1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten

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2 Ärztliches Handeln | 930
3 Förderung und Erhaltung von Gesundheit | 956
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Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
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1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten | 876
Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Chemie
Bezugssysteme von Gesundheit
und Krankheit
1.1.1
Begriffserklärungen
Biochemie
Gesundheitsbegriff. Die meisten Definitionen von Gesundheit, beschreiben diesen Zustand als Abwesenheit
von Krankheit. Es ist also kein eigenständiger Begriff, sondern er kommt ohne den Gegenpol Krankheit nicht aus.
Physik
Die WHO („World Health Organization“) hingegen definiert Gesundheit nicht als die Abwesenheit von Missbefinden, sondern wählt eine positive Formulierung:
Sie beschreibt Gesundheit als „den Zustand völligen
körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen
Wohlbefindens“ und bezeichnet diesen Idealzustand
als Idealnorm.
Physiologie
Psych./Soz.
Gesundheit und Krankheit als Dichotomie versus Kontinuum. Die Modelle, die Gesundheit als die Abwesenheit
von Krankheit definieren, gehen von einer dichotomen
Betrachtungsweise aus (dichotom ist zweipolig, also ja
oder nein, schwarz oder weiß). Es scheint jedoch wesentlich wirklichkeitsnäher, Gesundheit als einen Zustand zu
beschreiben, der sich auf einem Kontinuum zwischen den
beiden Polen absoluter Krankheit und absoluter Gesundheit befindet. Auch wenn die meisten Mediziner der Sichtweise eines Kontinuums zustimmen, sind sie doch im Alltag zur dichotomen Betrachtungsweise gezwungen, wenn
sie beispielsweise jemanden krankschreiben müssen.
Wichtige Begriffe rund um die Krankheit. Die Ätiologie
ist die Lehre von den Krankheitsursachen. Sie untersucht
alle Faktoren, die zu einer Krankheit geführt haben. Die
Pathogenese hingegen beschreibt die Entstehungsgeschichte der Krankheit. In der Krankengeschichte finden
Der Arzt ist zur Dokumentation der Krankengeschichte
verpflichtet (Dokumentationspflicht).
Chronifizierung, Rezidiv und Rehabilitation. Chronifizierung meint den Übergang von einer akuten Krankheit zu
einer dauerhaften Krankheit. Wenn eine Krankheit aus
persönlichen, sozialen und medizinischen Gründen über
den üblichen zeitlichen Rahmen hinaus bestehen bleibt,
so spricht man von einer chronischen Krankheit. Ein Beispiel sind chronische Schmerzen, die lange bestehen und
zu einer Einschränkung der Lebensqualität führen.
Rezidiv bedeutet Rückfall. Eine Krankheit tritt erneut auf,
obwohl sie bereits abgeheilt war.
Rehabilitation (habilis, lat. = passend, tauglich) bedeutet, dass ein Patient so therapiert wird, dass er wieder in
die Gesellschaft hinein passt und für sie wieder tauglich
wird.
Protektive Faktoren. Es gibt Menschen, die nicht krank
werden, auch wenn die Belastungsfaktoren der Umwelt
sehr hoch sind. In der Psychologie und Soziologie konnte man einige Faktoren identifizieren, die eine Art Schutz
darstellen, als Protektion wirken. Ein wichtiger protektiver Faktor ist die Resilienz (S. 956).
Wir werden im Laufe der folgenden Kapitel immer wieder
auf diese protektiven Faktoren zurückkommen.
1.1.2 Die betroffene Person
Subjektives Befinden und Erleben
Mit der WHO-Definition von Gesundheit als körperliches,
geistiges, seelisches und soziales Wohlbefinden wird die
Subjektivität, also das individuelle Befinden und Erleben
in den Vordergrund gestellt. Menschen, die unter der
scheinbar selben Krankheit leiden, können sie ganz unterschiedlich wahrnehmen. Dies hängt von psychologischen
und sozialen Faktoren ab. Dies gilt auch für rein körperliche Krankheiten wie Krebs, wo die psychologische Verfassung einen Einfluss auf die Krankheitsverarbeitung hat. So
ist die Interozeption, die Fähigkeit zur Wahrnehmung von
Vorgängen innerhalb des eigenen Körpers, von Mensch zu
Mensch sehr verschieden.
Die Interozeption wird in folgende Unterformen unterteilt:
– Viszerozeption, die Wahrnehmung von Prozessen der
inneren Organe wie Verdauung.
– Propriozeption, Wahrnehmung der Körperlage im
Raum, die u. a. durch Muskel- und Sehnenspannung
vermittelt wird.
– Die Nozizeption, Wahrnehmung von Schmerzen.
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Anatomie
1.1
sich u. a. Angaben zur Anamnese, zur Krankheitsursache,
zum Verlauf der Erkrankung und zu den durchgeführten
therapeutischen Maßnahmen.
Merke
Histologie
Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit den psychologischen und soziologischen Einflüssen auf die Medizin.
Heute wissen wir, dass sich Körper und Geist gegenseitig
beeinflussen. Dass Menschen, die eine positive Einstellung haben, oft eine günstigere Prognose haben als Menschen mit einer pessimistischen Einstellung. Wir wissen,
dass die Gesellschaft einen Einfluss auf unser Erleben und
Verarbeiten von Krankheit hat. Menschen, die sozial unterstützt werden, gesunden schneller, als diejenigen ohne
soziale Unterstützung.
Somit ist die Medizin eine Disziplin, die sowohl die körperlichen wie auch die psychologischen und soziologischen Ursachen für Krankheit und Gesundheit im Blick
hat. Die folgenden Kapitel beinhalten die wichtigsten
psychologischen und soziologischen Einflussfaktoren, die
auch immer wieder vom IMPP abgefragt werden.
Merke
Biologie
1
1.1 Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit 877
1.1.3
Die Medizin als Wissens- und
Handlungssystem
Siehe Kap. 2.2, S. 935 und 2.3, S. 937.
1.1.4
Die Gesellschaft
Eine Krankheit wird nicht nur durch das körperliche Leiden und die individuellen psychischen Faktoren wie Einstellung usw. bestimmt, sondern auch durch die Sichtweise der Gesellschaft. So gibt es Gesellschaften, in denen es
ein Tabu ist, laut über seine Krankheit zu klagen. Diese
gesellschaftliche Einstellung kann zu einer veränderten
Schmerzwahrnehmung führen. Das Leiden wird nicht als
so extrem wahrgenommen wie in einer Gesellschaft, in
der es völlig in Ordnung ist zu klagen.
Krankheit wird von Kultur zu Kultur unterschiedlich betrachtet. Ein für das westliche Denken ungewöhnlicher
Ansatz besagt beispielsweise, dass die Krankheit eines
Einzelnen ein Anzeichen für die Disharmonie der Allgemeinheit ist (eine Sichtweise der Navajo-Indianer).
Diskriminierung psychisch Kranker
Psychisch Kranke wurden im Lauf der Geschichte ganz
unterschiedlich behandelt. In den letzten Jahrhunderten
wurden sie eher von der Gesellschaft gemieden. Es war
ihnen fast nicht möglich, sich wieder in die Gesellschaft
zu integrieren.
In den letzten Jahrzehnten haben sich das Verständnis und
die Möglichkeiten der Behandlung psychischer Krankheiten in einem Trend der Deinstitutionalisierung bemerkbar
gemacht. Statt der Unterbringung in staatlichen, psychiatrischen Krankenhäusern und der damit verbundenen Isolation von der übrigen Gesellschaft weitete sich die ambulante Versorgung und Therapie psychisch Kranker aus.
Doch immer noch scheint eine psychische Krankheit einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft zu haben als
eine Krankheit, die rein körperlichen Ursprungs zu sein
scheint. Das Verständnis darüber, dass es genauso vernünftig ist, zum Psychotherapeuten zu gehen wie zum
Arzt, wächst, ist aber noch nicht ausreichend in der Gesellschaft verankert.
Psychisch kranke Menschen werden also stigmatisiert.
So können psychisch Kranke und deren Angehörige unter
sozialer Ausgrenzung leiden. Denn häufig beurteilt das
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Biologie
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Die Entstehung und der Verlauf von Krankheiten kann
ganz entscheidend durch Emotionen und Kognitionen beeinflusst werden. Zum Beispiel kann die negative Emotion
Angst vor einer Krankheit dazu bewegen, regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen.
Ein wichtiger kognitiver Faktor, der das subjektive Empfinden beeinflusst sind implizite Krankheitstheorien. Sie
bestehen aus Laienwissen, das Wahrnehmung und Handlung strukturiert. So kann ein Symptom wie Schnupfen als
nicht problematisch gedeutet werden und somit auch unbehandelt bleiben, ohne die wirkliche Ursache des Symptoms zu kennen.
Physik
Emotionale und kognitive Einflüsse
Statistische und Idealnormen. Normen, die aufgrund von
Messungen gewonnen werden, bezeichnet man als statistische Normen. Hier kann eine einzelne Person oder auch
eine Gruppe mit diesen Normen verglichen werden. Man
kann sagen, inwieweit die gemessenen Personen von den
Normen abweichen (siehe auch Methodik). Idealnormen
hingegen beruhen nicht auf empirisch gewonnenen Daten.
Sie sind wertbehaftete Vorstellungen, Sollwerte, die vom
tatsächlichen Zustand abweichen können. Krankheiten
zählen zu den Devianzen, also zu Verhaltensweisen, die
(wie auch kriminelles Verhalten oder Drogenmissbrauch)
mit den geltenden Normen und Werten des umgebenden
sozialen Systems nicht übereinstimmen. Die Nicht-Übereinstimmung mit vorherrschenden Normen wird auch als
Non-Konformität bezeichnet.
Eine Wertvorstellung der Gesellschaft ist beispielsweise,
dass alle Mitglieder des Gesundheitssystems an den angebotenen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Tatsächlich gehen aber viel weniger Menschen zu diesen Untersuchungen, als erwünscht. Dieses Verhalten widerspricht
somit der Idealnorm. Hier gibt es eine Diskrepanz oder
auch Dissoziation zwischen der Idealnorm und der statistischen Norm.
Die Gesellschaft erwartet vom Kranken, dass er seine
Krankheit besiegen will, um seinen Platz in der Gesellschaft wieder einzunehmen (siehe auch Krankenrolle
nach Parsons, S. 887).
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Krankheiten schränken die Lebensqualität ein. Die Lebensqualität wird mit den folgenden vier Komponenten
beschrieben:
– physisches Befinden
– psychisches Befinden (z. B. Stimmungen)
– soziales Befinden (z. B. Qualität sozialer Beziehungen)
– Funktionstüchtigkeit (Berufsfähigkeit, Belastbarkeit)
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität kann mit dem
„Short-Form-36 Health Survey“ oder SF-36 erfasst werden.
Die deutsche Version (Bullinger et. al., 1995) besteht aus
36 Items mit acht Subskalen zur körperlichen Gesundheit
(körperliche Funktionsfähigkeit, Rollenfunktion, Schmerzen, Gesundheitswahrnehmung) und zur psychischen Gesundheit (Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, emotionale
Rollenfunktion, psychisches Wohlbefinden).
Grundsätzlich verhält sich unsere Gesellschaft so, dass
ein Mensch, der krank ist, von dem „Normalzustand“ abweicht. Er weicht von den üblichen biopsychologischen
Merkmalen ab und verhält sich anders. Dies bezieht das
Körperliche, Psychologische und Soziale mit ein.
Physiologie
Gesundheitsbezogene Lebensqualität
Erfüllung und Abweichung von sozialen Normen
Psych./Soz.
Divergenz von subjektiver und objektiver Wahrnehmung.
Sie besagt, dass eine objektive Krankheit wie eine Gewebeschädigung und das subjektiv empfundene Leiden nicht
immer miteinander in Beziehung stehen müssen.
878 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Klinik
Histologie
Nachfolgend sind einige Beispiele aufgeführt, an denen
man sehen kann, dass auch berühmte und bewunderte
Persönlichkeiten an psychischen Störungen litten. Sie können helfen, Vorurteile gegenüber psychisch Kranken abzubauen:
Anatomie
Arthur Schopenhauer und Marilyn Monroe litten an Depression, Abraham Lincoln und Ernest Hemingway an einer manisch-depressiven Störung; Jean-Jacques Rousseau
und Georg III., König von England, an Störungen mit Realitätsverlust. Elvis Presley und Edgar Allan Poe waren von
Störungen durch Abhängigkeit von Alkohol oder anderen
Substanzen betroffen, Elisabeth I. litt an einer Essstörung
und Victoria, Königin von England, an einer Angststörung.
Etikettierungsansatz
Chemie
Biochemie
Der Etikettierungsansatz (Labelingtheorie) räumt dem
Einfluss der Gesellschaft bei der Bestimmung von psychisch gesund oder krank einen großen Einfluss ein. Es
wird angenommen, dass psychische Störungen das Ergebnis von Interaktions- und Zuschreibungsprozessen sind.
Erst wenn Personen als „psychisch gestört“ etikettiert
worden sind, entsteht die Störung. Denn erst durch diese
Etikettierung kommt es zur Festigung des abweichenden
Verhaltens. Eine Abweichung ist dasjenige Verhalten, das
von der Gesellschaft als Abweichung definiert wird.
Rechtliche Regelungen des Gesundheits- und
Sozialsystems
Physik
Physiologie
Im sozialrechtlichen Sinne bedeutet Gesundheit u. a. Arbeits- und Erwerbsfähigkeit. Dagegen bedeutet Krankheit
das Gegenteil, also Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit. Von
Arbeitsunfähigkeit ist die Rede, wenn der Kranke gegenwärtig nicht seiner Arbeit nachgehen kann oder wenn
die Gefahr besteht, dass sich durch die Arbeitstätigkeit
sein gesundheitlicher Zustand verschlechtert. Sie wird
vom Arzt befristet bescheinigt, was umgangssprachlich
als Krankschreibung bekannt ist. Der Arbeitnehmer muss
die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seinem Arbeitgeber
vorlegen.
Der Arbeitnehmer bekommt trotzdem weiterhin Geld,
was durch das Lohnfortzahlungs-Gesetz bestimmt ist.
Die ersten sechs Wochen bekommt der Arbeitnehmer das
volle Gehalt vom Arbeitgeber ausbezahlt, danach erhält er
Krankengeld von seiner Krankenversicherung.
Psych./Soz.
Krankenversicherung. Die Krankenversicherung verhindert, dass dem Erkrankten Behandlungskosten und Armut
durch Verdienstausfall entstehen. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist ein Zweig der Sozialversicherung und eine Pflichtversicherung für alle Auszubildenden, Arbeiter, Angestellten, Rentner und Arbeitslosen.
Träger der GKV sind die Kassen der Reichsversicherungsordnung (RVO), wie beispielsweise die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK).
Selbstständige können zwischen einer GKV oder einer
privaten Krankenversicherung (PKV) wählen. Pflichtversicherte können private Zusatzversicherungen abschließen.
Rentenversicherung. Sie leistet die monatliche Zahlung der
Rente ab dem Eintritt in den Ruhestand. Der Ruhestand ist
gesetzlich festgelegt. Die Grenze variiert ab und zu leicht
nach unten oder nach oben. Dies hängt von vielen Faktoren ab. Die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ist wie
die GKV ein Teil der Sozialversicherung und eine Pflichtversicherung für nicht selbstständige Arbeitnehmer und
Auszubildende. Ihre Träger sind unter anderem die Bundesversicherungsanstalt für Arbeit und die Landesversicherungsanstalten.
Neben der regulären Rentenzahlung zählen zu den Leistungen der Rentenversicherung auch Präventions- und
Rehabilitationsmaßnahmen und die Erwerbsunfähigkeitsrente.
1.2
Gesundheits- und
Krankheitsmodelle
In der Psychologie und Soziologie gibt es bis heute keine
allumfassende Theorie des menschlichen Fühlens, Denkens und Verhaltens. Je nach Sichtweise gibt es verschiedene Gründe für unser alltägliches Verhalten und auch für
die Entstehung von Krankheiten.
1.2.1 Verhaltensmodelle
Lerntheoretisches Modell
Der behavioristische Ansatz beschäftigt sich damit, wie
die klassische und die operante Konditionierung unser
Erleben, Denken und Verhalten formen. Behavioristische Psychologen gehen davon aus, dass alles Verhalten
erlernt ist und somit auch wieder verlernt werden kann.
Ausschließlich das beobachtbare Verhalten gilt als Gegenstand der Forschung. Nur was beobachtet, gemessen oder
in Daten gefasst werden kann, wird als wissenschaftlich
anerkannt. Nach diesem Modell sind psychische Störungen nur dysfunktionale (unangepasste) Lernerfahrungen,
die durch passendere, funktionalere Lernerfahrungen
wieder behoben werden können. Aber auch physische
Krankheiten unterliegen Lernprozessen. Dabei spielen
verschiedene Lernformen eine Rolle (vgl. S. 897): das klassische Konditionieren (auch respondentes Lernen), das
operante Konditionieren und das Modelllernen. Der psychotherapeutische Ansatz, der zu diesem Modell gehört,
ist die Verhaltenstherapie. Dabei wird zunächst der Lernprozess, der zu dem problematischen Verhalten geführt
hat, analysiert, um die Bedingungen zu verstehen, die das
Verhalten auslösen und aufrechterhalten. Dieses Vorgehen
wird als funktionale Verhaltensanalyse bezeichnet. Das
lerntheoretische Modell berücksichtigt also besonders die
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Biologie
soziale Umfeld psychische Krankheiten aufgrund eines
Laienwissens. Psychische Krankheiten werden häufig mit
„Irrenhäusern“ und „Zwangsjacken“ in Verbindung gebracht.
1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle
Kognitiv-behavioraler Ansatz
Hier werden die beiden beschriebenen Theorien zu einem
Ansatz verbunden. Man geht also davon aus, dass sowohl
Lernprozesse als auch Kognitionen (Bewertungen, Interpretationen) eine wichtige Rolle bei der Entstehung und
Aufrechterhaltung von psychischen Störungen spielen.
Dieser Ansatz hat natürlich auch die Verhaltenstherapie
beeinflusst, sodass man heute oft von der kognitiven Verhaltenstherapie spricht, die zum einen die dysfunktionalen Lernerfahrungen wie auch die dysfunktionalen Denkweisen (kognitiven Schemata) behandelt.
1.2.2
Biopsychologische Modelle
Biopsychologie ist ein Überbegriff für Disziplinen, die sich
mit dem Zusammenhang von Körper und Geist beschäftigen. Zu den Gebieten der Biopsychologie gehören: die
Psychophysiologie, die physiologische Psychologie, die
Neuropsychologie, die Psychoendokrinologie und die Psychoneuroimmunologie.
Die Psychophysiologie sucht nach physiologischen Ursachen oder Auslösern für psychische Prozesse. So werden
die körperlichen Begleitumstände von psychologischen
Phänomenen wie Stress untersucht, oder es werden bestimmte physiologische Veränderungen hervorgerufen
und deren psychisches Erleben beobachtet. Beispielsweise werden im Tierexperiment bestimmte Hirnfunktionen
ausgeschaltet, um zu untersuchen, welchen Einfluss diese
Zentren auf psychische Prozesse wie Lernen oder Angst
haben. Die Neuropsychologie untersucht ebenfalls den
Zusammenhang zwischen zentralnervösen Strukturen
und psychischen Prozessen. Sie stützt sich dabei aber eher
auf die Untersuchungen von Patienten mit Hirnschädigungen und auf bildgebende Verfahren.
Die Psychoendokrinologie untersucht den Zusammenhang zwischen endokrinen Vorgängen und menschlichem
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Biologie
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Die Verhaltensgenetik versucht Erkenntnisse darüber zu
gewinnen, inwiefern Unterschiede im menschlichen Verhalten auf genetische Faktoren beziehungsweise auf Umwelteinflüsse zurückzuführen sind. Dabei hat sich gezeigt,
dass der genetische Anteil stark variiert. Während bei der
Schizophrenie oder der bipolaren Depression eine deutliche genetische Komponente existiert, scheinen beispielsweise Angststörungen so gut wie keine erblichen Anteile zu
haben. Außerdem ist bei Störungen mit genetischer Komponente lediglich die Auftretenswahrscheinlichkeit der Störung erhöht. Für das Eintreten wiederum sind Faktoren der
Umwelt (z. B. kritische Lebensereignisse) verantwortlich.
Aus diesem Grund sagt man, dass lediglich eine Disposition
(Anlage), nicht jedoch die Störung selbst, vererbt wird.
Physik
Verhaltensgenetik
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Beim kognitiven Ansatz sind Kognitionen (lat. cognitio
= Erkenntnis) der wichtigste Ansatzpunkt der Psychologie.
Der Begriff der Kognition umfasst alle Prozesse, die traditionell als „geistig“ angesehen wurden, also das Wahrnehmen, Schlussfolgern, Erinnern, Denken und Problemlösen
sowie das Gedächtnis, das Sprechen und Sprachverstehen,
die Begriffe und die Einstellungen. Diese Prozesse üben einen großen Einfluss auf das Verhalten aus. Unser Handeln
wird nicht als direkte Reaktion auf einen Umweltreiz angesehen, denn kognitive Vorgänge schalten sich zwischen
Reiz und Reaktion und liefern ihre eigenen Interpretationen. Der Mensch baut sich ihr zufolge seine Wirklichkeit
sozusagen selbst. Die kognitive Sichtweise hat heute den
größten Einfluss auf die Psychologie.
So wird auch die Entstehung und Aufrechterhaltung von
psychischen Krankheiten durch unsere Gedanken und
Einstellungen beeinflusst. Wir haben nur Angst vor Spinnen, wenn wir Spinnen als für uns gefährlich interpretieren. Die Spinne an sich kann keine Angst auslösen.
Die Verhaltensmedizin ist ein interdisziplinärer Forschungsbereich, in dem Kenntnisse aus den Verhaltens- und medizinischen Wissenschaften zusammenlaufen. Dabei versucht man, den Zusammenhang zwischen psychischen
Verhaltensweisen und physischen Krankheiten zu verstehen. Neben den rein physiologischen Komponenten einer
Erkrankung werden seit den 80er Jahren verstärkt auch die
psychologischen Komponenten behandelt. Beispiele dafür sind essenzielle Hypertonie (Bluthochdruck), koronare
Herzerkrankung, aber auch Substanzmissbrauch oder AIDS.
Zudem wird die Bedeutung des Verhaltens für die Aufrechterhaltung der Gesundheit und den Verlauf der Behandlung
immer deutlicher. Als wichtige Bereiche der Verhaltensmedizin gelten der Umgang mit Schmerzen und chronischen
Erkrankungen, der Zusammenhang zwischen Lebensstil
und koronarer Herzerkrankung und das Biofeedback.
Physiologie
Kognitives Modell
Verhaltensmedizin
Psych./Soz.
Bedingungen, unter denen ein bestimmtes Verhalten auftritt, beziehungsweise die Konsequenzen, die auf dieses
Verhalten folgen.
Nach der Lerntheorie tritt Verhalten nicht zufällig auf,
sondern man lernt nur Reaktionsweisen, die unter bestimmten Umständen günstig sind. Unter anderen Bedingungen können sie sich allerdings langfristig als störend
(dysfunktional) erweisen. So kann ein Kind beispielsweise im Kindergarten gelernt haben, dass es durch lautes
Schreien Aufmerksamkeit erhält. In der Schule dagegen
führt dieses Verhalten zu negativen Sanktionen. In diesem
Fall ist es wichtig, dem Kind eine Alternative aufzuzeigen,
mit der es das eigentliche Ziel (Aufmerksamkeit erregen)
in der veränderten Situation erreichen kann.
Da jedes Verhalten das Resultat von Lernprozessen ist, kann
man nach Annahme der Lerntheorie jedes Verhalten auch
wieder verlernen beziehungsweise umlernen. Entsprechend wird in der Verhaltenstherapie mit Hilfe verschiedener Techniken (u. a. systematische Desensibilisierung,
Reizüberflutung, S. 943) das problematische Verhalten
systematisch verändert, indem das unerwünschte Verhalten durch eine funktionalere Alternative ersetzt wird.
Heute hat man sich von dieser doch radikalen Sichtweise
gelöst. Die klassische Lerntheorie wurde um den kognitiven Ansatz ergänzt.
879
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
Physiologie
Psych./Soz.
ßer Blutkörperchen bei, die zur Vermeidung einer Infektion nötig sind.
– Hypophysenvorderlappen-Nebennierenrinden-System:
Die Hypophyse schüttet bei Stress zwei Hormone aus.
Das thyreotrope Hormon (TSH) regt die Schilddrüse an,
das adrenocorticotrope Hormon (ACTH) die Nebennierenrinde. Aus der Nebennierenrinde werden als Folge
Glukokortikoide (z. B. Kortisol) freigesetzt, die unter anderem für die Ausschüttung von Glucose aus der Leber
und eine Reihe von Stoffwechselprozessen verantwortlich sind.
Stress und Krankheit
Stressmodelle. Es gibt mehrere Modelle, die die Reaktionen auf chronischen Stress beschreiben.
– Das allgemeine Adaptationssyndrom (AAS) ist eines der
bekanntesten Stressmodelle und stammt von dem kanadischen Arzt und Forscher Hans Selje, der auch den
Begriff Stress prägte. Es beschreibt, wie wir physiologisch auf Stressoren reagieren. Wir reagieren immer
gleich, völlig egal, was uns stresst.
Nachdem wir einen Stressor wahrgenommen haben,
findet die Alarmphase statt. Der Körper reagiert mit einer sympathischen Aktivierung. Hält der Stress länger
an, so befindet sich der Körper in der Widerstandsphase und reagiert mit einer erhöhten Katecholaminausschüttung. In diesem Zustand sind wir am besten auf
den Stressor eingestellt, das heißt, jetzt können wir am
besten kämpfen oder fliehen. Stehen wir aber zu lange
unter Stress (mehrere Tage oder Wochen), kommt es zur
Erschöpfungsphase. Die erhöhte Hormonausschüttung
kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Körper
kann nicht mehr auf den Stressor reagieren, Krankheiten und Schlafstörungen nehmen zu (psychosomatische
Beschwerden). So wirkt zu lang anhaltender Stress immunsuppressiv.
– Psychoendokrines Stressmodell nach Henry. Dieses
Modell bezieht zusätzlich emotionale Reaktionen auf
Stressoren mit ein. Die Verhaltensweisen lösen ihrerseits wieder bestimmte Verhaltensweisen und neuroendokrine Reaktionsmuster aus. So führen bestimmte
Stressoren zur Emotion Ärger. Dieser Ärger führt zur
vermehrten Ausschüttung von Noradrenalin und Testosteron und wird eher ein Kampfverhalten bewirken.
Ein Stressor, der Furcht auslöst, führt zur vermehrten
Ausschüttung von Adrenalin und zu einem Fluchtverhalten. Wird das Gefühl der Depression ausgelöst, so ist
die Kortisolausschüttung erhöht, der Testosteronspiegel
erniedrigt. Die Person wird mit Trauer oder Hilflosigkeit
reagieren.
– Psychologisches Stressmodell nach Lazarus. Nach Lazarus ist ein Reiz nicht von sich aus ein Stressor. Ob etwas Stress auslöst oder nicht, hängt von der kognitiven
Bewertung ab. Stress entsteht, wenn das Individuum
glaubt, dass eine bestimmte Situation gefährlich ist und
die Anforderungen höher sind als die eigenen Kräfte.
Es gibt drei Phasen:
• Primäre Bewertung (primary appraisal). Ein auftretendes Ereignis wird auf seine Gefährlichkeit hin ein-
Stress ist eine Anpassungsreaktion des Organismus, die
das innere Gleichgewicht, die Homöostase, wieder herstellen soll. Die Reize, die ein Ungleichgewicht erzeugen,
nennt man Stressoren. Dies können äußere Dinge sein
wie Lärm, organische wie Krankheitserreger, aber auch
innere, psychische Faktoren. Allerdings wird Stress nicht
immer negativ erlebt. Je nach Einstellung und Erfahrung
können manche Reize bei einigen Menschen erregende
Emotionen auslösen. Diesen Stress nennt man Eustress.
Stress, den wir als negativ und bedrohlich wahrnehmen,
wird als Disstress bezeichnet.
Merke
Biologie
Erleben und Verhalten. Es gibt zwei Möglichkeiten, Zusammenhänge zu untersuchen. So lässt sich die Hormonkonzentration durch Stimulation oder Blockierung variieren, um die psychischen Auswirkungen zu untersuchen,
andererseits können psychische Zustände wie Stress induziert werden, um die Veränderung der Hormonkonzentrationen im Blut zu untersuchen.
Eine Unterdisziplin ist die Psychoneuroimmunologie. Sie
untersucht die Wechselwirkungen zwischen psychischen
Vorgängen, dem zentralnervösen System und dem Immunsystem.
Mit Stress wird die Reaktion und nicht der Reiz bezeichnet. Dies widerspricht dem Alltagsgebrauch des
Wortes.
Körperliche Reaktionen auf akuten Stress. Die Stressreaktion führt dazu, dass unser Körper Sekunden nachdem er die
Gefahr wahrgenommen hat, bereit ist, zu kämpfen oder zu
fliehen (Fight-or-flight-Syndrom nach Cannon). Die maßgeblich an dieser Reaktion beteiligte Hirnregion ist der Hypothalamus. Er wird daher auch manchmal als „Stresszentrum„ bezeichnet. Man unterscheidet zwei Systeme der
Stressreaktion: das Nebennierenmark-System und das
Hypophysenvorderlappen-Nebennierenrinden-System.
– Sympathisches Nebennierenmark-System: Bei einer
akuten Bedrohung aktiviert der Organismus den sympathischen Anteil des vegetativen Nervensystems. Der
Sympathikus wird häufig auch als „Stressnerv“ bezeichnet: Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Atmung
wird schneller, die Blutgefäße verengen sich und die
Hautleitfähigkeit steigt (schwitzen). Gleichzeitig wird
der parasympathische Anteil gehemmt, Speichelsekretion (trockener Mund) und die Magen- und Darmmotilität nehmen ab.
Der Sympathikus stimuliert das Nebennierenmark zur
Ausschüttung von Adrenalin (Epinephrin) und Noradrenalin (Norepinephrin). Die beiden Katecholamine
(„Stresshormone“) sorgen für die Bereitstellung von
Energie, indem sie die Leber zu einer erhöhten Glucoseproduktion anregen. Sie veranlassen die Milz, vermehrt
rote Blutkörperchen bereitzustellen, um bei einer möglichen Verletzung die Blutgerinnung zu unterstützen.
Die Katecholamine tragen zudem zur Produktion wei-
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880 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Frequenz und Amplitude. Die wichtigsten Parameter zur
Beschreibung des Aktivitätszustandes des Gehirns sind
die Frequenz und die Amplitude:
Die Frequenz ist die Häufigkeit elektrischer Potenzialschwankungen und wird in Hertz [Hz] angegeben. Die Frequenzen des EEGs umfassen einen Bereich von 1–80 Hz.
Die Amplitude ist ein Maß für die Intensität der Potenzialschwankungen, im EEG also die Höhe des Ausschlags. Sie
wird in Mikrovolt (μV) angegeben und kann zwischen einigen bis mehreren hunderten Mikrovolt liegen.
Hohe Frequenzen gehen häufig mit niedriger Amplitude
einher, sodass im EEG ein „Zackenmuster“ zu erkennen
Spontan-EEG. Das Spontan-EEG zeigt die Potenzialschwankungen, die ohne einen Einfluss von außen im Wachzustand zu messen sind.
Meist sitzt man ganz entspannt im Labor, vielleicht träumt
man ab und zu, oder denkt über etwas nach. So können
also verschiedene Wellen vorkommen: Beta-, Alpha-,
aber auch Alphablockaden, Sägezahnwellen, K-Komplexe
(Tab. 1.1).
Evozierte Potenziale. Bei den evozierten Potenzialen (= ereigniskorellierte Potenziale, EKP) handelt es sich um eine
elektrische Veränderung, die durch einen Reiz ausgelöst
(= evoziert) wird. Evozierte Potenziale sind nicht direkt zu
beobachten. Sie müssen durch Mittelungstechniken sichtbar gemacht werden. Um ein EKP zu ermitteln, werden
in einer Vielzahl von Durchgängen Potenziale auf dieselbe
Weise ausgelöst und die entstandenen EEG-Muster übereinander gelegt. Die in beide Richtungen ausschlagenden
Potenzialschwankungen der ständig vorhandenen EEGTabelle 1.1
Biologie
Histologie
Anatomie
Chemie
Das EEG-Muster unterscheidet sich je nach Lebensalter.
Beim Kind ist das EEG insgesamt niedrigfrequenter als
beim Erwachsenen, sodass auch im Wachzustand Theta- und Delta-Wellen auftreten können.
Biochemie
Merke
Merkregel: Die Frequenzen verdoppeln sich vom Schlafzum Wachzustand.
Physik
Siehe auch Physiologie ab S. 868.
Das Elektroenzephalogramm (EEG) ist ein Messinstrument,
mit dem Hirnfunktionen beobachtet werden können. Das
EEG misst mit Oberflächenelektroden an standardisierten
Ableitpunkten auf der Kopfhaut die bioelektrische Aktivität bestimmter Gehirnregionen. Die elektrischen Potenzialschwankungen, die so abgeleitet werden können, sind
das Ergebnis der Aktivität großer Neuronenverbände.
Je höher die Frequenzen des EEGs, desto höher der
Grad des Bewusstseins. Man könnte als Faustregel also
sagen, je entspannter oder schläfriger jemand ist, desto wellenförmiger und je wacher und konzentrierter,
desto zackiger ist sein EEG.
Frequenzbänder des EEG
Wellenmuster
Frequenz
Zustand des Hirns
Beta-Wellen
(β-Wellen)
24 Hz
aufmerksamer Wachzustand,
Konzentration
Alpha-Wellen
(α-Wellen)
12 Hz
entspannter Wachzustand,
Augen geschlossen, Einschlafstadium 0–1
Theta-Wellen
(θ-Wellen),
K-Komplexe,
Schlafspindeln
(S. 869)
6 Hz
Hier liegt das Einschlafstadium,
Stadium 2 und der Leichtschlaf.
Delta-Wellen
(δ-Wellen)
3 Hz
der Tiefschlaf (auch Slow-wavesleep genannt) = Stadium 4
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Physiologie
Gehirn und Verhalten: Elektroenzephalogramm
Die Frequenzbänder des EEG. Je nachdem, welches Wellenmuster überwiegend vorliegt, spricht man von Beta-,
Alpha-, Theta- oder Delta-Wellen. Anhand dieses Wellenmusters kann man auf die Grundtätigkeit des Gehirns
schließen (Tab. 1.1).
Psych./Soz.
Interindividuelle Unterschiede der Stressreaktion. Menschen reagieren nicht auf jeden Stressor mit genau derselben Stressreaktion. So können die physiologischen Unterschiede darin bestehen, dass Stress manchen Menschen
auf den Magen schlägt (Reaktion über das gastrointestinale System), andere Menschen reagieren auf Stressoren mit
Spannungskopfschmerzen (Reaktion über das muskuläre
System).
Man spricht von der individualspezifischen Hypothese
oder auch der Individualstereotypie. Sie besagt, dass ein
Individuum auf unterschiedliche Reize immer mit demselben psychophysiologischen Reaktionsmuster antwortet. Also wird ein bestimmter Mensch vielleicht immer
mit einer Erhöhung der Muskelspannung reagieren, egal,
welcher Stressor ihn belastet, ob es der Straßenlärm ist,
der Stau oder die bevorstehende Prüfung.
Dem gegenüber steht die reizspezifische Hypothese. Sie
besagt, dass Umweltreize bei unterschiedlichen Menschen immer dasselbe psychophysiologische Reaktionsmuster hervorrufen. Dem zufolge müssten beispielsweise
viele Menschen mit einer Erhöhung der Muskelspannung
reagieren, wenn sie im Stau stehen und vielleicht mit Magenschmerzen, wenn sie an die nächste Prüfung denken.
ist. Die Kombination niedriger Frequenzen mit hoher Amplitude lässt ein „Wellenmuster“ entstehen.
Merke
geschätzt „Ist die nächste Prüfung für mich ein Problem?“
• Sekundäre Bewertung (secondary appraisal). Bei
diesem kognitiven Schritt werden die Stressbewältigungsstrategien im Kopf überprüft. „Ich kann noch
genügend lernen, bei meinem Kommilitonen abschreiben...“.
• In der dritten Stufe, der Neubewertung wird nun
überprüft, ob die Strategien den Stress vermindert
haben. Wenn ja, ist der Stress verschwunden, wenn
nein, bleibt er bestehen. Dieses Modell ist ein kognitives Modell, das heißt, alles findet im Kopf statt.
881
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1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Merke
Biologie
Hintergrundaktivität (Spontan-EEG, auch „Rauschen“)
mitteln sich hierbei gegenseitig aus, werden also weggefiltert und man erhält das evozierte Potenzial.
Man unterscheidet visuell evozierte Potenziale (VEP),
akustisch evozierte Potenziale (AEP) und somatisch evozierte Potenziale (SEP).
Zu den bekanntesten EP gehören CNV (Contingent Negative Variation) und der p300-Komplex.
– CNV (Contingent Negative Variation): Die CNV wird
auch als Bereitschaftspotenzial bezeichnet. Es handelt
sich hier um ein bestimmtes charakteristisches Hirnwellenmuster. Wellen im EEG werden mit P = positiv
und N = negativ beschrieben. Wenn man eine CNV evozieren will, geht man üblicherweise so vor, dass man
einen Reiz darbietet, auf den die Versuchsperson mit
einem motorischen Reiz reagieren muss. Wird also ein
Reiz dargeboten (Alarmreiz), so sieht man noch bevor
die Versuchsperson reagiert, eine Negativierung im
EEG. Diese wird als CNV oder Bereitschaftspotenzial
interpretiert. Die CNV entsteht zwischen 1–2 Sekunden nach dem Alarmreiz, der auch manchmal als imperativer Reiz beschrieben wird. Die CNV entsteht im
Vergleich zu anderen EKP langsam und gehört zu den
langsamen Hirnpotenzialen.
– P300: Diese Potenzialschwankung interessiert vor allem
bei Untersuchungen von Aufmerksamkeitsprozessen.
Das typische Paradigma ist das „Odd-ball-Paradigma“:
Es wird eine Reihe gleicher Töne dargeboten, in die ab
und zu ein abweichender Ton eingestreut wird, auf den
reagiert werden muss. 300 Millisekunden nach dem
Entdecken des relevanten Reizes zeigt sich eine positive
Potenzialverschiebung: die P300.
Im Allgemeinen kann man sich merken, dass eine
Negativierung im EEG ein Indikator für eine kortikale
Mobilisierung ist und eine Positivierung auf eine Deaktivierung hinweist.
CNV und P300 finden sich nicht im Spontan-EEG!
Physiologie
Mit Aktivation oder Aktivierung ist eine generelle Erregung des Organismus gemeint. Der Mensch wird „wach“
und aktiv, um effektiv handeln zu können. Meist wird
diese Wachheit (arousal) durch einen Reiz verursacht, der
eine Orientierungsreaktion auslöst.
Psych./Soz.
Aktivierung und Orientierungsreaktion. Jeder von außen
kommende Reiz kann eine Orientierungsreaktion auslösen. Die Orientierungsreaktion verändert das Aktivierungsniveau des gesamten Organismus und versetzt ihn
so in die Lage, Reize, die für ihn bedeutsam sein könnten,
zu erfassen und auf sie reagieren zu können.
Merke
Physik
Aktivation und Bewusstsein
Die Orientierungsreaktion besteht in einer Hinwendung zum Reiz. Sie richtet die Aufmerksamkeit auf Reize, die neu und unerwartet sind.
Ein Beispiel: Ein unerwarteter akustischer Reiz mittlerer Intensität – zum Beispiel das Klatschen in die Hände
– führt zu einer Drehung des Kopfes oder des gesamten
Körpers in Richtung der Reizquelle (motorische Hinwendung). Wurden andere motorische Aktivitäten durchgeführt, werden sie währenddessen unterbrochen. Neben
der motorischen Hinwendung geht die Orientierungsreaktion noch mit einer ganzen Reihe anderer Veränderungen der unterschiedlichsten Systeme einher:
Zentral nervös ist eine EEG-Wellen-Desynchronisation
zu beobachten. Die Wahrnehmungsschwellen der angesprochenen Sinnesmodalität sinken. Im ZNS erfolgt eine
Vasodilatation. Auf vegetativer Ebene kommt es zu einer
Erhöhung der Sympathikusaktivität. Daraus folgt eine
Erhöhung des Blutdrucks, periphere Vasokonstriktion,
Respirationssteigerung, Tonuserhöhung der Skelettmuskulatur, Schwitzen (Abnahme des Hautwiderstands), einer Zunahme der Lidschlagfrequenz, einem Anstieg der
Herzfrequenz (beachte: kurz nach einem akustischen Reiz
sinkt die Herzfrequenz zunächst ab und steigt dann erst
an!). Es werden vermehrt Katecholamine (z. B. Adrenalin,
Noradrenalin) und andere Hormone ausgeschüttet.
