12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)

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12 Vielfalt der Organismen
a
Onychophora
Tardigrada
Pentastomida
Insecta
Myriapoda
Crustacea
Chelicerata
b1
Myriapoda
Insecta
C1
C2
12.9 Arthropoda
(Gliederfüßer)
Die Arthropoden (▶ Abb. 12.72, ▶ Abb. 12.73) bilden die
bei weitem artenreichste Gruppe der Metazoen. Weit
mehr als eine Million Arten und damit etwa 75 % aller
bisher bekannten Metazoen-Spezies sind beschrieben;
30 Millionen mögen es sein (wenn man gewissen Hochrechnungen jährlich neu entdeckter Arten Glauben
schenken darf). Diesen außerordentlichen Erfolg verdanken die Arthropoden einer ganzen Reihe evolutiver
Neuerungen: ihrem Cuticularskelett, den gegliederten
Extremitäten (Name!) und einer ausgeprägten Gruppierung von Segmenten zu funktionellen Abschnitten (Tagmata), v. a. der Kopfbildung (Cephalisation).
In jüngster Zeit werden die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Großgruppen der Arthropoden erneut
diskutiert.
Nach
klassischer
Auffassung
(▶ Abb. 12.72 a) bilden Myriapoden und Insekten ein Monophylum, das vor allem durch das Fehlen der bei Krebsen auftretenden 2. Antennen am Tritocerebralsegment
(= Interkalarsegment) gekennzeichnet ist, während die
bei beiden Gruppen vorhandenen Tracheen und Malpighi-Gefäße wahrscheinlich konvergenten Ursprungs
sind. Dagegen legen neuere molekulargenetische, aber
auch entwicklungsbiologische und morphologische Analysen eine engere Verwandtschaft zwischen Insekten und
Krebsen nahe (▶ Abb. 12.72 b). Nach dieser Hypothese
stehen die Insekten in einem Schwestergruppenverhältnis zu einer Crustaceengruppe (C 1), bei der es sich möglicherweise um die Malacostracen handelt. Die Crustaceen selbst würden damit zu einem Paraphylum, Krebse
und Insekten zusammen zu einem Monophylum (Pancrustacea = Tetraconata). Die Bezeichnung Tetraconata
612
Antennata Mandibulata Euarthropoda
Pancrustacea
„Crustacea“
Cn
Chelicerata
b2
Insecta
C1
C2
Pancrustacea
„Crustacea“
Cn
Myriapoda
Chelicerata
Abb. 12.72 Großgliederung der Arthropoden. Traditionell (a)
werden Mandibulata (Extremitäten des 4. Kopfsegments zu
Mandibeln differenziert) und Antennata (= Tracheata =
Monantennata; 2. Antennenpaar reduziert) als Monophyla betrachtet. Molekulare Daten und eine Reihe morphologischer
Merkmale sprechen dagegen für eine nähere Verwandtschaft
von Insekten und Krebsen (b1). Manche Analysen stellen zudem
die Myriapoden in die Nähe der Cheliceraten (b2).
bezieht sich auf den bei beiden Gruppen völlig übereinstimmenden Bau der Ommatidien im Komplexauge, genauer auf die 4 Semper-Zellen im Kristallkegel (Conus;
▶ Abb. 7.22 auf S. 376). Manche molekularen Daten begünstigen zudem ein Schwestergruppenverhältnis von
Cheliceraten und Myriapoden (▶ Abb. 12.72 b2).
Eine der Hauptvoraussetzungen dafür, dass die Arthropoden als erste Tiergruppe die terrestrische Welt besie-
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teilt sich das larvale Coelom synchron in 3 – 6 Segmente,
die die vorderen Rumpfmetameren des adulten Wurms
bilden. Die übrigen Segmente entstehen sukzessiv aus
einer vor dem Pygidium gelegenen Sprossungszone (teloblastische Coelombildung).
Nicht immer ist das Coelom so prägnant ausgebildet,
wie das ▶ Abb. 12.62 (S. 606) suggeriert. Bei den Blutegeln geht die Coelomgliederung und schließlich sogar
der Großteil des Coeloms im Laufe der Embryonalentwicklung verloren, sodass adult die inneren Organe
(Darm, Nephridien, Gonaden, Blutgefäße) ähnlich wie
bei den Plathelminthen in mesenchymatischem Bindegewebe liegen, das nur noch von einigen Coelomkanälen
durchzogen wird. Auch bei einigen Polychaeten (z. B. Goniadides) ist die Coelomgliederung und mit ihr das gesamte Blutgefäßsystem zurückgebildet. Dadurch kann
die vom Hämoglobin rot gefärbte Coelomflüssigkeit
durch die oft transparente Epidermis hindurchscheinen
und den Würmern ihre englische Bezeichnung „bloodworms“ verleihen.
12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
Onychophora
Myriapoda
Peripatus
Scolopendra
Antenne
Antenne
Oralpapillen
Oncopodium
Giftklaue
Laufbein
apterygot
Campodea
Insecta
pterygot
(Schema)
Taster
Antenne
Ocellus
Kopf
Laufbein
I
II
Thorax
III
Antenne
Komplexauge
I
Vorderflügel
II
III
1
Hinterflügel
11
Cercus
Cercus
Abb. 12.73 Beispiele zur Körpergrundgestalt der Arthropoden. Bei den Insekten werden die Thorakalsegmente in römischen Zahlen,
die Abdominalsegmente in arabischen Zahlen angegeben. Die Taster sind die Palpen der 1. und 2. Maxillen.
deln konnten (S. 629), war die Ausbildung einer stoßfesten und wasserundurchlässigen Cuticula, eines Sekretionsprodukts der Epidermis. In dieser Cuticula
(▶ Abb. 12.74) sind lamellenförmig geschichtete Bündel
von Mikrofibrillen (Micellen) des celluloseähnlichen Polysaccharids Chitin (Monomer: N-Acetylglucosamin) in
eine Proteingrundsubstanz eingebettet. Diese zunächst
wasserlöslichen Proteine (Arthropodin) werden durch
Chinongerbung in eine gehärtete, wasserundurchlässige
Proteinform (Sklerotin) überführt. Während die innere
Endocuticula nicht sklerotisiert und daher elastisch ausgebildet ist, erfüllt die sklerotisierte Exocuticula die mechanische „Panzerfunktion“ des Arthropodenexoskeletts.
Zwischen den Skleriten – den gegerbten, sklerotisierten
Skelettteilen – sind flexible, nicht oder nur schwach sklerotisierte „Membranen“ (Gelenkhäute) eingeschaltet, die
die Beweglichkeit der Sklerite gegeneinander gewährleisten. Die Exocuticula wird außen von der mehrschichtigen,
stets
chitinfreien
Epicuticula
überzogen
(▶ Abb. 12.74, Einschaltbild), deren Wachsschicht die
Wasserundurchlässigkeit der Cuticula von Landarthropoden erhöht.
Neben der Körperoberfläche kleidet die Cuticula auch
innere Räume aus: Tracheen (▶ Abb. 4.21, S. 267), Fächerlungen (▶ Abb. 4.16, S. 261) und ektodermale Darmabschnitte (Stomo- und Proctodaeum). Mit dem Auftreten des Exoskeletts und der gegliederten Extremitäten
hat sich ein kompliziertes System von Muskeln entwickelt, die innen an der Cuticula ansetzen
(▶ Abb. 12.77). Als Muskelinsertionsstellen dienen nach
innen vorspringende Cuticularleisten (Apodeme), die im
Kopf ein endoskelettähnliches Tentorium bilden können.
Alle Bewegungen der Körperteile wie auch solche innerhalb der Organe werden von Muskeln ausgeführt, da Cilien – nicht zuletzt wegen der Cuticularbedeckung der
Epidermis – wie bei den Nematoden völlig fehlen.
Die Ausbildung des Exoskelett bedingt ferner, dass das
Wachstum nur unter wiederholten Häutungen (Ecdysis)
der zu klein gewordenen Cuticularhülle vor sich gehen
kann. Vom ektodermalen Epithel wird also periodisch
eine neue Cuticula sezerniert und anschließend sklerotisiert. Bei diesen hormonal gesteuerten Vorgängen
(S. 303) löst die Epidermis zunächst die Endocuticula enzymatisch auf und bildet dann eine neue Procuticula.
