gesellschaft hilft Politikverdrossenheit zu überwinden
und stimmt mit den Initiativen der Europäischen
Union überein. Der Reformvertrag der EU definiert
den zivilen Dialog als politische Aufgabe. Er soll die
Beteiligung der Bürger stärken. Die Institutionen der
EU und ihre Mitglieder haben offenen, transparenten
und regelmäßigen Meinungsaustausch mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen vereinbart. Der
Dialog kann „top down“, das bedeutet von oben nach
unten erfolgen, wenn die Regierungen die Senioren
zu einem Dialog einladen oder von der Basis nach
oben „bottom up“, wenn Organisationen das Recht
auf politische Teilnahme fordern, zum Beispiel wenn
Seniorenorganisationen das Recht auf Einbeziehung
in politische Bereiche, die ältere Menschen betreffen,
verlangen.
Den lokalen Behörden werden sich bei diesem
Öffnungsprozess teilweise neuen Aufgaben stellen,
5
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5
5 Hinweise und Anregungen für die Partizipation älterer Menschen in Europa
die nicht immer ihrem bisherigen Selbstverständnis
als Instanz der staatlichen Obrigkeit entsprechen. Sie
werden zum Partner der Bürger und in diesem Sinne
sowohl öffentliche Diskussionen initiieren als auch
für Selbsthilfe und Teilnahme werben. Ideal wäre es,
wenn eine solche Strategie der bürgernahen Öffnung
einer Kommune mit den Ansprüchen älterer Menschen
übereinstimmt. Als Beispiel sei auf die Initiative von
Rheine, einer deutschen Gemeinde verwiesen. Dort
wurde eine Arbeitsgruppe „Stadtplanung im Einklang
mit den Anforderungen von Senioren“ gegründet.
Mitglieder der Kommunalverwaltung und des
Seniorenbeirats haben zusammen das Modell einer
Stadt entwickelt, das den Anforderungen der älteren
Menschen entspricht.
Die finanzielle Investition nationaler oder lokaler
Institutionen in aktive Bürgerschaft lohnt sich, nicht nur
wegen des sozialen Gewinns sondern auch wegen des
wirtschaftlichen Mehrwerts. Erfahrungen zeigen, dass
es sinnvoll ist in das bürgerschaftliche Engagement
älterer Menschen zu investieren, weil die Kommunen
davon in erheblichem Maße profitieren. Nach der
Einschätzung der Bayerischen Staatsregierung erzielt
ein eingesetzter Euro einen Gewinn von ungefähr
sieben Euro. Für die Regierungen lohnt es sich also,
in das bürgerschaftliche Engagement von Senioren zu
investieren.
Aktive Bürgerschaft sollte aber nicht als billige
Alternative zu sozialen Diensten oder als
Einsparmöglichkeit bei den professionell organisierten
sozialen Diensten oder als Entlastung der Regierung in
Zeiten knapper Haushalte missbraucht werden.
Ehrenamtliches Engagement besitzt nämlich eine
eigene, unverkennbare Qualität und diese ist
unbezahlbar. Alois Glück, der frühere Präsident des
Bayerischen Landtags, spricht diesen Aspekt und die
Aufgabe der Regierung an: „Aktive Bürgerschaft
versteht sich als Hauptstütze für die örtlichen
Gemeinden und als allgemeines und soziopolitisches
Gesamtkonzept. Ohne bürgerschaftliches Engagement
ist ein lebensfähiger und nachhaltiger Wohlfahrtsstaat
nicht möglich… Das ist der Grund, warum der
freiwillige Einsatz und deren Erfordernisse genau
so gefördert sein müssen wie Bildung, Forschung,
Wirtschaft und Technik“ (Glück 2004, S. 332). Diese
Förderung darf nicht zu Lasten anderer sozialen
Leistungen gehen. Das bürgerschaftliche Engagement
von Senioren darf und will nicht Lückenbüßer für
schlecht funktionierende nationale oder lokale
Dienstleistungen sein.
Wie in vielen anderen Freiwilligenorganisationen fehlt
es auch bei Seniorenvertretungen an ehrenamtlichen
Mitarbeitern. Dennoch zeigen Untersuchungen,
dass es ein großes Potenzial an bürgerschaftlichem
Engagement älterer Menschen gibt, das abgerufen
werden muss und kann. Nach den Erfahrungen des
Projekts SEVIR gibt es folgende Zugangswege zu
einem solchen Einsatz:
Menschen, die nicht mehr berufstätig sind, sind
bereit ihre Kenntnisse und ihre Lebenserfahrung
mit der Gesellschaft zu teilen. Sie suchen
nach geeigneten Betätigungsfeldern, wie zum
Beispiel in den Seniorenvertretungen, um an
der Entwicklung ihrer Kommunen mitzuwirken.