Alle diese Funktionen sind Anzeichen einer erhöhten Aufmerksamkeit. Subjektiv wird dieser Zustand als Anspannung oder Wachheit erlebt.
Aktivierung und Leistung. Die psychologische Forschung
hat herausgefunden, dass die Leistung sinkt, wenn die
Aktivierung zu hoch ist. Den Zusammenhang zwischen
Leistung und Aktivierung beschreibt die Yerkes-DodsonRegel: Leistung und Aktivierung stehen in einer umgekehrt U-förmigen Beziehung (Abb. 1.1).
Das bedeutet, dass eine mittlere Aktivierung zu einer optimalen Leistung führt. Dies kann man sich gut an einer
Prüfung vorstellen, vor der man ein bisschen Lampenfieber hat. Ein wenig Prüfungsangst, mittlere Aktivierung,
ist gut, denn dann strengt man sich an, gibt sein Bestes.
Wenn die Aufgaben zu schwer sind, dann verschiebt sich
die Kurve leicht. Bei sehr schweren Aufgaben ist eine geringere Aktivierung am besten, also weniger Prüfungsangst. Wenn die Aufgaben zu leicht sind, dann braucht
Leistung
hoch
mittel
niedrig
niedrig
mittel
hoch
Aktivation
Abb. 1.1
Yerkes-Dodson-Gesetz bei mittelschweren Aufgaben.
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882 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Siehe Physiologie ab S. 869
Schmerz
Der Schmerz ist eine Erfahrung, die sich aus mehreren
Komponenten zusammensetzt. Schmerz ist ein Alarmsignal für den Organismus. Er signalisiert eine Schädigung
des Organismus und besitzt somit eine lebenswichtige
Funktion.
Schmerzen können nach ihrer Dauer und nach ihrer Qualität unterschieden werden.
Akute Schmerzen. Bei akuten Schmerzen sind die Auslöser
(z. B. Verletzungen) meist direkt erkennbar. Der Schmerz
tritt für einige Sekunden bis höchstens einige Wochen auf,
ist gut lokalisierbar und mit erhöhter vegetativer Aktivierung verbunden.
Merke
Chronische Schmerzen. Sie dauern länger an, betreffen
meist größere Körperareale und führen häufig zu psychischen Beeinträchtigungen wie Angst, Depressivität, Verzweiflung oder Aggressivität.
Von chronischem Schmerz spricht man, wenn Schmerzen für mindestens sechs Monate entweder andauernd
oder wiederkehrend auftreten.
Komponenten des Schmerzes. Die Schmerzerfahrung und
auch die Schmerzverarbeitung setzt sich aus fünf Komponenten zusammen.
– Sensorische Komponente. Sie umfasst die Erregung der
Nozizeptoren und die Weiterleitung über Schmerzfasern
über das Rückenmark und den Hirnstamm zum Kortex.
Die schnellleitenden A-Delta-Schmerzfasern leiten den
Oberflächenschmerz, die langsameren C-Schmerzfasern
den Tiefenschmerz. Ziel ist das Kortexgebiet der Somatosensorik – der Gyrus postcentralis im Parietallappen.
– Kognitive Komponente. Sie beschreibt die Bewertung
des Schmerzerlebens. Je nach unseren Vorerfahrungen oder Annahmen, Befürchtungen, erleben wir die
Schmerzinformation der Nozizeptoren anders. Wenn
wir beispielsweise „glauben“, dass der Schmerz schnell
vorübergeht und es keine nachhaltigen Schäden gibt,
nehmen wir ihn als schwächer wahr.
Die kognitive Komponente beschreibt Vorgänge, die
in unserem Kopf ablaufen (kognitiv – Kopf). Immer
wenn jemand darüber nachdenkt, ob der Schmerz eine
große Gefahr bedeutet, oder wenn er sich selbst vom
Gegenteil überzeugt, dann sind das kognitive Operationen.
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Biologie
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Schlaf
Physik
Adaptation. Während bei der Habituation ein ständig gleicher Reiz, der im Gehirn ankommt, ausgeblendet wird, bis
er nicht mehr wahrgenommen wird, findet die Adaptation
(Anpassung) auf der Ebene der Rezeptoren statt. Die Reizschwelle des Rezeptors wird durch einen konstant vorhandenen Reiz (z. B. ständiger Lärm oder ein bestimmter
Geruch) so weit erhöht, dass kein Aktionspotenzial mehr
ausgelöst wird und der Reiz erst gar nicht bis ins Gehirn
weitergeleitet wird.
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Habituation und Defensivreaktion. Mit zunehmender
Wiederholung des gleichen Reizes, ohne dass eine Konsequenz folgt (z. B. wiederholtes In-die-Hände-Klatschen),
wird die Intensität der Orientierungsreaktion schwächer.
Man spricht von Habituation oder Gewöhnung. Die Habituation wird auch als nicht assoziative Lernform bezeichnet (S. 872).
Eine Defensivreaktion ist das genaue Gegenteil einer Orientierungsreaktion. Bei einer Defensivreaktion wendet
man sich von dem schädigenden Reiz weg. Es kann eine
Abwendung in Form einer Flucht erfolgen oder ein Angriff,
Kampf, um den schädigenden Reiz zu beseitigen. Subjektiv wird die Defensivreaktion als Erschrecken erlebt.
Physiologie
Das Optimum liegt in der Mitte.
Chronische Schmerzen entstehen, weil sensorische Nervenzellen genauso lernfähig sind wie das Großhirn. Besonders
starke oder lang andauernde Schmerzreize verändern –
biochemisch nachweisbar – die Aktivität von Nervenzellen.
Die Neuronen im Rückenmark reagieren zukünftig empfindlicher, registrieren Reize geringer Intensität (z. B. Druck,
Wärme) als Schmerzimpulse und leiten sie an das Gehirn
weiter: Der Schmerz hat eine Gedächtnisspur ausgebildet,
man spricht von einem Schmerzgedächtnis. Da der für den
Organismus bedrohliche Auslöser fehlt, hat der chronische
Schmerz auch nicht mehr die Funktion eines Warnsignals.
– Oberflächenschmerz: Eine Verletzung der Körperoberfläche wie Schnitt- oder Brandwunden verursacht
Oberflächenschmerz, der als hell, stechend oder brennend und als gut lokalisierbar erlebt wird.
– Tiefenschmerz: Beispiele für Tiefenschmerzen sind
Zahn- oder Magenschmerzen, die eine bohrende,
dumpfe Qualität haben. Sie sind schlecht lokalisierbar,
der Schmerz strahlt aus.
– Phantomschmerz: Hierbei handelt es sich um eine
besondere Form des Schmerzes, da der Ort der Empfindung fehlt. Ungefähr die Hälfte der Patienten nach
Bein- oder Armamputation haben Empfindungen in
den Gliedmaßen, die real nicht mehr vorhanden sind.
Dennoch werden die verlorenen Extremitäten so deutlich wahrgenommen, als gäbe es sie tatsächlich. Die im
Phantomglied auftretenden Schmerzen heißen Phantomschmerzen und werden durch eine Reizung der
Nerven im Stumpf erklärt, die die Signale in den somatosensorischen Kortex weiterleiten. Schmerzen in
Phantomfingern und -zehen werden häufig als Krampf
oder brennender Schmerz beschrieben.
Merke
Merke
man ein hohes Aktivationsniveau, um die Aufgaben zu
lösen. Wenn es also zu leicht ist, dann löst die Prüfung gar
keine Angst mehr aus und man wägt sich so sicher, dass
man sich keine Mühe mehr gibt.
883
Psych./Soz.
1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle
884 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Chemie
Biochemie
Physik
Physiologie
– Lerntheoretisches Schmerzmodell. Hier wird davon
ausgegangen, dass die Empfindung von Schmerz eine
positive Konsequenz hat (sekundärer Krankheitsgewinn), sodass er lerntheoretisch operant aufrechterhalten wird (S. 872).
Psych./Soz.
Messung von Schmerzen. Die Messung von Schmerzen
bezeichnet man als Algesimetrie. Hierbei unterscheidet
man die subjektive und die experimentelle Algesimetrie.
Bei der subjektiven Algesimetrie beurteilen die Patienten
meist in Form von Fragebogen ihre Schmerzen. Dabei können sie meist zwischen „gar kein Schmerz“, bis „sehr viel
Bestimmung von Schmerzschwelle und Schmerztoleranz.
Die Schmerzschwelle ist dann erreicht, wenn ein elektrisch, thermisch oder mechanisch gegebener Reiz zu einer
subjektiv unangenehmen Empfindung wird.
Bei einem klassischen Experiment zur Bestimmung der
Schmerztoleranz hält die Versuchsperson ihren Arm in
Eiswasser, bis sie es vor Schmerz nicht mehr aushält und
ihn herausziehen muss. Hier ist der Schmerz nicht mehr
tolerierbar. Das Maß für diese Schmerztoleranz kann
durch die Reaktionszeit ausgedrückt werden.
Zwischen Schmerztoleranz und Schmerzschwelle sind
große Unterschiede. Schmerz nimmt man wahr, lange
bevor er unaushaltbar wird.
Soziale und psychologische Einflussfaktoren auf das
Schmerzerleben. Die Schmerzempfindung spiegelt nicht
immer das Ausmaß der Gewebeschädigung wider. Menschen empfinden z. B. weniger Schmerzen, wenn sie das
Gefühl von subjektiver Kontrolle haben (internale Kontrollüberzeugung). Weitere Einflüsse sind die kognitiven
Bewertungen über Dauer und Ausmaß. Man weiß im späteren Erwachsenenleben, dass nicht jeder Schmerz eine
„Katastrophe“ bedeutet. Diese Erfahrung ist möglicherweise auch der Grund dafür, dass die Schmerzintensität
im Alter abnimmt. So sinkt der Schmerz bei Hoffnung und
steigt bei starker Angst oder Depression an. Einen Einfluss
haben ebenfalls soziale und ethnische Normen. Es gibt Bevölkerungsgruppen, die Schmerzen nicht zeigen und auch
nicht so stark wahrnehmen wie andere.
1.2.3
Psychodynamische Modelle
Die Psychoanalyse, auch psychodynamisches Modell
genannt, wurde von dem Wiener Arzt Sigmund Freud
(1856–1919) entwickelt. Freud lehnt sich bei seiner Theorie, die er aus klinischen Beobachtungen ableitete, an die
sich damals gerade neu etablierende Thermodynamik an.
Er geht von einer Energie aus, die uns zum Handeln motiviert. Diese Energie muss, wie in der Thermodynamik
auch, gelenkt oder entladen werden.
Freud entwickelte zwei Modelle der menschlichen Psyche;
das topografische Modell und das Strukturmodell.
Topografisches Modell
Dieses Modell beschreibt den Ort (griech. topos = Ort) der
psychischen Vorgänge. Die psychischen Vorgänge können
im Bewussten, Vorbewussten und Unbewussten ablaufen.
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Anatomie
Kognitionen und Emotionen aktivieren neuronale
Schaltkreise im Rückenmark und modulieren so die
von der Peripherie einlaufenden Schmerzsignale.
Schmerz“ oder in Qualitäten wie „stechend, pochend...“
(sensorische Komponente) wählen.
Bei der experimentellen Algesimetrie wird versucht, objektive, qualitativ unterscheidbare Schmerzreize mit subjektivem Empfinden in Zusammenhang zu bringen. Hierzu werden Schmerzreize unterschiedlicher Intensität vorgegeben und die Empfindung durch evozierte Potenziale
oder vegetative Reaktionen gemessen.
Merke
Histologie
Krankheitsmodelle des Schmerzes. Es gibt verschiedene
Modelle, die das Zusammenwirken der oben genannten
fünf Komponenten des Schmerzes beschreiben.
– Biopsychosoziales Modell des Schmerzes. Dieses Krankheitsmodell besagt, dass biologische, soziale und psychologische Faktoren bei der Entstehung des Schmerzes
zusammenwirken. Der Anstoß zu dieser multifaktoriellen Sichtweise kommt u. a. von dem Gate-Control-Modell. Es besagt, dass der nozizeptive Input auf dem Weg
zum ZNS auf der Höhe des Rückenmarks zum ersten
Mal verarbeitet wird. In den Hinterhörnern des Rückenmarks gibt es neuronale Mechanismen, die als „Tor“
(Gate) dienen und überwachen, wie viel des peripheren
nozizeptiven Inputs zum ZNS, in dem dann die eigentliche Schmerzwahrnehmung stattfindet, „durchgelassen”
wird (Control). Die Modulation der sensorischen Übertragung durch das Tor hängt zum einen vom Verhältnis
der Aktivität afferenter dicker nicht nozizeptiver und
dünner nozizeptiver Fasern ab: Die Erregung dicker Fasern „schließt das Tor“, die Erregung dünner Fasern „öffnet das Tor“. Zum anderen wird das Tor durch efferente
Fasern modifiziert: absteigende zentrale Einflüsse wie
Kognitionen und Emotionen können die Weiterleitung
des Schmerzes blockieren.
Merke
Biologie
– Affektive Komponente beschreibt das Gefühl, das mit
dem Schmerz einhergeht. Wenn der Patient Angst spürt
oder wütend oder verzweifelt ist, so sind dies affektive
Ausdrücke.
Schmerzen und Emotionen können sich in einem Teufelskreis gegenseitig aufschaukeln. So führen starke
Schmerzen zu einer stärkeren Angst, die wiederum
dazu führt, dass der Schmerz stärker wahrgenommen
wird usw.
– Vegetative Komponente: Bei akutem Schmerz kommt
es automatisch zur Anregung des vegetativen Nervensystems. Die körperliche Aktivierung gleicht einer
Stressreaktion.
– Die motorische oder auch Verhaltenskomponente des
Schmerzes beschreibt die Schutzreaktionen des Individuums. Schutzreflexe, Sichwegdrehen, aber auch mimische Reaktionen gehören hierzu.
Abwehrmechanismen
Nun kann es dazu kommen, dass die Bedürfnisse des Es
so stark werden, dass es dem Ich nicht mehr gelingt, einen Kompromiss zu finden. Damit die Es-Impulse nicht
ins Bewusstsein dringen und die Kontrolle übernehmen
können, setzt das Ich Abwehrmechanismen ein.
Abwehrmechanismen gehören zum alltäglichen Erleben
und werden erst dann pathologisch, wenn sie zu häufig
und zu starr eingesetzt werden, um Es-Impulse in Schach
zu halten.
Bei der Verschiebung müssen immer mindestens zwei
Personen beteiligt sein, eine, die das unangenehme
Gefühl auslöst und eine andere, an der es abreagiert
wird. Dadurch unterscheidet sich die Verschiebung von
der Projektion, bei der ich einfach meine Gefühle jemand anderem anlaste.
Reaktionsbildung. Bei der Reaktionsbildung wird genau
das Gegenteil von dem getan, wozu der Es-Impuls veranlassen will. So könnte ein Mann, der sehr aggressive Impulse hat, ein pazifistisches Verhalten an den Tag legen.
Biologie
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Ich. Das Ich ist als einzige Instanz bewusst. Das Ich versucht immer zwischen den Bedürfnissen des Es, den Ansprüchen des Über-Ich und den Umweltgegebenheiten zu
vermitteln. Es ist dein Ich, das im Augenblick bewusst diese Worte liest, der Wunsch, lieber in die Stadt zu gehen,
um dich mit deinen Freunden zu treffen, entspringt dem
Bedürfnis des Es, seine Lust zu befriedigen. Der Grund dafür, dass du nicht nachgibst, sondern weiterliest, ist dein
Über-Ich, das dir ein schlechtes Gewissen machen würde.
Das Ich wird den passenden Ausgleich finden, und vielleicht hörst du deswegen im Hintergrund zur Entspannung gerade Musik.
Verschiebung. Bei der Verschiebung werden Es-Impulse,
die in einer Situation nicht ausgelebt werden können, auf
eine ungefährlichere Situation übertragen. Meist handelt
es sich dabei um aggressive aufgestaute Gefühle. So kann
man möglicherweise nicht aggressiv reagieren, wenn der
Chef einem noch mehr Arbeit zu tun gibt. Der aggressive
Impuls, der eigentlich dem Chef gilt, wird später am Partner abreagiert.
Physik
Über-Ich. Das Über-Ich ist der Sitz unserer Moral- und Idealvorstellungen. Es entwickelt sich zum Ende der ödipalen
Phase (siehe Persönlichkeitsentwicklung). Das Über-Ich
ist auch unbewusst. Wir bemerken es nur in Form unseres
schlechten Gewissens.
Projektion. Bei der Projektion werden innere Konflikte
oder Wünsche auf die Umwelt projiziert. So gibt der Patient an, sehr friedliebend zu sein, da er seine aggressiven
Impulse verdrängt, behauptet aber, gemobbt zu werden.
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Es. Das Es ist von Geburt an vorhanden. Es ist der primitive Teil unserer Persönlichkeit. Das Es ist die Quelle unserer
Triebwünsche. Freud postulierte zwei Triebe. Den Sexualtrieb (Libido) und den Aggressions- oder Todestrieb (Tanatos). Beide streben nach Befriedigung. Das Es will seine
Lust (Triebwünsche) immer unmittelbar befriedigen. Es
ist vollkommen unbewusst.
Verleugnung ist das Nicht-Wahrhaben-Wollen momentaner realer Bedrohungen („Was ich nicht weiß, macht mich
nicht heiß.“).
Isolierung. Bei der Isolierung trennt eine Person den sachlichen Gehalt eines Themas oder einer Situation von der
belastenden emotionalen Bewertung. Dieser Abwehrmechanismus wird zum Beispiel von einem Patienten
eingesetzt, der sich rein sachlich mit einer schweren Erkrankung auseinandersetzt, ohne seine Angst oder Trauer
bewusst wahrzunehmen.
Physiologie
Später differenzierte Freud sein Modell der Psyche mehr
und entwickelte das Strukturmodell. Hier geht er davon
aus, dass die Persönlichkeit sich aus den drei Instanzen Es,
Ich und Über-Ich zusammensetzt, die sich in einem dynamischen Gleichgewicht befinden.
Auch wenn das Ich bewusst ist, bemerken wir die Abwehrmechanismen nicht. Sie dienen ja dazu, unbewusste Wünsche auch unbewusst zu lassen.
Die Rationalisierung ist das bewusste, logische Begründen eines Verhaltens, das einem Es-Impuls entspringt. So
könnte ein Patient seinen Wutausbruch im Nachhinein
damit rationalisieren, dass die Sprechstundenhilfe ihn zu
lange warten ließ. Die Begründung, dass man eine Zigarette deshalb raucht, weil sie entspannt, ist ebenfalls eine
derartige Rationalisierung.
Psych./Soz.
Strukturmodell
885
Verdrängung. Für Freud war Verdrängung der wichtigste Abwehrmechanismus. Beim Prozess der Verdrängung
werden schmerzhafte oder bedrohliche Erfahrungen oder
Wünsche vom Bewusstsein ausgeschlossen. Meist sind
dies schamhafte oder unerlaubte Gedanken oder Wünsche. Verdrängung aus analytischer Sicht liegt dann vor,
wenn wir uns an zurückliegende traumatische Erlebnisse
nicht mehr erinnern können. So haben manche Opfer von
Unfällen oder Naturkatastrophen fast alles vergessen, was
sie währenddessen erlebt haben.
Merke
Der bewusste Anteil besteht aus dem, was uns unmittelbar zugängig ist, also dem, was wir gerade denken.
Das Vorbewusste besteht aus automatisierten Handlungen, also Dingen, über die wir uns im Klaren sind, die
unserem Bewussten zugängig sind, aber die ohne unsere
Kontrolle ablaufen, wie das Schreiben, das Autofahren ...
Im Unbewussten sind alle seelischen Inhalte angesiedelt,
die uns nicht unmittelbar zugänglich sind. Dies sind nach
Freud vor allem sexuelle oder aggressive Triebwünsche.
Diese unbewussten Anteile sind es aber, die uns zum alltäglichen Handeln motivieren. Denn wir handeln nur, um
unsere Triebwünsche befriedigen zu können.
Merke
1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle
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886 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Histologie
Anatomie
Die Sublimierung ist ein Abwehrmechanismus, bei dem
Es-Impulse in kulturelle oder gesellschaftlich förderliche
Tätigkeiten umgesetzt werden. So kann jemand mit einem
aggressiven Impuls Chirurg werden, um seinen Trieb so zu
entladen. Die Sublimierung ist nach Freud der Grund für
die menschliche Entwicklung, denn er kommt bei jedem
Menschen im Laufe der psychosexuellen Entwicklung vor
(siehe unten).
Entwicklung psychischer Störungen
Biochemie
Physik
Merke
Chemie
Aus Sicht der Analyse entsteht eine Störung durch einen
Konflikt der Persönlichkeitsinstanzen, der nicht mehr vom
Individuum allein zu lösen ist. Der Grund für diesen Konflikt liegt nach der traditionellen Analyse immer in einem
Trauma aus der Kindheit begründet. So kann es beispielsweise sein, dass das Es ein nicht akzeptables, sexuelles
Bedürfnis in der Kindheit verspürt hat, das es nicht stillen
kann, ohne eine extreme Bestrafung durch das Über-Ich
zu fürchten. In diesem Fall funktionieren die üblichen Abwehrmechanismen nicht mehr genügend. Um dem Trieb
die Energie zu entziehen, produziert das Ich Angst, die
sich dann in Form einer Phobie äußert.
Nach analytischer Auffassung ist das Symptom einer
psychischen Störung nur ein Ausdruck eines unbewussten psychischen Konflikts zwischen den Persönlichkeitsinstanzen, der erst bewusst gemacht werden
muss.
Primärer und sekundärer Krankheitsgewinn
Physiologie
Die Entwicklung eines Symptoms hat für den Patienten
auch „Vorteile“. Zum einen reduziert das Symptom wie
ein Ventil die Spannung des unbewussten Konflikts (primärer Krankheitsgewinn) und zum anderen bekommt der
Patient auch Zuwendung oder erfährt Entlastung (sekundärer Krankheitsgewinn).
(Dis-)Simulation und Aggravation
Psych./Soz.
Der Mensch ist in der Lage, die Vor- und Nachteile des
Krank-Seins bewusst zu reflektieren. So kann er auch die
Krankheit zu seinem Vorteil nutzen. Er kann Symptome
vortäuschen (simulieren), z. B. um krank geschrieben zu
werden. Er kann auch bestehende Symptome stärker dar-
stellen. Dies nennt man Aggravation (Übertreiben bestehender Symptome).
Wenn ein Symptom geleugnet wird, so spricht man von
Dissimulation.
1.2.4
Sozialpsychologische Modelle
Sozialpsychologische Modelle gehen von folgender Annahme aus: Ob ein Mensch krank oder gesund ist, hängt
nicht nur von der körperlichen Verfassung ab, sie hängt
ebenfalls von der psychischen Verfassung des jeweiligen
Menschen, von seiner Sichtweise die Krankheit betreffend
und von seinen sozialen Einflüssen wie dem Status ab.
Es gibt viele soziale Faktoren, die einen Einfluss auf unsere
Krankheit und Gesundheit haben.
Normen
Normen sind in der Gesellschaft verankerte Regelsysteme,
die das Verhalten der Gesellschaftsmitglieder vorschreiben. Wenn eine Person normabweichendes Verhalten (Devianz) zeigt, wird sie bestraft, das Verhalten wird sanktioniert.
Primäre und sekundäre Devianz. Häufig tritt normabweichendes Verhalten zunächst zufällig oder ungewollt auf,
z. B. bei einem Jugendlichen, der das erste Mal verbotene
Drogen konsumiert. Die primäre Devianz besteht hier im
ursprünglich abweichenden Verhalten. Sekundäre Devianz ist das abweichende Verhalten als Folge gesellschaftlicher Etikettierung. Wird also der Jugendliche wie ein Junkie behandelt, so wird ihn dies veranlassen, weiter Drogen
zu nehmen.
Soziale Rollen
Eine soziale Rolle besteht aus Verhaltens- und Denkweisen und Erwartungen, die an den Inhaber einer bestimmten sozialen Position gestellt werden. Gemeint ist damit,
dass wir uns unterschiedlich verhalten, je nachdem, in
welchem sozialen Kontext wir uns gerade befinden. Wir
denken, fühlen und verhalten uns im Beruf anders als
abends mit den besten Freunden.
Rollen werden durch die Erwartungen der Gesellschaft
bestimmt. Sie sind meist schriftlich fixiert wie beispielsweise die Erwartungen an die Rolle des Arztes. Diese formellen Rollenerwartungen leiten sich meist aus Normen
ab. Wenn ein Individuum auf einer bestimmten sozialen
Position die Rollenerwartungen der Gesellschaft übernimmt, spricht man von Rollenidentifikation. Widersetzt
sich jemand, der eine bestimmte Rolle innehat, den Rollenerwartungen, so spricht man von Rollendistanz.
Von informellen Rollenerwartungen spricht man, wenn
eine Person durch ihr eigenes Verhalten Erwartungen im
sozialen Umfeld auslöst. So wird an eine hilfsbereite Person auch irgendwann die Erwartung der Hilfsbereitschaft
gestellt.
Arztrolle nach Parsons. Parsons fasste die Rollenerwartungen an einen Arzt wie folgt zusammen: Die affektive
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Biologie
Die Konversion ist eine Abwehrstrategie, bei der die Energie eines psychischen Konflikts in ein körperliches Symptom umgelenkt wird. Denn es scheint leichter zu sein,
ein körperliches Symptom zu entwickeln, als den innerpsychischen Konflikt bewusst werden zu lassen, da dieser
als zu traumatisch angesehen wird.
Nach diesem Abwehrmechanismus ist die so genannte
Konversionsstörung benannt, bei der für eine körperliche Symptomatik keine organische Ursache vorliegt. Beispielsweise haben diese Patienten Lähmungserscheinungen in den Armen oder Beinen oder sensorielle Ausfälle
wie psychogene Blindheit, ohne dass das Nervensystem
geschädigt wäre.
Rollentransfer. Manchmal kommt es vor, dass wir die Verhaltensweisen, die sich in einer Rolle gut bewährt haben,
in eine andere Rolle übertragen (interner Rollentransfer).
So kann es z. B. passieren, dass eine Krankenschwester, die
im beruflichen Alltag dem Patienten helfen und ihn pfle-
Theorie der kognitiven Dissonanz
Menschen streben ein Gleichgewicht ihres kognitiven Systems an. Unter Kognitionen versteht man dabei Meinungen, Glaubensweisen, Wissenseinheiten etc. (allgemein:
Bewusstseinsprozesse).
Das heißt, dass Menschen ihr Verhalten sinnvoll begründen müssen, um sich wohl zu fühlen. Wenn Kognitionen
untereinander im Zusammenhang stehen, dann können
sie entweder konsonant sein, also sich gegenseitig ergänzen, oder dissonant sein, also sich gegenseitig ausschließen. Ein klassisches Beispiel ist das Rauchen. „Ich möchte
rauchen“ (Kognition 1). „Rauchen ist schädlich“ (Kognition 2). Diese schließen sich gegenseitig aus, erzeugen Dissonanz.
Dissonanzreduktion. Kognitive Dissonanz führt beim
Menschen zur Motivation oder zum Druck, die entstandene Dissonanz zu reduzieren. Diese Reduktion kann auf
verschiedene Weise durch Veränderung des kognitiven
Systems erfolgen:
– Addition (Hinzufügen) neuer konsonanter Kognitionen
– Subtraktion (Abziehen) dissonanter Kognitionen (Ignorieren, Vergessen, Verdrängen)
– Substitution (Ersetzen) von Kognitionen
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Biologie
Histologie
Anatomie
Chemie
Einstellungen bestehen aus einer affektiven und einer kognitiven Komponente. Die Einstellung „Prüfungen müssten abgeschafft werden“ beinhaltet ein Gefühl (Ärger,
Ängstlichkeit...) und einen Gedanken („Ich finde Prüfungen blöd, müssen abgeschafft werden.“).
Einstellungen beeinflussen das mit diesem Gegenstand
oder dieser Situation verbundene Verhalten. Einstellungen
haben einen Einfluss auf die Gesundheit, denn jemand,
der gesundheitsbewusst lebt, wird sehr wahrscheinlich
auch gesündere Nahrung zu sich nehmen und damit das
Krankheitsrisiko herabsetzen. Der Zusammenhang von
Einstellung und Verhalten wird in der Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger 1957) beschrieben.
Biochemie
Einstellungen
Physik
Intra- und Interrollenkonflikt. Rollenkonflikte können
dann entstehen, wenn unterschiedliche Erwartungen an
eine Person gestellt werden. Es werden Intrarollenkonflikte und Interrollenkonflikte unterschieden.
– Ein Intrarollenkonflikt liegt dann vor, wenn an ein und
dieselbe Rolle unterschiedliche Erwartungen gestellt
werden, die nicht miteinander in Einklang zu bringen
sind. Ein Beispiel hierfür könnte sein, eine Krankenpflegeschülerin wird von der Sichtweise geleitet, dass sie
ihrer Rolle nur dann gerecht wird, wenn sie sehr gründlich arbeitet und ebenso viel Zeit für die Pflege wie für
die Beziehungspflege und auch für die Aktivierung der
alten Menschen aufbringt. Ihr Chef hingegen stellt möglicherweise eine Erwartung an sie, die besagt, dass sie
rasch die medizinische Grundversorgung erledigen soll,
um mehr Bewohner in kürzerer Zeit zu pflegen. Diese
unterschiedlichen Erwartungen sind nicht miteinander
vereinbar!
– Ein Interrollenkonflikt liegt dann vor, wenn sich mehrere Rollen, die wir zur selben Zeit innehaben, gegenseitig
ausschließen. Ein häufiger Interrollenkonflikt tritt bei
allein erziehenden Elternteilen auf, die gleichzeitig für
ihr Kind da sein möchten und trotzdem in ihrem Beruf
eine bestimmte Rolle belegen müssen, die ihnen nicht
so viel Zeit für ihr Kind lässt, wie sie gerne hätten.
Rollenkonflikte können wie auch normabweichendes Verhalten Stress und damit Krankheiten auslösen.
Rollensequenz. Wir spielen im Laufe unseres Lebens viele
verschiedene Rollen, die zueinander in einer zeitlichen Beziehung (einer Reihenfolge) stehen. Abfolge verschiedener
Rollen in einer Entwicklungsreihe nennt man Rollensequenz. Wir werden z. B. geboren, sind Kinder, Jugendliche,
junge Erwachsene, werden älter, gründen eine Familie, bis
wir schließlich alt werden und sterben.
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Krankenrolle nach Parsons. Wie für den Arzt, formulierte
Parsons auch für den Patienten Rollenerwartungen, die er
aus den Normen und somit aus den Erwartungen der Gesellschaft ableitete.
Demnach ist der Kranke von sozialen Normen befreit. Er
wird für seine Krankheit nicht verantwortlich gemacht, er
muss sich dem behandelnden Arzt gegenüber kooperativ
verhalten (Compliance).
Und schließlich muss er schnell wieder gesund werden
(genesen).
gen soll, diese Verhaltensweise auch zuhause auf ihren
Partner überträgt.
Häufig ist es aber auch so, dass andere von einer Rolle, die
ein Mensch einnimmt, darauf schließen, wie sich dieser
Mensch in anderen Rollen verhalten soll (externer Rollentransfer). Dies geschieht beispielsweise dann, wenn
Freunde und Bekannte eine Krankenschwester um eine
Diagnose für ihre Krankheiten bitten.
Physiologie
Neutralität besagt, dass der Arzt seine Patienten unabhängig von Gefühlen wie Zu- oder Abneigung behandeln soll.
Universale oder Kollektivitätsorientierung meint, dass
jede Person nach gleichen Grundsätzen ärztlicher Kunst
behandelt werden soll, egal, ob Arm oder Reich.
Dabei soll der Arzt die Erwartung der funktionalen Spezifität wahren, also sich nur auf das ärztliche Handeln beschränken und nichts anderes tun, als z. B. nebenbei ein
Produkt verkaufen.
Die Erwartung des Altruismus besagt, dass er dabei uneigennützig sein soll.
Und schließlich soll er Kompetenz zeigen, um richtig handeln zu können.
887
Psych./Soz.
1.2 Gesundheits- und Krankheitsmodelle
Soziale Risiko- und Schutzfaktoren
Histologie
Anatomie
Merke
Biologie
Hier sind nicht die Einstellungen des einzelnen Individuums die Einflussfaktoren, sondern die soziale Umgebung.
Eine wichtige Einflussgröße auf die Gesundheit ist die
soziale Unterstützung (social support). Mit sozialer Unterstützung sind emotionaler Rückhalt (Anteilnahme und
Zuwendung), aber auch die Weitergabe von Wissen oder
instrumenteller (direkter) Hilfe gemeint. Ebenso gehört
materielle Unterstützung dazu. Soziale Unterstützung wird
auch als soziale Eingebundenheit oder soziales Netzwerk
bezeichnet. Gute soziale Netzwerke können z. B. von Nachbarn geschaffen werden. Ein gutes soziales Netzwerk wirkt
als Puffer gegen Stress und somit gegen Krankheiten.
Staatliche Unterstützung gehört nicht zu den sozialen
Risiko- und Schutzfaktoren.
1.2.5
Soziologische Modelle
Chemie
Soziologische Modelle gehen davon aus, dass soziale
Strukturen wie Schichtzugehörigkeit einen Einfluss auf
Gesundheit und Krankheit haben. Sie betrachten also die
Gesellschaftsstruktur, die Wirtschaftsform, die Art gesellschaftlicher Kranken- und Altersvorsorge und bringen
diese Faktoren in einen Zusammenhang mit der Auftretenshäufigkeit von Krankheits- und Todesursachen.
Grundannahmen soziologischer Modelle
Biochemie
Es gibt zwei Ansätze, diese Strukturen zu untersuchen:
entweder auf globaler Ebene oder innerhalb einer Gesellschaft. Auf globaler Ebene vergleicht man mehrere Staaten und Wirtschaftsformen miteinander, auf der innergesellschaftlichen Ebene untersucht man, wie sich die unterschiedliche Teilnahme an gesellschaftlichen Ressourcen
auf die Gesundheit auswirkt.
Soziostrukturelle Faktoren
Physik
Dies sind alle Elemente, die den Aufbau einer Gesellschaft
betreffen. Einer der wichtigsten Faktoren ist die soziale
Schichtzugehörigkeit.
Physiologie
Psych./Soz.
Die soziale Schicht. In Deutschland hat sich immer wieder
gezeigt, dass sich Angehörige der verschiedenen sozialen
Schichten in ihrem Krankheits- und Gesundheitsverhalten unterscheiden.
Mitglieder unterer sozialer Schichten zeigen mehr gesundheitsgefährdendes und weniger gesundheitserhaltendes Verhalten. In den oberen Schichten ist es genau
umgekehrt. Mitglieder unterer Schichten suchen weniger
ärztliche Hilfe auf, befolgen die Anweisungen zur Therapie
nicht so strikt und kooperieren nicht so gut mit dem behandelnden Arzt wie Mitglieder der oberen Schichten.
Diese Faktoren erklären zum Teil höhere Auftretenswahrscheinlichkeit von Krankheiten in den unteren Schichten.
Beispielsweise ist der Anteil adipöser (fettleibiger) Personen in unteren sozialen Schichten deutlich höher als
in der Mittel- und Oberschicht. Aber auch Rauchen und
Alkoholkonsum weisen einen sozialen Schichtgradienten (Abnahme des betroffenen Bevölkerungsanteils bei
höheren Schichten) auf. Adipositas und Rauchen gelten
beispielsweise als Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Dieser Erklärungsansatz wird als Verursachungshypothese
(auch soziogene Hypothese) bezeichnet. Krankheits-Risiko-Faktoren sind ungleich verteilt. In den unteren Schichten gibt es mehr Risikofaktoren. Daher ist ein Mensch, der
in den unteren sozialen Schichten lebt von vornherein einem höheren Krankheitsrisiko ausgesetzt.
Einen alternativen Ansatz stellt die soziale Drifthypothese
(Selektionshypothese) dar. Ihr zufolge führt die Krankheit
zu einem sozialen Abstieg. Der Kranke driftet durch die
sozialen Schichten nach unten.
Diese Hypothese wurde in Studien zur sozialen Mobilität
bei schizophrenen Menschen belegt. Man stellte fest, dass
diese Menschen nach Ausbruch der Störung sozial abstiegen. Allerdings ist dies kein endgültiger Beweis für diese
Hypothese.
Klinik
Nicht bei allen psychischen und physischen Krankheiten
sind Angehörige unterer sozialer Schichten häufiger betroffen als Mittel- und Oberschichtangehörige. Ein Gegenbeispiel ist die Anorexia nervosa (Magersucht), an der
überproportional viele Mädchen und Frauen aus höheren
Schichten, oft Gymnasiastinnen oder Studentinnen, leiden. Dagegen findet sich bei der Bulimia nervosa, einer
Essstörung, die mit Fressanfällen und darauf folgendem
Erbrechen der Nahrung einhergeht, keinerlei Schichtgradient.
Die Erwerbstätigkeit. Studien konnten mehrfach zeigen,
dass Arbeitslosigkeit einen negativen Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit hat. Allerdings hängt
der Einfluss der Arbeitslosigkeit auch vom Selbstkonzept
oder der sozialen Unterstützung ab.
Doch nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern auch bestimmte berufliche Faktoren sowohl physischer Art (z. B.
Schicht- und Schwerstarbeit) als auch psychischer Art
(z. B. hohe Verantwortung, geringe Kontrolle, hoher Zeitdruck, Unsicherheit über den Arbeitsplatz) wirken sich
negativ auf die Gesundheit aus.
Ökologische Faktoren
Hier geht es um alle Umwelteinflüsse, die über verschiedene Gesellschaften hin wirksam sind. Sie lassen sich unterteilen in die soziale Umwelt, die oben erwähnt wurden,
die kulturelle Umwelt und die natürliche Umwelt.
Die kulturelle Umwelt. Die unterschiedlichen kulturellen
Einflüsse bestimmen unsere Werte, wie beispielsweise
den Umgang mit Schmerz. Sie bestimmen unseren Umgang mit Krankheit und Gesundheit dadurch, dass wir die
Normen und Wertvorstellungen unserer Kultur übernehmen.
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888 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Die Psychologie ist eine Naturwissenschaft. Sie will
menschliches Erleben und Verhalten beschreiben, erklären und vorhersagen können. Dazu bedient sie sich naturwissenschaftlicher, empirischer Methoden.
1.3.1
Hypothesenbildung
Eine Hypothese ist eine Vermutung darüber, wie verschiedene Faktoren miteinander in Beziehung stehen. Will man
in der Psychologie oder Soziologie etwas untersuchen, so
stellt man als Erstes eine Hypothese auf, die dann wissenschaftlich bewiesen oder verworfen wird.
Hypothesenarten
Deterministische Hypothese. Die deterministische Hypothese fordert, dass eine Aussage unter bestimmten Bedingungen immer zutrifft. Es gibt keine Ausnahme: Das
Leben endet immer mit dem Tod. Diese Hypothese lässt
sich widerlegen, wenn man nur eine Aussage formulieren
kann, wo sie nicht stimmt.
Probabilistische Hypothese. Eine Aussage, die nur mit einem bestimmten Wahrscheinlichkeitsgehalt zutrifft, ist
eine probabilistische Hypothese. Wenn wir sagen: „angetrunkene Autofahrer bauen häufiger Unfälle“ und dies ist
eine probabilistische Hypothese, so wird sie nicht dadurch
Nun sind die meisten Hypothesen in einem psychologischen Experiment probabilistische Hypothesen. Sie treffen also nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu.
Das Wahrscheinlichkeitsniveau, auf dem die Alternativhypothese zutrifft, wird vorher festgelegt. Meist liegt es bei
0,95. Das heißt, es wird eine Irrtumswahrscheinlichkeit
von 0,05 (5 %) angenommen.
Anders gesagt: Wenn die Irrtumswahrscheinlichkeit 0,05
beträgt, und wenn die Alternativhypothese stimmt, dann
ist die Wahrscheinlichkeit, die Alternativhypothese irrtümlich abzulehnen, 0,05. Dies wird auch durch die sog.
Signifikanz ausgedrückt (S. 894). Bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,05, kann man auch sagen, das Ergebnis sei auf dem 5 %-Niveau signifikant.