Schließlich reißt die Exocuticula längs präformierter
Nähte auf und wird als Exuvie abgestreift.
Eine gleichförmige, homonome Körpergliederung findet sich nur noch bei den Onychophoren. Bei den übrigen Formen – den Euarthropoden – sind die einzelnen
Segmente gruppenweise zu funktionellen Einheiten (Tagmata) zusammengefasst, die ihre metamere Gliederung
oft nur noch anhand der Körperanhänge erkennen lassen.
Während innerhalb der Krebse die Segmentzahl noch
schwanken kann und die Grenzen der Tagmata bei den
einzelnen Gruppen vielfach noch nicht übereinstimmen,
besitzen die Insekten eine konstante Gesamtsegmentzahl
(20) und eine konstante Gliederung in Kopf (Caput),
Bruststück (Thorax) und Hinterleib (Abdomen), bei
denen jeweils 6, 3 und 11 Segmente zu einer funktionellen Einheit verschmolzen sind (▶ Abb. 12.73).
Die Cephalisation und die mit ihr verbundene Verschmelzung von Ganglienpaaren zu einem komplexen
12
613
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Abdomen
12 Vielfalt der Organismen
Epicuticula
Seta
Exocuticula
Endocuticula
Epidermiszelle
Basallamina
Runzelstruktur
Trichom
Zementschicht
Wachsschicht
Cuticulinschicht
Schuppenstruktur
Lipid-ProteinWechsellagerung
thecogene Zelle
tormogene Zelle
Sinneszelle
trichogene Zelle
Epicuticula
Exocuticula
Porenkanal
Muskelfasern
Apodem
sklerotisierte Cuticula (Sklerit)
Gelenkhaut
sklerotisierte
Cuticula
Abb. 12.74 Integument der Arthropoden (im Bereich eines Gelenks) (nach Gluud; Weber; Seifert). Die Skulpturierung der Exocuticula
kann Schuppen- oder Runzelstruktur annehmen und Trichome (unechte Borsten, Protuberanzen von Exo- und Epicuticula) bilden. Setae
(echte Borsten, Sing. Seta) werden von einer modifizierten Epidermiszelle, der trichogenen Zelle, gebildet, die von einer Balgzelle
(tormogene Zelle) umhüllt wird. Ihr folgt außen als Ringwulst die Basalringzelle (thecogene Zelle). In Verbindung mit einer oder
mehreren Sinneszellen werden die Setae zu Sinnesborsten (Sensillen, ▶ Abb. 7.9 auf S. 360, ▶ Abb. 7.14 auf S. 367).
Gehirn waren dabei von besonderer Bedeutung. Sie dürfte sich im Zuge der evolutiven Entwicklung schrittweise
durch Einbezug einer immer größeren Zahl von Segmenten vollzogen haben. Das dem Prostomium der Anneliden
homologe, ebenfalls coelomlose Acron trägt die Augen
und enthält das Protocerebrum. Möglicherweise ist ihm
auch das Labrum (Oberlippe) als ventrale Abfaltung zuzuordnen. Die Antennen (bei Crustaceen die 1. Antennen)
sind Anhänge des ersten echten, d. h. coelomtragenden
Körpersegments mit dem Deuterocerebrum als Gehirnteil, in den der Antennennerv projiziert. Das Tritocerebrum, das mit der Tritocerebralkommissur den Darm
ventral umgreift (▶ Abb. 6.29 a, S. 348), ist dem 2. Antennensegment der Krebse – dem Interkalarsegment der Insekten – zugeordnet. Auf den ersten Blick besteht der
wohl deutlichste Unterschied zwischen Insekten und
Krebsen (mit Kopf, Thorax und Abdomen) und den Cheliceraten (mit Prosoma und Opisthosoma) in der genannten Körpergliederung. Doch wie die Expressionsmuster
der Hox-Gene belegen (▶ Abb. 12.75), dürfte das Prosoma
der Cheliceraten – unter Einbezug eines weiteren Segments – dem Kopf der Krebse und Insekten entsprechen.
Durch die Ausbildung von Tagmata wird die ursprüngliche Segmentgliederung weitgehend verwischt und eine
Organkonzentration auf bestimmte Körperabschnitte erreicht. Die embryonal noch metamer angelegten Coelomkammern lösen sich auf, indem ihre Wandungen Muskulatur, Gonaden und Blutgefäße bilden (▶ Abb. 12.76).
Folglich vereinigt sich das Lumen des Coeloms mit der
primären Leibeshöhle zu einem Mixocoel (= Haemocoel,
oft als tertiäre Leibeshöhle bezeichnet). In der frühen
614
Ontogenese kommt es zwar noch zur Bildung von Mesodermstreifen und Coelomabschnitten, doch nur im Endbläschen (Sacculus) um die Nephridien und in den Gonaden bleiben Reste des Coeloms erhalten. Letzte Anklänge
an eine metamere Gliederung zeigt auch der dorsale
Herzschlauch (Röhrenherz): Bei einigen ursprünglich organisierten Krebsen weist er noch segmental abzweigende Arterien auf. Die paarigen seitlichen Spalten (Ostien),
die als Einstromöffnungen dienen und möglicherweise
den ehemaligen Eintritt von Venen markieren, sind ebenfalls metamer angeordnet. Durch die Ostien und das offene Vorder- und Hinterende steht das Herzlumen mit
dem Mixocoel in direkter Verbindung. Nur bei einigen
Insektengruppen (z. B. den Lepidopteren) ist das Herzende geschlossen. Arthropoden besitzen also im Gegensatz zu den Anneliden (▶ Abb. 12.64 b, S. 607) ein offenes
Blutgefäßsystem. Das Mixocoel wird demnach von Blutund Lymphflüssigkeit erfüllt (Hämolymphe). Mit dem
Verlust des Coeloms haben sich als Exkretionsorgane
auch die metamer angelegten Nephridien zurückgebildet.
Nur in den vorderen Körperabschnitten bleiben modifizierte Nephridien erhalten (Antennen- und Maxillardrüse
bei Krebsen, ▶ Abb. 12.93 auf S. 624; Coxaldrüse bei Cheliceraten; Labialdrüsen bei Tracheaten). Auch die Gonodukte werden als stark umgebildete Nephridien gedeutet.
Bei landlebenden Arthropoden dienen lange, schlauchförmige Divertikel des entodermalen Mitteldarms (bei
Spinnen) oder ektodermalen Enddarms (bei Insekten)
als
Exkretionsorgane
(Malpighi-Gefäße,
S. 287;
▶ Abb. 4.38 c auf S. 287, ▶ Abb. 12.103 auf S. 630).
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Drüsenzelle
12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
Kurzbeschreibungen
Kopf (Caput)
Au
An
Ik
Thorax
Md Mx
Lb
T1
T2
lab
Dfd
Scr
Crustaceen
Cephalothorax
Kopf (Cephalon)
Thorax
Au An1 An2 Md Mx1 Mx2 T1
T2
lab
Dfd
Scr
Cheliceraten
Au
Ch
Prosoma
Pp
L1
L2
Opisthosoma
L3
L4 Op1
lab
Dfd
Scr
Abb. 12.75 Expressionsmuster von drei homeotischen Genen
(farbige Balken) in den Kopfsegmenten der Arthropoden
(nach Abzhanov; Damen, Tautz; Carroll). Die jeweils vertikal
übereinander angeordneten Segmente mit den angegebenen
Extremitäten werden als homolog betrachtet.
An = Antenne, Au = Augen, bei Drosophila Clypeolabrumsegment genannt. Ch = Cheliceren, Ik = Interkalarsegment,
L = Laufbeine, Lb = Labium, Md = Mandibeln, Mx = Maxillen,
Op1 = 1. Opisthosomalsegment, Pp = Pedipalpen, T = Thorakalbeine.
Bei den Genen handelt es sich um lab (= labial), Dfd (= deformed) und Scr (= Sex comb reduced). Vgl. ▶ Abb. 3.26 (S. 189).
Die metameren seitlichen Körperanhänge bilden bei
den Euarthropoden nicht wie bei den Anneliden ungegliederte Lappen (Parapodien, ▶ Abb. 12.64 auf S. 607),
sondern gegliederte Extremitäten (Arthropodien,
▶ Abb. 12.77). Sie bestehen aus mehreren gelenkig miteinander
verbundenen,
röhrenförmigen
Gliedern
(▶ Abb. 12.97 auf S. 627, ▶ Abb. 12.103 auf S. 630) und
können auf mannigfache Weise zu Sinnesorganen (Antennen), Mundwerkzeugen (Mandibeln, Maxillen, Maxillipedien, Cheliceren, Pedipalpen), Lokomotionsorganen
(Schwimm- und Laufbeinen) oder Begattungsapparaten
umgebildet sein.
