2 Ärztliches Handeln | 930 3 Förderung und Erhaltung von Gesundheit | 956 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten | 876 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Chemie Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit 1.1.1 Begriffserklärungen Biochemie Gesundheitsbegriff. Die meisten Definitionen von Gesundheit, beschreiben diesen Zustand als Abwesenheit von Krankheit. Es ist also kein eigenständiger Begriff, sondern er kommt ohne den Gegenpol Krankheit nicht aus. Physik Die WHO („World Health Organization“) hingegen definiert Gesundheit nicht als die Abwesenheit von Missbefinden, sondern wählt eine positive Formulierung: Sie beschreibt Gesundheit als „den Zustand völligen körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“ und bezeichnet diesen Idealzustand als Idealnorm. Physiologie Psych./Soz. Gesundheit und Krankheit als Dichotomie versus Kontinuum. Die Modelle, die Gesundheit als die Abwesenheit von Krankheit definieren, gehen von einer dichotomen Betrachtungsweise aus (dichotom ist zweipolig, also ja oder nein, schwarz oder weiß). Es scheint jedoch wesentlich wirklichkeitsnäher, Gesundheit als einen Zustand zu beschreiben, der sich auf einem Kontinuum zwischen den beiden Polen absoluter Krankheit und absoluter Gesundheit befindet. Auch wenn die meisten Mediziner der Sichtweise eines Kontinuums zustimmen, sind sie doch im Alltag zur dichotomen Betrachtungsweise gezwungen, wenn sie beispielsweise jemanden krankschreiben müssen. Wichtige Begriffe rund um die Krankheit. Die Ätiologie ist die Lehre von den Krankheitsursachen. Sie untersucht alle Faktoren, die zu einer Krankheit geführt haben. Die Pathogenese hingegen beschreibt die Entstehungsgeschichte der Krankheit. In der Krankengeschichte finden Der Arzt ist zur Dokumentation der Krankengeschichte verpflichtet (Dokumentationspflicht). Chronifizierung, Rezidiv und Rehabilitation. Chronifizierung meint den Übergang von einer akuten Krankheit zu einer dauerhaften Krankheit. Wenn eine Krankheit aus persönlichen, sozialen und medizinischen Gründen über den üblichen zeitlichen Rahmen hinaus bestehen bleibt, so spricht man von einer chronischen Krankheit. Ein Beispiel sind chronische Schmerzen, die lange bestehen und zu einer Einschränkung der Lebensqualität führen. Rezidiv bedeutet Rückfall. Eine Krankheit tritt erneut auf, obwohl sie bereits abgeheilt war. Rehabilitation (habilis, lat. = passend, tauglich) bedeutet, dass ein Patient so therapiert wird, dass er wieder in die Gesellschaft hinein passt und für sie wieder tauglich wird. Protektive Faktoren. Es gibt Menschen, die nicht krank werden, auch wenn die Belastungsfaktoren der Umwelt sehr hoch sind. In der Psychologie und Soziologie konnte man einige Faktoren identifizieren, die eine Art Schutz darstellen, als Protektion wirken. Ein wichtiger protektiver Faktor ist die Resilienz (S. 956). Wir werden im Laufe der folgenden Kapitel immer wieder auf diese protektiven Faktoren zurückkommen. 1.1.2 Die betroffene Person Subjektives Befinden und Erleben Mit der WHO-Definition von Gesundheit als körperliches, geistiges, seelisches und soziales Wohlbefinden wird die Subjektivität, also das individuelle Befinden und Erleben in den Vordergrund gestellt. Menschen, die unter der scheinbar selben Krankheit leiden, können sie ganz unterschiedlich wahrnehmen. Dies hängt von psychologischen und sozialen Faktoren ab. Dies gilt auch für rein körperliche Krankheiten wie Krebs, wo die psychologische Verfassung einen Einfluss auf die Krankheitsverarbeitung hat. So ist die Interozeption, die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Vorgängen innerhalb des eigenen Körpers, von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Die Interozeption wird in folgende Unterformen unterteilt: – Viszerozeption, die Wahrnehmung von Prozessen der inneren Organe wie Verdauung. – Propriozeption, Wahrnehmung der Körperlage im Raum, die u. a. durch Muskel- und Sehnenspannung vermittelt wird. – Die Nozizeption, Wahrnehmung von Schmerzen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Anatomie 1.1 sich u. a. Angaben zur Anamnese, zur Krankheitsursache, zum Verlauf der Erkrankung und zu den durchgeführten therapeutischen Maßnahmen. Merke Histologie Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit den psychologischen und soziologischen Einflüssen auf die Medizin. Heute wissen wir, dass sich Körper und Geist gegenseitig beeinflussen. Dass Menschen, die eine positive Einstellung haben, oft eine günstigere Prognose haben als Menschen mit einer pessimistischen Einstellung. Wir wissen, dass die Gesellschaft einen Einfluss auf unser Erleben und Verarbeiten von Krankheit hat. Menschen, die sozial unterstützt werden, gesunden schneller, als diejenigen ohne soziale Unterstützung. Somit ist die Medizin eine Disziplin, die sowohl die körperlichen wie auch die psychologischen und soziologischen Ursachen für Krankheit und Gesundheit im Blick hat. Die folgenden Kapitel beinhalten die wichtigsten psychologischen und soziologischen Einflussfaktoren, die auch immer wieder vom IMPP abgefragt werden. Merke Biologie 1 1.1 Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit 877 1.1.3 Die Medizin als Wissens- und Handlungssystem Siehe Kap. 2.2, S. 935 und 2.3, S. 937. 1.1.4 Die Gesellschaft Eine Krankheit wird nicht nur durch das körperliche Leiden und die individuellen psychischen Faktoren wie Einstellung usw. bestimmt, sondern auch durch die Sichtweise der Gesellschaft. So gibt es Gesellschaften, in denen es ein Tabu ist, laut über seine Krankheit zu klagen. Diese gesellschaftliche Einstellung kann zu einer veränderten Schmerzwahrnehmung führen. Das Leiden wird nicht als so extrem wahrgenommen wie in einer Gesellschaft, in der es völlig in Ordnung ist zu klagen. Krankheit wird von Kultur zu Kultur unterschiedlich betrachtet. Ein für das westliche Denken ungewöhnlicher Ansatz besagt beispielsweise, dass die Krankheit eines Einzelnen ein Anzeichen für die Disharmonie der Allgemeinheit ist (eine Sichtweise der Navajo-Indianer). Diskriminierung psychisch Kranker Psychisch Kranke wurden im Lauf der Geschichte ganz unterschiedlich behandelt. In den letzten Jahrhunderten wurden sie eher von der Gesellschaft gemieden. Es war ihnen fast nicht möglich, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. In den letzten Jahrzehnten haben sich das Verständnis und die Möglichkeiten der Behandlung psychischer Krankheiten in einem Trend der Deinstitutionalisierung bemerkbar gemacht. Statt der Unterbringung in staatlichen, psychiatrischen Krankenhäusern und der damit verbundenen Isolation von der übrigen Gesellschaft weitete sich die ambulante Versorgung und Therapie psychisch Kranker aus. Doch immer noch scheint eine psychische Krankheit einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft zu haben als eine Krankheit, die rein körperlichen Ursprungs zu sein scheint. Das Verständnis darüber, dass es genauso vernünftig ist, zum Psychotherapeuten zu gehen wie zum Arzt, wächst, ist aber noch nicht ausreichend in der Gesellschaft verankert. Psychisch kranke Menschen werden also stigmatisiert. So können psychisch Kranke und deren Angehörige unter sozialer Ausgrenzung leiden. Denn häufig beurteilt das Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Biologie Histologie Anatomie Chemie Biochemie Die Entstehung und der Verlauf von Krankheiten kann ganz entscheidend durch Emotionen und Kognitionen beeinflusst werden. Zum Beispiel kann die negative Emotion Angst vor einer Krankheit dazu bewegen, regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen. Ein wichtiger kognitiver Faktor, der das subjektive Empfinden beeinflusst sind implizite Krankheitstheorien. Sie bestehen aus Laienwissen, das Wahrnehmung und Handlung strukturiert. So kann ein Symptom wie Schnupfen als nicht problematisch gedeutet werden und somit auch unbehandelt bleiben, ohne die wirkliche Ursache des Symptoms zu kennen. Physik Emotionale und kognitive Einflüsse Statistische und Idealnormen. Normen, die aufgrund von Messungen gewonnen werden, bezeichnet man als statistische Normen. Hier kann eine einzelne Person oder auch eine Gruppe mit diesen Normen verglichen werden. Man kann sagen, inwieweit die gemessenen Personen von den Normen abweichen (siehe auch Methodik). Idealnormen hingegen beruhen nicht auf empirisch gewonnenen Daten. Sie sind wertbehaftete Vorstellungen, Sollwerte, die vom tatsächlichen Zustand abweichen können. Krankheiten zählen zu den Devianzen, also zu Verhaltensweisen, die (wie auch kriminelles Verhalten oder Drogenmissbrauch) mit den geltenden Normen und Werten des umgebenden sozialen Systems nicht übereinstimmen. Die Nicht-Übereinstimmung mit vorherrschenden Normen wird auch als Non-Konformität bezeichnet. Eine Wertvorstellung der Gesellschaft ist beispielsweise, dass alle Mitglieder des Gesundheitssystems an den angebotenen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Tatsächlich gehen aber viel weniger Menschen zu diesen Untersuchungen, als erwünscht. Dieses Verhalten widerspricht somit der Idealnorm. Hier gibt es eine Diskrepanz oder auch Dissoziation zwischen der Idealnorm und der statistischen Norm. Die Gesellschaft erwartet vom Kranken, dass er seine Krankheit besiegen will, um seinen Platz in der Gesellschaft wieder einzunehmen (siehe auch Krankenrolle nach Parsons, S. 887). Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Krankheiten schränken die Lebensqualität ein. Die Lebensqualität wird mit den folgenden vier Komponenten beschrieben: – physisches Befinden – psychisches Befinden (z. B. Stimmungen) – soziales Befinden (z. B. Qualität sozialer Beziehungen) – Funktionstüchtigkeit (Berufsfähigkeit, Belastbarkeit) Die gesundheitsbezogene Lebensqualität kann mit dem „Short-Form-36 Health Survey“ oder SF-36 erfasst werden. Die deutsche Version (Bullinger et. al., 1995) besteht aus 36 Items mit acht Subskalen zur körperlichen Gesundheit (körperliche Funktionsfähigkeit, Rollenfunktion, Schmerzen, Gesundheitswahrnehmung) und zur psychischen Gesundheit (Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, emotionale Rollenfunktion, psychisches Wohlbefinden). Grundsätzlich verhält sich unsere Gesellschaft so, dass ein Mensch, der krank ist, von dem „Normalzustand“ abweicht. Er weicht von den üblichen biopsychologischen Merkmalen ab und verhält sich anders. Dies bezieht das Körperliche, Psychologische und Soziale mit ein. Physiologie Gesundheitsbezogene Lebensqualität Erfüllung und Abweichung von sozialen Normen Psych./Soz. Divergenz von subjektiver und objektiver Wahrnehmung. Sie besagt, dass eine objektive Krankheit wie eine Gewebeschädigung und das subjektiv empfundene Leiden nicht immer miteinander in Beziehung stehen müssen. 878 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Klinik Histologie Nachfolgend sind einige Beispiele aufgeführt, an denen man sehen kann, dass auch berühmte und bewunderte Persönlichkeiten an psychischen Störungen litten. Sie können helfen, Vorurteile gegenüber psychisch Kranken abzubauen: Anatomie Arthur Schopenhauer und Marilyn Monroe litten an Depression, Abraham Lincoln und Ernest Hemingway an einer manisch-depressiven Störung; Jean-Jacques Rousseau und Georg III., König von England, an Störungen mit Realitätsverlust. Elvis Presley und Edgar Allan Poe waren von Störungen durch Abhängigkeit von Alkohol oder anderen Substanzen betroffen, Elisabeth I. litt an einer Essstörung und Victoria, Königin von England, an einer Angststörung. Etikettierungsansatz Chemie Biochemie Der Etikettierungsansatz (Labelingtheorie) räumt dem Einfluss der Gesellschaft bei der Bestimmung von psychisch gesund oder krank einen großen Einfluss ein. Es wird angenommen, dass psychische Störungen das Ergebnis von Interaktions- und Zuschreibungsprozessen sind. Erst wenn Personen als „psychisch gestört“ etikettiert worden sind, entsteht die Störung. Denn erst durch diese Etikettierung kommt es zur Festigung des abweichenden Verhaltens. Eine Abweichung ist dasjenige Verhalten, das von der Gesellschaft als Abweichung definiert wird. Rechtliche Regelungen des Gesundheits- und Sozialsystems Physik Physiologie Im sozialrechtlichen Sinne bedeutet Gesundheit u. a. Arbeits- und Erwerbsfähigkeit. Dagegen bedeutet Krankheit das Gegenteil, also Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit. Von Arbeitsunfähigkeit ist die Rede, wenn der Kranke gegenwärtig nicht seiner Arbeit nachgehen kann oder wenn die Gefahr besteht, dass sich durch die Arbeitstätigkeit sein gesundheitlicher Zustand verschlechtert. Sie wird vom Arzt befristet bescheinigt, was umgangssprachlich als Krankschreibung bekannt ist. Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seinem Arbeitgeber vorlegen. Der Arbeitnehmer bekommt trotzdem weiterhin Geld, was durch das Lohnfortzahlungs-Gesetz bestimmt ist. Die ersten sechs Wochen bekommt der Arbeitnehmer das volle Gehalt vom Arbeitgeber ausbezahlt, danach erhält er Krankengeld von seiner Krankenversicherung. Psych./Soz. Krankenversicherung. Die Krankenversicherung verhindert, dass dem Erkrankten Behandlungskosten und Armut durch Verdienstausfall entstehen. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist ein Zweig der Sozialversicherung und eine Pflichtversicherung für alle Auszubildenden, Arbeiter, Angestellten, Rentner und Arbeitslosen. Träger der GKV sind die Kassen der Reichsversicherungsordnung (RVO), wie beispielsweise die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK). Selbstständige können zwischen einer GKV oder einer privaten Krankenversicherung (PKV) wählen. Pflichtversicherte können private Zusatzversicherungen abschließen. Rentenversicherung. Sie leistet die monatliche Zahlung der Rente ab dem Eintritt in den Ruhestand. Der Ruhestand ist gesetzlich festgelegt. Die Grenze variiert ab und zu leicht nach unten oder nach oben. Dies hängt von vielen Faktoren ab. Die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ist wie die GKV ein Teil der Sozialversicherung und eine Pflichtversicherung für nicht selbstständige Arbeitnehmer und Auszubildende. Ihre Träger sind unter anderem die Bundesversicherungsanstalt für Arbeit und die Landesversicherungsanstalten. Neben der regulären Rentenzahlung zählen zu den Leistungen der Rentenversicherung auch Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen und die Erwerbsunfähigkeitsrente. 1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle In der Psychologie und Soziologie gibt es bis heute keine allumfassende Theorie des menschlichen Fühlens, Denkens und Verhaltens. Je nach Sichtweise gibt es verschiedene Gründe für unser alltägliches Verhalten und auch für die Entstehung von Krankheiten. 1.2.1 Verhaltensmodelle Lerntheoretisches Modell Der behavioristische Ansatz beschäftigt sich damit, wie die klassische und die operante Konditionierung unser Erleben, Denken und Verhalten formen. Behavioristische Psychologen gehen davon aus, dass alles Verhalten erlernt ist und somit auch wieder verlernt werden kann. Ausschließlich das beobachtbare Verhalten gilt als Gegenstand der Forschung. Nur was beobachtet, gemessen oder in Daten gefasst werden kann, wird als wissenschaftlich anerkannt. Nach diesem Modell sind psychische Störungen nur dysfunktionale (unangepasste) Lernerfahrungen, die durch passendere, funktionalere Lernerfahrungen wieder behoben werden können. Aber auch physische Krankheiten unterliegen Lernprozessen. Dabei spielen verschiedene Lernformen eine Rolle (vgl. S. 897): das klassische Konditionieren (auch respondentes Lernen), das operante Konditionieren und das Modelllernen. Der psychotherapeutische Ansatz, der zu diesem Modell gehört, ist die Verhaltenstherapie. Dabei wird zunächst der Lernprozess, der zu dem problematischen Verhalten geführt hat, analysiert, um die Bedingungen zu verstehen, die das Verhalten auslösen und aufrechterhalten. Dieses Vorgehen wird als funktionale Verhaltensanalyse bezeichnet. Das lerntheoretische Modell berücksichtigt also besonders die Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Biologie soziale Umfeld psychische Krankheiten aufgrund eines Laienwissens. Psychische Krankheiten werden häufig mit „Irrenhäusern“ und „Zwangsjacken“ in Verbindung gebracht. 1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle Kognitiv-behavioraler Ansatz Hier werden die beiden beschriebenen Theorien zu einem Ansatz verbunden. Man geht also davon aus, dass sowohl Lernprozesse als auch Kognitionen (Bewertungen, Interpretationen) eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen spielen. Dieser Ansatz hat natürlich auch die Verhaltenstherapie beeinflusst, sodass man heute oft von der kognitiven Verhaltenstherapie spricht, die zum einen die dysfunktionalen Lernerfahrungen wie auch die dysfunktionalen Denkweisen (kognitiven Schemata) behandelt. 1.2.2 Biopsychologische Modelle Biopsychologie ist ein Überbegriff für Disziplinen, die sich mit dem Zusammenhang von Körper und Geist beschäftigen. Zu den Gebieten der Biopsychologie gehören: die Psychophysiologie, die physiologische Psychologie, die Neuropsychologie, die Psychoendokrinologie und die Psychoneuroimmunologie. Die Psychophysiologie sucht nach physiologischen Ursachen oder Auslösern für psychische Prozesse. So werden die körperlichen Begleitumstände von psychologischen Phänomenen wie Stress untersucht, oder es werden bestimmte physiologische Veränderungen hervorgerufen und deren psychisches Erleben beobachtet. Beispielsweise werden im Tierexperiment bestimmte Hirnfunktionen ausgeschaltet, um zu untersuchen, welchen Einfluss diese Zentren auf psychische Prozesse wie Lernen oder Angst haben. Die Neuropsychologie untersucht ebenfalls den Zusammenhang zwischen zentralnervösen Strukturen und psychischen Prozessen. Sie stützt sich dabei aber eher auf die Untersuchungen von Patienten mit Hirnschädigungen und auf bildgebende Verfahren. Die Psychoendokrinologie untersucht den Zusammenhang zwischen endokrinen Vorgängen und menschlichem Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Biologie Histologie Anatomie Chemie Biochemie Die Verhaltensgenetik versucht Erkenntnisse darüber zu gewinnen, inwiefern Unterschiede im menschlichen Verhalten auf genetische Faktoren beziehungsweise auf Umwelteinflüsse zurückzuführen sind. Dabei hat sich gezeigt, dass der genetische Anteil stark variiert. Während bei der Schizophrenie oder der bipolaren Depression eine deutliche genetische Komponente existiert, scheinen beispielsweise Angststörungen so gut wie keine erblichen Anteile zu haben. Außerdem ist bei Störungen mit genetischer Komponente lediglich die Auftretenswahrscheinlichkeit der Störung erhöht. Für das Eintreten wiederum sind Faktoren der Umwelt (z. B. kritische Lebensereignisse) verantwortlich. Aus diesem Grund sagt man, dass lediglich eine Disposition (Anlage), nicht jedoch die Störung selbst, vererbt wird. Physik Verhaltensgenetik Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Beim kognitiven Ansatz sind Kognitionen (lat. cognitio = Erkenntnis) der wichtigste Ansatzpunkt der Psychologie. Der Begriff der Kognition umfasst alle Prozesse, die traditionell als „geistig“ angesehen wurden, also das Wahrnehmen, Schlussfolgern, Erinnern, Denken und Problemlösen sowie das Gedächtnis, das Sprechen und Sprachverstehen, die Begriffe und die Einstellungen. Diese Prozesse üben einen großen Einfluss auf das Verhalten aus. Unser Handeln wird nicht als direkte Reaktion auf einen Umweltreiz angesehen, denn kognitive Vorgänge schalten sich zwischen Reiz und Reaktion und liefern ihre eigenen Interpretationen. Der Mensch baut sich ihr zufolge seine Wirklichkeit sozusagen selbst. Die kognitive Sichtweise hat heute den größten Einfluss auf die Psychologie. So wird auch die Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Krankheiten durch unsere Gedanken und Einstellungen beeinflusst. Wir haben nur Angst vor Spinnen, wenn wir Spinnen als für uns gefährlich interpretieren. Die Spinne an sich kann keine Angst auslösen. Die Verhaltensmedizin ist ein interdisziplinärer Forschungsbereich, in dem Kenntnisse aus den Verhaltens- und medizinischen Wissenschaften zusammenlaufen. Dabei versucht man, den Zusammenhang zwischen psychischen Verhaltensweisen und physischen Krankheiten zu verstehen. Neben den rein physiologischen Komponenten einer Erkrankung werden seit den 80er Jahren verstärkt auch die psychologischen Komponenten behandelt. Beispiele dafür sind essenzielle Hypertonie (Bluthochdruck), koronare Herzerkrankung, aber auch Substanzmissbrauch oder AIDS. Zudem wird die Bedeutung des Verhaltens für die Aufrechterhaltung der Gesundheit und den Verlauf der Behandlung immer deutlicher. Als wichtige Bereiche der Verhaltensmedizin gelten der Umgang mit Schmerzen und chronischen Erkrankungen, der Zusammenhang zwischen Lebensstil und koronarer Herzerkrankung und das Biofeedback. Physiologie Kognitives Modell Verhaltensmedizin Psych./Soz. Bedingungen, unter denen ein bestimmtes Verhalten auftritt, beziehungsweise die Konsequenzen, die auf dieses Verhalten folgen. Nach der Lerntheorie tritt Verhalten nicht zufällig auf, sondern man lernt nur Reaktionsweisen, die unter bestimmten Umständen günstig sind. Unter anderen Bedingungen können sie sich allerdings langfristig als störend (dysfunktional) erweisen. So kann ein Kind beispielsweise im Kindergarten gelernt haben, dass es durch lautes Schreien Aufmerksamkeit erhält. In der Schule dagegen führt dieses Verhalten zu negativen Sanktionen. In diesem Fall ist es wichtig, dem Kind eine Alternative aufzuzeigen, mit der es das eigentliche Ziel (Aufmerksamkeit erregen) in der veränderten Situation erreichen kann. Da jedes Verhalten das Resultat von Lernprozessen ist, kann man nach Annahme der Lerntheorie jedes Verhalten auch wieder verlernen beziehungsweise umlernen. Entsprechend wird in der Verhaltenstherapie mit Hilfe verschiedener Techniken (u. a. systematische Desensibilisierung, Reizüberflutung, S. 943) das problematische Verhalten systematisch verändert, indem das unerwünschte Verhalten durch eine funktionalere Alternative ersetzt wird. Heute hat man sich von dieser doch radikalen Sichtweise gelöst. Die klassische Lerntheorie wurde um den kognitiven Ansatz ergänzt. 879 Histologie Anatomie Chemie Biochemie Physik Physiologie Psych./Soz. ßer Blutkörperchen bei, die zur Vermeidung einer Infektion nötig sind. – Hypophysenvorderlappen-Nebennierenrinden-System: Die Hypophyse schüttet bei Stress zwei Hormone aus. Das thyreotrope Hormon (TSH) regt die Schilddrüse an, das adrenocorticotrope Hormon (ACTH) die Nebennierenrinde. Aus der Nebennierenrinde werden als Folge Glukokortikoide (z. B. Kortisol) freigesetzt, die unter anderem für die Ausschüttung von Glucose aus der Leber und eine Reihe von Stoffwechselprozessen verantwortlich sind. Stress und Krankheit Stressmodelle. Es gibt mehrere Modelle, die die Reaktionen auf chronischen Stress beschreiben. – Das allgemeine Adaptationssyndrom (AAS) ist eines der bekanntesten Stressmodelle und stammt von dem kanadischen Arzt und Forscher Hans Selje, der auch den Begriff Stress prägte. Es beschreibt, wie wir physiologisch auf Stressoren reagieren. Wir reagieren immer gleich, völlig egal, was uns stresst. Nachdem wir einen Stressor wahrgenommen haben, findet die Alarmphase statt. Der Körper reagiert mit einer sympathischen Aktivierung. Hält der Stress länger an, so befindet sich der Körper in der Widerstandsphase und reagiert mit einer erhöhten Katecholaminausschüttung. In diesem Zustand sind wir am besten auf den Stressor eingestellt, das heißt, jetzt können wir am besten kämpfen oder fliehen. Stehen wir aber zu lange unter Stress (mehrere Tage oder Wochen), kommt es zur Erschöpfungsphase. Die erhöhte Hormonausschüttung kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Körper kann nicht mehr auf den Stressor reagieren, Krankheiten und Schlafstörungen nehmen zu (psychosomatische Beschwerden). So wirkt zu lang anhaltender Stress immunsuppressiv. – Psychoendokrines Stressmodell nach Henry. Dieses Modell bezieht zusätzlich emotionale Reaktionen auf Stressoren mit ein. Die Verhaltensweisen lösen ihrerseits wieder bestimmte Verhaltensweisen und neuroendokrine Reaktionsmuster aus. So führen bestimmte Stressoren zur Emotion Ärger. Dieser Ärger führt zur vermehrten Ausschüttung von Noradrenalin und Testosteron und wird eher ein Kampfverhalten bewirken. Ein Stressor, der Furcht auslöst, führt zur vermehrten Ausschüttung von Adrenalin und zu einem Fluchtverhalten. Wird das Gefühl der Depression ausgelöst, so ist die Kortisolausschüttung erhöht, der Testosteronspiegel erniedrigt. Die Person wird mit Trauer oder Hilflosigkeit reagieren. – Psychologisches Stressmodell nach Lazarus. Nach Lazarus ist ein Reiz nicht von sich aus ein Stressor. Ob etwas Stress auslöst oder nicht, hängt von der kognitiven Bewertung ab. Stress entsteht, wenn das Individuum glaubt, dass eine bestimmte Situation gefährlich ist und die Anforderungen höher sind als die eigenen Kräfte. Es gibt drei Phasen: • Primäre Bewertung (primary appraisal). Ein auftretendes Ereignis wird auf seine Gefährlichkeit hin ein- Stress ist eine Anpassungsreaktion des Organismus, die das innere Gleichgewicht, die Homöostase, wieder herstellen soll. Die Reize, die ein Ungleichgewicht erzeugen, nennt man Stressoren. Dies können äußere Dinge sein wie Lärm, organische wie Krankheitserreger, aber auch innere, psychische Faktoren. Allerdings wird Stress nicht immer negativ erlebt. Je nach Einstellung und Erfahrung können manche Reize bei einigen Menschen erregende Emotionen auslösen. Diesen Stress nennt man Eustress. Stress, den wir als negativ und bedrohlich wahrnehmen, wird als Disstress bezeichnet. Merke Biologie Erleben und Verhalten. Es gibt zwei Möglichkeiten, Zusammenhänge zu untersuchen. So lässt sich die Hormonkonzentration durch Stimulation oder Blockierung variieren, um die psychischen Auswirkungen zu untersuchen, andererseits können psychische Zustände wie Stress induziert werden, um die Veränderung der Hormonkonzentrationen im Blut zu untersuchen. Eine Unterdisziplin ist die Psychoneuroimmunologie. Sie untersucht die Wechselwirkungen zwischen psychischen Vorgängen, dem zentralnervösen System und dem Immunsystem. Mit Stress wird die Reaktion und nicht der Reiz bezeichnet. Dies widerspricht dem Alltagsgebrauch des Wortes. Körperliche Reaktionen auf akuten Stress. Die Stressreaktion führt dazu, dass unser Körper Sekunden nachdem er die Gefahr wahrgenommen hat, bereit ist, zu kämpfen oder zu fliehen (Fight-or-flight-Syndrom nach Cannon). Die maßgeblich an dieser Reaktion beteiligte Hirnregion ist der Hypothalamus. Er wird daher auch manchmal als „Stresszentrum„ bezeichnet. Man unterscheidet zwei Systeme der Stressreaktion: das Nebennierenmark-System und das Hypophysenvorderlappen-Nebennierenrinden-System. – Sympathisches Nebennierenmark-System: Bei einer akuten Bedrohung aktiviert der Organismus den sympathischen Anteil des vegetativen Nervensystems. Der Sympathikus wird häufig auch als „Stressnerv“ bezeichnet: Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Atmung wird schneller, die Blutgefäße verengen sich und die Hautleitfähigkeit steigt (schwitzen). Gleichzeitig wird der parasympathische Anteil gehemmt, Speichelsekretion (trockener Mund) und die Magen- und Darmmotilität nehmen ab. Der Sympathikus stimuliert das Nebennierenmark zur Ausschüttung von Adrenalin (Epinephrin) und Noradrenalin (Norepinephrin). Die beiden Katecholamine („Stresshormone“) sorgen für die Bereitstellung von Energie, indem sie die Leber zu einer erhöhten Glucoseproduktion anregen. Sie veranlassen die Milz, vermehrt rote Blutkörperchen bereitzustellen, um bei einer möglichen Verletzung die Blutgerinnung zu unterstützen. Die Katecholamine tragen zudem zur Produktion wei- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 880 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Frequenz und Amplitude. Die wichtigsten Parameter zur Beschreibung des Aktivitätszustandes des Gehirns sind die Frequenz und die Amplitude: Die Frequenz ist die Häufigkeit elektrischer Potenzialschwankungen und wird in Hertz [Hz] angegeben. Die Frequenzen des EEGs umfassen einen Bereich von 1–80 Hz. Die Amplitude ist ein Maß für die Intensität der Potenzialschwankungen, im EEG also die Höhe des Ausschlags. Sie wird in Mikrovolt (μV) angegeben und kann zwischen einigen bis mehreren hunderten Mikrovolt liegen. Hohe Frequenzen gehen häufig mit niedriger Amplitude einher, sodass im EEG ein „Zackenmuster“ zu erkennen Spontan-EEG. Das Spontan-EEG zeigt die Potenzialschwankungen, die ohne einen Einfluss von außen im Wachzustand zu messen sind. Meist sitzt man ganz entspannt im Labor, vielleicht träumt man ab und zu, oder denkt über etwas nach. So können also verschiedene Wellen vorkommen: Beta-, Alpha-, aber auch Alphablockaden, Sägezahnwellen, K-Komplexe (Tab. 1.1). Evozierte Potenziale. Bei den evozierten Potenzialen (= ereigniskorellierte Potenziale, EKP) handelt es sich um eine elektrische Veränderung, die durch einen Reiz ausgelöst (= evoziert) wird. Evozierte Potenziale sind nicht direkt zu beobachten. Sie müssen durch Mittelungstechniken sichtbar gemacht werden. Um ein EKP zu ermitteln, werden in einer Vielzahl von Durchgängen Potenziale auf dieselbe Weise ausgelöst und die entstandenen EEG-Muster übereinander gelegt. Die in beide Richtungen ausschlagenden Potenzialschwankungen der ständig vorhandenen EEGTabelle 1.1 Biologie Histologie Anatomie Chemie Das EEG-Muster unterscheidet sich je nach Lebensalter. Beim Kind ist das EEG insgesamt niedrigfrequenter als beim Erwachsenen, sodass auch im Wachzustand Theta- und Delta-Wellen auftreten können. Biochemie Merke Merkregel: Die Frequenzen verdoppeln sich vom Schlafzum Wachzustand. Physik Siehe auch Physiologie ab S. 868. Das Elektroenzephalogramm (EEG) ist ein Messinstrument, mit dem Hirnfunktionen beobachtet werden können. Das EEG misst mit Oberflächenelektroden an standardisierten Ableitpunkten auf der Kopfhaut die bioelektrische Aktivität bestimmter Gehirnregionen. Die elektrischen Potenzialschwankungen, die so abgeleitet werden können, sind das Ergebnis der Aktivität großer Neuronenverbände. Je höher die Frequenzen des EEGs, desto höher der Grad des Bewusstseins. Man könnte als Faustregel also sagen, je entspannter oder schläfriger jemand ist, desto wellenförmiger und je wacher und konzentrierter, desto zackiger ist sein EEG. Frequenzbänder des EEG Wellenmuster Frequenz Zustand des Hirns Beta-Wellen (β-Wellen) 24 Hz aufmerksamer Wachzustand, Konzentration Alpha-Wellen (α-Wellen) 12 Hz entspannter Wachzustand, Augen geschlossen, Einschlafstadium 0–1 Theta-Wellen (θ-Wellen), K-Komplexe, Schlafspindeln (S. 869) 6 Hz Hier liegt das Einschlafstadium, Stadium 2 und der Leichtschlaf. Delta-Wellen (δ-Wellen) 3 Hz der Tiefschlaf (auch Slow-wavesleep genannt) = Stadium 4 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Physiologie Gehirn und Verhalten: Elektroenzephalogramm Die Frequenzbänder des EEG. Je nachdem, welches Wellenmuster überwiegend vorliegt, spricht man von Beta-, Alpha-, Theta- oder Delta-Wellen. Anhand dieses Wellenmusters kann man auf die Grundtätigkeit des Gehirns schließen (Tab. 1.1). Psych./Soz. Interindividuelle Unterschiede der Stressreaktion. Menschen reagieren nicht auf jeden Stressor mit genau derselben Stressreaktion. So können die physiologischen Unterschiede darin bestehen, dass Stress manchen Menschen auf den Magen schlägt (Reaktion über das gastrointestinale System), andere Menschen reagieren auf Stressoren mit Spannungskopfschmerzen (Reaktion über das muskuläre System). Man spricht von der individualspezifischen Hypothese oder auch der Individualstereotypie. Sie besagt, dass ein Individuum auf unterschiedliche Reize immer mit demselben psychophysiologischen Reaktionsmuster antwortet. Also wird ein bestimmter Mensch vielleicht immer mit einer Erhöhung der Muskelspannung reagieren, egal, welcher Stressor ihn belastet, ob es der Straßenlärm ist, der Stau oder die bevorstehende Prüfung. Dem gegenüber steht die reizspezifische Hypothese. Sie besagt, dass Umweltreize bei unterschiedlichen Menschen immer dasselbe psychophysiologische Reaktionsmuster hervorrufen. Dem zufolge müssten beispielsweise viele Menschen mit einer Erhöhung der Muskelspannung reagieren, wenn sie im Stau stehen und vielleicht mit Magenschmerzen, wenn sie an die nächste Prüfung denken. ist. Die Kombination niedriger Frequenzen mit hoher Amplitude lässt ein „Wellenmuster“ entstehen. Merke geschätzt „Ist die nächste Prüfung für mich ein Problem?“ • Sekundäre Bewertung (secondary appraisal). Bei diesem kognitiven Schritt werden die Stressbewältigungsstrategien im Kopf überprüft. „Ich kann noch genügend lernen, bei meinem Kommilitonen abschreiben...“. • In der dritten Stufe, der Neubewertung wird nun überprüft, ob die Strategien den Stress vermindert haben. Wenn ja, ist der Stress verschwunden, wenn nein, bleibt er bestehen. Dieses Modell ist ein kognitives Modell, das heißt, alles findet im Kopf statt. 881 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle Histologie Anatomie Chemie Biochemie Merke Biologie Hintergrundaktivität (Spontan-EEG, auch „Rauschen“) mitteln sich hierbei gegenseitig aus, werden also weggefiltert und man erhält das evozierte Potenzial. Man unterscheidet visuell evozierte Potenziale (VEP), akustisch evozierte Potenziale (AEP) und somatisch evozierte Potenziale (SEP). Zu den bekanntesten EP gehören CNV (Contingent Negative Variation) und der p300-Komplex. – CNV (Contingent Negative Variation): Die CNV wird auch als Bereitschaftspotenzial bezeichnet. Es handelt sich hier um ein bestimmtes charakteristisches Hirnwellenmuster. Wellen im EEG werden mit P = positiv und N = negativ beschrieben. Wenn man eine CNV evozieren will, geht man üblicherweise so vor, dass man einen Reiz darbietet, auf den die Versuchsperson mit einem motorischen Reiz reagieren muss. Wird also ein Reiz dargeboten (Alarmreiz), so sieht man noch bevor die Versuchsperson reagiert, eine Negativierung im EEG. Diese wird als CNV oder Bereitschaftspotenzial interpretiert. Die CNV entsteht zwischen 1–2 Sekunden nach dem Alarmreiz, der auch manchmal als imperativer Reiz beschrieben wird. Die CNV entsteht im Vergleich zu anderen EKP langsam und gehört zu den langsamen Hirnpotenzialen. – P300: Diese Potenzialschwankung interessiert vor allem bei Untersuchungen von Aufmerksamkeitsprozessen. Das typische Paradigma ist das „Odd-ball-Paradigma“: Es wird eine Reihe gleicher Töne dargeboten, in die ab und zu ein abweichender Ton eingestreut wird, auf den reagiert werden muss. 300 Millisekunden nach dem Entdecken des relevanten Reizes zeigt sich eine positive Potenzialverschiebung: die P300. Im Allgemeinen kann man sich merken, dass eine Negativierung im EEG ein Indikator für eine kortikale Mobilisierung ist und eine Positivierung auf eine Deaktivierung hinweist. CNV und P300 finden sich nicht im Spontan-EEG! Physiologie Mit Aktivation oder Aktivierung ist eine generelle Erregung des Organismus gemeint. Der Mensch wird „wach“ und aktiv, um effektiv handeln zu können. Meist wird diese Wachheit (arousal) durch einen Reiz verursacht, der eine Orientierungsreaktion auslöst. Psych./Soz. Aktivierung und Orientierungsreaktion. Jeder von außen kommende Reiz kann eine Orientierungsreaktion auslösen. Die Orientierungsreaktion verändert das Aktivierungsniveau des gesamten Organismus und versetzt ihn so in die Lage, Reize, die für ihn bedeutsam sein könnten, zu erfassen und auf sie reagieren zu können. Merke Physik Aktivation und Bewusstsein Die Orientierungsreaktion besteht in einer Hinwendung zum Reiz. Sie richtet die Aufmerksamkeit auf Reize, die neu und unerwartet sind. Ein Beispiel: Ein unerwarteter akustischer Reiz mittlerer Intensität – zum Beispiel das Klatschen in die Hände – führt zu einer Drehung des Kopfes oder des gesamten Körpers in Richtung der Reizquelle (motorische Hinwendung). Wurden andere motorische Aktivitäten durchgeführt, werden sie währenddessen unterbrochen. Neben der motorischen Hinwendung geht die Orientierungsreaktion noch mit einer ganzen Reihe anderer Veränderungen der unterschiedlichsten Systeme einher: Zentral nervös ist eine EEG-Wellen-Desynchronisation zu beobachten. Die Wahrnehmungsschwellen der angesprochenen Sinnesmodalität sinken. Im ZNS erfolgt eine Vasodilatation. Auf vegetativer Ebene kommt es zu einer Erhöhung der Sympathikusaktivität. Daraus folgt eine Erhöhung des Blutdrucks, periphere Vasokonstriktion, Respirationssteigerung, Tonuserhöhung der Skelettmuskulatur, Schwitzen (Abnahme des Hautwiderstands), einer Zunahme der Lidschlagfrequenz, einem Anstieg der Herzfrequenz (beachte: kurz nach einem akustischen Reiz sinkt die Herzfrequenz zunächst ab und steigt dann erst an!). Es werden vermehrt Katecholamine (z. B. Adrenalin, Noradrenalin) und andere Hormone ausgeschüttet. Alle diese Funktionen sind Anzeichen einer erhöhten Aufmerksamkeit. Subjektiv wird dieser Zustand als Anspannung oder Wachheit erlebt. Aktivierung und Leistung. Die psychologische Forschung hat herausgefunden, dass die Leistung sinkt, wenn die Aktivierung zu hoch ist. Den Zusammenhang zwischen Leistung und Aktivierung beschreibt die Yerkes-DodsonRegel: Leistung und Aktivierung stehen in einer umgekehrt U-förmigen Beziehung (Abb. 1.1). Das bedeutet, dass eine mittlere Aktivierung zu einer optimalen Leistung führt. Dies kann man sich gut an einer Prüfung vorstellen, vor der man ein bisschen Lampenfieber hat. Ein wenig Prüfungsangst, mittlere Aktivierung, ist gut, denn dann strengt man sich an, gibt sein Bestes. Wenn die Aufgaben zu schwer sind, dann verschiebt sich die Kurve leicht. Bei sehr schweren Aufgaben ist eine geringere Aktivierung am besten, also weniger Prüfungsangst. Wenn die Aufgaben zu leicht sind, dann braucht Leistung hoch mittel niedrig niedrig mittel hoch Aktivation Abb. 1.1 Yerkes-Dodson-Gesetz bei mittelschweren Aufgaben. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 882 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Siehe Physiologie ab S. 869 Schmerz Der Schmerz ist eine Erfahrung, die sich aus mehreren Komponenten zusammensetzt. Schmerz ist ein Alarmsignal für den Organismus. Er signalisiert eine Schädigung des Organismus und besitzt somit eine lebenswichtige Funktion. Schmerzen können nach ihrer Dauer und nach ihrer Qualität unterschieden werden. Akute Schmerzen. Bei akuten Schmerzen sind die Auslöser (z. B. Verletzungen) meist direkt erkennbar. Der Schmerz tritt für einige Sekunden bis höchstens einige Wochen auf, ist gut lokalisierbar und mit erhöhter vegetativer Aktivierung verbunden. Merke Chronische Schmerzen. Sie dauern länger an, betreffen meist größere Körperareale und führen häufig zu psychischen Beeinträchtigungen wie Angst, Depressivität, Verzweiflung oder Aggressivität. Von chronischem Schmerz spricht man, wenn Schmerzen für mindestens sechs Monate entweder andauernd oder wiederkehrend auftreten. Komponenten des Schmerzes. Die Schmerzerfahrung und auch die Schmerzverarbeitung setzt sich aus fünf Komponenten zusammen. – Sensorische Komponente. Sie umfasst die Erregung der Nozizeptoren und die Weiterleitung über Schmerzfasern über das Rückenmark und den Hirnstamm zum Kortex. Die schnellleitenden A-Delta-Schmerzfasern leiten den Oberflächenschmerz, die langsameren C-Schmerzfasern den Tiefenschmerz. Ziel ist das Kortexgebiet der Somatosensorik – der Gyrus postcentralis im Parietallappen. – Kognitive Komponente. Sie beschreibt die Bewertung des Schmerzerlebens. Je nach unseren Vorerfahrungen oder Annahmen, Befürchtungen, erleben wir die Schmerzinformation der Nozizeptoren anders. Wenn wir beispielsweise „glauben“, dass der Schmerz schnell vorübergeht und es keine nachhaltigen Schäden gibt, nehmen wir ihn als schwächer wahr. Die kognitive Komponente beschreibt Vorgänge, die in unserem Kopf ablaufen (kognitiv – Kopf). Immer wenn jemand darüber nachdenkt, ob der Schmerz eine große Gefahr bedeutet, oder wenn er sich selbst vom Gegenteil überzeugt, dann sind das kognitive Operationen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Biologie Histologie Anatomie Chemie Biochemie Schlaf Physik Adaptation. Während bei der Habituation ein ständig gleicher Reiz, der im Gehirn ankommt, ausgeblendet wird, bis er nicht mehr wahrgenommen wird, findet die Adaptation (Anpassung) auf der Ebene der Rezeptoren statt. Die Reizschwelle des Rezeptors wird durch einen konstant vorhandenen Reiz (z. B. ständiger Lärm oder ein bestimmter Geruch) so weit erhöht, dass kein Aktionspotenzial mehr ausgelöst wird und der Reiz erst gar nicht bis ins Gehirn weitergeleitet wird. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Habituation und Defensivreaktion. Mit zunehmender Wiederholung des gleichen Reizes, ohne dass eine Konsequenz folgt (z. B. wiederholtes In-die-Hände-Klatschen), wird die Intensität der Orientierungsreaktion schwächer. Man spricht von Habituation oder Gewöhnung. Die Habituation wird auch als nicht assoziative Lernform bezeichnet (S. 872). Eine Defensivreaktion ist das genaue Gegenteil einer Orientierungsreaktion. Bei einer Defensivreaktion wendet man sich von dem schädigenden Reiz weg. Es kann eine Abwendung in Form einer Flucht erfolgen oder ein Angriff, Kampf, um den schädigenden Reiz zu beseitigen. Subjektiv wird die Defensivreaktion als Erschrecken erlebt. Physiologie Das Optimum liegt in der Mitte. Chronische Schmerzen entstehen, weil sensorische Nervenzellen genauso lernfähig sind wie das Großhirn. Besonders starke oder lang andauernde Schmerzreize verändern – biochemisch nachweisbar – die Aktivität von Nervenzellen. Die Neuronen im Rückenmark reagieren zukünftig empfindlicher, registrieren Reize geringer Intensität (z. B. Druck, Wärme) als Schmerzimpulse und leiten sie an das Gehirn weiter: Der Schmerz hat eine Gedächtnisspur ausgebildet, man spricht von einem Schmerzgedächtnis. Da der für den Organismus bedrohliche Auslöser fehlt, hat der chronische Schmerz auch nicht mehr die Funktion eines Warnsignals. – Oberflächenschmerz: Eine Verletzung der Körperoberfläche wie Schnitt- oder Brandwunden verursacht Oberflächenschmerz, der als hell, stechend oder brennend und als gut lokalisierbar erlebt wird. – Tiefenschmerz: Beispiele für Tiefenschmerzen sind Zahn- oder Magenschmerzen, die eine bohrende, dumpfe Qualität haben. Sie sind schlecht lokalisierbar, der Schmerz strahlt aus. – Phantomschmerz: Hierbei handelt es sich um eine besondere Form des Schmerzes, da der Ort der Empfindung fehlt. Ungefähr die Hälfte der Patienten nach Bein- oder Armamputation haben Empfindungen in den Gliedmaßen, die real nicht mehr vorhanden sind. Dennoch werden die verlorenen Extremitäten so deutlich wahrgenommen, als gäbe es sie tatsächlich. Die im Phantomglied auftretenden Schmerzen heißen Phantomschmerzen und werden durch eine Reizung der Nerven im Stumpf erklärt, die die Signale in den somatosensorischen Kortex weiterleiten. Schmerzen in Phantomfingern und -zehen werden häufig als Krampf oder brennender Schmerz beschrieben. Merke Merke man ein hohes Aktivationsniveau, um die Aufgaben zu lösen. Wenn es also zu leicht ist, dann löst die Prüfung gar keine Angst mehr aus und man wägt sich so sicher, dass man sich keine Mühe mehr gibt. 883 Psych./Soz. 1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle 884 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Chemie Biochemie Physik Physiologie – Lerntheoretisches Schmerzmodell. Hier wird davon ausgegangen, dass die Empfindung von Schmerz eine positive Konsequenz hat (sekundärer Krankheitsgewinn), sodass er lerntheoretisch operant aufrechterhalten wird (S. 872). Psych./Soz. Messung von Schmerzen. Die Messung von Schmerzen bezeichnet man als Algesimetrie. Hierbei unterscheidet man die subjektive und die experimentelle Algesimetrie. Bei der subjektiven Algesimetrie beurteilen die Patienten meist in Form von Fragebogen ihre Schmerzen. Dabei können sie meist zwischen „gar kein Schmerz“, bis „sehr viel Bestimmung von Schmerzschwelle und Schmerztoleranz. Die Schmerzschwelle ist dann erreicht, wenn ein elektrisch, thermisch oder mechanisch gegebener Reiz zu einer subjektiv unangenehmen Empfindung wird. Bei einem klassischen Experiment zur Bestimmung der Schmerztoleranz hält die Versuchsperson ihren Arm in Eiswasser, bis sie es vor Schmerz nicht mehr aushält und ihn herausziehen muss. Hier ist der Schmerz nicht mehr tolerierbar. Das Maß für diese Schmerztoleranz kann durch die Reaktionszeit ausgedrückt werden. Zwischen Schmerztoleranz und Schmerzschwelle sind große Unterschiede. Schmerz nimmt man wahr, lange bevor er unaushaltbar wird. Soziale und psychologische Einflussfaktoren auf das Schmerzerleben. Die Schmerzempfindung spiegelt nicht immer das Ausmaß der Gewebeschädigung wider. Menschen empfinden z. B. weniger Schmerzen, wenn sie das Gefühl von subjektiver Kontrolle haben (internale Kontrollüberzeugung). Weitere Einflüsse sind die kognitiven Bewertungen über Dauer und Ausmaß. Man weiß im späteren Erwachsenenleben, dass nicht jeder Schmerz eine „Katastrophe“ bedeutet. Diese Erfahrung ist möglicherweise auch der Grund dafür, dass die Schmerzintensität im Alter abnimmt. So sinkt der Schmerz bei Hoffnung und steigt bei starker Angst oder Depression an. Einen Einfluss haben ebenfalls soziale und ethnische Normen. Es gibt Bevölkerungsgruppen, die Schmerzen nicht zeigen und auch nicht so stark wahrnehmen wie andere. 1.2.3 Psychodynamische Modelle Die Psychoanalyse, auch psychodynamisches Modell genannt, wurde von dem Wiener Arzt Sigmund Freud (1856–1919) entwickelt. Freud lehnt sich bei seiner Theorie, die er aus klinischen Beobachtungen ableitete, an die sich damals gerade neu etablierende Thermodynamik an. Er geht von einer Energie aus, die uns zum Handeln motiviert. Diese Energie muss, wie in der Thermodynamik auch, gelenkt oder entladen werden. Freud entwickelte zwei Modelle der menschlichen Psyche; das topografische Modell und das Strukturmodell. Topografisches Modell Dieses Modell beschreibt den Ort (griech. topos = Ort) der psychischen Vorgänge. Die psychischen Vorgänge können im Bewussten, Vorbewussten und Unbewussten ablaufen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Anatomie Kognitionen und Emotionen aktivieren neuronale Schaltkreise im Rückenmark und modulieren so die von der Peripherie einlaufenden Schmerzsignale. Schmerz“ oder in Qualitäten wie „stechend, pochend...“ (sensorische Komponente) wählen. Bei der experimentellen Algesimetrie wird versucht, objektive, qualitativ unterscheidbare Schmerzreize mit subjektivem Empfinden in Zusammenhang zu bringen. Hierzu werden Schmerzreize unterschiedlicher Intensität vorgegeben und die Empfindung durch evozierte Potenziale oder vegetative Reaktionen gemessen. Merke Histologie Krankheitsmodelle des Schmerzes. Es gibt verschiedene Modelle, die das Zusammenwirken der oben genannten fünf Komponenten des Schmerzes beschreiben. – Biopsychosoziales Modell des Schmerzes. Dieses Krankheitsmodell besagt, dass biologische, soziale und psychologische Faktoren bei der Entstehung des Schmerzes zusammenwirken. Der Anstoß zu dieser multifaktoriellen Sichtweise kommt u. a. von dem Gate-Control-Modell. Es besagt, dass der nozizeptive Input auf dem Weg zum ZNS auf der Höhe des Rückenmarks zum ersten Mal verarbeitet wird. In den Hinterhörnern des Rückenmarks gibt es neuronale Mechanismen, die als „Tor“ (Gate) dienen und überwachen, wie viel des peripheren nozizeptiven Inputs zum ZNS, in dem dann die eigentliche Schmerzwahrnehmung stattfindet, „durchgelassen” wird (Control). Die Modulation der sensorischen Übertragung durch das Tor hängt zum einen vom Verhältnis der Aktivität afferenter dicker nicht nozizeptiver und dünner nozizeptiver Fasern ab: Die Erregung dicker Fasern „schließt das Tor“, die Erregung dünner Fasern „öffnet das Tor“. Zum anderen wird das Tor durch efferente Fasern modifiziert: absteigende zentrale Einflüsse wie Kognitionen und Emotionen können die Weiterleitung des Schmerzes blockieren. Merke Biologie – Affektive Komponente beschreibt das Gefühl, das mit dem Schmerz einhergeht. Wenn der Patient Angst spürt oder wütend oder verzweifelt ist, so sind dies affektive Ausdrücke. Schmerzen und Emotionen können sich in einem Teufelskreis gegenseitig aufschaukeln. So führen starke Schmerzen zu einer stärkeren Angst, die wiederum dazu führt, dass der Schmerz stärker wahrgenommen wird usw. – Vegetative Komponente: Bei akutem Schmerz kommt es automatisch zur Anregung des vegetativen Nervensystems. Die körperliche Aktivierung gleicht einer Stressreaktion. – Die motorische oder auch Verhaltenskomponente des Schmerzes beschreibt die Schutzreaktionen des Individuums. Schutzreflexe, Sichwegdrehen, aber auch mimische Reaktionen gehören hierzu. Abwehrmechanismen Nun kann es dazu kommen, dass die Bedürfnisse des Es so stark werden, dass es dem Ich nicht mehr gelingt, einen Kompromiss zu finden. Damit die Es-Impulse nicht ins Bewusstsein dringen und die Kontrolle übernehmen können, setzt das Ich Abwehrmechanismen ein. Abwehrmechanismen gehören zum alltäglichen Erleben und werden erst dann pathologisch, wenn sie zu häufig und zu starr eingesetzt werden, um Es-Impulse in Schach zu halten. Bei der Verschiebung müssen immer mindestens zwei Personen beteiligt sein, eine, die das unangenehme Gefühl auslöst und eine andere, an der es abreagiert wird. Dadurch unterscheidet sich die Verschiebung von der Projektion, bei der ich einfach meine Gefühle jemand anderem anlaste. Reaktionsbildung. Bei der Reaktionsbildung wird genau das Gegenteil von dem getan, wozu der Es-Impuls veranlassen will. So könnte ein Mann, der sehr aggressive Impulse hat, ein pazifistisches Verhalten an den Tag legen. Biologie Histologie Anatomie Chemie Biochemie Ich. Das Ich ist als einzige Instanz bewusst. Das Ich versucht immer zwischen den Bedürfnissen des Es, den Ansprüchen des Über-Ich und den Umweltgegebenheiten zu vermitteln. Es ist dein Ich, das im Augenblick bewusst diese Worte liest, der Wunsch, lieber in die Stadt zu gehen, um dich mit deinen Freunden zu treffen, entspringt dem Bedürfnis des Es, seine Lust zu befriedigen. Der Grund dafür, dass du nicht nachgibst, sondern weiterliest, ist dein Über-Ich, das dir ein schlechtes Gewissen machen würde. Das Ich wird den passenden Ausgleich finden, und vielleicht hörst du deswegen im Hintergrund zur Entspannung gerade Musik. Verschiebung. Bei der Verschiebung werden Es-Impulse, die in einer Situation nicht ausgelebt werden können, auf eine ungefährlichere Situation übertragen. Meist handelt es sich dabei um aggressive aufgestaute Gefühle. So kann man möglicherweise nicht aggressiv reagieren, wenn der Chef einem noch mehr Arbeit zu tun gibt. Der aggressive Impuls, der eigentlich dem Chef gilt, wird später am Partner abreagiert. Physik Über-Ich. Das Über-Ich ist der Sitz unserer Moral- und Idealvorstellungen. Es entwickelt sich zum Ende der ödipalen Phase (siehe Persönlichkeitsentwicklung). Das Über-Ich ist auch unbewusst. Wir bemerken es nur in Form unseres schlechten Gewissens. Projektion. Bei der Projektion werden innere Konflikte oder Wünsche auf die Umwelt projiziert. So gibt der Patient an, sehr friedliebend zu sein, da er seine aggressiven Impulse verdrängt, behauptet aber, gemobbt zu werden. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Es. Das Es ist von Geburt an vorhanden. Es ist der primitive Teil unserer Persönlichkeit. Das Es ist die Quelle unserer Triebwünsche. Freud postulierte zwei Triebe. Den Sexualtrieb (Libido) und den Aggressions- oder Todestrieb (Tanatos). Beide streben nach Befriedigung. Das Es will seine Lust (Triebwünsche) immer unmittelbar befriedigen. Es ist vollkommen unbewusst. Verleugnung ist das Nicht-Wahrhaben-Wollen momentaner realer Bedrohungen („Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“). Isolierung. Bei der Isolierung trennt eine Person den sachlichen Gehalt eines Themas oder einer Situation von der belastenden emotionalen Bewertung. Dieser Abwehrmechanismus wird zum Beispiel von einem Patienten eingesetzt, der sich rein sachlich mit einer schweren Erkrankung auseinandersetzt, ohne seine Angst oder Trauer bewusst wahrzunehmen. Physiologie Später differenzierte Freud sein Modell der Psyche mehr und entwickelte das Strukturmodell. Hier geht er davon aus, dass die Persönlichkeit sich aus den drei Instanzen Es, Ich und Über-Ich zusammensetzt, die sich in einem dynamischen Gleichgewicht befinden. Auch wenn das Ich bewusst ist, bemerken wir die Abwehrmechanismen nicht. Sie dienen ja dazu, unbewusste Wünsche auch unbewusst zu lassen. Die Rationalisierung ist das bewusste, logische Begründen eines Verhaltens, das einem Es-Impuls entspringt. So könnte ein Patient seinen Wutausbruch im Nachhinein damit rationalisieren, dass die Sprechstundenhilfe ihn zu lange warten ließ. Die Begründung, dass man eine Zigarette deshalb raucht, weil sie entspannt, ist ebenfalls eine derartige Rationalisierung. Psych./Soz. Strukturmodell 885 Verdrängung. Für Freud war Verdrängung der wichtigste Abwehrmechanismus. Beim Prozess der Verdrängung werden schmerzhafte oder bedrohliche Erfahrungen oder Wünsche vom Bewusstsein ausgeschlossen. Meist sind dies schamhafte oder unerlaubte Gedanken oder Wünsche. Verdrängung aus analytischer Sicht liegt dann vor, wenn wir uns an zurückliegende traumatische Erlebnisse nicht mehr erinnern können. So haben manche Opfer von Unfällen oder Naturkatastrophen fast alles vergessen, was sie währenddessen erlebt haben. Merke Der bewusste Anteil besteht aus dem, was uns unmittelbar zugängig ist, also dem, was wir gerade denken. Das Vorbewusste besteht aus automatisierten Handlungen, also Dingen, über die wir uns im Klaren sind, die unserem Bewussten zugängig sind, aber die ohne unsere Kontrolle ablaufen, wie das Schreiben, das Autofahren ... Im Unbewussten sind alle seelischen Inhalte angesiedelt, die uns nicht unmittelbar zugänglich sind. Dies sind nach Freud vor allem sexuelle oder aggressive Triebwünsche. Diese unbewussten Anteile sind es aber, die uns zum alltäglichen Handeln motivieren. Denn wir handeln nur, um unsere Triebwünsche befriedigen zu können. Merke 1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 886 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Histologie Anatomie Die Sublimierung ist ein Abwehrmechanismus, bei dem Es-Impulse in kulturelle oder gesellschaftlich förderliche Tätigkeiten umgesetzt werden. So kann jemand mit einem aggressiven Impuls Chirurg werden, um seinen Trieb so zu entladen. Die Sublimierung ist nach Freud der Grund für die menschliche Entwicklung, denn er kommt bei jedem Menschen im Laufe der psychosexuellen Entwicklung vor (siehe unten). Entwicklung psychischer Störungen Biochemie Physik Merke Chemie Aus Sicht der Analyse entsteht eine Störung durch einen Konflikt der Persönlichkeitsinstanzen, der nicht mehr vom Individuum allein zu lösen ist. Der Grund für diesen Konflikt liegt nach der traditionellen Analyse immer in einem Trauma aus der Kindheit begründet. So kann es beispielsweise sein, dass das Es ein nicht akzeptables, sexuelles Bedürfnis in der Kindheit verspürt hat, das es nicht stillen kann, ohne eine extreme Bestrafung durch das Über-Ich zu fürchten. In diesem Fall funktionieren die üblichen Abwehrmechanismen nicht mehr genügend. Um dem Trieb die Energie zu entziehen, produziert das Ich Angst, die sich dann in Form einer Phobie äußert. Nach analytischer Auffassung ist das Symptom einer psychischen Störung nur ein Ausdruck eines unbewussten psychischen Konflikts zwischen den Persönlichkeitsinstanzen, der erst bewusst gemacht werden muss. Primärer und sekundärer Krankheitsgewinn Physiologie Die Entwicklung eines Symptoms hat für den Patienten auch „Vorteile“. Zum einen reduziert das Symptom wie ein Ventil die Spannung des unbewussten Konflikts (primärer Krankheitsgewinn) und zum anderen bekommt der Patient auch Zuwendung oder erfährt Entlastung (sekundärer Krankheitsgewinn). (Dis-)Simulation und Aggravation Psych./Soz. Der Mensch ist in der Lage, die Vor- und Nachteile des Krank-Seins bewusst zu reflektieren. So kann er auch die Krankheit zu seinem Vorteil nutzen. Er kann Symptome vortäuschen (simulieren), z. B. um krank geschrieben zu werden. Er kann auch bestehende Symptome stärker dar- stellen. Dies nennt man Aggravation (Übertreiben bestehender Symptome). Wenn ein Symptom geleugnet wird, so spricht man von Dissimulation. 1.2.4 Sozialpsychologische Modelle Sozialpsychologische Modelle gehen von folgender Annahme aus: Ob ein Mensch krank oder gesund ist, hängt nicht nur von der körperlichen Verfassung ab, sie hängt ebenfalls von der psychischen Verfassung des jeweiligen Menschen, von seiner Sichtweise die Krankheit betreffend und von seinen sozialen Einflüssen wie dem Status ab. Es gibt viele soziale Faktoren, die einen Einfluss auf unsere Krankheit und Gesundheit haben. Normen Normen sind in der Gesellschaft verankerte Regelsysteme, die das Verhalten der Gesellschaftsmitglieder vorschreiben. Wenn eine Person normabweichendes Verhalten (Devianz) zeigt, wird sie bestraft, das Verhalten wird sanktioniert. Primäre und sekundäre Devianz. Häufig tritt normabweichendes Verhalten zunächst zufällig oder ungewollt auf, z. B. bei einem Jugendlichen, der das erste Mal verbotene Drogen konsumiert. Die primäre Devianz besteht hier im ursprünglich abweichenden Verhalten. Sekundäre Devianz ist das abweichende Verhalten als Folge gesellschaftlicher Etikettierung. Wird also der Jugendliche wie ein Junkie behandelt, so wird ihn dies veranlassen, weiter Drogen zu nehmen. Soziale Rollen Eine soziale Rolle besteht aus Verhaltens- und Denkweisen und Erwartungen, die an den Inhaber einer bestimmten sozialen Position gestellt werden. Gemeint ist damit, dass wir uns unterschiedlich verhalten, je nachdem, in welchem sozialen Kontext wir uns gerade befinden. Wir denken, fühlen und verhalten uns im Beruf anders als abends mit den besten Freunden. Rollen werden durch die Erwartungen der Gesellschaft bestimmt. Sie sind meist schriftlich fixiert wie beispielsweise die Erwartungen an die Rolle des Arztes. Diese formellen Rollenerwartungen leiten sich meist aus Normen ab. Wenn ein Individuum auf einer bestimmten sozialen Position die Rollenerwartungen der Gesellschaft übernimmt, spricht man von Rollenidentifikation. Widersetzt sich jemand, der eine bestimmte Rolle innehat, den Rollenerwartungen, so spricht man von Rollendistanz. Von informellen Rollenerwartungen spricht man, wenn eine Person durch ihr eigenes Verhalten Erwartungen im sozialen Umfeld auslöst. So wird an eine hilfsbereite Person auch irgendwann die Erwartung der Hilfsbereitschaft gestellt. Arztrolle nach Parsons. Parsons fasste die Rollenerwartungen an einen Arzt wie folgt zusammen: Die affektive Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Biologie Die Konversion ist eine Abwehrstrategie, bei der die Energie eines psychischen Konflikts in ein körperliches Symptom umgelenkt wird. Denn es scheint leichter zu sein, ein körperliches Symptom zu entwickeln, als den innerpsychischen Konflikt bewusst werden zu lassen, da dieser als zu traumatisch angesehen wird. Nach diesem Abwehrmechanismus ist die so genannte Konversionsstörung benannt, bei der für eine körperliche Symptomatik keine organische Ursache vorliegt. Beispielsweise haben diese Patienten Lähmungserscheinungen in den Armen oder Beinen oder sensorielle Ausfälle wie psychogene Blindheit, ohne dass das Nervensystem geschädigt wäre. Rollentransfer. Manchmal kommt es vor, dass wir die Verhaltensweisen, die sich in einer Rolle gut bewährt haben, in eine andere Rolle übertragen (interner Rollentransfer). So kann es z. B. passieren, dass eine Krankenschwester, die im beruflichen Alltag dem Patienten helfen und ihn pfle- Theorie der kognitiven Dissonanz Menschen streben ein Gleichgewicht ihres kognitiven Systems an. Unter Kognitionen versteht man dabei Meinungen, Glaubensweisen, Wissenseinheiten etc. (allgemein: Bewusstseinsprozesse). Das heißt, dass Menschen ihr Verhalten sinnvoll begründen müssen, um sich wohl zu fühlen. Wenn Kognitionen untereinander im Zusammenhang stehen, dann können sie entweder konsonant sein, also sich gegenseitig ergänzen, oder dissonant sein, also sich gegenseitig ausschließen. Ein klassisches Beispiel ist das Rauchen. „Ich möchte rauchen“ (Kognition 1). „Rauchen ist schädlich“ (Kognition 2). Diese schließen sich gegenseitig aus, erzeugen Dissonanz. Dissonanzreduktion. Kognitive Dissonanz führt beim Menschen zur Motivation oder zum Druck, die entstandene Dissonanz zu reduzieren. Diese Reduktion kann auf verschiedene Weise durch Veränderung des kognitiven Systems erfolgen: – Addition (Hinzufügen) neuer konsonanter Kognitionen – Subtraktion (Abziehen) dissonanter Kognitionen (Ignorieren, Vergessen, Verdrängen) – Substitution (Ersetzen) von Kognitionen Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Biologie Histologie Anatomie Chemie Einstellungen bestehen aus einer affektiven und einer kognitiven Komponente. Die Einstellung „Prüfungen müssten abgeschafft werden“ beinhaltet ein Gefühl (Ärger, Ängstlichkeit...) und einen Gedanken („Ich finde Prüfungen blöd, müssen abgeschafft werden.“). Einstellungen beeinflussen das mit diesem Gegenstand oder dieser Situation verbundene Verhalten. Einstellungen haben einen Einfluss auf die Gesundheit, denn jemand, der gesundheitsbewusst lebt, wird sehr wahrscheinlich auch gesündere Nahrung zu sich nehmen und damit das Krankheitsrisiko herabsetzen. Der Zusammenhang von Einstellung und Verhalten wird in der Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger 1957) beschrieben. Biochemie Einstellungen Physik Intra- und Interrollenkonflikt. Rollenkonflikte können dann entstehen, wenn unterschiedliche Erwartungen an eine Person gestellt werden. Es werden Intrarollenkonflikte und Interrollenkonflikte unterschieden. – Ein Intrarollenkonflikt liegt dann vor, wenn an ein und dieselbe Rolle unterschiedliche Erwartungen gestellt werden, die nicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Ein Beispiel hierfür könnte sein, eine Krankenpflegeschülerin wird von der Sichtweise geleitet, dass sie ihrer Rolle nur dann gerecht wird, wenn sie sehr gründlich arbeitet und ebenso viel Zeit für die Pflege wie für die Beziehungspflege und auch für die Aktivierung der alten Menschen aufbringt. Ihr Chef hingegen stellt möglicherweise eine Erwartung an sie, die besagt, dass sie rasch die medizinische Grundversorgung erledigen soll, um mehr Bewohner in kürzerer Zeit zu pflegen. Diese unterschiedlichen Erwartungen sind nicht miteinander vereinbar! – Ein Interrollenkonflikt liegt dann vor, wenn sich mehrere Rollen, die wir zur selben Zeit innehaben, gegenseitig ausschließen. Ein häufiger Interrollenkonflikt tritt bei allein erziehenden Elternteilen auf, die gleichzeitig für ihr Kind da sein möchten und trotzdem in ihrem Beruf eine bestimmte Rolle belegen müssen, die ihnen nicht so viel Zeit für ihr Kind lässt, wie sie gerne hätten. Rollenkonflikte können wie auch normabweichendes Verhalten Stress und damit Krankheiten auslösen. Rollensequenz. Wir spielen im Laufe unseres Lebens viele verschiedene Rollen, die zueinander in einer zeitlichen Beziehung (einer Reihenfolge) stehen. Abfolge verschiedener Rollen in einer Entwicklungsreihe nennt man Rollensequenz. Wir werden z. B. geboren, sind Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, werden älter, gründen eine Familie, bis wir schließlich alt werden und sterben. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Krankenrolle nach Parsons. Wie für den Arzt, formulierte Parsons auch für den Patienten Rollenerwartungen, die er aus den Normen und somit aus den Erwartungen der Gesellschaft ableitete. Demnach ist der Kranke von sozialen Normen befreit. Er wird für seine Krankheit nicht verantwortlich gemacht, er muss sich dem behandelnden Arzt gegenüber kooperativ verhalten (Compliance). Und schließlich muss er schnell wieder gesund werden (genesen). gen soll, diese Verhaltensweise auch zuhause auf ihren Partner überträgt. Häufig ist es aber auch so, dass andere von einer Rolle, die ein Mensch einnimmt, darauf schließen, wie sich dieser Mensch in anderen Rollen verhalten soll (externer Rollentransfer). Dies geschieht beispielsweise dann, wenn Freunde und Bekannte eine Krankenschwester um eine Diagnose für ihre Krankheiten bitten. Physiologie Neutralität besagt, dass der Arzt seine Patienten unabhängig von Gefühlen wie Zu- oder Abneigung behandeln soll. Universale oder Kollektivitätsorientierung meint, dass jede Person nach gleichen Grundsätzen ärztlicher Kunst behandelt werden soll, egal, ob Arm oder Reich. Dabei soll der Arzt die Erwartung der funktionalen Spezifität wahren, also sich nur auf das ärztliche Handeln beschränken und nichts anderes tun, als z. B. nebenbei ein Produkt verkaufen. Die Erwartung des Altruismus besagt, dass er dabei uneigennützig sein soll. Und schließlich soll er Kompetenz zeigen, um richtig handeln zu können. 887 Psych./Soz. 1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle Soziale Risiko- und Schutzfaktoren Histologie Anatomie Merke Biologie Hier sind nicht die Einstellungen des einzelnen Individuums die Einflussfaktoren, sondern die soziale Umgebung. Eine wichtige Einflussgröße auf die Gesundheit ist die soziale Unterstützung (social support). Mit sozialer Unterstützung sind emotionaler Rückhalt (Anteilnahme und Zuwendung), aber auch die Weitergabe von Wissen oder instrumenteller (direkter) Hilfe gemeint. Ebenso gehört materielle Unterstützung dazu. Soziale Unterstützung wird auch als soziale Eingebundenheit oder soziales Netzwerk bezeichnet. Gute soziale Netzwerke können z. B. von Nachbarn geschaffen werden. Ein gutes soziales Netzwerk wirkt als Puffer gegen Stress und somit gegen Krankheiten. Staatliche Unterstützung gehört nicht zu den sozialen Risiko- und Schutzfaktoren. 1.2.5 Soziologische Modelle Chemie Soziologische Modelle gehen davon aus, dass soziale Strukturen wie Schichtzugehörigkeit einen Einfluss auf Gesundheit und Krankheit haben. Sie betrachten also die Gesellschaftsstruktur, die Wirtschaftsform, die Art gesellschaftlicher Kranken- und Altersvorsorge und bringen diese Faktoren in einen Zusammenhang mit der Auftretenshäufigkeit von Krankheits- und Todesursachen. Grundannahmen soziologischer Modelle Biochemie Es gibt zwei Ansätze, diese Strukturen zu untersuchen: entweder auf globaler Ebene oder innerhalb einer Gesellschaft. Auf globaler Ebene vergleicht man mehrere Staaten und Wirtschaftsformen miteinander, auf der innergesellschaftlichen Ebene untersucht man, wie sich die unterschiedliche Teilnahme an gesellschaftlichen Ressourcen auf die Gesundheit auswirkt. Soziostrukturelle Faktoren Physik Dies sind alle Elemente, die den Aufbau einer Gesellschaft betreffen. Einer der wichtigsten Faktoren ist die soziale Schichtzugehörigkeit. Physiologie Psych./Soz. Die soziale Schicht. In Deutschland hat sich immer wieder gezeigt, dass sich Angehörige der verschiedenen sozialen Schichten in ihrem Krankheits- und Gesundheitsverhalten unterscheiden. Mitglieder unterer sozialer Schichten zeigen mehr gesundheitsgefährdendes und weniger gesundheitserhaltendes Verhalten. In den oberen Schichten ist es genau umgekehrt. Mitglieder unterer Schichten suchen weniger ärztliche Hilfe auf, befolgen die Anweisungen zur Therapie nicht so strikt und kooperieren nicht so gut mit dem behandelnden Arzt wie Mitglieder der oberen Schichten. Diese Faktoren erklären zum Teil höhere Auftretenswahrscheinlichkeit von Krankheiten in den unteren Schichten. Beispielsweise ist der Anteil adipöser (fettleibiger) Personen in unteren sozialen Schichten deutlich höher als in der Mittel- und Oberschicht. Aber auch Rauchen und Alkoholkonsum weisen einen sozialen Schichtgradienten (Abnahme des betroffenen Bevölkerungsanteils bei höheren Schichten) auf. Adipositas und Rauchen gelten beispielsweise als Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dieser Erklärungsansatz wird als Verursachungshypothese (auch soziogene Hypothese) bezeichnet. Krankheits-Risiko-Faktoren sind ungleich verteilt. In den unteren Schichten gibt es mehr Risikofaktoren. Daher ist ein Mensch, der in den unteren sozialen Schichten lebt von vornherein einem höheren Krankheitsrisiko ausgesetzt. Einen alternativen Ansatz stellt die soziale Drifthypothese (Selektionshypothese) dar. Ihr zufolge führt die Krankheit zu einem sozialen Abstieg. Der Kranke driftet durch die sozialen Schichten nach unten. Diese Hypothese wurde in Studien zur sozialen Mobilität bei schizophrenen Menschen belegt. Man stellte fest, dass diese Menschen nach Ausbruch der Störung sozial abstiegen. Allerdings ist dies kein endgültiger Beweis für diese Hypothese. Klinik Nicht bei allen psychischen und physischen Krankheiten sind Angehörige unterer sozialer Schichten häufiger betroffen als Mittel- und Oberschichtangehörige. Ein Gegenbeispiel ist die Anorexia nervosa (Magersucht), an der überproportional viele Mädchen und Frauen aus höheren Schichten, oft Gymnasiastinnen oder Studentinnen, leiden. Dagegen findet sich bei der Bulimia nervosa, einer Essstörung, die mit Fressanfällen und darauf folgendem Erbrechen der Nahrung einhergeht, keinerlei Schichtgradient. Die Erwerbstätigkeit. Studien konnten mehrfach zeigen, dass Arbeitslosigkeit einen negativen Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit hat. Allerdings hängt der Einfluss der Arbeitslosigkeit auch vom Selbstkonzept oder der sozialen Unterstützung ab. Doch nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern auch bestimmte berufliche Faktoren sowohl physischer Art (z. B. Schicht- und Schwerstarbeit) als auch psychischer Art (z. B. hohe Verantwortung, geringe Kontrolle, hoher Zeitdruck, Unsicherheit über den Arbeitsplatz) wirken sich negativ auf die Gesundheit aus. Ökologische Faktoren Hier geht es um alle Umwelteinflüsse, die über verschiedene Gesellschaften hin wirksam sind. Sie lassen sich unterteilen in die soziale Umwelt, die oben erwähnt wurden, die kulturelle Umwelt und die natürliche Umwelt. Die kulturelle Umwelt. Die unterschiedlichen kulturellen Einflüsse bestimmen unsere Werte, wie beispielsweise den Umgang mit Schmerz. Sie bestimmen unseren Umgang mit Krankheit und Gesundheit dadurch, dass wir die Normen und Wertvorstellungen unserer Kultur übernehmen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 888 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Die Psychologie ist eine Naturwissenschaft. Sie will menschliches Erleben und Verhalten beschreiben, erklären und vorhersagen können. Dazu bedient sie sich naturwissenschaftlicher, empirischer Methoden. 1.3.1 Hypothesenbildung Eine Hypothese ist eine Vermutung darüber, wie verschiedene Faktoren miteinander in Beziehung stehen. Will man in der Psychologie oder Soziologie etwas untersuchen, so stellt man als Erstes eine Hypothese auf, die dann wissenschaftlich bewiesen oder verworfen wird. Hypothesenarten Deterministische Hypothese. Die deterministische Hypothese fordert, dass eine Aussage unter bestimmten Bedingungen immer zutrifft. Es gibt keine Ausnahme: Das Leben endet immer mit dem Tod. Diese Hypothese lässt sich widerlegen, wenn man nur eine Aussage formulieren kann, wo sie nicht stimmt. Probabilistische Hypothese. Eine Aussage, die nur mit einem bestimmten Wahrscheinlichkeitsgehalt zutrifft, ist eine probabilistische Hypothese. Wenn wir sagen: „angetrunkene Autofahrer bauen häufiger Unfälle“ und dies ist eine probabilistische Hypothese, so wird sie nicht dadurch Nun sind die meisten Hypothesen in einem psychologischen Experiment probabilistische Hypothesen. Sie treffen also nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu. Das Wahrscheinlichkeitsniveau, auf dem die Alternativhypothese zutrifft, wird vorher festgelegt. Meist liegt es bei 0,95. Das heißt, es wird eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,05 (5 %) angenommen. Anders gesagt: Wenn die Irrtumswahrscheinlichkeit 0,05 beträgt, und wenn die Alternativhypothese stimmt, dann ist die Wahrscheinlichkeit, die Alternativhypothese irrtümlich abzulehnen, 0,05. Dies wird auch durch die sog. Signifikanz ausgedrückt (S. 894). Bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,05, kann man auch sagen, das Ergebnis sei auf dem 5 %-Niveau signifikant. 