1.3.2
Operationalisierung
Die meisten Phänomene, mit denen sich die Sozialwissenschaften auseinandersetzen, sind nicht direkt zu beobachten. So ist Depressivität z. B. ein hypothetisches Konstrukt,
da man es nicht direkt beobachten kann. Verhaltensweisen hingegen sind direkt zu beobachtende Phänomene.
Einen weinenden Menschen kann man direkt beobachten, weil ihm die Tränen über das Gesicht laufen. Wenn
wir also jemanden weinen sehen, und wir sagen, dieser
Mensch sei depressiv, so schließen wir auf das Konstrukt
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Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Methodische Grundlagen
Null- und Alternativhypothesen. Dies sind Hypothesenformen, die nur bei einem Experiment vorkommen. Die
Nullhypothese besagt, dass sich die experimentelle Bedingung (s. u.) nicht von der Kontrollbedingung unterscheidet. Die Alternativhypothese hingegen trifft zu, wenn es
einen Unterschied zwischen der experimentellen und der
Kontrollbedingung gibt. Also muss bei einem Experiment
immer eine der beiden Hypothesen zutreffen, während
die andere falsifiziert wird.
Physik
1.3
Induktives und deduktives Vorgehen. Das Generieren von
Hypothesen aus theoretischen Überlegungen wird als
deduktives Vorgehen bezeichnet. Der Begriff der Deduktion (deducere, lat. = herleiten) stammt aus der formalen
Logik und meint den Schluss vom Allgemeinen zum Besonderen: Aus einer Theorie mit größerem Geltungsbereich wird eine spezielle Annahme abgeleitet.
Beim induktiven Vorgehen (inducere, lat. = einführen,
herbeiführen) wird umgekehrt von beobachteten Gegebenheiten auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten, also vom
Besonderen auf das Allgemeine geschlossen.
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Auch die wirtschaftlichen Faktoren spielen eine entscheidende Rolle bei der Gesundheitsversorgung. So werden
in Deutschland die Arztkosten noch durch die gesetzliche
Krankenkasse mitfinanziert, doch hier gibt es auch schon
die starke Strömung zur eigenen Absicherung. In anderen
Ländern, wo die staatliche Versorgung völlig fehlt, hängt
es nur vom eigenen Einkommen ab, ob man sich eine gute
Gesundheitsversorgung leisten kann. Der ökonomische
Status führt dazu, dass die Angehörigen höherer Schichten
eine bessere medizinische Versorgung erhalten.
Besonders deutlich wird die Bedeutung der verschiedenen Umweltfaktoren bei einer weltweiten Betrachtung der
Gesundheitsversorgung. Ein Indikator dafür ist die durchschnittliche Lebenserwartung: Während in den hoch industrialisierten Staaten der Nordhalbkugel (Nordamerika,
Europa) die durchschnittliche Lebenserwartung bei 78 Jahren liegt, beträgt sie in den ärmsten Entwicklungsländern
im Schnitt 51 Jahre. Diese Diskrepanz ist sowohl auf ökonomische wie auch ökologische Faktoren zurückzuführen.
Physiologie
Auswirkung ökonomischer und ökologischer
Umweltfaktoren
Hypothesen werden empirisch überprüft (empirisch,
griech. = auf Erfahrung beruhend). Sind Hypothesen
zu einem Gegenstandsbereich hinreichend überprüft
– gelten sie also als gesichert – können sie ein System
bilden, das als Theorie bezeichnet wird.
Psych./Soz.
Die technische Umwelt. Auch die Technik kann einen großen Einfluss haben, z. B. durch den Elektrosmog oder die
Unfälle, die mit technischen Geräten zustande kommen.
widerlegt (falsifiziert), falls es doch mal ein betrunkener
Autofahrer nach Hause schaffen sollte.
In der Psychologie und Soziologie werden nur probabilistische Hypothesen formuliert.
Merke
Die natürliche Umwelt. Die physikalischen, chemischen
und biologischen Gegebenheiten unserer Umwelt bestimmen zu einem großen Ausmaß unsere Gesundheit.
Biologie
1.3 Methodische Grundlagen 889
890 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Chemie
Biochemie
Physik
Physiologie
Messen. Dieser Begriff ist von der Operationalisierung zu
unterscheiden. Messen meint die Zuordnung von empirischen Sachverhalten zu Zahlen nach einer bestimmten
Regel (Stevens, 1959).
Wird beispielsweise Intelligenz gemessen, so sollen die
erhaltenen Zahlen auch die „Wirklichkeit“ abbilden. Dies
kann man sich leicht am Beispiel des Körpergewichts
vorstellen. Gemessen wird in kg. Wenn eine Person 75
kg wiegt und die andere 50 kg, so ist die zweite nur zwei
Drittel so schwer wie die erste. Dies wird durch die Zahlen
ausgedrückt.
Bei nicht beobachtbaren Konstrukten ist es letztendlich
genauso. Nur muss man hier den Umweg über die Operationalisierung machen.
Psych./Soz.
Skalenniveaus
Das Niveau, auf dem gemessen wird, wird mit einer Skala beschrieben. Je genauer man die Wirklichkeit abbilden
kann, desto mehr Rechenoperationen sind möglich, und
desto höher ist das Skalenniveau.
Intervallskala. Diese Skala hat keinen absoluten Nullpunkt
mehr. Erlaubte Rechenoperationen sind daher nur noch
Addition und Subtraktion. Die Abstände zwischen den
Merkmalsausprägungen entsprechen sich (die Temperaturdifferenz von 10 Grad zu 12 Grad entspricht der von 14
Grad zu 16 Grad). Kennwerte sind als Maß der zentralen
Tendenz der Mittelwert = arithmetisches Mittel und als
Streuung die Varianz oder Standardabweichung.
Die meisten psychologischen Testverfahren (Intelligenzquotient, Ängstlichkeit etc.) messen das Merkmal
auf Intervallskalenniveau.
Ordinalskala (= Rangskala). Die Merkmale, die hier abgebildet werden, lassen eine Zuordnung nach bestimmten Kriterien (größer/kleiner, schlechter/besser, schöner/hässlicher) zu. Die Werte lassen sich auch in Prozent ausdrücken.
Auf diesem Niveau werden z. B. Schichtzugehörigkeit,
Schulnote, sozialer Status abgebildet.
Erlaubte Rechenoperation sind a<b, a>b. Das Maß der zentralen Tendenz ist der Median (Merkmalsausprägung des
mittleren Ranges).
Nominal- oder Kategorialskala. Auf diesem Skalenniveau
lassen sich nur noch Kategorien abbilden. Hier kann man
also am wenigsten Aussagen machen. Kategorien sind klar
zuzuordnende Merkmale wie: verheiratet-ledig, MannFrau etc. Maß der zentralen Tendenz ist der Modus oder
Modalwert.
Informationen lassen sich von einem Skalenniveau auf
das andere übertragen (transformieren), aber immer
nur von einem höheren auf ein niedrigeres Skalenniveau.
Liegt der Mittelwert eines Tests bei 100 auf der Intervallskala, so entspricht dies einem Prozentrang von
50 % auf der Ordinal- oder Prozentrangskala.
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Anatomie
Arten der Beobachtung. Es werden nicht immer Experimente durchgeführt, um ein psychologisches oder soziologisches Phänomen zu erforschen. Die operationalisierten Kriterien werden häufig auch lediglich durch Beobachtung gewonnen.
Bei einer offenen Beobachtung ist bekannt, wer und wo
der Beobachter ist. Setzt sich ein Arzt beispielsweise zu
seinen Patienten, um sie einfach besser kennenzulernen,
handelt es sich um eine offene Beobachtung. Bei der verdeckten Beobachtung ist der Beobachter nicht zu sehen.
Die Beobachtungsformen lassen sich weiter in teilnehmend
und nicht teilnehmend unterteilen. Schaut man beispielsweise zu, wie Kinder spielen, so nimmt man nicht teil. Anders wäre es, wenn der Beobachter mitspielt, also die gleichen Tätigkeiten ausführt wie die zu Beobachtenden.
Bei einer systematischen Beobachtung ist genau festgelegt, welche Verhaltensweisen beobachtet werden sollen.
Bei einer unsystematischen Beobachtung hingegen ist
nicht genau festgelegt, was beobachtet wird.
Verhältnisskala (= Rational- = Absolutskala). Auf diesem
Skalenniveau sind die meisten Rechenoperationen möglich. Hier weiß man am meisten über die Wirklichkeit.
Man weiß, dass die Verhältnisse, die hier abgebildet werden, einen absoluten Nullpunkt haben. Dies sind Größen
wie Körpergewicht, Grad in Kelvin, Reaktionszeiten etc.
Erlaubte Rechenoperationen sind Multiplikation und Division (A ist doppelt so groß wie B) und Addition und Subtraktion.
Das Maß der zentralen Tendenz der Verhältnisskala ist das
geometrische Mittel. Die Streuung lässt sich durch die Varianz beschreiben.
Merke
Histologie
Operationalisierung bezeichnet den Vorgang, nicht direkt
beobachtbare Phänomene für die Beobachtung und Messung zugänglich zu machen. Dazu werden Variablen herangezogen, die beobachtet und somit gemessen werden
können (S. 894). Die Operationalisierung umfasst sowohl
die Beschreibung der Vorgehensweise bei der Messung als
auch die Beschreibung der eingesetzten Messinstrumente.
Das Konstrukt Depressivität ließe sich also durch die beobachtbare Verhaltensweise Weinen operationalisieren
(s. o.). Da dies aber nicht ausreicht, bräuchten wir noch
weitere Verhaltensweisen wie die Mimik, sprachliche
Äußerungen usw., um das Konstrukt Depressivität exakt
operationalisieren zu können.
Jede Skala hat ihre eigenen Kennwerte. Mit einem Kennwert wird beispielsweise ausgedrückt, welcher Wert am
häufigsten vorkommt oder wie weit die Werte auseinander liegen. Jede Skala braucht ihre Kennwerte. Sonst sind
die Zahlen nicht zu interpretieren.
Die Kennwerte werden durch das Maß der zentralen Tendenz und die Streuung (Varianz) ausgedrückt.
Merke
Biologie
Depressivität. Dies kann unter Umständen auch falsch
sein. Manchen Menschen laufen die Tränen über das Gesicht, obwohl sie nicht depressiv sind, sondern, weil sie
gerade eine Zwiebel geschält haben.
1.3 Methodische Grundlagen 891
Klinik
Im Rahmen einer Anamnese gewinnt der Arzt Daten auf
unterschiedlichen Niveaus. Ob der Patient männlich oder
weiblich ist, wird auf einem Nominalskalenniveau beschrieben. Die Stärke der Schmerzen liegt auf einem Rangskalenniveau und Parameter wie Körpergröße und Gewicht auf
einem Absolutskalenniveau.
1.3.3
Untersuchungskriterien
Im folgenden Kapitel wird beschrieben, wie man einen
Test konstruiert und wie man seine Tauglichkeit überprüft.
Die Normierung eines Tests schafft ein Bezugssystem,
in das individuelle Testergebnisse eingeordnet werden
können und diese miteinander vergleichbar macht.
Testgütekriterien
Ein psychologischer Test muss gewisse Qualitätsmerkmale aufweisen, um als gut zu gelten. Die Hauptgütekriterien
sind Objektivität, Reliabilität und Validität. Im weiteren
Sinne können auch Ökonomie und Änderungssensitivität
als Gütemerkmale verstanden werden.
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Biologie
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
Bei relativen Beurteilungsskalen stellt man einen Vergleich an. „Sind Ihre Schmerzen heute stärker als gestern?“ erfordert einen Vergleich mit dem Vortag. „Haben
Sie Schmerzen?“ ist eine absolute Frage.
Zu den relativen Beurteilungen zählen der Rangvergleich,
der Paarvergleich und das Soziogramm.
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Relative Beurteilungskalen
Physiologie
Likert-Skala. Bei der Likert-Skala geben die Probanden
ihre Zustimmung auf einer meist fünfstufigen Skala an.
So kann 1 „stimme gar nicht zu“ und 5 „stimme völlig
zu“ bedeuten. Die Besonderheit dieser Skala ist, dass der
Gesamttestwert eines Probanden berechnet wird, indem
die angekreuzten Skalenwerte einfach zusammengezählt
werden.
Bei einer Thurstone-Skala liegt ein dichotomes Format von
„stimme zu“ und „stimme nicht zu“ vor.
Bei einer numerischen Analogskala wird ein Merkmal auf
einer Zahlenreihe (wie ein Lineal) zwischen zwei Extremwerten eingeschätzt. Patienten können beispielsweise das
Ausmaß ihrer Schmerzen auf einer Zahlenreihe zwischen
den Extremwerten „keine Schmerzen“ bis „sehr starke
Schmerzen“ auftragen.
Bei einer visuellen Analogskala sind nur die Endpunkte
der Skala markiert, dazwischen finden sich keine Zahlenwerte. Auf der Rückseite können die Markierungen des
Patienten dann in Zahlen abgelesen werden oder die Abstände zu den Endpunkten werden ausgemessen.
Ein psychologischer Test ist ein Verfahren, mit dem quantifizierbare Aussagen über psychische Merkmale gemacht
werden können. Es sollen also hypothetische Konstrukte
(S. 889) gemessen werden. Psychologische Tests unterteilen
sich in Leistungs-, Persönlichkeits- und Intelligenztests.
Zunächst werden Testaufgaben (Items) ausgewählt. Durch
eine Itemselektion wird entschieden, welche Aufgaben in
die Endform kommen.
Kriterien hierfür sind Itemschwierigkeit, Trennschärfe
und Itemhomogenität.
Die Itemschwierigkeit besagt, wie viele Probanden die
Frage richtig gelöst haben.
Bei der Trennschärfe vergleicht man das Ergebnis des einzelnen Items mit dem Ergebnis des gesamten Tests. Wenn
man davon ausgeht, dass das Physikum ein Test ist, der
das medizinische Wissen testet, dann sind die einzelnen
Aufgaben die Items.
Dann könnte man die Trennschärfe so beschreiben, dass
ein Proband, der eine Aufgabe richtig löst, auch eine gute
Endnote haben sollte und ein Teilnehmer, der diese Aufgabe nicht löst, eine schlechtere Endnote haben müsste.
Eine gute Trennschärfe liegt bei etwa 50 %, dies gilt auch
für die Itemhomogenität.
Die Itemhomogenität besagt, wie sehr sich die einzelnen
Items in Schwierigkeit und Trennschärfe gleichen.
Anschließend wird er auf seine Güte geprüft (s. u.).
Die so entstandene Testendform wird dann an einer
Normstichprobe normiert. Man spricht auch von Eichung
und einer Eichstichprobe.
Für die Normierung benötigt man eine möglichst große
Stichprobe. Aus diesen Ergebnissen werden Normen gewonnen. Anhand dieser Normen lassen sich individuelle
Testergebnisse interpretieren.
Testet man beispielsweise Hilfsbereitschaft und bekommt
bei einer Person einen sehr hohen Punktwert heraus, so
sagt das noch nichts aus. Nun muss man anhand der Normierung vergleichen, ob dieses Ergebnis im Mittel liegt,
also normal ist oder über- bzw. unterdurchschnittlich.
Nun könnte es sein, dass Mediziner sehr hilfsbereit sind,
vielleicht hilfsbereiter als die Normalbevölkerung. Daher
wäre es günstig, das Ergebnis unserer Testperson besser
eingrenzen zu können. Aus diesem Grund erstellt man
häufig Normen nach Alter, Geschlecht und Schulabschluss.
Je genauer man die einzelne Person einordnen kann, desto
besser und genauer ist das Ergebnis.
Psych./Soz.
Absolute Beurteilungsskalen sind Skalen, bei denen Merkmale direkt eingeschätzt werden. Hier beurteilen die Probanden sich oder andere, indem sie Einschätzungen auf
einer mehrstufigen Skala direkt vornehmen. Beispiel:
Probanden können die Häufigkeit angeben, mit der bestimmte körperliche Beschwerden in den letzten Wochen
aufgetreten sind: 1 (nie), 2 (selten), 3 (gelegentlich), 4
(oft), 5 (immer) (Ordinalskala). Hierher gehört auch die
dichotome Beurteilung „trifft zu“, „trifft nicht zu“ (Nominalskala). Einige Beispiel zu Skalierungsmethoden werden
im Folgenden besprochen:
Testkonstruktion
Merke
Beurteilungsskalen und Skalierungsmethoden
Absolute Beurteilungsskalen
892 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
Physiologie
Die Reliabilität eines Tests erhöht sich mit seiner Länge.
Psych./Soz.
Da die Reliabilität eines Test nie 1 erreicht, muss man
eine gewisse Unzuverlässigkeit in Kauf nehmen. Diese
Ungenauigkeit wird durch den Standardmessfehler ausgedrückt.
Der Standardmessfehler (SM) errechnet sich aus dem Reliabilitätskoeffizienten (r) und der Standardabweichung
(SD) der Testwerteverteilung. Die Standardabweichung
gehört zu den Kennwerten der Intervallskala (s. o.):
SM = SD (1–r) .
Jeder individuelle Wert, der mit dem Test erhoben wird,
ist also mit einem Fehler behaftet. Rechnet man zu dem
Testwert eines Probanden einen Bereich hinzu, der vom
Ausmaß des Standardmessfehlers abhängt, ergibt sich
ein Konfidenzintervall (Vertrauensintervall), in dem der
„wahre“ (also fehlerfreie) Wert sehr wahrscheinlich liegt.
Je reliabler der Test, desto geringer ist der Standardmessfehler und desto enger das Konfidenzintervall.
Validität. Die Validität ist die Gültigkeit. Ein Test ist dann
valide, wenn er auch das misst, was er zu messen vorgibt.
Ein Test, der Angst misst, sollte also das Konstrukt Angst
erfassen und nicht etwa das Konstrukt Introversion. Die
Validität kann auf mehrere Arten bestimmt werden:
Bei der Kriteriumsvalidität wird die Validität gemessen,
indem das Testergebnis mit einem Außenkriterium in
Beziehung gesetzt (korrelliert) wird. Werden das Testergebnis und das Außenkriterium zur gleichen Zeit erhoben, spricht man von Übereinstimmungsvalidität. Soll das
Testergebnis das Kriterium zu einem späteren Zeitpunkt
vorhersagen, spricht man von Vorhersagevalidität (prädiktiver Validität). Ein Berufseignungstest beispielsweise
ist dann (Vorhersage) valide, wenn er den späteren Berufserfolg gut vorhersagen kann.
Häufig gibt es für ein komplexes Konstrukt nicht ein einzelnes Merkmal. Bei der Konstruktvalidität wird deshalb
überprüft, inwieweit das Testergebnis mit anderen Indikatoren desselben Konstrukts zusammenhängt. Wenn jemand bei einem Angsttest sehr hohe Werte erzielt, dann
sollte er z. B. eher schüchtern sein und kein extravertierter
„Draufgänger“.
Wenn die Testaufgaben selbst das zu messende Merkmal
repräsentieren, spricht man von Inhaltsvalidität. Beispielsweise ist ein Rechentest ein inhaltsvalider Test, wenn es
um die Erfassung von Rechenfähigkeit geht.
Es wird weiterhin in interne und externe Validität unterschieden. Eine Untersuchung ist dann intern valide, wenn
die erzielten Ergebnisse eindeutig für (oder gegen) die
Hypothese sprechen, alternative Erklärungen für deren
Zustandekommen also ausgeschlossen werden können.
Externe Validität meint, dass die Ergebnisse auch für andere vergleichbare Probandengruppen, Orte und Situationen gültig sind.
Die Validität kann verbessert werden, wenn Objektivität
und Reliabilität oder die Genauigkeit des Außenkriteriums verbessert wird.
Die Validität ist am schwersten zu realisieren, da man
häufig ein Konstrukt misst und nie ganz sicher sein kann,
ob man dieses Konstrukt wirklich erfasst.
Beispiel: Die Prüfungsfragen des IMPP sollten an sich allen
drei Gütekriterien entsprechen. Die Prüfung ist objektiv,
da die angekreuzten Fragen mittels einer Schablone ausgewertet werden. Die Prüfung ist reliabel, denn wenn man
nicht gerade zwischendurch lernt, so kommt man beim
zweiten Mal kreuzen ca. auf dasselbe Ergebnis. Und wenn
die Fragen wirklich nur das Prüfungswissen erfassen und
nicht noch andere Konstrukte wie beispielsweise die Fähigkeit gut zu raten, so ist der IMPP-Test auch valide.
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Merke
Histologie
Wenn ein Test standardisiert wurde, d. h. Fragen und
Antwortkategorien vorgegeben sind, so ist er jederzeit
wiederholbar und objektiv (d. h. vom Auswerter unabhängig). Auch diagnostische Klassifikationsschemata
wie ICD-10 und DSM IV erhöhen die Objektivität, da
sie den Ermessensspielraum bei der Diagnosestellung
einschränken.
Reliabilität. Reliabilität heißt Zuverlässigkeit und macht
eine Aussage über die Genauigkeit, die Präzision eines
Tests. Es gibt mehrere Arten, die Reliabilität eines Tests zu
bestimmen.
– Retestreliabilität : Der Test wird mit ein und derselben
Versuchsperson zweimal durchgeführt und die Testergebnisse miteinander verglichen (korreliert, s. u.).
– Splithalfreliabilität : Ein Test wird in zwei Teile geteilt.
Nun lässt man Probanden beide Testteile ausfüllen und
vergleicht dann die Ergebnisse der Testteile (Splithalf
= in die Hälfte geteilt).
– Innere Konsistenz: Hier wird jede einzelne Testaufgabe
mit allen Testaufgaben in Beziehung gesetzt.
Generell gilt: je höher die Reliabilität, desto besser der
Test. Die Reliabilität ist rein mathematisch eine Korrelation (s. u.). Das bedeutet, dass sie im schlechtesten Fall 0
und im besten Fall 1 betragen kann. Man erreicht nie eine
Reliabilität von 1, aber strebt Werte an, die um 0,8 oder
0,9 liegen.
Durch Verlängerung eines Tests lässt sich seine Reliabilität
verbessern. Dies kann dadurch geschehen, dass man Items
hinzufügt. Es lässt sich aber auch statistisch eine Verlängerung errechnen.
Merke
Biologie
Objektivität. Objektivität besagt, dass jeder, der den Test
durchführt, auswertet und interpretiert, zu demselben
Ergebnis kommen muss. Hierzu gibt es klare Handanweisungen, in denen das Vorgehen und die erlaubten Interpretationen klar beschrieben sind. Der Test läuft durch
die klaren Vorgaben immer nach demselben Schema ab,
er ist standardisiert. Objektivität kann bestimmt (gemessen) werden, indem man das Ergebnis mehrerer Tests auswertet und untereinander in Beziehung setzt (korreliert,
s. u.).
1.3 Methodische Grundlagen 893
Entscheidung
falsch negativ
Entscheidung
richtig negativ
C
D
A+C
B+D
Sensitivität
Spezifität
A / (A + C)
D / (B + D)
A+B
A / (A + B)
negativer
Prädiktionswert
C+D
D / (C + D)
Die Vierfeldertafel am Beispiel von AIDS.
Sensitivität und Spezifität. Diese Maße beziehen sich darauf, wie zuverlässig der Test einen Gesunden identifiziert
(Spezifität) oder wie wahrscheinlich er einen Kranken
erkennt (Sensitivität). Diese Wahrscheinlichkeiten lassen sich am besten in einer Vierfeldertafel ausdrücken
(Abb. 1.2). Bei diesem Beispiel eines AIDS-Tests werden
insgesamt 500 Probanden auf Anwesenheit von Viren getestet. Ein positiver Test (+) bedeutet, dass Viren gefunden
wurden bzw. derjenige an AIDS erkrankt ist, ein negativer
Test (-) bedeutet, dass keine Viren gefunden wurden bzw.
derjenige gesund ist.
Die Spezifität des Tests gibt an, wie wahrscheinlich ein
tatsächlich Gesunder durch den Test identifiziert wird. Sie
errechnet sich aus der Anzahl der Personen, die per Diagnose als richtig negativ (gesund) ermittelt wurde (250), geteilt durch die Gesamtzahl der Gesunden (400): 250 / 400
= 0,625. Von allen Gesunden erhalten also 62,5 % ein richtiges negatives Ergebnis und werden als gesund erkannt.
Umgekehrt erhalten 37,5 % der Gesunden ein falsches positives Ergebnis und werden unnötig verängstigt.
Die Sensitivität des Tests gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Test einen tatsächlich Kranken als positiv identifiziert. Sie errechnet sich aus der Anzahl der
Personen, die per Diagnose als tatsächlich positiv (krank)
ermittelt wurden (40), geteilt durch die Gesamtanzahl der
Kanken: 40 / 100 = 0,4. In diesem Fall werden also nur 40 %
der Kranken vom Test erkannt. D. h. 60 % der Erkrankungen werden übersehen! (schlechtes Screening).
Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass ich wirklich krank
bin, wenn ich ein positives Testergebnis bekomme, ist 20 %.
Der negativ prädikative Wert gibt umgekehrt an, wie wahrscheinlich ein negatives Testergebnis (gesund) wirklich Gesundheit bedeutet. Er errechnet sich aus der Anzahl der
Personen, die durch Diagnose als tatsächlich negativ (gesund) ermittelt wurden (250), durch die Gesamtzahl der
Personen mit negativem Testergebnis (gesund, 319), geteilt
durch die Gesamtzahl der gesunden (400): 250 / 310 = 0,8.
Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass ich wirklich gesund
bin (Test negativ), wenn ich ein negatives Testergebnis bekomme, ist 80 %.
Positiver prädiktiver und negativ prädiktiver Wert. Die
prädiktiven Werte (Prädikationswerte) geben an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Testergebnis zutreffend ist.
Der positiv prädiktive Wert gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein positives Testergebnis (krank) wirklich
Krankheit bedeutet. Er errechnet sich aus der Anzahl der
Personen, die per Diagnose als richtig positiv (krank) ermittelt wurden (40), geteilt durch die Anzahl aller Personen, die
ein positives Ergebnis erhalten haben (190): 40 / 190 = 0,2.
1.3.4 Untersuchungsplanung
Arten der Untersuchung
Experiment
Klinik
Messung otoakustischer Emissionen. Ein Screeningtest
(auch Filtertest) wird in einer größeren Bevölkerungsgruppe eingesetzt und dient dazu, das Vorliegen einer Erkrankung im Frühstadium zu erkennen. Ein Beispiel ist die Messung der otoakustischen Emission, um Hörstörungen bei
Säuglingen zu identifizieren. Hierbei werden Schallwellen
gemessen, die in der Kochlea entstehen und über das Mittelohr in den Gehörgang abgestrahlt werden (Physiologie,
S. 857).
Ein solcher Screeningtest sollte sich durch eine hohe Sensitivität auszeichnen, um sicherzugehen, dass Kranke auf jeden Fall als solche erkannt werden, damit ihnen rechtzeitig
Unterstützung und Förderung zukommen kann.
Es ist immer am günstigsten, wenn man ein Experiment
durchführen kann. Denn mit einem Experiment können
Kausalzusammenhänge also Ursache-Wirkungs-Prinzipien untersucht werden.
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Biologie
B
Histologie
A
positiver
Prädiktionswert
Anatomie
Abb. 1.2
Entscheidung
falsch positiv
Chemie
insgesamt
Entscheidung
richtig positiv
insgesamt
Biochemie
negativ
(gesund)
negativ (gesund)
Physik
positiv
(krank)
positiv (krank)
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Diagnose
Physiologie
Ökonomie und die Änderungssensitivität. Ein Test ist nur
dann hilfreich, wenn er ökonomisch, das heißt wirtschaftlich, ist, zeitlich in einem vertretbaren Rahmen steht und
nicht zu arbeitsaufwendig ist.
Ein Test ist dann änderungssensitiv, wenn er sensibel gegenüber Veränderungen eines Merkmals ist. Ein Beispiel
ist die Messung von Unterschieden der Angst vor und nach
einer Angsttherapie, um deren Wirksamkeit zu überprüfen. Hierbei besteht das methodische Problem, nur schwer
unterscheiden zu können, ob unterschiedliche Testergebnisse tatsächlich die Veränderungen des Merkmals wiedergeben oder aber die Folge der mangelnden Reliabilität
des Tests sind (und das Merkmal in Wirklichkeit stabil
bleibt).
tatsächlicher Zustand
Psych./Soz.
Beziehung der Testgütekriterien untereinander. Nach der
klassischen Testtheorie sind die Gütekriterien voneinander abhängig. Eine hohe Objektivität ist notwendig für
eine gute Reliabilität. Eine hohe Reliabilität ist notwendig,
um eine hohe Validität zu erhalten.
Histologie
Anatomie
Merke
Biologie
– Unabhängige und abhängige Variablen. Um zu überprüfen, ob ein Ereignis A wirklich zu einem Ereignis B führt,
variiert man planmäßig eine Variable (unabhängige Variable) und misst deren Ausprägungsgrad (abhängige
Variable). Wollte man beispielsweise ein Medikament
testen, das die Gedächtnisleistung verbessern soll, so
wäre die Gabe des Medikaments die unabhängige Variable. Das Ergebnis, also das verbesserte Gedächtnis, die
abhängige.
Nun kann es natürlich mehrere unabhängige und somit
auch mehrere abhängige Variablen geben. So könnte in
unserem Experiment die Dosis variiert werden, und zusätzlich könnte man überprüfen, ob ein Spaziergang die
Wirkung noch erhöht.
Unabhängige Variable wird vom Versuchsleiter manipuliert. Abhängige Variable ist das Ergebnis, hängt von
der Veränderung der unabhängigen Variablen ab.
Chemie
Biochemie
Physik
Physiologie
Psych./Soz.
– Intervenierende Variable. Hierbei handelt es sich um eine
Variable, die andere Variablen beeinflusst. Sie wird auch
Mediatorvariable genannt. So wurde beispielsweise der
Einfluss von Einkommen auf die Krankheitshäufigkeit
untersucht und nur ein schwacher Zusammenhang gefunden. Wenn allerdings die Variable des Bildungsabschlusses in die Untersuchung mit einbezogen wurde,
so ergab sich ein starker statistischer Zusammenhang
zwischen Bildungsabschluss, Krankheitshäufigkeit und
auch Bildungsabschluss sowie Einkommen. Das heißt,
die Variable Bildungsabschluss hat die anderen Variablen beeinflusst, sie ist die intervenierende (hineinkommende) Variable.
Ein Experiment muss wiederholbar, willkürlich und variierbar sein. Das heißt, der Versuchsleiter muss es jederzeit wiederholen können, er muss die Kontrolle über die
Variablen haben und muss sie so variieren können, wie
er will.
Wenn die unabhängige Variable nicht willkürlich manipuliert werden kann, so spricht man von einem Quasiexperiment. So wollte man beispielsweise in einem Betrieb die
Produktivität verbessern und aus diesem Grund in einigen Abteilungen die Arbeiter nach Leistung bezahlen und
nicht mehr einen fixen Lohn ausschütten. Ursprünglich
sollten fünf Abteilungen mitmachen, aber nur drei haben
sich bereiterklärt. So konnte also das Experiment nicht
willkürlich gestaltet werden. Hier spricht man von einem
Quasiexperiment.
Wichtig ist die Konstanthaltung aller anderen als der unabhängigen Variablen. Die Veränderung der abhängigen
Variablen muss allein auf die Variation der unabhängigen
Variablen zurückzuführen sein und nicht auf den Einfluss
anderer Faktoren.
Wenn sich in Abhängigkeit von einer unabhängigen Variablen auch eine Störvariable verändert, sodass man nicht
sagen kann, ob der gefundene Effekt auf die Stör- oder auf
die unabhängige Variable zurückzuführen ist, spricht man
von Kunfundierung (Confounding).
Experimental- und die Kontrollgruppe. Um die unabhängige Variable systematisch variieren zu können, benötigt
man mindestens eine Experimental- und eine Kontrollgruppe. In unserem Experiment mit dem Medikament,
das die Gedächtnisleistung verbessern soll, gibt es dementsprechend eine Gruppe von Probanden, die nichts eingenommen haben, um nach dem Experiment beurteilen
zu können, ob die verbesserte Gedächtnisleistung wirklich durch das Medikament zustande kommt.
Je komplexer das Experiment, desto mehr Fehler können
sich einschleichen. So kann es wichtig sein, die Experimentalgruppen und die Kontrollgruppen richtig einzuteilen. Gerade dann, wenn man mehrere Wirkfaktoren hat,
die untersucht werden sollen:
– Randomisieren: Beim Randomisieren werden die Versuchspersonen zufällig zu den einzelnen Gruppen zugeordnet.
– Parallelisieren: Beim Parallelisieren wird jedem Merkmalsträger in Gruppe A ein Merkmalszwilling in Gruppe B zugeordnet.
– Ausbalancieren: Um z. B. bei Messwiederholungen Reihenfolgeeffekte auszuschließen, durchlaufen die Probanden der einzelnen Gruppen die experimentellen
Bedingungen in unterschiedlicher Reihenfolge.
– Signifikanz: Signifikanz meint überzufällig. Gruppen in
einem Experiment unterscheiden sich fast immer. Die
Frage ist also, ob sie sich zufällig oder wirklich außerhalb des Zufalls, also signifikant unterscheiden.
Versuchspersonen- und der Versuchsleiterfehler. Der Versuchspersonenfehler (Hawthorne-Effekt) besagt, dass die
Versuchspersonen sich anders verhalten, wenn sie wissen,
dass sie an einem Experiment teilnehmen. Dieses Verhalten drückt sich am besten in der folgenden Behauptung
aus: Wenn man jemanden auf der Straße bittet, einen
Kopfstand zu machen, fragt er, „warum?“ Bittet man dasselbe eine Versuchsperson im Labor, fragt sie „wo?“.
Der Versuchsleiterfehler (Rosental-Effekt) besagt, dass der
Versuchsleiter selbst das Experiment fehlerhaft durch seine Erwartung beeinflusst. So würde der Versuchsleiter in
dem Experiment mit dem gedächtnisverbessernden Medikament einen positiven Effekt auf das Ergebnis ausüben,
wenn er an die Wirkung seines Medikaments glaubt.
Versuchsleiter- und Versuchspersoneneffekte zählen zu
den systematischen Fehlern. Diese verschieben das Gesamtergebnis in eine bestimmte Richtung. Im Gegensatz
dazu heben sich zufällige Fehler (z. B. kommt ein Proband
der Experimentalgruppe übermüdet zum Experiment) bei
großen Stichproben auf. Die Merkmale einzelner Probanden „mitteln“ sich über die Gesamtstichprobe aus. Versuchspersonen- und Versuchsleiterfehler beschränken sich
nicht auf Experimente, sondern verfälschen auch bei anderen Untersuchungsmethoden (z. B. beim Interview, s. u.) die
Datenerhebung durch eine Verringerung der Objektivität.
Der Hawthorne-Effekt lässt sich durch den einfachen
Blindversuch ausgleichen und der Rosental-Effekt durch
den Doppelblindversuch.
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894 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Kohortenstudie
Kohorte meint die Zugehörigkeit zu einer bestimmten
Gruppe, deren Mitglieder alle ein Merkmal gemeinsam
haben, das sich auf einen bestimmten Zeitpunkt bezieht.
In der Regel ist damit das Geburtsjahr gemeint.
Eine Kohortenstudie untersucht Probanden eines einzigen
Jahrgangs, um Alterseffekte auszuschließen. Der Begriff
Kohorteneffekt meint, dass sich die Untersuchungsdaten
von Personen gleichen Alters unterscheiden, weil diese
aus unterschiedlichen Generationen stammen. Die Generationen waren möglicherweise völlig anderen Umweltkonstellationen (z. B. Krieg), wirtschaftlichen Bedingun-
Absolutes und relatives Risiko. Das absolute und das relative Risiko eines Risikofaktors lassen sich aus einer Fallkontrollstudie errechnen.
– Relatives Risiko: Bei der Berechnung des relativen Risikos wird die Zahl der Erkrankten, die einem Risikofaktor ausgesetzt waren, durch die Zahl der Erkrankten,
die keinem Risikofaktor ausgesetzt waren, geteilt. Diese
Berechnung wird häufig eingesetzt, wenn es um die Bestimmung langsam wirkender Risikofaktoren geht, wie
beispielsweise das Rauchen und dessen Auswirkung auf
Lungenkrebs.
Beispiel: So erkranken 100 von 1000 Rauchern an Lungenkrebs. Von 1000 Nichtrauchern erkranken nur 10
Personen an Lungenkrebs. So ergibt sich:
100/1000 zu 10/1000 = 10
Damit ist das relative Risiko 10-mal so hoch, durch Rauchen an Lungenkrebs zu erkranken.
– Absolutes Risiko: Das absolute Risiko wird auch als
attributales, zugeschriebenes oder Überschussrisiko
bezeichnet. Hier bildet man die Differenz der Erkrankungshäufigkeit zwischen exponierten und nicht exponierten Personen. Das absolute Risiko gibt also an, wie
viele Personen gesund geblieben wären, hätte der Risikofaktor nicht vorgelegen.
Beispiel: 10 von 1000 Nichtrauchern erkranken an Lungenkrebs. Dies sind 1 %. Bei Rauchern erkranken 100 von
1000 =10 %. Die Differenz beträgt 9 %, somit liegt das absolute Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, bei 9 %.
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Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Diese beiden Untersuchungsmethoden werden häufig in
der Entwicklungspsychologie angewendet.
Die Längsschnittstudie ist eine Methode, die Veränderungsprozesse erfassen kann. Dazu wird eine Personengruppe zu mehreren Messzeitpunkten getestet. Der Vorteil einer Längsschnittstudie ist, dass man wirklich Veränderungsprozesse erfasst. Der Nachteil ist, dass sie lange
dauert und finanziell und arbeitstechnisch sehr aufwendig ist.
Die Querschnittstudie ist ein Querschnitt über mehrere
Altersstufen oder mehrere Zeitpunkte hinweg. Hier werden mehrere Personengruppen unterschiedlichen Alters
zur gleichen Zeit getestet. Ihr Vorteil ist die große Ökonomie. Nur erfasst man hierbei keine Veränderung an sich.
Querschnittstudien können auch eingesetzt werden, um
Aussagen zur Auftretenshäufigkeit einer bestimmten
Krankheit in einer Population zu einem bestimmten festgelegten Zeitpunkt zu machen – um also die Prävalenz einer Erkrankung festzustellen.
Da bei einer Fallkontrollstudie eine Randomisierung
nicht möglich ist, muss eine Kontrollgruppe geschaffen werden, die der Fallgruppe hinsichtlich wichtiger
Variablen wie Alter, Geschlecht und Familienstand ähnlich ist.
Physik
Längsschnittstudie und Querschnittstudie
Fallkontrollstudien werden durchgeführt, um den Einfluss
eines Risikofaktors auf die Entstehung einer Erkrankung
zu ermitteln. Hierbei werden zwei Gruppen gebildet; eine
mit gesunden und eine mit kranken Personen und vergleicht dann, in welchem Ausmaß diese Gruppen einem
Risikofaktor ausgesetzt waren. Man spricht dann auch
von exponierten und nichtexponierten Gruppen. Somit
ergeben sich vier Gruppen, die miteinander verglichen
werden:
Es gibt Menschen mit Risikofaktor, die erkranken und solche, die ohne Risikofaktor gesund bleiben. Hinzu kommen
diejenigen, die trotz des Risikofaktors nicht erkranken
und schließlich diejenigen, die ohne Risikofaktor dennoch
erkranken.
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Nicht immer ist es möglich oder sinnvoll, ein Experiment
durchzuführen. Gerade dann, wenn man z. B. Phänomene in ihrem natürlichen Umfeld untersuchen will. Dann
spricht man von einer Feldstudie. Hier ist Willkürlichkeit,
Wiederholbarkeit und Variierbarkeit nicht gegeben. Eine
Feldstudie lässt sich nicht standardisieren, sie ist also immer ein Quasiexperiment. Trotzdem lassen sich die Ergebnisse einer Feldstudie durch ihren Echtheitscharakter
auch auf andere Situationen übertragen.
Fallkontrollstudie
Physiologie
Feldstudie
Prospektive Kohortenstudie. Hier werden Probanden ab
dem Eintreten eines bestimmten Ereignisses im Längsschnitt beobachtet.
Psych./Soz.
Ein Placebo ist ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff.
Es kann aber trotzdem Nebenwirkungen haben: Durch
die suggerierte Behandlung können unbewusst auch
Nebenwirkungen suggeriert werden.
gen und sozialen Rollenvorstellungen ausgesetzt, die zu
Unterschieden in den Daten führen.