X
Arthropoden ohne Gliederextremitäten (vgl. Kladogramm in ▶ Abb. 12.72 a, S. 612):
Onychophora (Stummelfüßer): Als ursprünglichste Arthropoden können die wurmförmigen Onychophoren
gelten (▶ Abb. 12.73, ▶ Abb. 12.78). Ihre wenigen rezenten Vertreter sind als landlebende, nachtaktive Formen auf tropische Gebiete vorwiegend der Südhalbkugel beschränkt. Doch in der mittelkambrischen Burgess-Shale-Fauna (S. 514) waren sie formenreich vertreten. Aysheaia glich in ihrer äußeren Körpergestalt rezenten Formen bis in Einzelheiten, obwohl seither ein
Übergang von der marinen zur terrestrischen Lebensweise stattgefunden hat. Die Ursprünglichkeit der Onychophoren-Organisation beruht auf einer Reihe symplesiomorpher Merkmale, die bei den Euarthropoden
nicht mehr auftreten. Als Beispiele seien genannt: blasenförmig eingestülpte Einzellinsenaugen, segmental
angeordnete Nephridien und der durchgehend ausgebildete Hautmuskelschlauch. Die metamere Gliederung kommt nur noch in den paarweise angeordneten Extremitäten zum Ausdruck, da die dünne Cuticula unabhängig von der Körpersegmentierung fein geringelt (▶ Abb. 12.78 b) und das Körperinnere von
einem Mixocoel erfüllt ist. Zu den abgeleiteten Merkmalen, die die Onychophoren als Synapomorphien mit
den Euarthropoden teilen, zählen neben der sklerotisierten Cuticula (ohne Wachsschicht) und dem Mixocoel, das von Ostien durchbrochene Herz, das weitgehend offene Blutgefäßsystem, der Bau der Nephridien, die nicht mit einem Wimpertrichter, sondern mit
einem geschlossenen Endbläschen (Sacculus) beginnen,
sowie die Struktur des aus Proto-, Deutero- und Tritocerebrum bestehenden Gehirns. Die Cuticula wird zeitlebens im Abstand von wenigen Wochen gehäutet.
Schließlich sind die Onychophoren durch mehrere Autapomorphien chakterisiert: durch büschelförmig angeordnete Tracheen mit nicht verschließbaren Öffnungen nach außen, die unregelmäßig über den ganzen
Rumpf verteilt sind, durch hakenförmige Kiefer, mehrere
Nervensystemkommissuren pro Segment, stummelförmige Extremitäten (Oncopodien, maximal 43 Paare), die
im Gegensatz zu den Extremitäten aller Euarthropoden
ungegliedert sind, und mit Schleimdrüsen ausgestattete
orale Papillen (▶ Abb. 12.78 b). Die Schleimdrüsen sezernieren Enzyme zur extraintestinalen Verdauung in die
Mundhöhle, in der die Hakenkiefer die Beute aufschneiden.
Tardigrada (Bärtierchen): Kleine (meist < 1 mm), im
Meer, Süßwasser und in feuchten Landmikrohabitaten
lebende Metazoen (▶ Abb. 12.79), deren phylogenetische Beziehungen seit langem diskutiert werden, die
aber den Arthropoden wohl am nächsten stehen. Die
Cuticula aus leicht gegerbtem Protein bietet keinen
wirkungsvollen Verdunstungsschutz. Vier Paare ungegliederter, krallenbesetzter Laufbeine. Bei Austrocknung
12
615
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Insekten
12 Vielfalt der Organismen
a
b
Blutgefäß
primäre
Leibeshöhle
Längsmuskulatur
Mixocoel
Muskulatur
Mitteldarmmuskulatur
Darmlumen
Fettkörper
Ektoderm
Entoderm
Darmlumen
Coelom
Abb. 12.76 Schematische Querschnitte
durch Entwicklungsstadien eines Insekts.
Frühes (a) und spätes (b) Entwicklungsstadium. Die Ableitung der Organe in b aus
den Coelomepithelien in a ist durch gleiche
Farb- und Rastersignaturen gekennzeichnet.
Vgl. ▶ Abb. 12.41 (S. 590).
a
Muskulatur
Coxa
Trochanter
Femur
Abb. 12.77 Einästige Gliederextremität
der Euarthropoden (Polymicrodon, Diplopoda) (nach Gray).
a Exoskelett mit Innenmuskulatur. Die Muskeln können entweder nur ein Gelenk oder
als langgestreckte Muskelbündel, die für
schnelle Bewegungen zuständig sind, mehrere Gelenke überspannen.
b Bewegungsmechanismus der röhrenförmigen Beinsegmente, die durch Gelenkhäute miteinander verbunden sind.
Tibia
b
sklerotisierte Cuticula
Gelenkhaut
Muskulatur
Tarsalglieder
Sehne
Coxa
a
Femur
Trochanter
b
Antenne
Oberschlundganglion
Oralpapillen
Abb. 12.78 Stummelfüßer (Onychophora): Peripatus (nach Snodgrass).
a Organisationsschema (Dorsalansicht).
b Vorderende (Ventralansicht).
Antenne
Oncopodium
Schleimdrüse
Oralpapillen
Lippenpapillen
Markstrang
Nephridium
Oncopodium
Tracheen
Kommissuren
Darm
Uterus
Ovar
Genitalporus
616
Coxalbläschen
After
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Gonade
Zentralnervensystem
12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
Cirrus
Mundöffnung
Extremität
Mitteldarm
Ductus deferens
After
Abb. 12.79 Bärtierchen (Tardigrada): Batillipes (nach Marcus).
Die 0,7 mm langen marinen Tiere leben in der Sandlückenfauna
des Litorals. Die Extremitäten tragen Haftlappen. Die Cirren
sind innerviert.
12
12.9.1 Trilobita (Dreilapper),
nur fossil
Das auffälligste Merkmal der vom Kambrium bis Perm
vertretenen Trilobiten (▶ Abb. 12.81) ist der stark sklerotisierte Dorsalpanzer, der sowohl in Längs- als auch in
Querrichtung deutlich dreigeteilt erscheint: Die Quergliederung in einen mittleren Axial- und zwei seitliche Pleural-„Lappen“ hat den Trilobiten ihren Namen gegeben. In
Längsrichtung folgt auf das kompakte Cephalon (mit aufgewölbter medianer Glabella, seitlichen Wangen und
meist großen Komplexaugen, ▶ Abb. 12.82) der Thorax,
der aus einer größeren Zahl gelenkig miteinander verbundener Tergite besteht, und das Pygidium, in dem die
Abb. 12.80 Vorderende eines Zungenwurms (Pentastomida:
Armillifer). Beidseits des Mundes (Pfeil) liegen 2 Paar Hauttaschen mit vorstreckbaren Klammerhaken. Maßstabsmarke:
1 mm (REM-Aufnahme: H. Mehlhorn, Düsseldorf).
Tergite zu einer geschlossenen Platte verschmolzen sind.
Wie das Cephalon weisen auch die Tergite von Thorax
und Pygidium einen wulstartig aufgewölbten Mittelteil
und seitliche Pleuralteile auf.
617
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temporärer Mikrohabitate erfolgt Umwandlung in ein
Tönnchen (▶ Abb. 10.9, S. 466), das im Zustand der
Anhydrobiose (Einstellung des gesamten Metabolismus)
unter extremen Umweltbedingungen überdauern kann,
z. B. jahrelang in flüssiger Luft (–200 ºC).