Menschen, die ihr Leben lang aktiv waren, sind
tendenziell eher dazu bereit es auch in der dritten
Lebensphase zu sein.
Die Motivation älterer Menschen sich zu engagieren ist selten völlig selbstlos. Sie möchten
ihre Lebensqualität durch Kontakte mit anderen
Menschen verbessern und dabei vermeiden
zu vereinsamen. Da Seniorenvertretungen in
der Regel aus mehreren Personen bestehen,
ergibt sich dadurch ein Miteinander mit
Gleichgesinnten.
Das bürgerschaftliche Engagement bietet für ältere
Menschen eine Chance ihr Selbstvertrauen zu
stärken. Sie lernen, dass sie konkrete Ergebnisse
erreichen können um die Lebensqualität
(nicht nur) älterer Menschen zu verbessern.
Das Bewusstsein, mehr Selbstvertrauen durch
seinen Einsatz zu gewinnen, verstärkt die
Engagementbereitschaft.
5 Hinweise und Anregungen für die Partizipation älterer Menschen in Europa
Für zahlreiche Senioren ist die Teilnahme an
Fortbildungen eine Möglichkeit, den kleinen
Familien- und Freundeskreis zu verlassen und
in die Lebensbedingungen ihrer Kommune
einbezogen zu werden, was zu Interesse an
Seniorenvertretungen führen kann.
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Die folgende Checkliste fasst nach den Erfahrungen
des Projekts SEVIR Faktoren zusammen, die zur
erfolgreichen Entwicklung von Initiativen für das
bürgerschaftliche Engagement älterer Menschen als
Interessensvertretung ihrer Altersgenossen beitragen:
Erfolgsfaktoren der politischen Partizipation älterer Menschen
Eine Kultur und Tradition von zivilem Engagement, die an einer signifikanten Zahl von Aktivitäten und
Organisationen freiwilligen Engagements deutlich wird.
Ein Klima, das die Erfahrungen und Kompetenzen älterer Menschen respektiert und anerkennt.
Ein Potenzial von älteren Menschen, die bereit sind, aktiv ihre Interessen zu vertreten.
Eine Gruppe älterer Menschen, die in der Lage sind eine Schlüsselrolle als Moderatoren, Initiatoren,
Koordinatoren und Sprecher zu spielen.
Die Bereitschaft älterer Menschen ihre Kompetenzen und Kenntnisse zu Gunsten ihrer Altersgenossen in das
öffentliche Leben, vor allem in die politischen Diskussionsprozesse einzubringen.
Die Bereitschaft lokaler und regionaler Entscheidungsträger mit aktiven Senioren zusammen zu arbeiten. Es
ist wichtig älteren Menschen echte Teilnahme und Raum für ihre Kreativität zu gewähren. Wenn das nicht
der Fall ist, werden Enttäuschung und Frustration überhandnehmen.
Die Bereitschaft von politisch Verantwortlichen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene einen
Freiraum der Partizipation für die Interessensvertretung von Senioren zu schaffen und ihnen konkrete und
nachhaltige Mitwirkungsrechte zu gewähren.
Die Bereitschaft von politisch Verantwortlichen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene die
Seniorenvertretungen durch eine angemessene Infrastruktur zu unterstützen. Im Idealfall gehört dazu eine
Ausstattung dieses Gremiums durch finanzielle Mittel und durch ein hauptamtliches Personal, das für die
Engagementbegleitung zuständig ist. Das kann eine Fachabteilung der Ortsverwaltung oder eine externe
Agentur übernehmen. Aufgaben dieser professionellen Supervision sind: Beraten von Seniorenvertretern,
administrative Unterstützung und Weiterbildung von aktiven Senioren
Der demografische Wandel ist für ganz Europa eine
Herausforderung und eine Chance zugleich und
betrifft alle europäischen Länder. Es ist sehr nützlich
das bürgerschaftliche Engagement von Senioren
systematisch in die europäischen, nationalen,
regionalen und lokalen Strategien zu integrieren,
die entwickelt werden um sich diesem Megatrend zu
stellen. Die europäische Gesellschaft profitiert dabei in
einer doppelten Weise von den Senioren: Die politisch
aktiven älteren Menschen sind Seismographen für
die Identifizierung der Bedürfnisse und Wünsche
der älteren Generationen. Die an bürgerlichem
Engagement interessierten und darin aktiven
Senioren bringen ihre Ideen, ihre Erfahrungen und ihr
Können in Projekte ein die der Lebensqualität und der
Verbesserung des sozialen Zusammenhaltes dienen.