Merke
Merke
Blindversuch und Doppelblindversuch. Wenn man ein
Medikament testen will, so gibt man der Kontrollgruppe ein Placebo. Die Kontrollgruppe weiß natürlich nichts
davon. Dies ist ein Blindversuch. Wenn der Versuchsleiter
selbst nicht weiß, wer das Placebo bekommt und wer das
wirkliche Medikament, so handelt es sich um einen Doppelblindversuch.
Biologie
1.3 Methodische Grundlagen 895
Anatomie
Evaluationsstudie
Chemie
Biochemie
Eine Evaluationsstudie ist eine Kontrolle von Programmen
oder Prozessen. So gibt es die Prozessevaluation, die für
die Erfassung des gesamten Prozesses steht, die Ergebnisevaluation, die eine Kontrolle darüber ist, ob die erwarteten Ergebnisse auch eingetroffen sind, und die Impact
Evaluation. Dies ist eine Kontrolle über die erwarteten
Effekte hinaus. Beobachtet man beispielsweise bei einem
Therapieverfahren einen Effekt, den man vorher nicht berücksichtigt hatte, so kann er bei der Impact Evaluation
noch mit miterfasst werden.
Stichproben
Physik
Wenn man das Ergebnis einer Untersuchung auf eine große Gruppe Menschen übertragen will, so sollte die untersuchte Gruppe ein kleines Abbild der gesamten Gruppe
sein. Man spricht von einer Stichprobe, die die Grundgesamtheit repräsentiert (widerspiegelt). Es gibt mehrere Möglichkeiten, eine Stichprobe zu erstellen, die die
Grundgesamtheit repräsentiert.
Zufallsstichprobe
Physiologie
Bei einer Zufallsstichprobe hat jede Person dieselbe Chance, ausgewählt zu werden. Es ist so, als würde man ein
Telefonbuch aufschlagen und einfach mit dem Finger auf
einen Namen tippen, derjenige, der so ausgewählt wurde,
kann mitmachen.
Psych./Soz.
Geschichtete Zufallsstichprobe. Bei einer geschichteten
Zufallsstichprobe wird die Population zunächst nach einem Merkmal geschichtet, von dem bekannt ist, dass es
mit dem zu messenden Merkmal zusammenhängt. Es
entstehen Untergruppen, aus denen dann eine Zufallsauswahl getroffen wird.
Quotastichprobe
Hier werden die Probanden so zusammengestellt, dass
Ihre Verteilung der Grundgesamtheit entspricht. Nimmt
man als Grundgesamtheit die Bundesrepublik Deutschland und bildet eine Quotastichprobe, so wird man darauf
achten, dass die Hälfte männliche und die Hälfte weibliche
Versuchspersonen sind. Ebenfalls wird man versuchen,
die Schichtzugehörigkeit, den Bildungsstatus usw. durch
eine entsprechende prozentuale Verteilung der Probanden abzubilden.
Der Vorteil bei dieser Stichprobenauswahl ist, dass kein
Proband ausfallen kann. Denn man weiß sofort, welcher
Proband mit welchem Merkmal ausfällt und kann einen
neuen akquirieren.
1.3.5
Methoden der Datengewinnung
Daten von Menschen können auf vielfältige Weise erfasst
werden, beispielsweise durch Beobachtung, Interviews,
psychologische Tests oder Experimente. Die gewonnenen
Daten unterscheiden sich je nach ihrer Erhebungsart voneinander.
Datenarten
Abhängig vom Forschungs- und Untersuchungsgegenstand werden unterschiedliche Daten erhoben.
Individualdaten. Dies sind Daten, die direkt an der Person
abgenommen werden wie Blutdruck, Gewicht und Körpergröße.
Aggregatdaten sind zusammengefasste Individualdaten.
Aus ihnen lässt sich bereits eine Statistik erstellen, die
einen Mittelwert und eine Varianz bzw. Standardabweichung hat.
Globaldaten sind keine personenbezogenen Daten mehr.
Hier handelt es sich z. B. um Angaben zur Bevölkerungsdichte oder zum durchschnittlichen Kaffeekonsum pro
Kopf.
Primär- und Sekundärdaten. Hier wird nur nach dem Zeitpunkt der Erhebung unterschieden. Primärdaten werden
vom Forscher selbst erhoben, während Sekundärdaten aus
Primärdaten generiert werden, die bereits vorliegen und
auf die der Forscher oder Arzt zurückgreift.
Primär- und Sekundärdaten können sowohl Individualals auch Aggregatdaten sein und umgekehrt.
1.3.6
Datenauswertung und Interpretation
Je nachdem, um welche Daten es sich handelt, wird unterschiedlich vorgegangen.
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Histologie
Fall-Kontroll-Studien haben einen hohen praktischen
Nutzen: Die Identifikation von Risikofaktoren bildet
beispielsweise die Grundlage zur Initiierung präventiver Maßnahmen. Durch diese Studien kann die Gesundheitsgefährdung von Rauchen (siehe oben) oder
Übergewicht erklärend belegt und die Bevölkerung
besser aufgeklärt werden.
Klumpenstichprobe. Hier werden nicht einzelne Personen
per Zufall ausgewählt, sondern ganze Klumpen von Personen, z. B. alle Einwohner eines bestimmten Stadtteils.
Merke
Absolutes Risiko wird auch beschrieben als der prozentuale Anteil von Erkrankungen, der einem gesicherten
Risikofaktor zugeschrieben werden kann.
Prävalenz und Inzidenz. Inzidenz ist die Rate der Neuerkrankungen in einem festgelegten Zeitraum, z. B. die
Neuerkrankungen während eines Jahres. Prävalenz ist die
Auftretenswahrscheinlichkeit der Erkrankung, gleichgültig ob Neuerkrankungen dabei sind oder nicht. Also Auftretenswahrscheinlichkeit der Erkrankung in der Population X zum Zeitpunkt Y. Die Prävalenz einer Krankheit ist
demnach größer als ihre Inzidenz.
Merke
Biologie
Merke
896 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Quantitative Daten. Dies sind Daten, die in Zahlen vorliegen und beispielsweise durch Skalen beschrieben werden.
Diese Daten lassen sich auf unterschiedliche Weise interpretieren. Bei einer deskriptiven Statistik werden Häufigkeitsverteilungen mit den dazu gehörigen Kennwerten
wie Mittelwert und Abweichung dargestellt. Bei einer
Inferenzstatistik werden die Daten genutzt, um von einer
Stichprobe auf die Allgemeinheit (Grundgesamtheit) zu
schließen.
8QNRQGLWLRQLHUWHU6WLPXOXV
(UHLJQLV*HUlXVFK
(UHLJQLV
/XIWVWURPDXIGDV$XJH
8QNRQGLWLRQLHUWH5HDNWLRQ
̠
1HXWUDOHU6WLPXOXV
5HDNWLRQ
=ZLQNHUQ
5HDNWLRQ
=ZLQNHUQ
.RQGLWLRQLHUWH5HDNWLRQ
8QNRQGLWLRQLHUWHU6WLPXOXV
Siehe Physiologie, Kapitel 20 ab S. 869.
Lernen
Die Psychologie beschreibt Lernen als Änderungen im
Verhaltenspotenzial, die auf Erfahrungen des Organismus
zurückgehen. Es werden folgende Lernformen unterschieden:
– klassisches Konditionieren,
– operantes Konditionieren,
– Lernen am Modell,
– Lernen durch Einsicht,
– Lernen durch Habituation und Sensitivierung (nicht assoziatives Lernen).
Klassische Konditionierung
Das Prinzip der klassischen Konditionierung wurde zu
Beginn des letzten Jahrhunderts von dem russischen Physiologen Pawlow entdeckt. Dabei geht es darum, wie ein
neutrales Ereignis zu einem Reiz wird, der eine unwillkürliche Reaktion hervorruft. Pawlow zeigte dieses Prinzip
mit Hilfe der Speichelsekretion bei Hunden auf.
Ein Versuch, der auch gut am Menschen durchzuführen ist, ist die sogenannte Lidschlagkonditionierung: Ein
Luftstrom auf das Auge löst einen Reflex aus, nämlich
Zwinkern. In Abbildung 1.3 wird beschrieben, wie man
dieselbe Reaktion, das Augenzwinkern, durch einen Ton
hervorrufen kann.
Vor der Konditionierung löst der unkonditionierte Stimulus „Luftstrom auf das Auge“ die unkonditionierte Reak-
tion „Lidschlussreflex“ aus. (Ein neutraler Stimulus, wie
etwa ein heller Ton, führt nicht zu diesem Effekt.)
Während der Konditionierung wird der neutrale Stimulus
zusammen mit dem unkonditionierten Stimulus dargeboten, in diesem Falle der Luftstrom auf das Auge gepaart
mit dem Ton. Durch diese Kopplung wird aus dem neutralen Stimulus ein konditionierter Stimulus.
Nach der Konditionierung führt der konditionierte Stimulus zu der konditionierten Reaktion „Zwinkern“, die der
unkonditionierten Reaktion ähnlich ist.
Klinik
Antizipatorische Übelkeit. Zytostatika, die im Rahmen einer Chemotherapie bei Krebspatienten das Zellwachstum
verhindern sollen, führen zu den unerwünschten Nebenwirkungen Übelkeit und Erbrechen. Hier fungieren die wiederholt verabreichten Medikamente als unkonditionierter
Stimulus und lösen die unkonditionierte Reaktion Übelkeit
aus. Gleichzeitig wirken auf die Patienten mit der Verabreichung der Medikamente eine Reihe weiterer ursprünglich
neutraler Reize, wie zum Beispiel der Krankenhausgeruch
beim Betreten der Klinik oder der Anblick des Klinikgebäudes. Durch mehrmalige zeitliche Assoziation von neutralen
Reizen und unkonditioniertem Stimulus wird der neutrale
Reiz zum konditionierten Stimulus und löst die konditionierte Reaktion aus: Allein der Krankenhausgeruch oder
das Betreten des Klinikgeländes verursacht beim Patienten
Übelkeit.
Zeitintervall. Die günstigste Art, einen neutralen Reiz zu
konditionieren ist, ihn kurz vor dem unkonditionierten
Stimulus darzubieten. Der neutrale Reiz bekommt dadurch eine Signalfunktion, deswegen wurde das klassische Konditionieren auch als Signallernen bezeichnet.
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Chemie
Abb. 1.3 Beispiel für eine klassische Konditionierung.
Biochemie
Biologische Grundlagen
.RQGLWLRQLHUWH5HDNWLRQ
Physik
1.4.1
5HDNWLRQ
=ZLQNHUQ
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Theoretische Grundlagen
1HXWUDOHU6WLPXOXV
̠
Physiologie
1.4
(UHLJQLV*HUlXVFK
Anatomie
Ergebnisbewertung
Die Fragen, wie die gewonnenen Ergebnisse zu bewerten
sind, sollten schon geklärt sein, bevor die Untersuchung
überhaupt beginnt. Nur so ist objektives, wissenschaftliches Arbeiten gewährleistet. Die Ergebnisse müssen folgenden Kriterien entsprechen:
Sie müssen replizierbar sein, sie sollen einen Nutzen für
die Praxis haben (siehe evidenzbasierte Medizin).
1.4.2
Psych./Soz.
1.3.7
(UHLJQLV
/XIWVWURPDXIGDV$XJH
Histologie
Qualitative Daten. Dies sind Daten, die nicht in Zahlen
ausgedrückt werden, wie beispielsweise zusammengefasste Interviewberichte oder Biografien.
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 897
898 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Wichtige Begriffe aus der klassischen Konditionierung
Biologie
Histologie
Begriff
Erklärungen
neutraler Stimulus
ein Reiz, der zu keiner Reaktion führt
unkonditionierter Stimulus
ein Reiz, der ohne vorangegangenes Lernen zu einer Reaktion führt
unkonditionierte Reaktion
die Reaktion, die auf den unkonditionierten Stimulus folgt
konditionierter Stimulus
ein Reiz, der aufgrund einer mehrmaligen Kopplung mit einem unkonditionierten Stimulus irgendwann die gleiche Reaktion auslöst wie der unkonditionierte Stimulus
konditionierte Reaktion
die Reaktion, die auf den konditionierten Stimulus folgt
Prinzipien des klassischen Konditionierens
Anatomie
Löschung. Tritt der konditionierte Stimulus über längere
Zeit nicht mehr in Verbindung mit dem unkonditionierten
Stimulus auf, so wird die konditionierte Reaktion immer
schwächer, bis sie schließlich ganz ausbleibt.
Remission. Spontane Wiederherstellung einer Reiz-Reaktions-Verbindung (z. B. nach vorheriger Löschung).
Chemie
Reizgeneralisierung. Die konditionierte Reaktion kann
auch auf ähnliche konditionierte Reize erfolgen, die aber
vorher nicht mit dem unkonditionierten Reiz gekoppelt
waren.
Reizdiskrimination. Die konditionierte Reaktion wird
nicht bei ähnlichen Reizen gezeigt. Sie erfolgt nur auf einen ganz spezifischen konditionierten Reiz.
Biochemie
Konditionierung höherer Ordnung. Ein konditionierter
Reiz wird mit einem weiteren bisher neutralen Reiz gekoppelt, sodass schließlich bereits der zweite vorher neutrale Reiz die konditionierte Reaktion auslöst.
Physik
Preparedness. Bestimmte Reize bekommen biologisch
bedingt leichter eine Signalfunktion als andere, d. h. verschiedene „neutrale Reize“ eignen sich unterschiedlich gut
zur Konditionierung. Z. B. erhalten bei klassisch konditionierter Übelkeit Geschmacksreize eher Signalfunktion als
optische oder akustische Reize. Bei von außen zugefügten
Schmerzen hingegen werden optische und akustische Reize eher zu gelernten Signalen als Geschmacksreize.
Operantes Konditionieren – Lernen anhand von
Konsequenzen
Physiologie
Bei der operanten Konditionierung spielen die Konsequenzen des Verhaltens eine wichtige Rolle. Verhaltensweisen,
die befriedigende Konsequenzen haben oder unangenehme Konsequenzen vermeiden oder verringern, treten in
der Folge häufiger auf. Die Auftretenswahrscheinlichkeit
eines Verhaltens lässt sich beeinflussen, indem man es positiv oder negativ verstärkt oder bestraft.
Psych./Soz.
Verstärkung. Folgt ein angenehmer Reiz auf eine Reaktion
(z. B. der Hund bekommt ein Leckerchen, wenn er Pfötchen gibt) und nimmt mit der Zeit die Auftretenswahrscheinlichkeit dieser Reaktion zu, so ist dieser Reiz ein
positiver Verstärker. Wenn ein unangenehmer (aversiver)
Reiz vermieden oder entfernt wird und dadurch mit der
Zeit die Auftretenswahrscheinlichkeit einer erwünschten
Reaktion ansteigen lässt, handelt es sich um einen negativen Verstärker.
Bestrafung. Eine besondere Form des Verstärkerlernens
ist die Bestrafung.
Wenn ein unangenehmer (aversiver) Reiz auf ein unerwünschtes Verhalten folgt, sodass mit der Zeit die Auftretenswahrscheinlichkeit abnimmt, so wird dieses Ereignis
als positive Bestrafung bezeichnet. Wenn die Wegnahme
eines angenehmen Reizes auf ein Verhalten folgt, so nennt
man diese Art der Konditionierung negative Bestrafung
(z. B. Liebesentzug).
Positiv bedeutet also immer die Verabreichung eines Reizes, negativ bezeichnet dagegen die Entfernung eines Reizes. Tabelle 1.3 gibt einen Überblick über die verschiedenen Typen von Verstärkung und Bestrafung.
Primäre und sekundäre Verstärker. Primäre Verstärker
erfüllen die Grundbedürfnisse des Menschen (physiologische Bedürfnisse, Sicherheit, Liebe, Zuwendung).
Im Laufe des Lebens jedoch werden ursprünglich neutrale
Reize mit primären Verstärkern verbunden und erhalten
so die Funktion konditionierter oder auch sekundärer Verstärker. Tatsächlich wird im Erwachsenenalter ein großer
Teil des Verhaltens nicht mehr durch primäre, sondern
durch sekundäre Verstärker beeinflusst. Titel, beifälliges
Lächeln, Medaillen und unterschiedliche Arten von Statussymbolen sind Beispiele für wirkungsvolle sekundäre
Verstärker. So kann fast jeder Reiz zu einem sekundären
Verstärker werden, wenn er einige Zeit lang gekoppelt mit
einem primären Verstärker auftritt (siehe klassische Konditionierung).
Ein Sonderfall der sekundären Verstärkung sind sogenannte Tokens (z. B. Geld). Wird das Verhalten eines Menschen
beispielsweise mit Schokolade verstärkt, so tritt über kurz
oder lang eine Sättigung auf. Die Belohnung verliert ihre
verstärkende Wirkung. Ein Token dagegen hat den Vorteil,
dass es jederzeit verabreicht werden kann, ohne zu einer
Sättigung zu führen.
„Effektgesetz des Lernens“. Eine Verhaltensweise, die belohnt bzw. verstärkt wird, tritt häufiger auf, eine Verhaltensweise, die bestraft wird, wird abgebaut.
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Tabelle 1.2
1.4 Theoretische Grundlagen 899
Effekt
Beispiel
positive
Verstärkung
angenehmer Reiz folgt auf erwünschtes Verhalten
erhöht Auftretenswahrscheinlichkeit
des erwünschten Verhaltens
eine gute Note in der Klassenarbeit
negative
Verstärkung
entfernen eines unangenehmen Reizes
nach erwünschtem Verhalten
erhöht Auftretenswahrscheinlichkeit
Kind darf sein Zimmer verlassen,
wenn der Wutanfall vorbei ist
positive
Bestrafung
unangenehmer Reiz folgt auf unerwünschtes Verhalten
verringert Auftretenswahrscheinlickkeit des unerwünschten Verhaltens
eine schlechte Note in der Klassenarbeit
negative
Bestrafung
entfernen eines angenehmen Reizes
nach unerwünschtem Verhalten
verringert Auftretenswahrscheinlickkeit
Fernsehverbot nach schlechtem
Benehmen
Verstärkerpläne
Die Verstärkung einer Verhaltensweise kann nach unterschiedlichen Mustern ablaufen.
Kontinuierliche Verstärkung. Verstärkung wird jedes Mal
nach Auftreten des gewünschten Verhaltens gegeben. Das
gewünschte Verhalten wird hier am schnellsten erworben.
Intermittierende Verstärkung. Intermittierende Verstärkung bedeutet, dass Verstärkung nicht nach jedem gezeigten Verhalten erfolgt. Es gibt zwei Arten von intermittierender Verstärkung.
Quotenverstärkung. Bei Quotenverstärkung erfolgt die
Konsequenz entweder nach fester oder variabler Quote
(d. h. jedes 5. Mal oder durchschnittlich jedes 5. Mal bekommt der Hund ein Leckerli). Entscheidend ist hier die
Menge bzw. Häufigkeit des gezeigten Verhaltens.
Intervallverstärkung. Bei Intervallverstärkung erfolgt die
Konsequenz entweder nach festem oder variablem Zeitintervall (d. h. nach immer genau 3 Minuten oder durchschnittlich alle 3 Minuten bekommt der Hund ein Leckerli).
Entscheidend ist hier die Zeitdauer zwischen den Intervallen.
Weitere wichtige Begriffe zum operanten
Konditionieren
Löschung kann auch durch Weglassen der Konsequenzen
erfolgen.
Reizgeneralisierung. Das gelernte Verhalten wird auch gezeigt, wenn mit anderen Verstärkern belohnt wird.
Reizdiskrimination. Verhaltensänderung erfolgt nur bei
bestimmter Konsequenz.
Modelllernen/Sozial-kognitive Lerntheorie
(Bandura)
Verhalten kann auch stellvertretend durch Beobachtung
gelernt werden, ohne dass das Individuum die Konsequenzen des Verhaltens selber erleben muss. So lernen Kinder
viele Dinge von ihren Eltern durch bloßes Abgucken.
Lernen durch Einsicht
Hier ist von außen nicht zu sehen, dass der Organismus
eine Erfahrung macht. Lernen durch Einsicht findet also
statt, wenn das Individuum durch reines Überlegen zu einer Verhaltensveränderung kommt. Es ist zu vergleichen
mit dem Geistesblitz, mit einem Aha-Erlebnis.
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Anatomie
Chemie
Biochemie
Eine beliebte Aktivität kann als Verstärker für eine unbeliebte Aktivität dienen.
Die Löschungsresistenz von Verhalten hängt von der Art
des Verstärkerplans ab. Je seltener und unregelmäßiger
die Verstärkung erfolgte, desto schwerer wird dieses Verhalten gelöscht (z. B. beim Glücksspiel!).
Wenn man es ganz genau betrachtet, so liegt hier ein
intermittierender Quotenplan vor, weil nicht nach einer
bestimmten Zeit, sondern nach der Häufigkeit belohnt
wird.
Physik
Merke
Premack-Prinzip. Eine Verhaltensweise, die unter natürlichen Bedingungen häufig auftritt, kann genutzt werden,
um eine selten gezeigte Verhaltensweise zu verstärken.
So kann bei einem Kind die häufige Verhaltensweise
„Spielen“ genutzt werden, um sie als Verstärker für das
selten gezeigte Verhalten „Zimmer aufräumen“ zu nutzen.
Spielsucht. Spielsucht wird durch intermittierende Verstärkung entwickelt und aufrechterhalten. Die Auftretenswahrscheinlichkeit des Spielens erhöht sich, weil das Verhalten ab und zu durch einen Gewinn verstärkt wird.
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Um neue Verhaltensweisen zu trainieren, ist eine Verstärkung/Belohnung immer besser als Bestrafung!
Klinik
Physiologie
Verstärkung ist das Prinzip der Belohnung. Verstärker
ist das, was man bekommt.
Histologie
Definition
Merke
Typ
Biologie
Verstärkungs- und Bestrafungstypen
Psych./Soz.
Tabelle 1.3
900 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Biologie
Positiver Transfer. Gelerntes Verhalten wird erfolgreich
auf eine neue Situation übertragen. So können wir die erworbenen Fähigkeiten des Schaltens, Kuppelns und Gasgebens, die wir in der Fahrschule in einem Golf gelernt
haben, problemlos auf ein anderes Auto wie z. B. einen
Mercedes übertragen.
Histologie
Negativer Transfer. Gelerntes Verhalten wird auf eine
neue Situation übertragen, in die es nicht passt. Wenn wir
immer mit einem Fahrrad gefahren sind, das eine Rücktrittbremse hatte und nun mit einem Rennrad unterwegs
sind, bei dem die Bremsen an den Griffen montiert sind,
so liegt negativer Transfer dann vor, wenn wir vergeblich
versuchen, mit dem Fuß zu bremsen, während wir immer
schneller werden.
Anatomie
Habituation, Dishabituation und Sensitivierung
Wir haben Lernen als Potenzial zur Verhaltensänderung
definiert, die durch Erfahrungen verursacht wird. Wenn
man diese Definition zugrunde legt, dann muss man auch
Habituation, also Gewöhnung, als eine Lernform bezeichnen.
Chemie
Biochemie
Physik
Physiologie
Psych./Soz.
Habituation ist eine einfache Lernform. Es ist eine Gewöhnung an immer wiederkehrende Reize. Denn wenn
ein Reiz immer wiederkehrt, ohne dass damit eine Konsequenz verbunden ist, so lernt der Organismus, auf diesen
Reiz nicht mehr mit einer Orientierungsreaktion zu antworten. So hört man nach einer Weile z. B. nicht mehr das
viertelstündliche Schlagen der Kirchturmuhr.
Im Gegensatz zum klassischen und operanten Konditionieren, bei denen Lernvorgänge auf zeitlichen Assoziationen von Reizen bzw. von Reaktionen und Konsequenzen
beruhen (assoziatives Lernen), stellt die Habituation Verhaltensänderungen aufgrund von Stimuli dar, die zeitlich
nicht miteinander assoziiert sind. Diese Art des Lernens
bezeichnet man demnach auch als nichtassoziatives Lernen.
Von der Habituation sind folgende Begriffe abzugrenzen:
– Extinktion: Nachlassen der Intensität oder der Häufigkeit von Reaktionen, die durch klassisches oder operantes Konditionieren erworben wurden.
– Adaptation: Anpassung an kontinuierlich dargebotene
Reize. Die Adaptation findet auf Rezeptorebene statt
und führt dazu, dass man Reize nicht mehr so intensiv
wahrnimmt. Die Reizschwelle der Rezeptoren wird erhöht.
– Dishabituation: Die Habituation entsteht durch eine
Wiederholung gleichbleibender Reize. Wird in die Reihe
dieser gleichbleibenden Reize ein fremder Reiz eingestreut, kommt es wieder zur ursprünglichen Reaktion.
Dishabituation bedeutet also das Wiederauftreten der
Reaktion nach einer Habituation.
Nicht alle Verhaltensänderungen beruhen auf Lernen.
Vom Lernen abzugrenzen sind Reifungsvorgänge. Sie sind
durch Erbanlagen determiniert (S. 916).
1.4.3
Kognition
Die Kognitionspsychologie beschäftigt sich mit allen Prozessen, die an der Informationsverarbeitung beteiligt sind:
z. B. Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis.
Wahrnehmung
Die Wahrnehmung ist ein Prozess, der mit der sensorischen Empfindung beginnt, also der Umwandlung der
physikalischen Energie in neurale Aktivität. Dann folgt
die innere Repräsentation des äußeren Ereignisses und
im letzten Wahrnehmungsschritt die Interpretation oder
Klassifikation des Ereignisses.
Diese Art der Wahrnehmung wird als Bottom-up-Prozess
bezeichnet, da hier die Umweltreize von „unten nach
oben“ zum Gehirn hingeleitet werden. Hier werden die
einzelnen Muster, die die Rezeptoren unserer Netzhaut an
das Gehirn liefern, zu einem Bild zusammengefügt.
Demgegenüber stehen die Top-down-Prozesse. Hierbei
beeinflussen das bereits vorhandene Wissen, aber auch
die Emotionen und/oder die Motivation die Repräsentation der wahrgenommenen Ereignisse.
Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit und malen Sie
das Zifferblatt Ihrer Armbanduhr ab, ohne auf die Uhr
zu schauen. Sie können auch wahlweise eine Euromünze
nehmen. Vergleichen Sie nun Ihr Bild mit dem tatsächlichen Objekt. Die meisten Menschen erkennen hier, dass
sie Fehler gemacht haben. Dies liegt an den stattfindenden Top-down-Prozessen, die unsere Wahrnehmung des
Objektes beeinflussen (wir glauben zu wissen, wie unsere
Uhr aussieht).
Diese beiden Prozesse interagieren ständig miteinander
und bestimmen unsere Wahrnehmung der Umwelt.
Ein Begriff, der häufig mit der Wahrnehmung in Zusammenhang gebracht wird, ist die Wahrnehmungsabwehr.
Hierbei handelt es sich um ein psychoanalytisches Phänomen, mit dem die unbewusste Ausblendung angstbesetzter Inhalte gemeint ist.
Dieser Effekt wurde in Reaktionszeit-Experimenten nachgewiesen. Hier konnte man zeigen, dass Probanden Wörter, wie Tod, Verbrechen usw. langsamer benannten als
neutrale oder positiv besetzte Wörter.
Im Zusammenhang mit der Verarbeitung unbewusster
Prozesse wird gelegentlich der Begriff der subliminalen
Wahrnehmung genannt, der an sich nichts mit psychoanalytischer Sichtweise zu tun haben muss.
Bei der subliminalen Wahrnehmung werden Reize nur
unterschwellig, also unterhalb der bewussten Verarbeitung wahrgenommen. Trotzdem können diese Reize unser Verhalten beeinflussen. Diese Reize sind meist so kurz,
nur einige Millisekunden lang.
Gestaltpsychologie
Die Gestaltpsychologie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Wertheimer, Koffka und Köhler ins Leben gerufen und beschäftigt sich mit den Organisationsprinzipien
der Wahrnehmung. Wir nehmen Umweltereignisse nicht
als eine Aneinanderreihung einzelner Reize, sondern als
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Transferlernen
Gesetz der Nähe. Reize, die nahe beieinander liegen, werden als zusammengehörig wahrgenommen.
Gesetz der Geschlossenheit. Unvollendete Reize werden
als vollendete Reize wahrgenommen.
Zum Beispiel werden viele Punkte, die in einem Kreis angeordnet sind, auch als Kreis wahrgenommen.
Das heißt, eine nicht geschlossene Gestalt wird als geschlossen wahrgenommen.
Gesetz der Kontinuität. Reize, denen andere Reize vorausgegangen sind, werden als Folge der ersten Reize wahrgenommen oder als zusammengehörig wahrgenommen.
Beispiel: Sehen wir in der Kneipe die Bedienung mit einem Tablett voller Gläser an uns vorbeilaufen und hören
wir zwei Minuten später ein Klirren, so nehmen wir einfach an, ihr wäre das Tablett hingefallen.
Gesetz der gemeinsamen Bewegung. Reize, die sich in
dieselbe Richtung bewegen, werden als zusammengehörend wahrgenommen.
Beispiel: Wenn einzelne Tänzer aus einer Ballettgruppe
hervortreten und dieselbe Bewegung machen, werden sie
als Einheit wahrgenommen.
Gesetz der Prägnanz. Unser Wahrnehmungssystem bevorzugt Gestalten, die sich in einem bestimmten Merkmal
von anderen Gestalten unterscheiden.
Beispiel: Wir merken uns nur solche Ereignisse besonders
gut, die sich von anderen „normalen“ Ereignissen in einer
Als Gedächtnis bezeichnet man einerseits die kognitive
Fähigkeit, Erfahrungen zu speichern und abzurufen, andererseits aber auch den Inhalt des Behaltenen selbst, die
Erinnerung. Das Gedächtnis lässt sich in drei große Speicher unterteilen.
Sensorisches Gedächtnis. Hier werden alle Umweltreize
gespeichert, die der Mensch wahrnimmt. Es wird unterteilt in das visuelle, echotische und haptische Gedächtnis.
Seine Kapazität ist sehr groß. Die Speicherdauer beträgt
ca. 0,5 bis 2 Sekunden.
Arbeitsgedächtnis (wurde früher Kurzzeitgedächtnis
genannt). Das Arbeitsgedächtnis erhält sein Material sowohl aus dem sensorischen Gedächtnis wie auch aus dem
Langzeitgedächtnis. Seine Kapazität ist begrenzt. Es kann
ca 7 +/- 2 Elemente speichern. Die Speicherungsdauer
beträgt ca. 30 Sekunden. Danach müssen die Inhalte an
das Langzeitgedächtnis übertragen worden sein, oder sie
entfallen.
Langzeitgedächtnis. Das Langzeitgedächtnis wird in das
prozedurale und deklarative Gedächtnis unterteilt.
Prozedurales Gedächtnis. Im prozeduralen Gedächtnis
werden Informationen abgelegt, die Handlungsabläufe koordinieren. Beispielsweise ist hier der Vorgang des Schreibens gespeichert, also wie man den Stift hält, ihn auf das
Blatt setzt, wie man die einzelnen Buchstaben schreibt.
Die Informationen werden meist automatisch abgerufen.
Tatsächlich führt es vielfach zu einer Verschlechterung der
Leistung, wenn man sich während der Tätigkeit die notwendigen Schritte bewusst macht.
Im deklarativen Gedächtnis sind Daten und Fakten abgelegt. Das deklarative Gedächtnis unterteilt man wiederum
in das semantische und das episodische Gedächtnis.
– Im semantischen Gedächtnis befindet sich das Wissen
über Regeln, Gesetzmäßigkeiten, Konventionen usw., das
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Histologie
Anatomie
Gedächtnis
Chemie
Gesetz der Ähnlichkeit. Reize, die sich ähneln, werden als
zusammengehörig wahrgenommen.
Beispiel: Randgruppen wie Gastarbeitern oder Homosexuellen werden gleiche Eigenschaften zugeschrieben.
Aufmerksamkeit ist ein Zustand konzentrierter Bewusstheit, der sich auf neuronaler Ebene durch die Bereitschaft
des zentralen Nervensystems auszeichnet, auf Stimulation
zu reagieren. Aufmerksamkeit ist somit eine notwendige
Voraussetzung, mit der Umwelt zu interagieren.
Man unterscheidet die Vigilanz, eine Daueraufmerksamkeit, die notwendig ist, um über längere Zeit auf Stimuli
zu reagieren und die selektive Aufmerksamkeit, die Fähigkeit, sich sehr konzentriert auf einen kleinen definierten
Reizausschnitt zu beschränken.
Biochemie
Das Erkennen von Figuren und Formen folgt bestimmten
Gesetzmäßigkeiten:
Aufmerksamkeit
Physik
Gestaltgesetze
Gesetz der guten Gestalt. Das heißt, die Formen sehen so
aus, wie es sich gehört.
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– Gute Gestalt: Das wahrgenommene Muster ist überschaubar.
– Schlechte Gestalt : Die Einzelteile stehen in keiner Beziehung zueinander.
Beispiel: das Wort Medizin bildet eine gute Gestalt, ndiiemz dagegen erscheint uns ungeordnet und bildet eine
schlechte Gestalt.
Menschen haben immer die Tendenz, aus einer „schlechten“ Gestalt eine „gute“ Gestalt zu machen. Dies gilt für
viele psychologische Prinzipien.
Gesetz der Vertrautheit. Dinge, die uns vertraut sind, erkennen wir schneller wieder.
Physiologie
Gute und schlechte Gestalt
bestimmten Weise unterscheiden. Wären alle Tage gleich,
wir könnten uns zeitlich nicht orientieren.
Psych./Soz.
ein komplexes Muster wahr. Die Gestaltpsychologie postulierte einige Gesetze, nach denen unsere Wahrnehmung
organisiert ist.
Der wichtigste Grundsatz lautet: Das Ganze ist mehr als
die Summe seiner (Einzel-)Teile.
Zum Beispiel nehmen wir bei einem Musikstück nicht die
einzelnen Töne wahr, sondern die Melodie, die sich aus
der Komposition der Töne ergibt.
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 901
902 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Priming. Die Darbietung eines Reizes erleichtert die Verarbeitung des nächsten Reizes. Wenn ich zum Beispiel die
Silbe „Blu“ höre, erkenne ich das Wort „Blume“ schneller
als das Wort „Hund“.
Chemie
Interferenztheorie. Diese Theorie bezeichnet das Phänomen, dass Gedächtnisinhalte sich gegenseitig überlagern
können.
Biochemie
Retroaktive Hemmung. Später Gelerntes überlagert das
zuvor Gelernte. Wenn Sie mit dem Lesen hier angekommen sind und nicht mehr wissen, was in aller Welt mit
klassischer Konditionierung gemeint war, dann leiden Sie
unter dem Phänomen der retroaktiven Hemmung.
Proaktive Hemmung. Vorher Gelerntes überlagert später
Gelerntes. Wenn Sie dagegen noch alles über die klassische Konditionierung wissen, aber die operante Konditionierung vergessen haben, so hat bei Ihnen gerade die
proaktive Hemmung stattgefunden.
Störungen des Gedächtnisses
Physik
Physiologie
Psych./Soz.
Eine der bekanntesten Gedächtnisstörungen ist die Amnesie, ein völliger oder partieller Verlust von Gedächtnisinhalten. Eine Amnesie tritt meist nach einer Schädigung
des ZNS auf, z. B. durch Krankheiten oder durch ein Schädelhirntrauma.
Man unterscheidet die retrograde, die anterograde und
die völlige Amnesie.
Der Unterschied der Amnesien bezieht sich auf die Zeit,
die vergessen wurde. Ausgegangen wird immer von dem
Ereignis, das die Amnesie verursacht hat. Wurde die Amnesie beispielsweise durch ein Schädelhirntrauma bei einem Unfall verursacht, so handelt es sich um eine anterograde Amnesie, wenn alles vergessen wird, was nach dem
Unfall neu dazukommt, also alles, was noch vor uns in der
Zukunft liegt. Bei einer retrograden Amnesie ist das vergessen, was zeitlich hinter uns in der Vergangenheit liegt.
Ein Patient mit einer retrograden Amnesie könnte sich
also nicht mehr daran erinnern, wie es zu dem Unfall gekommen ist, es liegt zeitlich schon in der Vergangenheit.
Bei einer totalen Amnesie ist einfach alles vergessen.
Konzeptbildung
Unter Konzeptbildung versteht man in der kognitiven Psychologie die Fähigkeit, einzelne Erfahrungen oder einzelne Gegenstände zu Klassen zusammenzufassen. So gehört
Nachbars Pudel zum übergeordneten Konzept Hund. Diese Fähigkeit ist wichtig, um Sprache und andere kognitive
Fähigkeiten wie Weltwissen zu erwerben.
Schema und Skript. Unser Wissen ist in sogenannten
Schemata und Skripts organisiert. Damit wir wissen,
welches Objekt zu welchem Konzept gehört, müssen wir
dessen Eigenschaften kennen. Dieses Wissen über die Eigenschaften und deren Zuordnung zu einem Konzept ist
in Schemata gespeichert. Ein Schema ist eine Strukturierungsorganisation für das deklarative Gedächtnis.
In einem Skript hingegen werden Handlungsabläufe gespeichert. Dies betrifft also das Wissen, das im prozeduralen Gedächtnis gespeichert ist.
Schemata und Skripte kommen nur bei der Top-DownVerarbeitung von Informationen zum Einsatz.
Intelligenz
Die Intelligenz ist ein hypothetisches Konstrukt. Man
kann Intelligenz nicht direkt beobachten, sondern nur intelligentes Verhalten. Aber auch darüber, welches Verhalten zur Intelligenz gehört, ist man sich in der Psychologie
nicht einig. Daher gibt es verschiedene Intelligenzmodelle. Allgemein kann man sagen, dass die Intelligenz viele
Einzelleistungen einschließt, wie Rechnen, räumliches
Vorstellungsvermögen, Gedächtnisleistungen, logisches
Denken, sprachliche Fertigkeiten.
Als Komponenten der Intelligenz werden grundsätzlich
verbale und rechnerische Fähigkeiten und Fähigkeiten
des Problemlösens (logisches Denken) angesehen. Kreativität ist nach dieser Definition keine Komponente
der Intelligenz.
Intelligenzmaße
Der erste Intelligenztest wurde 1905 von A. Binet entwickelt, der vom französischen Unterrichtsministerium den
Auftrag erhalten hatte, die intellektuellen Fähigkeiten von
Schulkindern zu messen. Diese Messung sollte dann helfen, geistig minder begabte Kinder zu fördern.
Binet konstruierte für jede Altersstufe spezifische Aufgaben. Zunächst erstellte er Testnormen, indem er als Ver-
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Anatomie
Zeigarnikeffekt. Unter Zeigarnikeffekt versteht man die
Tatsache, dass Dinge, die nicht erledigt bzw. abgeschlossen sind, länger im Gedächtnis bleiben und somit leichter
abrufbar sind. Sie lösen auch einen viel stärkeren Handlungszwang aus als erledigte Aufgaben.
Es gibt einige Symptome, die gerne im Zusammenhang
mit dem Gedächtnis abgefragt werden.
Perseveration: ist die Neigung, Tätigkeiten oder Inhalte
unwillkürlich zu wiederholen.
Konfabulation: die Neigung, fehlende Gedächtnisinhalte
durch Phantasie zu ersetzen. Dies geschieht meist unwillkürlich und ist den Betroffenen nicht klar.
Merke
Histologie
Wichtige Gedächtnis-Effekte
Symptome von Gedächtnisstörungen
Merke
Biologie
Menschen über die Welt besitzen. Es ist vergleichbar mit
einer Enzyklopädie. Mathematische Formeln sind beispielsweise im semantischen Gedächtnis gespeichert.
– Im episodischen Gedächtnis werden Erinnerungen an
persönliche Erfahrungen abgelegt. Es ähnelt einer Autobiographie. Hier liegen die Informationen darüber,
wann, wo und in welchem Kontext ein persönliches Ereignis auftrat. Erinnerungen an die erste Liebe gehören
zur eigenen Geschichte und werden im episodischen
Gedächtnis gespeichert.
Spearmans Theorie der Intelligenz. Die Zwei-FaktorenTheorie von Spearman (1904) besagt: Intelligenz ist eine
Gesamtgröße, die man als „generellen Faktor“ (g-Faktor)
bezeichnen kann. Dieser g-Faktor ist nicht direkt zu erfassen, da jede Intelligenzmessung immer nur eine Annäherung an die wahre Intelligenz darstellt. Jeder Test erfasst
zum einen den g-Faktor und darüber hinaus spezielle andere Fertigkeiten. Dieser Einfluss wird von Spearman „sFaktor“ genannt.
Diese Theorie ist sehr plausibel und auf Grund ihrer Einfachheit weit verbreitet. Die Idee eines „generellen Intelligenzfaktors“ bestimmt bis heute die Konstruktion von
Intelligenztests. So lässt sich bei vielen Intelligenztests
ein IQ (Intelligenzquotient) berechnen, der nichts anderes darstellt als der von Spearman postulierte g-Faktor der
Intelligenz.