Pentastomida (= Linguatulida, Zungenwürmer):
Die 2 – 16 mm langen wurmförmigen Adultformen
(▶ Abb. 12.80) leben als Endoparasiten in den Atemwegen von Landwirbeltieren; beim Menschen selten
(Linguatula, Nasenwurm). Nach neueren Funden aus
dem späten Kambrium stammen die heute allesamt
parasitischen Formen von freilebenden marinen Arthropoden ab. Ihren Namen verdanken die Pentastomida
(„Fünfmäuler“) den beidseits der Mundöffnung liegenden 2 Paar Hauttaschen, aus denen durch Flüssigkeitsdruck Klammerhaken zur Befestigung in den Atemwegen des Wirts hervorgestreckt (und durch Muskelzug
wieder in sie zurückgezogen) werden können. Auf den
aus 4 Segmenten bestehenden Kopfteil folgt der geringelte, wurmförmige Rumpf, der aus bis zu 230 Rumpfringen (Pseudometameren) besteht. Wirtswechsel: Die
vom Endwirt mit dem Nasenschleim abgegebenen Eier
werden im Freien von den Zwischenwirten (Herbivoren)
aufgenommen. Die Larven bohren sich dann durch die
Darmschleimhaut, verbreiten sich im Körper des Zwischenwirts und gelangen durch Fraß in den Endwirt.
Während vieler Jahrzehnte haben die Pentastomiden eine
wahre Odyssee durch die zoologische Systematik durchlaufen. Den Anneliden, ja sogar den Milben wurden sie
nahegestellt, bis sie für einige Zeit bei den Crustaceen
landeten. Dort sollten sie aufgrund der Feinstruktur ihrer
Spermien und einiger molekularer Daten mit den Karpfenläusen (Branchiura) verwandt sein. Doch scheint es
sich aufgrund ontogenetischer Charakteristika (Epimerie:
Schlüpfen mit endgültiger Segmentzahl) und der kambrischen Fossilfunde bei der „Vereinfachung“ der Körpergestalt nicht um den sekundären Verlust von CrustaceenMerkmalen, sondern um primäre Eigenschaften zu handeln. Als wahrscheinlichste Hypothese gilt heute die Einordnung der Pentastomiden als Schwestergruppe der
Euarthropoda (▶ Abb. 12.72, S. 612).
12 Vielfalt der Organismen
Axiallappen
Pleurallappen
Gesichtsnaht
Cephalon
Komplexauge
Glabella
Wangenstachel
Thorax
Axialring
Pleuralstachel
Pygidium
Pygidialplatte
den Form von Spaltbeinen. In ihrer generellen Körpergliederung (Verfestigung von Dorsal- gegenüber Ventralseite, Erweiterung von Vorder- gegenüber Hinterkörper)
dürften die Trilobiten den Xiphosuren und damit den
Cheliceraten am nächsten stehen.
In der fossil durch zahlreiche Exuvien gut belegten Ontogenese konnten mehr als 30 Häutungsstadien aufeinander folgen. Während in den frühen Stadien nach
jeder Häutung ein weiteres thorakales Segment zwischen
Cephalon und Pygidium eingefügt wurde, dienten die
späteren Häutungen lediglich der Größenzunahme. Im
stark verkalkten dorsalen Cephalon traten charakteristische Gesichtsnähte auf, längs derer der Panzer bei der
Häutung auseinanderbrach (und deren räumliche Anordnung heute ein wichtiges taxonomisches Merkmal bildet).
12.9.2 Chelicerata (Spinnentiere)
Formenübersicht
Abb. 12.81 Dorsalansicht eines Trilobiten (nach Levi-Setti;
Moore). Die Häutungsnaht (Gesichtsnaht) ist rot markiert. Das
vielgliedrige (an der Ventralseite des Kopfes entspringende)
Antennenpaar ist nicht dargestellt. Zudem sind die 3 – 4 unspezialisierten Kopfextremitätenpaare von dorsal aus nicht erkennbar. Die ebenfalls nur von ventral sichtbaren, charakteristischen Spaltbeine sind durch schwach punktierte Linien angedeutet.
Abb. 12.82 Komplexauge des Trilobiten Reedops. Fundstätte:
devonische Flachmeerablagerungen Tschechiens. Die als Räuber oder Saprophagen am Boden lebenden Formen der Trilobiten besaßen meistens – wie Reedops und Phacops – halbmondförmig gestaltete Komplexaugen mit großen Cornealinsen (Facettendurchmesser: 300 – 350 µm). Maßstabsmarke:
2 mm (Aufnahme: E. Clarkson, Edinburgh, Großbritannien).
Im Gegensatz zum Dorsalpanzer sind Ventralseite und
Extremitäten nur schwach oder gar nicht sklerotisiert.
Außer einem Paar vielgliedriger Antennen treten keine
spezialisierten Kopfextremitäten und -segmente auf. Vielmehr sind alle übrigen Extremitäten gleich (homonom)
gestaltet – und zwar in einer nur bei Trilobiten auftreten-
618
c
Vgl. ▶ Abb. 12.83.
Xiphosura (Schwertschwänze), wasserlebend, kiementragend, Extremitäten am Pro- und Opisthosoma: Limulus (▶ Abb. 12.84 a), an der Atlantikküste Nordamerikas.
Als verwandte, rein fossile Vertreter seien die Eurypterida (= Gigantostraca, Seeskorpione; Ordovizium bis
Perm) genannt. Mit bis zu 1,80 m Körperlänge bildeten
sie die größten Arthropoden; vorwiegend im Süßwasser.
Eurypterida und Xiphosura werden zur Gruppe der Merostomata zusammengefasst.
Arachnida (Spinnentiere i. e.S.), wahrscheinlich älteste
Landtiere, Extremitäten nur am Prosoma: Scorpiones
(Skorpione, ▶ Abb. 12.84 b): Buthus und Androctonus im
Mittelmeergebiet, speziell Nordafrika. Uropygi (Geißelskorpione), 1. Laufbeine als lange Taster, Pedipalpen als
Scheren ausgebildet. Amblypygi (Geißelspinnen,
▶ Abb. 12.85), 1. Laufbeine als lange Taster, Pedipalpen
als Raubbeine ausgebildet. Araneae (Webspinnen,
▶ Abb. 12.84 c, ▶ Abb. 12.89), mit Spinnwarzen: Araneus (Kreuzspinne); Agelena (Trichterspinne); Lycosa
(Wolfsspinne); Salticus (Springspinne). Pseudoscorpiones (Afterskorpione), stark abgeplattete Kleinformen,
nur 2 – 4 mm lang: Chelifer (Bücherskorpion). Solifugae
(Walzenspinnen), steppen- und wüstenlebend, meist
dämmerungs- und nachtaktiv, sehr schnell laufend.
Opiliones (Weberknechte), extrem langbeinig: Opilio.
Acari (Milben, ▶ Abb. 12.90, ▶ Abb. 12.91), Kleinformen: Sarcoptes (Krätzmilbe); Ixodes (Zecke, Holzbock).
Pantopoda (Asselspinnen), kleiner Körper mit extrem
langen Extremitäten, marin.
Den Cheliceraten fehlen sowohl Antennen als auch Mandibeln. Ihr vorderstes Gliedmaßenpaar bildet scherentragende Extremitäten (Cheliceren). Dagegen kann das folgende Gliedmaßenpaar als normale Laufbeine (bei Xi-
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Pleurallappen
Xiphosura
Scorpiones
Uropygi
Pseudoscorpiones
Solifugae
Euchelicerata
Araneae
Arachnida
Amblypygi
Opiliones
Acari
Pantopoda
Abb. 12.83 Chelicerata: Systematik.
phosuren) oder als spezialisierte Pedipalpen (Kiefertaster) ausgebildet sein. Letztere tragen entweder mächtige
Scheren (bei Skorpionen und Pseudoskorpionen) oder
schließen unter plattenförmiger Verbreiterung ihres basalen Gliedes den Mundvorraum nach hinten ab. Von den
4 Laufbeinpaaren der Arachniden ist bei den Geißelskorpionen und Geißelspinnen (▶ Abb. 12.85) das erste zu
Tastbeinen umgebildet, sodass die Vertreter dieser Gruppen – ebenso wie die Walzenspinnen – insektengleich
mit 6 Beinen laufen. Die meistens wüstenlebenden Walzenspinnen können dabei mit hoher Geschwindigkeit
Hunderte von Metern weit geradlinig und pfeilschnell
über den Boden jagen.
Mit räuberisch lebenden marinen Formen treten die
Cheliceraten – höchstwahrscheinlich eine Schwestergruppe der Trilobiten – bereits im Kambrium auf. Die
ausgestorbenen „Seeskorpione“ (Eurypterida) begannen
seit dem Ordovizium zunächst das Brack-, dann das Süßwasser zu besiedeln. Ihrer Wurzel müssen auch die heute
landlebenden Arachnida entsprungen sein. Im ursprünglichen, marinen Habitat leben heute nur noch die Restgruppe der Xiphosuren (4 rezente Arten) und die ca.