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6 Literatur
50
6 Literatur
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unpublished relation during a conference at Verona Oct 2008.
6
7 Adressen
52
7. Adressen
7.1 Projektpartner
kifas GmbH, Institut der Katholischen ArbeitnehmerBewegung (KAB) für Fortbildung und angewandte
Sozialethik, Waldmünchen, Deutschland, Koordinator
Kontaktperson: Bernhard Eder
Hofgartenstr. 2, D-93449 Waldmünchen
Phone: +49 99 72 94 14 85
E-mail: [email protected]
www. kifas.org
Abteilung für Weiterbildung, Lancaster University,
Großbritannien
Kontaktperson: Rory Daly
Ash House Lancaster LA1 4YT, United Kingdom
Phone: +44 15 24 59 26 22
E-mail: [email protected]
www.lancs.ac.uk/depts/conted/
7
Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesseniorenvertretungen Berlin e.V., Deutschland
Kontaktperson: Helga Walter
Salvador-Allende-Str. 91, D-12559 Berlin
Phone: +49 3092120450
E-mail: [email protected]
www.bag-lsv.de
Integra Organisation, Sofia, Bulgarien
Kontaktperson: Aneta Moyanova
P.O.Box: 1461, Sofia 1000, Bulgaria
Phone: +359 2 952 639 6
E-mail: [email protected]
www.integra.bg
ISIS (Institut für soziale Infrastruktur), Frankfurt/Main,
Deutschland
Kontaktperson: Karl Mingot
Kasseler Straße 1a, D-60486 Frankfurt am Main
Phone: +49 69 26 48 65 21
E-mail: [email protected]
www.isis-sozialforschung.de
Polnisch-deutsche Vereinigung, Krakau, Polen
Kontaktperson: Jerzi Jedlinski,
ul. Skałeczna 2, PL-31-065 Kraków
Phone: +48 793 07 01 56
E-mail: [email protected]
www.tpnk.org.pl
Polo Europeo (Netzwerk von Schulen), Verona, Italien
Netzwerk von Schulen
Kontaktperson: Stefano Cobello
c/o Scuola Media Statale „A. Manzoni“, Via Velino
20, I-37136 Verona
Phone: +39 34 82 68 18 98
E-mail: [email protected]
www.europole.netfirms.com
Öffentliche Regionalbibliothek, Krakau, Polen
Kontaktperson: Olga Kalinska
ul. Rajska 1, Pl-31-124 Kraków
Phone: +48 12 632 2 098
E-mail: [email protected]
www.wbp.krakow.pl
SVEB, Schweizerischer Verband für Weiterbildung,
Zürich, Schweiz
Kontaktperson: Ruth Jermann
Oerlikonerstr. 38, CH-8057 Zurich
Phone: +41 443 11 64 55
E-mail: [email protected]
www.alice.ch
7 Adressen
53
7.2 Wichtige europäische Institutionen in den Bereichen Lebenslanges Lernen, freiwilliges
Engagement und aktives Altern
AGE, the European Older People’s Platform
Die Europäische Plattform älterer Menschen hat das
Ziel, die Interessen der Senioren in der Europäischen
Union zu vertreten und die Öffentlichkeit für die
Anliegen zu sensibilisieren, die den älteren Menschen
besonders am Herzen liegen.
Rue Froissart 111, B-1040 Bruxelles
Phone: +32 2 280 14 70
E-mail: [email protected]
www.age-platform.org
Centre for European Policy Studies
CEPS, 1 Place du Congrès, B-1000 Brussels
Phone: +32 2 229 3911
E-mail: [email protected]
www.ceps.be
EURAG, the European Federation of Older Persons
Kontakt: Jaap van der Spek, Generalsekretär
Prinsenhof 6
NL-6666 CB Heteren
Phone: +31 264 72 35 88
E-mail:[email protected]
www.eurageurope.org
EAEA, European Association for the Education of Adults
Rue de la Concorde 60, B-1050 Brussels
Phone: +32 2 513 52 05
E-mail: [email protected]
www.eaea.org
European Commission - Directorate General
Education and Culture
BERL 10/38; Rue de la Loi 200; B-1049
http://ec.europa.eu/dgs/education_culture/
index_en.html
European Parliament Intergroup on Ageing
Die fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe zum
Thema „Altern“ ist eine formell eingerichtete
fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe des
Europaparlaments und bietet ein Forum für
Diskussionen und Aktionen für Abgeordnete
des Europaparlaments, die an Themen und
Politikbereichen interessiert sind, die die älteren
Menschen betreffen.
Kontakt: Mihael Brejc
[email protected]
European Parliament - News headlines on social
affairs (interessante Neuigkeiten auch über das aktive
Altern und die Förderung des freiwilligen Engagemen
ts)www.europarl.europa.eu/news/public/documents_
par_theme/908/default_en.htm
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7 Adressen
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7.3 Interessante andere Projekte im Bereich von Erwachsenenbildung und aktives Altern
DARE - Democracy and Human Rights Education in
Adult Learning
Das europaweite Netzwerk von Nicht-RegierungsOrganisationen, die sich der Profilierung der
Bildung für demokratische Bürgerschaft und der
Menschenrechts-Bildung widmen, fördert die kulturund länderübergreifende Zusammenarbeit und will
dadurch die Qualität der Bildungsarbeit in diesen
Bereichen verbessern.
Kontakt: Deyana Kurchieva, DARE network
assistant, c/o Partners Bulgaria Foundation
2A, Yakubitsa Str. fl.3, apt.13, BG-1164 Sofia
Phone: 0359 2 962 31 74
E-mail: [email protected]
www.dare-network.eu
7
HealthPROelderly
In the project health promotion activities for older In
dem Projekt werden gesundheitsfördernde Aktivitäten
untersucht. Eine Datenbank mit guten Beispielen ist
verfügbar. Anregungen für gesundheitsfördernde
Aktivitäten für ältere Menschen werden entwickelt.
Kontakt: Charlotte Strümpel, Austrian Red Cross,
Wiedner Hauptstr. 32, A-1041 Vienna
Phone: +43 1 58 90 01 28
E-mail: [email protected]
www.healthyproelderly.com
Isolation to Inclusion
Das Projekt hatte seinen Schwerpunkt auf der
Identifikation und die Verbesserung von Maßnahmen
zugunsten besonders benachteiligter älterer
Menschen (Arme, Migranten, chronisch Kranke etc.).
Diese sollen die Chance bekommen, umfassend am
Gemeinschaftsleben zu partizipieren. Ein besonderes
Augenmerk wurde darauf gelegt, Initiativen von
Senioren für ältere Menschen zu stärken und
Netzwerke solcher Initiativen zu unterstützen.
Kontakt: Stephan Würz, Hessische Staatskanzlei
Wiesbaden
Landesehrenamtsagentur Hessen, Otto-FleckSchneise 4, D-60528 Frankfurt am Main
Phone: +49 69 678 94 26
E-Mail: [email protected]
www.i2i-project.net
Learnship, Strengthening Participative Democracy
through Collaborative Learning
Das Projekt trägt dazu bei, dem Anliegen einer
partizipativen Demokratie auf lokaler und regionaler
Ebene mehr Gewicht zu verleihen.
Kontakt: Fritid og Samfund, Steffen Hartje, Skt.
Nicolaus Gade 2, DK-8000 Århus C
Phone: +45 86 18 26 27
E-mail: [email protected]
www.learnship.eu
SenEmpower
TDas Projekt bietet Bildungsangebote für
Selbsthilfegruppen von Senioren und für
Freiwilligeninitiativen. Ältere Menschen verbessern
ihre Fähigkeiten, eine bedeutendere Rolle in der
Gesellschaft einzunehmen.
Kontakt: Karin Stiehr, ISIS Institut für Soziale
Infrastruktur, Kasseler Straße 1a, D-60486
Frankfurt am Main
Phone: +49 69 264 86 50
Email: [email protected]
www.senempower.eu
Impressum
Herausgeber
Kifas gemeinnützige GmbH
Als Koordinator der
Europäischen Projektpartnerschaft SEVIR
Hofgartenstraße 2
93449 Waldmünchen/Deutschland
Tel.: 0 99 72 94 14 60
Fax: 0 99 72 94 14 65
E-Mail: [email protected]
www.kifas.org
Umschlaggestaltung: Chilipaper GmbH, Cham
Layout und Satz: bluefish international trading Ltd &
Co. KG, Tirschenreuth
Druck: Frick Digitaldruck, Krumbach
November 2008
Das Projekt SEVIR und die Herausgabe dieses
Handbuchs wurde gefördert durch die Europäische
Kommission, Programm Sokrates/Grundtvig.
Projekt-Nummer:
229992-CP-1_2006-1-DE-Grundtvig-G1
Verantwortlich für den Inhalt des Handbuchs ist
ausschließlich der Herausgeber. Die Inhalte müssen
nicht die Meinung der Europäischen Kommission
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