Im späten Erwachsenenalter fällt die fluide Intelligenz
ab, während die kristalline noch weiter anwachsen
kann.
Intelligenztests
HAWIE/HAWIK (Hamburg-Wechsler-Intelligenztest). Der
HAWI für Kinder und Erwachsene basiert auf dem Generalfaktorenmodell der Intelligenz von Spearman. Er
besteht aus einem Verbalteil, der zum Beispiel Aufgaben
zum Wortschatz, zum rechnerischen Denken oder zum
Allgemeinwissen enthält, und dem Handlungsteil, zu dem
unter anderem ein Mosaiktest, das Figurenlegen oder
auch Bilderordnen gehören. Entsprechend wird als Testergebnis ein Verbal-IQ und ein Handlungs-IQ berechnet,
deren Mittelwert den Gesamt-IQ ergibt.
Der Mittelwert der Probanden liegt beim HAWIE/K bei
100, seine Standardabweichung bei 15 Punkten.
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Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
Intelligenzmodelle
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Die Werte zweier Probanden, für die ein AbweichungsIQ bestimmt wurde, lassen sich nur vergleichen, wenn
sie auf dieselbe Referenzgruppe bezogen sind.
Physiologie
Merke
Abweichungs-IQ. Die aktuelle Art, den IQ zu bestimmen,
wurde 1944 von David Wechsler entwickelt, daher wird
dieser IQ auch Wechsler-IQ genannt.
Der Wert eines einzelnen Probanden wird mit seiner
Normstichprobe verglichen. Dabei liegt der Mittelwert
üblicherweise bei 100 Punkten und die Standardabweichung bei 10 bzw. 15 Punkten. Anhand des AbweichungsIQs kann man sehen, wo sich der Einzelne in Bezug zu seiner Altersgruppe befindet. Ein IQ von 100 bedeutet demnach, dass der Proband eine durchschnittliche Intelligenz
aufweist. Erst wenn er einen Wert erhält, der über bzw.
unter der definierten Standardabweichung liegt, ist die Intelligenz nicht mehr im durchschnittlichen Bereich.
Modell der fluiden und kristallinen Intelligenz von Cattell.
Cattell unterteilte Intelligenz in zwei Faktoren: in die fluide Intelligenz (flüssige Intelligenz) und die kristalline (feste Intelligenz). Diese beiden Faktoren zusammengenommen ergeben den Gesamtfaktor der Intelligenz.
– „Fluide Intelligenz“ (gf): Sie bezeichnet die Fähigkeit,
neue Probleme anzugehen, ohne auf Lernerfahrung
oder Hilfe zurückzugreifen. Die hier gemessenen Fähigkeiten sind vor allem: räumliches Vorstellungsvermögen (figural relations) – Gedächtnis (memory span)
– schlussfolgerndes Denken (induction).
– „Kristalline Intelligenz“ (gc): Hierbei handelt es sich um
erworbenes Wissen und erlernte Fertigkeiten (dies sind
kulturspezifische Elemente). Dieser Faktor ist vor allem
durch Sprachverständnis (verbal comprehension) gekennzeichnet. Er beinhaltet weiterhin die Fähigkeit, Erfahrungen in Wissen umsetzen zu können (experiential
evaluation).
Querschnittsstudien legen die Vermutung nahe, dass die
fluide Intelligenz ihren Höhepunkt mit 14–15 Jahren erreicht, die kristalline dagegen ca. 5 Jahre später.
Psych./Soz.
Klassischer IQ. Später entwickelte W. Stern den sogenannten klassischen Intelligenzquotienten, indem er den Quotienten IA/LA mit 100 multiplizierte, um Brüche zu vermeiden.
Ein 6jähriges Kind zum Beispiel, das die Aufgaben eines
9-jährigen Kindes lösen kann, hat ein Intelligenzalter von
9 und ein Lebensalter von 6: 9/6 x 100 = 150.
Der klassische IQ ist allerdings ungeeignet für Erwachsene, und es ist schwer, Aufgaben zu finden, die tatsächlich
nur von einer Intelligenz-Altersgruppe gelöst werden können.
Mehrfaktoren-Theorie von Thurstone. Im Gegensatz zu
Spearmans Theorie stehen die Ansätze, die behaupten,
dass Intelligenz sich aus mehreren Faktoren zusammensetzt. Thurstone (1931) ging beispielsweise davon aus,
dass es sogenannte Primärfähigkeiten (primary abilities)
gibt. Er postulierte neun dieser Primärfähigkeiten, von
denen die folgenden sieben durch statistische Verfahren
nachgewiesen sind.
– sprachliches Verständnis (verbal comprehension)
– Ausdrucksfähigkeit (word fluency)
– Rechnen (number)
– räumliches Vorstellungsvermögen (space)
– Gedächtnis (memory)
– Wahrnehmungsgeschwindigkeit (perceptual speed)
– schlussfolgerndes Denken (induction, reasoning)
Jede Aufgabe eines Tests (test item) misst mehrere dieser
Faktoren gleichzeitig.
Merke
gleichsdaten die Durchschnittsleistungen von nichtbehinderten Kindern jeder Altersgruppe ermittelte.
Als Maß der Intelligenz setzte er das „Intelligenzalter“ (IA)
ein. Die individuelle Testleistung des zu beurteilenden
Kindes wurde wie folgt ermittelt: Ein Kind, das die Aufgaben für 5-Jährige lösen konnte, hatte demnach, ungeachtet seines Lebensalters, das Intelligenzalter von 5. Dieses
Intelligenzalter setzte er dann in Bezug zum Lebensalter
(LA): IA/LA.
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 903
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
Physiologie
Psych./Soz.
IST (Intelligenz-Struktur-Test). Der IST basiert auf Thurstones Mehrfaktorenmodell der Intelligenz. Er gliedert sich
in einen verbalen, einen figuralen und einen numerischen
Unterteil. Ein Beispiel aus dem verbalen Untertest Satzergänzung: „Das Gegenteil von Hoffnung ist ...?“ (Antwortmöglichkeiten: Trauer, Verzweiflung, Elend, Liebe, Hass).
Ein Beispiel aus dem numerischen Untertest Zahlenreihen: 9 – 7 – 10 – 8 – 11 – 9 – 12 – ?
Zudem lässt sich im IST 2000 (Amthauer, Brocke, Liepmann & Beaucducel, 1999), der aktuellen Version, auch
die Merkfähigkeit als eigener Faktor erfassen. Der Faktor
„Reasoning“, der logisches Denken erfasst, wird als Faktor
zweiter Ordnung aus den verbalen, numerischen und figuralen Faktoren gebildet.
Im Gegensatz zum HAWIE/K ist der IST ein Gruppentest,
der entweder mit Papier und Bleistift oder auch am Computer bearbeitet werden kann. Die Durchführung dauert
ca. 90 Minuten und ist sehr ökonomisch. Der Proband
arbeitet komplett eigenständig, sodass auch die Durchführungsobjektivität nicht durch Interaktionen mit dem
Versuchsleiter beeinträchtigt werden kann. Der IST-2000
weist gute Reliabilitätswerte bezüglich der einzelnen Skalen auf. Besonders wenn es um eine Profilbetrachtung der
Intelligenz geht, bei der verschiedene Faktoren verglichen
werden können, bietet sich die Verwendung dieses Tests
an. Der Mittelwert ist auf 100 normiert, die Standardabweichung liegt bei 10 Punkten.
Der HAWIE/K basiert auf Spearmans Zwei-FaktorenTheorie. Deswegen kann ein allgemeiner IQ berechnet
werden.
Der IST basiert auf Thurstones Modell mehrerer gemeinsamer Faktoren. Der Proband erhält Werte für die
einzelnen Komponenten der Intelligenz (verbal, figural,
numerisch, Merkfähigkeit), aber keinen Gesamt-IQ.
Intelligenz und Leistung
Eine der wichtigsten Gründe zur Intelligenzmessung liegt
in der Vorhersagemöglichkeit für Schulbildung und Berufsausbildung. Man kann mit ziemlicher Sicherheit vorhersagen, dass jemand, der einen hohen Wert in einem
Intelligenztest erzielt, auch eine gute Schulbildung haben
wird. Allerdings unterscheiden sich Leistung und Intelligenz auch voneinander, da es mehrere Faktoren gibt, die
für eine gute Leistung verantwortlich sind, wie die Motivation und das Interesse.
Man spricht von so genannten Underachievern und Overachievern.
– Underachiever: Schulkinder, deren Schulleistung
schlechter ist, als aufgrund ihrer Intelligenz allein zu
erwarten wäre.
– Overachiever: Schulkinder, deren Schulleistung besser
ist, als aufgrund ihrer Intelligenz zu erwarten wäre.
1.4.4
Emotion
Eine Emotion ist ein komplexes Gefühl, eine Befindlichkeit, die häufig als Reaktion auf ein bedeutendes Erlebnis
entsteht. Emotionen sind oft mit bestimmten Kognitionen, physiologischen Reaktionen und spezifischen Verhaltensweisen verbunden.
Es gibt verschiedene Theorien, die das Zustandekommen
und die Wirkweise von Emotionen erklären. Da diese Theorien aus unterschiedlichen psychologischen Denkrichtungen stammen, widersprechen sie sich zum Teil.
Das hypothetische Konstrukt Emotion setzt sich aus vier
Komponenten zusammen:
– Die physiologische Komponente umfasst neuronale, viszerale, hormonelle und muskuläre Veränderungen (z. B.
höhere Muskelspannung, Tachykardie bei Angst).
– Die affektive oder Gefühlskomponente beschreibt das
subjektive Erleben eines Gefühlszustands (z. B. Gefühl
des Bedrohtseins).
– Die kognitive Komponente umfasst die Gedanken zur
Situation, die Interpretation und die Erwartungen (z. B.
den Gedanken, dass man sich in einer ausweglosen Situation befindet).
– Die Verhaltenskomponente ist in Form von mimischem
und gestischem Ausdruck (z. B. typischer Gesichtsausdruck mit aufgerissenen Augen, zusammengepressten
Lippen), aber auch im sonstigen Verhalten (z. B. Zu- versus Abwendung) direkt zu beobachten. Diese Komponente wird von manchen Autoren wiederum in eine Ausdruckskomponente (Gestik, Mimik) und eine motivationale Komponente (Zu- versus Abwendung) unterteilt.
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Biologie
Ein Mittelwert von 100 bedeutet, dass der Durchschnitt
derjenigen, an denen der Test normiert wurde 100 Punkte
erreicht. Eine Standardabweichung von 15 bedeutet, 2/3
aller Menschen liegen zwischen 85 und 115 Punkten (100
- 15 = 85, 100 +15 = 115).
Gelegentlich wird gefragt, wie viele Personen man testen
müsste, um z. B. 100 Probanden zu finden, die einen IQ
von 115 oder mehr haben. Dies ist eine reine Rechenaufgabe. 2/3 aller Probanden liegen innerhalb einer Standardabweichung. Also teilt sich das letzte Drittel die Bereiche
von 85 und darunter und 115 und darüber. Die Hälfte von
1/3 = 1/6. Wenn ich also 100 Probanden finden will, die
mindestens 115 IQ-Punkte haben, muss ich 6 mal so viele
testen. Also 600 Probanden.
Der HAWIE/HAWIK ist ein Einzeltest, bei dem der Versuchsleiter mit dem Probanden interagiert. Um eine hohe Objektivität bei der Durchführung zu garantieren, sind die Instruktionen, die der Versuchsleiter dem Probanden gibt, hoch
standardisiert. Der HAWIE/K ist ein typisches Beispiel für
eine kulturabhängige Messung der Intelligenz. Besonders
bei allgemeinem Wissen und zum Wortschatz zeigt sich,
dass der Test nur bei Probanden sinnvoll eingesetzt werden
kann, die in Deutschland aufgewachsen sind und eine entsprechende Schulbildung haben. Aufgrund der sich verändernden Normen, aber auch weil die sprachlichen Aufgaben
zum Teil veralten, muss ein Intelligenztest immer wieder
revidiert werden. Die momentan aktuelle Version ist der
HAWIE-R (revidierte Form, dt. Version von Tewes, 1991).
In den neueren Auflagen wird der HAWIE nur noch WIE
genannt.
Merke
904 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Emotionstheorien
Diese Theorien beschäftigen sich damit, wie Emotionen
entstehen und widersprechen sich, wie schon erwähnt,
zum Teil.
Kognitive Emotionstheorie von Schachter und Singer
Diese Theorie wird auch Zwei-Faktoren-Theorie der Emotion genannt. Sie besagt, dass
Emotionen aus zwei Faktoren bestehen:
– einer unspezifischen physiologischen Erregung und
– einer kognitiven Bewertung, die vom Kontext abhängig
ist.
Bei dem klassischen Experiment zu dieser Theorie bekamen die Versuchspersonen eine Adrenalininjektion. Dabei
wurde ein Teil der Versuchspersonen darüber aufgeklärt,
dass die Injektion eine anregende Wirkung hat, der an-
Spezifische Emotionen
Angst
Formen der Angst. Angst ist ein extremes Gefühl des Bedrohtseins und kann bis zur Todesangst gehen. Eine Angst,
die objektiv einem Reiz angemessen ist, nennt man RealAngst. Das Gegenteil ist die phobische Angst. Menschen
mit Phobien haben Angst vor Dingen, die objektiv nicht
bedrohlich sind, wie Spinnen, Höhe usw.
Angst gehört zu unserem Erleben und entwickelt sich bereits im Säuglingsalter. Die erste Angst ist die sog. 6-Monats-Angst, die auch Trennungsangst genannt wird. Der
Säugling fürchtet, von den Eltern getrennt zu sein, allein
zu sein. Mit 8 Monaten entwickelt sich die 8-MonatsAngst, das sog. Fremdeln. Das Kind bekommt Angst vor
fremden Leuten.
State versus Trait. Angst kann zu einer Person gehören.
Dieser Mensch ist dann generell ängstlich, besorgt und
vorsichtig. Diese Angst nennt man Trait-Angst (Trait meint
Persönlichkeitseigenschaft). Im Gegensatz dazu steht die
State-Angst. Dies ist ein momentaner Angstzustand, wie
er bei einer drohenden Gefahr auftritt.
Umgang mit Angst. Wir können auf unterschiedliche Weise mit unserer Angst umgehen. Wir können unsere Angst
unterdrücken. Menschen, die so mit ihrer Angst umgehen,
bezeichnet man als Repressor. Sensitizer (Sensitivierer)
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Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Diese Theorie ist eine alte Theorie der Emotion, die aber
sehr populär geworden ist. James und Lange gehen von
einer umgekehrten Betrachtungsweise aus. Hier ist das
Verhalten die Grundlage für die Emotion. „Mir laufen die
Tränen über das Gesicht, also bin ich traurig.“ „Ich sehe
eine Spritze, und meine Hände zittern.“ „Ich fühle Hitze,
also habe ich Angst.“ Die physiologischen Veränderungen
bei der Wahrnehmung eines Reizes bestimmen also die
Qualität der Emotion.
Physik
Facial Action Coding System (FACS). Aufgrund der oben
beschriebenen interkulturellen Übereinstimmung haben
Forscher ein Codierungssystem entwickelt, in dem die an
den einzelnen Emotionen beteiligten Muskelgruppen aufgelistet werden. Das Facial Action Coding System (FACS)
beschreibt die Gesichtsmuskeln, deren Veränderung notwendig ist, damit ein Gesicht als „ärgerlich“ oder „fröhlich“
empfunden wird. Interessanterweise kann man durch das
mimische „Herstellen“ eines Emotionsausdrucks zumindest einen Anflug des dazugehörigen Gefühls wahrnehmen (Facial-Feedback-Hypothese). In Untersuchungen hat
sich sogar gezeigt, dass es dabei zu emotionsspezifischen
Veränderungen des vegetativen Nervensystems kommt.
Diese Ergebnisse belegen, wie eng die verschiedenen
Komponenten der Emotion miteinander in Beziehung stehen. Allerdings ist diese Beziehung nicht linear.
James-Lange-Theorie
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Die primären Emotionen oder auch Basisemotionen sind
kulturell übergreifend gleich. Sie sind durch die Anspannung bzw. Entspannung spezieller Muskelgruppen im Gesicht messbar.
Diese Emotionen sind wahrscheinlich angeboren und
werden nicht durch Nachahmung gelernt.
Diese sind:
– Freude/Glück
– Trauer
– Angst
– Wut/Ärger
– Ekel
– Überraschung
So gehören beispielsweise Depression oder Neid nicht zu
diesen Emotionen. Dies sind gelernte Mischgefühle und
gehören zu den sekundären Emotionen. Sekundäre Emotionen sind alle Emotionen, die angelernt sind.
Physiologie
Primäre und sekundäre Emotionen
dere Teil nicht. Danach mussten die Versuchspersonen
zusammen mit einer weiteren Versuchsperson warten.
Diese weitere Versuchsperson war ein Komplize des Versuchsleiters und mimte einen Teilnehmer, der entweder
aggressiv oder sehr fröhlich war. Anschließend wurden
dann die Emotionen der Versuchspersonen erfragt. Die
Probanden, die nicht aufgeklärt waren, gaben an, dieselbe Stimmung wie der Komplize gehabt zu haben. Bei den
aufgeklärten Probanden konnte dieser Zusammenhang
nicht festgestellt werden. Schachter und Singer konnten so
zeigen, dass beim Erleben einer Emotion zuerst eine unspezifische physiologische Erregung auftritt und wir uns
dann aus der Situation heraus überlegen (Kognition), was
das wohl für ein Gefühl sein könnte. Haben wir bereits
eine plausible Erklärung für die Emotion (z. B. Adrenalin
als anregende „Droge“), findet diese Situationsanalyse
nicht statt. Allerdings lässt sich mit dieser kognitiven Theorie das spontane Erleben einer Emotion nicht erklären:
Manchmal erlebt man Gefühle, für die es keine Erklärung
gibt (z. B. grundlose Traurigkeit).
Psych./Soz.
Auch wenn man die meisten Emotionen an Ihrem Ausdruck erkennen kann, stehen Ausdruck und Gefühlsstärke
nicht in einem linearen Zusammenhang. Man kann also
sehr große Angst haben, dies aber nicht unbedingt zeigen.
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 905
906 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Angststörungen, Phobien
Anatomie
Chemie
Biochemie
Spezifische Phobien. Spezifische Phobien haben einen ganz
klar definierten Auslöser. Häufig sind z. B. Tierphobien
(Angst vor Spinnen oder Hunden), Höhenangst oder Agoraphobie. Mit dem Begriff Agoraphobie wurde ursprünglich
die Angst vor weiten Plätzen bezeichnet. Der Begriff ist aber
irreführend. Denn Agoraphobiker fürchten nicht nur weite Plätze, sondern alle Situationen, aus denen sie schlecht
entkommen können, wenn es notwendig ist. Dies können
weite Plätze sein, denn hier bekäme man im Notfall keine
Hilfe. Aber genauso fürchten sie lange Schlangen in vollen Kaufhäusern, Fahren im vollen Bus, der U-Bahn, lange
Autofahrten und Tunnel, und auch enge Räume. Die Angst
entsteht aus der Sorge, keine Hilfe zu bekommen, wenn ein
Unglück wie z. B. ein Kreislaufzusammenbruch geschieht.
Merke
Histologie
Als Phobie bezeichnet man eine unangemessene Angst,
die zu einem Leidensdruck führt.
Die Angststörungen wurden früher als Neurosen bezeichnet. Dieser Begriff wird in der ICD-10, dem momentan gültigen Diagnosekatalog für Krankheiten, zwar nicht mehr
verwendet, er ist aber dennoch sehr populär. So wird auch
gern von Angst- bzw. Zwangsneurosen gesprochen. Damit
sind immer klinische Ängste gemeint.
Klaustrophobische Menschen haben ausschließlich
Angst vor Enge. Agoraphobische Menschen haben unter anderem Angst vor Enge.
Panikstörung, auch Herz-Angst-Neurose
Physiologie
Psych./Soz.
Merke
Physik
Menschen mit einer Panikstörung fürchten, einen Herzinfarkt zu erleiden. Diese Sorge ist der Grund dafür, dass sie
sehr genau auf ihren Herzschlag achten. Der Herzschlag ändert sich aber häufig, z. B. bei Belastung. Diese Veränderung
wird nun als beginnender Herzinfarkt interpretiert. Das löst
Furcht aus, die wiederum dazu führt, dass das Herz schneller schlägt, was als Beweis für die beginnende Katastrophe
gesehen wird. Diese Angst entsteht plötzlich, wie aus heiterem Himmel. Die starken Angstanfälle verschwinden nach
ca. 20–30 Minuten wieder. Weitere Symptome sind:
starkes Herzrasen, Schwitzen, Atemnot, manchmal Gefühl, verrückt zu werden und Depersonalisation.
Die Panikanfälle treten häufig in Ruhesituationen auf.
Agoraphobie und Panikstörung treten häufig zusammen auf!
negativ bewertet zu werden. Sie fürchten zu versagen, sich
lächerlich zu machen oder durch ungeschicktes Verhalten
gedemütigt zu werden. Typische Situationen sind: vor einer Gruppe zu sprechen, vor den Augen anderer eine Unterschrift zu leisten, in der Öffentlichkeit zu essen oder zu
trinken.
Menschen mit einer sozialen Phobie können nur bestimmte Situationen fürchten, wie das Reden vor Gruppen oder
fast alle sozialen Interaktionen. Alleine, ohne den sozialen
Kontext können diese Menschen wieder die Dinge durchführen, die sie in der Öffentlichkeit nicht tun können.
Zwangsstörung
Ein Zwang besteht häufig aus einem Zwangsgedanken, einem unwiderstehlichen Impuls, etwas tun zu müssen. Die
ausgeführte Handlung (Zwangshandlung) läuft dann nach
einem ganz klaren festgelegten stereotypen Schema ab.
Zwänge sind ungewollt; sie kommen automatisch, ohne
dass man die Situation willentlich beeinflussen kann.
Zwangsgedanken haben häufig aggressive bzw. sexuelle
Inhalte; so fürchten Patienten beispielsweise, jemanden
zu verletzen, wenn sie ihm zu nahe kommen. Dies führt
zu dem Zwang, sich immer genau zu versichern, dass man
nicht versehentlich jemanden berührt und somit gestoßen und verletzt hat.
Zwänge rufen inneren Widerstand hervor; die Betroffenen versuchen zumindest anfangs, sich gegen diesen
Zwang zur Wehr zu setzen. Sie erkennen, dass die Zwangsgedanken und Handlungen aus ihnen selbst kommen und
nicht etwa von außen eingegeben sind, wie es beispielsweise bei schizophrenen Patienten der Fall sein kann. Das
Zwangsverhalten wird als sinnlos oder unsinnig erkannt,
was dazu führt, dass die Betroffenen selten über ihren
Zwang reden.
Lerntheoretischer Erklärungsansatz der Zwangsstörung.
Menschen, die unter einem Zwang leiden, sind in einem
Teufelskreis gefangen. Ein Gedanke löst Angst aus, „Wenn
ich den Herd nicht abgedreht habe, brennt die Wohnung
nieder und auch die Nachbarn verbrennen und müssen
sterben.“ Diese Angst wird durch das Verhalten reduziert,
noch einmal zu kontrollieren. Somit wird die Angst negativ verstärkt (S. 898).
Auch bei anderen Ängsten findet zumindest später ein
Vermeidungslernen statt. Dieses Vermeidungslernen ist
eine negative Verstärkung. Wenn ein agoraphobischer
Mensch nicht ins Kaufhaus geht, dann fühlt er, zumindest
kurzfristig, wie die Angst sinkt. Wenn er dann noch eine
Möglichkeit findet, dennoch an die gewünschte Ware zu
kommen, dann wird er auch in Zukunft das Kaufhaus meiden und die Phobie wird immer stärker.
Psychoanalytischer Erklärungsansatz der Zwangsstörung.
Die Psychoanalyse geht von einem Konflikt in der Person
aus (S. 886). Ebenso wie bei den anderen Ängsten auch.
Soziale Phobie
Posttraumatische Belastungsstörung
Hierbei handelt es sich um eine Angst vor bestimmten
sozialen Situationen, in denen die Betroffenen fürchten,
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um eine Angststörung, die nach einem emo-
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Biologie
sind Menschen, die sich intensiv mit ihrer Angst oder
dem, was die Angst auslöst, beschäftigen. Ein Sensitizer
würde beispielsweise kein Medikament nehmen, ohne
vorher den ganzen Beipackzettel zu lesen, während ein
Repressor einfach jede verschriebene Medikation nehmen
würde.
Aggression
In der Psychologie spricht man immer dann von Aggression, wenn ein Lebewesen, aber auch ein Sachgegenstand
mit Absicht geschädigt wird. Man unterscheidet folgende
Arten von Aggression:
– Autotelische Aggression (Telos, griechisch: Ziel), wenn
die Schädigung selbst das Ziel ist.
– Direkte Aggression, wenn gegen das Objekt vorgegangen wird, auf das sich auch die Aggression richtet.
– Indirekte Aggression, wenn gegen ein Ersatzobjekt vorgegangen wird (die Psychoanalyse spricht hier von Verschiebung).
– Fremd-Aggression: Das aggressive Verhalten richtet sich
gegen jemand anderen.
– Selbst-Aggression: Das aggressive Verhalten richtet sich
gegen die eigene Person.
Aggressionstheorien
Psychoanalytischer Erklärungsansatz der Aggression.
Freud nahm an, dass es nicht nur den Sexualtrieb (Libido)
gibt, sondern auch noch einen Aggressionstrieb, den er Tanatos nannte. Dieser Trieb will zerstören, will vom organischen in den anorganischen Zustand zurückführen. Die
Energie dieses Triebes muss nach außen auf die Umwelt
projiziert werden, damit es nicht zu selbstschädigendem
Verhalten kommt.
Trieb-Instinkt-Theorie. Diese Theorie stammt nicht direkt
aus der Psychologie, sondern aus einer ihrer Nachbardis-
Frustrations-Aggressions-Theorie. Kernaussage dieser
Theorie, die vor allem auf den Psychologen John Dollard
zurückgeht, ist die Annahme, dass auf jede Frustration
eine Aggression folgt. Unter Frustration versteht man die
Störung einer zielgerichteten Handlung, Enttäuschung
und Versagen.
Untersuchungen haben allerdings ergeben, dass Menschen
auf Frustrationen nicht nur mit Aggressionen, sondern
auch mit Zurückgezogenheit oder Depressionen reagieren. Aggression ist also nur eine mögliche Folge von Frustration. Zudem vernachlässigt diese Theorie die Fähigkeit
des Menschen, Frustrationen kognitiv zu bewältigen.
Lernen am Modell. Heutzutage gehen die meisten Psychologen davon aus, dass aggressives Verhalten durch Lernen
am Modell entsteht.
Albert Bandura untersuchte in Experimenten den Erwerb
aggressiven Verhaltens. Kinder, die Erwachsene beim Mal-
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Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Somatoforme Störungen haben viele Unterteilungen.
Gleichgültig, um welche spezifische Unterform es sich
handelt, die Diagnose darf nur gestellt werden, wenn
es keinen ausreichenden körperlichen Befund gibt.
Kritik an den Triebtheorien. Einige Psychologen haben die
Triebtheorien von Freud und Lorenz kritisiert. Sie sind der
Ansicht, dass Triebtheorien das menschliche Verhalten
nicht erklären. Sieht man z. B. eine Schlägerei, so könnte
man schließen, dass die Beteiligten einen Aggressionstrieb haben, den sie ausleben müssen. Wenn nun einer
der bösen Schläger Angst kriegt und wegläuft, so müsste
man einen Angsttrieb annehmen, und wenn ein anderer
aufgibt, einen Unterwerfungstrieb erfinden. So bräuchte man für jedes Verhalten, dem eine Emotion zugrunde
liegt, einen neuen Trieb. Das ist zu kompliziert und nicht
wissenschaftlich.
Lorenz übertrug seine Ergebnisse, die er bei Tieren gemacht hatte, auf die Menschen. Es ist fraglich, ob das so
einfach möglich ist, denn anders als Tiere besitzen wir die
Möglichkeit, unser Verhalten zu reflektieren und notfalls
eine sozial akzeptierte Handlung auszuführen.
Wir können also eine Ersatzhandlung finden.
Und Freud könnte man damit aus dem Feld schlagen, dass
der Tanatos nicht nachgewiesen werden kann.
Physik
Merke
Somatoforme Störungen liegen vor, wenn bei einem Patienten körperliche Symptome ohne ausreichende organische Ursache vorhanden sind. Aus analytischer Sicht
werden psychische Konflikte auf die körperliche Ebene
verschoben. Häufig liegen einer somatoformen Störung
Ängste oder Depressionen zu Grunde. Die somatoformen
Störungen haben viele Unterteilungen.
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Somatoforme Störung
Physiologie
Um die Diagnose einer PTBS stellen zu können, müssen
unbedingt Flashbacks als Symptom auftreten.
ziplinen, der Ethologie (Verhaltensbeobachtung). Einer
der bekanntesten Ethologen ist der Verhaltensforscher
Konrad Lorenz (1903–1989). Seiner Ansicht nach ist die
Aggression ein Instinkt. Ein Instinkt ist eine Abfolge von
Handlungsschritten, wobei jedes Verhalten vom zuvor
gezeigten Verhalten ausgelöst wird. Nur das erste Verhalten braucht also einen Auslöser, der aus der Umwelt
kommt. Damit ein Instinktverhalten gezeigt wird, braucht
es zusätzlich einen inneren Trieb, ein Bedürfnis, dieses
Verhalten auszuführen. Die Energie, also der Trieb des
Aggressions-Instinkts wird ständig neu gebildet. Sie wird
dadurch verbraucht, dass aggressives Verhalten geäußert
wird. Wenn es nun aber in einer friedlichen Umwelt keinen Umweltreiz gibt, der aggressives Verhalten auslösen
könnte, so staut sich diese Energie auf. Irgendwann ist so
viel Energie aufgestaut, dass sie auch ohne auslösenden
Reiz abgebaut werden muss. Wir verhalten uns also aggressiv, obwohl kein Grund vorliegt. Lorenz spricht dann
von einer „Leerlaufhandlung“ (S. 909).
Psych./Soz.
Merke
tional besonders belastenden Erlebnis auftritt. Dies sind
Erlebnisse, in denen die Betroffenen um ihr Leben oder
ihre persönliche Versehrtheit fürchten müssen. Dies sind
Unfälle, Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen. Der häufigste Grund für die Entwicklung einer
PTBS in Deutschland ist sexueller Missbrauch.
Symptome sind: Flashbacks (Wiedererleben der schlimmen Szenen, mit starker Angst, treten plötzlich für Sekunden auf), Gefühl emotionaler Taubheit, Schlafstörungen,
Konzentrationsprobleme.
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 907
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
stand vieler Untersuchungen. Diese Einteilung wird in der
ICD10 nicht mehr aufgeführt, ist aber so bekannt, dass sie
dennoch oft genannt wird.
Es werden zwei große Kategorien der Depression unterschieden:
– die rein depressiven (unipolaren) Störungen, bei der die
Stimmungsstörung ausschließlich depressiver Art ist
– und die bipolaren Störungen, die durch Perioden von
manischer, stark gehobener Stimmung bzw. von Erregungszuständen und durch Perioden depressiver Stimmung gekennzeichnet ist.
Die Angaben zur Häufigkeit schwanken, aber man geht
davon aus, dass zweimal so viele Frauen an Depression
leiden wie Männer.
Trauer
Ursachen
Trauer ist ein angeborenes primäres Gefühl, das nach Trennung oder Verlust von Bindungen auftritt. Evolutionstheoretisch kann man Trauer als psychobiologische Reaktion
zur Aufrechterhaltung von Gruppenbindungen beim Verlust eines Mitglieds beschreiben. Der mimische Ausdruck
der Trauerreaktion hat Aufforderungscharakter für die
Gruppenmitglieder, sich um das trauernde Individuum zu
kümmern. Wie genau das Verhalten des Trauernden aussieht, unterliegt kulturellen Einflüssen.
Allgemeine Symptome der Trauer sind Niedergeschlagenheit, Grübeln, Schlaflosigkeit, Nervosität, Appetitlosigkeit,
sozialer Rückzug, aber auch Konzentrationsstörungen und
Sinnestäuschungen (Halluzinationen) können auftreten.
Die Phasenabfolge beim Trauerprozess wird im Kapitel
„Der Tod, das Sterben und die Trauer“ ausführlich dargestellt (S. 951).
Von pathologischer Trauer spricht man dann, wenn die
geschilderte Trauersymptomatik auch einige Monate nach
dem Verlust nicht zurückgeht, sondern sich in ein dauerhaftes Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit wandelt. Menschen, die aus der akuten Trauerreaktion nicht wieder
herausfinden, bilden eine depressive Symptomatik aus.
Hinzu kommen häufig auch psychosomatische Symptome
und eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten.
Theorie der gelernten (= erlernten) Hilflosigkeit nach Seligman. Seligman ging davon aus, dass wir Hilflosigkeit
lernen, wenn wir die Erfahrung machen, dass wir auf die
Konsequenzen unseres Verhaltens keinen Einfluss haben.
In dem klassischen Experiment wurden Ratten in einen
Käfig gesetzt, den man unter Strom setzen konnte. Wenn
man die Ratten daran hinderte, zu fliehen, so versuchten
sie es später nicht einmal mehr dann, wenn sie dazu in
der Lage waren. Dieses Verhalten nannte Seligman erlernte Hilflosigkeit. Die Symptome der erlernten Hilflosigkeit
sind denen der Depression sehr ähnlich:
– emotionales Defizit (Freudlosigkeit)
– motivationales Defizit (Fehlen zielgerichteter Aktivität)
– kognitives Defizit (verzögertes Lernen von aktivem Vermeidungsverhalten)
– neurobiologische Veränderungen wie bei Depressiven
(Verringerung des Noradrenalingehalts im ZNS).
Physiologie
Depression
Psych./Soz.
Die Depression ist eine Störung des Affekts und wird zu
den sog. affektiven Störungen gezählt. Symptome sind
Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Schuldgefühle, Antriebslosigkeit (auch Unruhe), häufig Schlafstörungen,
Appetitlosigkeit (oder gesteigerter Appetit). Die Symptomatik muss mindestens zwei Wochen vorliegen, um die
Diagnose Depression stellen zu können.
Früher unterteilte man die Störung in endogene (durch
innere Ursachen ausgelöste) und exogene (durch äußere
Faktoren hervorgerufene) Depression. Ob es sich dabei
um zwei unterschiedliche Störungen oder um verschiedene Schweregrade derselben Störung handelt, war Gegen-
Merke
Biologie
trätieren einer Plastikpuppe beobachteten, ahmten während des Experiments häufiger ähnliche aggressive Verhaltensweisen nach als eine Kontrollgruppe, denen man
kein aggressives Modell vorgab (Bandura et al., 1963).
Durch die Beobachtung von Modellen werden aggressive
Verhaltensweisen nachgeahmt und gelernt. Dabei hat sich
gezeigt, dass die Modellpersonen vor allem dann imitiert
werden, wenn sie mit ihren ausgeführten aggressiven Verhaltensweisen Erfolg haben.
„Vor allem Filme, die einen sympathischen Aggressor zeigen (z. B. einen smarten Agenten oder einen gerechten
Rächer, dem früher großes Unrecht zugefügt wurde), der
noch dazu (...) belohnt wird (durch viel Geld, schöne Frauen usw.), reizen zur Nachahmung. Durch die Nachahmung
solcher Modelle kann auch selbstverstärkende Aggression entstehen (z. B. weil man stolz darauf ist, sich so zu
benehmen wie das bewunderte Modell)“. (Hobmaier, H.,
Psychologie).
Unipolare Depressionen treten weitaus häufiger auf als
bipolare Störungen.
Kognitiver Erklärungsansatz von A. Beck zur Entstehung
und Aufrechterhaltung von Depression. Dieser Ansatz ist
so berühmt, weil sich aus ihm eine sehr effektive Therapie zur Behandlung von Depression ableitet, die kognitive
Therapie der Depression (S. 945).
Die kognitiven Ansätze gehen immer davon aus, dass ein
Ereignis an sich keine Bedeutung hat. Wir messen ihm
erst eine Bedeutung bei. Und wenn diese Bedeutung negativ ist, dann ist erst das Ereignis negativ.
Die Grundannahme ist, dass depressive Menschen sich
selbst, die Umwelt und die Zukunft in negativer Weise
bewerten. Diese drei Bewertungen werden kognitive Triade genannt. Durch diese negative Grundhaltung kommen
kognitive Fehler, man könnte auch sagen, Denkfehler zustande:
– Übergeneralisierung: Entstehung einer allgemeinen Regel aufgrund eines oder mehrerer isoliert betrachteter
Vorfälle; die Regel wird unterschiedslos auf ähnliche
oder unähnliche Situationen angewandt.
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908 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Merke
Die Reihenfolge von Triebspannung bis Endhandlung
läuft immer nach demselben Schema ab.
Das Instinktverhalten kann auch durch künstliche
Schlüsselreize – so genannte Attrappen – ausgelöst
werden.
Leerlaufhandlung. Das Jagdverhalten wird nicht nur durch
die fehlende Nahrung motiviert. Das Bedürfnis zu jagen
scheint angeboren zu sein. Es muss von Zeit zu Zeit entladen werden, sonst steigt die Triebenergie immer weiter an. Wenn die Energie sehr groß ist, braucht es keinen
Schlüsselreiz mehr, um den angeborenen Auslösemechanismus zu aktivieren. Die Katze würde dann auch auf andere Schlüsselreize reagieren oder wenn die Energie noch
größer ist, einfach so das Jagdverhalten zeigen. Diese Ins-
Humanistische Motivationstheorie –
Bedürfnishierarchie nach Maslow
Physiologische Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Schlaf
sind dem Menschen angeboren. Man nennt sie primäre
Bedürfnisse. Sie bestimmen weitgehend die Motivation
eines Säuglings. Im Laufe der Entwicklung bilden wir andere Bedürfnisse heraus, die nicht zur biologischen Ausstattung des Menschen gehören, sondern erlernt sind. Sie
werden als sekundäre Bedürfnisse bezeichnet. Das sind
beispielsweise der Wunsch nach Anerkennung, Wertschätzung, Geltung, Macht und Besitz oder das Bedürfnis
nach Kontakt und Geselligkeit.
Ein Bedürfnis ist ein physischer oder psychischer Mangelzustand, z. B. nach Essen und Trinken, Zuwendung
und Liebe.
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Histologie
Anatomie
Für den klassischen Behaviorismus liegen die Gründe
menschlichen Verhaltens in Lernprozessen (S. 878).
Ein bedeutender behavioristischer Motivationsforscher
war Clarke L. Hull. Er nimmt als Quelle der Motivation
ebenfalls innere Triebe an. Die Stärke und Richtung werden jedoch durch Lernparameter bestimmt. Die organismischen Bedürfnisse fließen in einen Trieb zusammen,
der reduziert werden will. Verhaltensweisen, die zur
angenehm erlebten Triebreduktion beitragen, werden
verstärkt und ihre Auftretenswahrscheinlichkeit erhöht.
Durch Lernerfahrungen bilden sich mit der Zeit Gewohnheiten aus, die gemeinsam mit den Anreizen (erwartete
Belohnungen) die Richtung des Verhaltens bestimmen.
Verhaltenssteuernd sind nach Hull also der Trieb, die Gewohnheit und der Anreiz, die – multiplikativ miteinander
verknüpft – das Reaktionspotenzial determinieren.
Um Verhaltensweisen zu erklären, denen keine organismischen Bedürfnisse zugrunde liegen, nahm man an, dass
Triebe auch erworben werden können.
Chemie
Behavioristischer Ansatz
Biochemie
Der ethologische Ansatz nimmt grundsätzlich an, dass
Verhalten durch angeborene Instinkte erklärt wird.
Die Motivation ist hier eine innere Triebspannung, die
durch einen Mangelzustand wie Hunger oder durch ein
starkes Bedürfnis wie Sexualität ausgelöst wird. Diese
Spannung, die auch Appetenz genannt wird, führt zu ungerichtetem Verhalten, dem Appetenzverhalten. So würde ein Glucosemangel bei einer Katze ein Hungergefühl
auslösen. Sie hätte nun die Motivation (Appetenz), nach
Futter zu suchen. Wenn sie etwas entdeckt, das in das
Beuteschema passt (z. B. eine Maus), wird das spezifische
Jagdverhalten, die Instinkthandlung ausgelöst. Die Katze
jagt die Maus. Die Maus ist ein sog. Schlüsselreiz und löst
die Instinkthandlung aus. Dieser Mechanismus wird angeborener Auslösemechanismus genannt. Am Ende, wenn
die Katze die Maus gefangen hat, findet die Endhandlung
statt. Die Maus wird gefressen. Instinkt- und Endhandlung
laufen immer auf dieselbe Weise ab, von ein paar kleinen
Variationen abgesehen, die die Anpassung an die jeweiligen Umweltgegebenheiten mit sich bringen.