1.3.2 Operationalisierung Die meisten Phänomene, mit denen sich die Sozialwissenschaften auseinandersetzen, sind nicht direkt zu beobachten. So ist Depressivität z. B. ein hypothetisches Konstrukt, da man es nicht direkt beobachten kann. Verhaltensweisen hingegen sind direkt zu beobachtende Phänomene. Einen weinenden Menschen kann man direkt beobachten, weil ihm die Tränen über das Gesicht laufen. Wenn wir also jemanden weinen sehen, und wir sagen, dieser Mensch sei depressiv, so schließen wir auf das Konstrukt Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Chemie Biochemie Methodische Grundlagen Null- und Alternativhypothesen. Dies sind Hypothesenformen, die nur bei einem Experiment vorkommen. Die Nullhypothese besagt, dass sich die experimentelle Bedingung (s. u.) nicht von der Kontrollbedingung unterscheidet. Die Alternativhypothese hingegen trifft zu, wenn es einen Unterschied zwischen der experimentellen und der Kontrollbedingung gibt. Also muss bei einem Experiment immer eine der beiden Hypothesen zutreffen, während die andere falsifiziert wird. Physik 1.3 Induktives und deduktives Vorgehen. Das Generieren von Hypothesen aus theoretischen Überlegungen wird als deduktives Vorgehen bezeichnet. Der Begriff der Deduktion (deducere, lat. = herleiten) stammt aus der formalen Logik und meint den Schluss vom Allgemeinen zum Besonderen: Aus einer Theorie mit größerem Geltungsbereich wird eine spezielle Annahme abgeleitet. Beim induktiven Vorgehen (inducere, lat. = einführen, herbeiführen) wird umgekehrt von beobachteten Gegebenheiten auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten, also vom Besonderen auf das Allgemeine geschlossen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Auch die wirtschaftlichen Faktoren spielen eine entscheidende Rolle bei der Gesundheitsversorgung. So werden in Deutschland die Arztkosten noch durch die gesetzliche Krankenkasse mitfinanziert, doch hier gibt es auch schon die starke Strömung zur eigenen Absicherung. In anderen Ländern, wo die staatliche Versorgung völlig fehlt, hängt es nur vom eigenen Einkommen ab, ob man sich eine gute Gesundheitsversorgung leisten kann. Der ökonomische Status führt dazu, dass die Angehörigen höherer Schichten eine bessere medizinische Versorgung erhalten. Besonders deutlich wird die Bedeutung der verschiedenen Umweltfaktoren bei einer weltweiten Betrachtung der Gesundheitsversorgung. Ein Indikator dafür ist die durchschnittliche Lebenserwartung: Während in den hoch industrialisierten Staaten der Nordhalbkugel (Nordamerika, Europa) die durchschnittliche Lebenserwartung bei 78 Jahren liegt, beträgt sie in den ärmsten Entwicklungsländern im Schnitt 51 Jahre. Diese Diskrepanz ist sowohl auf ökonomische wie auch ökologische Faktoren zurückzuführen. Physiologie Auswirkung ökonomischer und ökologischer Umweltfaktoren Hypothesen werden empirisch überprüft (empirisch, griech. = auf Erfahrung beruhend). Sind Hypothesen zu einem Gegenstandsbereich hinreichend überprüft – gelten sie also als gesichert – können sie ein System bilden, das als Theorie bezeichnet wird. Psych./Soz. Die technische Umwelt. Auch die Technik kann einen großen Einfluss haben, z. B. durch den Elektrosmog oder die Unfälle, die mit technischen Geräten zustande kommen. widerlegt (falsifiziert), falls es doch mal ein betrunkener Autofahrer nach Hause schaffen sollte. In der Psychologie und Soziologie werden nur probabilistische Hypothesen formuliert. Merke Die natürliche Umwelt. Die physikalischen, chemischen und biologischen Gegebenheiten unserer Umwelt bestimmen zu einem großen Ausmaß unsere Gesundheit. Biologie 1.3 Methodische Grundlagen 889 890 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Chemie Biochemie Physik Physiologie Messen. Dieser Begriff ist von der Operationalisierung zu unterscheiden. Messen meint die Zuordnung von empirischen Sachverhalten zu Zahlen nach einer bestimmten Regel (Stevens, 1959). Wird beispielsweise Intelligenz gemessen, so sollen die erhaltenen Zahlen auch die „Wirklichkeit“ abbilden. Dies kann man sich leicht am Beispiel des Körpergewichts vorstellen. Gemessen wird in kg. Wenn eine Person 75 kg wiegt und die andere 50 kg, so ist die zweite nur zwei Drittel so schwer wie die erste. Dies wird durch die Zahlen ausgedrückt. Bei nicht beobachtbaren Konstrukten ist es letztendlich genauso. Nur muss man hier den Umweg über die Operationalisierung machen. Psych./Soz. Skalenniveaus Das Niveau, auf dem gemessen wird, wird mit einer Skala beschrieben. Je genauer man die Wirklichkeit abbilden kann, desto mehr Rechenoperationen sind möglich, und desto höher ist das Skalenniveau. Intervallskala. Diese Skala hat keinen absoluten Nullpunkt mehr. Erlaubte Rechenoperationen sind daher nur noch Addition und Subtraktion. Die Abstände zwischen den Merkmalsausprägungen entsprechen sich (die Temperaturdifferenz von 10 Grad zu 12 Grad entspricht der von 14 Grad zu 16 Grad). Kennwerte sind als Maß der zentralen Tendenz der Mittelwert = arithmetisches Mittel und als Streuung die Varianz oder Standardabweichung. Die meisten psychologischen Testverfahren (Intelligenzquotient, Ängstlichkeit etc.) messen das Merkmal auf Intervallskalenniveau. Ordinalskala (= Rangskala). Die Merkmale, die hier abgebildet werden, lassen eine Zuordnung nach bestimmten Kriterien (größer/kleiner, schlechter/besser, schöner/hässlicher) zu. Die Werte lassen sich auch in Prozent ausdrücken. Auf diesem Niveau werden z. B. Schichtzugehörigkeit, Schulnote, sozialer Status abgebildet. Erlaubte Rechenoperation sind a<b, a>b. Das Maß der zentralen Tendenz ist der Median (Merkmalsausprägung des mittleren Ranges). Nominal- oder Kategorialskala. Auf diesem Skalenniveau lassen sich nur noch Kategorien abbilden. Hier kann man also am wenigsten Aussagen machen. Kategorien sind klar zuzuordnende Merkmale wie: verheiratet-ledig, MannFrau etc. Maß der zentralen Tendenz ist der Modus oder Modalwert. Informationen lassen sich von einem Skalenniveau auf das andere übertragen (transformieren), aber immer nur von einem höheren auf ein niedrigeres Skalenniveau. Liegt der Mittelwert eines Tests bei 100 auf der Intervallskala, so entspricht dies einem Prozentrang von 50 % auf der Ordinal- oder Prozentrangskala. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Anatomie Arten der Beobachtung. Es werden nicht immer Experimente durchgeführt, um ein psychologisches oder soziologisches Phänomen zu erforschen. Die operationalisierten Kriterien werden häufig auch lediglich durch Beobachtung gewonnen. Bei einer offenen Beobachtung ist bekannt, wer und wo der Beobachter ist. Setzt sich ein Arzt beispielsweise zu seinen Patienten, um sie einfach besser kennenzulernen, handelt es sich um eine offene Beobachtung. Bei der verdeckten Beobachtung ist der Beobachter nicht zu sehen. Die Beobachtungsformen lassen sich weiter in teilnehmend und nicht teilnehmend unterteilen. Schaut man beispielsweise zu, wie Kinder spielen, so nimmt man nicht teil. Anders wäre es, wenn der Beobachter mitspielt, also die gleichen Tätigkeiten ausführt wie die zu Beobachtenden. Bei einer systematischen Beobachtung ist genau festgelegt, welche Verhaltensweisen beobachtet werden sollen. Bei einer unsystematischen Beobachtung hingegen ist nicht genau festgelegt, was beobachtet wird. Verhältnisskala (= Rational- = Absolutskala). Auf diesem Skalenniveau sind die meisten Rechenoperationen möglich. Hier weiß man am meisten über die Wirklichkeit. Man weiß, dass die Verhältnisse, die hier abgebildet werden, einen absoluten Nullpunkt haben. Dies sind Größen wie Körpergewicht, Grad in Kelvin, Reaktionszeiten etc. Erlaubte Rechenoperationen sind Multiplikation und Division (A ist doppelt so groß wie B) und Addition und Subtraktion. Das Maß der zentralen Tendenz der Verhältnisskala ist das geometrische Mittel. Die Streuung lässt sich durch die Varianz beschreiben. Merke Histologie Operationalisierung bezeichnet den Vorgang, nicht direkt beobachtbare Phänomene für die Beobachtung und Messung zugänglich zu machen. Dazu werden Variablen herangezogen, die beobachtet und somit gemessen werden können (S. 894). Die Operationalisierung umfasst sowohl die Beschreibung der Vorgehensweise bei der Messung als auch die Beschreibung der eingesetzten Messinstrumente. Das Konstrukt Depressivität ließe sich also durch die beobachtbare Verhaltensweise Weinen operationalisieren (s. o.). Da dies aber nicht ausreicht, bräuchten wir noch weitere Verhaltensweisen wie die Mimik, sprachliche Äußerungen usw., um das Konstrukt Depressivität exakt operationalisieren zu können. Jede Skala hat ihre eigenen Kennwerte. Mit einem Kennwert wird beispielsweise ausgedrückt, welcher Wert am häufigsten vorkommt oder wie weit die Werte auseinander liegen. Jede Skala braucht ihre Kennwerte. Sonst sind die Zahlen nicht zu interpretieren. Die Kennwerte werden durch das Maß der zentralen Tendenz und die Streuung (Varianz) ausgedrückt. Merke Biologie Depressivität. Dies kann unter Umständen auch falsch sein. Manchen Menschen laufen die Tränen über das Gesicht, obwohl sie nicht depressiv sind, sondern, weil sie gerade eine Zwiebel geschält haben. 1.3 Methodische Grundlagen 891 Klinik Im Rahmen einer Anamnese gewinnt der Arzt Daten auf unterschiedlichen Niveaus. Ob der Patient männlich oder weiblich ist, wird auf einem Nominalskalenniveau beschrieben. Die Stärke der Schmerzen liegt auf einem Rangskalenniveau und Parameter wie Körpergröße und Gewicht auf einem Absolutskalenniveau. 1.3.3 Untersuchungskriterien Im folgenden Kapitel wird beschrieben, wie man einen Test konstruiert und wie man seine Tauglichkeit überprüft. Die Normierung eines Tests schafft ein Bezugssystem, in das individuelle Testergebnisse eingeordnet werden können und diese miteinander vergleichbar macht. Testgütekriterien Ein psychologischer Test muss gewisse Qualitätsmerkmale aufweisen, um als gut zu gelten. Die Hauptgütekriterien sind Objektivität, Reliabilität und Validität. Im weiteren Sinne können auch Ökonomie und Änderungssensitivität als Gütemerkmale verstanden werden. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Biologie Histologie Anatomie Chemie Biochemie Physik Bei relativen Beurteilungsskalen stellt man einen Vergleich an. „Sind Ihre Schmerzen heute stärker als gestern?“ erfordert einen Vergleich mit dem Vortag. „Haben Sie Schmerzen?“ ist eine absolute Frage. Zu den relativen Beurteilungen zählen der Rangvergleich, der Paarvergleich und das Soziogramm. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Relative Beurteilungskalen Physiologie Likert-Skala. Bei der Likert-Skala geben die Probanden ihre Zustimmung auf einer meist fünfstufigen Skala an. So kann 1 „stimme gar nicht zu“ und 5 „stimme völlig zu“ bedeuten. Die Besonderheit dieser Skala ist, dass der Gesamttestwert eines Probanden berechnet wird, indem die angekreuzten Skalenwerte einfach zusammengezählt werden. Bei einer Thurstone-Skala liegt ein dichotomes Format von „stimme zu“ und „stimme nicht zu“ vor. Bei einer numerischen Analogskala wird ein Merkmal auf einer Zahlenreihe (wie ein Lineal) zwischen zwei Extremwerten eingeschätzt. Patienten können beispielsweise das Ausmaß ihrer Schmerzen auf einer Zahlenreihe zwischen den Extremwerten „keine Schmerzen“ bis „sehr starke Schmerzen“ auftragen. Bei einer visuellen Analogskala sind nur die Endpunkte der Skala markiert, dazwischen finden sich keine Zahlenwerte. Auf der Rückseite können die Markierungen des Patienten dann in Zahlen abgelesen werden oder die Abstände zu den Endpunkten werden ausgemessen. Ein psychologischer Test ist ein Verfahren, mit dem quantifizierbare Aussagen über psychische Merkmale gemacht werden können. Es sollen also hypothetische Konstrukte (S. 889) gemessen werden. Psychologische Tests unterteilen sich in Leistungs-, Persönlichkeits- und Intelligenztests. Zunächst werden Testaufgaben (Items) ausgewählt. Durch eine Itemselektion wird entschieden, welche Aufgaben in die Endform kommen. Kriterien hierfür sind Itemschwierigkeit, Trennschärfe und Itemhomogenität. Die Itemschwierigkeit besagt, wie viele Probanden die Frage richtig gelöst haben. Bei der Trennschärfe vergleicht man das Ergebnis des einzelnen Items mit dem Ergebnis des gesamten Tests. Wenn man davon ausgeht, dass das Physikum ein Test ist, der das medizinische Wissen testet, dann sind die einzelnen Aufgaben die Items. Dann könnte man die Trennschärfe so beschreiben, dass ein Proband, der eine Aufgabe richtig löst, auch eine gute Endnote haben sollte und ein Teilnehmer, der diese Aufgabe nicht löst, eine schlechtere Endnote haben müsste. Eine gute Trennschärfe liegt bei etwa 50 %, dies gilt auch für die Itemhomogenität. Die Itemhomogenität besagt, wie sehr sich die einzelnen Items in Schwierigkeit und Trennschärfe gleichen. Anschließend wird er auf seine Güte geprüft (s. u.). Die so entstandene Testendform wird dann an einer Normstichprobe normiert. Man spricht auch von Eichung und einer Eichstichprobe. Für die Normierung benötigt man eine möglichst große Stichprobe. Aus diesen Ergebnissen werden Normen gewonnen. Anhand dieser Normen lassen sich individuelle Testergebnisse interpretieren. Testet man beispielsweise Hilfsbereitschaft und bekommt bei einer Person einen sehr hohen Punktwert heraus, so sagt das noch nichts aus. Nun muss man anhand der Normierung vergleichen, ob dieses Ergebnis im Mittel liegt, also normal ist oder über- bzw. unterdurchschnittlich. Nun könnte es sein, dass Mediziner sehr hilfsbereit sind, vielleicht hilfsbereiter als die Normalbevölkerung. Daher wäre es günstig, das Ergebnis unserer Testperson besser eingrenzen zu können. Aus diesem Grund erstellt man häufig Normen nach Alter, Geschlecht und Schulabschluss. Je genauer man die einzelne Person einordnen kann, desto besser und genauer ist das Ergebnis. Psych./Soz. Absolute Beurteilungsskalen sind Skalen, bei denen Merkmale direkt eingeschätzt werden. Hier beurteilen die Probanden sich oder andere, indem sie Einschätzungen auf einer mehrstufigen Skala direkt vornehmen. Beispiel: Probanden können die Häufigkeit angeben, mit der bestimmte körperliche Beschwerden in den letzten Wochen aufgetreten sind: 1 (nie), 2 (selten), 3 (gelegentlich), 4 (oft), 5 (immer) (Ordinalskala). Hierher gehört auch die dichotome Beurteilung „trifft zu“, „trifft nicht zu“ (Nominalskala). Einige Beispiel zu Skalierungsmethoden werden im Folgenden besprochen: Testkonstruktion Merke Beurteilungsskalen und Skalierungsmethoden Absolute Beurteilungsskalen 892 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Anatomie Chemie Biochemie Physik Physiologie Die Reliabilität eines Tests erhöht sich mit seiner Länge. Psych./Soz. Da die Reliabilität eines Test nie 1 erreicht, muss man eine gewisse Unzuverlässigkeit in Kauf nehmen. Diese Ungenauigkeit wird durch den Standardmessfehler ausgedrückt. Der Standardmessfehler (SM) errechnet sich aus dem Reliabilitätskoeffizienten (r) und der Standardabweichung (SD) der Testwerteverteilung. Die Standardabweichung gehört zu den Kennwerten der Intervallskala (s. o.): SM = SD (1–r) . Jeder individuelle Wert, der mit dem Test erhoben wird, ist also mit einem Fehler behaftet. Rechnet man zu dem Testwert eines Probanden einen Bereich hinzu, der vom Ausmaß des Standardmessfehlers abhängt, ergibt sich ein Konfidenzintervall (Vertrauensintervall), in dem der „wahre“ (also fehlerfreie) Wert sehr wahrscheinlich liegt. Je reliabler der Test, desto geringer ist der Standardmessfehler und desto enger das Konfidenzintervall. Validität. Die Validität ist die Gültigkeit. Ein Test ist dann valide, wenn er auch das misst, was er zu messen vorgibt. Ein Test, der Angst misst, sollte also das Konstrukt Angst erfassen und nicht etwa das Konstrukt Introversion. Die Validität kann auf mehrere Arten bestimmt werden: Bei der Kriteriumsvalidität wird die Validität gemessen, indem das Testergebnis mit einem Außenkriterium in Beziehung gesetzt (korrelliert) wird. Werden das Testergebnis und das Außenkriterium zur gleichen Zeit erhoben, spricht man von Übereinstimmungsvalidität. Soll das Testergebnis das Kriterium zu einem späteren Zeitpunkt vorhersagen, spricht man von Vorhersagevalidität (prädiktiver Validität). Ein Berufseignungstest beispielsweise ist dann (Vorhersage) valide, wenn er den späteren Berufserfolg gut vorhersagen kann. Häufig gibt es für ein komplexes Konstrukt nicht ein einzelnes Merkmal. Bei der Konstruktvalidität wird deshalb überprüft, inwieweit das Testergebnis mit anderen Indikatoren desselben Konstrukts zusammenhängt. Wenn jemand bei einem Angsttest sehr hohe Werte erzielt, dann sollte er z. B. eher schüchtern sein und kein extravertierter „Draufgänger“. Wenn die Testaufgaben selbst das zu messende Merkmal repräsentieren, spricht man von Inhaltsvalidität. Beispielsweise ist ein Rechentest ein inhaltsvalider Test, wenn es um die Erfassung von Rechenfähigkeit geht. Es wird weiterhin in interne und externe Validität unterschieden. Eine Untersuchung ist dann intern valide, wenn die erzielten Ergebnisse eindeutig für (oder gegen) die Hypothese sprechen, alternative Erklärungen für deren Zustandekommen also ausgeschlossen werden können. Externe Validität meint, dass die Ergebnisse auch für andere vergleichbare Probandengruppen, Orte und Situationen gültig sind. Die Validität kann verbessert werden, wenn Objektivität und Reliabilität oder die Genauigkeit des Außenkriteriums verbessert wird. Die Validität ist am schwersten zu realisieren, da man häufig ein Konstrukt misst und nie ganz sicher sein kann, ob man dieses Konstrukt wirklich erfasst. Beispiel: Die Prüfungsfragen des IMPP sollten an sich allen drei Gütekriterien entsprechen. Die Prüfung ist objektiv, da die angekreuzten Fragen mittels einer Schablone ausgewertet werden. Die Prüfung ist reliabel, denn wenn man nicht gerade zwischendurch lernt, so kommt man beim zweiten Mal kreuzen ca. auf dasselbe Ergebnis. Und wenn die Fragen wirklich nur das Prüfungswissen erfassen und nicht noch andere Konstrukte wie beispielsweise die Fähigkeit gut zu raten, so ist der IMPP-Test auch valide. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Merke Histologie Wenn ein Test standardisiert wurde, d. h. Fragen und Antwortkategorien vorgegeben sind, so ist er jederzeit wiederholbar und objektiv (d. h. vom Auswerter unabhängig). Auch diagnostische Klassifikationsschemata wie ICD-10 und DSM IV erhöhen die Objektivität, da sie den Ermessensspielraum bei der Diagnosestellung einschränken. Reliabilität. Reliabilität heißt Zuverlässigkeit und macht eine Aussage über die Genauigkeit, die Präzision eines Tests. Es gibt mehrere Arten, die Reliabilität eines Tests zu bestimmen. – Retestreliabilität : Der Test wird mit ein und derselben Versuchsperson zweimal durchgeführt und die Testergebnisse miteinander verglichen (korreliert, s. u.). – Splithalfreliabilität : Ein Test wird in zwei Teile geteilt. Nun lässt man Probanden beide Testteile ausfüllen und vergleicht dann die Ergebnisse der Testteile (Splithalf = in die Hälfte geteilt). – Innere Konsistenz: Hier wird jede einzelne Testaufgabe mit allen Testaufgaben in Beziehung gesetzt. Generell gilt: je höher die Reliabilität, desto besser der Test. Die Reliabilität ist rein mathematisch eine Korrelation (s. u.). Das bedeutet, dass sie im schlechtesten Fall 0 und im besten Fall 1 betragen kann. Man erreicht nie eine Reliabilität von 1, aber strebt Werte an, die um 0,8 oder 0,9 liegen. Durch Verlängerung eines Tests lässt sich seine Reliabilität verbessern. Dies kann dadurch geschehen, dass man Items hinzufügt. Es lässt sich aber auch statistisch eine Verlängerung errechnen. Merke Biologie Objektivität. Objektivität besagt, dass jeder, der den Test durchführt, auswertet und interpretiert, zu demselben Ergebnis kommen muss. Hierzu gibt es klare Handanweisungen, in denen das Vorgehen und die erlaubten Interpretationen klar beschrieben sind. Der Test läuft durch die klaren Vorgaben immer nach demselben Schema ab, er ist standardisiert. Objektivität kann bestimmt (gemessen) werden, indem man das Ergebnis mehrerer Tests auswertet und untereinander in Beziehung setzt (korreliert, s. u.). 1.3 Methodische Grundlagen 893 Entscheidung falsch negativ Entscheidung richtig negativ C D A+C B+D Sensitivität Spezifität A / (A + C) D / (B + D) A+B A / (A + B) negativer Prädiktionswert C+D D / (C + D) Die Vierfeldertafel am Beispiel von AIDS. Sensitivität und Spezifität. Diese Maße beziehen sich darauf, wie zuverlässig der Test einen Gesunden identifiziert (Spezifität) oder wie wahrscheinlich er einen Kranken erkennt (Sensitivität). Diese Wahrscheinlichkeiten lassen sich am besten in einer Vierfeldertafel ausdrücken (Abb. 1.2). Bei diesem Beispiel eines AIDS-Tests werden insgesamt 500 Probanden auf Anwesenheit von Viren getestet. Ein positiver Test (+) bedeutet, dass Viren gefunden wurden bzw. derjenige an AIDS erkrankt ist, ein negativer Test (-) bedeutet, dass keine Viren gefunden wurden bzw. derjenige gesund ist. Die Spezifität des Tests gibt an, wie wahrscheinlich ein tatsächlich Gesunder durch den Test identifiziert wird. Sie errechnet sich aus der Anzahl der Personen, die per Diagnose als richtig negativ (gesund) ermittelt wurde (250), geteilt durch die Gesamtzahl der Gesunden (400): 250 / 400 = 0,625. Von allen Gesunden erhalten also 62,5 % ein richtiges negatives Ergebnis und werden als gesund erkannt. Umgekehrt erhalten 37,5 % der Gesunden ein falsches positives Ergebnis und werden unnötig verängstigt. Die Sensitivität des Tests gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Test einen tatsächlich Kranken als positiv identifiziert. Sie errechnet sich aus der Anzahl der Personen, die per Diagnose als tatsächlich positiv (krank) ermittelt wurden (40), geteilt durch die Gesamtanzahl der Kanken: 40 / 100 = 0,4. In diesem Fall werden also nur 40 % der Kranken vom Test erkannt. D. h. 60 % der Erkrankungen werden übersehen! (schlechtes Screening). Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass ich wirklich krank bin, wenn ich ein positives Testergebnis bekomme, ist 20 %. Der negativ prädikative Wert gibt umgekehrt an, wie wahrscheinlich ein negatives Testergebnis (gesund) wirklich Gesundheit bedeutet. Er errechnet sich aus der Anzahl der Personen, die durch Diagnose als tatsächlich negativ (gesund) ermittelt wurden (250), durch die Gesamtzahl der Personen mit negativem Testergebnis (gesund, 319), geteilt durch die Gesamtzahl der gesunden (400): 250 / 310 = 0,8. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass ich wirklich gesund bin (Test negativ), wenn ich ein negatives Testergebnis bekomme, ist 80 %. Positiver prädiktiver und negativ prädiktiver Wert. Die prädiktiven Werte (Prädikationswerte) geben an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Testergebnis zutreffend ist. Der positiv prädiktive Wert gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein positives Testergebnis (krank) wirklich Krankheit bedeutet. Er errechnet sich aus der Anzahl der Personen, die per Diagnose als richtig positiv (krank) ermittelt wurden (40), geteilt durch die Anzahl aller Personen, die ein positives Ergebnis erhalten haben (190): 40 / 190 = 0,2. 1.3.4 Untersuchungsplanung Arten der Untersuchung Experiment Klinik Messung otoakustischer Emissionen. Ein Screeningtest (auch Filtertest) wird in einer größeren Bevölkerungsgruppe eingesetzt und dient dazu, das Vorliegen einer Erkrankung im Frühstadium zu erkennen. Ein Beispiel ist die Messung der otoakustischen Emission, um Hörstörungen bei Säuglingen zu identifizieren. Hierbei werden Schallwellen gemessen, die in der Kochlea entstehen und über das Mittelohr in den Gehörgang abgestrahlt werden (Physiologie, S. 857). Ein solcher Screeningtest sollte sich durch eine hohe Sensitivität auszeichnen, um sicherzugehen, dass Kranke auf jeden Fall als solche erkannt werden, damit ihnen rechtzeitig Unterstützung und Förderung zukommen kann. Es ist immer am günstigsten, wenn man ein Experiment durchführen kann. Denn mit einem Experiment können Kausalzusammenhänge also Ursache-Wirkungs-Prinzipien untersucht werden. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Biologie B Histologie A positiver Prädiktionswert Anatomie Abb. 1.2 Entscheidung falsch positiv Chemie insgesamt Entscheidung richtig positiv insgesamt Biochemie negativ (gesund) negativ (gesund) Physik positiv (krank) positiv (krank) Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Diagnose Physiologie Ökonomie und die Änderungssensitivität. Ein Test ist nur dann hilfreich, wenn er ökonomisch, das heißt wirtschaftlich, ist, zeitlich in einem vertretbaren Rahmen steht und nicht zu arbeitsaufwendig ist. Ein Test ist dann änderungssensitiv, wenn er sensibel gegenüber Veränderungen eines Merkmals ist. Ein Beispiel ist die Messung von Unterschieden der Angst vor und nach einer Angsttherapie, um deren Wirksamkeit zu überprüfen. Hierbei besteht das methodische Problem, nur schwer unterscheiden zu können, ob unterschiedliche Testergebnisse tatsächlich die Veränderungen des Merkmals wiedergeben oder aber die Folge der mangelnden Reliabilität des Tests sind (und das Merkmal in Wirklichkeit stabil bleibt). tatsächlicher Zustand Psych./Soz. Beziehung der Testgütekriterien untereinander. Nach der klassischen Testtheorie sind die Gütekriterien voneinander abhängig. Eine hohe Objektivität ist notwendig für eine gute Reliabilität. Eine hohe Reliabilität ist notwendig, um eine hohe Validität zu erhalten. Histologie Anatomie Merke Biologie – Unabhängige und abhängige Variablen. Um zu überprüfen, ob ein Ereignis A wirklich zu einem Ereignis B führt, variiert man planmäßig eine Variable (unabhängige Variable) und misst deren Ausprägungsgrad (abhängige Variable). Wollte man beispielsweise ein Medikament testen, das die Gedächtnisleistung verbessern soll, so wäre die Gabe des Medikaments die unabhängige Variable. Das Ergebnis, also das verbesserte Gedächtnis, die abhängige. Nun kann es natürlich mehrere unabhängige und somit auch mehrere abhängige Variablen geben. So könnte in unserem Experiment die Dosis variiert werden, und zusätzlich könnte man überprüfen, ob ein Spaziergang die Wirkung noch erhöht. Unabhängige Variable wird vom Versuchsleiter manipuliert. Abhängige Variable ist das Ergebnis, hängt von der Veränderung der unabhängigen Variablen ab. Chemie Biochemie Physik Physiologie Psych./Soz. – Intervenierende Variable. Hierbei handelt es sich um eine Variable, die andere Variablen beeinflusst. Sie wird auch Mediatorvariable genannt. So wurde beispielsweise der Einfluss von Einkommen auf die Krankheitshäufigkeit untersucht und nur ein schwacher Zusammenhang gefunden. Wenn allerdings die Variable des Bildungsabschlusses in die Untersuchung mit einbezogen wurde, so ergab sich ein starker statistischer Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss, Krankheitshäufigkeit und auch Bildungsabschluss sowie Einkommen. Das heißt, die Variable Bildungsabschluss hat die anderen Variablen beeinflusst, sie ist die intervenierende (hineinkommende) Variable. Ein Experiment muss wiederholbar, willkürlich und variierbar sein. Das heißt, der Versuchsleiter muss es jederzeit wiederholen können, er muss die Kontrolle über die Variablen haben und muss sie so variieren können, wie er will. Wenn die unabhängige Variable nicht willkürlich manipuliert werden kann, so spricht man von einem Quasiexperiment. So wollte man beispielsweise in einem Betrieb die Produktivität verbessern und aus diesem Grund in einigen Abteilungen die Arbeiter nach Leistung bezahlen und nicht mehr einen fixen Lohn ausschütten. Ursprünglich sollten fünf Abteilungen mitmachen, aber nur drei haben sich bereiterklärt. So konnte also das Experiment nicht willkürlich gestaltet werden. Hier spricht man von einem Quasiexperiment. Wichtig ist die Konstanthaltung aller anderen als der unabhängigen Variablen. Die Veränderung der abhängigen Variablen muss allein auf die Variation der unabhängigen Variablen zurückzuführen sein und nicht auf den Einfluss anderer Faktoren. Wenn sich in Abhängigkeit von einer unabhängigen Variablen auch eine Störvariable verändert, sodass man nicht sagen kann, ob der gefundene Effekt auf die Stör- oder auf die unabhängige Variable zurückzuführen ist, spricht man von Kunfundierung (Confounding). Experimental- und die Kontrollgruppe. Um die unabhängige Variable systematisch variieren zu können, benötigt man mindestens eine Experimental- und eine Kontrollgruppe. In unserem Experiment mit dem Medikament, das die Gedächtnisleistung verbessern soll, gibt es dementsprechend eine Gruppe von Probanden, die nichts eingenommen haben, um nach dem Experiment beurteilen zu können, ob die verbesserte Gedächtnisleistung wirklich durch das Medikament zustande kommt. Je komplexer das Experiment, desto mehr Fehler können sich einschleichen. So kann es wichtig sein, die Experimentalgruppen und die Kontrollgruppen richtig einzuteilen. Gerade dann, wenn man mehrere Wirkfaktoren hat, die untersucht werden sollen: – Randomisieren: Beim Randomisieren werden die Versuchspersonen zufällig zu den einzelnen Gruppen zugeordnet. – Parallelisieren: Beim Parallelisieren wird jedem Merkmalsträger in Gruppe A ein Merkmalszwilling in Gruppe B zugeordnet. – Ausbalancieren: Um z. B. bei Messwiederholungen Reihenfolgeeffekte auszuschließen, durchlaufen die Probanden der einzelnen Gruppen die experimentellen Bedingungen in unterschiedlicher Reihenfolge. – Signifikanz: Signifikanz meint überzufällig. Gruppen in einem Experiment unterscheiden sich fast immer. Die Frage ist also, ob sie sich zufällig oder wirklich außerhalb des Zufalls, also signifikant unterscheiden. Versuchspersonen- und der Versuchsleiterfehler. Der Versuchspersonenfehler (Hawthorne-Effekt) besagt, dass die Versuchspersonen sich anders verhalten, wenn sie wissen, dass sie an einem Experiment teilnehmen. Dieses Verhalten drückt sich am besten in der folgenden Behauptung aus: Wenn man jemanden auf der Straße bittet, einen Kopfstand zu machen, fragt er, „warum?“ Bittet man dasselbe eine Versuchsperson im Labor, fragt sie „wo?“. Der Versuchsleiterfehler (Rosental-Effekt) besagt, dass der Versuchsleiter selbst das Experiment fehlerhaft durch seine Erwartung beeinflusst. So würde der Versuchsleiter in dem Experiment mit dem gedächtnisverbessernden Medikament einen positiven Effekt auf das Ergebnis ausüben, wenn er an die Wirkung seines Medikaments glaubt. Versuchsleiter- und Versuchspersoneneffekte zählen zu den systematischen Fehlern. Diese verschieben das Gesamtergebnis in eine bestimmte Richtung. Im Gegensatz dazu heben sich zufällige Fehler (z. B. kommt ein Proband der Experimentalgruppe übermüdet zum Experiment) bei großen Stichproben auf. Die Merkmale einzelner Probanden „mitteln“ sich über die Gesamtstichprobe aus. Versuchspersonen- und Versuchsleiterfehler beschränken sich nicht auf Experimente, sondern verfälschen auch bei anderen Untersuchungsmethoden (z. B. beim Interview, s. u.) die Datenerhebung durch eine Verringerung der Objektivität. Der Hawthorne-Effekt lässt sich durch den einfachen Blindversuch ausgleichen und der Rosental-Effekt durch den Doppelblindversuch. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 894 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Kohortenstudie Kohorte meint die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, deren Mitglieder alle ein Merkmal gemeinsam haben, das sich auf einen bestimmten Zeitpunkt bezieht. In der Regel ist damit das Geburtsjahr gemeint. Eine Kohortenstudie untersucht Probanden eines einzigen Jahrgangs, um Alterseffekte auszuschließen. Der Begriff Kohorteneffekt meint, dass sich die Untersuchungsdaten von Personen gleichen Alters unterscheiden, weil diese aus unterschiedlichen Generationen stammen. Die Generationen waren möglicherweise völlig anderen Umweltkonstellationen (z. B. Krieg), wirtschaftlichen Bedingun- Absolutes und relatives Risiko. Das absolute und das relative Risiko eines Risikofaktors lassen sich aus einer Fallkontrollstudie errechnen. – Relatives Risiko: Bei der Berechnung des relativen Risikos wird die Zahl der Erkrankten, die einem Risikofaktor ausgesetzt waren, durch die Zahl der Erkrankten, die keinem Risikofaktor ausgesetzt waren, geteilt. Diese Berechnung wird häufig eingesetzt, wenn es um die Bestimmung langsam wirkender Risikofaktoren geht, wie beispielsweise das Rauchen und dessen Auswirkung auf Lungenkrebs. Beispiel: So erkranken 100 von 1000 Rauchern an Lungenkrebs. Von 1000 Nichtrauchern erkranken nur 10 Personen an Lungenkrebs. So ergibt sich: 100/1000 zu 10/1000 = 10 Damit ist das relative Risiko 10-mal so hoch, durch Rauchen an Lungenkrebs zu erkranken. – Absolutes Risiko: Das absolute Risiko wird auch als attributales, zugeschriebenes oder Überschussrisiko bezeichnet. Hier bildet man die Differenz der Erkrankungshäufigkeit zwischen exponierten und nicht exponierten Personen. Das absolute Risiko gibt also an, wie viele Personen gesund geblieben wären, hätte der Risikofaktor nicht vorgelegen. Beispiel: 10 von 1000 Nichtrauchern erkranken an Lungenkrebs. Dies sind 1 %. Bei Rauchern erkranken 100 von 1000 =10 %. Die Differenz beträgt 9 %, somit liegt das absolute Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, bei 9 %. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Chemie Biochemie Diese beiden Untersuchungsmethoden werden häufig in der Entwicklungspsychologie angewendet. Die Längsschnittstudie ist eine Methode, die Veränderungsprozesse erfassen kann. Dazu wird eine Personengruppe zu mehreren Messzeitpunkten getestet. Der Vorteil einer Längsschnittstudie ist, dass man wirklich Veränderungsprozesse erfasst. Der Nachteil ist, dass sie lange dauert und finanziell und arbeitstechnisch sehr aufwendig ist. Die Querschnittstudie ist ein Querschnitt über mehrere Altersstufen oder mehrere Zeitpunkte hinweg. Hier werden mehrere Personengruppen unterschiedlichen Alters zur gleichen Zeit getestet. Ihr Vorteil ist die große Ökonomie. Nur erfasst man hierbei keine Veränderung an sich. Querschnittstudien können auch eingesetzt werden, um Aussagen zur Auftretenshäufigkeit einer bestimmten Krankheit in einer Population zu einem bestimmten festgelegten Zeitpunkt zu machen – um also die Prävalenz einer Erkrankung festzustellen. Da bei einer Fallkontrollstudie eine Randomisierung nicht möglich ist, muss eine Kontrollgruppe geschaffen werden, die der Fallgruppe hinsichtlich wichtiger Variablen wie Alter, Geschlecht und Familienstand ähnlich ist. Physik Längsschnittstudie und Querschnittstudie Fallkontrollstudien werden durchgeführt, um den Einfluss eines Risikofaktors auf die Entstehung einer Erkrankung zu ermitteln. Hierbei werden zwei Gruppen gebildet; eine mit gesunden und eine mit kranken Personen und vergleicht dann, in welchem Ausmaß diese Gruppen einem Risikofaktor ausgesetzt waren. Man spricht dann auch von exponierten und nichtexponierten Gruppen. Somit ergeben sich vier Gruppen, die miteinander verglichen werden: Es gibt Menschen mit Risikofaktor, die erkranken und solche, die ohne Risikofaktor gesund bleiben. Hinzu kommen diejenigen, die trotz des Risikofaktors nicht erkranken und schließlich diejenigen, die ohne Risikofaktor dennoch erkranken. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Nicht immer ist es möglich oder sinnvoll, ein Experiment durchzuführen. Gerade dann, wenn man z. B. Phänomene in ihrem natürlichen Umfeld untersuchen will. Dann spricht man von einer Feldstudie. Hier ist Willkürlichkeit, Wiederholbarkeit und Variierbarkeit nicht gegeben. Eine Feldstudie lässt sich nicht standardisieren, sie ist also immer ein Quasiexperiment. Trotzdem lassen sich die Ergebnisse einer Feldstudie durch ihren Echtheitscharakter auch auf andere Situationen übertragen. Fallkontrollstudie Physiologie Feldstudie Prospektive Kohortenstudie. Hier werden Probanden ab dem Eintreten eines bestimmten Ereignisses im Längsschnitt beobachtet. Psych./Soz. Ein Placebo ist ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff. Es kann aber trotzdem Nebenwirkungen haben: Durch die suggerierte Behandlung können unbewusst auch Nebenwirkungen suggeriert werden. gen und sozialen Rollenvorstellungen ausgesetzt, die zu Unterschieden in den Daten führen. Merke Merke Blindversuch und Doppelblindversuch. Wenn man ein Medikament testen will, so gibt man der Kontrollgruppe ein Placebo. Die Kontrollgruppe weiß natürlich nichts davon. Dies ist ein Blindversuch. Wenn der Versuchsleiter selbst nicht weiß, wer das Placebo bekommt und wer das wirkliche Medikament, so handelt es sich um einen Doppelblindversuch. Biologie 1.3 Methodische Grundlagen 895 Anatomie Evaluationsstudie Chemie Biochemie Eine Evaluationsstudie ist eine Kontrolle von Programmen oder Prozessen. So gibt es die Prozessevaluation, die für die Erfassung des gesamten Prozesses steht, die Ergebnisevaluation, die eine Kontrolle darüber ist, ob die erwarteten Ergebnisse auch eingetroffen sind, und die Impact Evaluation. Dies ist eine Kontrolle über die erwarteten Effekte hinaus. Beobachtet man beispielsweise bei einem Therapieverfahren einen Effekt, den man vorher nicht berücksichtigt hatte, so kann er bei der Impact Evaluation noch mit miterfasst werden. Stichproben Physik Wenn man das Ergebnis einer Untersuchung auf eine große Gruppe Menschen übertragen will, so sollte die untersuchte Gruppe ein kleines Abbild der gesamten Gruppe sein. Man spricht von einer Stichprobe, die die Grundgesamtheit repräsentiert (widerspiegelt). Es gibt mehrere Möglichkeiten, eine Stichprobe zu erstellen, die die Grundgesamtheit repräsentiert. Zufallsstichprobe Physiologie Bei einer Zufallsstichprobe hat jede Person dieselbe Chance, ausgewählt zu werden. Es ist so, als würde man ein Telefonbuch aufschlagen und einfach mit dem Finger auf einen Namen tippen, derjenige, der so ausgewählt wurde, kann mitmachen. Psych./Soz. Geschichtete Zufallsstichprobe. Bei einer geschichteten Zufallsstichprobe wird die Population zunächst nach einem Merkmal geschichtet, von dem bekannt ist, dass es mit dem zu messenden Merkmal zusammenhängt. Es entstehen Untergruppen, aus denen dann eine Zufallsauswahl getroffen wird. Quotastichprobe Hier werden die Probanden so zusammengestellt, dass Ihre Verteilung der Grundgesamtheit entspricht. Nimmt man als Grundgesamtheit die Bundesrepublik Deutschland und bildet eine Quotastichprobe, so wird man darauf achten, dass die Hälfte männliche und die Hälfte weibliche Versuchspersonen sind. Ebenfalls wird man versuchen, die Schichtzugehörigkeit, den Bildungsstatus usw. durch eine entsprechende prozentuale Verteilung der Probanden abzubilden. Der Vorteil bei dieser Stichprobenauswahl ist, dass kein Proband ausfallen kann. Denn man weiß sofort, welcher Proband mit welchem Merkmal ausfällt und kann einen neuen akquirieren. 1.3.5 Methoden der Datengewinnung Daten von Menschen können auf vielfältige Weise erfasst werden, beispielsweise durch Beobachtung, Interviews, psychologische Tests oder Experimente. Die gewonnenen Daten unterscheiden sich je nach ihrer Erhebungsart voneinander. Datenarten Abhängig vom Forschungs- und Untersuchungsgegenstand werden unterschiedliche Daten erhoben. Individualdaten. Dies sind Daten, die direkt an der Person abgenommen werden wie Blutdruck, Gewicht und Körpergröße. Aggregatdaten sind zusammengefasste Individualdaten. Aus ihnen lässt sich bereits eine Statistik erstellen, die einen Mittelwert und eine Varianz bzw. Standardabweichung hat. Globaldaten sind keine personenbezogenen Daten mehr. Hier handelt es sich z. B. um Angaben zur Bevölkerungsdichte oder zum durchschnittlichen Kaffeekonsum pro Kopf. Primär- und Sekundärdaten. Hier wird nur nach dem Zeitpunkt der Erhebung unterschieden. Primärdaten werden vom Forscher selbst erhoben, während Sekundärdaten aus Primärdaten generiert werden, die bereits vorliegen und auf die der Forscher oder Arzt zurückgreift. Primär- und Sekundärdaten können sowohl Individualals auch Aggregatdaten sein und umgekehrt. 1.3.6 Datenauswertung und Interpretation Je nachdem, um welche Daten es sich handelt, wird unterschiedlich vorgegangen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Histologie Fall-Kontroll-Studien haben einen hohen praktischen Nutzen: Die Identifikation von Risikofaktoren bildet beispielsweise die Grundlage zur Initiierung präventiver Maßnahmen. Durch diese Studien kann die Gesundheitsgefährdung von Rauchen (siehe oben) oder Übergewicht erklärend belegt und die Bevölkerung besser aufgeklärt werden. Klumpenstichprobe. Hier werden nicht einzelne Personen per Zufall ausgewählt, sondern ganze Klumpen von Personen, z. B. alle Einwohner eines bestimmten Stadtteils. Merke Absolutes Risiko wird auch beschrieben als der prozentuale Anteil von Erkrankungen, der einem gesicherten Risikofaktor zugeschrieben werden kann. Prävalenz und Inzidenz. Inzidenz ist die Rate der Neuerkrankungen in einem festgelegten Zeitraum, z. B. die Neuerkrankungen während eines Jahres. Prävalenz ist die Auftretenswahrscheinlichkeit der Erkrankung, gleichgültig ob Neuerkrankungen dabei sind oder nicht. Also Auftretenswahrscheinlichkeit der Erkrankung in der Population X zum Zeitpunkt Y. Die Prävalenz einer Krankheit ist demnach größer als ihre Inzidenz. Merke Biologie Merke 896 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Quantitative Daten. Dies sind Daten, die in Zahlen vorliegen und beispielsweise durch Skalen beschrieben werden. Diese Daten lassen sich auf unterschiedliche Weise interpretieren. Bei einer deskriptiven Statistik werden Häufigkeitsverteilungen mit den dazu gehörigen Kennwerten wie Mittelwert und Abweichung dargestellt. Bei einer Inferenzstatistik werden die Daten genutzt, um von einer Stichprobe auf die Allgemeinheit (Grundgesamtheit) zu schließen. 8QNRQGLWLRQLHUWHU6WLPXOXV (UHLJQLV*HUlXVFK (UHLJQLV /XIWVWURPDXIGDV$XJH 8QNRQGLWLRQLHUWH5HDNWLRQ ̠ 1HXWUDOHU6WLPXOXV 5HDNWLRQ =ZLQNHUQ 5HDNWLRQ =ZLQNHUQ .RQGLWLRQLHUWH5HDNWLRQ 8QNRQGLWLRQLHUWHU6WLPXOXV Siehe Physiologie, Kapitel 20 ab S. 869. Lernen Die Psychologie beschreibt Lernen als Änderungen im Verhaltenspotenzial, die auf Erfahrungen des Organismus zurückgehen. Es werden folgende Lernformen unterschieden: – klassisches Konditionieren, – operantes Konditionieren, – Lernen am Modell, – Lernen durch Einsicht, – Lernen durch Habituation und Sensitivierung (nicht assoziatives Lernen). Klassische Konditionierung Das Prinzip der klassischen Konditionierung wurde zu Beginn des letzten Jahrhunderts von dem russischen Physiologen Pawlow entdeckt. Dabei geht es darum, wie ein neutrales Ereignis zu einem Reiz wird, der eine unwillkürliche Reaktion hervorruft. Pawlow zeigte dieses Prinzip mit Hilfe der Speichelsekretion bei Hunden auf. Ein Versuch, der auch gut am Menschen durchzuführen ist, ist die sogenannte Lidschlagkonditionierung: Ein Luftstrom auf das Auge löst einen Reflex aus, nämlich Zwinkern. In Abbildung 1.3 wird beschrieben, wie man dieselbe Reaktion, das Augenzwinkern, durch einen Ton hervorrufen kann. Vor der Konditionierung löst der unkonditionierte Stimulus „Luftstrom auf das Auge“ die unkonditionierte Reak- tion „Lidschlussreflex“ aus. (Ein neutraler Stimulus, wie etwa ein heller Ton, führt nicht zu diesem Effekt.) Während der Konditionierung wird der neutrale Stimulus zusammen mit dem unkonditionierten Stimulus dargeboten, in diesem Falle der Luftstrom auf das Auge gepaart mit dem Ton. Durch diese Kopplung wird aus dem neutralen Stimulus ein konditionierter Stimulus. Nach der Konditionierung führt der konditionierte Stimulus zu der konditionierten Reaktion „Zwinkern“, die der unkonditionierten Reaktion ähnlich ist. Klinik Antizipatorische Übelkeit. Zytostatika, die im Rahmen einer Chemotherapie bei Krebspatienten das Zellwachstum verhindern sollen, führen zu den unerwünschten Nebenwirkungen Übelkeit und Erbrechen. Hier fungieren die wiederholt verabreichten Medikamente als unkonditionierter Stimulus und lösen die unkonditionierte Reaktion Übelkeit aus. Gleichzeitig wirken auf die Patienten mit der Verabreichung der Medikamente eine Reihe weiterer ursprünglich neutraler Reize, wie zum Beispiel der Krankenhausgeruch beim Betreten der Klinik oder der Anblick des Klinikgebäudes. Durch mehrmalige zeitliche Assoziation von neutralen Reizen und unkonditioniertem Stimulus wird der neutrale Reiz zum konditionierten Stimulus und löst die konditionierte Reaktion aus: Allein der Krankenhausgeruch oder das Betreten des Klinikgeländes verursacht beim Patienten Übelkeit. Zeitintervall. Die günstigste Art, einen neutralen Reiz zu konditionieren ist, ihn kurz vor dem unkonditionierten Stimulus darzubieten. Der neutrale Reiz bekommt dadurch eine Signalfunktion, deswegen wurde das klassische Konditionieren auch als Signallernen bezeichnet. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Chemie Abb. 1.3 Beispiel für eine klassische Konditionierung. Biochemie Biologische Grundlagen .RQGLWLRQLHUWH5HDNWLRQ Physik 1.4.1 5HDNWLRQ =ZLQNHUQ Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Theoretische Grundlagen 1HXWUDOHU6WLPXOXV ̠ Physiologie 1.4 (UHLJQLV*HUlXVFK Anatomie Ergebnisbewertung Die Fragen, wie die gewonnenen Ergebnisse zu bewerten sind, sollten schon geklärt sein, bevor die Untersuchung überhaupt beginnt. Nur so ist objektives, wissenschaftliches Arbeiten gewährleistet. Die Ergebnisse müssen folgenden Kriterien entsprechen: Sie müssen replizierbar sein, sie sollen einen Nutzen für die Praxis haben (siehe evidenzbasierte Medizin). 1.4.2 Psych./Soz. 1.3.7 (UHLJQLV /XIWVWURPDXIGDV$XJH Histologie Qualitative Daten. Dies sind Daten, die nicht in Zahlen ausgedrückt werden, wie beispielsweise zusammengefasste Interviewberichte oder Biografien. Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 897 898 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Wichtige Begriffe aus der klassischen Konditionierung Biologie Histologie Begriff Erklärungen neutraler Stimulus ein Reiz, der zu keiner Reaktion führt unkonditionierter Stimulus ein Reiz, der ohne vorangegangenes Lernen zu einer Reaktion führt unkonditionierte Reaktion die Reaktion, die auf den unkonditionierten Stimulus folgt konditionierter Stimulus ein Reiz, der aufgrund einer mehrmaligen Kopplung mit einem unkonditionierten Stimulus irgendwann die gleiche Reaktion auslöst wie der unkonditionierte Stimulus konditionierte Reaktion die Reaktion, die auf den konditionierten Stimulus folgt Prinzipien des klassischen Konditionierens Anatomie Löschung. Tritt der konditionierte Stimulus über längere Zeit nicht mehr in Verbindung mit dem unkonditionierten Stimulus auf, so wird die konditionierte Reaktion immer schwächer, bis sie schließlich ganz ausbleibt. Remission. Spontane Wiederherstellung einer Reiz-Reaktions-Verbindung (z. B. nach vorheriger Löschung). Chemie Reizgeneralisierung. Die konditionierte Reaktion kann auch auf ähnliche konditionierte Reize erfolgen, die aber vorher nicht mit dem unkonditionierten Reiz gekoppelt waren. Reizdiskrimination. Die konditionierte Reaktion wird nicht bei ähnlichen Reizen gezeigt. Sie erfolgt nur auf einen ganz spezifischen konditionierten Reiz. Biochemie Konditionierung höherer Ordnung. Ein konditionierter Reiz wird mit einem weiteren bisher neutralen Reiz gekoppelt, sodass schließlich bereits der zweite vorher neutrale Reiz die konditionierte Reaktion auslöst. Physik Preparedness. Bestimmte Reize bekommen biologisch bedingt leichter eine Signalfunktion als andere, d. h. verschiedene „neutrale Reize“ eignen sich unterschiedlich gut zur Konditionierung. Z. B. erhalten bei klassisch konditionierter Übelkeit Geschmacksreize eher Signalfunktion als optische oder akustische Reize. Bei von außen zugefügten Schmerzen hingegen werden optische und akustische Reize eher zu gelernten Signalen als Geschmacksreize. Operantes Konditionieren – Lernen anhand von Konsequenzen Physiologie Bei der operanten Konditionierung spielen die Konsequenzen des Verhaltens eine wichtige Rolle. Verhaltensweisen, die befriedigende Konsequenzen haben oder unangenehme Konsequenzen vermeiden oder verringern, treten in der Folge häufiger auf. Die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens lässt sich beeinflussen, indem man es positiv oder negativ verstärkt oder bestraft. Psych./Soz. Verstärkung. Folgt ein angenehmer Reiz auf eine Reaktion (z. B. der Hund bekommt ein Leckerchen, wenn er Pfötchen gibt) und nimmt mit der Zeit die Auftretenswahrscheinlichkeit dieser Reaktion zu, so ist dieser Reiz ein positiver Verstärker. Wenn ein unangenehmer (aversiver) Reiz vermieden oder entfernt wird und dadurch mit der Zeit die Auftretenswahrscheinlichkeit einer erwünschten Reaktion ansteigen lässt, handelt es sich um einen negativen Verstärker. Bestrafung. Eine besondere Form des Verstärkerlernens ist die Bestrafung. Wenn ein unangenehmer (aversiver) Reiz auf ein unerwünschtes Verhalten folgt, sodass mit der Zeit die Auftretenswahrscheinlichkeit abnimmt, so wird dieses Ereignis als positive Bestrafung bezeichnet. Wenn die Wegnahme eines angenehmen Reizes auf ein Verhalten folgt, so nennt man diese Art der Konditionierung negative Bestrafung (z. B. Liebesentzug). Positiv bedeutet also immer die Verabreichung eines Reizes, negativ bezeichnet dagegen die Entfernung eines Reizes. Tabelle 1.3 gibt einen Überblick über die verschiedenen Typen von Verstärkung und Bestrafung. Primäre und sekundäre Verstärker. Primäre Verstärker erfüllen die Grundbedürfnisse des Menschen (physiologische Bedürfnisse, Sicherheit, Liebe, Zuwendung). Im Laufe des Lebens jedoch werden ursprünglich neutrale Reize mit primären Verstärkern verbunden und erhalten so die Funktion konditionierter oder auch sekundärer Verstärker. Tatsächlich wird im Erwachsenenalter ein großer Teil des Verhaltens nicht mehr durch primäre, sondern durch sekundäre Verstärker beeinflusst. Titel, beifälliges Lächeln, Medaillen und unterschiedliche Arten von Statussymbolen sind Beispiele für wirkungsvolle sekundäre Verstärker. So kann fast jeder Reiz zu einem sekundären Verstärker werden, wenn er einige Zeit lang gekoppelt mit einem primären Verstärker auftritt (siehe klassische Konditionierung). Ein Sonderfall der sekundären Verstärkung sind sogenannte Tokens (z. B. Geld). Wird das Verhalten eines Menschen beispielsweise mit Schokolade verstärkt, so tritt über kurz oder lang eine Sättigung auf. Die Belohnung verliert ihre verstärkende Wirkung. Ein Token dagegen hat den Vorteil, dass es jederzeit verabreicht werden kann, ohne zu einer Sättigung zu führen. „Effektgesetz des Lernens“. Eine Verhaltensweise, die belohnt bzw. verstärkt wird, tritt häufiger auf, eine Verhaltensweise, die bestraft wird, wird abgebaut. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Tabelle 1.2 1.4 Theoretische Grundlagen 899 Effekt Beispiel positive Verstärkung angenehmer Reiz folgt auf erwünschtes Verhalten erhöht Auftretenswahrscheinlichkeit des erwünschten Verhaltens eine gute Note in der Klassenarbeit negative Verstärkung entfernen eines unangenehmen Reizes nach erwünschtem Verhalten erhöht Auftretenswahrscheinlichkeit Kind darf sein Zimmer verlassen, wenn der Wutanfall vorbei ist positive Bestrafung unangenehmer Reiz folgt auf unerwünschtes Verhalten verringert Auftretenswahrscheinlickkeit des unerwünschten Verhaltens eine schlechte Note in der Klassenarbeit negative Bestrafung entfernen eines angenehmen Reizes nach unerwünschtem Verhalten verringert Auftretenswahrscheinlickkeit Fernsehverbot nach schlechtem Benehmen Verstärkerpläne Die Verstärkung einer Verhaltensweise kann nach unterschiedlichen Mustern ablaufen. Kontinuierliche Verstärkung. Verstärkung wird jedes Mal nach Auftreten des gewünschten Verhaltens gegeben. Das gewünschte Verhalten wird hier am schnellsten erworben. Intermittierende Verstärkung. Intermittierende Verstärkung bedeutet, dass Verstärkung nicht nach jedem gezeigten Verhalten erfolgt. Es gibt zwei Arten von intermittierender Verstärkung. Quotenverstärkung. Bei Quotenverstärkung erfolgt die Konsequenz entweder nach fester oder variabler Quote (d. h. jedes 5. Mal oder durchschnittlich jedes 5. Mal bekommt der Hund ein Leckerli). Entscheidend ist hier die Menge bzw. Häufigkeit des gezeigten Verhaltens. Intervallverstärkung. Bei Intervallverstärkung erfolgt die Konsequenz entweder nach festem oder variablem Zeitintervall (d. h. nach immer genau 3 Minuten oder durchschnittlich alle 3 Minuten bekommt der Hund ein Leckerli). Entscheidend ist hier die Zeitdauer zwischen den Intervallen. Weitere wichtige Begriffe zum operanten Konditionieren Löschung kann auch durch Weglassen der Konsequenzen erfolgen. Reizgeneralisierung. Das gelernte Verhalten wird auch gezeigt, wenn mit anderen Verstärkern belohnt wird. Reizdiskrimination. Verhaltensänderung erfolgt nur bei bestimmter Konsequenz. Modelllernen/Sozial-kognitive Lerntheorie (Bandura) Verhalten kann auch stellvertretend durch Beobachtung gelernt werden, ohne dass das Individuum die Konsequenzen des Verhaltens selber erleben muss. So lernen Kinder viele Dinge von ihren Eltern durch bloßes Abgucken. Lernen durch Einsicht Hier ist von außen nicht zu sehen, dass der Organismus eine Erfahrung macht. Lernen durch Einsicht findet also statt, wenn das Individuum durch reines Überlegen zu einer Verhaltensveränderung kommt. Es ist zu vergleichen mit dem Geistesblitz, mit einem Aha-Erlebnis. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Anatomie Chemie Biochemie Eine beliebte Aktivität kann als Verstärker für eine unbeliebte Aktivität dienen. Die Löschungsresistenz von Verhalten hängt von der Art des Verstärkerplans ab. Je seltener und unregelmäßiger die Verstärkung erfolgte, desto schwerer wird dieses Verhalten gelöscht (z. B. beim Glücksspiel!). Wenn man es ganz genau betrachtet, so liegt hier ein intermittierender Quotenplan vor, weil nicht nach einer bestimmten Zeit, sondern nach der Häufigkeit belohnt wird. Physik Merke Premack-Prinzip. Eine Verhaltensweise, die unter natürlichen Bedingungen häufig auftritt, kann genutzt werden, um eine selten gezeigte Verhaltensweise zu verstärken. So kann bei einem Kind die häufige Verhaltensweise „Spielen“ genutzt werden, um sie als Verstärker für das selten gezeigte Verhalten „Zimmer aufräumen“ zu nutzen. Spielsucht. Spielsucht wird durch intermittierende Verstärkung entwickelt und aufrechterhalten. Die Auftretenswahrscheinlichkeit des Spielens erhöht sich, weil das Verhalten ab und zu durch einen Gewinn verstärkt wird. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Um neue Verhaltensweisen zu trainieren, ist eine Verstärkung/Belohnung immer besser als Bestrafung! Klinik Physiologie Verstärkung ist das Prinzip der Belohnung. Verstärker ist das, was man bekommt. Histologie Definition Merke Typ Biologie Verstärkungs- und Bestrafungstypen Psych./Soz. Tabelle 1.3 900 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Biologie Positiver Transfer. Gelerntes Verhalten wird erfolgreich auf eine neue Situation übertragen. So können wir die erworbenen Fähigkeiten des Schaltens, Kuppelns und Gasgebens, die wir in der Fahrschule in einem Golf gelernt haben, problemlos auf ein anderes Auto wie z. B. einen Mercedes übertragen. Histologie Negativer Transfer. Gelerntes Verhalten wird auf eine neue Situation übertragen, in die es nicht passt. Wenn wir immer mit einem Fahrrad gefahren sind, das eine Rücktrittbremse hatte und nun mit einem Rennrad unterwegs sind, bei dem die Bremsen an den Griffen montiert sind, so liegt negativer Transfer dann vor, wenn wir vergeblich versuchen, mit dem Fuß zu bremsen, während wir immer schneller werden. Anatomie Habituation, Dishabituation und Sensitivierung Wir haben Lernen als Potenzial zur Verhaltensänderung definiert, die durch Erfahrungen verursacht wird. Wenn man diese Definition zugrunde legt, dann muss man auch Habituation, also Gewöhnung, als eine Lernform bezeichnen. Chemie Biochemie Physik Physiologie Psych./Soz. Habituation ist eine einfache Lernform. Es ist eine Gewöhnung an immer wiederkehrende Reize. Denn wenn ein Reiz immer wiederkehrt, ohne dass damit eine Konsequenz verbunden ist, so lernt der Organismus, auf diesen Reiz nicht mehr mit einer Orientierungsreaktion zu antworten. So hört man nach einer Weile z. B. nicht mehr das viertelstündliche Schlagen der Kirchturmuhr. Im Gegensatz zum klassischen und operanten Konditionieren, bei denen Lernvorgänge auf zeitlichen Assoziationen von Reizen bzw. von Reaktionen und Konsequenzen beruhen (assoziatives Lernen), stellt die Habituation Verhaltensänderungen aufgrund von Stimuli dar, die zeitlich nicht miteinander assoziiert sind. Diese Art des Lernens bezeichnet man demnach auch als nichtassoziatives Lernen. Von der Habituation sind folgende Begriffe abzugrenzen: – Extinktion: Nachlassen der Intensität oder der Häufigkeit von Reaktionen, die durch klassisches oder operantes Konditionieren erworben wurden. – Adaptation: Anpassung an kontinuierlich dargebotene Reize. Die Adaptation findet auf Rezeptorebene statt und führt dazu, dass man Reize nicht mehr so intensiv wahrnimmt. Die Reizschwelle der Rezeptoren wird erhöht. – Dishabituation: Die Habituation entsteht durch eine Wiederholung gleichbleibender Reize. Wird in die Reihe dieser gleichbleibenden Reize ein fremder Reiz eingestreut, kommt es wieder zur ursprünglichen Reaktion. Dishabituation bedeutet also das Wiederauftreten der Reaktion nach einer Habituation. Nicht alle Verhaltensänderungen beruhen auf Lernen. Vom Lernen abzugrenzen sind Reifungsvorgänge. Sie sind durch Erbanlagen determiniert (S. 916). 1.4.3 Kognition Die Kognitionspsychologie beschäftigt sich mit allen Prozessen, die an der Informationsverarbeitung beteiligt sind: z. B. Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis. Wahrnehmung Die Wahrnehmung ist ein Prozess, der mit der sensorischen Empfindung beginnt, also der Umwandlung der physikalischen Energie in neurale Aktivität. Dann folgt die innere Repräsentation des äußeren Ereignisses und im letzten Wahrnehmungsschritt die Interpretation oder Klassifikation des Ereignisses. Diese Art der Wahrnehmung wird als Bottom-up-Prozess bezeichnet, da hier die Umweltreize von „unten nach oben“ zum Gehirn hingeleitet werden. Hier werden die einzelnen Muster, die die Rezeptoren unserer Netzhaut an das Gehirn liefern, zu einem Bild zusammengefügt. Demgegenüber stehen die Top-down-Prozesse. Hierbei beeinflussen das bereits vorhandene Wissen, aber auch die Emotionen und/oder die Motivation die Repräsentation der wahrgenommenen Ereignisse. Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit und malen Sie das Zifferblatt Ihrer Armbanduhr ab, ohne auf die Uhr zu schauen. Sie können auch wahlweise eine Euromünze nehmen. Vergleichen Sie nun Ihr Bild mit dem tatsächlichen Objekt. Die meisten Menschen erkennen hier, dass sie Fehler gemacht haben. Dies liegt an den stattfindenden Top-down-Prozessen, die unsere Wahrnehmung des Objektes beeinflussen (wir glauben zu wissen, wie unsere Uhr aussieht). Diese beiden Prozesse interagieren ständig miteinander und bestimmen unsere Wahrnehmung der Umwelt. Ein Begriff, der häufig mit der Wahrnehmung in Zusammenhang gebracht wird, ist die Wahrnehmungsabwehr. Hierbei handelt es sich um ein psychoanalytisches Phänomen, mit dem die unbewusste Ausblendung angstbesetzter Inhalte gemeint ist. Dieser Effekt wurde in Reaktionszeit-Experimenten nachgewiesen. Hier konnte man zeigen, dass Probanden Wörter, wie Tod, Verbrechen usw. langsamer benannten als neutrale oder positiv besetzte Wörter. Im Zusammenhang mit der Verarbeitung unbewusster Prozesse wird gelegentlich der Begriff der subliminalen Wahrnehmung genannt, der an sich nichts mit psychoanalytischer Sichtweise zu tun haben muss. Bei der subliminalen Wahrnehmung werden Reize nur unterschwellig, also unterhalb der bewussten Verarbeitung wahrgenommen. Trotzdem können diese Reize unser Verhalten beeinflussen. Diese Reize sind meist so kurz, nur einige Millisekunden lang. Gestaltpsychologie Die Gestaltpsychologie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Wertheimer, Koffka und Köhler ins Leben gerufen und beschäftigt sich mit den Organisationsprinzipien der Wahrnehmung. Wir nehmen Umweltereignisse nicht als eine Aneinanderreihung einzelner Reize, sondern als Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Transferlernen Gesetz der Nähe. Reize, die nahe beieinander liegen, werden als zusammengehörig wahrgenommen. Gesetz der Geschlossenheit. Unvollendete Reize werden als vollendete Reize wahrgenommen. Zum Beispiel werden viele Punkte, die in einem Kreis angeordnet sind, auch als Kreis wahrgenommen. Das heißt, eine nicht geschlossene Gestalt wird als geschlossen wahrgenommen. Gesetz der Kontinuität. Reize, denen andere Reize vorausgegangen sind, werden als Folge der ersten Reize wahrgenommen oder als zusammengehörig wahrgenommen. Beispiel: Sehen wir in der Kneipe die Bedienung mit einem Tablett voller Gläser an uns vorbeilaufen und hören wir zwei Minuten später ein Klirren, so nehmen wir einfach an, ihr wäre das Tablett hingefallen. Gesetz der gemeinsamen Bewegung. Reize, die sich in dieselbe Richtung bewegen, werden als zusammengehörend wahrgenommen. Beispiel: Wenn einzelne Tänzer aus einer Ballettgruppe hervortreten und dieselbe Bewegung machen, werden sie als Einheit wahrgenommen. Gesetz der Prägnanz. Unser Wahrnehmungssystem bevorzugt Gestalten, die sich in einem bestimmten Merkmal von anderen Gestalten unterscheiden. Beispiel: Wir merken uns nur solche Ereignisse besonders gut, die sich von anderen „normalen“ Ereignissen in einer Als Gedächtnis bezeichnet man einerseits die kognitive Fähigkeit, Erfahrungen zu speichern und abzurufen, andererseits aber auch den Inhalt des Behaltenen selbst, die Erinnerung. Das Gedächtnis lässt sich in drei große Speicher unterteilen. Sensorisches Gedächtnis. Hier werden alle Umweltreize gespeichert, die der Mensch wahrnimmt. Es wird unterteilt in das visuelle, echotische und haptische Gedächtnis. Seine Kapazität ist sehr groß. Die Speicherdauer beträgt ca. 0,5 bis 2 Sekunden. Arbeitsgedächtnis (wurde früher Kurzzeitgedächtnis genannt). Das Arbeitsgedächtnis erhält sein Material sowohl aus dem sensorischen Gedächtnis wie auch aus dem Langzeitgedächtnis. Seine Kapazität ist begrenzt. Es kann ca 7 +/- 2 Elemente speichern. Die Speicherungsdauer beträgt ca. 30 Sekunden. Danach müssen die Inhalte an das Langzeitgedächtnis übertragen worden sein, oder sie entfallen. Langzeitgedächtnis. Das Langzeitgedächtnis wird in das prozedurale und deklarative Gedächtnis unterteilt. Prozedurales Gedächtnis. Im prozeduralen Gedächtnis werden Informationen abgelegt, die Handlungsabläufe koordinieren. Beispielsweise ist hier der Vorgang des Schreibens gespeichert, also wie man den Stift hält, ihn auf das Blatt setzt, wie man die einzelnen Buchstaben schreibt. Die Informationen werden meist automatisch abgerufen. Tatsächlich führt es vielfach zu einer Verschlechterung der Leistung, wenn man sich während der Tätigkeit die notwendigen Schritte bewusst macht. Im deklarativen Gedächtnis sind Daten und Fakten abgelegt. Das deklarative Gedächtnis unterteilt man wiederum in das semantische und das episodische Gedächtnis. – Im semantischen Gedächtnis befindet sich das Wissen über Regeln, Gesetzmäßigkeiten, Konventionen usw., das Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Gedächtnis Chemie Gesetz der Ähnlichkeit. Reize, die sich ähneln, werden als zusammengehörig wahrgenommen. Beispiel: Randgruppen wie Gastarbeitern oder Homosexuellen werden gleiche Eigenschaften zugeschrieben. Aufmerksamkeit ist ein Zustand konzentrierter Bewusstheit, der sich auf neuronaler Ebene durch die Bereitschaft des zentralen Nervensystems auszeichnet, auf Stimulation zu reagieren. Aufmerksamkeit ist somit eine notwendige Voraussetzung, mit der Umwelt zu interagieren. Man unterscheidet die Vigilanz, eine Daueraufmerksamkeit, die notwendig ist, um über längere Zeit auf Stimuli zu reagieren und die selektive Aufmerksamkeit, die Fähigkeit, sich sehr konzentriert auf einen kleinen definierten Reizausschnitt zu beschränken. Biochemie Das Erkennen von Figuren und Formen folgt bestimmten Gesetzmäßigkeiten: Aufmerksamkeit Physik Gestaltgesetze Gesetz der guten Gestalt. Das heißt, die Formen sehen so aus, wie es sich gehört. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. – Gute Gestalt: Das wahrgenommene Muster ist überschaubar. – Schlechte Gestalt : Die Einzelteile stehen in keiner Beziehung zueinander. Beispiel: das Wort Medizin bildet eine gute Gestalt, ndiiemz dagegen erscheint uns ungeordnet und bildet eine schlechte Gestalt. Menschen haben immer die Tendenz, aus einer „schlechten“ Gestalt eine „gute“ Gestalt zu machen. Dies gilt für viele psychologische Prinzipien. Gesetz der Vertrautheit. Dinge, die uns vertraut sind, erkennen wir schneller wieder. Physiologie Gute und schlechte Gestalt bestimmten Weise unterscheiden. Wären alle Tage gleich, wir könnten uns zeitlich nicht orientieren. Psych./Soz. ein komplexes Muster wahr. Die Gestaltpsychologie postulierte einige Gesetze, nach denen unsere Wahrnehmung organisiert ist. Der wichtigste Grundsatz lautet: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner (Einzel-)Teile. Zum Beispiel nehmen wir bei einem Musikstück nicht die einzelnen Töne wahr, sondern die Melodie, die sich aus der Komposition der Töne ergibt. Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 901 902 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Priming. Die Darbietung eines Reizes erleichtert die Verarbeitung des nächsten Reizes. Wenn ich zum Beispiel die Silbe „Blu“ höre, erkenne ich das Wort „Blume“ schneller als das Wort „Hund“. Chemie Interferenztheorie. Diese Theorie bezeichnet das Phänomen, dass Gedächtnisinhalte sich gegenseitig überlagern können. Biochemie Retroaktive Hemmung. Später Gelerntes überlagert das zuvor Gelernte. Wenn Sie mit dem Lesen hier angekommen sind und nicht mehr wissen, was in aller Welt mit klassischer Konditionierung gemeint war, dann leiden Sie unter dem Phänomen der retroaktiven Hemmung. Proaktive Hemmung. Vorher Gelerntes überlagert später Gelerntes. Wenn Sie dagegen noch alles über die klassische Konditionierung wissen, aber die operante Konditionierung vergessen haben, so hat bei Ihnen gerade die proaktive Hemmung stattgefunden. Störungen des Gedächtnisses Physik Physiologie Psych./Soz. Eine der bekanntesten Gedächtnisstörungen ist die Amnesie, ein völliger oder partieller Verlust von Gedächtnisinhalten. Eine Amnesie tritt meist nach einer Schädigung des ZNS auf, z. B. durch Krankheiten oder durch ein Schädelhirntrauma. Man unterscheidet die retrograde, die anterograde und die völlige Amnesie. Der Unterschied der Amnesien bezieht sich auf die Zeit, die vergessen wurde. Ausgegangen wird immer von dem Ereignis, das die Amnesie verursacht hat. Wurde die Amnesie beispielsweise durch ein Schädelhirntrauma bei einem Unfall verursacht, so handelt es sich um eine anterograde Amnesie, wenn alles vergessen wird, was nach dem Unfall neu dazukommt, also alles, was noch vor uns in der Zukunft liegt. Bei einer retrograden Amnesie ist das vergessen, was zeitlich hinter uns in der Vergangenheit liegt. Ein Patient mit einer retrograden Amnesie könnte sich also nicht mehr daran erinnern, wie es zu dem Unfall gekommen ist, es liegt zeitlich schon in der Vergangenheit. Bei einer totalen Amnesie ist einfach alles vergessen. Konzeptbildung Unter Konzeptbildung versteht man in der kognitiven Psychologie die Fähigkeit, einzelne Erfahrungen oder einzelne Gegenstände zu Klassen zusammenzufassen. So gehört Nachbars Pudel zum übergeordneten Konzept Hund. Diese Fähigkeit ist wichtig, um Sprache und andere kognitive Fähigkeiten wie Weltwissen zu erwerben. Schema und Skript. Unser Wissen ist in sogenannten Schemata und Skripts organisiert. Damit wir wissen, welches Objekt zu welchem Konzept gehört, müssen wir dessen Eigenschaften kennen. Dieses Wissen über die Eigenschaften und deren Zuordnung zu einem Konzept ist in Schemata gespeichert. Ein Schema ist eine Strukturierungsorganisation für das deklarative Gedächtnis. In einem Skript hingegen werden Handlungsabläufe gespeichert. Dies betrifft also das Wissen, das im prozeduralen Gedächtnis gespeichert ist. Schemata und Skripte kommen nur bei der Top-DownVerarbeitung von Informationen zum Einsatz. Intelligenz Die Intelligenz ist ein hypothetisches Konstrukt. Man kann Intelligenz nicht direkt beobachten, sondern nur intelligentes Verhalten. Aber auch darüber, welches Verhalten zur Intelligenz gehört, ist man sich in der Psychologie nicht einig. Daher gibt es verschiedene Intelligenzmodelle. Allgemein kann man sagen, dass die Intelligenz viele Einzelleistungen einschließt, wie Rechnen, räumliches Vorstellungsvermögen, Gedächtnisleistungen, logisches Denken, sprachliche Fertigkeiten. Als Komponenten der Intelligenz werden grundsätzlich verbale und rechnerische Fähigkeiten und Fähigkeiten des Problemlösens (logisches Denken) angesehen. Kreativität ist nach dieser Definition keine Komponente der Intelligenz. Intelligenzmaße Der erste Intelligenztest wurde 1905 von A. Binet entwickelt, der vom französischen Unterrichtsministerium den Auftrag erhalten hatte, die intellektuellen Fähigkeiten von Schulkindern zu messen. Diese Messung sollte dann helfen, geistig minder begabte Kinder zu fördern. Binet konstruierte für jede Altersstufe spezifische Aufgaben. Zunächst erstellte er Testnormen, indem er als Ver- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Anatomie Zeigarnikeffekt. Unter Zeigarnikeffekt versteht man die Tatsache, dass Dinge, die nicht erledigt bzw. abgeschlossen sind, länger im Gedächtnis bleiben und somit leichter abrufbar sind. Sie lösen auch einen viel stärkeren Handlungszwang aus als erledigte Aufgaben. Es gibt einige Symptome, die gerne im Zusammenhang mit dem Gedächtnis abgefragt werden. Perseveration: ist die Neigung, Tätigkeiten oder Inhalte unwillkürlich zu wiederholen. Konfabulation: die Neigung, fehlende Gedächtnisinhalte durch Phantasie zu ersetzen. Dies geschieht meist unwillkürlich und ist den Betroffenen nicht klar. Merke Histologie Wichtige Gedächtnis-Effekte Symptome von Gedächtnisstörungen Merke Biologie Menschen über die Welt besitzen. Es ist vergleichbar mit einer Enzyklopädie. Mathematische Formeln sind beispielsweise im semantischen Gedächtnis gespeichert. – Im episodischen Gedächtnis werden Erinnerungen an persönliche Erfahrungen abgelegt. Es ähnelt einer Autobiographie. Hier liegen die Informationen darüber, wann, wo und in welchem Kontext ein persönliches Ereignis auftrat. Erinnerungen an die erste Liebe gehören zur eigenen Geschichte und werden im episodischen Gedächtnis gespeichert. Spearmans Theorie der Intelligenz. Die Zwei-FaktorenTheorie von Spearman (1904) besagt: Intelligenz ist eine Gesamtgröße, die man als „generellen Faktor“ (g-Faktor) bezeichnen kann. Dieser g-Faktor ist nicht direkt zu erfassen, da jede Intelligenzmessung immer nur eine Annäherung an die wahre Intelligenz darstellt. Jeder Test erfasst zum einen den g-Faktor und darüber hinaus spezielle andere Fertigkeiten. Dieser Einfluss wird von Spearman „sFaktor“ genannt. Diese Theorie ist sehr plausibel und auf Grund ihrer Einfachheit weit verbreitet. Die Idee eines „generellen Intelligenzfaktors“ bestimmt bis heute die Konstruktion von Intelligenztests. So lässt sich bei vielen Intelligenztests ein IQ (Intelligenzquotient) berechnen, der nichts anderes darstellt als der von Spearman postulierte g-Faktor der Intelligenz. Im späten Erwachsenenalter fällt die fluide Intelligenz ab, während die kristalline noch weiter anwachsen kann. Intelligenztests HAWIE/HAWIK (Hamburg-Wechsler-Intelligenztest). Der HAWI für Kinder und Erwachsene basiert auf dem Generalfaktorenmodell der Intelligenz von Spearman. Er besteht aus einem Verbalteil, der zum Beispiel Aufgaben zum Wortschatz, zum rechnerischen Denken oder zum Allgemeinwissen enthält, und dem Handlungsteil, zu dem unter anderem ein Mosaiktest, das Figurenlegen oder auch Bilderordnen gehören. Entsprechend wird als Testergebnis ein Verbal-IQ und ein Handlungs-IQ berechnet, deren Mittelwert den Gesamt-IQ ergibt. Der Mittelwert der Probanden liegt beim HAWIE/K bei 100, seine Standardabweichung bei 15 Punkten. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Chemie Biochemie Physik Intelligenzmodelle Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Die Werte zweier Probanden, für die ein AbweichungsIQ bestimmt wurde, lassen sich nur vergleichen, wenn sie auf dieselbe Referenzgruppe bezogen sind. Physiologie Merke Abweichungs-IQ. Die aktuelle Art, den IQ zu bestimmen, wurde 1944 von David Wechsler entwickelt, daher wird dieser IQ auch Wechsler-IQ genannt. Der Wert eines einzelnen Probanden wird mit seiner Normstichprobe verglichen. Dabei liegt der Mittelwert üblicherweise bei 100 Punkten und die Standardabweichung bei 10 bzw. 15 Punkten. Anhand des AbweichungsIQs kann man sehen, wo sich der Einzelne in Bezug zu seiner Altersgruppe befindet. Ein IQ von 100 bedeutet demnach, dass der Proband eine durchschnittliche Intelligenz aufweist. Erst wenn er einen Wert erhält, der über bzw. unter der definierten Standardabweichung liegt, ist die Intelligenz nicht mehr im durchschnittlichen Bereich. Modell der fluiden und kristallinen Intelligenz von Cattell. Cattell unterteilte Intelligenz in zwei Faktoren: in die fluide Intelligenz (flüssige Intelligenz) und die kristalline (feste Intelligenz). Diese beiden Faktoren zusammengenommen ergeben den Gesamtfaktor der Intelligenz. – „Fluide Intelligenz“ (gf): Sie bezeichnet die Fähigkeit, neue Probleme anzugehen, ohne auf Lernerfahrung oder Hilfe zurückzugreifen. Die hier gemessenen Fähigkeiten sind vor allem: räumliches Vorstellungsvermögen (figural relations) – Gedächtnis (memory span) – schlussfolgerndes Denken (induction). – „Kristalline Intelligenz“ (gc): Hierbei handelt es sich um erworbenes Wissen und erlernte Fertigkeiten (dies sind kulturspezifische Elemente). Dieser Faktor ist vor allem durch Sprachverständnis (verbal comprehension) gekennzeichnet. Er beinhaltet weiterhin die Fähigkeit, Erfahrungen in Wissen umsetzen zu können (experiential evaluation). Querschnittsstudien legen die Vermutung nahe, dass die fluide Intelligenz ihren Höhepunkt mit 14–15 Jahren erreicht, die kristalline dagegen ca. 5 Jahre später. Psych./Soz. Klassischer IQ. Später entwickelte W. Stern den sogenannten klassischen Intelligenzquotienten, indem er den Quotienten IA/LA mit 100 multiplizierte, um Brüche zu vermeiden. Ein 6jähriges Kind zum Beispiel, das die Aufgaben eines 9-jährigen Kindes lösen kann, hat ein Intelligenzalter von 9 und ein Lebensalter von 6: 9/6 x 100 = 150. Der klassische IQ ist allerdings ungeeignet für Erwachsene, und es ist schwer, Aufgaben zu finden, die tatsächlich nur von einer Intelligenz-Altersgruppe gelöst werden können. Mehrfaktoren-Theorie von Thurstone. Im Gegensatz zu Spearmans Theorie stehen die Ansätze, die behaupten, dass Intelligenz sich aus mehreren Faktoren zusammensetzt. Thurstone (1931) ging beispielsweise davon aus, dass es sogenannte Primärfähigkeiten (primary abilities) gibt. Er postulierte neun dieser Primärfähigkeiten, von denen die folgenden sieben durch statistische Verfahren nachgewiesen sind. – sprachliches Verständnis (verbal comprehension) – Ausdrucksfähigkeit (word fluency) – Rechnen (number) – räumliches Vorstellungsvermögen (space) – Gedächtnis (memory) – Wahrnehmungsgeschwindigkeit (perceptual speed) – schlussfolgerndes Denken (induction, reasoning) Jede Aufgabe eines Tests (test item) misst mehrere dieser Faktoren gleichzeitig. Merke gleichsdaten die Durchschnittsleistungen von nichtbehinderten Kindern jeder Altersgruppe ermittelte. Als Maß der Intelligenz setzte er das „Intelligenzalter“ (IA) ein. Die individuelle Testleistung des zu beurteilenden Kindes wurde wie folgt ermittelt: Ein Kind, das die Aufgaben für 5-Jährige lösen konnte, hatte demnach, ungeachtet seines Lebensalters, das Intelligenzalter von 5. Dieses Intelligenzalter setzte er dann in Bezug zum Lebensalter (LA): IA/LA. Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 903 Histologie Anatomie Chemie Biochemie Physik Physiologie Psych./Soz. IST (Intelligenz-Struktur-Test). Der IST basiert auf Thurstones Mehrfaktorenmodell der Intelligenz. Er gliedert sich in einen verbalen, einen figuralen und einen numerischen Unterteil. Ein Beispiel aus dem verbalen Untertest Satzergänzung: „Das Gegenteil von Hoffnung ist ...?“ (Antwortmöglichkeiten: Trauer, Verzweiflung, Elend, Liebe, Hass). Ein Beispiel aus dem numerischen Untertest Zahlenreihen: 9 – 7 – 10 – 8 – 11 – 9 – 12 – ? Zudem lässt sich im IST 2000 (Amthauer, Brocke, Liepmann & Beaucducel, 1999), der aktuellen Version, auch die Merkfähigkeit als eigener Faktor erfassen. Der Faktor „Reasoning“, der logisches Denken erfasst, wird als Faktor zweiter Ordnung aus den verbalen, numerischen und figuralen Faktoren gebildet. Im Gegensatz zum HAWIE/K ist der IST ein Gruppentest, der entweder mit Papier und Bleistift oder auch am Computer bearbeitet werden kann. Die Durchführung dauert ca. 90 Minuten und ist sehr ökonomisch. Der Proband arbeitet komplett eigenständig, sodass auch die Durchführungsobjektivität nicht durch Interaktionen mit dem Versuchsleiter beeinträchtigt werden kann. Der IST-2000 weist gute Reliabilitätswerte bezüglich der einzelnen Skalen auf. Besonders wenn es um eine Profilbetrachtung der Intelligenz geht, bei der verschiedene Faktoren verglichen werden können, bietet sich die Verwendung dieses Tests an. Der Mittelwert ist auf 100 normiert, die Standardabweichung liegt bei 10 Punkten. Der HAWIE/K basiert auf Spearmans Zwei-FaktorenTheorie. Deswegen kann ein allgemeiner IQ berechnet werden. Der IST basiert auf Thurstones Modell mehrerer gemeinsamer Faktoren. Der Proband erhält Werte für die einzelnen Komponenten der Intelligenz (verbal, figural, numerisch, Merkfähigkeit), aber keinen Gesamt-IQ. Intelligenz und Leistung Eine der wichtigsten Gründe zur Intelligenzmessung liegt in der Vorhersagemöglichkeit für Schulbildung und Berufsausbildung. Man kann mit ziemlicher Sicherheit vorhersagen, dass jemand, der einen hohen Wert in einem Intelligenztest erzielt, auch eine gute Schulbildung haben wird. Allerdings unterscheiden sich Leistung und Intelligenz auch voneinander, da es mehrere Faktoren gibt, die für eine gute Leistung verantwortlich sind, wie die Motivation und das Interesse. Man spricht von so genannten Underachievern und Overachievern. – Underachiever: Schulkinder, deren Schulleistung schlechter ist, als aufgrund ihrer Intelligenz allein zu erwarten wäre. – Overachiever: Schulkinder, deren Schulleistung besser ist, als aufgrund ihrer Intelligenz zu erwarten wäre. 1.4.4 Emotion Eine Emotion ist ein komplexes Gefühl, eine Befindlichkeit, die häufig als Reaktion auf ein bedeutendes Erlebnis entsteht. Emotionen sind oft mit bestimmten Kognitionen, physiologischen Reaktionen und spezifischen Verhaltensweisen verbunden. Es gibt verschiedene Theorien, die das Zustandekommen und die Wirkweise von Emotionen erklären. Da diese Theorien aus unterschiedlichen psychologischen Denkrichtungen stammen, widersprechen sie sich zum Teil. Das hypothetische Konstrukt Emotion setzt sich aus vier Komponenten zusammen: – Die physiologische Komponente umfasst neuronale, viszerale, hormonelle und muskuläre Veränderungen (z. B. höhere Muskelspannung, Tachykardie bei Angst). – Die affektive oder Gefühlskomponente beschreibt das subjektive Erleben eines Gefühlszustands (z. B. Gefühl des Bedrohtseins). – Die kognitive Komponente umfasst die Gedanken zur Situation, die Interpretation und die Erwartungen (z. B. den Gedanken, dass man sich in einer ausweglosen Situation befindet). – Die Verhaltenskomponente ist in Form von mimischem und gestischem Ausdruck (z. B. typischer Gesichtsausdruck mit aufgerissenen Augen, zusammengepressten Lippen), aber auch im sonstigen Verhalten (z. B. Zu- versus Abwendung) direkt zu beobachten. Diese Komponente wird von manchen Autoren wiederum in eine Ausdruckskomponente (Gestik, Mimik) und eine motivationale Komponente (Zu- versus Abwendung) unterteilt. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Biologie Ein Mittelwert von 100 bedeutet, dass der Durchschnitt derjenigen, an denen der Test normiert wurde 100 Punkte erreicht. Eine Standardabweichung von 15 bedeutet, 2/3 aller Menschen liegen zwischen 85 und 115 Punkten (100 - 15 = 85, 100 +15 = 115). Gelegentlich wird gefragt, wie viele Personen man testen müsste, um z. B. 100 Probanden zu finden, die einen IQ von 115 oder mehr haben. Dies ist eine reine Rechenaufgabe. 2/3 aller Probanden liegen innerhalb einer Standardabweichung. Also teilt sich das letzte Drittel die Bereiche von 85 und darunter und 115 und darüber. Die Hälfte von 1/3 = 1/6. Wenn ich also 100 Probanden finden will, die mindestens 115 IQ-Punkte haben, muss ich 6 mal so viele testen. Also 600 Probanden. Der HAWIE/HAWIK ist ein Einzeltest, bei dem der Versuchsleiter mit dem Probanden interagiert. Um eine hohe Objektivität bei der Durchführung zu garantieren, sind die Instruktionen, die der Versuchsleiter dem Probanden gibt, hoch standardisiert. Der HAWIE/K ist ein typisches Beispiel für eine kulturabhängige Messung der Intelligenz. Besonders bei allgemeinem Wissen und zum Wortschatz zeigt sich, dass der Test nur bei Probanden sinnvoll eingesetzt werden kann, die in Deutschland aufgewachsen sind und eine entsprechende Schulbildung haben. Aufgrund der sich verändernden Normen, aber auch weil die sprachlichen Aufgaben zum Teil veralten, muss ein Intelligenztest immer wieder revidiert werden. Die momentan aktuelle Version ist der HAWIE-R (revidierte Form, dt. Version von Tewes, 1991). In den neueren Auflagen wird der HAWIE nur noch WIE genannt. Merke 904 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Emotionstheorien Diese Theorien beschäftigen sich damit, wie Emotionen entstehen und widersprechen sich, wie schon erwähnt, zum Teil. Kognitive Emotionstheorie von Schachter und Singer Diese Theorie wird auch Zwei-Faktoren-Theorie der Emotion genannt. Sie besagt, dass Emotionen aus zwei Faktoren bestehen: – einer unspezifischen physiologischen Erregung und – einer kognitiven Bewertung, die vom Kontext abhängig ist. Bei dem klassischen Experiment zu dieser Theorie bekamen die Versuchspersonen eine Adrenalininjektion. Dabei wurde ein Teil der Versuchspersonen darüber aufgeklärt, dass die Injektion eine anregende Wirkung hat, der an- Spezifische Emotionen Angst Formen der Angst. Angst ist ein extremes Gefühl des Bedrohtseins und kann bis zur Todesangst gehen. Eine Angst, die objektiv einem Reiz angemessen ist, nennt man RealAngst. Das Gegenteil ist die phobische Angst. Menschen mit Phobien haben Angst vor Dingen, die objektiv nicht bedrohlich sind, wie Spinnen, Höhe usw. Angst gehört zu unserem Erleben und entwickelt sich bereits im Säuglingsalter. Die erste Angst ist die sog. 6-Monats-Angst, die auch Trennungsangst genannt wird. Der Säugling fürchtet, von den Eltern getrennt zu sein, allein zu sein. Mit 8 Monaten entwickelt sich die 8-MonatsAngst, das sog. Fremdeln. Das Kind bekommt Angst vor fremden Leuten. State versus Trait. Angst kann zu einer Person gehören. Dieser Mensch ist dann generell ängstlich, besorgt und vorsichtig. Diese Angst nennt man Trait-Angst (Trait meint Persönlichkeitseigenschaft). Im Gegensatz dazu steht die State-Angst. Dies ist ein momentaner Angstzustand, wie er bei einer drohenden Gefahr auftritt. Umgang mit Angst. Wir können auf unterschiedliche Weise mit unserer Angst umgehen. Wir können unsere Angst unterdrücken. Menschen, die so mit ihrer Angst umgehen, bezeichnet man als Repressor. Sensitizer (Sensitivierer) Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Chemie Biochemie Diese Theorie ist eine alte Theorie der Emotion, die aber sehr populär geworden ist. James und Lange gehen von einer umgekehrten Betrachtungsweise aus. Hier ist das Verhalten die Grundlage für die Emotion. „Mir laufen die Tränen über das Gesicht, also bin ich traurig.“ „Ich sehe eine Spritze, und meine Hände zittern.“ „Ich fühle Hitze, also habe ich Angst.“ Die physiologischen Veränderungen bei der Wahrnehmung eines Reizes bestimmen also die Qualität der Emotion. Physik Facial Action Coding System (FACS). Aufgrund der oben beschriebenen interkulturellen Übereinstimmung haben Forscher ein Codierungssystem entwickelt, in dem die an den einzelnen Emotionen beteiligten Muskelgruppen aufgelistet werden. Das Facial Action Coding System (FACS) beschreibt die Gesichtsmuskeln, deren Veränderung notwendig ist, damit ein Gesicht als „ärgerlich“ oder „fröhlich“ empfunden wird. Interessanterweise kann man durch das mimische „Herstellen“ eines Emotionsausdrucks zumindest einen Anflug des dazugehörigen Gefühls wahrnehmen (Facial-Feedback-Hypothese). In Untersuchungen hat sich sogar gezeigt, dass es dabei zu emotionsspezifischen Veränderungen des vegetativen Nervensystems kommt. Diese Ergebnisse belegen, wie eng die verschiedenen Komponenten der Emotion miteinander in Beziehung stehen. Allerdings ist diese Beziehung nicht linear. James-Lange-Theorie Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Die primären Emotionen oder auch Basisemotionen sind kulturell übergreifend gleich. Sie sind durch die Anspannung bzw. Entspannung spezieller Muskelgruppen im Gesicht messbar. Diese Emotionen sind wahrscheinlich angeboren und werden nicht durch Nachahmung gelernt. Diese sind: – Freude/Glück – Trauer – Angst – Wut/Ärger – Ekel – Überraschung So gehören beispielsweise Depression oder Neid nicht zu diesen Emotionen. Dies sind gelernte Mischgefühle und gehören zu den sekundären Emotionen. Sekundäre Emotionen sind alle Emotionen, die angelernt sind. Physiologie Primäre und sekundäre Emotionen dere Teil nicht. Danach mussten die Versuchspersonen zusammen mit einer weiteren Versuchsperson warten. Diese weitere Versuchsperson war ein Komplize des Versuchsleiters und mimte einen Teilnehmer, der entweder aggressiv oder sehr fröhlich war. Anschließend wurden dann die Emotionen der Versuchspersonen erfragt. Die Probanden, die nicht aufgeklärt waren, gaben an, dieselbe Stimmung wie der Komplize gehabt zu haben. Bei den aufgeklärten Probanden konnte dieser Zusammenhang nicht festgestellt werden. Schachter und Singer konnten so zeigen, dass beim Erleben einer Emotion zuerst eine unspezifische physiologische Erregung auftritt und wir uns dann aus der Situation heraus überlegen (Kognition), was das wohl für ein Gefühl sein könnte. Haben wir bereits eine plausible Erklärung für die Emotion (z. B. Adrenalin als anregende „Droge“), findet diese Situationsanalyse nicht statt. Allerdings lässt sich mit dieser kognitiven Theorie das spontane Erleben einer Emotion nicht erklären: Manchmal erlebt man Gefühle, für die es keine Erklärung gibt (z. B. grundlose Traurigkeit). Psych./Soz. Auch wenn man die meisten Emotionen an Ihrem Ausdruck erkennen kann, stehen Ausdruck und Gefühlsstärke nicht in einem linearen Zusammenhang. Man kann also sehr große Angst haben, dies aber nicht unbedingt zeigen. Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 905 906 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Angststörungen, Phobien Anatomie Chemie Biochemie Spezifische Phobien. Spezifische Phobien haben einen ganz klar definierten Auslöser. Häufig sind z. B. Tierphobien (Angst vor Spinnen oder Hunden), Höhenangst oder Agoraphobie. Mit dem Begriff Agoraphobie wurde ursprünglich die Angst vor weiten Plätzen bezeichnet. Der Begriff ist aber irreführend. Denn Agoraphobiker fürchten nicht nur weite Plätze, sondern alle Situationen, aus denen sie schlecht entkommen können, wenn es notwendig ist. Dies können weite Plätze sein, denn hier bekäme man im Notfall keine Hilfe. Aber genauso fürchten sie lange Schlangen in vollen Kaufhäusern, Fahren im vollen Bus, der U-Bahn, lange Autofahrten und Tunnel, und auch enge Räume. Die Angst entsteht aus der Sorge, keine Hilfe zu bekommen, wenn ein Unglück wie z. B. ein Kreislaufzusammenbruch geschieht. Merke Histologie Als Phobie bezeichnet man eine unangemessene Angst, die zu einem Leidensdruck führt. Die Angststörungen wurden früher als Neurosen bezeichnet. Dieser Begriff wird in der ICD-10, dem momentan gültigen Diagnosekatalog für Krankheiten, zwar nicht mehr verwendet, er ist aber dennoch sehr populär. So wird auch gern von Angst- bzw. Zwangsneurosen gesprochen. Damit sind immer klinische Ängste gemeint. Klaustrophobische Menschen haben ausschließlich Angst vor Enge. Agoraphobische Menschen haben unter anderem Angst vor Enge. Panikstörung, auch Herz-Angst-Neurose Physiologie Psych./Soz. Merke Physik Menschen mit einer Panikstörung fürchten, einen Herzinfarkt zu erleiden. Diese Sorge ist der Grund dafür, dass sie sehr genau auf ihren Herzschlag achten. Der Herzschlag ändert sich aber häufig, z. B. bei Belastung. Diese Veränderung wird nun als beginnender Herzinfarkt interpretiert. Das löst Furcht aus, die wiederum dazu führt, dass das Herz schneller schlägt, was als Beweis für die beginnende Katastrophe gesehen wird. Diese Angst entsteht plötzlich, wie aus heiterem Himmel. Die starken Angstanfälle verschwinden nach ca. 20–30 Minuten wieder. Weitere Symptome sind: starkes Herzrasen, Schwitzen, Atemnot, manchmal Gefühl, verrückt zu werden und Depersonalisation. Die Panikanfälle treten häufig in Ruhesituationen auf. Agoraphobie und Panikstörung treten häufig zusammen auf! negativ bewertet zu werden. Sie fürchten zu versagen, sich lächerlich zu machen oder durch ungeschicktes Verhalten gedemütigt zu werden. Typische Situationen sind: vor einer Gruppe zu sprechen, vor den Augen anderer eine Unterschrift zu leisten, in der Öffentlichkeit zu essen oder zu trinken. Menschen mit einer sozialen Phobie können nur bestimmte Situationen fürchten, wie das Reden vor Gruppen oder fast alle sozialen Interaktionen. Alleine, ohne den sozialen Kontext können diese Menschen wieder die Dinge durchführen, die sie in der Öffentlichkeit nicht tun können. Zwangsstörung Ein Zwang besteht häufig aus einem Zwangsgedanken, einem unwiderstehlichen Impuls, etwas tun zu müssen. Die ausgeführte Handlung (Zwangshandlung) läuft dann nach einem ganz klaren festgelegten stereotypen Schema ab. Zwänge sind ungewollt; sie kommen automatisch, ohne dass man die Situation willentlich beeinflussen kann. Zwangsgedanken haben häufig aggressive bzw. sexuelle Inhalte; so fürchten Patienten beispielsweise, jemanden zu verletzen, wenn sie ihm zu nahe kommen. Dies führt zu dem Zwang, sich immer genau zu versichern, dass man nicht versehentlich jemanden berührt und somit gestoßen und verletzt hat. Zwänge rufen inneren Widerstand hervor; die Betroffenen versuchen zumindest anfangs, sich gegen diesen Zwang zur Wehr zu setzen. Sie erkennen, dass die Zwangsgedanken und Handlungen aus ihnen selbst kommen und nicht etwa von außen eingegeben sind, wie es beispielsweise bei schizophrenen Patienten der Fall sein kann. Das Zwangsverhalten wird als sinnlos oder unsinnig erkannt, was dazu führt, dass die Betroffenen selten über ihren Zwang reden. Lerntheoretischer Erklärungsansatz der Zwangsstörung. Menschen, die unter einem Zwang leiden, sind in einem Teufelskreis gefangen. Ein Gedanke löst Angst aus, „Wenn ich den Herd nicht abgedreht habe, brennt die Wohnung nieder und auch die Nachbarn verbrennen und müssen sterben.“ Diese Angst wird durch das Verhalten reduziert, noch einmal zu kontrollieren. Somit wird die Angst negativ verstärkt (S. 898). Auch bei anderen Ängsten findet zumindest später ein Vermeidungslernen statt. Dieses Vermeidungslernen ist eine negative Verstärkung. Wenn ein agoraphobischer Mensch nicht ins Kaufhaus geht, dann fühlt er, zumindest kurzfristig, wie die Angst sinkt. Wenn er dann noch eine Möglichkeit findet, dennoch an die gewünschte Ware zu kommen, dann wird er auch in Zukunft das Kaufhaus meiden und die Phobie wird immer stärker. Psychoanalytischer Erklärungsansatz der Zwangsstörung. Die Psychoanalyse geht von einem Konflikt in der Person aus (S. 886). Ebenso wie bei den anderen Ängsten auch. Soziale Phobie Posttraumatische Belastungsstörung Hierbei handelt es sich um eine Angst vor bestimmten sozialen Situationen, in denen die Betroffenen fürchten, Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um eine Angststörung, die nach einem emo- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Biologie sind Menschen, die sich intensiv mit ihrer Angst oder dem, was die Angst auslöst, beschäftigen. Ein Sensitizer würde beispielsweise kein Medikament nehmen, ohne vorher den ganzen Beipackzettel zu lesen, während ein Repressor einfach jede verschriebene Medikation nehmen würde. Aggression In der Psychologie spricht man immer dann von Aggression, wenn ein Lebewesen, aber auch ein Sachgegenstand mit Absicht geschädigt wird. Man unterscheidet folgende Arten von Aggression: – Autotelische Aggression (Telos, griechisch: Ziel), wenn die Schädigung selbst das Ziel ist. – Direkte Aggression, wenn gegen das Objekt vorgegangen wird, auf das sich auch die Aggression richtet. – Indirekte Aggression, wenn gegen ein Ersatzobjekt vorgegangen wird (die Psychoanalyse spricht hier von Verschiebung). – Fremd-Aggression: Das aggressive Verhalten richtet sich gegen jemand anderen. – Selbst-Aggression: Das aggressive Verhalten richtet sich gegen die eigene Person. Aggressionstheorien Psychoanalytischer Erklärungsansatz der Aggression. Freud nahm an, dass es nicht nur den Sexualtrieb (Libido) gibt, sondern auch noch einen Aggressionstrieb, den er Tanatos nannte. Dieser Trieb will zerstören, will vom organischen in den anorganischen Zustand zurückführen. Die Energie dieses Triebes muss nach außen auf die Umwelt projiziert werden, damit es nicht zu selbstschädigendem Verhalten kommt. Trieb-Instinkt-Theorie. Diese Theorie stammt nicht direkt aus der Psychologie, sondern aus einer ihrer Nachbardis- Frustrations-Aggressions-Theorie. Kernaussage dieser Theorie, die vor allem auf den Psychologen John Dollard zurückgeht, ist die Annahme, dass auf jede Frustration eine Aggression folgt. Unter Frustration versteht man die Störung einer zielgerichteten Handlung, Enttäuschung und Versagen. Untersuchungen haben allerdings ergeben, dass Menschen auf Frustrationen nicht nur mit Aggressionen, sondern auch mit Zurückgezogenheit oder Depressionen reagieren. Aggression ist also nur eine mögliche Folge von Frustration. Zudem vernachlässigt diese Theorie die Fähigkeit des Menschen, Frustrationen kognitiv zu bewältigen. Lernen am Modell. Heutzutage gehen die meisten Psychologen davon aus, dass aggressives Verhalten durch Lernen am Modell entsteht. Albert Bandura untersuchte in Experimenten den Erwerb aggressiven Verhaltens. Kinder, die Erwachsene beim Mal- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Chemie Biochemie Somatoforme Störungen haben viele Unterteilungen. Gleichgültig, um welche spezifische Unterform es sich handelt, die Diagnose darf nur gestellt werden, wenn es keinen ausreichenden körperlichen Befund gibt. Kritik an den Triebtheorien. Einige Psychologen haben die Triebtheorien von Freud und Lorenz kritisiert. Sie sind der Ansicht, dass Triebtheorien das menschliche Verhalten nicht erklären. Sieht man z. B. eine Schlägerei, so könnte man schließen, dass die Beteiligten einen Aggressionstrieb haben, den sie ausleben müssen. Wenn nun einer der bösen Schläger Angst kriegt und wegläuft, so müsste man einen Angsttrieb annehmen, und wenn ein anderer aufgibt, einen Unterwerfungstrieb erfinden. So bräuchte man für jedes Verhalten, dem eine Emotion zugrunde liegt, einen neuen Trieb. Das ist zu kompliziert und nicht wissenschaftlich. Lorenz übertrug seine Ergebnisse, die er bei Tieren gemacht hatte, auf die Menschen. Es ist fraglich, ob das so einfach möglich ist, denn anders als Tiere besitzen wir die Möglichkeit, unser Verhalten zu reflektieren und notfalls eine sozial akzeptierte Handlung auszuführen. Wir können also eine Ersatzhandlung finden. Und Freud könnte man damit aus dem Feld schlagen, dass der Tanatos nicht nachgewiesen werden kann. Physik Merke Somatoforme Störungen liegen vor, wenn bei einem Patienten körperliche Symptome ohne ausreichende organische Ursache vorhanden sind. Aus analytischer Sicht werden psychische Konflikte auf die körperliche Ebene verschoben. Häufig liegen einer somatoformen Störung Ängste oder Depressionen zu Grunde. Die somatoformen Störungen haben viele Unterteilungen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Somatoforme Störung Physiologie Um die Diagnose einer PTBS stellen zu können, müssen unbedingt Flashbacks als Symptom auftreten. ziplinen, der Ethologie (Verhaltensbeobachtung). Einer der bekanntesten Ethologen ist der Verhaltensforscher Konrad Lorenz (1903–1989). Seiner Ansicht nach ist die Aggression ein Instinkt. Ein Instinkt ist eine Abfolge von Handlungsschritten, wobei jedes Verhalten vom zuvor gezeigten Verhalten ausgelöst wird. Nur das erste Verhalten braucht also einen Auslöser, der aus der Umwelt kommt. Damit ein Instinktverhalten gezeigt wird, braucht es zusätzlich einen inneren Trieb, ein Bedürfnis, dieses Verhalten auszuführen. Die Energie, also der Trieb des Aggressions-Instinkts wird ständig neu gebildet. Sie wird dadurch verbraucht, dass aggressives Verhalten geäußert wird. Wenn es nun aber in einer friedlichen Umwelt keinen Umweltreiz gibt, der aggressives Verhalten auslösen könnte, so staut sich diese Energie auf. Irgendwann ist so viel Energie aufgestaut, dass sie auch ohne auslösenden Reiz abgebaut werden muss. Wir verhalten uns also aggressiv, obwohl kein Grund vorliegt. Lorenz spricht dann von einer „Leerlaufhandlung“ (S. 909). Psych./Soz. Merke tional besonders belastenden Erlebnis auftritt. Dies sind Erlebnisse, in denen die Betroffenen um ihr Leben oder ihre persönliche Versehrtheit fürchten müssen. Dies sind Unfälle, Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen. Der häufigste Grund für die Entwicklung einer PTBS in Deutschland ist sexueller Missbrauch. Symptome sind: Flashbacks (Wiedererleben der schlimmen Szenen, mit starker Angst, treten plötzlich für Sekunden auf), Gefühl emotionaler Taubheit, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme. Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 907 Histologie Anatomie Chemie Biochemie Physik stand vieler Untersuchungen. Diese Einteilung wird in der ICD10 nicht mehr aufgeführt, ist aber so bekannt, dass sie dennoch oft genannt wird. Es werden zwei große Kategorien der Depression unterschieden: – die rein depressiven (unipolaren) Störungen, bei der die Stimmungsstörung ausschließlich depressiver Art ist – und die bipolaren Störungen, die durch Perioden von manischer, stark gehobener Stimmung bzw. von Erregungszuständen und durch Perioden depressiver Stimmung gekennzeichnet ist. Die Angaben zur Häufigkeit schwanken, aber man geht davon aus, dass zweimal so viele Frauen an Depression leiden wie Männer. Trauer Ursachen Trauer ist ein angeborenes primäres Gefühl, das nach Trennung oder Verlust von Bindungen auftritt. Evolutionstheoretisch kann man Trauer als psychobiologische Reaktion zur Aufrechterhaltung von Gruppenbindungen beim Verlust eines Mitglieds beschreiben. Der mimische Ausdruck der Trauerreaktion hat Aufforderungscharakter für die Gruppenmitglieder, sich um das trauernde Individuum zu kümmern. Wie genau das Verhalten des Trauernden aussieht, unterliegt kulturellen Einflüssen. Allgemeine Symptome der Trauer sind Niedergeschlagenheit, Grübeln, Schlaflosigkeit, Nervosität, Appetitlosigkeit, sozialer Rückzug, aber auch Konzentrationsstörungen und Sinnestäuschungen (Halluzinationen) können auftreten. Die Phasenabfolge beim Trauerprozess wird im Kapitel „Der Tod, das Sterben und die Trauer“ ausführlich dargestellt (S. 951). Von pathologischer Trauer spricht man dann, wenn die geschilderte Trauersymptomatik auch einige Monate nach dem Verlust nicht zurückgeht, sondern sich in ein dauerhaftes Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit wandelt. Menschen, die aus der akuten Trauerreaktion nicht wieder herausfinden, bilden eine depressive Symptomatik aus. Hinzu kommen häufig auch psychosomatische Symptome und eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten. Theorie der gelernten (= erlernten) Hilflosigkeit nach Seligman. Seligman ging davon aus, dass wir Hilflosigkeit lernen, wenn wir die Erfahrung machen, dass wir auf die Konsequenzen unseres Verhaltens keinen Einfluss haben. In dem klassischen Experiment wurden Ratten in einen Käfig gesetzt, den man unter Strom setzen konnte. Wenn man die Ratten daran hinderte, zu fliehen, so versuchten sie es später nicht einmal mehr dann, wenn sie dazu in der Lage waren. Dieses Verhalten nannte Seligman erlernte Hilflosigkeit. Die Symptome der erlernten Hilflosigkeit sind denen der Depression sehr ähnlich: – emotionales Defizit (Freudlosigkeit) – motivationales Defizit (Fehlen zielgerichteter Aktivität) – kognitives Defizit (verzögertes Lernen von aktivem Vermeidungsverhalten) – neurobiologische Veränderungen wie bei Depressiven (Verringerung des Noradrenalingehalts im ZNS). Physiologie Depression Psych./Soz. Die Depression ist eine Störung des Affekts und wird zu den sog. affektiven Störungen gezählt. Symptome sind Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Schuldgefühle, Antriebslosigkeit (auch Unruhe), häufig Schlafstörungen, Appetitlosigkeit (oder gesteigerter Appetit). Die Symptomatik muss mindestens zwei Wochen vorliegen, um die Diagnose Depression stellen zu können. Früher unterteilte man die Störung in endogene (durch innere Ursachen ausgelöste) und exogene (durch äußere Faktoren hervorgerufene) Depression. Ob es sich dabei um zwei unterschiedliche Störungen oder um verschiedene Schweregrade derselben Störung handelt, war Gegen- Merke Biologie trätieren einer Plastikpuppe beobachteten, ahmten während des Experiments häufiger ähnliche aggressive Verhaltensweisen nach als eine Kontrollgruppe, denen man kein aggressives Modell vorgab (Bandura et al., 1963). Durch die Beobachtung von Modellen werden aggressive Verhaltensweisen nachgeahmt und gelernt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Modellpersonen vor allem dann imitiert werden, wenn sie mit ihren ausgeführten aggressiven Verhaltensweisen Erfolg haben. „Vor allem Filme, die einen sympathischen Aggressor zeigen (z. B. einen smarten Agenten oder einen gerechten Rächer, dem früher großes Unrecht zugefügt wurde), der noch dazu (...) belohnt wird (durch viel Geld, schöne Frauen usw.), reizen zur Nachahmung. Durch die Nachahmung solcher Modelle kann auch selbstverstärkende Aggression entstehen (z. B. weil man stolz darauf ist, sich so zu benehmen wie das bewunderte Modell)“. (Hobmaier, H., Psychologie). Unipolare Depressionen treten weitaus häufiger auf als bipolare Störungen. Kognitiver Erklärungsansatz von A. Beck zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Depression. Dieser Ansatz ist so berühmt, weil sich aus ihm eine sehr effektive Therapie zur Behandlung von Depression ableitet, die kognitive Therapie der Depression (S. 945). Die kognitiven Ansätze gehen immer davon aus, dass ein Ereignis an sich keine Bedeutung hat. Wir messen ihm erst eine Bedeutung bei. Und wenn diese Bedeutung negativ ist, dann ist erst das Ereignis negativ. Die Grundannahme ist, dass depressive Menschen sich selbst, die Umwelt und die Zukunft in negativer Weise bewerten. Diese drei Bewertungen werden kognitive Triade genannt. Durch diese negative Grundhaltung kommen kognitive Fehler, man könnte auch sagen, Denkfehler zustande: – Übergeneralisierung: Entstehung einer allgemeinen Regel aufgrund eines oder mehrerer isoliert betrachteter Vorfälle; die Regel wird unterschiedslos auf ähnliche oder unähnliche Situationen angewandt. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 908 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Merke Die Reihenfolge von Triebspannung bis Endhandlung läuft immer nach demselben Schema ab. Das Instinktverhalten kann auch durch künstliche Schlüsselreize – so genannte Attrappen – ausgelöst werden. Leerlaufhandlung. Das Jagdverhalten wird nicht nur durch die fehlende Nahrung motiviert. Das Bedürfnis zu jagen scheint angeboren zu sein. Es muss von Zeit zu Zeit entladen werden, sonst steigt die Triebenergie immer weiter an. Wenn die Energie sehr groß ist, braucht es keinen Schlüsselreiz mehr, um den angeborenen Auslösemechanismus zu aktivieren. Die Katze würde dann auch auf andere Schlüsselreize reagieren oder wenn die Energie noch größer ist, einfach so das Jagdverhalten zeigen. Diese Ins- Humanistische Motivationstheorie – Bedürfnishierarchie nach Maslow Physiologische Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Schlaf sind dem Menschen angeboren. Man nennt sie primäre Bedürfnisse. Sie bestimmen weitgehend die Motivation eines Säuglings. Im Laufe der Entwicklung bilden wir andere Bedürfnisse heraus, die nicht zur biologischen Ausstattung des Menschen gehören, sondern erlernt sind. Sie werden als sekundäre Bedürfnisse bezeichnet. Das sind beispielsweise der Wunsch nach Anerkennung, Wertschätzung, Geltung, Macht und Besitz oder das Bedürfnis nach Kontakt und Geselligkeit. Ein Bedürfnis ist ein physischer oder psychischer Mangelzustand, z. B. nach Essen und Trinken, Zuwendung und Liebe. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Für den klassischen Behaviorismus liegen die Gründe menschlichen Verhaltens in Lernprozessen (S. 878). Ein bedeutender behavioristischer Motivationsforscher war Clarke L. Hull. Er nimmt als Quelle der Motivation ebenfalls innere Triebe an. Die Stärke und Richtung werden jedoch durch Lernparameter bestimmt. Die organismischen Bedürfnisse fließen in einen Trieb zusammen, der reduziert werden will. Verhaltensweisen, die zur angenehm erlebten Triebreduktion beitragen, werden verstärkt und ihre Auftretenswahrscheinlichkeit erhöht. Durch Lernerfahrungen bilden sich mit der Zeit Gewohnheiten aus, die gemeinsam mit den Anreizen (erwartete Belohnungen) die Richtung des Verhaltens bestimmen. Verhaltenssteuernd sind nach Hull also der Trieb, die Gewohnheit und der Anreiz, die – multiplikativ miteinander verknüpft – das Reaktionspotenzial determinieren. Um Verhaltensweisen zu erklären, denen keine organismischen Bedürfnisse zugrunde liegen, nahm man an, dass Triebe auch erworben werden können. Chemie Behavioristischer Ansatz Biochemie Der ethologische Ansatz nimmt grundsätzlich an, dass Verhalten durch angeborene Instinkte erklärt wird. Die Motivation ist hier eine innere Triebspannung, die durch einen Mangelzustand wie Hunger oder durch ein starkes Bedürfnis wie Sexualität ausgelöst wird. Diese Spannung, die auch Appetenz genannt wird, führt zu ungerichtetem Verhalten, dem Appetenzverhalten. So würde ein Glucosemangel bei einer Katze ein Hungergefühl auslösen. Sie hätte nun die Motivation (Appetenz), nach Futter zu suchen. Wenn sie etwas entdeckt, das in das Beuteschema passt (z. B. eine Maus), wird das spezifische Jagdverhalten, die Instinkthandlung ausgelöst. Die Katze jagt die Maus. Die Maus ist ein sog. Schlüsselreiz und löst die Instinkthandlung aus. Dieser Mechanismus wird angeborener Auslösemechanismus genannt. Am Ende, wenn die Katze die Maus gefangen hat, findet die Endhandlung statt. Die Maus wird gefressen. Instinkt- und Endhandlung laufen immer auf dieselbe Weise ab, von ein paar kleinen Variationen abgesehen, die die Anpassung an die jeweiligen Umweltgegebenheiten mit sich bringen. Nach dem psychoanalytischen Ansatz wird Verhalten in erster Linie von innen angetrieben. Äußere Bedingungen nehmen insofern Einfluss, als sie die ursprünglichen Triebe reglementieren und in sozial verträgliche Bahnen lenken. Physik Theorien der Motivation Ethologischer Ansatz (= Vergleichende Verhaltensforschung) Psychoanalytischer Ansatz Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Motivation leitet sich aus dem lateinischen movere (bewegen) ab. Die Motivation ist der Grund dafür, dass wir überhaupt handeln. Sie ist unser Antrieb, unser Motor. Es gibt verschiedene psychologische Annahmen zur Entstehung und Auswirkung der Motivation. Physiologie Motivation Übersprungshandlungen. Bei einer Übersprungshandlung liegen zwei konkurrierende Motive mit nicht vereinbaren Endhandlungen vor. Da beide Endhandlungen nicht ausgeführt werden können, springt die Energie auf eine dritte Handlung über. Z. B. könnte bei einer Prüfung das Bedürfnis aufzustehen und zu gehen genauso groß sein, wie das Bedürfnis zu bleiben. Dies führt zu einer dritten Handlung, der Übersprungshandlung, z. B. dem Kopfkratzen. Psych./Soz. 1.4.5 tinkthandlungen lassen sich auch beim Menschen finden, wie das Saugverhalten eines Säuglings. Merke – Willkürliche Schlussfolgerung: Ziehen von Schlüssen, obwohl es keine Beweise gibt bzw. obwohl Beweise gegen die Schlussfolgerung sprechen – Übertreibung (von Schlechtem) und Untertreibung (von Gutem). Die kognitiven Prozesse lösen weitere Depressionssymptome aus, und diese neuen Symptome bestätigen die ursprünglichen negativen Kognitionen. Damit etabliert sich ein rückgekoppeltes System, das die fehlerhaften Kognitionen verstärkt. Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 909 910 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Histologie Anatomie Chemie Biochemie Physik Kognitiver Ansatz Physiologie Ein zentrales Konzept in der Motivationspsychologie ist die Annahme der antizipierten (im Vorhinein angenommenen) Konsequenzen. Der Mensch kennt meist die Konsequenzen seines Verhaltens, kann sie geistig vorwegnehSelbstverwirklichung Anerkennung und Wertschätzung Psych./Soz. Zuwendung und Liebe Unabhängigkeit und Sicherheit Physiologische Bedürfnisse (Hunger, Durst u.a.) Abb. 1.4 Bedürfnispyramide nach Maslow. men. Das Wissen um die Konsequenzen bestimmt das Verhalten. Das Verhalten wird von den Erwartung-x-WertModellen bestimmt. Erwartung-x-Wert-Modelle gehen davon aus, dass Menschen ihre Handlungsziele mit einer gewissen Rationalität auswählen: Der Wert eines Ziels wird mit der Erwartung (Wahrscheinlichkeit), es erreichen zu können, verrechnet. Es kommt zum Verhalten, wenn das Ziel positiv bewertet wird und sein Erreichen gleichzeitig realistisch ist. Primäre und sekundäre Motive Motive können nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung in primäre und sekundäre Motive untergliedert werden. Primäre Motive sind von Geburt an vorhanden. Sie veranlassen den Körper, wichtige Grundbedürfnisse sicherzustellen. Es sind Hunger, Durst, Schlaf, Schmerzfreiheit, also die physiologischen Bedürfnisse nach Maslow. Die primären Motive, die dazu beitragen, das körpereigene Gleichgewicht (Homöostase) aufrechtzuerhalten, werden auch homöostatische Motive genannt. Eine Ausnahme unter den primären Motiven ist das Sexualmotiv. Es ist auch ein angeborenes Bedürfnis, dient jedoch nicht der Herstellung eines Gleichgewichts und dem Überleben des einzelnen Individuums, sondern trägt durch das Sexualverhalten zum Weiterbestehen der Art bei. Die primären Motive sind zwar angeboren, werden aber durch die Gesellschaft geformt, überlagert. Die Motive, die nicht unmittelbar dem Überleben und der Erhaltung der Art dienen, sind sekundäre Motive. Dies sind z. B. Leistung, Anerkennung und Macht. Sie sind möglicherweise gelernt und mit den primären Motiven verknüpft, sodass sie als sekundäre Triebe wirken können. Da die Lernhypothese aber nicht alle möglichen sekundären Motive erklären kann, gehen andere Forscher von einem eher genetischen Ansatz aus. Motivationskonflikte (nach Lewin) Wir alle kennen das Gefühl, zwischen zwei Alternativen hin und her gerissen zu sein und uns wie der berühmte Esel zwischen zwei Heuhaufen nicht entscheiden zu können. Dieses Gefühl spiegelt das Phänomen wider, dass wir gleichzeitig von zwei verschiedenen Motivationen beherrscht sind und somit in einen Konflikt geraten. Um die Motivationskonflikte zu verstehen, ist es wichtig, die Begriffe Appetenz und Aversion zu kennen. Appetenz meint hier das Bedürfnis zur Annäherung, die Motivation auf ein Ziel zu. Appetenzverhalten zeigen Tiere z. B., wenn sie Hunger haben und auf die Suche nach Beute gehen. Aversion meint hier Meidung. Wir wollen Dinge vermeiden, die unangenehm sind, Unbehagen oder Schmerz verursachen. Appetenz-Appetenz-Konflikt ist ein motivationaler Konflikt zwischen zwei angenehmen Alternativen. Beide Anreize sind gleich groß, sodass wir uns nicht entscheiden können – ins Kino oder in die Kneipe? Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Biologie Primäre und sekundäre Bedürfnisse treten im späteren Leben in der Regel gemeinsam auf. Manche von ihnen wollen allerdings vordringlicher befriedigt werden als andere. So müssen z. B. erst Hunger und Durst hinreichend gestillt sein, bevor der Wunsch nach Geselligkeit oder Selbstverwirklichung wichtig erscheint. Auf diese Beobachtung fußt Maslows Theorie, dass die Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse nach ganz bestimmten Gesetzmäßigkeiten und einer festgelegten Reihenfolge abläuft (Bedürfnispyramide nach Maslow, Abb. 1.4): Als Erstes entwickeln sich die physiologischen Bedürfnisse: Hunger, Durst, Schlaf, Bewegung, Sexualität. Sie stehen anfangs im Vordergrund und behalten das gesamte Leben einer Person hindurch ihre vorrangige Bedeutung. Später kommt der Wunsch Sicherheit und Unabhängigkeit dazu. Damit will sich der Mensch vor Gefahren und deren Folgen schützen. Diese Bedürfnisse lassen sich schon im Säuglingsalter beobachten. Das Bedürfnis nach Zuwendung und Liebe beinhaltet den Wunsch, Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen und zu erhalten, Freundschaften aufzubauen und akzeptiert zu werden. Sehr früh schon wird unser Verhalten von dem Bedürfnis nach Anerkennung bestimmt. Dazu gehört der Wunsch nach Bestätigung und Ansehen, aber auch der Wunsch nach Selbstachtung. Als Letztes entwickelt sich das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Es bezeichnet das beständige Streben eines Menschen, seine individuellen Anlagen und Fähigkeiten in allen Persönlichkeitsbereichen optimal zu entfalten. Die Bedürfnisse an der Basis der Pyramide sind grundlegend für die „höheren“, die sich erst entwickeln, wenn die Grundbedürfnisse angemessen befriedigt sind. Werden also die physiologischen Bedürfnisse eines Menschen nicht oder kaum befriedigt, so wird mit größter Wahrscheinlichkeit kein Sicherheitsbedürfnis entstehen; erhält ein Mensch kaum emotionale Zuwendung oder Anerkennung, so wird er sich nicht selbst verwirklichen wollen. So ist es möglich, dass Menschen in ihrer Entwicklung gar nicht bis zur Spitze der Pyramide durchdringen. Die ersten vier Stufen werden als Defizit-Bedürfnisse bezeichnet. Die letzte Stufe ist das Wachstums-Bedürfnis. Kausalattributionen von Erfolg und Misserfolg Menschen schreiben ihren Erfolgen oder Misserfolgen Ursachen zu. Je nach Ursachenzuschreibung können sie dabei Stolz und Freude oder Trauer erleben. Die drei Dimensionen der Kausalattributionen. Die Ursachenzuschreibung erfolgt nach drei verschiedenen Dimensionen: – Lokation (locus, lat. = Ort) betrifft den Ort der Ursache. Liegt er in der Person, so spricht man von internaler Attribution, liegt er außerhalb, von externaler Attributi- Akteure überschätzen die situativen Einflüsse, Beobachter überschätzen die Personenmerkmale des Handelnden. Histologie Anatomie Chemie Biochemie Physik Die Akteur-Beobachter-Verzerrung. Dieses Phänomen wird im Zusammenhang mit der Kausalattribution genannt. Bei einer Akteur-Beobachter-Verzerrung bewerten Personen ein und dieselbe Handlung unterschiedlich, je nachdem ob sie sie selbst ausführen oder ob sie diese nur beobachten. Beispielsweise könnte eine Mutter, die sehr müde ist, bereits auf kleine Anlässe sehr gereizt reagieren. Dann würde sie in der Akteurrolle external attribuieren, und ihre Gereiztheit auf die Kinder schieben und sagen, dass die Kinder ihr auf die Nerven gehen. Wenn dieselbe Mutter aber völlig entspannt bei einer Freundin säße und zuschauen würde, wie diese ihre Kinder zurechtweist und sagt, dass sie ihr auf die Nerven gehen, würde die Mutter dies internal attribuieren und sagen, die Freundin sei sehr gereizt. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Leistungsmotivation beschreibt das Bedürfnis, etwas besser zu machen als andere oder seine eigenen zuvor erbrachten Leistungen zu übertreffen. Leistungsmotivierte Personen wählen dazu Aufgaben, bei denen sie entweder Erfolg oder Misserfolg haben, denn nur so können sie eine Rückmeldung über die eigene Leistung erhalten. Wichtig ist, dass Leistungsmotivierte nicht einfach fleißiger oder bemühter sind oder angestrengter arbeiten als weniger Leistungsmotivierte, sondern dass sie danach streben, besonders effizient zu handeln. Sie versuchen, ein Ziel auf dem bestmöglichsten Weg zu erreichen. Dies führt dazu, dass sie Strategien und Wege zum Ziel variieren, um sie zu optimieren. Das Leistungsmotiv umfasst die Hoffnung auf Erfolg und die Furcht vor Misserfolg. Je nachdem, welche der beiden Komponenten stärker ausgeprägt ist, spricht man von Erfolgsmotivierten (Hoffnung auf Erfolg) oder Misserfolgsmotivierten (Furcht vor Misserfolg): Erfolgsmotivierte sind zuversichtlich, ein positives Ergebnis zu erzielen und Stolz zu erleben. Sie suchen Leistungssituationen auf, weil sie wissen wollen, wie gut sie sind. Misserfolgsmotivierte handeln mit dem Ziel, einen Misserfolg und die mit ihm einhergehenden Selbstbewertungsaffekte wie Schuld und Scham zu vermeiden. Würde es nach ihnen gehen, würden sie auf ein realistisches Feedback ihrer Leistung gänzlich verzichten. Motivation der Sucht Das zielgerichtete Verhalten Süchtiger lässt sich lerntheoretisch mit einer Kombination aus negativer und positiver Verstärkung erklären (S. 898), während ein eher biologischer Ansatz von einem körperlichen Defizitzustand ausgeht, der ausgeglichen werden muss. Allerdings reichen diese einfachen Betrachtungsweisen nicht aus, um das komplexe Verhalten zu erklären. Daher geht die WHO von einem multifaktoriellen Erklärungsmodell der Sucht aus, das die drei Faktoren Droge (z. B. die Drogenwirkung, das Abhängigkeitspotenzial), Persönlichkeit des Drogenkonsumenten (seine ganz persönlichen Beweggründe) und Gesellschaft (sozialer Bezugsrahmen) enthält. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Physiologie Leistungsmotivation Der fundamentale Attributionsfehler. Dieser Begriff bezeichnet die Tendenz, dass wir das Verhalten anderer Personen eher deren Persönlichkeitseigenschaften zuschreiben, während wir unser eigenes Handeln als situativ (aus der Situation heraus) bezeichnen. Psych./Soz. Appetenz-Aversions-Konflikt. Hier sind wir hin und her gerissen zwischen einem positiven Ereignis und dem Wissen, dass es eine unerwünschte Nebenwirkung hat. So kann die Einnahme eines Medikaments zwar Schmerzen lindern, hat aber dafür andere unangenehme Nebenwirkungen. Doppelter Appetenz-Aversions-Konflikt = doppelter Ambivalenz-Konflikt Beide Alternativen haben sowohl gute wie auch schlechte Seiten. Solch ein Konflikt steckt in der Frage, ob man einen sehr gut bezahlten Job annehmen, aber dafür in eine kleine unattraktive Stadt ziehen soll, weit ab von Freunden und Familie oder ob man den schlechter bezahlten Job nimmt, dafür aber seine sozialen Kontakte sehr gut pflegen kann. on: Ist die Person für das Ergebnis verantwortlich oder das Schicksal? – Stabilität: Diese Attribution betrifft die Zeit. Aufgrund einer zeitlich stabilen Ursache ist dieses Ergebnis nicht zufällig entstanden. Es wird auch in Zukunft so auftreten. Labil bedeutet, dass die Ursache zeitlich begrenzt ist und das Ergebnis nur einmal auftritt. – Global vs. spezifisch: Diese Dimension beschreibt das Ausmaß der Ursache: Gilt das Ergebnis für alle Arten von Tests (global) oder nur für diese Art der Aufgaben (spezifisch)? Wenn ein Mensch nun Misserfolge internal stabil und global interpretiert, so wird dies eher eine Depression auslösen. Ein sehr starkes Selbstwertgefühl entwickelt sich, wenn man Erfolge internal, stabil und global attribuiert und Misserfolge umgekehrt, also external, labil und spezifisch. Merke Aversions-Aversions-Konflikt. Entscheidung zwischen zwei unangenehmen Alternativen – Zahnschmerzen oder zum Zahnarzt? Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 911 912 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Persönlichkeit und Verhaltensstile Biologie Histologie Die Persönlichkeitspsychologie will folgende Fragen beantworten: – Was für ein Mensch ist das? (Eigenschaften der Person und deren Beziehungen zueinander) – Wie wurde er zu genau diesem Menschen? (Determinanten der Entwicklung – Wie haben genetische Einflüsse und Umwelteinflüsse sich auf die Entwicklung ausgewirkt) – Warum handelt jemand so und nicht anders? (motivationale Aspekte) Anatomie Was ist die Persönlichkeit? Eine Persönlichkeit lässt sich als relativ festes Set von Charaktereigenschaften verstehen. Eine Charaktereigenschaft ist ein überdauerndes Verhaltenspotenzial, wie z. B. „Schüchternheit“. Jemand, der eher schüchtern ist, wird häufig etwas länger brauchen, auf eine fremde Person zuzugehen, als jemand, der „offen“ ist. (vgl. S. 914) Theorien der Persönlichkeit Chemie Je nach psychologischer Anschauung wurden unterschiedliche Persönlichkeitstheorien entwickelt. Eigenschaftstheorien der Persönlichkeit Biochemie Physik Die Grundannahme, die allen Eigenschaftstheorien gemeinsam ist, besagt, dass sich die Persönlichkeit als eine Struktur verschiedener Eigenschaftsdimensionen vorstellen lässt, die als zeitlich und über verschiedene Situationen hinweg stabil (transsituationale Stabilität) angesehen wird. Diese Eigenschaften beeinflussen jeweils eine ganze Klasse von konkreten Verhaltensweisen. Das bedeutet, dass man das Verhalten einer Person aufgrund der Kenntnis ihrer Eigenschaftsausprägungen in verschiedenen Situationen vorhersagen kann. Viele Eigenschaftstheoretiker gehen davon aus, dass die Grundlagen der Persönlichkeit eine biologische bzw. genetische Basis haben. Physiologie Psych./Soz. Ideografischer und monothetischer Ansatz. Die Auffassungen über die Persönlichkeitseigenschaften gehen auseinander. Einige Forscher nehmen an, dass jeder Mensch ganz individuelle Persönlichkeitseigenschaften besitze (ideografischer Ansatz). Die gegenteilige Ansicht geht davon aus, dass alle Menschen dieselben Eigenschaften aufweisen. Sie unterscheiden sich lediglich in ihrem Ausprägungsgrad (monothetischer Ansatz). So ist bei einer Person die Dimension „Schüchternheit“ sehr stark ausgeprägt, bei einer anderen dagegen nicht, aber beide weisen letztendlich dieselbe Persönlichkeitsdimension („Schüchternheit“) auf. Der monothetische Ansatz liegt auch den im Folgenden beschriebenen statistischen Persönlichkeitsmodellen zugrunde. Statistische Persönlichkeitsmodelle (Dispositionismus) Anhand empirischer Daten werden Persönlichkeitseigenschaften gewonnen. Dabei ergeben sich je nach Methode und Untersuchungsplan leicht unterschiedliche Persönlichkeitsmodelle. Eysencks Dimensionen der Persönlichkeit. Eysenck ging von dualen Dimensionen aus: – Extraversion (E) – Introversion (I): Jeder Mensch kann zwischen diesen Polen eingeordnet werden. Ein eher extravertierter Mensch ist offen, gesellig, während ein introvertierter Mensch zurückgezogen und eher kontaktscheu ist. – Emotionale Stabilität – Emotionale Labilität (= Neurotizismus [N]): Ein Mensch, der emotional stabil ist, regt sich nicht so schnell auf, lässt sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Ein labiler Mensch ist nervös und angespannt. Ein Mensch, der zu labil ist, ist nach Eysencks Auffassung neurotisch. (Neurose ist die frühere Bezeichnung für klinische Ängste und Zwänge). – Psychotizismus (P) – Realismus: Diese Dimension beschreibt das Maß der „Normalität“ vs. psychiatrische Störung. Eysenck war es wichtig zu zeigen, dass die Dimensionen untereinander unabhängig sind, d. h. dass eine hohe Ausprägung auf einer Dimension nicht mit einer hohen Ausprägung auf einer anderen Dimension korreliert. Dies konnte er zumindest in Pilotstudien zeigen, weswegen man heute davon ausgeht, dass die Dimensionen voneinander unabhängig sind. Er entwickelte einige Persönlichkeitsfragebögen, die auch ins Deutsche übersetzt wurden, wie das Maudsley-Personality-Inventory (MPI) oder das Eysenck-PersönlichkeitsInventar, die Weiterentwicklung des MPI. The Big Five (Halverson/Costa & McCrae). Die Autoren dieses Persönlichkeitsmodells gingen von fünf Persönlichkeitseigenschaften aus, wobei sie z. T. Eysencks Persönlichkeitseigenschaften mit berücksichtigten: – Verträglichkeit – Offenheit für Erfahrungen – Gewissenhaftigkeit – Extra- versus Introversion – Labilität versus Stabilität (Neurotizismus) Die Big Five sind im Gegensatz zu Eysencks Faktoren nicht vollkommen unkorreliert, sondern weisen zum Teil leicht positive Zusammenhänge auf. Ein Persönlichkeits-Fragebogen, der diese fünf Dimensionen erfasst, ist das Neo-Fünf-Faktoren-Inventar von Costa und McCrae (1992; deutsche Version von Borkenau & Ostendorf, 1993). Dieser Fragebogen ist aufgrund des hohen Abstraktionsniveaus der Faktoren weniger für die Einzeldiagnostik geeignet. Im Forschungsbereich erfreut es sich dagegen wegen seiner guten Testgütekriterien und der hohen Ökonomie großer Beliebtheit. Persönlichkeitstests eignen sich vor allem zur Bestimmung des Ausprägnungsgrades von überdauernden Merkmalen (Persönlichkeitseigenschaften). Ein im deutschsprachigen Raum häufig verwendeter Test ist das Freiburger Persönlichkeitsinventar revidierte Form (Fahrenberg et al., 1989) (FPI-r). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 1.4.6 Der Interaktionismus erklärt interindividuelle Unterschiede im Verhalten durch Einflüsse von Personeneigenschaften und der Situation. Psychodynamisches Modell der Persönlichkeit Das bereits beschriebene psychodynamische Modell der Persönlichkeit (S. Freud, S. 884) ist umfangreicher als die statistischen Persönlichkeitsmodelle. Denn es versucht zusätzlich zu der momentanen Beschreibung einer Per- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Anatomie Histologie Biologie Merke Diese Sichtweise fügt beide beschriebenen Auffassungen zusammen, ist also eine Kombination aus Dispositionismus und Situationismus: Ihre Freunde werden sich zwar – je nachdem, ob sie sich auf einer Party oder im Theater befinden – sehr unterschiedlich verhalten, aber auch zwischen ihnen gibt es Verhaltensunterschiede, die sowohl in der einen als auch in der anderen Situation vorhanden sind. Die Annahme des Zusammenspiels der Eigenschafts- und Situationsfaktoren hat sich in der Persönlichkeitspsychologie weitestgehend durchgesetzt. Chemie Biochemie Interaktionismus Physik Walter Mischel (1977) postulierte eine situationistische Auffassung der Persönlichkeit: Der Situationismus erklärt interindividuelle Unterschiede im Verhalten durch die Einflüsse der Situation. Das Verhalten eines Individuums wird von den aktuellen Gegebenheiten der Umgebung bestimmt. Zwar unterscheidet sich das Verhalten verschiedener Individuen in derselben Situation (interindividuelle Unterschiede), aber die Unterschiede des Verhaltens eines einzelnen Individuums in verschiedenen Situationen (intraindividuelle Unterschiede) ist nach Mischels Ansicht viel extremer. Um diese Argumentationsweise zu verstehen, stellen Sie sich ihre Freunde einerseits auf einer ausgelassenen Party zu späterer Stunde, andererseits beim Besuch einer Theatervorstellung oder in der Vorlesung vor. Trotz aller individueller Unterschiede wird der Einfluss der Situation sicherlich das Verhalten jedes Einzelnen stark verändern. Die Entwicklung der Persönlichkeit nach Freud. Freud teilt die Entwicklung des Menschen in fünf Phasen ein. Bei seiner Einteilung geht es darum, über welchen Körperteil das Es seine Triebe befriedigen kann: – Orale Phase (0–2 Jahre): Die Lust wird vorzugsweise über den Mund befriedigt; Sättigung, Trost, Beruhigung und Sicherheit wird durch Nuckeln und Saugen an der Mutterbrust, an der Flasche, an Schnullern etc. als erste Lust erfahren. – Anale Phase (2–4): Die erogene Zone ist zum After gewandert; die Lust wird über das Ausscheiden und Zurückhalten des Kotes befriedigt. In dieser Phase beginnt die bewusste Trennung zwischen Ich und Du, denn hier entwickelt sich die Instanz ICH. In dieser Phase stoßen Regeln und Ge- und Verbote der Eltern auf die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes. – Phallische Phase (4. –6. Lebensjahr): Das Kind entdeckt sein Geschlechtsorgan, und die Lust wird über die Neugier und das Erforschen befriedigt. In diesen Zeitabschnitt gehört die ödipale Phase, bei der der Junge die Mutter und das Mädchen den Vater als Vertreter des anderen Geschlechts wahrnimmt. Der gleichgeschlechtliche Elternteil wird zur Konkurrenz. Dieser „Konkurrenzkampf“ ist für das Kind nur durch den Prozess der Identifikation zu lösen. Der Junge identifiziert sich mit dem Vater. So kann der Vater für ihn handeln und der Mutter nahe sein, so wie der Junge es nicht kann. Durch diese Identifikation mit dem Vater übernimmt der Junge auch die Wertvorstellungen und Normen des Vaters. Somit entsteht am Ende des Ödipuskomplexes das ÜBERICH. – Latenzphase (7–12 Jahre): In dieser Phase wird die sexuelle Energie durch kulturelle Handlungen umgesetzt. Dieser Prozess heißt Sublimierung. So ist beispielsweise das Arbeiten mit Ton eine Sublimierung der analen Triebenergie. – Genitale Phase (ca. 12. Lebensjahr): Die erogene Zone ist zum Geschlechtsorgan gewandert. In der Pubertät beginnen nun durch hormonelle Veränderungen die Ausprägungen der primären Geschlechtsmerkmale und damit auch ein Interesse am anderen Geschlecht. Nach Freud ist die Entwicklung der Persönlichkeit nach diesen fünf Phasen abgeschlossen. Der Mensch gilt also mit dem Erreichen der genitalen Phase als reife Persönlichkeit. Wurde in einer der Phasen zu viel oder zu wenig Befriedigung erlebt, so kommt es zu einer Fixierung in dieser Phase. Das ES wird im späteren Leben immer wieder versuchen, den Sexual- oder Aggressionstrieb über die erogene Zone der entsprechenden Phase zu befriedigen. Der Mensch geht also zeitlich in die jeweilige Phase zurück. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Situationismus son auch zu erklären, wie ein Mensch genau zu der Person wird, die er ist. Die Unterschiede in der Persönlichkeit zwischen verschiedenen Individuen werden als eine unterschiedliche Dominanz der Instanzen bzw. als ein unterschiedlicher Umgang mit der Triebenergie verstanden. Physiologie Zu vorgegebenen Aussagen kann „stimmt“ oder „stimmt nicht“ angekreuzt werden. Der Test enthält eine Lügenskala, um zu erfassen, ob die Person sozial erwünscht antwortet, also so, wie der Testauswerter es hören will. Der Vorteil am FPI wie auch bei den meisten anderen psychometrischen Persönlichkeitstests ist, dass er objektiv ist. Nachteilig ist, dass der Test trotz Lügenskala durch die Jasagetendenz (immer „stimmt“ ankreuzen) oder durch die Tendenz zur Mitte (gilt eher für Tests, bei denen man auf einer mehrstufigen Skala antworten muss) verfälscht werden kann. Der Test erfasst auch die Persönlichkeitseigenschaften Extraversion und Emotionalität = Neurotizismus, also Persönlichkeitseigenschaften, die auch Eysenck sowie Costa & McCrae in den Big Five berücksichtigt haben. Psych./Soz. 1.4 Theoretische Grundlagen 913 Chemie Biochemie Physik Der behavioristische Ansatz beschäftigt sich damit, wie die klassische und die operante Konditionierung unser Erleben, Denken und Verhalten formen. Behavioristische Psychologen gehen davon aus, dass alles Verhalten erlernt ist und somit auch wieder verlernt werden kann. Der Mensch kommt als „weißes Blatt“, „Tabula Rasa“ zur Welt und wird nur durch seine Lernerfahrungen geformt. Ausschließlich das beobachtbare Verhalten gilt als Gegenstand der Forschung. Nur was beobachtet, gemessen oder in Daten erfasst werden kann, wird als wissenschaftlich anerkannt. Eine ungünstige Persönlichkeitsentwicklung kommt nach Auffassung der Behavioristen durch ungünstige Lernerfahrungen zustande. Physiologie Grundsätzlich hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass Persönlichkeit immer ein Resultat von biologischer Anlage und den Erfahrungen des Individuums mit der Umwelt ist, wobei beide Faktoren in Interaktion treten. Persönlichkeitsstörungen Psych./Soz. In der Psychologie wird die Persönlichkeit als eine Summe von relativ stabilen Charaktereigenschaften verstanden. Bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen liegen bestimmte Eigenschaften vor, die sich ungünstig auf ihr Verhalten und ihre Beziehung zu anderen Menschen auswirken. Diese Eigenschaften betreffen: – Denkweisen – Affekte (Emotionen) – Verhaltensweisen (z. B. schüchternes Verhalten). Um als Persönlichkeitseigenschaften zu gelten, müssen solche Merkmale relativ unveränderlich sein. Patienten, die unter so genannten Persönlichkeitsstörungen leiden, nehmen ihre Erlebens- und Verhaltensweisen als zu sich selbst zugehörig (ich-syntones Erleben) wahr, d. h. nicht als „unnormal“ oder fremd. Im Gegensatz dazu erleben Menschen mit Agoraphobie oder einem Waschzwang diese Verhaltensweisen als etwas Fremdes, das über sie kommt (ich-dyston), dem sie sich beugen müssen und das ihr Leben in ungünstiger Weise beeinflusst. Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung erleben also nicht die Symptome der Störung an sich als problematisch, sondern die Beziehung zu anderen Menschen. Daher schlagen viele Psychiater vor, Persönlichkeitsstörungen als Beziehungsstörungen anzusehen. Da Persönlichkeitsstörungen aus der Eigenperspektive in der Regel nicht als unmittelbar störend, abweichend oder normverletzend erlebt werden, sind diese bei sich selbst äußerst schwer zu diagnostizieren. Nur die Außenperspektive der interpersonellen Bezugspersonen oder des Diagnostikers erlaubt die Schlussfolgerung einer „gestörten Persönlichkeits-Entwicklung“. Merke Anatomie Merke Histologie Die Frage, in welcher Phase sich ein Mensch befindet, lässt sich immer über das Alter beantworten. Auch wenn die Triebenergie fixiert ist, so durchläuft jeder die Phasen mit demselben Alter. So befindet sich ein Kind, das sieben Jahre alt ist, immer in der Latenzphase. Behavioristischer Ansatz Merke Biologie Dies nennt man Regression. Durch die Fixierung in den Phasen bilden sich nach Freud unterschiedliche Charaktere aus. Bei der Fixierung in der oralen Phase entsteht der oraldepressive Charakter. Er ist fordernd, unreif, will, dass andere etwas für ihn tun, ergreift selbst keine Initiative. Am Ende der oralen Phase entsteht eher der schizoide Charakter. Er zeichnet sich durch ein ambivalentes Verhältnis zu Mitmenschen aus, das im Wechsel von Kontaktsuche und Ablehnung besteht. Durch eine Fixierung in der analen Phase entsteht der zwanghafte/anale Charakter. Er zeichnet sich durch Geiz, Pedanterie, Pünktlichkeit, Korrektheit, Kontrolle, ambivalentes Verhältnis zu Autoritäten (Dominanz versus Unterwerfung) aus. Durch die Fixierung in der phallischen Phase entsteht der phallische/hysterische Charakter mit einem inneren Zwang zum Konkurrieren und Leistungsstreben. Bei Männern werden häufiger Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert als bei Frauen. Paranoide Persönlichkeitsstörung. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung sind misstrauisch und vertrauen sich anderen nur schwer an. Neutrale Handlungen anderer werden zu feindseligen Handlungen umgedeutet. Diese Menschen wirken oft streitsüchtig. Sie beharren auf den eigenen Rechten, sind aber gleichzeitig empfindsam gegenüber Zurückweisung. Schizoide Persönlichkeitsstörung. Menschen mit einer schizoiden Persönlichkeitsstörung sind gleichgültig gegenüber sozialen Beziehungen. Sie haben keine oder nur sehr wenig enge Freunde, die meisten Unternehmungen werden allein gemacht. Sie haben eine eingeschränkte emotionale Erlebnis- und Ausdrucksweise. Dissoziale Persönlichkeitsstörung. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung weisen einen Mangel an Empathie und Schuldbewusstsein und eine geringe Frustrationstoleranz auf. Sie haben die Neigung, andere Menschen zu beschuldigen und so vordergründig die eigene Aggression zu rationalisieren. Ebenfalls findet man hier häufig die Unfähigkeit, aus Bestrafung zu lernen. Borderline-Persönlichkeitsstörung. Diese Patienten leiden unter extremen Stimmungsschwankungen. Das Beziehungsleben ist häufig sehr intensiv. Aufgrund der Stimmungsschwankungen kommt es aber möglicherweise innerhalb einiger Stunden zu Überidealisierung und dann zur Abwertung des Partners. Häufig sind Suiziddrohungen oder Suizidversuche bei Trennungen oder generell, um das Gefühl des Alleinseins zu verhindern. Ähnlich ist ein Verlust der Impulskontrolle, was häufig zu selbstschädigendem Verhalten führt. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 914 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Dependente Persönlichkeitsstörung. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung haben sehr große Angst vor dem Verlassenwerden oder dem Alleinsein. Daher ordnen sie sich dem Partner meist vollkommen unter. Die Verantwortung wird an andere abgegeben, es fällt ihnen schwer, alltägliche Entscheidungen zu treffen. Verhaltensstile Feldabhängigkeit und die Feldunabhängigkeit. Das von Witkin et al. (1954, 1972) entwickelte Konstrukt der Feldabhängigkeit versus Feldunabhängigkeit beschreibt das Ausmaß, in dem ein Individuum unabhängig von den Einflüssen der Außenwelt („Feld“) handelt. Menschen, die eine starke Unabhängigkeit von Umweltreizen aufweisen, werden als feldunabhängig bezeichnet. Statt sich nach Umweltinformationen zu richten, orientieren sie ihr Verhalten mehr an einem internen Maßstab. Das andere Extrem bilden feldabhängige Individuen, die ihr Verhalten direkt an den Anforderungen der Umwelt ausrichten. Typ-A-Verhalten und Typ-B-Verhalten. Diese Verhaltensstile wurden im Zusammenhang mit einem Risiko für Koronarerkrankungen gefunden. Während ein Typ-A-Verhalten eher zu Koronarerkrankungen führt, kann ein TypB-Verhalten eher als Profilachse angesehen werden. Eine Person mit ausgeprägtem Typ-A-Verhalten (koronargefährdendes Verhalten) steht unter ständigem Leistungsdruck, ist ehrgeizig (hohe Leistungsnorm), übernimmt gerne Verantwortung und zeigt große Bereitschaft zum vollen Einsatz bis zur völligen Verausgabung. Sie hat ein hohes Kontrollbedürfnis, sodass es ihr schwerfällt, Verantwortung zu delegieren. Hinzu kommt ein selbstgesetzter Zeitdruck und ein hohes Maß an Ungeduld, das sich unter anderem in einer hastigen Sprechweise zeigen kann. Klappt etwas nicht nach Wunsch, reagiert die Typ-A-Persönlichkeit sehr irritiert und ärgerlich. Im emotionalen Bereich zeichnet sich das Typ-A-Verhalten durch ein hohes Potenzial an Feindseligkeit aus. Diese stressfördernde Verhaltensweisen gehen mit einer Vernachlässigung gesundheitserhaltender Aktivitäten einher, die aus Zeitmangel oder gering eingeschätzter Wichtigkeit unterbleiben. Personen mit einem Typ-B-Verhalten zeichnen sich durch Ruhebedürftigkeit und aktive Suche nach Erholung aus. Sie entspannen sich in ihrer Freizeit und haben zufriedenstellende soziale Beziehungen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Chemie Biochemie Konzept der Kontrollüberzeugung (Locus of Control). Das von Rotter (1966) entwickelte Konzept der Kontrollüberzeugung hat Ähnlichkeiten mit der Attributionstheorie und der erlernten Hilflosigkeit. Es beschreibt, inwiefern jemand annimmt, die Konsequenzen seines Handelns selbst beeinflussen zu können. Ein hohes Ausmaß an Kontrollüberzeugung (auch interner/internaler Locus of Control) kennzeichnet Menschen, die davon ausgehen, dass ihr eigenes Verhalten entscheidend für die Ereignisse ihres Lebens ist. Bei geringer Kontrollüberzeugung (auch externer/externaler Locus of Control) nimmt man an, dass die Ereignisse des eigenen Lebens von außen (anderen Personen, dem Schicksal etc.) bestimmt werden. Der Einfluss des eigenen Verhaltens auf die Gestaltung der Zukunft wird als gering eingeschätzt. Die Kontrollüberzeugung hat eine hohe klinische Relevanz. Physik Selbstunsichere-vermeidende Persönlichkeitsstörung. Bei diesen Menschen liegt ein angstbetonter Lebensstil vor. Es kommt zu einer chronischen Vermeidung von Aktivitäten, die als bedrohlich eingeschätzt werden. Dies können sowohl soziale Kontakte wie auch andere Aktivitäten sein. Sie gehen nur enge Beziehungen ein, wenn sie sichergestellt haben, dass sie akzeptiert werden. Da man sich darüber aber nie wirklich sicher sein kann, kommt es fast zu gar keinen engen Beziehungen. Gefühle von Minderwertigkeit und Unsicherheit, Befangenheit, Besorgtheit und Anspannung sind die Regel. Auf Kritik reagieren sie meist mit Rückzug. Verhaltensstile wie die Attributionsstile haben einen Einfluss auf den Umgang mit eigenen Krankheiten und somit auch auf den Gesundungsprozess. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Zwanghafte Persönlichkeitsstörung. Bei dieser Störung leiden die Menschen an einem extremen Perfektionismus, einer Gewissenhaftigkeit, die als „Halsstarrigkeit“ ausgelegt werden kann. Sie fürchten, einen Fehler zu machen, was zu ständiger Kontrolle und Sorgfalt führt. Zusammenhang zwischen Verhaltensstilen und Krankheit. Physiologie Histrionische Persönlichkeitsstörung. Histrionisch kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Schauspieler. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung haben einen übertriebenen Emotionsausdruck, die Ereignisse um die eigene Person werden dramatisiert. Häufig liegt theatralisches Handeln oder ein übertriebener Sprachstil mit „Imponiergehabe“ vor. Sie verlangen nach aufregenden Aktivitäten, bei denen sie selbst im Mittelpunkt stehen. Ebenso verlangen sie ständig Lob und Anerkennung. Sie sind auffällig egozentrisch. Hier kann man sich eher eine „schrille“ auffällig gekleidete Person vorstellen, der immer etwas Dramatisches passiert. Sensation Seeking. Marvin Zuckerman (1979) entwickelte auf der Basis von Deprivationsstudien das Konstrukt des Sensation Seekings. Sensation Seeker sind Menschen, die eine geringere Stimulierung durch Umweltreize erleben als andere Menschen. Diese geringere Stimulation versuchen sie durch aufregende Ereignisse auszugleichen. Diese Ereignisse sollen der Theorie zufolge zu einer stärkeren Stimulation führen. Psych./Soz. Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Die vorherrschenden Merkmale sind Ideen von Großartigkeit der eigenen Person, ein übertriebenes Selbstgefühl; ständige Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Schönheit und idealer Liebe. Diese Menschen reagieren überempfindlich auf Kritik, nutzen ihre Beziehungen für ihre eigenen Ziele aus. Ebenfalls fordern sie ständig Aufmerksamkeit und Bewunderung. Übertrieben dargestellt könnte es eine Herrscher-Persönlichkeit sein, die keine anderen Meinungen als die eigene zulässt. Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 915 916 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Biologie Histologie Das Selbstkonzept beinhaltet stabile Annahmen über die eigene Person, eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sie werden aus Erfahrungen abgeleitet. Dies sind beispielsweise Erfahrungen mit anderen oder Situationen, in denen das eigene Handeln zu erwünschten und auch unerwünschten Konsequenzen geführt hat. Menschen streben danach, sich im Einklang mit ihrem Selbstkonzept zu befinden. Wenn dies nicht der Fall ist, so erzeugt dies intrapsychische Spannungen. 1.4.7 Entwicklung und primäre Sozialisation Wichtige Begriffe und Methoden der Entwicklungspsychologie Anatomie Chemie Biochemie Entwicklung. Entwicklung beschreibt die Veränderungen des Organismus. Man unterscheidet die Ontogenese, die die individuelle Entwicklung eines Organismus vom Keim bis zum ausgewachsenen Individuum beschreibt, und die Phylogenese, die die Entfaltung der Arten behandelt. In diesem Kapitel geht es ausschließlich um den ontogenetischen Entwicklungsbegriff. Entwicklung ist ein fortschreitender Prozess – eine Reise von der Zeugung bis zum Tod. Die Psychologie beschäftigt sich damit, wie und warum sich unser Denken, Lernen, unsere Emotionen und unser Verhalten im Laufe unseres Lebens verändern. Jeder Mensch muss zu unterschiedlichen Zeitabschnitten bestimmte Herausforderungen des Lebens bewältigen. Es beginnt mit dem Laufen und Sprechenlernen, geht über die Pubertät, den Einstieg ins Berufsleben, der Gründung einer Familie bis hin zu den Aufgaben, die das Altwerden stellt, wie Ausscheiden aus dem Arbeitsalltag, verminderte körperliche Leistungsfähigkeit, Krankheit und letztlich die Vorbereitung auf Sterben und Tod. Physik Physiologie Sozialisation. Die Sozialisation beschreibt die lebenslangen Veränderungen, die im Zusammenhang mit sozialen Erfahrungen stehen. Hier geht es um Lernprozesse, bei denen das Individuum sich soziale Fähig- und Fertigkeiten, Norm- und Wertvorstellungen aneignet. Sozialisation wird auch als „Vergesellschaftung der menschlichen Natur“ umschrieben. Das Individuum wächst in die menschliche Gesellschaft (Sozietät) hinein und wird zu einer gesellschaftlich handlungsfähigen Persönlichkeit. Die primäre Sozialisation (ca. 0–3 Jahre) beschreibt die Interaktion mit der Kernfamilie. Die sekundäre SozialisaTabelle 1.4 tion (ab ca. 3 Jahren) bezieht sich auf die Freunde, Peers, Schule oder Beruf. Reifung (Maturation) und Lernen. Reifung ist ein biologischer Prozess. Es handelt sich um genetisch gesteuerte Prozesse. Reifungsprozesse treten bei allen Menschen kulturunabhängig etwa zum selben Zeitpunkt auf. Das ist bei Lernprozessen nicht der Fall. Lernen ist eine relativ stabile Verhaltensänderung, die durch Üben erworben wird. Vorgeburtliche Risiken Trotz Verhütungsmitteln wurden in der Bundesrepublik in den 80er Jahren nur etwa 5 % der Kinder bewusst geplant, ca. ein weiteres Drittel bis die Hälfte ist zwar nicht direkt geplant, aber durchaus erwünscht. Die häufigste Begründung für Schwangerschaftsabbrüche ist eine „schwere soziale Notlage“ (80 %), dagegen werden Chromosomenfehler des Kindes nur in zwei bis drei Prozent der Fälle als Begründung angegeben. Etwa drei Prozent der Kinder kommen mit Missbildungen der Gliedmaßen oder Organe auf die Welt. Eindeutige Ursachen lassen sich nur schwer ermitteln. Ein Teil lässt sich jedoch mit gewisser Sicherheit auf bestimmte Medikamente, Drogen oder Infektionen bei der Mutter während der Schwangerschaft zurückführen (Anatomie, S. 145). Emotionale Entwicklung und Bindungsverhalten In Tab. 1.4 werden die Meilensteine der emotionalen Entwicklung dargestellt. Bindungstheorie Die Bindungstheorie (Attachment Theory) wurde maßgeblich von dem Analytiker John Bowlby und später von Mary Ainsworth entwickelt. Sie besagt, dass die Sozialisation des Kindes mit dem Aufbau einer engen Beziehung zur Bezugsperson beginnt. Üblicherweise ist dies die Mutter. Der Grund ist ein angeborenes Bedürfnis nach gegenseitiger Nähe bei Mutter und Kind. Um diese Bindung aufzubauen, muss das Kind in der sensiblen Phase während des ersten Lebensjahres in engem Kontakt mit der Bezugsperson stehen. Die Bezugsperson sollte die Signale des Kindes verstehen können und seine Bedürfnisse von Hunger, Durst, Zuwendung usw. be- Meilensteine der emotionalen Entwicklung Psych./Soz. Alter Verhalten Emotion 6–8 Wochen soziales Lächeln besonders auf menschliche Stimmen und Gesichter ca. 4 Monate Lachen Herzhaftes Lachen zeigt sich erst in diesem Stadium auf plötzliche nicht furchterregende Ereignisse. 6–8 Monate Fremdeln Das Kind zeigt Furcht vor Fremden, kann sich bis zum 12. Monat noch steigern, nimmt dann wieder ab. 1,5–3 Jahre Bildung des Selbstkonzepts Das Kind kann selbstbezogene Gefühle von Stolz und Scham unterscheiden. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Selbstkonzept Hospitalismus. Bei fehlender emotionaler Bindung und sensorischer Deprivation tritt bei Kindern eine Störung auf, die als Hospitalismus (auch anaklitische Depression) bezeichnet wird, weil sie vorwiegend in Heimen und Spitälern beobachtet wurde. Er wird in drei Phasen eingeteilt: – 1. Phase: Unruhe und lauter Protest bei der Trennung von der Bezugsperson. – 2. Phase: Resignation (oberflächlich wirkt das Kind, als hätte es sich an die veränderte Situation gewöhnt). – 3. Phase: Verzweiflung und Ausbildung depressiver Symptome (das Kind zieht sich von der Außenwelt zurück, reagiert nicht auf Ansprache, zeigt körperliche Verfallserscheinungen, die im schlimmsten Fall zum Tod führen). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Anatomie Chemie Biochemie Physik Assimilation und Akkommodation. Die Regeln und Gesetzmäßigkeiten der Welt werden nach Ansicht Piagets durch zwei geistige Prozesse erworben, die gleichzeitig ablaufen: Assimilation und Akkommodation. Assimilation: Ein Mensch nimmt neue Informationen auf und verändert sie dabei so, dass sie sich in das bereits bestehende Weltbild fügen. Er passt somit die Umwelt seinen bereits existierenden kognitiven Schemata an. Der Prozess der Assimilation bewahrt und erweitert das Bestehende und verbindet so die Gegenwart mit der Vergangenheit: Das kleine Mädchen, das jetzt über Vierbeiner bestens Bescheid weiß, zeigt auf einen Pudel und sagt stolz: „Wauwau!“ Recht hat sie damit. Sie hat gelernt, dass Hunde unterschiedlich aussehen können. Sie hat den neuen Eindruck, Pudel, ihrem Schema angepasst, hat ihn in ihr Weltbild assimiliert. Akkommodation: Beim Prozess der Akkommodation passt der Mensch sein Weltbild an die Realität an. Dies geschieht immer dann, wenn die Umwelt nicht mehr zu dem passt, was der Mensch weiß oder denkt. Er gerät in einen Ungleichgewichtszustand, die neuen Informationen können nicht mehr mit den vorhandenen Schemata eingeordnet werden: Beim Sonntagsspaziergang sieht das kleine Mädchen eine Kuh, wieder ein Tier mit Fell und vier Beinen. Also ein Wauwau. „Nein“, erklärt die Mama, „das ist eine Muhkuh.“ Aha, da hat sich also etwas geändert! Sie muss ihr Schema anpassen. Sie weiß nun, dass nur kleine Vierbeiner Wauwaus sind, große dagegen Muhkuh heißen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Alle geistigen Leistungen (Denken, Wahrnehmen und Probleme lösen) werden in der Psychologie mit dem Begriff Kognitionen zusammengefasst (cognitio lat. = Erkenntnis). Der Schweizer Psychologe Jean Piaget (1896–1980) befasste sich damit, wie sich die geistigen Leistungen bei Kindern entwickeln. Nach ihm haben Lebewesen die Fähigkeit, Informationen aus der Umwelt zu strukturieren, Ganzheiten zu bilden, zu ordnen und zu systematisieren und so Beziehungen zwischen dem Ganzen und seinen Teilen herzustellen. Die Einordnung und Verarbeitung dieser Informationen geschieht über sog. kognitive Schemata (Sichtweisen über die Welt). Beispielsweise sieht ein kleines Mädchen auf der Straße einen Dackel. „Das ist ein Wauwau!“, erklärt ihm die Mama. Es bildet nun ein kognitives Schema, nämlich dass so ein Tier mit vier Beinen und einem Fell ein Wauwau ist. Das Mädchen verfügt bereits über einige andere dieser Schemata oder Weltbilder, so zum Beispiel: Mit dem Becher auf den Tisch hauen macht Bum-bum. – Auf die heiße Herdplatte fassen macht Aua! – Zweibeinige Tiere mit Federn heißen Piep-piep. Histologie Kognitive Entwicklung nach Piaget Physiologie Bindung und späteres Verhalten. Die Bindung scheint einen Einfluss auf das spätere soziale Verhalten zu haben. Sicher gebundene Kinder zeigen ein größeres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. So explorieren sie ihre Umgebung schneller und haben eine längere Ausdauer und höhere Frustrationstoleranz bei Aufgaben. Sie weinen seltener, wenn ihnen etwas nicht gelingt und werden seltener ärgerlich. Bei einer monatelangen Trennung kommt es zu Verhaltensauffälligkeiten, wie Nägel-Beißen, depressive Symptome, Überängstlichkeit. Es können irreversible Langzeitschäden wie eine geistige Retardierung verursacht werden. Ein hohes Risiko besteht, wenn die Kinder zwischen dem 6. bis 11. Monat von der Bezugsperson getrennt werden. Psych./Soz. friedigen. Die Bindung wird ca. ab dem 8. Monat sichtbar, wenn das Kind beginnt, Trennungsangst zu zeigen, wenn es von der primären Bezugsperson getrennt wird. Wenn die Kinder etwa zwei Jahre alt sind, kann die Qualität der Bindung mit dem Fremde-Situations-Test erhoben werden. Bei diesem Test verlässt die Mutter (primäre Bezugsperson) den Raum und kommt nach einiger Zeit wieder. Währenddessen wird das Verhalten des Kindes beobachtet und in die folgenden Kategorien eingeordnet. – Sicher gebunden: Die Kinder suchen sofort Kontakt mit der Mutter, wenn sie wiederkommt, – unabhängig davon, wie aufgeregt die Kinder beim Fortgehen der Mutter waren. Einigen reicht es aus, die Mutter aus der Entfernung zu sehen und sich weiter mit ihren Spielsachen zu beschäftigen. Andere suchen Körperkontakt mit ihr, andere weichen nicht mehr von ihrer Seite. Wenn die Mutter nicht da ist und die sicher gebundenen Kinder beunruhigt sind, dann können fremde Personen sie kaum trösten. – Unsicher gebunden, vermeidend: Diese Kinder vermeiden bei der Rückkehr der Mutter den Kontakt mit ihr. Einige ignorieren sie völlig, andere zeigen ein gemischtes Verhalten. Wenn die Mutter nicht da ist und sie beunruhigt sind, dann können sie von Fremden ebenso beruhigt werden wie von der Mutter. – Unsicher gebunden, ambivalent: Diese Kinder suchen den Kontakt und sträuben sich gleichzeitig dagegen. So weinen die Kinder, weil sie hoch gehoben werden wollen, und schreien dann, weil sie wollen, dass die Mutter sie wieder absetzt. Später wurde noch eine vierte Gruppe eingeführt. – Desorganisiert: Die Kinder wirken bei der Wiederkehr der Mutter desorganisiert. Sie schreien plötzlich los, nachdem es den Anschein hatte, dass sie sich schon wieder beruhigt hatten, oder sie kommen auf die Mutter zu, um dann wegzusehen. Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 917 918 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Anatomie Chemie Fünf Stufen der Entwicklung Biochemie Piagets Beobachtungen an Kindern ließen ihn annehmen, dass die kognitive Entwicklung eine Abfolge von fünf Stufen durchlaufen muss. Die Geschwindigkeit, mit der sich diese Entwicklung vollzieht, kann jedoch von Kind zu Kind unterschiedlich sein. Auf jeder Stufe werden unterschiedliche Fähigkeiten erworben: Physik Physiologie Psych./Soz. Sensomotorische Stufe (Geburt bis 2 Jahre). – Erwerb der Fähigkeit, angepasst zu reagieren: Während des ersten Jahres werden die sensomotorischen Fähigkeiten verfeinert und immer umfangreicher, denn das Kind erkundet ständig neue Aspekte seiner Umwelt. Der Säugling erkennt, dass er seine Umwelt beeinflussen kann, dass seine Handlungen Wirkung zeigen. (Wenn er z. B. die Rassel schüttelt, erklingt ein Geräusch.) – Objektpermanenz: Bereits kurz nach der Geburt folgt der Säugling einem Spielzeug mit den Augen. Nimmt man es aus seinem Gesichtskreis heraus, existiert es für ihn nicht mehr. Nach etwa drei Monaten betrachtet er die Stelle, an der das Spielzeug aus seinem Blickfeld entfernt wurde. Er hat gelernt, dass das Spielzeug nicht einfach verschwunden ist. Im Alter zwischen 4–8 Monaten erwartet der Säugling, dass das verschwundene Spielzeug wieder auftaucht. Später (8–18 Monaten) sucht der Säugling selbst danach. Ab einem Alter von ca. zwei Jahren dreht er das Versteckspiel sogar um und versteckt nun seinerseits den Gegenstand. Stufe des vorbegrifflichen Denkens (2–4 Jahre). – Animalisches Denken: Für die Kinder sind zu Beginn dieser Entwicklungsstufe viele Dinge belebt (anima lat. Stufe des anschaulichen Denkens (4–6 Jahre). – Zu Beginn dieser Stufe glaubt das Kind, was es sieht. – Erkenntnis qualitativer Invarianzen: Dinge bleiben die gleichen, obwohl sie manchmal anders aussehen mögen. Das Kind erkennt einen Hund, egal ob es ihn von vorn oder hinten sieht, ob er schwarz, braun oder gefleckt ist, langes bzw. kurzes Fell hat. Die Katze dagegen und das Meerschwein kann es vom Hund sehr wohl unterscheiden. Die Stufen des vorbegrifflichen und des anschaulichen Denkens werden manchmal als eine Stufe beschrieben. Diese Stufe heißt dann präoperationale Stufe und geht vom 2. bis zum 7. Jahr. Stufe der konkreten Denkoperationen (7–11 Jahre). – Erkenntnis quantitativer Invarianzen: Während dieser Zeit lernt das Kind, mehrere Dimensionen ins Verhältnis zu setzen. Anfangs können Kinder beispielsweise noch nicht Höhe und Menge in einen richtigen Zusammenhang bringen. Dies wurde mit dem Becherglas-Versuch von Piaget belegt (auch als Umschüttaufgabe bekannt). Schüttet man Flüssigkeit aus einem hohen Glas in ein flaches, breites, so behauptet das Kind, die Flüssigkeit sei jetzt weniger geworden. – Logisches Denken zur Lösung konkreter Probleme: Kinder verwenden zwar mittlerweile abstrakte Begriffe, das logische Denken jedoch ist noch immer auf konkrete Dinge gerichtet, zu denen sie einen unmittelbaren sensorischen Zugang haben. Stufe der formalen Operationen (von 11 Jahren an). Logische Denkoperationen sind nicht mehr an konkrete Probleme gebunden: Das logische Denken ist abstrakt. Die Kinder bzw. Jugendlichen können Aufgaben wie „Was wäre, wenn...“ diskutieren, ohne dass die Probleme anschaulich sind. Abstrakte Theorien können erstellt und auch durch abstrakte Beweisführung überprüft werden. Entwicklung der Sprache (Tab. 1.5) Das Erlernen der Sprache ist eine große kognitive Leistung. Da es den Kindern so leichtfällt, wird davon ausgegangen, dass die Fähigkeit, eine Sprache zu lernen, angeboren ist. Die Eltern führen die Kinder früh in den Gebrauch der Sprache ein, weil sie sich mit ihnen in sog. Protodialogen unterhalten (elementarsten Formen von Dialogen). Dabei akzeptieren die Eltern alles, was der Säugling äußert, als Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Histologie Äquilibrationsprinzip. Assimilation und Akkomodation unterliegen einem allgemeinen Entwicklungsprinzip, dem Äquilibrationsprinzip (lat. aequilibrium = Gleichgewicht). Dieses Prinzip besagt, dass der Mensch immer ein Gleichgewicht anstrebt zwischen seinen Sichtweisen über die Welt auf der einen Seite und den tatsächlichen Gegebenheiten auf der anderen. Das heißt, die Welt sollte auch dem entsprechen, wie der Betreffende sie sieht. In einer unbekannten Situation wird er als Erstes versuchen, die neuen Gegebenheiten an bereits bekannte Lösungsmöglichkeiten anzupassen. Kann die Situation so aber nicht bewältigt werden, entsteht ein Ungleichgewicht. Die Lösungsmöglichkeiten müssen verändert oder erneuert werden. Durch das Wechselspiel der Prozesse Assimilation und Akkommodation wird das Gleichgewicht wieder hergestellt: Das kleine Mädchen konnte mit seinen vorhandenen Schemata die neue Situation nicht bewältigen. Es kam zu einem Ungleichgewicht. Mit der Veränderung des Schemas zu „alle großen Vierbeiner sind nicht Wauwau, sondern Muhkuh“ kam es gleichzeitig zu einem neuen Assimilationsvorgang, der spätestens beim Anblick des Pferdes den nächsten Akkommodationsprozess erforderlich machen wird. = Seele). So ist der Wind böse oder gut. Die Sonne geht abends schlafen, und wenn es regnet, kommt sie nicht raus, weil sie sonst nass wird. – Egozentrismus: Das Kind kann noch nicht die Perspektive einer anderen Person einnehmen. Diese Hypothese wurde mit dem so genannten Drei-Berge-Versuch von Piaget untersucht. Piaget stellte das Kind auf einen künstlichen Hügel. Er setzte einen Teddybär auf einen der anderen beiden Hügel. Auf die Frage, wie die Welt für den Teddy aussähe, beschrieb das Kind das Aussehen aus der eigenen Sichtweise. Merke Biologie Diese neue Information hat zu einer Akkommodation ihres Weltbildes geführt. Auf der Weide hinter dem Wäldchen steht ein Pferd... 1.4 Theoretische Grundlagen 919 12 Monate Kind benutzt erste einzelne Worte zur Benennung konkreter Objekte (Ball, Mama etc.); Einwortsätze werden bereits zur Kommunikation eingesetzt Zweiwortstadium 18 Monate Kind kombiniert zwei Substantive oder Substantiv und Verb; Zweiwortsätze werden zur Kommunikation eingesetzt („Ball haben“) Stadium des Telegrammstils 24 Monate kurze, einfache Sätze aus Inhaltswörtern (wenige Funktionswörter wie Artikel oder Präpositionen) Antwort. Untersuchungen haben gezeigt, dass Eltern mit ihren Babys vorzugsweise in der sog. Ammensprache reden, die durch eine hohe Stimmlage und häufige Wiederholungen charakterisiert ist. Die Ammensprache ist eine Hilfe für die Kinder, die durch die stimmliche Markierung erkennen, wann sich die gesprochenen Wörter an sie richten, und wann sich die Unterhaltung auf Erwachsene bezieht. Erwerb von Wortbedeutungen. Im Alter von 18 Monaten nimmt der Wortschatz explosionsartig zu. Zunächst werden vor allem Bezeichnungen für Gegenstände gelernt. Ein durchschnittlich entwickeltes Kind wird im Alter von sechs Jahren ungefähr 14 000 Wörter verstehen. Wir können davon ausgehen, dass die meisten dieser Wörter zwischen dem Alter von 18 Monaten und 6 Jahren gelernt werden – so ergeben sich daraus neun neue Wörter pro Tag oder nahezu ein Wort pro Stunde, in der das Kind wach ist. Kinder verhalten sich so, als dürfe jedes Ding nur einen Namen haben (Prinzip des wechselseitigen Ausschlusses). Kennen sie z. B. schon ein Wort für ein ganzes Objekt wie „Auto“, so wenden sie das Prinzip des wechselseitigen Ausschlusses an und entwickeln die Hypothese, dass ein ihnen unbekanntes Wort wie „Lenkrad“ eine Bezeichnung für irgendein Teil des Autos sein muss. Diesen Vorgang bezeichnet man als Bootstrapping: Kinder bedienen sich ihrer bereits erworbenen Sprachkenntnisse, um sich neue Begriffe anzueignen (von engl. „to pull oneself up by one’s bootstraps“ = sich an seinen eigenen Schnürsenkeln hochziehen). Grammatikerwerb. Beim Grammatikerwerb spielt die Ammensprache nur eine geringe Rolle. Menschen besitzen eine angeborene Veranlagung für den Erwerb von Grammatik. Dies wurde bei Kindern festgestellt, die sich eine Sprache mit vollständigen grammatischen Strukturen erarbeiteten, ohne dass ein korrektes Vorbild vorhanden war. So beobachtete man bei Gruppen von gehörlosen Kindern, dass sie eine eigene Gebärdensprache mit festen Regeln und Strukturen entwickelten, obwohl sie nie die Möglichkeit hatten, eine der existierenden Gebärdensprachen zu lernen. Alle Sprachen greifen auf dasselbe Repertoire grammatischer Tricks zurück. Kinder erkennen Regeln und entwi- ckeln ein Verständnis dafür, dass bestimmte Wortteile den Inhalt der Aussage verändern. Wenn sie z. B. die Nachsilbe -te an ein Verb anhängen, bezieht sich die Aussage auf Vergangenes. Dabei kommt es oft zu Übergeneralisierung, weil dieses Prinzip voraussetzt, dass alle sprachlichen Phänomene auf dieselbe Art gekennzeichnet werden. Wenn Kinder gelernt haben, wie bei regelmäßigen Verben die Vergangenheitsform gebildet wird, wenden sie dieses Prinzip auf alle Verben an („springte“ anstatt „sprang“). Übergeneralisierung ist ein besonders interessanter Fehler, weil er für gewöhnlich auftritt, nachdem Kinder die korrekten Formen von Verben und Substantiven bereits erlernt und auch verwendet haben. Kritische Stadien des Spracherwerbs. Die Fähigkeit, Grammatik zu lernen, scheint mit dem Alter abzunehmen. Viele Aspekte der Sprache entstehen in bestimmten Reifungsstadien – den kritischen Stadien des Spracherwerbs – und entwickeln sich dann weiter. Sie entsprechen eher den Stufen körperlicher und kognitiver Reifung, als dass sie mit bestimmten Lernerfahrungen zu tun haben. Leistungsmotivation Kinder entwickeln etwa mit vier Jahren soziale Vergleichsprozesse. Dies motiviert sie, sich beim Wetteifern anzustrengen. Ab diesem Alter wollen Kinder nicht mehr verlieren. Eine vollständige Leistungsmotivation entwickeln sie allerdings erst mit ca. 12 Jahren, wenn sie die Konzepte Anstrengung, Schwierigkeit und Fähigkeit voneinander trennen können. Moralentwicklung Die Moral ist ein System von Glaubenssätzen und Werthaltungen, mit dem man Handlungen als „richtig“ oder „falsch“ klassifizieren kann. Piagets Modell der moralischen Entwicklung Hiernach werden je nach Alter die Handlungsabsicht und das Handlungsergebnis unterschiedlich bewertet. Im präoperationalen Stadium fällt das Kind sein moralisches Urteil aufgrund der konkreten Handlung: Jemand ist böse, wenn er aus Versehen eine Tasse kaputt macht. Erst in den späteren Stadien wird die Absicht miteinbezogen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Einwortstadium Anatomie Babys produzieren silbenähnliche Lautfolgen wie „dadada, lalala“, Lallen scheint ein reifungsabhängiger Vorgang zu sein, da es auch taube Kinder zeigen (unabhängig von äußerer Stimulation) Chemie ab 4.-5. Monat Biochemie Lallstadium Physik Fähigkeiten Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Durchschnittsalter Physiologie Stadium Biologie Stadien des Spracherwerbs Psych./Soz. Tabelle 1.5 920 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Kohlbergs Stufenmodell der Moralentwicklung Histologie Anatomie Nach Kohlberg gibt es sieben Stufen der Moralentwicklung, die sich in der Art der Argumentation unterscheiden. Dabei werden die ersten sechs in drei Ebenen unterteilt. Nicht alle Menschen erreichen die siebte und letzte Stufe. Viele bleiben in der Mitte stehen. Um das Stadium der Moralentwicklung zu beurteilen, werden Personen Geschichten mit moralischen Dilemmata vorgelegt. Beispielsweise hat ein Mann nicht genug Geld, um ein lebenswichtiges Medikament für seine kranke Frau zu kaufen. Die Person soll nun beurteilen, ob er es stehlen darf oder nicht und muss diese Antwort begründen. Je nach dem Inhalt der Argumente wird sie dann einer Stufe zugeordnet. Chemie Biochemie Ebene I präkonventionelle Moral. Auf dieser Ebene werden moralische Urteile entweder durch drohende Strafen oder eigene Interessen begründet. Die Interessen anderer werden nur im Sinne des Austauschs (Reziprozität) berücksichtigt. – Stufe 1: Orientierung an Strafe und Gehorsam. Als Begründung wird die Vermeidung von physischem Schmerz angeführt. – Stufe 2: Kosten-Nutzen-Abwägung/Reziprozität. Als Begründung wird die erwartete Belohnung bzw. die Schuld des anderen angeführt (Auge um Auge). Physik Physiologie Ebene II konventionelle Moral. Auf dem konventionellen Niveau herrscht eine Tendenz zur Aufrechterhaltung wichtiger Sozialbeziehungen vor. Während auf der dritten Stufe dabei lediglich die Beziehungen zur Kernfamilie beachtet werden, wird der Blick auf der vierten Stufe auf größere gesellschaftliche Systeme ausgedehnt. – Stufe 3: Braves-Kind-Orientierung. Als Begründung wird das Gewinnen von sozialer Anerkennung bzw. das Vermeiden von Kritik von Seiten enger Bezugspersonen angeführt („...weil X dann mit mir zufrieden ist.“). – Stufe 4: Recht-und-Ordnung-Orientierung. Als Begründung wird der Gehorsam gegenüber Regeln und personenübergreifenden Autoritäten wie dem Staat oder der Religion angeführt. Psych./Soz. Ebene III postkonventionelle bzw. prinzipiengeleitete Moral. Auf dem postkonventionellen Niveau wird erkannt, dass kein Regelsystem als fraglos richtig gilt, sondern jede Regel immer frei verhandelbar zwischen den Mitgliedern ist. Personen auf dieser Ebene versuchen Regeln oder Prinzipien zu finden, die unabhängig von der Autorität einzelner Gruppen oder Personen sind. – Stufe 5: Orientierung am sozialen Vertrag. Als Begründung wird das allgemeine Wohl der Gesellschaft angeführt; Regeln des Systems werden nicht mehr als gegeben, sondern als aushandelbar begriffen. Beide Autoren machen die Entwicklung der Moral an der Begründung fest, nicht am moralischen Urteil selbst. Soziokulturelle Einflüsse auf Entwicklung und Sozialisation Hierunter fallen alle Einflüsse von Kultur, Erziehung, Familie und Peergroup. Die Einflussfaktoren sind so zahlreich, dass man sie kaum voneinander trennen kann. Erziehungsstile Die Erziehung ist ein wechselseitiger Prozess zwischen Eltern und Kind. Es gibt unterschiedliche Erziehungsstile. Ein Erziehungsstil beinhaltet die Art der Kommunikation und die Kontrolle, die ausgeübt wird. Erziehung ist ein zielgerichteter Prozess, im Gegensatz zur Sozialisation. Charakteristika der Erziehungsstile. Die elterliche Aufmerksamkeit (Responsiveness) umfasst die Fähigkeit der Eltern, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen und sensibel darauf zu reagieren. Dies führt zu einer stabilen emotionalen Bindung. Hier ist ein mittleres Maß an Kontrolle optimal, sodass die Autonomie des Kindes gefördert wird. Verschiedene Erziehungsstile. Der autoritativ-reziproke Erziehungsstil ist durch ein hohes Maß an Kontrolle und offener Kommunikation und viel Wärme seitens der Eltern gekennzeichnet. Er soll sich günstig auf das spätere Verhalten der Kinder auswirken. Der autoritär-autokratische Erziehungsstil hingegen ist durch starke elterliche Kontrolle, aber durch wenig Sensibilität für die Bedürfnisse der Kinder gekennzeichnet. Die Eltern erlauben keine Autonomie und bestrafen auch durch Gewaltanwendung, was zu geringerer sozialer Kompetenz und zu einer geringeren Selbstwertschätzung bei den Kindern führen soll. Der nachgiebig-permissive Erziehungsstil zeichnet sich durch warmherziges Verhalten der Eltern aus. Die Eltern üben kaum Kontrolle aus. Sie erlauben den Kindern, viele Entscheidungen selbst zu treffen, auch wenn diese noch nicht alt genug dafür sind. Dies soll dazu führen, dass die Kinder sich eher aggressiv verhalten und es ihnen an der Fähigkeit fehlt, Verantwortung zu übernehmen. Der indifferente-unbeteiligte Erziehungsstil ist durch Vernachlässigung seitens der Eltern charakterisiert (Schlüsselkinder). Die Kinder müssen sehr früh autonom handeln und Verantwortung übernehmen, die Atmosphäre in der Familie ist aber eher feindselig. Die Effekte auf diese Kinder sind weniger eindeutig. Neben dem Erziehungsstil haben alle Interaktionen in der Familie und später auch im Kindergarten, in der Schule Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Autonome Moral. Ab ca. 10 oder 11 Jahren entwickeln die Jugendlichen eine eigene Moral, wobei sie sich am Maßstab der Gerechtigkeit orientieren. – Stufe 6: Orientierung an ethischen Prinzipien. Als Begründung werden allgemeine Prinzipien wie Gerechtigkeit, Nächstenliebe etc. angeführt. – Stufe 7: Der Mensch hat gesellschaftliche Normen internalisiert und empfindet selbst Scham bei einer Übertretung dieser Normen. Merke Biologie Heteronome Moral. Ca. ab dem Schuleintritt erkennen die Kinder die Moral der Autorität als die geltende Moral an. In diesem Kapitel werden Entwicklungsprozesse vorgestellt, die das ganze Leben über andauern. Die hier beschriebenen Konzepte haben alle dieselbe Grundannahme: Sie betonen, dass der Mensch eine Krise oder ein Problem lösen muss, um diese Entwicklungsstufe zu bewältigen und die nächste zu erreichen. Einige Konzepte lebenslanger Entwicklungen Konzept der Entwicklungsaufgaben nach Havighurst Nach Havighurst ist Entwicklung ein Lernprozess, der zu Kompetenzen führt, die zur Bewältigung gesellschaftlicher Ansprüche notwendig sind. Die Fähigkeit, gesellschaftliche Ansprüche zu bewältigen, geht mit psychiTabelle 1.6 Konzept kritischer Lebensereignisse (Critical Life-Events) Als kritische Lebensereignisse werden positive und negative Veränderungen bezeichnet, die vom Individuum eine Anpassungsleistung an eine neue soziale Situation erfordern. Kritische Lebensereignisse sind: – unvorhersehbar – unkontrollierbar – unerwünscht – lösen Stress und Angst aus – verlangen eine Neuanpassung (Coping-Strategien). Eriksons Modell psychosozialer Entwicklung Phase Konflikt angemessene Lösung unangemessene Lösung oral (0–11/2 Jahre) Urvertrauen vs. Urmisstrauen stabiles Sicherheitsbewusstsein Unsicherheit, Angst anal (11/2–3 Jahre) Autonomie vs. Scham und Zweifel Selbstwahrnehmung als Handelnder Zweifel an eigener Kontrolle über Ereignisse phallisch (3–6 Jahre) Initiative vs. Schuldgefühl Vertrauen auf eigene Initiative, Kreativität Mangelndes Selbstvertrauen Latenz (6–10 Jahre) Leistung vs. Minderwertigkeits-Gefühl Vertrauen auf eigene Leistung Mangelndes Vertrauen in eigene Leistung Jugend/Adoleszenz Identität vs. Rollendiffusion Vertrauen in eigene Person schwankendes, unsicheres Selbstbewusstsein junges Erwachsenenalter Intimität vs. Isolierung Fähigkeit zur Nähe und Bindung an anderen Gefühl der Einsamkeit, Leugnung des Bedürfnisses nach Nähe mittleres Erwachsenenalter Generativität vs. Stagnation Interesse an Familie, Gesellschaft, künftiger Generation selbstbezogene Interessen, fehlende Zukunftsorientierung höheres Erwachsenenalter Ich-Integrität vs. Verzweiflung Gefühl der Ganzheit, Zufriedenheit mit dem Leben Gefühl der Vergeblichkeit, Enttäuschung Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Entwicklung und Sozialisation im Lebenslauf Chemie 1.4.8 Erikson zufolge gibt es acht Phasen der sozialen Entwicklung (Tab. 1.6). In jeder dieser Phasen durchlebt der Mensch eine Krise, deren positive Bewältigung zu persönlichem Wachstum führt. Sollte er außerstande sein, die Konflikte der jeweiligen Lebensphase zu lösen, so kann er die nächsthöhere Entwicklungsstufe nicht voll und ganz erreichen. Er verharrt in unangemessenen Lösungsmustern früherer Entwicklungsstadien. Erikson lehnt sich mit seinem Modell an Freud an, und benennt auch die ersten Phasen gleich. Biochemie Einen großen Einfluss auf das Verhalten der Kinder haben die Medien (vgl. S. 907). Eriksons Stufenmodell psychosozialer Entwicklung Physik Die Scheidungsrate in Deutschland liegt konstant bei 33 %. Die Zahl der arbeitstätigen Mütter liegt bei ca. 60 %, was aber keinen nachteiligen Einfluss auf die Entwicklung zu haben scheint. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Merke Auch gesellschaftliche Determinanten wie der Strukturwandel der Familie von einer Großfamilie in eine Kleinfamilie mit zwei arbeitenden Elternteilen haben einen Einfluss auf die Entwicklung unseres Verhaltens. Ebenfalls haben die hohe Scheidungsrate und die immer häufiger auftretenden Patchwork-Familien einen Einfluss. Physiologie Gesellschaftliche Determinanten schem Wohlbefinden einher und führt zu gesellschaftlicher Akzeptanz. Die Entwicklungsaufgaben werden aus drei Quellen abgeleitet: – Physische Reifungsprozesse: Sie sind weitgehend universell, haben eine geringe kulturelle Variation. – Kultureller Druck bzw. gesellschaftliche Erwartungen: Einfluss altersbezogener Normen, historischer Wandel von Entwicklungsaufgaben. – Individuelle Ziele und Werte: als Teil des Selbst, treibende Kraft für aktive Gestaltung der Entwicklung. Psych./Soz. und in der Peergroup einen Einfluss auf die Entwicklung des Verhaltens (vgl. S. 922). Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 921 922 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Adoleszenz Histologie Anatomie Chemie Biochemie In der Jugend treten einige körperliche und psychische Veränderungen auf, die eine Neuanpassung erfordern. Eine der Entwicklungsaufgaben des Jugendlichen besteht in der Akzeptanz der körperlichen Veränderungen und der ausgereiften Sexualität. Hier kann es u. U. zu den folgenden Problemen kommen: gesteigerte Beschäftigung mit dem eigenen Körperkonzept (subjektives Erfahren des eigenen Aussehens). Die Betroffenen können sich zu „hässlich“ oder als zu „dick“ empfinden. Eine derartige Auseinandersetzung kann zu einer Essstörung führen bzw. diese begünstigen. Es gibt zwei Arten von Essstörungen: – Anorexia nervosa: Die betroffenen Mädchen (gelegentlich auch Jungen) empfinden sich als zu dick. Sie nehmen immer weiter ab, verweigern das Essen und unternehmen alles, um weiter Gewicht zu verlieren, obwohl Ihr Körpergewicht schon lange unter der kritischen Grenze liegt. – Bulimia nervosa: Die Betroffenen empfinden sich ebenfalls als zu dick, die Diät wird aber immer wieder von sog. Essattacken unterbrochen, bei denen innerhalb kürzester Zeit mehrere Tausend Kilokalorien aufgenommen werden. Diese aufgenommene Nahrung wird danach zumeist erbrochen. Bei beiden Störungsbildern sind die Erklärungsansätze komplex. Die mangelnde Akzeptanz des veränderten Körpers ist lediglich eine Komponente. Eine große Rolle spielen häufig familiäre Probleme. Ein wichtiges Element der Therapie bei Essstörungen ist die Vermittlung eines realistischen Körperkonzepts. Physik Erwerb der Geschlechtsrolle Physiologie Psych./Soz. Geschlechtsrollen sind Verhaltensmuster, die in einer bestimmten Gesellschaft als für Männer und Frauen angemessen gehalten werden. Sie bilden die Definitionen für Maskulinität und Feminität. Diese Verhaltensmuster werden zum Teil offen in Form von Erwartungen und Regeln ausgesprochen, zum Teil aber auch verdeckt transportiert. Die geschlechtsspezifische Sozialisation beginnt bereits ab der Geburt. Man kann sagen, dass Mädchen und Jungen aufgrund einer geschlechtsspezifischen Sozialisation in verschiedenen psychologischen Umwelten aufwachsen. Die Integration von der typisch männlichen und der typisch weiblichen Geschlechterrolle wird mit dem Begriff der Androgynie bezeichnet. Wenn man von Geschlechtsidentität spricht, meint man das Erleben der eigenen Person als männlich oder weiblich. Dieses Erleben beinhaltet eine Akzeptanz des eigenen biologischen Geschlechts und ist wichtig für das psychische Wohlergehen des Kindes und Jugendlichen. Es gibt Menschen, bei denen ein Widerspruch zwischen psychologischer und biologischer Geschlechtsidentität besteht. Dieses Phänomen bezeichnet man als Transsexualität. Suizid im Jugendalter Der Selbstmord (Suizid) ist bei deutschen Jugendlichen nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache. Die meisten Suizidversuche werden im Alter zwischen 15 und 35 Jahren unternommen, danach nimmt die Zahl ab, um im Alter wieder anzusteigen. Während Mädchen und Frauen doppelt so häufig Suizidversuche unternehmen wie Jungen und Männer, ist das Geschlechterverhältnis beim tödlich verlaufenden Suizidversuch umgekehrt (ca. 3:2). Als wichtigstes Motiv für einen Suizidversuch im Jugendalter werden soziale Konflikte angegeben, meistens mit den Eltern, an zweiter Stelle stehen Liebeskummer oder Partnerprobleme. 10 % der Jugendlichen geben an, dass sie mit ihrem Selbsttötungsversuch Aufmerksamkeit erregen wollten. Ein Suizid ist nur in den seltensten Fällen eine spontane Handlung. Im Normalfall gehen ihm charakteristische Verhaltensweisen voraus, die durch das präsuizidale Syndrom beschrieben werden: – Einengung oder Rückzug: Die Betroffenen haben ein Gefühl der Ausweglosigkeit, fühlen sich wie von allen Seiten umzingelt. Sie selber fühlen sich klein und hilflos, während alles andere als riesengroß erlebt wird. – Aggressionsstauung: Es kommt zu einer Aggression, die nach innen auf die eigene Person gerichtet wird. – Selbstmordphantasien: Es kommt zu einer Flucht in eine Phantasiewelt mit dem Gedanken: „Ich könnte tot sein...