1000 Arten umfassenden, meistens < 1 cm großen "Allesbeinler" (Pantopoda) sowie sekundär eine Reihe aquatischer Milben. Zum Vergleich: Allein von den terrestrischen Webspinnen (Araneae) sind bisher fast 40 000
Arten bekannt.
Die reiche Körpergliederung der ursprünglich wasserlebenden Vertreter (z. B. Eurypteriden) geht innerhalb
der Cheliceraten mehr und mehr verloren. Während das
Prosoma, der aus den 6 extremitätentragenden Segmenten und dem augentragenden Acron verschmolzene Vorderkörper (▶ Abb. 12.75, S. 615), niemals eine Unterscheidung in getrennte Abschnitte mit Mundwerkzeugen
und Laufbeinen erkennen lässt, zeigt das Opisthosoma
mannigfache Differenzierungen in Segmentzahl und
Segmentverschmelzung.
Bei
den
Skorpionen
(▶ Abb. 12.84 b), die als erste Tiere im Silur zum Landleben übergegangen sind, besteht es noch aus 13 Seg-
menten, von denen die letzten 5 wie bei den ausgestorbenen Eurypteriden zu schmalen Ringen verengt sind
(Metasoma) und das mit Giftblase und Endstachel versehene Telson tragen. Die Extremitäten treten am Opisthosoma nur noch bei den Xiphosuren (▶ Abb. 12.84 a) in
Form plattenförmiger Schwimmbeine auf, die „Buchkiemen“ – dichte Stapel dünnhäutiger Lamellen – als Atmungsorgane tragen. Selbst bei den Webspinnen
(▶ Abb. 12.84 c) lässt das sackförmige Opisthosoma anhand der Embryonalentwicklung und der Gliederung
der dorsalen Längsmuskeln noch seine Herkunft aus 13
Segmenten erkennen. Die Hinterleibsegmente vor den
Spinnwarzen (umgebildeten Extremitätenabschnitten
des 4. und 5. opisthosomalen Segments) sind relativ
breit, weil dort die Buchlungen liegen, die hinter den
Spinnwarzen gelegenen dagegen stark verkürzt. Damit
kommen die Spinnwarzen an das Hinterende des Körpers
zu liegen. Die freie Beweglichkeit des Hinterleibs wird
durch stielförmige Verengung des vordersten opisthosomalen Segments besonders bei Webspinnen enorm gesteigert. Bei den Zwergformen unter den Arachniden,
den meistens nur 1 – 2 mm langen Milben (▶ Abb. 12.90,
▶ Abb. 12.91), sind Pro- und Opisthosoma dagegen zu
einem ungegliederten Sack verschmolzen.
Der Konzentration der beiden Hauptabschnitte des
Körpers läuft eine Zusammenlagerung der inneren Organe parallel. Die bei den Skorpionen noch typische Bauchganglienkette ist bei den Webspinnen zu einem einzigen
sternförmigen Bauchganglion verschmolzen. Auch die
übrigen, ursprünglich segmental angelegten Organe werden in ihrer Anzahl reduziert. Die Öffnung der Geschlechtsorgane bleibt bei allen Cheliceraten auf die Ventralseite des 2. Hinterleibssegments beschränkt. Die Lage
in der Mitte des Körpers kompliziert natürlich die bei
Landtieren obligatorische innere Besamung. Die Weberknechte haben daher einen langen Penis entwickelt; andere Arachniden setzen Spermatophoren ab oder übertragen das Sperma mithilfe der Pedipalpen. Die Exkretionsorgane (Coxaldrüsen) treten in höchstens zwei Segmenten im Prosoma auf. Zusätzlich dienen der Ausscheidung röhrenförmige Ausstülpungen des entodermalen
Mitteldarms (Malpighi-Gefäße). Auch die von ektodermalen Einstülpungen gebildeten Atmungsorgane der
Arachniden (Fächerlungen und Sieb- oder Röhrentracheen) sind auf 1 – 4 Hinterleibssegmente beschränkt.
Die phylogenetisch älteren Fächerlungen (▶ Abb. 4.16,
S. 261) entstehen dabei am Hinterrand von opisthosomalen Extremitätenanlagen, was ihre Homologisierbarkeit
mit Kiemen nahe legt (vgl. die oben genannten Buchkiemen bei Limulus; s. auch S. 633 und ▶ Abb. 12.109,
S. 635).
Ausgeprägte Kauwerkzeuge fehlen den meisten Cheliceraten; denn die Cheliceren mit ihrem stark ausgebildeten Grundglied und der einklappbaren Giftklaue dienen
vor allem dem Ergreifen und Immobilisieren der Nahrung
(▶ Abb. 12.106 c, S. 632). Trotz der relativ kleinen Cheliceren können manche Spinnen ihre Beute bis zur Un-
12
619
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12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
12 Vielfalt der Organismen
a
Xiphosura
Limulus
Chelicere
Mundöffnung
I
II
Prosoma
III
IV
Kaulade
V
Opisthosoma
Kiemen
After
Telson
b
c
Scorpiones
Araneae
I
Chelicere
Pedipalpus
Pedipalpus
Chelicere
II
I
Prosoma
Genitalporus
II
Pecten
Prosoma
III
III
Opisthosoma
Metasoma
Opisthosoma IV
Atemspalte
Spinnwarzen
After
Genital- Atemporus spalte
IV
After
Giftstachel
Abb. 12.84 Körpergestalt der Cheliceraten. a Schwertschwanz (Limulus), b Skorpion und c Webspinne. Ventralansichten. I – V bzw.
I – IV als Laufbeine ausgebildete Extremitätenpaare der insgesamt 6 Extremitätenpaare des Prosoma der Cheliceraten.
620
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Schwimmbein
I
Cheliceren
Pedipalpus
II
III
IV
1 cm
Abb. 12.85 Amblypygi: Geißelspinne Heterophrynus longicornis, Dorsalansicht (nach Foelix). Das erste Beinpaar wird nicht
mehr zum Laufen eingesetzt, sondern ist zu einem antennenartigen Sinnesorgan umgewandelt. Dabei sind Tibia und Tarsus
(blau) in bis zu 130 Glieder aufgelöst, die Tausende von Mechano- und Chemorezeptoren tragen. Mit diesen „Fühlerbeinen“ tasten die vorwiegend tropischen Geißelspinnen bei der
Beutejagd ihre Umgebung nach Insekten und anderen
Arthropoden ab. Die kräftigen Pedipalpen bilden einen Fangkorb zum Ergreifen der ertasteten Tiere. Die kleinen Cheliceren
besitzen keine Giftdrüsen, sondern dienen nur zum Zerschneiden der Beute.
kenntlichkeit zerkauen. Andere beißen dagegen nur winzige Löcher in ihre Beute, sodass diese nach dem Fressakt
praktisch unversehrt erscheint. Da der Mund bei den
Arachniden außerordentlich eng ist, muss die Beute
präoral chemisch vorverdaut und über einen Saugpumpenmechanismus des ektodermalen Vorderdarms
(▶ Abb. 12.86) aufgenommen werden: extraintestinale
Verdauung.
Ihrer Lebensweise nach sind Skorpione und Spinnen
wie die meisten anderen Arachniden mit wenigen sekun-
dären Ausnahmen Landformen, die ihre Beute in freier
Jagd oder mithilfe von Netzen aus Radial- und Fangfäden
nachstellen. Als Grundsubstanz der ultraleichten, äußerst
elastischen und zugfesten Spinnenseide (doppelte Elastizität von Nylon, 5-fache Zugfestigkeit von Stahl) figurieren hochmolekulare Proteine (Spinnenseidenproteine =
Spidroine, 200 – 400 kDa). Ihre außergewöhnlichen mechanischen Eigenschaften verdanken sie dem regelmäßigen Wechsel von kristallinen, Poly-Alanin-reichen β-Faltblättern, die für die Zugfestigkeit verantwortlich sind,
und amorphen Abschnitten, die ihre Elastizität bedingen.
Bei den Fäden der Fangspirale von Radnetzen kann die
Axialfaser aus Spinnenseide von einer hygrophilen, viskösen und klebrigen Hülle umgeben sein (▶ Abb. 12.87 a),
die von eigenen Drüsen gebildet wird. Von den ursprünglich 8 Spinnwarzen sind die beiden vorderen mittleren
häufig zu einer Siebplatte (Cribellum) mit einigen zehntausend Spinnspulen (▶ Abb. 12.88) vereint, die eine
feine Wolle erzeugen. Diese nicht-klebrige, rein adhäsiv
wirksame Cribellum-Wolle wird mit einem Borstenkamm
(Calamistrum) am letzten Beinpaar auf die Axialfaser aufgetragen (▶ Abb. 12.87 b). Beim Cribellum dürfte es sich
um eine Autapomorphie handeln, die allerdings innerhalb der Webspinnen vielfach unabhängig voneinander
wieder rückgebildet wurde („Ecribellata“).
Am Beutefang und generell an der Raumorientierung
der mehrheitlich nachtaktiven Arachniden sind in hohem
Maße mechanorezeptorische Cuticularsensillen beteiligt
(Trichobothrien, ▶ Abb. 7.8 auf S. 358; lyraforme Organe,
S. 359). Der visuellen Orientierung dienen Linsenaugen
(▶ Abb. 12.89): 1 Paar Medianaugen (Hauptaugen) und 3
Paar – bei einigen Skorpionen 5 Paar – Lateralaugen (Seitenaugen). Die Lateralaugen sind evolutiv aus dem „Zerfall“ von Komplexaugen hervorgegangen, wie sie noch
bei Xiphosuren auftreten. Bei Skorpionen kann man
diese Herkunft unmittelbar daran erkennen, dass sich
die Photorezeptoren in der Retina zu einzelnen Retinulae
gruppieren. Die Medianaugen sind dagegen schon von
ihrer Anlage her reine Linsenaugen (und den Ocellen
der Insekten homolog; s. Legende zu ▶ Abb. 12.105,
S. 632). Jene tagaktiven Spinnen, die wie die Salticiden
ihren Beutefang vor allem visuell betreiben, besitzen in
ihren großen Hauptaugen optisch hochkarätige Linsen
12
Abb. 12.86 Saugmagen einer Spinne
(nach Kaestner; Foelix). Muskulatur farbig
unterlegt.
Expansionsmuskulatur
Mitteldarm
Expansionsmuskulatur
Oesophagus
Ringmuskulatur
Ringmuskulatur
621
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12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
12 Vielfalt der Organismen
Posteromedianauge
Posterolateralauge
Anterolateralauge
622
Chelicere
Pedipalpus
Anteromedianauge
(Hauptauge)
Abb. 12.88 Vordere Spinnwarze der Streckerspinne Tetragnatha extensa. Die einzelne große Spinnspule (oben im Bild)
liefert den Leitfaden, den die Spinne beim Laufen ständig hinter
sich herzieht. Die vielen kleinen Spinnspulen produzieren einen
Schnellkleber, der den Leitfaden bei Bedarf am Untergrund
verankert. Maßstabsmarke: 20 µm (REM-Aufnahme: R. F. Foelix,
Aarau, Schweiz).
Abb. 12.89 Araneae: Die „White-Lady“-Spinne (Leucorchestris
arenicola) der Namibwüste. Die nachtaktiven Tiere mit Beinspannweiten von > 10 cm leben einzeln in selbst gefertigten
Bodenröhren. Auf Weibchensuche können sich die Männchen
bis > 100 m weit von ihren Wohnröhren entfernen. (Aufnahme:
R. Wehner)
und einen Mechanismus, mit dem sie über eine bewegliche Retina hinter der starren Linse ihre Umwelt räumlich abscannen können. Der Nachtjäger Dinopis hat seine
Anterolateralaugen riesig entwickelt (▶ Abb. 7.20 a,
S. 372).
Als artenreichste Gruppe der Cheliceraten besiedeln
die Milben (▶ Abb. 12.90, ▶ Abb. 12.91) mit mehr als
45 000 Arten alle Lebensräume, selbst das Meer. Ferner
nutzen sie im Gegensatz zu den übrigen Arachniden, die
ausschließlich Räuber sind, freilebend oder als Tier- und
Pflanzenparasiten alle Nahrungsangebote. Oft nur Bruchteile von Millimetern groß, mit stark vereinfachtem Körperbau und kurzer Generationsdauer, stellen sie als
Kleinformen zweifellos die ökologisch erfolgreichste
Arachnidengruppe.
Zu den Parasiten unter den Milben zählen Pflanzenschädlinge wie die „rote Spinne“ (Spinnmilbe Tetranychus urticae), die Mehlmilbe (Acarus siro), die Getreidevorräte befällt, und die artenreichen Gallmilben. Die auf
Säugetieren parasitierenden Milben können meistens mit
ihren kurzen Cheliceren die mehrschichtige Wirtsepidermis nicht durchdringen. Sie leben dann von Talgausscheidungen im Haarbalg (Haarbalgmilbe Demodex folliculorum) oder von Epidermiszellen und Lymphflüssigkeit in
selbst gegrabenen Hautgängen (Krätzmilbe Sarcoptes scabiei; Erzeuger der Hunderäude S. canis). Nur wenige
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Abb. 12.87 Fangfäden von Spinnennetzen.
a Klebfaden von Araneus diadematus (Kreuzspinne). Er besteht aus einer Axialfaser und
einem klebrigen Überzug, der perlschnurartig tröpfchenförmige Verdickungen bildet.
Beim Bau des Radnetzes wird er von der
Spinne in Form einer Spirale zwischen Radialfäden ausgespannt, die wie die Speichen
eines Rades angeordnet sind.
b Wollfaden von Stegodyphus lineatus (Röhrenspinne). Die Axialfaser trägt keinen klebrigen Überzug, sondern wird von einer wellig
aufgewundenen Hauptfaser umgeben, die
mit feinsten adhäsiven Fibrillen besetzt ist.
Maßstabsmarke a: 0,05 mm, b: 0,5 mm.
(REM-Aufnahmen: H. M. Peters, Tübingen)
12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
a
b
I
I
Pedipalpus
Chelicere
II
saugnapfförmige
Endigung
von I und II
II
III
III
Tarsalborste von
III und IV
Abb. 12.90 Acari. Zwei auf Tieren parasitierende Milbenarten (nach Borcard,
Aeschlimann; Habicht; Fein; Hess).
a Zecke (Ixodes ricinus). ♀, Dorsalansicht.
Rechts: Größenvergleich vor (oben) und
nach (unten) Blutmahl. Maßstabsmarke:
1 mm.
b Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei). ♀, Ventralansicht. Maßstabsmarke: 0,1 mm.
IV
a
b
Arten (z. B. die Zecke Ixodes ricinus, ▶ Abb. 12.90 a,
▶ Abb. 12.91) besitzen so lange Cheliceren, dass sie
damit im Stande sind, die kapillarenreiche Cutis des
Wirts (S. 656) zu erreichen. Das adulte Ixodes-Weibchen,
das mehr als ein Jahr hungern kann, nimmt zeitlebens
nur ein Blutmahl auf; dann folgen Eireifung und -ablage.
Weltweit sind Zecken, vor allem die Schildzecken (Ixodidae), wichtige Überträger (= Vektoren) zahlreicher
Krankheitserreger (Viren, Bakterien, Protozoen), in den
Tropen z. B. für Fleck-, Rückfall- und Texas-Fieber. So
übertragen Ixodes-Arten das Virus der Zecken-Enzephalitis und den Erreger der erst seit 1975 bekannten LymeKrankheit (Borreliose), das Spriochäten-Bakterium Borrelia burgdorferi.
12.9.3 Crustacea (Krebse)
Formenübersicht
Abb. 12.91 Zecke (Ixodes ricinus).
a Gesamtansicht von vorn (REM-Aufnahme: Steger).
b Mundwerkzeuge. Ansicht von ventral.
Maßstabsmarke: 200 µm (LM-Aufnahme: B. Erb, Erlinsbach,
Schweiz).
Ch = Cheliceren, Pp = Pedipalpus.
c
Vgl. ▶ Abb. 12.92.
Anostraca (Schalenlose = Kiemenfüßer), ohne Carapax,
einförmige Körpergliederung: Branchipus, in Süßwassertümpeln; Artemia (Salinenkrebs), in Salzseen.
Cladocera (Wasserflöhe), ausschließlich im Süßwasser,
Körper kurz, von zweiklappigem, scharnierlosem Carapax umschlossen: Daphnia (Wasserfloh).
Notostraca (Rückenschaler), benthisch, im Süßwasser:
Triops.
Ostracoda (Muschelkrebse), meist marin, Kleinformen
(ca. 1 mm), zweiklappiger Carapax mit Scharnier: Cypridina.
Branchiura (Karpfenläuse), parasitisch: Argulus.
Copepoda (Ruderfußkrebse), v. a. marin in hoher Artenund Individuenzahl: Calanus; Cyclops (Hüpferling) in Binnengewässern; Ergasilus, Kiemenparasit von Süßwasserfischen.
Cirripedia (Rankenfüßer), adult sessil, Cypris-Larven mit
zweiklappigem Carapax: Lepas (Entenmuschel); Balanus
(Seepocke); adult parasitisch; Sacculina (Wurzelkrebs,
▶ Abb. 10.29 a auf S. 486).
12
623
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IV
12 Vielfalt der Organismen
Gonade
Decapoda
Euphausiacea
Mysidacea
Amphipoda
Isopoda
Abb. 12.92 Crustacea: Systematik. Vgl. auch ▶ Abb. 12.72 b
(S. 612), nach der die Crustaceen als paraphyletische Gruppe
erscheinen. Auch die hier dargestellte Monophylie der Entomostracen ist umstritten.
nannten 5 Kopfextremitäten- und zugehörigen Ganglienpaare sind das einzige Indiz für die ursprüngliche Kopfmetamerie der Mandibulaten, da der Kopf (Cephalon) im
Gegensatz zu den übrigen Körperabschnitten (Thorax,
Pleon oder Abdomen) weder außen noch innen Segmentgrenzen aufweist.
Wenn wir soeben die Cheliceren der Cheliceraten den
Mandibeln der Crustaceen gegenübergestellt haben, war
das funktionell gemeint. Vergleichend anatomisch entsprechen die Cheliceren den 1. Antennen. Die Mandibeln
der Crustaceen (und Insekten) wären demnach dem 1.
Abb. 12.93 Organisationsschema der
Crustaceen. Der rote Pfeil markiert die
Richtung der Hämolymphströmung.
Aorta
Bauchmark
Exopodit von Thoracopod
Endopodit von Thoracopod
Maxillardrüse
Uropod
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Stomatopoda
Pleopod
Thoracopod
Carapax
Kieme
Mandibel
Entomostraca
624
Remipedia
Ostium
Herz
1. Antenne
1., 2.
Maxille
Cirripedia
Pleon
Gehirn
Komplexauge
Antennendrüse
Labrum
Mundöffnung
Copepoda
Thorax
Mitteldarm
Mitteldarmdrüse
Vorderdarm
2. Antenne
Branchiura
Peracarida
Cephalon
Ostracoda
Malacostraca
Cephalothorax
Cladocera
Notostraca
Phyllopoda
Wie die Arachniden und Insekten an Land bilden die
Krebse im Meer und Süßwasser die dominierende Arthropodengruppe. Echte Landformen, d. h. Arten, die
ihren ganzen Entwicklungszyklus außerhalb des Wassers
vollziehen, treten nur bei den Landasseln auf.
In ihrer Körperorganisation unterscheiden sich die
Krebse von den Cheliceraten zunächst einmal in den
Kopfextremitäten. Statt der wie Scheren wirkenden, gegliederten Cheliceren besitzen sie ungegliederte Mandibeln. Neben diesen kieferartigen Mundwerkzeugen sind
auch die Extremitäten der beiden folgenden Segmente,
die beiden Maxillenpaare, unter Verbreiterung der basalen und Verkleinerung bis Reduktion der distalen Glieder
an der Nahrungsaufnahme beteiligt. Vor diesen am Kopf
stehenden Mundwerkzeugen liegen noch zwei Paar Antennen, die den Cheliceraten ebenfalls fehlen. Die ge-
Anostraca
Branchiopoda Maxillopoda
Remipedia (▶ Abb. 12.95), freischwimmend in marinen
Höhlengewässern, erst 1981 entdeckt, 30 Arten bekannt. Kopf mit 1. Rumpfsegment verschmolzen, übrige
(bis zu 38) Rumpfsegmente gleichförmig.
Malacostraca (Höhere Krebse = „Großkrebse“): Stomatopoda (Fangschreckenkrebse): Squilla, Odontodactylus
(▶ Abb. 12.98). Decapoda (Zehnfußkrebse): Crangon
(Garnele); Palinurus (Languste); Homarus (Hummer); Astacus und Cambarus (europäischer und nordamerikanischer Flusskrebs); Pagurus (Einsiedlerkrebs); Carcinus
(Strandkrabbe); Uca (Winkerkrabbe, ▶ Abb. 9.8 auf
S. 416). Euphausiacea (Leuchtkrebse), ökologisch wichtig als Walnahrung (Krill). Mysidacea (Schwebgarnelen):
Mysis, limnisch, Eiszeitrelikt. Amphipoda (Flohkrebse):
Gammarus, in Bächen; Talitrus (Strandfloh), an Meeresküsten; Corophium (Wattkrebs), baut Röhren im Watt;
Cyamus (Wal-Laus, ▶ Abb. 10.30 auf S. 487). Isopoda
(Asseln), mit rein terrestrischen Formen: Porcellio (Kellerassel); Hemilepistus (Wüstenassel); Asellus (Wasserassel), in Binnengewässern.
Abb. 12.94 Skara minuta aus dem Oberkambrium Schwedens. An den hervorragend erhaltenen Arthropoden dieser
Orsten-Fauna konnte erstmals die dreidimensionale Struktur
fossiler Crustaceen bis in letzte Details rasterelektronenmikroskopisch rekonstruiert werden. Skara, deren 11gliedriger Rumpf
bis auf das 1. Beinpaar (Maxillipedien) beinlos ist, wird der
Copepoden-Linie der Orsten-Crustaceen zugeordnet. Maßstabsmarke: 50 µm (REM-Aufnahme: K. J. Müller, D. Walossek,
Ulm).
Laufbeinpaar der Cheliceraten homolog. Dieser Zuordnung entspricht auch das Expressionsmuster der HoxGene (▶ Abb. 12.75, S. 615).
Alle diese Merkmale – mit Ausnahme des Auftretens
eines 2. Antennenpaares – gelten auch für die zweite
Mandibulatengruppe, die Tracheaten (vgl. ▶ Abb. 12.72 a,
S. 612, aber auch ▶ Abb. 12.72 b). Von ihnen lassen sich
die Krebse vor allem durch die hohe Variabilität ihrer
Körpergliederung diagnostisch abgrenzen. Während das
Kopf/Thorax- und Thorax/Abdomen-Gelenk bei allen Insekten (ebenso wie das Prosoma/Opisthosoma-Gelenk
bei allen Cheliceraten) immer mit der jeweils gleichen
Segmentgrenze zusammenfällt, umfassen die analogen
Tagmata der Krebse innerhalb der einzelnen Gruppen
recht verschiedene Segmentkombinationen mit einer
fast verwirrenden Fülle von Spezialisierungen der einzelnen Segmente und ihrer Anhänge. Im Gegensatz zu den
Insekten und Myriapoden tritt ein eindeutig abgesetzter
Kopf – ein Cephalon – nur selten auf (bei Anostraca, Notostraca). Meistens verschmilzt er mit einem (bei Remipedia ▶ Abb. 12.95, Copepoda, Amphipoda, Isopoda) oder
mehreren Rumpfsegmenten (Thoracomeren) zu einem
Cephalothorax, der häufig von einer ektodermalen Duplikatur des Kopfhinterrands, dem Carapax, schildförmig
überdeckt wird (▶ Abb. 12.93). Die noch freien Thoracomeren bilden dann das Peraeon. Da vielfach die vordersten Extremitäten der mit dem Kopf verschmolzenen Thoracomeren zu Kieferfüßen (Maxillipedien) umgebildet
sind, greift bei den Krebsen die Kopfbildung auch funktionell auf die Rumpfsegmente über. In der Regel werden
die auf die Maxillipedien folgenden thorakalen Schreitbeine, die Peraeopoden, nicht mit in den Cephalothorax
einbezogen (Ausnahme: Malacostraca). Bei den Crustaceen ist der Hinterleib, das primäre Abdomen, stets frei
von Extremitäten. Den Malacostraca und Remipedia fehlt
dieses primäre Abdomen. Vielmehr wird der Hinterleib
der Malacostraca von einem Schwimmthorax, dem Pleon, gebildet, das Schwimmbeine (Pleopoden) trägt. (Auch
den Myriapoden und Insekten fehlt das stets extremitätenlose primäre Abdomen. Der Hinterleib der Insekten
entspricht einem sekundären Abdomen, das Beinrudimente aufweist und damit auf die Ableitung der Insekten
von Crustaceen ohne primäres Abdomen hinweist: Pancrustacea, S. 612.) Die Remipedia (▶ Abb. 12.95) haben
wie die Myriapoden keine abgesetzte hintere Körperregion. Das letzte Körpersegment, das Telson, enthält den
After und oft Furcaläste. Bei den Malacostraca bildet das
letzte Pleopodenpaar (Uropoden) mit dem Telson einen
Schwanzfächer (▶ Abb. 12.93).