Nach dem psychoanalytischen Ansatz wird Verhalten in
erster Linie von innen angetrieben. Äußere Bedingungen
nehmen insofern Einfluss, als sie die ursprünglichen Triebe reglementieren und in sozial verträgliche Bahnen lenken.
Physik
Theorien der Motivation
Ethologischer Ansatz (= Vergleichende
Verhaltensforschung)
Psychoanalytischer Ansatz
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Motivation leitet sich aus dem lateinischen movere (bewegen) ab. Die Motivation ist der Grund dafür, dass wir
überhaupt handeln. Sie ist unser Antrieb, unser Motor. Es
gibt verschiedene psychologische Annahmen zur Entstehung und Auswirkung der Motivation.
Physiologie
Motivation
Übersprungshandlungen. Bei einer Übersprungshandlung
liegen zwei konkurrierende Motive mit nicht vereinbaren
Endhandlungen vor. Da beide Endhandlungen nicht ausgeführt werden können, springt die Energie auf eine dritte
Handlung über.
Z. B. könnte bei einer Prüfung das Bedürfnis aufzustehen
und zu gehen genauso groß sein, wie das Bedürfnis zu
bleiben. Dies führt zu einer dritten Handlung, der Übersprungshandlung, z. B. dem Kopfkratzen.
Psych./Soz.
1.4.5
tinkthandlungen lassen sich auch beim Menschen finden,
wie das Saugverhalten eines Säuglings.
Merke
– Willkürliche Schlussfolgerung: Ziehen von Schlüssen,
obwohl es keine Beweise gibt bzw. obwohl Beweise gegen die Schlussfolgerung sprechen
– Übertreibung (von Schlechtem) und Untertreibung (von
Gutem).
Die kognitiven Prozesse lösen weitere Depressionssymptome aus, und diese neuen Symptome bestätigen die ursprünglichen negativen Kognitionen. Damit etabliert sich
ein rückgekoppeltes System, das die fehlerhaften Kognitionen verstärkt.
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 909
910 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
Kognitiver Ansatz
Physiologie
Ein zentrales Konzept in der Motivationspsychologie ist
die Annahme der antizipierten (im Vorhinein angenommenen) Konsequenzen. Der Mensch kennt meist die Konsequenzen seines Verhaltens, kann sie geistig vorwegnehSelbstverwirklichung
Anerkennung und Wertschätzung
Psych./Soz.
Zuwendung und Liebe
Unabhängigkeit und Sicherheit
Physiologische Bedürfnisse (Hunger, Durst u.a.)
Abb. 1.4 Bedürfnispyramide nach Maslow.
men. Das Wissen um die Konsequenzen bestimmt das
Verhalten. Das Verhalten wird von den Erwartung-x-WertModellen bestimmt. Erwartung-x-Wert-Modelle gehen
davon aus, dass Menschen ihre Handlungsziele mit einer
gewissen Rationalität auswählen: Der Wert eines Ziels
wird mit der Erwartung (Wahrscheinlichkeit), es erreichen zu können, verrechnet.
Es kommt zum Verhalten, wenn das Ziel positiv bewertet
wird und sein Erreichen gleichzeitig realistisch ist.
Primäre und sekundäre Motive
Motive können nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung in
primäre und sekundäre Motive untergliedert werden.
Primäre Motive sind von Geburt an vorhanden. Sie veranlassen den Körper, wichtige Grundbedürfnisse sicherzustellen. Es sind Hunger, Durst, Schlaf, Schmerzfreiheit, also
die physiologischen Bedürfnisse nach Maslow. Die primären Motive, die dazu beitragen, das körpereigene Gleichgewicht (Homöostase) aufrechtzuerhalten, werden auch
homöostatische Motive genannt. Eine Ausnahme unter
den primären Motiven ist das Sexualmotiv. Es ist auch ein
angeborenes Bedürfnis, dient jedoch nicht der Herstellung
eines Gleichgewichts und dem Überleben des einzelnen
Individuums, sondern trägt durch das Sexualverhalten
zum Weiterbestehen der Art bei. Die primären Motive
sind zwar angeboren, werden aber durch die Gesellschaft
geformt, überlagert.
Die Motive, die nicht unmittelbar dem Überleben und der
Erhaltung der Art dienen, sind sekundäre Motive. Dies
sind z. B. Leistung, Anerkennung und Macht. Sie sind möglicherweise gelernt und mit den primären Motiven verknüpft, sodass sie als sekundäre Triebe wirken können.
Da die Lernhypothese aber nicht alle möglichen sekundären Motive erklären kann, gehen andere Forscher von
einem eher genetischen Ansatz aus.
Motivationskonflikte (nach Lewin)
Wir alle kennen das Gefühl, zwischen zwei Alternativen
hin und her gerissen zu sein und uns wie der berühmte Esel zwischen zwei Heuhaufen nicht entscheiden zu
können. Dieses Gefühl spiegelt das Phänomen wider, dass
wir gleichzeitig von zwei verschiedenen Motivationen beherrscht sind und somit in einen Konflikt geraten.
Um die Motivationskonflikte zu verstehen, ist es wichtig,
die Begriffe Appetenz und Aversion zu kennen.
Appetenz meint hier das Bedürfnis zur Annäherung, die
Motivation auf ein Ziel zu. Appetenzverhalten zeigen Tiere
z. B., wenn sie Hunger haben und auf die Suche nach Beute
gehen.
Aversion meint hier Meidung. Wir wollen Dinge vermeiden, die unangenehm sind, Unbehagen oder Schmerz verursachen.
Appetenz-Appetenz-Konflikt ist ein motivationaler Konflikt zwischen zwei angenehmen Alternativen. Beide Anreize sind gleich groß, sodass wir uns nicht entscheiden
können – ins Kino oder in die Kneipe?
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Biologie
Primäre und sekundäre Bedürfnisse treten im späteren
Leben in der Regel gemeinsam auf. Manche von ihnen
wollen allerdings vordringlicher befriedigt werden als andere. So müssen z. B. erst Hunger und Durst hinreichend
gestillt sein, bevor der Wunsch nach Geselligkeit oder
Selbstverwirklichung wichtig erscheint. Auf diese Beobachtung fußt Maslows Theorie, dass die Entwicklung der
menschlichen Bedürfnisse nach ganz bestimmten Gesetzmäßigkeiten und einer festgelegten Reihenfolge abläuft
(Bedürfnispyramide nach Maslow, Abb. 1.4):
Als Erstes entwickeln sich die physiologischen Bedürfnisse: Hunger, Durst, Schlaf, Bewegung, Sexualität. Sie stehen
anfangs im Vordergrund und behalten das gesamte Leben
einer Person hindurch ihre vorrangige Bedeutung.
Später kommt der Wunsch Sicherheit und Unabhängigkeit
dazu. Damit will sich der Mensch vor Gefahren und deren
Folgen schützen. Diese Bedürfnisse lassen sich schon im
Säuglingsalter beobachten.
Das Bedürfnis nach Zuwendung und Liebe beinhaltet den
Wunsch, Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen
und zu erhalten, Freundschaften aufzubauen und akzeptiert zu werden.
Sehr früh schon wird unser Verhalten von dem Bedürfnis
nach Anerkennung bestimmt. Dazu gehört der Wunsch
nach Bestätigung und Ansehen, aber auch der Wunsch
nach Selbstachtung.
Als Letztes entwickelt sich das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Es bezeichnet das beständige Streben eines
Menschen, seine individuellen Anlagen und Fähigkeiten in
allen Persönlichkeitsbereichen optimal zu entfalten.
Die Bedürfnisse an der Basis der Pyramide sind grundlegend für die „höheren“, die sich erst entwickeln, wenn
die Grundbedürfnisse angemessen befriedigt sind. Werden also die physiologischen Bedürfnisse eines Menschen
nicht oder kaum befriedigt, so wird mit größter Wahrscheinlichkeit kein Sicherheitsbedürfnis entstehen; erhält
ein Mensch kaum emotionale Zuwendung oder Anerkennung, so wird er sich nicht selbst verwirklichen wollen.
So ist es möglich, dass Menschen in ihrer Entwicklung gar
nicht bis zur Spitze der Pyramide durchdringen.
Die ersten vier Stufen werden als Defizit-Bedürfnisse bezeichnet. Die letzte Stufe ist das Wachstums-Bedürfnis.
Kausalattributionen von Erfolg und Misserfolg
Menschen schreiben ihren Erfolgen oder Misserfolgen Ursachen zu. Je nach Ursachenzuschreibung können sie dabei Stolz und Freude oder Trauer erleben.
Die drei Dimensionen der Kausalattributionen. Die Ursachenzuschreibung erfolgt nach drei verschiedenen Dimensionen:
– Lokation (locus, lat. = Ort) betrifft den Ort der Ursache.
Liegt er in der Person, so spricht man von internaler Attribution, liegt er außerhalb, von externaler Attributi-
Akteure überschätzen die situativen Einflüsse, Beobachter überschätzen die Personenmerkmale des Handelnden.
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
Die Akteur-Beobachter-Verzerrung. Dieses Phänomen
wird im Zusammenhang mit der Kausalattribution genannt. Bei einer Akteur-Beobachter-Verzerrung bewerten
Personen ein und dieselbe Handlung unterschiedlich, je
nachdem ob sie sie selbst ausführen oder ob sie diese nur
beobachten. Beispielsweise könnte eine Mutter, die sehr
müde ist, bereits auf kleine Anlässe sehr gereizt reagieren.
Dann würde sie in der Akteurrolle external attribuieren,
und ihre Gereiztheit auf die Kinder schieben und sagen,
dass die Kinder ihr auf die Nerven gehen. Wenn dieselbe
Mutter aber völlig entspannt bei einer Freundin säße und
zuschauen würde, wie diese ihre Kinder zurechtweist und
sagt, dass sie ihr auf die Nerven gehen, würde die Mutter
dies internal attribuieren und sagen, die Freundin sei sehr
gereizt.
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Leistungsmotivation beschreibt das Bedürfnis, etwas besser zu machen als andere oder seine eigenen zuvor erbrachten Leistungen zu übertreffen. Leistungsmotivierte
Personen wählen dazu Aufgaben, bei denen sie entweder
Erfolg oder Misserfolg haben, denn nur so können sie eine
Rückmeldung über die eigene Leistung erhalten. Wichtig
ist, dass Leistungsmotivierte nicht einfach fleißiger oder
bemühter sind oder angestrengter arbeiten als weniger
Leistungsmotivierte, sondern dass sie danach streben, besonders effizient zu handeln. Sie versuchen, ein Ziel auf
dem bestmöglichsten Weg zu erreichen. Dies führt dazu,
dass sie Strategien und Wege zum Ziel variieren, um sie
zu optimieren.
Das Leistungsmotiv umfasst die Hoffnung auf Erfolg und
die Furcht vor Misserfolg. Je nachdem, welche der beiden
Komponenten stärker ausgeprägt ist, spricht man von Erfolgsmotivierten (Hoffnung auf Erfolg) oder Misserfolgsmotivierten (Furcht vor Misserfolg):
Erfolgsmotivierte sind zuversichtlich, ein positives Ergebnis zu erzielen und Stolz zu erleben. Sie suchen Leistungssituationen auf, weil sie wissen wollen, wie gut sie sind.
Misserfolgsmotivierte handeln mit dem Ziel, einen Misserfolg und die mit ihm einhergehenden Selbstbewertungsaffekte wie Schuld und Scham zu vermeiden. Würde es nach ihnen gehen, würden sie auf ein realistisches
Feedback ihrer Leistung gänzlich verzichten.
Motivation der Sucht
Das zielgerichtete Verhalten Süchtiger lässt sich lerntheoretisch mit einer Kombination aus negativer und positiver
Verstärkung erklären (S. 898), während ein eher biologischer Ansatz von einem körperlichen Defizitzustand ausgeht, der ausgeglichen werden muss. Allerdings reichen
diese einfachen Betrachtungsweisen nicht aus, um das
komplexe Verhalten zu erklären. Daher geht die WHO von
einem multifaktoriellen Erklärungsmodell der Sucht aus,
das die drei Faktoren Droge (z. B. die Drogenwirkung, das
Abhängigkeitspotenzial), Persönlichkeit des Drogenkonsumenten (seine ganz persönlichen Beweggründe) und
Gesellschaft (sozialer Bezugsrahmen) enthält.
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Physiologie
Leistungsmotivation
Der fundamentale Attributionsfehler. Dieser Begriff bezeichnet die Tendenz, dass wir das Verhalten anderer Personen eher deren Persönlichkeitseigenschaften zuschreiben, während wir unser eigenes Handeln als situativ (aus
der Situation heraus) bezeichnen.
Psych./Soz.
Appetenz-Aversions-Konflikt. Hier sind wir hin und her
gerissen zwischen einem positiven Ereignis und dem
Wissen, dass es eine unerwünschte Nebenwirkung hat. So
kann die Einnahme eines Medikaments zwar Schmerzen
lindern, hat aber dafür andere unangenehme Nebenwirkungen.
Doppelter Appetenz-Aversions-Konflikt = doppelter Ambivalenz-Konflikt
Beide Alternativen haben sowohl gute wie auch schlechte
Seiten. Solch ein Konflikt steckt in der Frage, ob man einen
sehr gut bezahlten Job annehmen, aber dafür in eine kleine unattraktive Stadt ziehen soll, weit ab von Freunden
und Familie oder ob man den schlechter bezahlten Job
nimmt, dafür aber seine sozialen Kontakte sehr gut pflegen kann.
on: Ist die Person für das Ergebnis verantwortlich oder
das Schicksal?
– Stabilität: Diese Attribution betrifft die Zeit. Aufgrund
einer zeitlich stabilen Ursache ist dieses Ergebnis nicht
zufällig entstanden. Es wird auch in Zukunft so auftreten. Labil bedeutet, dass die Ursache zeitlich begrenzt
ist und das Ergebnis nur einmal auftritt.
– Global vs. spezifisch: Diese Dimension beschreibt das
Ausmaß der Ursache: Gilt das Ergebnis für alle Arten
von Tests (global) oder nur für diese Art der Aufgaben
(spezifisch)?
Wenn ein Mensch nun Misserfolge internal stabil und global interpretiert, so wird dies eher eine Depression auslösen. Ein sehr starkes Selbstwertgefühl entwickelt sich,
wenn man Erfolge internal, stabil und global attribuiert
und Misserfolge umgekehrt, also external, labil und spezifisch.
Merke
Aversions-Aversions-Konflikt. Entscheidung zwischen
zwei unangenehmen Alternativen – Zahnschmerzen oder
zum Zahnarzt?
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 911
912 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Persönlichkeit und Verhaltensstile
Biologie
Histologie
Die Persönlichkeitspsychologie will folgende Fragen beantworten:
– Was für ein Mensch ist das? (Eigenschaften der Person
und deren Beziehungen zueinander)
– Wie wurde er zu genau diesem Menschen? (Determinanten der Entwicklung – Wie haben genetische Einflüsse und Umwelteinflüsse sich auf die Entwicklung
ausgewirkt)
– Warum handelt jemand so und nicht anders? (motivationale Aspekte)
Anatomie
Was ist die Persönlichkeit? Eine Persönlichkeit lässt sich
als relativ festes Set von Charaktereigenschaften verstehen. Eine Charaktereigenschaft ist ein überdauerndes
Verhaltenspotenzial, wie z. B. „Schüchternheit“. Jemand,
der eher schüchtern ist, wird häufig etwas länger brauchen, auf eine fremde Person zuzugehen, als jemand, der
„offen“ ist.
(vgl. S. 914)
Theorien der Persönlichkeit
Chemie
Je nach psychologischer Anschauung wurden unterschiedliche Persönlichkeitstheorien entwickelt.
Eigenschaftstheorien der Persönlichkeit
Biochemie
Physik
Die Grundannahme, die allen Eigenschaftstheorien gemeinsam ist, besagt, dass sich die Persönlichkeit als eine
Struktur verschiedener Eigenschaftsdimensionen vorstellen lässt, die als zeitlich und über verschiedene Situationen hinweg stabil (transsituationale Stabilität) angesehen
wird. Diese Eigenschaften beeinflussen jeweils eine ganze
Klasse von konkreten Verhaltensweisen. Das bedeutet,
dass man das Verhalten einer Person aufgrund der Kenntnis ihrer Eigenschaftsausprägungen in verschiedenen Situationen vorhersagen kann. Viele Eigenschaftstheoretiker
gehen davon aus, dass die Grundlagen der Persönlichkeit
eine biologische bzw. genetische Basis haben.
Physiologie
Psych./Soz.
Ideografischer und monothetischer Ansatz. Die Auffassungen über die Persönlichkeitseigenschaften gehen auseinander. Einige Forscher nehmen an, dass jeder Mensch ganz
individuelle Persönlichkeitseigenschaften besitze (ideografischer Ansatz). Die gegenteilige Ansicht geht davon aus,
dass alle Menschen dieselben Eigenschaften aufweisen.
Sie unterscheiden sich lediglich in ihrem Ausprägungsgrad
(monothetischer Ansatz). So ist bei einer Person die Dimension „Schüchternheit“ sehr stark ausgeprägt, bei einer
anderen dagegen nicht, aber beide weisen letztendlich dieselbe Persönlichkeitsdimension („Schüchternheit“) auf.
Der monothetische Ansatz liegt auch den im Folgenden
beschriebenen statistischen Persönlichkeitsmodellen zugrunde.
Statistische Persönlichkeitsmodelle (Dispositionismus)
Anhand empirischer Daten werden Persönlichkeitseigenschaften gewonnen. Dabei ergeben sich je nach Methode
und Untersuchungsplan leicht unterschiedliche Persönlichkeitsmodelle.
Eysencks Dimensionen der Persönlichkeit. Eysenck ging
von dualen Dimensionen aus:
– Extraversion (E) – Introversion (I): Jeder Mensch kann
zwischen diesen Polen eingeordnet werden. Ein eher
extravertierter Mensch ist offen, gesellig, während ein
introvertierter Mensch zurückgezogen und eher kontaktscheu ist.
– Emotionale Stabilität – Emotionale Labilität (= Neurotizismus [N]): Ein Mensch, der emotional stabil ist, regt
sich nicht so schnell auf, lässt sich nicht so leicht aus
der Ruhe bringen. Ein labiler Mensch ist nervös und
angespannt. Ein Mensch, der zu labil ist, ist nach Eysencks Auffassung neurotisch. (Neurose ist die frühere
Bezeichnung für klinische Ängste und Zwänge).
– Psychotizismus (P) – Realismus: Diese Dimension beschreibt das Maß der „Normalität“ vs. psychiatrische
Störung.
Eysenck war es wichtig zu zeigen, dass die Dimensionen untereinander unabhängig sind, d. h. dass eine hohe
Ausprägung auf einer Dimension nicht mit einer hohen
Ausprägung auf einer anderen Dimension korreliert. Dies
konnte er zumindest in Pilotstudien zeigen, weswegen
man heute davon ausgeht, dass die Dimensionen voneinander unabhängig sind.
Er entwickelte einige Persönlichkeitsfragebögen, die auch
ins Deutsche übersetzt wurden, wie das Maudsley-Personality-Inventory (MPI) oder das Eysenck-PersönlichkeitsInventar, die Weiterentwicklung des MPI.
The Big Five (Halverson/Costa & McCrae). Die Autoren
dieses Persönlichkeitsmodells gingen von fünf Persönlichkeitseigenschaften aus, wobei sie z. T. Eysencks Persönlichkeitseigenschaften mit berücksichtigten:
– Verträglichkeit
– Offenheit für Erfahrungen
– Gewissenhaftigkeit
– Extra- versus Introversion
– Labilität versus Stabilität (Neurotizismus)
Die Big Five sind im Gegensatz zu Eysencks Faktoren nicht
vollkommen unkorreliert, sondern weisen zum Teil leicht
positive Zusammenhänge auf.
Ein Persönlichkeits-Fragebogen, der diese fünf Dimensionen erfasst, ist das Neo-Fünf-Faktoren-Inventar von Costa
und McCrae (1992; deutsche Version von Borkenau & Ostendorf, 1993). Dieser Fragebogen ist aufgrund des hohen
Abstraktionsniveaus der Faktoren weniger für die Einzeldiagnostik geeignet. Im Forschungsbereich erfreut es sich
dagegen wegen seiner guten Testgütekriterien und der
hohen Ökonomie großer Beliebtheit.
Persönlichkeitstests eignen sich vor allem zur Bestimmung
des Ausprägnungsgrades von überdauernden Merkmalen
(Persönlichkeitseigenschaften). Ein im deutschsprachigen
Raum häufig verwendeter Test ist das Freiburger Persönlichkeitsinventar revidierte Form (Fahrenberg et al., 1989)
(FPI-r).
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1.4.6
Der Interaktionismus erklärt interindividuelle Unterschiede im Verhalten durch Einflüsse von Personeneigenschaften und der Situation.
Psychodynamisches Modell der Persönlichkeit
Das bereits beschriebene psychodynamische Modell der
Persönlichkeit (S. Freud, S. 884) ist umfangreicher als die
statistischen Persönlichkeitsmodelle. Denn es versucht
zusätzlich zu der momentanen Beschreibung einer Per-
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Anatomie
Histologie
Biologie
Merke
Diese Sichtweise fügt beide beschriebenen Auffassungen
zusammen, ist also eine Kombination aus Dispositionismus und Situationismus: Ihre Freunde werden sich zwar
– je nachdem, ob sie sich auf einer Party oder im Theater
befinden – sehr unterschiedlich verhalten, aber auch zwischen ihnen gibt es Verhaltensunterschiede, die sowohl
in der einen als auch in der anderen Situation vorhanden
sind.
Die Annahme des Zusammenspiels der Eigenschafts- und
Situationsfaktoren hat sich in der Persönlichkeitspsychologie weitestgehend durchgesetzt.
Chemie
Biochemie
Interaktionismus
Physik
Walter Mischel (1977) postulierte eine situationistische
Auffassung der Persönlichkeit: Der Situationismus erklärt
interindividuelle Unterschiede im Verhalten durch die
Einflüsse der Situation.
Das Verhalten eines Individuums wird von den aktuellen
Gegebenheiten der Umgebung bestimmt. Zwar unterscheidet sich das Verhalten verschiedener Individuen in
derselben Situation (interindividuelle Unterschiede), aber
die Unterschiede des Verhaltens eines einzelnen Individuums in verschiedenen Situationen (intraindividuelle
Unterschiede) ist nach Mischels Ansicht viel extremer. Um
diese Argumentationsweise zu verstehen, stellen Sie sich
ihre Freunde einerseits auf einer ausgelassenen Party zu
späterer Stunde, andererseits beim Besuch einer Theatervorstellung oder in der Vorlesung vor. Trotz aller individueller Unterschiede wird der Einfluss der Situation sicherlich das Verhalten jedes Einzelnen stark verändern.
Die Entwicklung der Persönlichkeit nach Freud. Freud teilt
die Entwicklung des Menschen in fünf Phasen ein. Bei seiner Einteilung geht es darum, über welchen Körperteil das
Es seine Triebe befriedigen kann:
– Orale Phase (0–2 Jahre): Die Lust wird vorzugsweise
über den Mund befriedigt; Sättigung, Trost, Beruhigung
und Sicherheit wird durch Nuckeln und Saugen an der
Mutterbrust, an der Flasche, an Schnullern etc. als erste
Lust erfahren.
– Anale Phase (2–4): Die erogene Zone ist zum After gewandert; die Lust wird über das Ausscheiden und Zurückhalten des Kotes befriedigt. In dieser Phase beginnt
die bewusste Trennung zwischen Ich und Du, denn hier
entwickelt sich die Instanz ICH. In dieser Phase stoßen
Regeln und Ge- und Verbote der Eltern auf die Wünsche
und Bedürfnisse des Kindes.
– Phallische Phase (4. –6. Lebensjahr): Das Kind entdeckt
sein Geschlechtsorgan, und die Lust wird über die Neugier und das Erforschen befriedigt. In diesen Zeitabschnitt gehört die ödipale Phase, bei der der Junge die
Mutter und das Mädchen den Vater als Vertreter des anderen Geschlechts wahrnimmt. Der gleichgeschlechtliche Elternteil wird zur Konkurrenz. Dieser „Konkurrenzkampf“ ist für das Kind nur durch den Prozess
der Identifikation zu lösen. Der Junge identifiziert sich
mit dem Vater. So kann der Vater für ihn handeln und
der Mutter nahe sein, so wie der Junge es nicht kann.
Durch diese Identifikation mit dem Vater übernimmt
der Junge auch die Wertvorstellungen und Normen des
Vaters. Somit entsteht am Ende des Ödipuskomplexes
das ÜBERICH.
– Latenzphase (7–12 Jahre): In dieser Phase wird die sexuelle Energie durch kulturelle Handlungen umgesetzt.
Dieser Prozess heißt Sublimierung. So ist beispielsweise das Arbeiten mit Ton eine Sublimierung der analen
Triebenergie.
– Genitale Phase (ca. 12. Lebensjahr): Die erogene Zone
ist zum Geschlechtsorgan gewandert. In der Pubertät
beginnen nun durch hormonelle Veränderungen die
Ausprägungen der primären Geschlechtsmerkmale und
damit auch ein Interesse am anderen Geschlecht.
Nach Freud ist die Entwicklung der Persönlichkeit nach
diesen fünf Phasen abgeschlossen. Der Mensch gilt also
mit dem Erreichen der genitalen Phase als reife Persönlichkeit.
Wurde in einer der Phasen zu viel oder zu wenig Befriedigung erlebt, so kommt es zu einer Fixierung in dieser
Phase. Das ES wird im späteren Leben immer wieder versuchen, den Sexual- oder Aggressionstrieb über die erogene Zone der entsprechenden Phase zu befriedigen. Der
Mensch geht also zeitlich in die jeweilige Phase zurück.
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Situationismus
son auch zu erklären, wie ein Mensch genau zu der Person
wird, die er ist.
Die Unterschiede in der Persönlichkeit zwischen verschiedenen Individuen werden als eine unterschiedliche Dominanz der Instanzen bzw. als ein unterschiedlicher Umgang
mit der Triebenergie verstanden.
Physiologie
Zu vorgegebenen Aussagen kann „stimmt“ oder „stimmt
nicht“ angekreuzt werden. Der Test enthält eine Lügenskala, um zu erfassen, ob die Person sozial erwünscht
antwortet, also so, wie der Testauswerter es hören will.
Der Vorteil am FPI wie auch bei den meisten anderen psychometrischen Persönlichkeitstests ist, dass er objektiv
ist. Nachteilig ist, dass der Test trotz Lügenskala durch die
Jasagetendenz (immer „stimmt“ ankreuzen) oder durch
die Tendenz zur Mitte (gilt eher für Tests, bei denen man
auf einer mehrstufigen Skala antworten muss) verfälscht
werden kann.
Der Test erfasst auch die Persönlichkeitseigenschaften
Extraversion und Emotionalität = Neurotizismus, also Persönlichkeitseigenschaften, die auch Eysenck sowie Costa
& McCrae in den Big Five berücksichtigt haben.
Psych./Soz.
1.4 Theoretische Grundlagen 913
Chemie
Biochemie
Physik
Der behavioristische Ansatz beschäftigt sich damit, wie
die klassische und die operante Konditionierung unser
Erleben, Denken und Verhalten formen. Behavioristische Psychologen gehen davon aus, dass alles Verhalten
erlernt ist und somit auch wieder verlernt werden kann.
Der Mensch kommt als „weißes Blatt“, „Tabula Rasa“ zur
Welt und wird nur durch seine Lernerfahrungen geformt.
Ausschließlich das beobachtbare Verhalten gilt als Gegenstand der Forschung. Nur was beobachtet, gemessen oder
in Daten erfasst werden kann, wird als wissenschaftlich
anerkannt.
Eine ungünstige Persönlichkeitsentwicklung kommt nach
Auffassung der Behavioristen durch ungünstige Lernerfahrungen zustande.
Physiologie
Grundsätzlich hat sich die Auffassung durchgesetzt,
dass Persönlichkeit immer ein Resultat von biologischer Anlage und den Erfahrungen des Individuums
mit der Umwelt ist, wobei beide Faktoren in Interaktion treten.
Persönlichkeitsstörungen
Psych./Soz.
In der Psychologie wird die Persönlichkeit als eine Summe von relativ stabilen Charaktereigenschaften verstanden. Bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen liegen
bestimmte Eigenschaften vor, die sich ungünstig auf ihr
Verhalten und ihre Beziehung zu anderen Menschen auswirken. Diese Eigenschaften betreffen:
– Denkweisen
– Affekte (Emotionen)
– Verhaltensweisen (z. B. schüchternes Verhalten).
Um als Persönlichkeitseigenschaften zu gelten, müssen
solche Merkmale relativ unveränderlich sein.
Patienten, die unter so genannten Persönlichkeitsstörungen leiden, nehmen ihre Erlebens- und Verhaltensweisen
als zu sich selbst zugehörig (ich-syntones Erleben) wahr,
d. h. nicht als „unnormal“ oder fremd. Im Gegensatz dazu
erleben Menschen mit Agoraphobie oder einem Waschzwang diese Verhaltensweisen als etwas Fremdes, das
über sie kommt (ich-dyston), dem sie sich beugen müssen
und das ihr Leben in ungünstiger Weise beeinflusst. Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung erleben also nicht
die Symptome der Störung an sich als problematisch, sondern die Beziehung zu anderen Menschen. Daher schlagen
viele Psychiater vor, Persönlichkeitsstörungen als Beziehungsstörungen anzusehen.
Da Persönlichkeitsstörungen aus der Eigenperspektive in
der Regel nicht als unmittelbar störend, abweichend oder
normverletzend erlebt werden, sind diese bei sich selbst
äußerst schwer zu diagnostizieren. Nur die Außenperspektive der interpersonellen Bezugspersonen oder des Diagnostikers erlaubt die Schlussfolgerung einer „gestörten
Persönlichkeits-Entwicklung“.
Merke
Anatomie
Merke
Histologie
Die Frage, in welcher Phase sich ein Mensch befindet,
lässt sich immer über das Alter beantworten. Auch
wenn die Triebenergie fixiert ist, so durchläuft jeder die
Phasen mit demselben Alter. So befindet sich ein Kind,
das sieben Jahre alt ist, immer in der Latenzphase.
Behavioristischer Ansatz
Merke
Biologie
Dies nennt man Regression. Durch die Fixierung in den
Phasen bilden sich nach Freud unterschiedliche Charaktere aus.
Bei der Fixierung in der oralen Phase entsteht der oraldepressive Charakter. Er ist fordernd, unreif, will, dass andere etwas für ihn tun, ergreift selbst keine Initiative. Am
Ende der oralen Phase entsteht eher der schizoide Charakter. Er zeichnet sich durch ein ambivalentes Verhältnis zu
Mitmenschen aus, das im Wechsel von Kontaktsuche und
Ablehnung besteht.
Durch eine Fixierung in der analen Phase entsteht der
zwanghafte/anale Charakter. Er zeichnet sich durch Geiz,
Pedanterie, Pünktlichkeit, Korrektheit, Kontrolle, ambivalentes Verhältnis zu Autoritäten (Dominanz versus Unterwerfung) aus.
Durch die Fixierung in der phallischen Phase entsteht
der phallische/hysterische Charakter mit einem inneren
Zwang zum Konkurrieren und Leistungsstreben.
Bei Männern werden häufiger Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert als bei Frauen.
Paranoide Persönlichkeitsstörung. Menschen mit dieser
Persönlichkeitsstörung sind misstrauisch und vertrauen
sich anderen nur schwer an. Neutrale Handlungen anderer werden zu feindseligen Handlungen umgedeutet.
Diese Menschen wirken oft streitsüchtig. Sie beharren auf
den eigenen Rechten, sind aber gleichzeitig empfindsam
gegenüber Zurückweisung.
Schizoide Persönlichkeitsstörung. Menschen mit einer
schizoiden Persönlichkeitsstörung sind gleichgültig gegenüber sozialen Beziehungen. Sie haben keine oder nur
sehr wenig enge Freunde, die meisten Unternehmungen
werden allein gemacht. Sie haben eine eingeschränkte
emotionale Erlebnis- und Ausdrucksweise.
Dissoziale Persönlichkeitsstörung. Menschen mit dieser
Persönlichkeitsstörung weisen einen Mangel an Empathie
und Schuldbewusstsein und eine geringe Frustrationstoleranz auf. Sie haben die Neigung, andere Menschen zu
beschuldigen und so vordergründig die eigene Aggression zu rationalisieren. Ebenfalls findet man hier häufig die
Unfähigkeit, aus Bestrafung zu lernen.
Borderline-Persönlichkeitsstörung. Diese Patienten leiden
unter extremen Stimmungsschwankungen. Das Beziehungsleben ist häufig sehr intensiv. Aufgrund der Stimmungsschwankungen kommt es aber möglicherweise
innerhalb einiger Stunden zu Überidealisierung und dann
zur Abwertung des Partners. Häufig sind Suiziddrohungen
oder Suizidversuche bei Trennungen oder generell, um
das Gefühl des Alleinseins zu verhindern. Ähnlich ist ein
Verlust der Impulskontrolle, was häufig zu selbstschädigendem Verhalten führt.
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914 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Dependente Persönlichkeitsstörung. Menschen mit dieser
Persönlichkeitsstörung haben sehr große Angst vor dem
Verlassenwerden oder dem Alleinsein. Daher ordnen sie
sich dem Partner meist vollkommen unter. Die Verantwortung wird an andere abgegeben, es fällt ihnen schwer,
alltägliche Entscheidungen zu treffen.
Verhaltensstile
Feldabhängigkeit und die Feldunabhängigkeit. Das von
Witkin et al. (1954, 1972) entwickelte Konstrukt der
Feldabhängigkeit versus Feldunabhängigkeit beschreibt
das Ausmaß, in dem ein Individuum unabhängig von den
Einflüssen der Außenwelt („Feld“) handelt. Menschen, die
eine starke Unabhängigkeit von Umweltreizen aufweisen,
werden als feldunabhängig bezeichnet. Statt sich nach
Umweltinformationen zu richten, orientieren sie ihr Verhalten mehr an einem internen Maßstab. Das andere Extrem bilden feldabhängige Individuen, die ihr Verhalten
direkt an den Anforderungen der Umwelt ausrichten.
Typ-A-Verhalten und Typ-B-Verhalten. Diese Verhaltensstile wurden im Zusammenhang mit einem Risiko für
Koronarerkrankungen gefunden. Während ein Typ-A-Verhalten eher zu Koronarerkrankungen führt, kann ein TypB-Verhalten eher als Profilachse angesehen werden.
Eine Person mit ausgeprägtem Typ-A-Verhalten (koronargefährdendes Verhalten) steht unter ständigem Leistungsdruck, ist ehrgeizig (hohe Leistungsnorm), übernimmt
gerne Verantwortung und zeigt große Bereitschaft zum
vollen Einsatz bis zur völligen Verausgabung. Sie hat ein
hohes Kontrollbedürfnis, sodass es ihr schwerfällt, Verantwortung zu delegieren. Hinzu kommt ein selbstgesetzter
Zeitdruck und ein hohes Maß an Ungeduld, das sich unter anderem in einer hastigen Sprechweise zeigen kann.
Klappt etwas nicht nach Wunsch, reagiert die Typ-A-Persönlichkeit sehr irritiert und ärgerlich. Im emotionalen
Bereich zeichnet sich das Typ-A-Verhalten durch ein hohes
Potenzial an Feindseligkeit aus. Diese stressfördernde Verhaltensweisen gehen mit einer Vernachlässigung gesundheitserhaltender Aktivitäten einher, die aus Zeitmangel
oder gering eingeschätzter Wichtigkeit unterbleiben.
Personen mit einem Typ-B-Verhalten zeichnen sich durch
Ruhebedürftigkeit und aktive Suche nach Erholung aus.
Sie entspannen sich in ihrer Freizeit und haben zufriedenstellende soziale Beziehungen.
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Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Konzept der Kontrollüberzeugung (Locus of Control). Das
von Rotter (1966) entwickelte Konzept der Kontrollüberzeugung hat Ähnlichkeiten mit der Attributionstheorie
und der erlernten Hilflosigkeit. Es beschreibt, inwiefern
jemand annimmt, die Konsequenzen seines Handelns
selbst beeinflussen zu können. Ein hohes Ausmaß an Kontrollüberzeugung (auch interner/internaler Locus of Control) kennzeichnet Menschen, die davon ausgehen, dass ihr
eigenes Verhalten entscheidend für die Ereignisse ihres
Lebens ist. Bei geringer Kontrollüberzeugung (auch externer/externaler Locus of Control) nimmt man an, dass die
Ereignisse des eigenen Lebens von außen (anderen Personen, dem Schicksal etc.) bestimmt werden. Der Einfluss
des eigenen Verhaltens auf die Gestaltung der Zukunft
wird als gering eingeschätzt.
Die Kontrollüberzeugung hat eine hohe klinische Relevanz.
Physik
Selbstunsichere-vermeidende Persönlichkeitsstörung. Bei
diesen Menschen liegt ein angstbetonter Lebensstil vor. Es
kommt zu einer chronischen Vermeidung von Aktivitäten,
die als bedrohlich eingeschätzt werden. Dies können sowohl soziale Kontakte wie auch andere Aktivitäten sein. Sie
gehen nur enge Beziehungen ein, wenn sie sichergestellt haben, dass sie akzeptiert werden. Da man sich darüber aber
nie wirklich sicher sein kann, kommt es fast zu gar keinen
engen Beziehungen. Gefühle von Minderwertigkeit und
Unsicherheit, Befangenheit, Besorgtheit und Anspannung
sind die Regel. Auf Kritik reagieren sie meist mit Rückzug.
Verhaltensstile wie die Attributionsstile haben einen Einfluss auf den Umgang mit eigenen Krankheiten und somit
auch auf den Gesundungsprozess.
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Zwanghafte Persönlichkeitsstörung. Bei dieser Störung
leiden die Menschen an einem extremen Perfektionismus,
einer Gewissenhaftigkeit, die als „Halsstarrigkeit“ ausgelegt werden kann. Sie fürchten, einen Fehler zu machen,
was zu ständiger Kontrolle und Sorgfalt führt.
Zusammenhang zwischen Verhaltensstilen und
Krankheit.
Physiologie
Histrionische Persönlichkeitsstörung. Histrionisch kommt
aus dem Altgriechischen und bedeutet Schauspieler. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung haben einen
übertriebenen Emotionsausdruck, die Ereignisse um die
eigene Person werden dramatisiert. Häufig liegt theatralisches Handeln oder ein übertriebener Sprachstil mit
„Imponiergehabe“ vor. Sie verlangen nach aufregenden
Aktivitäten, bei denen sie selbst im Mittelpunkt stehen.
Ebenso verlangen sie ständig Lob und Anerkennung. Sie
sind auffällig egozentrisch. Hier kann man sich eher eine
„schrille“ auffällig gekleidete Person vorstellen, der immer
etwas Dramatisches passiert.
Sensation Seeking. Marvin Zuckerman (1979) entwickelte
auf der Basis von Deprivationsstudien das Konstrukt des
Sensation Seekings. Sensation Seeker sind Menschen, die
eine geringere Stimulierung durch Umweltreize erleben
als andere Menschen. Diese geringere Stimulation versuchen sie durch aufregende Ereignisse auszugleichen. Diese Ereignisse sollen der Theorie zufolge zu einer stärkeren
Stimulation führen.
Psych./Soz.
Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Die vorherrschenden
Merkmale sind Ideen von Großartigkeit der eigenen Person,
ein übertriebenes Selbstgefühl; ständige Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Schönheit und idealer Liebe. Diese Menschen reagieren überempfindlich auf Kritik, nutzen
ihre Beziehungen für ihre eigenen Ziele aus. Ebenfalls fordern sie ständig Aufmerksamkeit und Bewunderung. Übertrieben dargestellt könnte es eine Herrscher-Persönlichkeit
sein, die keine anderen Meinungen als die eigene zulässt.
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 915
916 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Biologie
Histologie
Das Selbstkonzept beinhaltet stabile Annahmen über die
eigene Person, eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sie
werden aus Erfahrungen abgeleitet. Dies sind beispielsweise Erfahrungen mit anderen oder Situationen, in denen das eigene Handeln zu erwünschten und auch unerwünschten Konsequenzen geführt hat. Menschen streben
danach, sich im Einklang mit ihrem Selbstkonzept zu befinden. Wenn dies nicht der Fall ist, so erzeugt dies intrapsychische Spannungen.
1.4.7 Entwicklung und primäre Sozialisation
Wichtige Begriffe und Methoden der
Entwicklungspsychologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Entwicklung. Entwicklung beschreibt die Veränderungen
des Organismus. Man unterscheidet die Ontogenese, die
die individuelle Entwicklung eines Organismus vom Keim
bis zum ausgewachsenen Individuum beschreibt, und die
Phylogenese, die die Entfaltung der Arten behandelt. In
diesem Kapitel geht es ausschließlich um den ontogenetischen Entwicklungsbegriff.
Entwicklung ist ein fortschreitender Prozess – eine Reise
von der Zeugung bis zum Tod. Die Psychologie beschäftigt
sich damit, wie und warum sich unser Denken, Lernen, unsere Emotionen und unser Verhalten im Laufe unseres Lebens verändern. Jeder Mensch muss zu unterschiedlichen
Zeitabschnitten bestimmte Herausforderungen des Lebens
bewältigen. Es beginnt mit dem Laufen und Sprechenlernen, geht über die Pubertät, den Einstieg ins Berufsleben,
der Gründung einer Familie bis hin zu den Aufgaben, die
das Altwerden stellt, wie Ausscheiden aus dem Arbeitsalltag, verminderte körperliche Leistungsfähigkeit, Krankheit
und letztlich die Vorbereitung auf Sterben und Tod.
Physik
Physiologie
Sozialisation. Die Sozialisation beschreibt die lebenslangen Veränderungen, die im Zusammenhang mit sozialen
Erfahrungen stehen. Hier geht es um Lernprozesse, bei
denen das Individuum sich soziale Fähig- und Fertigkeiten, Norm- und Wertvorstellungen aneignet. Sozialisation
wird auch als „Vergesellschaftung der menschlichen Natur“ umschrieben. Das Individuum wächst in die menschliche Gesellschaft (Sozietät) hinein und wird zu einer gesellschaftlich handlungsfähigen Persönlichkeit.
Die primäre Sozialisation (ca. 0–3 Jahre) beschreibt die
Interaktion mit der Kernfamilie. Die sekundäre SozialisaTabelle 1.4
tion (ab ca. 3 Jahren) bezieht sich auf die Freunde, Peers,
Schule oder Beruf.
Reifung (Maturation) und Lernen. Reifung ist ein biologischer Prozess. Es handelt sich um genetisch gesteuerte
Prozesse. Reifungsprozesse treten bei allen Menschen kulturunabhängig etwa zum selben Zeitpunkt auf. Das ist bei
Lernprozessen nicht der Fall.
Lernen ist eine relativ stabile Verhaltensänderung, die
durch Üben erworben wird.
Vorgeburtliche Risiken
Trotz Verhütungsmitteln wurden in der Bundesrepublik in
den 80er Jahren nur etwa 5 % der Kinder bewusst geplant,
ca. ein weiteres Drittel bis die Hälfte ist zwar nicht direkt
geplant, aber durchaus erwünscht. Die häufigste Begründung für Schwangerschaftsabbrüche ist eine „schwere
soziale Notlage“ (80 %), dagegen werden Chromosomenfehler des Kindes nur in zwei bis drei Prozent der Fälle als
Begründung angegeben.
Etwa drei Prozent der Kinder kommen mit Missbildungen der Gliedmaßen oder Organe auf die Welt. Eindeutige Ursachen lassen sich nur schwer ermitteln. Ein Teil
lässt sich jedoch mit gewisser Sicherheit auf bestimmte
Medikamente, Drogen oder Infektionen bei der Mutter
während der Schwangerschaft zurückführen (Anatomie,
S. 145).
Emotionale Entwicklung und Bindungsverhalten
In Tab. 1.4 werden die Meilensteine der emotionalen Entwicklung dargestellt.
Bindungstheorie
Die Bindungstheorie (Attachment Theory) wurde maßgeblich von dem Analytiker John Bowlby und später von
Mary Ainsworth entwickelt.
Sie besagt, dass die Sozialisation des Kindes mit dem Aufbau einer engen Beziehung zur Bezugsperson beginnt. Üblicherweise ist dies die Mutter. Der Grund ist ein angeborenes Bedürfnis nach gegenseitiger Nähe bei Mutter und
Kind. Um diese Bindung aufzubauen, muss das Kind in
der sensiblen Phase während des ersten Lebensjahres in
engem Kontakt mit der Bezugsperson stehen. Die Bezugsperson sollte die Signale des Kindes verstehen können und
seine Bedürfnisse von Hunger, Durst, Zuwendung usw. be-
Meilensteine der emotionalen Entwicklung
Psych./Soz.
Alter
Verhalten
Emotion
6–8 Wochen
soziales Lächeln
besonders auf menschliche Stimmen und Gesichter
ca. 4 Monate
Lachen
Herzhaftes Lachen zeigt sich erst in diesem Stadium auf plötzliche nicht furchterregende Ereignisse.
6–8 Monate
Fremdeln
Das Kind zeigt Furcht vor Fremden, kann sich bis zum 12. Monat noch steigern,
nimmt dann wieder ab.
1,5–3 Jahre
Bildung des Selbstkonzepts
Das Kind kann selbstbezogene Gefühle von Stolz und Scham unterscheiden.
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Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
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Selbstkonzept
Hospitalismus. Bei fehlender emotionaler Bindung und
sensorischer Deprivation tritt bei Kindern eine Störung
auf, die als Hospitalismus (auch anaklitische Depression)
bezeichnet wird, weil sie vorwiegend in Heimen und Spitälern beobachtet wurde. Er wird in drei Phasen eingeteilt:
– 1. Phase: Unruhe und lauter Protest bei der Trennung
von der Bezugsperson.
– 2. Phase: Resignation (oberflächlich wirkt das Kind, als
hätte es sich an die veränderte Situation gewöhnt).
– 3. Phase: Verzweiflung und Ausbildung depressiver Symptome (das Kind zieht sich von der Außenwelt zurück,
reagiert nicht auf Ansprache, zeigt körperliche Verfallserscheinungen, die im schlimmsten Fall zum Tod führen).
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Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
Assimilation und Akkommodation. Die Regeln und Gesetzmäßigkeiten der Welt werden nach Ansicht Piagets
durch zwei geistige Prozesse erworben, die gleichzeitig
ablaufen: Assimilation und Akkommodation.
Assimilation: Ein Mensch nimmt neue Informationen auf
und verändert sie dabei so, dass sie sich in das bereits bestehende Weltbild fügen. Er passt somit die Umwelt seinen
bereits existierenden kognitiven Schemata an. Der Prozess
der Assimilation bewahrt und erweitert das Bestehende
und verbindet so die Gegenwart mit der Vergangenheit:
Das kleine Mädchen, das jetzt über Vierbeiner bestens Bescheid weiß, zeigt auf einen Pudel und sagt stolz: „Wauwau!“ Recht hat sie damit. Sie hat gelernt, dass Hunde
unterschiedlich aussehen können.
Sie hat den neuen Eindruck, Pudel, ihrem Schema angepasst, hat ihn in ihr Weltbild assimiliert.
Akkommodation: Beim Prozess der Akkommodation passt
der Mensch sein Weltbild an die Realität an. Dies geschieht
immer dann, wenn die Umwelt nicht mehr zu dem passt,
was der Mensch weiß oder denkt. Er gerät in einen Ungleichgewichtszustand, die neuen Informationen können
nicht mehr mit den vorhandenen Schemata eingeordnet
werden: Beim Sonntagsspaziergang sieht das kleine Mädchen eine Kuh, wieder ein Tier mit Fell und vier Beinen.
Also ein Wauwau. „Nein“, erklärt die Mama, „das ist eine
Muhkuh.“ Aha, da hat sich also etwas geändert! Sie muss
ihr Schema anpassen. Sie weiß nun, dass nur kleine Vierbeiner Wauwaus sind, große dagegen Muhkuh heißen.
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Alle geistigen Leistungen (Denken, Wahrnehmen und Probleme lösen) werden in der Psychologie mit dem Begriff
Kognitionen zusammengefasst (cognitio lat. = Erkenntnis). Der Schweizer Psychologe Jean Piaget (1896–1980)
befasste sich damit, wie sich die geistigen Leistungen bei
Kindern entwickeln.
Nach ihm haben Lebewesen die Fähigkeit, Informationen
aus der Umwelt zu strukturieren, Ganzheiten zu bilden, zu
ordnen und zu systematisieren und so Beziehungen zwischen dem Ganzen und seinen Teilen herzustellen. Die Einordnung und Verarbeitung dieser Informationen geschieht
über sog. kognitive Schemata (Sichtweisen über die Welt).
Beispielsweise sieht ein kleines Mädchen auf der Straße einen Dackel. „Das ist ein Wauwau!“, erklärt ihm die
Mama. Es bildet nun ein kognitives Schema, nämlich dass
so ein Tier mit vier Beinen und einem Fell ein Wauwau
ist. Das Mädchen verfügt bereits über einige andere dieser Schemata oder Weltbilder, so zum Beispiel: Mit dem
Becher auf den Tisch hauen macht Bum-bum. – Auf die
heiße Herdplatte fassen macht Aua! – Zweibeinige Tiere
mit Federn heißen Piep-piep.
Histologie
Kognitive Entwicklung nach Piaget
Physiologie
Bindung und späteres Verhalten. Die Bindung scheint einen Einfluss auf das spätere soziale Verhalten zu haben.
Sicher gebundene Kinder zeigen ein größeres Vertrauen
in die eigenen Fähigkeiten. So explorieren sie ihre Umgebung schneller und haben eine längere Ausdauer und höhere Frustrationstoleranz bei Aufgaben. Sie weinen seltener, wenn ihnen etwas nicht gelingt und werden seltener
ärgerlich.
Bei einer monatelangen Trennung kommt es zu Verhaltensauffälligkeiten, wie Nägel-Beißen, depressive Symptome,
Überängstlichkeit. Es können irreversible Langzeitschäden wie eine geistige Retardierung verursacht werden.
Ein hohes Risiko besteht, wenn die Kinder zwischen dem
6. bis 11. Monat von der Bezugsperson getrennt werden.
Psych./Soz.
friedigen. Die Bindung wird ca. ab dem 8. Monat sichtbar,
wenn das Kind beginnt, Trennungsangst zu zeigen, wenn
es von der primären Bezugsperson getrennt wird.
Wenn die Kinder etwa zwei Jahre alt sind, kann die Qualität der Bindung mit dem Fremde-Situations-Test erhoben
werden. Bei diesem Test verlässt die Mutter (primäre Bezugsperson) den Raum und kommt nach einiger Zeit wieder. Währenddessen wird das Verhalten des Kindes beobachtet und in die folgenden Kategorien eingeordnet.
– Sicher gebunden: Die Kinder suchen sofort Kontakt mit
der Mutter, wenn sie wiederkommt, – unabhängig davon, wie aufgeregt die Kinder beim Fortgehen der Mutter waren. Einigen reicht es aus, die Mutter aus der Entfernung zu sehen und sich weiter mit ihren Spielsachen
zu beschäftigen. Andere suchen Körperkontakt mit ihr,
andere weichen nicht mehr von ihrer Seite. Wenn die
Mutter nicht da ist und die sicher gebundenen Kinder
beunruhigt sind, dann können fremde Personen sie
kaum trösten.
– Unsicher gebunden, vermeidend: Diese Kinder vermeiden bei der Rückkehr der Mutter den Kontakt mit ihr.
Einige ignorieren sie völlig, andere zeigen ein gemischtes Verhalten. Wenn die Mutter nicht da ist und sie beunruhigt sind, dann können sie von Fremden ebenso
beruhigt werden wie von der Mutter.
– Unsicher gebunden, ambivalent: Diese Kinder suchen
den Kontakt und sträuben sich gleichzeitig dagegen. So
weinen die Kinder, weil sie hoch gehoben werden wollen, und schreien dann, weil sie wollen, dass die Mutter
sie wieder absetzt.
Später wurde noch eine vierte Gruppe eingeführt.
– Desorganisiert: Die Kinder wirken bei der Wiederkehr
der Mutter desorganisiert. Sie schreien plötzlich los,
nachdem es den Anschein hatte, dass sie sich schon
wieder beruhigt hatten, oder sie kommen auf die Mutter zu, um dann wegzusehen.
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 917
918 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Anatomie
Chemie
Fünf Stufen der Entwicklung
Biochemie
Piagets Beobachtungen an Kindern ließen ihn annehmen,
dass die kognitive Entwicklung eine Abfolge von fünf Stufen durchlaufen muss. Die Geschwindigkeit, mit der sich
diese Entwicklung vollzieht, kann jedoch von Kind zu
Kind unterschiedlich sein. Auf jeder Stufe werden unterschiedliche Fähigkeiten erworben:
Physik
Physiologie
Psych./Soz.
Sensomotorische Stufe (Geburt bis 2 Jahre).
– Erwerb der Fähigkeit, angepasst zu reagieren: Während
des ersten Jahres werden die sensomotorischen Fähigkeiten verfeinert und immer umfangreicher, denn das
Kind erkundet ständig neue Aspekte seiner Umwelt. Der
Säugling erkennt, dass er seine Umwelt beeinflussen
kann, dass seine Handlungen Wirkung zeigen. (Wenn er
z. B. die Rassel schüttelt, erklingt ein Geräusch.)
– Objektpermanenz: Bereits kurz nach der Geburt folgt
der Säugling einem Spielzeug mit den Augen. Nimmt
man es aus seinem Gesichtskreis heraus, existiert es
für ihn nicht mehr. Nach etwa drei Monaten betrachtet
er die Stelle, an der das Spielzeug aus seinem Blickfeld
entfernt wurde. Er hat gelernt, dass das Spielzeug nicht
einfach verschwunden ist. Im Alter zwischen 4–8 Monaten erwartet der Säugling, dass das verschwundene
Spielzeug wieder auftaucht. Später (8–18 Monaten)
sucht der Säugling selbst danach. Ab einem Alter von
ca. zwei Jahren dreht er das Versteckspiel sogar um und
versteckt nun seinerseits den Gegenstand.
Stufe des vorbegrifflichen Denkens (2–4 Jahre).
– Animalisches Denken: Für die Kinder sind zu Beginn
dieser Entwicklungsstufe viele Dinge belebt (anima lat.
Stufe des anschaulichen Denkens (4–6 Jahre).
– Zu Beginn dieser Stufe glaubt das Kind, was es sieht.
– Erkenntnis qualitativer Invarianzen: Dinge bleiben die
gleichen, obwohl sie manchmal anders aussehen mögen. Das Kind erkennt einen Hund, egal ob es ihn von
vorn oder hinten sieht, ob er schwarz, braun oder gefleckt ist, langes bzw. kurzes Fell hat. Die Katze dagegen
und das Meerschwein kann es vom Hund sehr wohl unterscheiden.
Die Stufen des vorbegrifflichen und des anschaulichen
Denkens werden manchmal als eine Stufe beschrieben. Diese Stufe heißt dann präoperationale Stufe
und geht vom 2. bis zum 7. Jahr.
Stufe der konkreten Denkoperationen (7–11 Jahre).
– Erkenntnis quantitativer Invarianzen: Während dieser
Zeit lernt das Kind, mehrere Dimensionen ins Verhältnis
zu setzen. Anfangs können Kinder beispielsweise noch
nicht Höhe und Menge in einen richtigen Zusammenhang bringen. Dies wurde mit dem Becherglas-Versuch
von Piaget belegt (auch als Umschüttaufgabe bekannt).
Schüttet man Flüssigkeit aus einem hohen Glas in ein
flaches, breites, so behauptet das Kind, die Flüssigkeit
sei jetzt weniger geworden.
– Logisches Denken zur Lösung konkreter Probleme: Kinder verwenden zwar mittlerweile abstrakte Begriffe,
das logische Denken jedoch ist noch immer auf konkrete Dinge gerichtet, zu denen sie einen unmittelbaren
sensorischen Zugang haben.
Stufe der formalen Operationen (von 11 Jahren an).
Logische Denkoperationen sind nicht mehr an konkrete
Probleme gebunden: Das logische Denken ist abstrakt.
Die Kinder bzw. Jugendlichen können Aufgaben wie „Was
wäre, wenn...“ diskutieren, ohne dass die Probleme anschaulich sind. Abstrakte Theorien können erstellt und
auch durch abstrakte Beweisführung überprüft werden.
Entwicklung der Sprache (Tab. 1.5)
Das Erlernen der Sprache ist eine große kognitive Leistung.
Da es den Kindern so leichtfällt, wird davon ausgegangen,
dass die Fähigkeit, eine Sprache zu lernen, angeboren ist.
Die Eltern führen die Kinder früh in den Gebrauch der
Sprache ein, weil sie sich mit ihnen in sog. Protodialogen
unterhalten (elementarsten Formen von Dialogen). Dabei
akzeptieren die Eltern alles, was der Säugling äußert, als
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Histologie
Äquilibrationsprinzip. Assimilation und Akkomodation
unterliegen einem allgemeinen Entwicklungsprinzip, dem
Äquilibrationsprinzip (lat. aequilibrium = Gleichgewicht).
Dieses Prinzip besagt, dass der Mensch immer ein Gleichgewicht anstrebt zwischen seinen Sichtweisen über die
Welt auf der einen Seite und den tatsächlichen Gegebenheiten auf der anderen. Das heißt, die Welt sollte auch dem
entsprechen, wie der Betreffende sie sieht. In einer unbekannten Situation wird er als Erstes versuchen, die neuen
Gegebenheiten an bereits bekannte Lösungsmöglichkeiten
anzupassen. Kann die Situation so aber nicht bewältigt
werden, entsteht ein Ungleichgewicht. Die Lösungsmöglichkeiten müssen verändert oder erneuert werden. Durch
das Wechselspiel der Prozesse Assimilation und Akkommodation wird das Gleichgewicht wieder hergestellt: Das
kleine Mädchen konnte mit seinen vorhandenen Schemata
die neue Situation nicht bewältigen. Es kam zu einem Ungleichgewicht. Mit der Veränderung des Schemas zu „alle
großen Vierbeiner sind nicht Wauwau, sondern Muhkuh“
kam es gleichzeitig zu einem neuen Assimilationsvorgang,
der spätestens beim Anblick des Pferdes den nächsten Akkommodationsprozess erforderlich machen wird.
= Seele). So ist der Wind böse oder gut. Die Sonne geht
abends schlafen, und wenn es regnet, kommt sie nicht
raus, weil sie sonst nass wird.
– Egozentrismus: Das Kind kann noch nicht die Perspektive einer anderen Person einnehmen. Diese Hypothese wurde mit dem so genannten Drei-Berge-Versuch
von Piaget untersucht. Piaget stellte das Kind auf einen
künstlichen Hügel. Er setzte einen Teddybär auf einen
der anderen beiden Hügel. Auf die Frage, wie die Welt
für den Teddy aussähe, beschrieb das Kind das Aussehen
aus der eigenen Sichtweise.
Merke
Biologie
Diese neue Information hat zu einer Akkommodation ihres Weltbildes geführt. Auf der Weide hinter dem Wäldchen steht ein Pferd...
1.4 Theoretische Grundlagen 919
12 Monate
Kind benutzt erste einzelne Worte zur Benennung konkreter Objekte (Ball,
Mama etc.); Einwortsätze werden bereits zur Kommunikation eingesetzt
Zweiwortstadium
18 Monate
Kind kombiniert zwei Substantive oder Substantiv und Verb; Zweiwortsätze
werden zur Kommunikation eingesetzt („Ball haben“)
Stadium des Telegrammstils
24 Monate
kurze, einfache Sätze aus Inhaltswörtern (wenige Funktionswörter wie Artikel
oder Präpositionen)
Antwort. Untersuchungen haben gezeigt, dass Eltern mit
ihren Babys vorzugsweise in der sog. Ammensprache reden,
die durch eine hohe Stimmlage und häufige Wiederholungen charakterisiert ist. Die Ammensprache ist eine Hilfe für
die Kinder, die durch die stimmliche Markierung erkennen,
wann sich die gesprochenen Wörter an sie richten, und
wann sich die Unterhaltung auf Erwachsene bezieht.
Erwerb von Wortbedeutungen. Im Alter von 18 Monaten
nimmt der Wortschatz explosionsartig zu. Zunächst werden vor allem Bezeichnungen für Gegenstände gelernt.
Ein durchschnittlich entwickeltes Kind wird im Alter
von sechs Jahren ungefähr 14 000 Wörter verstehen. Wir
können davon ausgehen, dass die meisten dieser Wörter
zwischen dem Alter von 18 Monaten und 6 Jahren gelernt
werden – so ergeben sich daraus neun neue Wörter pro
Tag oder nahezu ein Wort pro Stunde, in der das Kind
wach ist.
Kinder verhalten sich so, als dürfe jedes Ding nur einen
Namen haben (Prinzip des wechselseitigen Ausschlusses).
Kennen sie z. B. schon ein Wort für ein ganzes Objekt wie
„Auto“, so wenden sie das Prinzip des wechselseitigen
Ausschlusses an und entwickeln die Hypothese, dass ein
ihnen unbekanntes Wort wie „Lenkrad“ eine Bezeichnung
für irgendein Teil des Autos sein muss. Diesen Vorgang
bezeichnet man als Bootstrapping: Kinder bedienen sich
ihrer bereits erworbenen Sprachkenntnisse, um sich neue
Begriffe anzueignen (von engl. „to pull oneself up by one’s
bootstraps“ = sich an seinen eigenen Schnürsenkeln hochziehen).
Grammatikerwerb. Beim Grammatikerwerb spielt die
Ammensprache nur eine geringe Rolle. Menschen besitzen eine angeborene Veranlagung für den Erwerb von
Grammatik. Dies wurde bei Kindern festgestellt, die sich
eine Sprache mit vollständigen grammatischen Strukturen erarbeiteten, ohne dass ein korrektes Vorbild vorhanden war. So beobachtete man bei Gruppen von gehörlosen
Kindern, dass sie eine eigene Gebärdensprache mit festen
Regeln und Strukturen entwickelten, obwohl sie nie die
Möglichkeit hatten, eine der existierenden Gebärdensprachen zu lernen.
Alle Sprachen greifen auf dasselbe Repertoire grammatischer Tricks zurück. Kinder erkennen Regeln und entwi-
ckeln ein Verständnis dafür, dass bestimmte Wortteile den
Inhalt der Aussage verändern. Wenn sie z. B. die Nachsilbe -te an ein Verb anhängen, bezieht sich die Aussage auf
Vergangenes. Dabei kommt es oft zu Übergeneralisierung,
weil dieses Prinzip voraussetzt, dass alle sprachlichen
Phänomene auf dieselbe Art gekennzeichnet werden.
Wenn Kinder gelernt haben, wie bei regelmäßigen Verben
die Vergangenheitsform gebildet wird, wenden sie dieses
Prinzip auf alle Verben an („springte“ anstatt „sprang“).
Übergeneralisierung ist ein besonders interessanter Fehler, weil er für gewöhnlich auftritt, nachdem Kinder die
korrekten Formen von Verben und Substantiven bereits
erlernt und auch verwendet haben.
Kritische Stadien des Spracherwerbs. Die Fähigkeit, Grammatik zu lernen, scheint mit dem Alter abzunehmen. Viele
Aspekte der Sprache entstehen in bestimmten Reifungsstadien – den kritischen Stadien des Spracherwerbs – und
entwickeln sich dann weiter. Sie entsprechen eher den
Stufen körperlicher und kognitiver Reifung, als dass sie
mit bestimmten Lernerfahrungen zu tun haben.
Leistungsmotivation
Kinder entwickeln etwa mit vier Jahren soziale Vergleichsprozesse. Dies motiviert sie, sich beim Wetteifern anzustrengen. Ab diesem Alter wollen Kinder nicht mehr verlieren. Eine vollständige Leistungsmotivation entwickeln
sie allerdings erst mit ca. 12 Jahren, wenn sie die Konzepte Anstrengung, Schwierigkeit und Fähigkeit voneinander
trennen können.
Moralentwicklung
Die Moral ist ein System von Glaubenssätzen und Werthaltungen, mit dem man Handlungen als „richtig“ oder
„falsch“ klassifizieren kann.
Piagets Modell der moralischen Entwicklung
Hiernach werden je nach Alter die Handlungsabsicht und
das Handlungsergebnis unterschiedlich bewertet. Im präoperationalen Stadium fällt das Kind sein moralisches Urteil aufgrund der konkreten Handlung: Jemand ist böse,
wenn er aus Versehen eine Tasse kaputt macht. Erst in den
späteren Stadien wird die Absicht miteinbezogen.
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Histologie
Einwortstadium
Anatomie
Babys produzieren silbenähnliche Lautfolgen wie „dadada, lalala“, Lallen scheint
ein reifungsabhängiger Vorgang zu sein, da es auch taube Kinder zeigen (unabhängig von äußerer Stimulation)
Chemie
ab 4.-5. Monat
Biochemie
Lallstadium
Physik
Fähigkeiten
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Durchschnittsalter
Physiologie
Stadium
Biologie
Stadien des Spracherwerbs
Psych./Soz.
Tabelle 1.5
920 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Kohlbergs Stufenmodell der Moralentwicklung
Histologie
Anatomie
Nach Kohlberg gibt es sieben Stufen der Moralentwicklung, die sich in der Art der Argumentation unterscheiden. Dabei werden die ersten sechs in drei Ebenen unterteilt. Nicht alle Menschen erreichen die siebte und letzte
Stufe. Viele bleiben in der Mitte stehen.
Um das Stadium der Moralentwicklung zu beurteilen,
werden Personen Geschichten mit moralischen Dilemmata vorgelegt. Beispielsweise hat ein Mann nicht genug
Geld, um ein lebenswichtiges Medikament für seine kranke Frau zu kaufen. Die Person soll nun beurteilen, ob er es
stehlen darf oder nicht und muss diese Antwort begründen. Je nach dem Inhalt der Argumente wird sie dann einer Stufe zugeordnet.
Chemie
Biochemie
Ebene I präkonventionelle Moral. Auf dieser Ebene werden moralische Urteile entweder durch drohende Strafen
oder eigene Interessen begründet. Die Interessen anderer
werden nur im Sinne des Austauschs (Reziprozität) berücksichtigt.
– Stufe 1: Orientierung an Strafe und Gehorsam. Als
Begründung wird die Vermeidung von physischem
Schmerz angeführt.
– Stufe 2: Kosten-Nutzen-Abwägung/Reziprozität. Als
Begründung wird die erwartete Belohnung bzw. die
Schuld des anderen angeführt (Auge um Auge).
Physik
Physiologie
Ebene II konventionelle Moral. Auf dem konventionellen Niveau herrscht eine Tendenz zur Aufrechterhaltung
wichtiger Sozialbeziehungen vor. Während auf der dritten Stufe dabei lediglich die Beziehungen zur Kernfamilie
beachtet werden, wird der Blick auf der vierten Stufe auf
größere gesellschaftliche Systeme ausgedehnt.
– Stufe 3: Braves-Kind-Orientierung. Als Begründung
wird das Gewinnen von sozialer Anerkennung bzw. das
Vermeiden von Kritik von Seiten enger Bezugspersonen
angeführt („...weil X dann mit mir zufrieden ist.“).
– Stufe 4: Recht-und-Ordnung-Orientierung. Als Begründung wird der Gehorsam gegenüber Regeln und personenübergreifenden Autoritäten wie dem Staat oder der
Religion angeführt.
Psych./Soz.
Ebene III postkonventionelle bzw. prinzipiengeleitete Moral. Auf dem postkonventionellen Niveau wird erkannt,
dass kein Regelsystem als fraglos richtig gilt, sondern jede
Regel immer frei verhandelbar zwischen den Mitgliedern
ist. Personen auf dieser Ebene versuchen Regeln oder
Prinzipien zu finden, die unabhängig von der Autorität
einzelner Gruppen oder Personen sind.
– Stufe 5: Orientierung am sozialen Vertrag. Als Begründung wird das allgemeine Wohl der Gesellschaft angeführt; Regeln des Systems werden nicht mehr als gegeben, sondern als aushandelbar begriffen.
Beide Autoren machen die Entwicklung der Moral an der
Begründung fest, nicht am moralischen Urteil selbst.
Soziokulturelle Einflüsse auf Entwicklung und
Sozialisation
Hierunter fallen alle Einflüsse von Kultur, Erziehung, Familie und Peergroup. Die Einflussfaktoren sind so zahlreich,
dass man sie kaum voneinander trennen kann.
Erziehungsstile
Die Erziehung ist ein wechselseitiger Prozess zwischen
Eltern und Kind. Es gibt unterschiedliche Erziehungsstile.
Ein Erziehungsstil beinhaltet die Art der Kommunikation
und die Kontrolle, die ausgeübt wird. Erziehung ist ein
zielgerichteter Prozess, im Gegensatz zur Sozialisation.
Charakteristika der Erziehungsstile. Die elterliche Aufmerksamkeit (Responsiveness) umfasst die Fähigkeit der
Eltern, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen und sensibel darauf zu reagieren. Dies führt zu einer stabilen emotionalen Bindung.
Hier ist ein mittleres Maß an Kontrolle optimal, sodass die
Autonomie des Kindes gefördert wird.
Verschiedene Erziehungsstile. Der autoritativ-reziproke
Erziehungsstil ist durch ein hohes Maß an Kontrolle und
offener Kommunikation und viel Wärme seitens der Eltern gekennzeichnet. Er soll sich günstig auf das spätere
Verhalten der Kinder auswirken.
Der autoritär-autokratische Erziehungsstil hingegen ist
durch starke elterliche Kontrolle, aber durch wenig Sensibilität für die Bedürfnisse der Kinder gekennzeichnet.
Die Eltern erlauben keine Autonomie und bestrafen auch
durch Gewaltanwendung, was zu geringerer sozialer
Kompetenz und zu einer geringeren Selbstwertschätzung
bei den Kindern führen soll.
Der nachgiebig-permissive Erziehungsstil zeichnet sich
durch warmherziges Verhalten der Eltern aus. Die Eltern
üben kaum Kontrolle aus. Sie erlauben den Kindern, viele
Entscheidungen selbst zu treffen, auch wenn diese noch
nicht alt genug dafür sind. Dies soll dazu führen, dass
die Kinder sich eher aggressiv verhalten und es ihnen an
der Fähigkeit fehlt, Verantwortung zu übernehmen.
Der indifferente-unbeteiligte Erziehungsstil ist durch Vernachlässigung seitens der Eltern charakterisiert (Schlüsselkinder). Die Kinder müssen sehr früh autonom handeln
und Verantwortung übernehmen, die Atmosphäre in der
Familie ist aber eher feindselig. Die Effekte auf diese Kinder sind weniger eindeutig.
Neben dem Erziehungsstil haben alle Interaktionen in der
Familie und später auch im Kindergarten, in der Schule
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Autonome Moral. Ab ca. 10 oder 11 Jahren entwickeln die
Jugendlichen eine eigene Moral, wobei sie sich am Maßstab der Gerechtigkeit orientieren.
– Stufe 6: Orientierung an ethischen Prinzipien. Als Begründung werden allgemeine Prinzipien wie Gerechtigkeit, Nächstenliebe etc. angeführt.
– Stufe 7: Der Mensch hat gesellschaftliche Normen internalisiert und empfindet selbst Scham bei einer Übertretung dieser Normen.
Merke
Biologie
Heteronome Moral. Ca. ab dem Schuleintritt erkennen die
Kinder die Moral der Autorität als die geltende Moral an.
In diesem Kapitel werden Entwicklungsprozesse vorgestellt, die das ganze Leben über andauern.
Die hier beschriebenen Konzepte haben alle dieselbe
Grundannahme: Sie betonen, dass der Mensch eine Krise
oder ein Problem lösen muss, um diese Entwicklungsstufe
zu bewältigen und die nächste zu erreichen.
Einige Konzepte lebenslanger Entwicklungen
Konzept der Entwicklungsaufgaben nach Havighurst
Nach Havighurst ist Entwicklung ein Lernprozess, der zu
Kompetenzen führt, die zur Bewältigung gesellschaftlicher Ansprüche notwendig sind. Die Fähigkeit, gesellschaftliche Ansprüche zu bewältigen, geht mit psychiTabelle 1.6
Konzept kritischer Lebensereignisse (Critical Life-Events)
Als kritische Lebensereignisse werden positive und negative Veränderungen bezeichnet, die vom Individuum eine
Anpassungsleistung an eine neue soziale Situation erfordern.
Kritische Lebensereignisse sind:
– unvorhersehbar
– unkontrollierbar
– unerwünscht
– lösen Stress und Angst aus
– verlangen eine Neuanpassung (Coping-Strategien).
Eriksons Modell psychosozialer Entwicklung
Phase
Konflikt
angemessene Lösung
unangemessene Lösung
oral (0–11/2 Jahre)
Urvertrauen vs. Urmisstrauen
stabiles Sicherheitsbewusstsein
Unsicherheit, Angst
anal (11/2–3 Jahre)
Autonomie vs. Scham und
Zweifel
Selbstwahrnehmung als Handelnder
Zweifel an eigener Kontrolle über
Ereignisse
phallisch (3–6 Jahre)
Initiative vs. Schuldgefühl
Vertrauen auf eigene Initiative, Kreativität
Mangelndes Selbstvertrauen
Latenz (6–10 Jahre)
Leistung vs. Minderwertigkeits-Gefühl
Vertrauen auf eigene Leistung
Mangelndes Vertrauen in eigene
Leistung
Jugend/Adoleszenz
Identität vs. Rollendiffusion
Vertrauen in eigene Person
schwankendes, unsicheres Selbstbewusstsein
junges Erwachsenenalter
Intimität vs. Isolierung
Fähigkeit zur Nähe und Bindung an anderen
Gefühl der Einsamkeit, Leugnung
des Bedürfnisses nach Nähe
mittleres Erwachsenenalter
Generativität vs. Stagnation
Interesse an Familie, Gesellschaft, künftiger Generation
selbstbezogene Interessen, fehlende Zukunftsorientierung
höheres Erwachsenenalter
Ich-Integrität vs. Verzweiflung
Gefühl der Ganzheit, Zufriedenheit mit
dem Leben
Gefühl der Vergeblichkeit, Enttäuschung
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Histologie
Anatomie
Entwicklung und Sozialisation im
Lebenslauf
Chemie
1.4.8
Erikson zufolge gibt es acht Phasen der sozialen Entwicklung (Tab. 1.6). In jeder dieser Phasen durchlebt der
Mensch eine Krise, deren positive Bewältigung zu persönlichem Wachstum führt. Sollte er außerstande sein, die
Konflikte der jeweiligen Lebensphase zu lösen, so kann er
die nächsthöhere Entwicklungsstufe nicht voll und ganz
erreichen. Er verharrt in unangemessenen Lösungsmustern früherer Entwicklungsstadien.
Erikson lehnt sich mit seinem Modell an Freud an, und benennt auch die ersten Phasen gleich.
Biochemie
Einen großen Einfluss auf das Verhalten der Kinder haben
die Medien (vgl. S. 907).
Eriksons Stufenmodell psychosozialer Entwicklung
Physik
Die Scheidungsrate in Deutschland liegt konstant bei
33 %. Die Zahl der arbeitstätigen Mütter liegt bei ca.
60 %, was aber keinen nachteiligen Einfluss auf die Entwicklung zu haben scheint.
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Merke
Auch gesellschaftliche Determinanten wie der Strukturwandel der Familie von einer Großfamilie in eine Kleinfamilie mit zwei arbeitenden Elternteilen haben einen
Einfluss auf die Entwicklung unseres Verhaltens. Ebenfalls
haben die hohe Scheidungsrate und die immer häufiger
auftretenden Patchwork-Familien einen Einfluss.
Physiologie
Gesellschaftliche Determinanten
schem Wohlbefinden einher und führt zu gesellschaftlicher Akzeptanz.
Die Entwicklungsaufgaben werden aus drei Quellen abgeleitet:
– Physische Reifungsprozesse: Sie sind weitgehend universell, haben eine geringe kulturelle Variation.
– Kultureller Druck bzw. gesellschaftliche Erwartungen:
Einfluss altersbezogener Normen, historischer Wandel
von Entwicklungsaufgaben.
– Individuelle Ziele und Werte: als Teil des Selbst, treibende Kraft für aktive Gestaltung der Entwicklung.
Psych./Soz.
und in der Peergroup einen Einfluss auf die Entwicklung
des Verhaltens (vgl. S. 922).
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 921
922 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Adoleszenz
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
In der Jugend treten einige körperliche und psychische
Veränderungen auf, die eine Neuanpassung erfordern.
Eine der Entwicklungsaufgaben des Jugendlichen besteht
in der Akzeptanz der körperlichen Veränderungen und
der ausgereiften Sexualität. Hier kann es u. U. zu den folgenden Problemen kommen:
gesteigerte Beschäftigung mit dem eigenen Körperkonzept (subjektives Erfahren des eigenen Aussehens). Die
Betroffenen können sich zu „hässlich“ oder als zu „dick“
empfinden. Eine derartige Auseinandersetzung kann zu
einer Essstörung führen bzw. diese begünstigen.
Es gibt zwei Arten von Essstörungen:
– Anorexia nervosa: Die betroffenen Mädchen (gelegentlich auch Jungen) empfinden sich als zu dick. Sie nehmen immer weiter ab, verweigern das Essen und unternehmen alles, um weiter Gewicht zu verlieren, obwohl
Ihr Körpergewicht schon lange unter der kritischen
Grenze liegt.
– Bulimia nervosa: Die Betroffenen empfinden sich ebenfalls als zu dick, die Diät wird aber immer wieder von
sog. Essattacken unterbrochen, bei denen innerhalb
kürzester Zeit mehrere Tausend Kilokalorien aufgenommen werden. Diese aufgenommene Nahrung wird
danach zumeist erbrochen.
Bei beiden Störungsbildern sind die Erklärungsansätze komplex. Die mangelnde Akzeptanz des veränderten
Körpers ist lediglich eine Komponente. Eine große Rolle
spielen häufig familiäre Probleme. Ein wichtiges Element
der Therapie bei Essstörungen ist die Vermittlung eines
realistischen Körperkonzepts.
Physik
Erwerb der Geschlechtsrolle
Physiologie
Psych./Soz.
Geschlechtsrollen sind Verhaltensmuster, die in einer bestimmten Gesellschaft als für Männer und Frauen angemessen gehalten werden. Sie bilden die Definitionen für
Maskulinität und Feminität. Diese Verhaltensmuster werden zum Teil offen in Form von Erwartungen und Regeln
ausgesprochen, zum Teil aber auch verdeckt transportiert.
Die geschlechtsspezifische Sozialisation beginnt bereits
ab der Geburt. Man kann sagen, dass Mädchen und Jungen
aufgrund einer geschlechtsspezifischen Sozialisation in
verschiedenen psychologischen Umwelten aufwachsen.
Die Integration von der typisch männlichen und der typisch weiblichen Geschlechterrolle wird mit dem Begriff
der Androgynie bezeichnet.
Wenn man von Geschlechtsidentität spricht, meint man
das Erleben der eigenen Person als männlich oder weiblich. Dieses Erleben beinhaltet eine Akzeptanz des eigenen
biologischen Geschlechts und ist wichtig für das psychische Wohlergehen des Kindes und Jugendlichen.
Es gibt Menschen, bei denen ein Widerspruch zwischen psychologischer und biologischer Geschlechtsidentität besteht.
Dieses Phänomen bezeichnet man als Transsexualität.
Suizid im Jugendalter
Der Selbstmord (Suizid) ist bei deutschen Jugendlichen
nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache. Die meisten Suizidversuche werden im Alter zwischen 15 und 35
Jahren unternommen, danach nimmt die Zahl ab, um im
Alter wieder anzusteigen. Während Mädchen und Frauen doppelt so häufig Suizidversuche unternehmen wie
Jungen und Männer, ist das Geschlechterverhältnis beim
tödlich verlaufenden Suizidversuch umgekehrt (ca. 3:2).
Als wichtigstes Motiv für einen Suizidversuch im Jugendalter werden soziale Konflikte angegeben, meistens mit
den Eltern, an zweiter Stelle stehen Liebeskummer oder
Partnerprobleme. 10 % der Jugendlichen geben an, dass sie
mit ihrem Selbsttötungsversuch Aufmerksamkeit erregen
wollten.
Ein Suizid ist nur in den seltensten Fällen eine spontane
Handlung. Im Normalfall gehen ihm charakteristische
Verhaltensweisen voraus, die durch das präsuizidale Syndrom beschrieben werden:
– Einengung oder Rückzug: Die Betroffenen haben ein
Gefühl der Ausweglosigkeit, fühlen sich wie von allen
Seiten umzingelt. Sie selber fühlen sich klein und hilflos, während alles andere als riesengroß erlebt wird.