“. Der Gedanke wird dann als entlastend erlebt und entwickelt eine Eigendynamik (Zwangsgedanke). Bedeutung der Peer-Group Die Bedeutung der Kernfamilie sinkt im Jugendalter etwas ab. Die gleichaltrigen Peers übernehmen einige Funktionen. So werden Probleme eher in der Peergroup besprochen. Auch die Anerkennung in der Peergroup ist ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung im Jugendalter. Er trägt zur Entwicklung der Rollenidentität bei. Erwachsenenalter Im Erwachsenenalter sind die vorrangigen Entwicklungsaufgaben die Unabhängigkeit von der Familie, die Partnerbindung, Gründung einer eigenen Familie und das Ergreifen eines Berufs. Im Erwachsenenalter kommt es häufig zu familiären und beruflichen Ansprüchen. Sind sie zu hoch, so können daraus Stress und langfristig psychische und körperliche Schäden entstehen. Zur Auswirkung von Stress im Berufsleben sind zwei Modelle entwickelt worden. Sie beschreiben einen Zusammenhang zwischen stressauslösenden Faktoren im Arbeitsleben und dem Risiko für Herz- und Kreislauf-Erkrankungen. – Anforderungs-Kontroll-Modell: Zwei Dimensionen sind hier Ausschlag gebend: die Menge und Beschaffenheit von Anforderungen und die Kontrollierbarkeit der Auf- Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Biologie Negative Life-Events können bei Menschen mit einer Disposition zur Depression als Auslöser für die Erkrankung wirken. Dasselbe gilt auch bei Schizophrenie. Hier können es negative wie auch positive Lebensereignisse sein. Dies sind beispielsweise die Geburt der eigenen Kinder, die eigene Hochzeit usw. Veränderungen psychischer Funktionen im Alter Disengagement-Theorie: Ersehnter Rückzug aufs Altenteil? Annahme: Der Übergang vom Erwachsenenalter zum Alter bringt einen natürlichen Rückzug aus Aktivitäten und Verpflichtungen mit sich. Der alte Mensch und die Gesellschaft sind etwa zur gleichen Zeit bereit, ihre Bindungen zueinander zu lösen. Die Verfechter der DisengagementTheorie nennen diesen Prozess der zunehmenden Distanzierung einen ganz natürlichen Vorgang der menschlichen Entwicklung. Der Mensch möchte sich aus Beruf und Sozialleben zurückziehen, um sich seinem Lebensabend widmen zu können. Früher wurde das Altwerden mit einem generellen Abbau körperlicher und psychischer Funktionen gleichgesetzt. Heute weiß man, dass dem nicht so ist. Die Alterungsprozesse sind interindividuell großen Schwankungen unterworfen. Allgemein gilt, dass es viel weniger Abbauprozesse gibt, als früher angenommen wurde. Kompetenzmodell: Bewältigung der Altersaufgaben durch Kompensation und Selektion. Annahme: Bewältigungen der Aufgaben, die das Altwerden stellt, werden gelöst, indem der Mensch seine noch verfügbaren Fertigkeiten nutzt, sich auf die Lebensbereiche beschränkt und den Umfang der Aktivitäten eingrenzt. Kognitive Veränderungen. Wie im Abschnitt über die Intelligenz erwähnt, fällt die fluide Intelligenz im späten Erwachsenenalter etwas ab, was sich aber eher auf die Wahrnehmungsgeschwindigkeit und die Gedächtnisleistung bezieht, durch das Anwachsen der kristallinen Intelligenz allerdings kompensiert wird (S. 903). Auch das Gedächtnis ist genauso leistungsfähig wie im mittleren Erwachsenenalter. Ältere Menschen können allerdings nicht mehr mehrere Informationen gleichzeitig aufnehmen. Es sind also lediglich die Prozesse der selektiven Aufmerksamkeit beeinträchtigt. Normales Altern vs. pathologisches Altern. Diese Modelle beschreiben den „normalen“ Alterungsprozess. Von pathologischem Altern spricht man, wenn ein Mensch durch biologische oder psychologische Veränderungen Einbußen erlebt, wie beispielsweise bei der Demenz. Es gibt Risikofaktoren, die pathologisches Altern begünstigen. Dies sind: – Isolierung – Depression – Verlust des Partners – finanzielle Sorgen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Chemie Aktivitätstheorie: Wer rasten muss, der rostet? Annahme: Glück und Zufriedenheit eines Menschen hängen vom Umfang seiner aktiven Einflussnahme auf das Umweltgeschehen und seinem „Gebrauchtwerden“ ab. Biochemie „Midlife-Crisis“. Auch der Begriff der „Midlife-Crisis“ wird im Zusammenhang mit einer besonderen Belastung im späteren Erwachsenenalter gebraucht. Allerdings stammt er aus der populärwissenschaftlichen Literatur. Die Krise ist gekennzeichnet durch Sinnfragen bezüglich des eigenen Lebens, zum Teil kommt es zu einer abrupten Umorientierung. Ob und mit welchen Folgen eine solche Sinnkrise auftritt, hängt sicherlich von der individuellen Art der Lebensführung und Auseinandersetzung mit den eigenen Zielen ab. Besonders anfällig scheinen Personen zu sein, die von einer ihrer Rollen (meistens im Beruf) über Jahre so absorbiert waren, dass sie andere Lebensbereiche stark vernachlässigt haben. „Defizit-Modell“ der geistigen Entwicklung: Sitzen wir auf dem absteigenden Ast? Annahme: Geistige Entwicklung vollzieht sich in drei Phasen: – positive Entwicklung in Kindheit und Jugend – maximaler Höhepunkt im jungen Erwachsenenalter – Niedergang mit dem Älterwerden; z. B. Gedächtnisleistung oder Intelligenz? Physik Klimakterium. Im Klimakterium (Wechseljahre) erlischt die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau. Es liegt im Zeitabschnitt zwischen 40. und 50. Lebensjahr und wird mit hormonellen Umstellungen begleitet. Wie sehr sich diese Umstellung psychisch auswirkt, hängt von der jeweiligen Person und ihrer psychischen Verfassung ab. In der Gerontopsychologie wurden verschiedene Alterungsmodelle vorgeschlagen, die alle aber nur einen Teil dieses komplexen Phänomens erklären können. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Als höheres Erwachsenenalter wird der Abschnitt vom Berufsausstieg bis zum Tode bezeichnet. Er ist durch viele Entwicklungsaufgaben gekennzeichnet (siehe auch Hawighurst und Erikson). Modelle des Alterns Physiologie Veränderungen im höheren Erwachsenenalter Folgende Faktoren wirken sich positiv auf die Stabilisierung von Intelligenz und Gedächtnis aus: hoher sozialer Status hohe Lebenszufriedenheit lange geistig herausfordernde Berufstätigkeit anregende Lebensumwelt zum Beispiel durch häufigen sozialen Kontakt, Teilnahme am politischen Leben. Tatsächlich wird der Abbau der kognitiven Leistungen durch das Gegenteil beschleunigt. Psych./Soz. gaben. Stress entwickelt sich bei steigender Menge der Aufgaben bei gleichzeitig niedriger Kontrolle. Später wurde das Modell um die Dimension „sozialer Rückhalt am Arbeitsplatz“ erweitert. Sozialer Rückhalt wirkt sich immer stressvermeidend aus. – Modell beruflicher Gratifikationskrisen: Wichtig ist das Verhältnis der persönlichen Verausgabung und die dafür erhaltene Belohnung. Eine hohe Belastung des Arbeitsplatzinhabers entsteht aus einem Ungleichgewicht zwischen seinem persönlichen Einsatz und den erhaltenen Gratifikationen (Belohnungen). Diese können aus finanzieller Vergütung oder sozialer Anerkennung bestehen. Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 923 924 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Biologie Soziodemografische Determinanten des Lebenslaufs Die Demografie beschreibt den Stand der Bevölkerung. Hierzu gehören wirtschafts- und sozialpolitische Veränderungen sowie die Bevölkerungsstruktur (Geburtenund Sterberate). Methoden der Demografie Anatomie Sterbetafel. Sie wird zur Ermittlung der durchschnittlichen Lebenserwartung von Neugeborenen, des Geburtenüberschusses und der altersspezifischen Sterblichkeit herangezogen. Aus den Sterbeziffern der unterschiedlichen Altersstufen wird eine durchschnittliche Lebenserwartung für jedes Alter ermittelt. Hierbei handelt es sich jedoch nur um Wahrscheinlichkeitsaussagen, die aus den vorliegenden Daten ermittelt werden. Die Lebenserwartung steigt in Deutschland aufgrund der verbesserten medizinischen Versorgung und der guten Ernährung immer weiter an. Von einem Geburtenüberschuss spricht man, wenn innerhalb einer definierten Zeitspanne (z. B. ein Jahr) die Anzahl der Neugeborenen (Natalität) größer ist als die der Verstorbenen (Mortalität). Chemie Histologie Volkszählung. Als Bevölkerung wird die Einwohnerzahl eines bestimmten Gebietes zum Stichtag x verstanden. Die Daten dienen der Prognose der Bevölkerungsentwicklung oder politischer Planungen. Mikrozensus. Er ist eine jährliche Erhebung. Es werden demografische Daten von ca. 1 % der Einwohner erfasst. Biochemie Gliederungsprinzipien Physik Eine Bevölkerung kann anhand verschiedener Merkmale beschrieben werden: – Sozioökonomischer Status (Anteil verschiedener Bildungsabschlüsse, beruflicher Stellungen oder Einkommensgruppen etc.) – Nationalität (Anteil der Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft) – Alter (dargestellt in der Alterspyramide oder anhand der Altenquote) und – Familienstand (Anteil lediger, verheirateter, geschiedener Menschen) Physiologie Bevölkerungspyramide Psych./Soz. Die Altersstruktur einer Bevölkerung wird oft durch eine Pyramide dargestellt. Dabei bildet die Basis der Alterspyramide die Geburtenrate. Die ältesten Anteile der Bevölkerung stehen an der Spitze. Somit kann man anhand der Form der Pyramide das Verhältnis zwischen Jung und Alt ablesen. Eine Pyramide, die als gleichschenkliges Dreieck dargestellt werden kann, beschreibt eine hohe Geburtenrate und wenig alte Menschen. Diese Form ist typisch für Länder, die wir als Entwicklungsländer bezeichnen. Eine Glockenform weist auf eine stagnierende Bevölkerung hin, es gibt etwa gleichviel alte Menschen wie Neugebore- ne. Man spricht auch von einer stationären Bevölkerung. Diese Form findet man eher in Schwellenländern. Wenn die Altersverteilung eher die Form einer Urne hat, so handelt es sich um eine stabile Bevölkerung, wie sie eher in westlichen Industrieländern gefunden wird. Wenn das Bevölkerungswachstum negativ wird, dann sieht die Altersverteilung aus wie ein Pilz. Es gibt dann mehr alte als junge Menschen. Für Deutschland wird dieses Verhältnis für den Zeitraum um 2050 prognostiziert. Demografisches Altern. Demografisches Altern ist die Beschreibung der Zunahme alter Menschen an der Gesamtbevölkerung. So sind in Deutschland ca. 30 % über 60 Jahre alt. Das demografische Altern besteht aus dem Verhältnis von über 60-Jährigen zu den Menschen, die unter 30 Jahre alt sind. Ursachen für das demografische Altern liegen wie erwähnt an einem Geburtenrückgang, aber auch an den besseren Lebensbedingungen (die Menschen leben länger). Die Form der Bevölkerungspyramide wandelt sich in den westlichen Industrieländern langsam von einer Glockenform bzw. einem Dreieck zu einem Quadrat. Dieser Wandel wird als Rektangularisierung bezeichnet. Dies liegt daran, dass die Sterbeverhältnisse innerhalb einer Kohorte (einer Altersgruppe, siehe auch Kohortenstichprobe, S. 895) über einen langen Zeitraum konstant niedrig bleiben. Das heißt, lange Zeit stirbt niemand, bis dann die Sterblichkeit ab einem bestimmten Alter extrem zunimmt. Dies führt zu einer rechteckigen Form der Alterspyramide, da die Linien lange Zeit konstant waagerecht verlaufen und dann plötzlich abfallen. Erwerbstätigkeit Erwerbstätigkeit ist ein wesentlicher Faktor für die sozialen Sicherungssysteme in einem Staat mit sozialer Marktwirtschaft wie es die Bundesrepublik ist. Ebenso stellt sie einen wesentlichen Faktor für die Wirtschaftlichkeit des Landes dar. Es werden folgende Gruppen von Menschen unterschieden: – Erwerbstätige: Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen oder selbstständig ein Gewerbe führen und Einkommenssteuer zahlen müssen. – Erwerbslose: Personen ohne Arbeitsverhältnis, die sich um eine Arbeitsstelle bemühen (Arbeitslose). – Erwerbsfähige: Personen im erwerbsfähigen Alter, die sich entweder in einem Arbeitsverhältnis befinden oder eines suchen (Summe aus Erwerbstätigen und Erwerbslosen). Die Erwerbsquote gibt das Verhältnis von Erwerbstätigen in Bezug zur Gesamtbevölkerung an. Bevölkerungsbewegung Mit dem Begriff der Bevölkerungsbewegung wird eine Veränderung der Altersstruktur bezeichnet. Natürliche Bevölkerungsbewegung liegt vor, wenn sich das Verhältnis von Geburten- und Sterberate verändert, künstliche besteht dann, wenn sich die Bevölkerungsstruktur durch Ein- oder Auswanderung verändert. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 1.4.9 Migration Mit dem Begriff Migration ist die Wanderung von Menschen gemeint. Hierbei werden zwei Bewegungsrichtungen unterschieden. Horizontale Mobilität meint einen Aufenthaltswechsel (geografische Wanderung). Mit vertikaler Mobilität ist der Auf- bzw. Abstieg innerhalb der Gesellschaftsschichten gemeint. Wenn man die Bevölkerungsbewegung untersucht, so ist nur die horizontale Mobilität wichtig. Auch für die horizontale Mobilität gibt es Kennwerte. Zunächst muss in Binnen- und Außenwanderung unterschieden werden. Binnenwanderung ist ein Ortswechsel innerhalb der Demografische Situation der Weltbevölkerung Im Jahre 2000 zählte die Weltbevölkerung 6,055 Milliarden Menschen, im Jahre 2008 6,709 Milliarden. Für 2015 geben die Prognosen eine Zahl von 7,154 Milliarden an. Während in Europa und Nordamerika das Bevölkerungswachstum stagniert (durchschnittliche Fertilitätsziffer von 1,7), steigen die Bevölkerungszahlen der Entwicklungsländer um jährlich 2–3 %. In einzelnen Ländern ist die Wachstumsgeschwindigkeit sogar deutlich höher (durchschnittliche Fertilitätsziffer in Afrika bei 4,5 Kindern pro Frau). Hier sind u. a. kulturelle Normen und religiöse Einflüsse (keine Verhütung) ausschlaggebende Faktoren. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Chemie Biochemie Physik – altersspezifische Sterbeziffer: Anzahl der Sterbenden bezogen auf 1000 noch lebende Menschen desselben Alters – Altenquote: Anteil der Menschen über 65 Jahre. Sie kann je nach Fragestellung anders gewählt werden. – Säuglingssterblichkeit : Anzahl der im ersten Lebensjahr verstorbenen Kinder – perinatale Sterblichkeit : Summe aller Sterbefälle zwischen der 28. Schwangerschaftswoche und der ersten Lebenswoche bezogen auf alle Lebendgeburten – Totgeburtlichkeit: Anzahl der Totgeborenen im Verhältnis zu den Lebendgeborenen – Letalität ist der Anteil derjenigen, die an einer bestimmten Krankheit gestorben sind, bezogen auf diejenigen, die alle an dieser Krankheit leiden. Diese Theorie (auch Theorie der demografischen Transformation genannt) beschreibt die Veränderungen der generativen Bevölkerungsstruktur während der Industrialisierung eines Landes. Die generativen Veränderungen vollziehen sich in fünf Phasen. – Prätransformative Phase: Die Geburtenrate, aber auch die Sterberate ist hoch. Besonders hoch ist die Säuglings- und Kindersterblichkeit. Die hohe Geburten- und Sterberate bedeutet einen großen Bevölkerungsumsatz. Das Bevölkerungswachstum aber bleibt gering. – Frühtransformative Phase: Die Geburtenziffern bleiben hoch, während die Sterberate langsam absinkt, u. a. im Säuglings- und Kinderbereich. Somit kommt es zu einem Bevölkerungswachstum. – Mitteltransformative- oder Umschwungsphase: Die Sterberate sinkt weiter ab, aber auch die Geburtenrate, allerdings zunächst langsamer. Das Bevölkerungswachstum hat seinen Höhepunkt erreicht. Schließlich sinken die Geburtenziffern so stark, dass sie unter den Sterbeziffern liegen. Damit beginnt die Bevölkerung langsam wieder abzunehmen (Umschwung). – Spättransformative Phase: Der Abwärtstrend setzt sich weiter fort. Die Geburtenrate fällt weiter ab. – Posttransformative Phase: Geburten- und Sterbeziffer halten sich hier in etwa die Waage, sodass das Bevölkerungswachstum ungefähr bei Null liegt. Im Vergleich zur Sterbeziffer ist die Geburtenziffer hier allerdings stärkeren Schwankungen unterworfen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Mortalität bezeichnet die Sterberate, Morbidität beschreibt die Auftretenshäufigkeit einer Krankheit. Theorie des demografischen Übergangs Physiologie Merke Mit generativem Verhalten ist das Fortpflanzungsverhalten gemeint. – Natalität : allgemeine Geburtenziffer, Zahl der Geburten auf 1000 Einwohner pro Jahr – zusammengefasste Geburtenziffer: durchschnittliche Geburten im Leben einer Frau – altersspezifische Geburtenziffer: Zahl der Geburten auf 1000 Frauen einer bestimmten Altersgruppe – geschlechtsspezifische Geburtenziffer: Geburt bezogen auf das Geschlecht pro 1000 Einwohner – Fertilitätsziffer: Verhältnis der Anzahl von Geburten zu Frauen im gebärfähigen Alter – Nettoreproduktionsziffer: Verhältnis von gesund geborenen Mädchen zu gebärfähigen Müttern. (Grundgedanke bei diesem Kennwert ist, dass eine Bevölkerung sich reproduzieren kann, wenn jede Mutter im Durchschnitt eine Tochter bekommt. Wenn jede Mutter eine Tochter bekommt, so liegt die Nettoreproduktionsziffer bei 1 (NRZ = 1), sinkt sie, so spricht dies für eine Verringerung der Geburtenrate für die nächste Generation. In Deutschland liegt sie momentan bei ca. 0,62.) – Nuptialität : Anzahl der verheirateten Paare – Mortalität : allgemeine Sterbeziffer bezogen auf 1000 Einwohner Grenzen des Landes, während mit Außenwanderung die Aussiedlung in ein anderes Land gemeint ist. Kennwerte sind: – Mobilitätsziffer: Wanderungsvolumen, alle Binnen- und Außenwanderungen pro 1000 Einwohner – Wanderungssaldo : Differenz zwischen Zu- und Abwanderung – Effektivitätsziffer: Verhältnis von Wanderungssaldo zu Wanderungsvolumen – Akkulturation: Eingliederung eines Menschen in ein fremdes Land. Dies geschieht durch die Übernahme von Riten und Gebräuchen sowie der Übernahme der landestypischen Sprache. Psych./Soz. Kennwerte der Bevölkerungsbewegung oder des generativen Verhaltens Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 925 926 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Histologie Anatomie Chemie Biochemie Malthus-Gesetz. Thomas Malthus (1766–1834) beschrieb bereits um 1800 eine Regelhaftigkeit zur Bevölkerungsentwicklung: Aufgrund des gleich bleibenden biologischen Geschlechtstriebes wächst die Bevölkerung immer weiter an. Sie stößt bald an die Grenze des Nahrungsspielraums, da dieser nicht im gleichen Maße wächst. Die Bevölkerung wächst exponentiell, das Nahrungsangebot dagegen nur linear. Somit kommt es zwangsweise zu einer Hungerkatastrophe, wenn das Bevölkerungswachstum nicht reglementiert wird. Folgen demografischer Entwicklung für die Sozial- und Gesundheitspolitik Physik Physiologie Psych./Soz. Veränderung des Krankheitsspektrums. Während in den Industrienationen Europas und Nordamerikas die akuten Krankheiten zurückgehen, nehmen chronische und degenerative Krankheiten zu. Dies kommt zum einen durch den Fortschritt der Medizin, die akute Krankheiten sehr gut behandeln kann, zum anderen wird die Bevölkerung im Durchschnitt immer älter, was chronische und degenerative Krankheiten mit sich bringt. Aus diesem Grund haben sich auch die Todesursachen verändert. In der Bundesrepublik sterben heutzutage 33 % der Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinfarkten und Schlaganfällen, gefolgt von bösartigen Tumoren mit etwa 20 %. Anfang des 20. Jahrhunderts dagegen starben die meisten Menschen an Infektionskrankheiten. Heute liegt dieser Anteil in den Industrieländern bei etwa 10 %. Die Todesursachen in den Ländern der Dritten Welt zeigen dagegen große Ähnlichkeit mit den Industrienationen im letzten Jahrhundert. Hier überwiegen Infektionskrankheiten, während Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs eine verhältnismäßig geringe Rolle spielen. Konsequenzen des demografischen Alterns. Durch die Verschiebung der Altersstruktur sind u. a. die sozialen Sicherungssysteme wie Rentenkassen und Krankenkassen betroffen, da es zu wenig junge Menschen gibt, die diese Systeme stützen. Die hohe Arbeitslosigkeit vergrößert das Problem noch erheblich. Auch für den Arzt entstehen Veränderungen, weil er sich jetzt mehr mit der Pathogenese chronischer Krankheiten auseinandersetzen muss. Weiterhin leiden alte Menschen häufig unter mehreren Krankheiten gleichzeitig (Multimorbidität), die gleichzeitig behandelt werden müssen. Verändertes Zeitmuster des Familienzyklus. Generell lässt sich sagen, dass sich aufgrund der längeren Ausbildung der Frauen die gesamte Familienplanung weiter nach hinten verschiebt. Die Menschen heiraten später, das erste Kind kommt später auf die Welt, und die Frauen sind in der Ehe nicht mehr so lange fruchtbar wie früher, was allein schon einen Einflussfaktor für ein geringeres Bevölkerungswachstum darstellt. Dagegen dauert die Spätphase, die Zeit nach dem Aufziehen der Kinder, länger als früher. Auswirkungen veränderter Familienstrukturen auf das Gesundheitssystem. Bereits im 19. Jahrhundert stellten Soziologen das sog. Kontraktionsgesetz auf, das besagt, dass der gesellschaftliche Entwicklungsprozess zu immer kleineren Familien führt, und die Solidarität zwischen Menschen sich somit auf immer kleinere Kreise bezieht. Ein Grund dafür ist, dass der Staat immer mehr soziale Sicherungsaufgaben übernimmt. Damit übernimmt er viele Aufgaben, die früher die Kernfamilie inne hatte. Dadurch, dass die Familien kleiner werden und weniger Generationen unter einem Dach leben, ergeben sich auch Veränderungen für die Medizin. Die Versorgung von Kranken und alten Menschen, die früher von der Familie übernommen wurde, liegt heute bei der Medizin. 1.4.10 Sozialstrukturelle Determinanten des Lebenslaufs Soziale Differenzierung Eine Gesellschaft lässt sich in verschiedene Klassen oder Schichten unterteilen. Angehörige einer sozialen Schicht weisen interindividuelle Gemeinsamkeiten im Bezug auf Lebensstandard, Chancen und Risiken, soziales Ansehen, Privilegien oder Diskriminierungen auf. Klassenbegriff bei Karl Marx. Als Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer Klasse verwendete Marx den Besitz oder Zugang zu Produktionsmitteln. Demnach steht die besitzlose Arbeiterklasse (das Proletariat) den Privatbesitzern (Bourgeoisie) gegenüber, die über die Produktionsmittel verfügen. Die Aufteilung in Klassen ist nach Marx nur eine Entwicklungsstufe. Die Gesellschaft kann nur weiter bestehen, wenn die Bourgeoisie ihre Privilegien aufgibt, sodass alle Güter und somit alle Chancen und Risiken gleichmäßig verteilt sind. Klassenbegriff bei Max Weber. Auch bei Weber bezieht sich der Klassenbegriff auf wirtschaftliche Bedingungen, er ist aber differenzierter als bei Marx. Die Unterschiede zwischen den Klassen werden nicht nur am Besitz von Gütern festgemacht. Nach Weber ist eine Klasse eine Gruppe Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Biologie Besonders rapide wächst die Bevölkerung in den Metropolen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden in zehn Jahren über die Hälfte aller Menschen in Städten leben. Besonders in den Entwicklungsländern hält die Land-Stadt-Wanderung weiterhin an. Die Vergrößerung der Ballungszentren bringt allerdings zahlreiche Probleme mit sich: Neben einer oft unzureichenden Infrastruktur steigt die Umweltverschmutzung durch Industrie- und Autoabgase sowie durch wachsende Müllmengen. Das starke Wachstum der Entwicklungsländer führt zu einer weiteren Benachteiligung der dortigen armen Bevölkerung. Fruchtbarkeit und Armut bilden eine Art Teufelskreis, der kaum zu durchbrechen ist. Je zahlreicher die Bevölkerung, desto mehr ökonomische Ressourcen müssen für den einfachen Lebenserhalt eingesetzt werden. Dadurch stehen keine Ressourcen für Bildung und berufliche Qualifikation zur Verfügung, die jedoch für eine Bekämpfung der Armut notwendig wären. Zudem geht die Armut mit Mangel- und Unterernährung großer Bevölkerungsteile einher. Bolte publizierte ein zwiebelförmiges Modell sozialer Schichten. Die Schichten unterscheiden sich anhand des Tabelle 1.7 Häufigkeitsverteilung im Schichtgefüge nach Bolte Oberschicht 2% ██ obere Mitte 5% █████ mittlere Mitte 14 % ██████████████ untere Mitte 29 % █████████████████████████████ unterste Mitte / oberes Unten 29 % █████████████████████████████ Unterschicht 17 % █████████████████ sozialer Bodensatz 4% ████ Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Histologie Anatomie Chemie Biochemie Physik Soziale Struktur der Bundesrepublik Deutschland nach Bolte Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Unter „neuer sozialer Ungleichheit“ wird die Ungleichheit zwischen Geschlechtern, zwischen Regionen und die Disparitäten zwischen ethnischen Gruppen verstanden. Diese Unterschiede sind nicht im eigentlichen Sinne des Wortes „neu“, doch heute ist das Verständnis für diese Probleme gewachsen. Ungleichheiten, die allein auf angeborene Merkmale zurückgehen, werden gesellschaftlich weniger toleriert. Die Einkommen sind in den meisten Ländern, so auch in Deutschland nicht gleich verteilt. Das Auseinanderklaffen des mittleren Einkommens wird mit dem Begriff der Einkommensdisparität beschrieben. Die mittleren Einkommen gehen immer weiter auseinander, sodass zu Beginn dieses Jahrtausends etwa in Deutschland das oberste Fünftel der Bevölkerung über fast die Hälfte des Nettovermögens verfügte. In Deutschland leben ca. 10 % aller Menschen unter der Armutsgrenze (ca. € 10 000 pro Jahr). Schichtspezifisches Verhalten. Die einzelnen sozialen Schichten unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des Status. In der Soziologie werden einige Verhaltensbereiche genannt, in denen schichtspezifische Unterschiede bestehen. Allerdings handelt es sich hier um Beschreibungen, die nicht zwangsweise auf jedes Individuum zutreffen müssen. – Oberschicht. Diese unterscheidet sich in ihren Verhaltensweisen nicht von der Mittelschicht. Lediglich in der politischen Einstellung gibt es Unterschiede, da die Oberschicht auf eine Wahrung der momentanen Verhältnisse bedacht ist. – Mittelschicht: Die hier angesiedelten Individuen zeigen eine starke Aufstiegsorientierung, ein hohes Anspruchsniveau und eine ausgeprägte Zukunftsorientierung auf. Das heißt, sie sind bereit, in der Gegenwart viel zu leisten, um in der Zukunft davon zu profitieren. Menschen mit einer Zukunftsorientierung können nach dem Prinzip des Belohnungsaufschubs verstärkt werden („Delay of Gratification“). Das heißt, sie erleben eine spätere Belohnung als Verstärkung für das jetzt gezeigte Verhalten (siehe operante Konditionierung, S. 872). – Unterschicht : Man geht davon aus, dass Menschen in der Unterschicht aufgrund der ungünstigen ökonomischen Situation eher das „Einfache“ und „Natürliche“ schätzen. Es wird mehr Wert auf körperliche als auf geistige Arbeit gelegt. Menschen, die hier angesiedelt sind, sind eher gegenwartsorientiert. Physiologie Die neue soziale Ungleichheit sozialen Status. Mit dem sozialen Status wird die Position beschrieben, die ein Mensch innerhalb einer Gesellschaft einnimmt. Man unterscheidet dabei zwischen einem zugeschriebenen und einem erworbenen Status. Einen zugeschriebenen Status hat ein Individuum unabhängig von seiner Qualifikation oder Leistung. So kann z. B. jemand einen hohen Status haben aufgrund seiner sozialen Herkunft. Beim erworbenen Status geht es um eine Position, die durch eigene Leistung, z. B. im Beruf oder Sport, erreicht wurde. Bolte ermittelte den sozialen Status anhand eines Index aus Einkommen, Beruf und Ausbildung. Die Übergänge an den Rändern der Schichten sind fließend und nicht klar abgrenzbar. Die anteilsmäßig am stärksten besetzten Schichten sind die untere Mitte und die unterste Mitte bzw. oberes Unten (Tab. 1.7). 1988 befanden sich in diesen Bereichen 58 % der Bevölkerung. Psych./Soz. von Menschen, die sich in derselben Klassenlage befinden. Sie beschreibt die Möglichkeit des einzelnen Individuums, aufgrund seiner Verfügungsgewalt über Güter und Qualifikationen unter gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen Einkommen oder Einkünfte zu erzielen. Angehörige einer Klasse haben also ähnliche Eigentumsverhältnisse, aber auch ähnliche berufliche Qualifikationen. Menschen haben somit aufgrund der höheren oder niedrigeren Qualifikationen einen höheren oder niedrigeren Arbeitsmarktwert. Nach Weber gibt es: – Die Besitzklasse: Hier wird das Leben aus dem Eigentum der Menschen sichergestellt. – Die Erwerbsklasse: Angehörige dieser Klasse sind abhängig von Lohn und Arbeit. – Soziale Klassen: Diese beschreiben die Gesamtheit ähnlicher Lebenslagen von Individuen. Weber führte auch den Begriff Status ein. Hiermit sind die Unterschiede hinsichtlich des Ansehens sozialer Gruppen gemeint, das sie bei anderen Gruppen genießen. Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 927 928 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten Histologie Unterschiedliche Erziehungsstile. Die soziologische Forschung hat neben den Werthaltungen auch unterschiedliche Erziehungsstile in den verschiedenen sozialen Schichten gefunden. Dabei unterscheiden sich Mittel- und Oberschicht bezüglich des Erziehungsverhaltens nicht voneinander (Tab. 1.8). Die Ursachen für diese Unterschiede scheinen z. T. an der Gestaltung des Arbeitsplatzes zu liegen. Je höher der Grad der Autonomie, desto autonomer wird auch der Erziehungsstil. Schichtindizes Anatomie Chemie Mit einem Schichtindex werden die Unterschiede zwischen sozialen Gruppen dargestellt. Es werden Merkmale dokumentiert, die bei Menschen derselben Schicht ähnlich sind, sich aber bei Menschen verschiedener Schichten unterscheiden. Üblicherweise werden drei Statuskriterien unterschieden: – Bildung – berufliche Stellung – Einkommen Biochemie Multipler Schichtindex. Werden zur Kategorisierung mehrere Statusmerkmale herangezogen, so kann eine Person unterschiedliche Statusmerkmale bekommen. Dies wird durch den multiplen Schichtindex abgebildet. Beispielsweise würde ein promovierter Psychologe, der als Kellner arbeitet, aufgrund seines Bildungsabschlusses in die höchste Kategorie, bezüglich seines Einkommens jedoch wahrscheinlich sehr viel niedriger eingestuft werden. Physik Physiologie Statuskonsistenz und die Statusinkonsistenz. Werden zur Bestimmung sozialer Unterschiede mehrere Statusmerkmale zugrunde gelegt, so kann es wie erwähnt zu unterschiedlichen Einstufungen ein und derselben Person kommen. In diesem Fall spricht man von Statusinkonsistenz. Ist die Einstufung bei allen Merkmalen gleich, liegt eine Statuskonsistenz vor. Die Anzahl der inkonsistenten Personen hat innerhalb der letzten 25 Jahre stark zugenommen und liegt inzwischen bei über 25 %. Ursachen für die häufige Diskrepanz verschiedener Statusmerkmale liegen unter anderem in einer geringeren Kopplung von Ausbildungsstand und beruflicher Stellung bzw. Einkommen. Trotzdem ist die Ho- Tabelle 1.8 mogenität der Statusmerkmale bzw. Lebenslagen immer noch der Normalfall. Soziale Mobilität Mit sozialer Mobilität wird der soziale Auf -und Abstieg, also die soziale Positionsveränderung eines einzelnen Menschen bezeichnet. Sie verläuft vertikal (s. o.). Je höher die Mobilität, desto offener ist die Gesellschaft, denn es ist dem Individuum möglich, seine Position zu verändern. In der Mittelschicht ist die Mobilität höher als in der Unterschicht. Betrachtet man die Mobilität über die Zeit hinweg, so gibt es zwei Unterteilungen. Intragenerationenmobilität bezeichnet den Positionswechsel innerhalb derselben Generation. Intergenerationsmobilität steht für einen Positionswechsel innerhalb mehrerer Generationen. Veränderung der Erwerbsstruktur Die wirtschaftliche Struktur stellt einen wesentlichen Faktor im Wandel der Gesellschaft dar. Sie lässt sich in verschiedene Erwerbssektoren unterteilen. Fourastié (1954) entwickelte ein Modell, aus dem sich Hypothesen über die Entwicklung der wirtschaftlichen Struktur ableiten lassen. Er unterteilte die Wirtschaft in drei Sektoren. Der primäre Sektor besteht in der Landwirtschaft und dient der Nahrungssicherung. Der sekundäre Sektor besteht in der industriellen und gewerblichen Produktion. Im tertiären Sektor sind alle Dienstleistungen angesiedelt. Nun lassen sich folgende Aussagen machen: Je mehr ein Sektor technisiert werden kann, desto geringer wird der notwendige Personalbedarf. Für den primären und sekundären Sektor ist eine Technisierung im großen Ausmaß möglich, nicht aber für den tertiären. Also nimmt nur im tertiären Sektor der Anteil an Personal zu, in den anderen beiden ab. Diese Hypothesen wurden in den Industrieländern bestätigt. Modernisierung der Gesellschaft Mit dem Beginn der Industrialisierung verschiebt sich die Erwerbstätigkeit vom Land, der Landwirtschaft, in die Stadt. Dies war in Europa bereits im 19. Jahrhundert der Fall. Aber auch die Landwirtschaft wurde immer mehr technisiert, sodass auch hier Personal eingespart wird, aber trotzdem mehr Ertrag erwirtschaftet werden konnte (siehe oben). Geprägt durch den wirtschaftlichen Bereich, setzte sich das Prinzip des zweckrationalen Han- Erziehungsstile innerhalb der sozialen Schichten Psych./Soz. Unterschicht Mittel- und Oberschicht Erziehungsziele Disziplin, Gehorsam und Regelbefolgung Selbstständigkeit und Eigenverantwortung Erziehungsverhalten eher körperliche Strafen psychologische Sanktionen wie Liebesentzug oder Nichtbeachtung des Kindes Bestrafung eher an Verhaltenskonsequenzen orientiert eher an der Absicht orientiert Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Biologie – Versorgungsklasse: Der Begriff wurde von Lepsius geprägt. Er beschreibt damit eine Klasse, die von der Unterstützung des Sozialstaates abhängig ist (Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe). Histologie Psych./Soz. Physiologie Physik Biochemie In vielen Untersuchungen konnte ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit, Krankheit und Todesursachen festgestellt werden. Somit weist das Merkmal Gesundheit einen sozialen Gradienten auf. So kann man sagen, dass die Lebenserwartung in der Oberschicht am höchsten ist und von Schicht zu Schicht immer weiter abnimmt. Der Unterschied schwankt zwischen 3 und 10 Jahren. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Einige ungünstige Einflussfaktoren in der Unterschicht sind berufliche Anforderungen (Schichtarbeit, monotone oder körperlich anstrengende Tätigkeiten). Hinzu kommen eine schlechtere medizinische Aufklärung (z. B. we- Anatomie Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit Chemie Unterordnung affektiver Motive. Unsere Gesellschaft entwickelt sich von einer Industrie- zu einer Informationsgesellschaft. Der Verkauf von Wissen und Information bekommt einen immer höheren Stellenwert. niger Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen), eine andere Krankheitseinstellung (Geringschätzen erster Symptome und eine Behandlung nur, wenn körperliche Fähigkeiten eingeschränkt sind (instrumentelles Verständnis). Mangelhaftes Ernährungsbewusstsein, ungünstige Lebensgewohnheiten. Ein weiterer Grund sind auch psychosoziale Belastungen. Dies sind Stress am Arbeitsplatz, aber auch im Privatleben. Beruflich bedingter Stress wird z. B. durch Schichtarbeit oder drohende oder tatsächliche Arbeitslosigkeit verursacht. Stress im Privatleben kommt häufig durch eine instabile Familienstruktur, Drogenmissbrauch und geringe Einbindung in soziale Netzwerke zustande. Für folgende Krankheiten bzw. Todesursachen wurde ein sozialer Gradient nachgewiesen: Koronare Herzerkrankung, Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Bronchialkarzinom, Diabetes mellitus und Asthma bronchiale. An diesen Krankheiten leiden verhältnismäßig mehr Menschen aus den unteren Schichten. Auch bei einigen psychischen Störungen wie Schizophrenie und Depression ist die Prävalenz in den unteren Schichten höher. Auch die Krankheit Aids weist einen sozialen Gradienten auf. In den unteren sozialen Schichten sterben außerdem mehr Menschen an Unfällen als in der Oberschicht. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. delns durch. Dieser Begriff stammt von Max Weber. Er beschreibt damit eine Werthaltung, die durch folgende Merkmale charakterisiert ist: – Berechenbarkeit – Orientierung an maximaler Wirkung – Sachlichkeit Biologie 1.4 Theoretische Grundlagen 929 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart