Autismus im DSM-5 SVEN BÖLTE PhD, Professor of Child & Adolescent Psychiatric Science Director of Karolinska Institutet Center of Neurodevelopmental Disorders (>KIND<) CAP Research Center SE-17176 Stockholm www.ki.se/kind [email protected] Inhalte Kanner/Asperger Aktuelle Diagnostik im Ursachenmodell Prävalenz/Anzahl Diagnosen & Erklärungen Theoretische Konzepte von Autismus als Phänomen Begriffe in der Klinik/Forschung DSM-IV-TR & ICD-10 Probleme des DSM-IV-TR / Warum DSM-5? Der Weg zum DSM-5 Prinzipien des DSM-5 Neue Metastruktur mit „Neurodevelopmental Disorders“ Autismus im DSM-5 Kritik, Ausblick ICF? ICD-11 Leo Kanner *1896 – +1981 1943 Autistic Disorders of Affective Contact „Entwicklungspsychologisch“ Hans Asperger *1906 – +1980 1944 (1943) Die autistischen Psychopathen im Kindesalter “Pädagogisch” Ursachenmodell (idiopathische Fälle) Erblichkeit ~ 90% (?), komplexer genetischer Hintergrund (~Disposition) ~GABA, Glutamat, ~Neurexin, Neuroligin, SHANK3 etc Umweltfaktoren “Second Hits”, “Trigger” (Epigenetik, Gen X Umwelt) Neuronale (Hypo-/Hyper-)Konnektiviät, neurale Architektur [Macrocephalus, strukturelle/funktionelle Bildgebung] Kognitive/emotionale Veränderungen [SozK, EF, SZK] Psychopathologie (~Klinisches Bild) Diagnose (Bougeron et al., 2009; Pardo & Eberhart, 2007; Hill & Frith, 2003) Anzahl registrierter kinderpsychiatrischer Diagnosen in Schweden (Quelle: ”Socialstyrelsen”) 2012 = 2,6% in der Region Stockholm (2 Million) Stationäre psychiatrische Diagnosen in Deutschland Diagnose Tiefgr. Entw.-Stör. <15 J >15 J 2000 1283 248 424 2005 1540 341 464 Odds R 1.2* 1.5* 1.07 ns Bipolar ADHD Depression 13393 3784 71667 18459 6.115 976993 1.38* 1.61* 1.36* ALLE 916968 1046365 1.14* Bevölkerung (Mio.) 82.259 82.437 Quelle: Statistisches Bundesamt Diagnoskriterien & Prävalenz Kanner DSM-III ICD-10 DSM-IV Stabile Diagnosedefinition & Prävalenz FOMBONNE et al. (1997) Typ neuer Fälle in den letzten 10 Jahren ”Umdiagnostizierte” Hochfunktionale ASD ”Echter Anstieg”: Steigendes Alter der Eltern Wie ist derzeit eine psychiatrische Diagnose definiert (im DSM/in der ICD)? Als evidenzbasierte, prototypische, operationalisierte Verhaltensbeschreibung für Kliniker (keine validen Biomarker verfügbar) Als “Störung” von psychischen Funktionen (nicht „Krankheit“, lässt Begriff “Zustand” zu) Als Funktionsminderung im Alltag/persönliche Leid/Gefahr Als Normverletzung (persönlich, sozial, legal) Nicht zwingend durch die Notwendigkeit für Behandlung (& umgekehrt) Als (psychologisches) Konstrukt ki.se/kind Psychologisches Konstrukt Autismus-Spektrum-Störung („latent“, unsichtbar, nicht direkt messbar, Grundphänomen) Symptome („manifest“, sichtbar, messbar, Ausdruck) ki.se/kind Und warum Diagnosen? Effektive Kommunikation zwischen Experten Forschung! Standardisierung (Vergleichbarkeit) Transparenz/rechtliche Aspekte Effizienz von Verwaltung/Administration/ Dokumentation/Statistiken ……....Nachteile ki.se/kind 2015 5/2013 Trias (REZIPROKE) SOZIALE INTERAKTION (REZIPROKE) KOMMUNIKATION (verbal / nonverbal) STEREOTYPIEN, MANIERISMEN, SPEZIALINTERESSEN AUTISMUS Trias positiv & abnorme Entwicklung < 36 Lm. ASPERGER - SYNDROM Positive Trias, keine Verzögerung der Sprachentwicklung [motorische Probleme, normale kognitive Entwicklung > fakultativ] ATYPISCHER AUTISMUS / PDD-NOS Soziale Probleme plus eine weitere Triasdomäne, späterer Beginn wird toleriert Komorbidität [Simonoff et al., 2008, JAACAP] + Epilepsie, Intelligenzminderung etc Begriffe in der Klinik/Forschung Idiopathisch, syndromal High-Functioning, Low-Functioning Regressiver Breiter/erweiterter Phänotyp Neurodiversität 2013, 18-22/5 166th APA Konferenz San Francisco Probleme des DSM-IV-TR Mangel an klaren Unterschieden zwischen Diagnosen Zu viele, zu ähnliche, zu homogene Diagnosen (z.B. Autismus, Asperger-Syndrom) Zu geringe Beachtung von Schweregrad und Funktion Zu technisch, zu wenig klinische Realität (keine „Spektren“) Willkürliche Trennung Kinder- und Erwachsenendiagnosen Hohe Komorbidität in der Klinik, aber Exklusionskriterien (t ex Autismus & ADHD) Ziele des DSM-5? Integration neuer wissenschaftlicher und klinischer Evidenz seit 1994 Bessere Balans zwischen wissenschaftl. und klinischen Aspekten [höhere klinische Praktikabilität] Lebenszeitperspektive & neue Organisation der Diagnosen Größere Berücksichtigung von Dimensionalität & Funktion Harmonisierung mit der ICD-11 Entfernen ”überflüssiger” Diagnosen Keine unnötigen Veränderungen Beibehalten behavioraler Diagnosen/keine Biomarker ”Do no harm!” Methode Lebendiges Arbeitsdokument (damals und in Zukunft; 5.1, 5.2) 13 Arbeitsgruppen für Metakategorien 6 Studiengruppen für Geschlecht, Kultur, Somatik etc. WHO ICD-11 mental disorder advisory group 300 externe Ratgeber Feldstudien Reviews durch 5 verschiedene Komitees Ein paar übergreifende Neuigkeiten im DSM-5 Multiaxiales System Achse I-V wird entfernt Stattdessen ”Specifiers” & WHO Disability Assessment Schedule (ICF) statt GAF/CGAS Neue Diagnosen, entfernte Diagnosen Kodierungen: DSM-IV, ICD-9/ICD-10 Kein –NOS mehr, dafür „spezifiziert“ & „nicht spezifiziert“ [jedoch innerhalb einer Hauptkategorie] Multiple Diagnosen „erwünscht“, mit spezifizierter Hauptdiagnose Im Manual: für jede Diagnose Diagnostische Kriterien (Specifiers, klinische Beschreibung) Assoziierte Charakteristika, welche die Diagnose unterstreichen Prävalenz Entwicklung und Verlauf Risiken und Prognose Kulturelle Aspekte Geschlechtsspezifische Aspekte Funktionale Konsequenzen Differenzialdiagnose Komorbidität DSM-5 Metastruktur AUTISMUS IM DSM-5 Nur noch eine Diagnose = “Autism spectrum disorder” (ASD) “Entfernt” werden: Autismus, atypischer Autismus, Asperger-Syndrom, PDD-NOS [ASD entspricht im Wesentlichen Autismus & Asperger-syndrom, und gut etablierte alte Diagnosen sollen weiterhin gelten, bzw in ASD übergehen, nicht aber neue und unsichere Diagnosen] AUTISMUS IM DSM-5 2 Domänen (statt Trias) Soziale Interaktion und Kommunikation werden integriert zu “Soziale-Kommunikation”(SK) Für ASD müssen SK und Domäne Stereotypien/Rituale erfüllt werden [Kriterien A & B] [Sensorische Störungen (hypo-/hyper-) werden als neuer Indikator für ASD in Domäne Stereotypien/Rituale berücksichtigt] Schweregrad-/Funktionsniveau für beide Domänen soll spezifiziert werden (3 Stufen) AUTISMUS IM DSM-5 Kriterium C Beginn während der (neurologischen) Entwicklung, typischerweise frühe Kindheit, aber evtl später (Probleme werden ggf. erst später manifest, oder werden teilweise kompensiert bei Erwachsenen, z.B. Stereotypien) Kriterium D Bedeutsame Funktionsbeeinträchtigungen im Alltag/der Lebensführung Weitere ASD “Specifiers” …..SOLLEN VERWENDET WERDEN Mit/ohne Intelligenzminderung Mit/ohne Sprachstörung Mit/ohne bekannter genetischer/ medizinischer Erkrankung ODER bekanntem Umweltfaktor Komorbidität mit anderen NDD/psychischen Störungen Mit/ohne Katatonie …… AUTISMUS IM DSM-5 Neue/wichtige Differenzialdiagnosen “Social (Pragmatic) Communication Disorder” & “Stereotypic movement disorder” Doppeldiagnose ASD und ADHS zulässig!! DSM-5 Kritik? Asperger-Syndrom, atypischer Autismus/PDD-NOS?! Früherkennung?! ASD im Erwachsenenalter?! Jungen/Männer, Mädchen/Frauen?! Verschlechterung für Patienten?! [mehrere US-Staaten haben gegen DSM-5 geklagt] KONSEQUENZEN? Anpassung nationaler Gesundheitsversorgung/ Versicherungspolicy Identitätsverlust für Asperger? Anzahl gestellter Diagnosen? Klinischer Anpassungsprozess? Gesellschaftlicher Anpassungsprozess ? Verbesserung: Klinik/Forschung? Konklusionen/Trends Mehr diagnostische Forschung notwendig Mehr ”vorbehaltlose” Forschung notwendig Multidimensionale Psychiatrie im DSM-6? „Zurück” zum medizinische Modell i DSM-6? Bedeutung Internationale Klassifikation von Funktion (ICF) ICD-11? Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit" (ICF) http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/index.htm b1 b130 b134 b152 b180 b1801 • • • • • s299 s710 s720 s730 s73001 s73011 • • • • • • • • d170 d230 d360 d410 d415 d430 • • • • • e110 e115 e120 e125 e135 e150 • • • 1454 ICF Core Sets für Autismus www.who.int/classifications/icd11 DANKE! TACK!