– Aggressionsstauung: Es kommt zu einer Aggression, die
nach innen auf die eigene Person gerichtet wird.
– Selbstmordphantasien: Es kommt zu einer Flucht in
eine Phantasiewelt mit dem Gedanken: „Ich könnte tot
sein...“. Der Gedanke wird dann als entlastend erlebt
und entwickelt eine Eigendynamik (Zwangsgedanke).
Bedeutung der Peer-Group
Die Bedeutung der Kernfamilie sinkt im Jugendalter etwas
ab. Die gleichaltrigen Peers übernehmen einige Funktionen. So werden Probleme eher in der Peergroup besprochen. Auch die Anerkennung in der Peergroup ist ein
wichtiger Bestandteil der Entwicklung im Jugendalter. Er
trägt zur Entwicklung der Rollenidentität bei.
Erwachsenenalter
Im Erwachsenenalter sind die vorrangigen Entwicklungsaufgaben die Unabhängigkeit von der Familie, die Partnerbindung, Gründung einer eigenen Familie und das Ergreifen eines Berufs. Im Erwachsenenalter kommt es häufig
zu familiären und beruflichen Ansprüchen. Sind sie zu
hoch, so können daraus Stress und langfristig psychische
und körperliche Schäden entstehen.
Zur Auswirkung von Stress im Berufsleben sind zwei
Modelle entwickelt worden. Sie beschreiben einen Zusammenhang zwischen stressauslösenden Faktoren im
Arbeitsleben und dem Risiko für Herz- und Kreislauf-Erkrankungen.
– Anforderungs-Kontroll-Modell: Zwei Dimensionen sind
hier Ausschlag gebend: die Menge und Beschaffenheit
von Anforderungen und die Kontrollierbarkeit der Auf-
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Biologie
Negative Life-Events können bei Menschen mit einer Disposition zur Depression als Auslöser für die Erkrankung
wirken. Dasselbe gilt auch bei Schizophrenie. Hier können
es negative wie auch positive Lebensereignisse sein. Dies
sind beispielsweise die Geburt der eigenen Kinder, die eigene Hochzeit usw.
Veränderungen psychischer Funktionen im Alter
Disengagement-Theorie: Ersehnter Rückzug aufs Altenteil?
Annahme: Der Übergang vom Erwachsenenalter zum Alter bringt einen natürlichen Rückzug aus Aktivitäten und
Verpflichtungen mit sich. Der alte Mensch und die Gesellschaft sind etwa zur gleichen Zeit bereit, ihre Bindungen
zueinander zu lösen. Die Verfechter der DisengagementTheorie nennen diesen Prozess der zunehmenden Distanzierung einen ganz natürlichen Vorgang der menschlichen
Entwicklung.
Der Mensch möchte sich aus Beruf und Sozialleben zurückziehen, um sich seinem Lebensabend widmen zu können.
Früher wurde das Altwerden mit einem generellen Abbau
körperlicher und psychischer Funktionen gleichgesetzt.
Heute weiß man, dass dem nicht so ist. Die Alterungsprozesse sind interindividuell großen Schwankungen unterworfen. Allgemein gilt, dass es viel weniger Abbauprozesse gibt, als früher angenommen wurde.
Kompetenzmodell: Bewältigung der Altersaufgaben durch
Kompensation und Selektion.
Annahme: Bewältigungen der Aufgaben, die das Altwerden stellt, werden gelöst, indem der Mensch seine noch
verfügbaren Fertigkeiten nutzt, sich auf die Lebensbereiche beschränkt und den Umfang der Aktivitäten eingrenzt.
Kognitive Veränderungen. Wie im Abschnitt über die Intelligenz erwähnt, fällt die fluide Intelligenz im späten
Erwachsenenalter etwas ab, was sich aber eher auf die
Wahrnehmungsgeschwindigkeit und die Gedächtnisleistung bezieht, durch das Anwachsen der kristallinen Intelligenz allerdings kompensiert wird (S. 903).
Auch das Gedächtnis ist genauso leistungsfähig wie im
mittleren Erwachsenenalter. Ältere Menschen können allerdings nicht mehr mehrere Informationen gleichzeitig
aufnehmen. Es sind also lediglich die Prozesse der selektiven Aufmerksamkeit beeinträchtigt.
Normales Altern vs. pathologisches Altern. Diese Modelle
beschreiben den „normalen“ Alterungsprozess. Von pathologischem Altern spricht man, wenn ein Mensch durch
biologische oder psychologische Veränderungen Einbußen erlebt, wie beispielsweise bei der Demenz.
Es gibt Risikofaktoren, die pathologisches Altern begünstigen. Dies sind:
– Isolierung
– Depression
– Verlust des Partners
– finanzielle Sorgen.
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Histologie
Anatomie
Chemie
Aktivitätstheorie: Wer rasten muss, der rostet?
Annahme: Glück und Zufriedenheit eines Menschen hängen vom Umfang seiner aktiven Einflussnahme auf das
Umweltgeschehen und seinem „Gebrauchtwerden“ ab.
Biochemie
„Midlife-Crisis“. Auch der Begriff der „Midlife-Crisis“ wird
im Zusammenhang mit einer besonderen Belastung im
späteren Erwachsenenalter gebraucht. Allerdings stammt
er aus der populärwissenschaftlichen Literatur. Die Krise
ist gekennzeichnet durch Sinnfragen bezüglich des eigenen Lebens, zum Teil kommt es zu einer abrupten Umorientierung. Ob und mit welchen Folgen eine solche Sinnkrise auftritt, hängt sicherlich von der individuellen Art
der Lebensführung und Auseinandersetzung mit den eigenen Zielen ab. Besonders anfällig scheinen Personen zu
sein, die von einer ihrer Rollen (meistens im Beruf) über
Jahre so absorbiert waren, dass sie andere Lebensbereiche
stark vernachlässigt haben.
„Defizit-Modell“ der geistigen Entwicklung: Sitzen wir auf
dem absteigenden Ast?
Annahme: Geistige Entwicklung vollzieht sich in drei Phasen:
– positive Entwicklung in Kindheit und Jugend
– maximaler Höhepunkt im jungen Erwachsenenalter
– Niedergang mit dem Älterwerden; z. B. Gedächtnisleistung oder Intelligenz?
Physik
Klimakterium. Im Klimakterium (Wechseljahre) erlischt
die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau. Es liegt im Zeitabschnitt zwischen 40. und 50. Lebensjahr und wird mit
hormonellen Umstellungen begleitet. Wie sehr sich diese
Umstellung psychisch auswirkt, hängt von der jeweiligen
Person und ihrer psychischen Verfassung ab.
In der Gerontopsychologie wurden verschiedene Alterungsmodelle vorgeschlagen, die alle aber nur einen Teil
dieses komplexen Phänomens erklären können.
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Als höheres Erwachsenenalter wird der Abschnitt vom
Berufsausstieg bis zum Tode bezeichnet.
Er ist durch viele Entwicklungsaufgaben gekennzeichnet
(siehe auch Hawighurst und Erikson).
Modelle des Alterns
Physiologie
Veränderungen im höheren Erwachsenenalter
Folgende Faktoren wirken sich positiv auf die Stabilisierung von Intelligenz und Gedächtnis aus:
hoher sozialer Status
hohe Lebenszufriedenheit
lange geistig herausfordernde Berufstätigkeit
anregende Lebensumwelt zum Beispiel durch häufigen
sozialen Kontakt, Teilnahme am politischen Leben.
Tatsächlich wird der Abbau der kognitiven Leistungen
durch das Gegenteil beschleunigt.
Psych./Soz.
gaben. Stress entwickelt sich bei steigender Menge der
Aufgaben bei gleichzeitig niedriger Kontrolle. Später
wurde das Modell um die Dimension „sozialer Rückhalt
am Arbeitsplatz“ erweitert. Sozialer Rückhalt wirkt sich
immer stressvermeidend aus.
– Modell beruflicher Gratifikationskrisen: Wichtig ist das
Verhältnis der persönlichen Verausgabung und die dafür
erhaltene Belohnung. Eine hohe Belastung des Arbeitsplatzinhabers entsteht aus einem Ungleichgewicht zwischen seinem persönlichen Einsatz und den erhaltenen
Gratifikationen (Belohnungen). Diese können aus finanzieller Vergütung oder sozialer Anerkennung bestehen.
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 923
924 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Biologie
Soziodemografische Determinanten des
Lebenslaufs
Die Demografie beschreibt den Stand der Bevölkerung.
Hierzu gehören wirtschafts- und sozialpolitische Veränderungen sowie die Bevölkerungsstruktur (Geburtenund Sterberate).
Methoden der Demografie
Anatomie
Sterbetafel. Sie wird zur Ermittlung der durchschnittlichen Lebenserwartung von Neugeborenen, des Geburtenüberschusses und der altersspezifischen Sterblichkeit
herangezogen. Aus den Sterbeziffern der unterschiedlichen Altersstufen wird eine durchschnittliche Lebenserwartung für jedes Alter ermittelt. Hierbei handelt es sich
jedoch nur um Wahrscheinlichkeitsaussagen, die aus den
vorliegenden Daten ermittelt werden. Die Lebenserwartung steigt in Deutschland aufgrund der verbesserten medizinischen Versorgung und der guten Ernährung immer
weiter an.
Von einem Geburtenüberschuss spricht man, wenn innerhalb einer definierten Zeitspanne (z. B. ein Jahr) die Anzahl der Neugeborenen (Natalität) größer ist als die der
Verstorbenen (Mortalität).
Chemie
Histologie
Volkszählung. Als Bevölkerung wird die Einwohnerzahl
eines bestimmten Gebietes zum Stichtag x verstanden.
Die Daten dienen der Prognose der Bevölkerungsentwicklung oder politischer Planungen.
Mikrozensus. Er ist eine jährliche Erhebung. Es werden
demografische Daten von ca. 1 % der Einwohner erfasst.
Biochemie
Gliederungsprinzipien
Physik
Eine Bevölkerung kann anhand verschiedener Merkmale
beschrieben werden:
– Sozioökonomischer Status (Anteil verschiedener Bildungsabschlüsse, beruflicher Stellungen oder Einkommensgruppen etc.)
– Nationalität (Anteil der Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft)
– Alter (dargestellt in der Alterspyramide oder anhand
der Altenquote) und
– Familienstand (Anteil lediger, verheirateter, geschiedener Menschen)
Physiologie
Bevölkerungspyramide
Psych./Soz.
Die Altersstruktur einer Bevölkerung wird oft durch eine
Pyramide dargestellt. Dabei bildet die Basis der Alterspyramide die Geburtenrate. Die ältesten Anteile der Bevölkerung stehen an der Spitze.
Somit kann man anhand der Form der Pyramide das Verhältnis zwischen Jung und Alt ablesen.
Eine Pyramide, die als gleichschenkliges Dreieck dargestellt werden kann, beschreibt eine hohe Geburtenrate
und wenig alte Menschen. Diese Form ist typisch für Länder, die wir als Entwicklungsländer bezeichnen.
Eine Glockenform weist auf eine stagnierende Bevölkerung
hin, es gibt etwa gleichviel alte Menschen wie Neugebore-
ne. Man spricht auch von einer stationären Bevölkerung.
Diese Form findet man eher in Schwellenländern.
Wenn die Altersverteilung eher die Form einer Urne hat,
so handelt es sich um eine stabile Bevölkerung, wie sie
eher in westlichen Industrieländern gefunden wird.
Wenn das Bevölkerungswachstum negativ wird, dann
sieht die Altersverteilung aus wie ein Pilz. Es gibt dann
mehr alte als junge Menschen. Für Deutschland wird dieses Verhältnis für den Zeitraum um 2050 prognostiziert.
Demografisches Altern. Demografisches Altern ist die Beschreibung der Zunahme alter Menschen an der Gesamtbevölkerung. So sind in Deutschland ca. 30 % über 60 Jahre
alt. Das demografische Altern besteht aus dem Verhältnis
von über 60-Jährigen zu den Menschen, die unter 30 Jahre
alt sind. Ursachen für das demografische Altern liegen wie
erwähnt an einem Geburtenrückgang, aber auch an den
besseren Lebensbedingungen (die Menschen leben länger).
Die Form der Bevölkerungspyramide wandelt sich in den
westlichen Industrieländern langsam von einer Glockenform bzw. einem Dreieck zu einem Quadrat. Dieser Wandel
wird als Rektangularisierung bezeichnet. Dies liegt daran,
dass die Sterbeverhältnisse innerhalb einer Kohorte (einer Altersgruppe, siehe auch Kohortenstichprobe, S. 895)
über einen langen Zeitraum konstant niedrig bleiben. Das
heißt, lange Zeit stirbt niemand, bis dann die Sterblichkeit
ab einem bestimmten Alter extrem zunimmt. Dies führt
zu einer rechteckigen Form der Alterspyramide, da die Linien lange Zeit konstant waagerecht verlaufen und dann
plötzlich abfallen.
Erwerbstätigkeit
Erwerbstätigkeit ist ein wesentlicher Faktor für die sozialen Sicherungssysteme in einem Staat mit sozialer Marktwirtschaft wie es die Bundesrepublik ist. Ebenso stellt sie
einen wesentlichen Faktor für die Wirtschaftlichkeit des
Landes dar.
Es werden folgende Gruppen von Menschen unterschieden:
– Erwerbstätige: Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen oder selbstständig ein Gewerbe führen und
Einkommenssteuer zahlen müssen.
– Erwerbslose: Personen ohne Arbeitsverhältnis, die sich
um eine Arbeitsstelle bemühen (Arbeitslose).
– Erwerbsfähige: Personen im erwerbsfähigen Alter, die
sich entweder in einem Arbeitsverhältnis befinden oder
eines suchen (Summe aus Erwerbstätigen und Erwerbslosen).
Die Erwerbsquote gibt das Verhältnis von Erwerbstätigen
in Bezug zur Gesamtbevölkerung an.
Bevölkerungsbewegung
Mit dem Begriff der Bevölkerungsbewegung wird eine
Veränderung der Altersstruktur bezeichnet. Natürliche
Bevölkerungsbewegung liegt vor, wenn sich das Verhältnis von Geburten- und Sterberate verändert, künstliche
besteht dann, wenn sich die Bevölkerungsstruktur durch
Ein- oder Auswanderung verändert.
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1.4.9
Migration
Mit dem Begriff Migration ist die Wanderung von Menschen gemeint. Hierbei werden zwei Bewegungsrichtungen unterschieden. Horizontale Mobilität meint einen
Aufenthaltswechsel (geografische Wanderung). Mit vertikaler Mobilität ist der Auf- bzw. Abstieg innerhalb der
Gesellschaftsschichten gemeint.
Wenn man die Bevölkerungsbewegung untersucht, so
ist nur die horizontale Mobilität wichtig. Auch für die
horizontale Mobilität gibt es Kennwerte. Zunächst muss
in Binnen- und Außenwanderung unterschieden werden. Binnenwanderung ist ein Ortswechsel innerhalb der
Demografische Situation der Weltbevölkerung
Im Jahre 2000 zählte die Weltbevölkerung 6,055 Milliarden Menschen, im Jahre 2008 6,709 Milliarden. Für 2015
geben die Prognosen eine Zahl von 7,154 Milliarden an.
Während in Europa und Nordamerika das Bevölkerungswachstum stagniert (durchschnittliche Fertilitätsziffer
von 1,7), steigen die Bevölkerungszahlen der Entwicklungsländer um jährlich 2–3 %.
In einzelnen Ländern ist die Wachstumsgeschwindigkeit
sogar deutlich höher (durchschnittliche Fertilitätsziffer in
Afrika bei 4,5 Kindern pro Frau). Hier sind u. a. kulturelle
Normen und religiöse Einflüsse (keine Verhütung) ausschlaggebende Faktoren.
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Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
– altersspezifische Sterbeziffer: Anzahl der Sterbenden bezogen auf 1000 noch lebende Menschen desselben Alters
– Altenquote: Anteil der Menschen über 65 Jahre. Sie
kann je nach Fragestellung anders gewählt werden.
– Säuglingssterblichkeit : Anzahl der im ersten Lebensjahr
verstorbenen Kinder
– perinatale Sterblichkeit : Summe aller Sterbefälle zwischen der 28. Schwangerschaftswoche und der ersten
Lebenswoche bezogen auf alle Lebendgeburten
– Totgeburtlichkeit: Anzahl der Totgeborenen im Verhältnis zu den Lebendgeborenen
– Letalität ist der Anteil derjenigen, die an einer bestimmten Krankheit gestorben sind, bezogen auf diejenigen,
die alle an dieser Krankheit leiden.
Diese Theorie (auch Theorie der demografischen Transformation genannt) beschreibt die Veränderungen der generativen Bevölkerungsstruktur während der Industrialisierung eines Landes.
Die generativen Veränderungen vollziehen sich in fünf
Phasen.
– Prätransformative Phase: Die Geburtenrate, aber auch
die Sterberate ist hoch. Besonders hoch ist die Säuglings- und Kindersterblichkeit. Die hohe Geburten- und
Sterberate bedeutet einen großen Bevölkerungsumsatz.
Das Bevölkerungswachstum aber bleibt gering.
– Frühtransformative Phase: Die Geburtenziffern bleiben
hoch, während die Sterberate langsam absinkt, u. a. im
Säuglings- und Kinderbereich. Somit kommt es zu einem Bevölkerungswachstum.
– Mitteltransformative- oder Umschwungsphase: Die
Sterberate sinkt weiter ab, aber auch die Geburtenrate,
allerdings zunächst langsamer. Das Bevölkerungswachstum hat seinen Höhepunkt erreicht. Schließlich sinken
die Geburtenziffern so stark, dass sie unter den Sterbeziffern liegen. Damit beginnt die Bevölkerung langsam
wieder abzunehmen (Umschwung).
– Spättransformative Phase: Der Abwärtstrend setzt sich
weiter fort. Die Geburtenrate fällt weiter ab.
– Posttransformative Phase: Geburten- und Sterbeziffer
halten sich hier in etwa die Waage, sodass das Bevölkerungswachstum ungefähr bei Null liegt. Im Vergleich
zur Sterbeziffer ist die Geburtenziffer hier allerdings
stärkeren Schwankungen unterworfen.
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Mortalität bezeichnet die Sterberate, Morbidität beschreibt die Auftretenshäufigkeit einer Krankheit.
Theorie des demografischen Übergangs
Physiologie
Merke
Mit generativem Verhalten ist das Fortpflanzungsverhalten gemeint.
– Natalität : allgemeine Geburtenziffer, Zahl der Geburten
auf 1000 Einwohner pro Jahr
– zusammengefasste Geburtenziffer: durchschnittliche
Geburten im Leben einer Frau
– altersspezifische Geburtenziffer: Zahl der Geburten auf
1000 Frauen einer bestimmten Altersgruppe
– geschlechtsspezifische Geburtenziffer: Geburt bezogen
auf das Geschlecht pro 1000 Einwohner
– Fertilitätsziffer: Verhältnis der Anzahl von Geburten zu
Frauen im gebärfähigen Alter
– Nettoreproduktionsziffer: Verhältnis von gesund geborenen Mädchen zu gebärfähigen Müttern. (Grundgedanke bei diesem Kennwert ist, dass eine Bevölkerung
sich reproduzieren kann, wenn jede Mutter im Durchschnitt eine Tochter bekommt. Wenn jede Mutter eine
Tochter bekommt, so liegt die Nettoreproduktionsziffer
bei 1 (NRZ = 1), sinkt sie, so spricht dies für eine Verringerung der Geburtenrate für die nächste Generation. In
Deutschland liegt sie momentan bei ca. 0,62.)
– Nuptialität : Anzahl der verheirateten Paare
– Mortalität : allgemeine Sterbeziffer bezogen auf 1000
Einwohner
Grenzen des Landes, während mit Außenwanderung die
Aussiedlung in ein anderes Land gemeint ist.
Kennwerte sind:
– Mobilitätsziffer: Wanderungsvolumen, alle Binnen- und
Außenwanderungen pro 1000 Einwohner
– Wanderungssaldo : Differenz zwischen Zu- und Abwanderung
– Effektivitätsziffer: Verhältnis von Wanderungssaldo zu
Wanderungsvolumen
– Akkulturation: Eingliederung eines Menschen in ein
fremdes Land. Dies geschieht durch die Übernahme von
Riten und Gebräuchen sowie der Übernahme der landestypischen Sprache.
Psych./Soz.
Kennwerte der Bevölkerungsbewegung oder des generativen Verhaltens
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 925
926 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Malthus-Gesetz. Thomas Malthus (1766–1834) beschrieb
bereits um 1800 eine Regelhaftigkeit zur Bevölkerungsentwicklung: Aufgrund des gleich bleibenden biologischen Geschlechtstriebes wächst die Bevölkerung immer
weiter an. Sie stößt bald an die Grenze des Nahrungsspielraums, da dieser nicht im gleichen Maße wächst. Die Bevölkerung wächst exponentiell, das Nahrungsangebot dagegen nur linear. Somit kommt es zwangsweise zu einer
Hungerkatastrophe, wenn das Bevölkerungswachstum
nicht reglementiert wird.
Folgen demografischer Entwicklung für die Sozial- und
Gesundheitspolitik
Physik
Physiologie
Psych./Soz.
Veränderung des Krankheitsspektrums. Während in den
Industrienationen Europas und Nordamerikas die akuten
Krankheiten zurückgehen, nehmen chronische und degenerative Krankheiten zu. Dies kommt zum einen durch
den Fortschritt der Medizin, die akute Krankheiten sehr
gut behandeln kann, zum anderen wird die Bevölkerung
im Durchschnitt immer älter, was chronische und degenerative Krankheiten mit sich bringt.
Aus diesem Grund haben sich auch die Todesursachen
verändert. In der Bundesrepublik sterben heutzutage 33 %
der Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinfarkten und Schlaganfällen, gefolgt von bösartigen Tumoren mit etwa 20 %. Anfang des 20. Jahrhunderts dagegen
starben die meisten Menschen an Infektionskrankheiten.
Heute liegt dieser Anteil in den Industrieländern bei etwa
10 %. Die Todesursachen in den Ländern der Dritten Welt
zeigen dagegen große Ähnlichkeit mit den Industrienationen im letzten Jahrhundert. Hier überwiegen Infektionskrankheiten, während Herz-Kreislauf-Erkrankungen und
Krebs eine verhältnismäßig geringe Rolle spielen.
Konsequenzen des demografischen Alterns. Durch die
Verschiebung der Altersstruktur sind u. a. die sozialen Sicherungssysteme wie Rentenkassen und Krankenkassen
betroffen, da es zu wenig junge Menschen gibt, die diese
Systeme stützen. Die hohe Arbeitslosigkeit vergrößert das
Problem noch erheblich.
Auch für den Arzt entstehen Veränderungen, weil er sich
jetzt mehr mit der Pathogenese chronischer Krankheiten
auseinandersetzen muss. Weiterhin leiden alte Menschen
häufig unter mehreren Krankheiten gleichzeitig (Multimorbidität), die gleichzeitig behandelt werden müssen.
Verändertes Zeitmuster des Familienzyklus. Generell lässt
sich sagen, dass sich aufgrund der längeren Ausbildung
der Frauen die gesamte Familienplanung weiter nach hinten verschiebt. Die Menschen heiraten später, das erste
Kind kommt später auf die Welt, und die Frauen sind in
der Ehe nicht mehr so lange fruchtbar wie früher, was allein schon einen Einflussfaktor für ein geringeres Bevölkerungswachstum darstellt.
Dagegen dauert die Spätphase, die Zeit nach dem Aufziehen der Kinder, länger als früher.
Auswirkungen veränderter Familienstrukturen auf das
Gesundheitssystem. Bereits im 19. Jahrhundert stellten
Soziologen das sog. Kontraktionsgesetz auf, das besagt,
dass der gesellschaftliche Entwicklungsprozess zu immer
kleineren Familien führt, und die Solidarität zwischen
Menschen sich somit auf immer kleinere Kreise bezieht.
Ein Grund dafür ist, dass der Staat immer mehr soziale Sicherungsaufgaben übernimmt. Damit übernimmt er viele
Aufgaben, die früher die Kernfamilie inne hatte.
Dadurch, dass die Familien kleiner werden und weniger
Generationen unter einem Dach leben, ergeben sich auch
Veränderungen für die Medizin. Die Versorgung von Kranken und alten Menschen, die früher von der Familie übernommen wurde, liegt heute bei der Medizin.
1.4.10 Sozialstrukturelle Determinanten des
Lebenslaufs
Soziale Differenzierung
Eine Gesellschaft lässt sich in verschiedene Klassen oder
Schichten unterteilen. Angehörige einer sozialen Schicht
weisen interindividuelle Gemeinsamkeiten im Bezug auf
Lebensstandard, Chancen und Risiken, soziales Ansehen,
Privilegien oder Diskriminierungen auf.
Klassenbegriff bei Karl Marx. Als Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer Klasse verwendete Marx den Besitz oder
Zugang zu Produktionsmitteln. Demnach steht die besitzlose Arbeiterklasse (das Proletariat) den Privatbesitzern
(Bourgeoisie) gegenüber, die über die Produktionsmittel
verfügen. Die Aufteilung in Klassen ist nach Marx nur eine
Entwicklungsstufe. Die Gesellschaft kann nur weiter bestehen, wenn die Bourgeoisie ihre Privilegien aufgibt, sodass alle Güter und somit alle Chancen und Risiken gleichmäßig verteilt sind.
Klassenbegriff bei Max Weber. Auch bei Weber bezieht
sich der Klassenbegriff auf wirtschaftliche Bedingungen,
er ist aber differenzierter als bei Marx. Die Unterschiede
zwischen den Klassen werden nicht nur am Besitz von Gütern festgemacht. Nach Weber ist eine Klasse eine Gruppe
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Biologie
Besonders rapide wächst die Bevölkerung in den Metropolen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden
in zehn Jahren über die Hälfte aller Menschen in Städten
leben. Besonders in den Entwicklungsländern hält die
Land-Stadt-Wanderung weiterhin an. Die Vergrößerung
der Ballungszentren bringt allerdings zahlreiche Probleme mit sich: Neben einer oft unzureichenden Infrastruktur steigt die Umweltverschmutzung durch Industrie- und
Autoabgase sowie durch wachsende Müllmengen.
Das starke Wachstum der Entwicklungsländer führt zu
einer weiteren Benachteiligung der dortigen armen Bevölkerung. Fruchtbarkeit und Armut bilden eine Art Teufelskreis, der kaum zu durchbrechen ist. Je zahlreicher die
Bevölkerung, desto mehr ökonomische Ressourcen müssen für den einfachen Lebenserhalt eingesetzt werden.
Dadurch stehen keine Ressourcen für Bildung und berufliche Qualifikation zur Verfügung, die jedoch für eine Bekämpfung der Armut notwendig wären. Zudem geht die
Armut mit Mangel- und Unterernährung großer Bevölkerungsteile einher.
Bolte publizierte ein zwiebelförmiges Modell sozialer
Schichten. Die Schichten unterscheiden sich anhand des
Tabelle 1.7
Häufigkeitsverteilung im Schichtgefüge nach Bolte
Oberschicht
2%
██
obere Mitte
5%
█████
mittlere Mitte
14 %
██████████████
untere Mitte
29 %
█████████████████████████████
unterste Mitte / oberes Unten
29 %
█████████████████████████████
Unterschicht
17 %
█████████████████
sozialer Bodensatz
4%
████
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Histologie
Anatomie
Chemie
Biochemie
Physik
Soziale Struktur der Bundesrepublik Deutschland nach
Bolte
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Unter „neuer sozialer Ungleichheit“ wird die Ungleichheit zwischen Geschlechtern, zwischen Regionen und die
Disparitäten zwischen ethnischen Gruppen verstanden.
Diese Unterschiede sind nicht im eigentlichen Sinne des
Wortes „neu“, doch heute ist das Verständnis für diese
Probleme gewachsen. Ungleichheiten, die allein auf angeborene Merkmale zurückgehen, werden gesellschaftlich
weniger toleriert.
Die Einkommen sind in den meisten Ländern, so auch in
Deutschland nicht gleich verteilt. Das Auseinanderklaffen
des mittleren Einkommens wird mit dem Begriff der Einkommensdisparität beschrieben. Die mittleren Einkommen gehen immer weiter auseinander, sodass zu Beginn
dieses Jahrtausends etwa in Deutschland das oberste
Fünftel der Bevölkerung über fast die Hälfte des Nettovermögens verfügte. In Deutschland leben ca. 10 % aller Menschen unter der Armutsgrenze (ca. € 10 000 pro Jahr).
Schichtspezifisches Verhalten. Die einzelnen sozialen
Schichten unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des Status. In der Soziologie werden einige Verhaltensbereiche genannt, in denen schichtspezifische Unterschiede bestehen.
Allerdings handelt es sich hier um Beschreibungen, die nicht
zwangsweise auf jedes Individuum zutreffen müssen.
– Oberschicht. Diese unterscheidet sich in ihren Verhaltensweisen nicht von der Mittelschicht. Lediglich in
der politischen Einstellung gibt es Unterschiede, da die
Oberschicht auf eine Wahrung der momentanen Verhältnisse bedacht ist.
– Mittelschicht: Die hier angesiedelten Individuen zeigen
eine starke Aufstiegsorientierung, ein hohes Anspruchsniveau und eine ausgeprägte Zukunftsorientierung auf.
Das heißt, sie sind bereit, in der Gegenwart viel zu leisten, um in der Zukunft davon zu profitieren. Menschen
mit einer Zukunftsorientierung können nach dem Prinzip des Belohnungsaufschubs verstärkt werden („Delay
of Gratification“). Das heißt, sie erleben eine spätere Belohnung als Verstärkung für das jetzt gezeigte Verhalten
(siehe operante Konditionierung, S. 872).
– Unterschicht : Man geht davon aus, dass Menschen in der
Unterschicht aufgrund der ungünstigen ökonomischen
Situation eher das „Einfache“ und „Natürliche“ schätzen. Es wird mehr Wert auf körperliche als auf geistige
Arbeit gelegt. Menschen, die hier angesiedelt sind, sind
eher gegenwartsorientiert.
Physiologie
Die neue soziale Ungleichheit
sozialen Status. Mit dem sozialen Status wird die Position
beschrieben, die ein Mensch innerhalb einer Gesellschaft
einnimmt. Man unterscheidet dabei zwischen einem zugeschriebenen und einem erworbenen Status. Einen zugeschriebenen Status hat ein Individuum unabhängig von
seiner Qualifikation oder Leistung. So kann z. B. jemand einen hohen Status haben aufgrund seiner sozialen Herkunft.
Beim erworbenen Status geht es um eine Position, die durch
eigene Leistung, z. B. im Beruf oder Sport, erreicht wurde.
Bolte ermittelte den sozialen Status anhand eines Index
aus Einkommen, Beruf und Ausbildung. Die Übergänge
an den Rändern der Schichten sind fließend und nicht
klar abgrenzbar. Die anteilsmäßig am stärksten besetzten
Schichten sind die untere Mitte und die unterste Mitte
bzw. oberes Unten (Tab. 1.7). 1988 befanden sich in diesen
Bereichen 58 % der Bevölkerung.
Psych./Soz.
von Menschen, die sich in derselben Klassenlage befinden.
Sie beschreibt die Möglichkeit des einzelnen Individuums,
aufgrund seiner Verfügungsgewalt über Güter und Qualifikationen unter gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen Einkommen oder Einkünfte zu erzielen. Angehörige
einer Klasse haben also ähnliche Eigentumsverhältnisse,
aber auch ähnliche berufliche Qualifikationen. Menschen
haben somit aufgrund der höheren oder niedrigeren
Qualifikationen einen höheren oder niedrigeren Arbeitsmarktwert.
Nach Weber gibt es:
– Die Besitzklasse: Hier wird das Leben aus dem Eigentum
der Menschen sichergestellt.
– Die Erwerbsklasse: Angehörige dieser Klasse sind abhängig von Lohn und Arbeit.
– Soziale Klassen: Diese beschreiben die Gesamtheit ähnlicher Lebenslagen von Individuen.
Weber führte auch den Begriff Status ein. Hiermit sind die
Unterschiede hinsichtlich des Ansehens sozialer Gruppen
gemeint, das sie bei anderen Gruppen genießen.
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 927
928 1 Entstehung und Verlauf von Krankheiten
Histologie
Unterschiedliche Erziehungsstile. Die soziologische Forschung hat neben den Werthaltungen auch unterschiedliche Erziehungsstile in den verschiedenen sozialen Schichten gefunden. Dabei unterscheiden sich Mittel- und Oberschicht bezüglich des Erziehungsverhaltens nicht voneinander (Tab. 1.8). Die Ursachen für diese Unterschiede
scheinen z. T. an der Gestaltung des Arbeitsplatzes zu liegen. Je höher der Grad der Autonomie, desto autonomer
wird auch der Erziehungsstil.
Schichtindizes
Anatomie
Chemie
Mit einem Schichtindex werden die Unterschiede zwischen sozialen Gruppen dargestellt. Es werden Merkmale
dokumentiert, die bei Menschen derselben Schicht ähnlich sind, sich aber bei Menschen verschiedener Schichten
unterscheiden. Üblicherweise werden drei Statuskriterien
unterschieden:
– Bildung
– berufliche Stellung
– Einkommen
Biochemie
Multipler Schichtindex. Werden zur Kategorisierung
mehrere Statusmerkmale herangezogen, so kann eine
Person unterschiedliche Statusmerkmale bekommen.
Dies wird durch den multiplen Schichtindex abgebildet.
Beispielsweise würde ein promovierter Psychologe, der
als Kellner arbeitet, aufgrund seines Bildungsabschlusses
in die höchste Kategorie, bezüglich seines Einkommens
jedoch wahrscheinlich sehr viel niedriger eingestuft werden.
Physik
Physiologie
Statuskonsistenz und die Statusinkonsistenz. Werden zur
Bestimmung sozialer Unterschiede mehrere Statusmerkmale zugrunde gelegt, so kann es wie erwähnt zu unterschiedlichen Einstufungen ein und derselben Person kommen. In diesem Fall spricht man von Statusinkonsistenz.
Ist die Einstufung bei allen Merkmalen gleich, liegt eine
Statuskonsistenz vor.
Die Anzahl der inkonsistenten Personen hat innerhalb
der letzten 25 Jahre stark zugenommen und liegt inzwischen bei über 25 %. Ursachen für die häufige Diskrepanz
verschiedener Statusmerkmale liegen unter anderem in
einer geringeren Kopplung von Ausbildungsstand und beruflicher Stellung bzw. Einkommen. Trotzdem ist die Ho-
Tabelle 1.8
mogenität der Statusmerkmale bzw. Lebenslagen immer
noch der Normalfall.
Soziale Mobilität
Mit sozialer Mobilität wird der soziale Auf -und Abstieg,
also die soziale Positionsveränderung eines einzelnen
Menschen bezeichnet. Sie verläuft vertikal (s. o.).
Je höher die Mobilität, desto offener ist die Gesellschaft,
denn es ist dem Individuum möglich, seine Position zu
verändern. In der Mittelschicht ist die Mobilität höher als
in der Unterschicht. Betrachtet man die Mobilität über die
Zeit hinweg, so gibt es zwei Unterteilungen. Intragenerationenmobilität bezeichnet den Positionswechsel innerhalb
derselben Generation. Intergenerationsmobilität steht für
einen Positionswechsel innerhalb mehrerer Generationen.
Veränderung der Erwerbsstruktur
Die wirtschaftliche Struktur stellt einen wesentlichen
Faktor im Wandel der Gesellschaft dar. Sie lässt sich in verschiedene Erwerbssektoren unterteilen. Fourastié (1954)
entwickelte ein Modell, aus dem sich Hypothesen über
die Entwicklung der wirtschaftlichen Struktur ableiten
lassen. Er unterteilte die Wirtschaft in drei Sektoren.
Der primäre Sektor besteht in der Landwirtschaft und
dient der Nahrungssicherung.
Der sekundäre Sektor besteht in der industriellen und gewerblichen Produktion.
Im tertiären Sektor sind alle Dienstleistungen angesiedelt.
Nun lassen sich folgende Aussagen machen: Je mehr ein
Sektor technisiert werden kann, desto geringer wird der
notwendige Personalbedarf. Für den primären und sekundären Sektor ist eine Technisierung im großen Ausmaß
möglich, nicht aber für den tertiären. Also nimmt nur im
tertiären Sektor der Anteil an Personal zu, in den anderen
beiden ab. Diese Hypothesen wurden in den Industrieländern bestätigt.
Modernisierung der Gesellschaft
Mit dem Beginn der Industrialisierung verschiebt sich
die Erwerbstätigkeit vom Land, der Landwirtschaft, in
die Stadt. Dies war in Europa bereits im 19. Jahrhundert
der Fall. Aber auch die Landwirtschaft wurde immer
mehr technisiert, sodass auch hier Personal eingespart
wird, aber trotzdem mehr Ertrag erwirtschaftet werden
konnte (siehe oben). Geprägt durch den wirtschaftlichen
Bereich, setzte sich das Prinzip des zweckrationalen Han-
Erziehungsstile innerhalb der sozialen Schichten
Psych./Soz.
Unterschicht
Mittel- und Oberschicht
Erziehungsziele
Disziplin, Gehorsam und Regelbefolgung
Selbstständigkeit und Eigenverantwortung
Erziehungsverhalten
eher körperliche Strafen
psychologische Sanktionen wie Liebesentzug oder
Nichtbeachtung des Kindes
Bestrafung
eher an Verhaltenskonsequenzen orientiert
eher an der Absicht orientiert
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Aus Boeck, G., et al.: Prüfungswissen Physikum (ISBN 9783131452214) © 2009 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
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Biologie
– Versorgungsklasse: Der Begriff wurde von Lepsius geprägt. Er beschreibt damit eine Klasse, die von der Unterstützung des Sozialstaates abhängig ist (Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe).
Histologie
Psych./Soz.
Physiologie
Physik
Biochemie
In vielen Untersuchungen konnte ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit, Krankheit und
Todesursachen festgestellt werden. Somit weist das Merkmal Gesundheit einen sozialen Gradienten auf. So kann
man sagen, dass die Lebenserwartung in der Oberschicht
am höchsten ist und von Schicht zu Schicht immer weiter
abnimmt. Der Unterschied schwankt zwischen 3 und 10
Jahren. Die Gründe hierfür sind vielfältig.
Einige ungünstige Einflussfaktoren in der Unterschicht
sind berufliche Anforderungen (Schichtarbeit, monotone
oder körperlich anstrengende Tätigkeiten). Hinzu kommen eine schlechtere medizinische Aufklärung (z. B. we-
Anatomie
Zusammenhang zwischen sozialem Status und
Gesundheit
Chemie
Unterordnung affektiver Motive. Unsere Gesellschaft entwickelt sich von einer Industrie- zu einer Informationsgesellschaft. Der Verkauf von Wissen und Information bekommt einen immer höheren Stellenwert.
niger Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen),
eine andere Krankheitseinstellung (Geringschätzen erster
Symptome und eine Behandlung nur, wenn körperliche
Fähigkeiten eingeschränkt sind (instrumentelles Verständnis). Mangelhaftes Ernährungsbewusstsein, ungünstige Lebensgewohnheiten.
Ein weiterer Grund sind auch psychosoziale Belastungen.
Dies sind Stress am Arbeitsplatz, aber auch im Privatleben.
Beruflich bedingter Stress wird z. B. durch Schichtarbeit
oder drohende oder tatsächliche Arbeitslosigkeit verursacht. Stress im Privatleben kommt häufig durch eine instabile Familienstruktur, Drogenmissbrauch und geringe
Einbindung in soziale Netzwerke zustande.
Für folgende Krankheiten bzw. Todesursachen wurde ein
sozialer Gradient nachgewiesen:
Koronare Herzerkrankung, Schlaganfall, Herzinsuffizienz,
Bronchialkarzinom, Diabetes mellitus und Asthma bronchiale. An diesen Krankheiten leiden verhältnismäßig
mehr Menschen aus den unteren Schichten. Auch bei einigen psychischen Störungen wie Schizophrenie und Depression ist die Prävalenz in den unteren Schichten höher.
Auch die Krankheit Aids weist einen sozialen Gradienten
auf. In den unteren sozialen Schichten sterben außerdem
mehr Menschen an Unfällen als in der Oberschicht.
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delns durch. Dieser Begriff stammt von Max Weber. Er
beschreibt damit eine Werthaltung, die durch folgende
Merkmale charakterisiert ist:
– Berechenbarkeit
– Orientierung an maximaler Wirkung
– Sachlichkeit
Biologie
1.4 Theoretische Grundlagen 929
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