Cephalon (mit 1. u. 2. Antenne,
Mandibeln, 1. u. 2. Maxillen und
Maxillipedien)
1. Antenne (mit 2 Geißeln)
Abb. 12.95 Remipedia: Speleonectes ondinae, Ventralansicht. Die in unterirdischen
marinen Gangsystemen lebenden, blinden
Tiere schwimmen mit nach oben gekehrter
Ventralseite. Ihre gleichförmigen Rumpfsegmente tragen Schwimmbeine mit
4-gliedrigen Endopoditen und 3-gliedrigen
Exopoditen. (nach: F.R. Schramm, J. Yager,
M.J. Emerson, Rempipedia, Part 1. Systematics, San Diego Society of Natural History
Memoir 15:1 – 60, 1986)
12
Schwimmbein
Furcalast
Telson
625
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12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
12 Vielfalt der Organismen
a
b
Endopodit
Endopodit
Exopodit
Kiementeil
Epipodit
von
Epipodit
Exopodit
Coxopodit
Epipodit
Protopodit
Basipodit
Coxopodit
Abb. 12.96 Spaltbeine der Crustaceen (nach Smith; Barkley).
a Thoracopod von Euphausia (Malacostraca). b Schwimmbein von Chirocephalus (Anostraca). Der unpaare Basisteil (Protopodit) ist
orange, der Endopodit blau und der Epipodit rot unterlegt.
Als typische Extremitäten der Krebse haben die Spaltbeine (▶ Abb. 12.96) aufgrund ihrer formalen Ähnlichkeit
mit den Parapodien der Anneliden (▶ Abb. 12.64, S. 607)
zu weittragenden phylogenetischen Überlegungen Anlass
gegeben. Ihr dreigliedriger basaler Protopodit (aus Coxound Basipodit bestehend, eine gelegentlich auftretende
Praecoxa gilt als abgegliederter Teil der Körperwand) gabelt sich in einen medialen Endopodit (Laufbeinast) und
einen lateralen Exopodit (Schwimmbeinast). Da der Endopodit bei den Malacostracen in seiner Gliederung und
stabförmigen Gestalt den Laufbeinen der Cheliceraten
und Insekten ähnelt, werden diese Extremitäten oft von
Spaltbeinen unter Reduktion des Exopoditen abgeleitet.
Am unpaaren Protopodit können auf seitlichen Anhängen
der Außenseite (Epipoditen = Exiten) Kiemen sitzen; die
Innenseiten (Enditen) sind bei mundnahen Extremitäten
oft zu stark sklerotisierten Kauladen modifiziert (Entwicklung zu Mundwerkzeugen). Ausgehend von diesem
Grundplan, hat die Crustaceenextremität eine Fülle adaptiver Veränderungen erfahren und sich zu Sinnesorganen,
Greif- und Mundwerkzeugen, Schwimm- und Laufbeinen, Atmungs-, Kopulations- und Brutpflegeorganen entwickelt (vgl. z. B. ▶ Abb. 12.97): ein deutliches Beispiel
dafür, dass die adaptiven Möglichkeiten des Arthropodenbauplans in großem Maße in der Modifizierbarkeit
seiner serial homologen (homonomen) Extremitäten bestehen und evolutiv auch genutzt worden sind. Die mit
hervorragendem Sehvermögen ausgestatteten Stomatopoden tragen an ihren Extremitäten auffällige Farbmuster (▶ Abb. 12.98). Besonders bizarre Beispiele adaptiver
Modifikationen zeigt ▶ Abb. 12.100.
Während die Nephridien bei den Euarthropoden generell in verschiedenen Segmenten des hinteren Kopf- und
vorderen Thorakalbereichs liegen können, sind sie bei
den Krebsen auf das 2. Antennen- und/oder 2. Maxillensegment beschränkt (▶ Abb. 12.93). Morphologisch be-
626
ginnt jedes Nephridium mit einem Sacculus, einem säckchenförmigen Coelomrest. Der anschließende Nephridialkanal mündet dann an der Basis der 2. Antenne oder 2.
Maxille nach außen. Funktionell wird an der Wandung
des Sacculus durch Ultrafiltration der Hämolymphe ein
Primärharn gebildet, aus dem im Nephridialkanal Ionen
resorbiert werden können (vgl. Ultrafiltration bei Wirbeltieren, S. 286). Dementsprechend ist der Nephridialkanal
bei limnischen Formen (z. B. Flusskrebs, Astacus), die
einen relativ zur Hämolymphe hyposmotischen Endharn
ausscheiden, stark differenziert und bei marinen Formen
(z. B. Hummer, Homarus) nur als kurzer Ausleitungsang
vorhanden.
Als Besonderheit der Krebs-Ontogenese weisen die
Larven zum Zeitpunkt des Schlüpfens nur wenige Segmente auf und erreichen erst im Lauf der postembryonalen Entwicklung und der damit verbundenen Häutungen
die jeweils gruppenspezifische Segmentzahl (Anamerie).
Die für Krebse typische Nauplius-Larve – eine segmentierte „Kopflarve“ – besitzt nur 3 mit Schwimmbeinen
ausgestattete Segmente (▶ Abb. 10.29 a auf S. 486,
▶ Abb. 12.99). Diese Extremitäten bilden adult die 1.
und 2. Antennen und die Mandibeln. Demgegenüber
muss die Anlage aller Segmente im Ei (Epimerie, z. B.
bei Decapoden) als sekundärer Zustand gelten. Innerhalb
der Arthropoden kommt Anamerie sonst nur noch bei
Tausendfüßern und wenigen primär flügellosen Insekten
vor. Ein charakteristisches Merkmal der Nauplius-Larve
ist ferner das unpaare Medianauge. Phylogenetisch gesehen, ist es aus der Verschmelzung der ursprünglich 4
Medianaugen der Euarthropoden hervorgegangen.
Die primär marinen Crustaceen besiedeln mit einem
breiten Spektrum von Lebensweisen alle aquatischen Lebensräume. Kleinkrebsformen – meistens weniger als
1 – 2 mm lang – stellen einen Großteil des marinen und
limnischen Planktons (z. B. die carapaxlosen Copepoden
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Protopodit
Basipodit
1. Antenne
2. Antenne
Kaulade
Taster
Kaulade
Mandibel
1. Maxilliped
Exopodit
Endopodit
2. Maxilliped
Exopodit
Endopodit
3. Maxilliped
Exopodit
1. Peraeopod
(Schere)
4. Peraeopod
3. Pleopod
Uropod
Abb. 12.97 Extremitätentypen des Flusskrebses (Astacus fluviatilis). Ein Beispiel für die Abwandlung der Grundform eines
Spaltbeins in aufeinanderfolgenden Körpersegmenten (seriale
Homologie = Homonomie). Die 1. – 3. Maxillipedien zeigen die
stufenweise Rückbildung von Kaulade und Exopodit bei Vergrößerung des Endopoditen. Beim Taster der Mandibel handelt
es sich um einen umgewandelten Exopodit. Die zwischen
Mandibel und 1. Maxilliped einzuordnende 1. und 2. Maxille ist
nicht dargestellt.
ähnlich wie die Foraminiferen (S. 574) geologische Bedeutung erlangt haben, indem sie zur stratigrafischen
Charakterisierung von Gesteinsschichten dienen. Unter
den Malacostracen bilden die Leuchtkrebse (Euphausiacea) die einzige Nahrung der Blauwale (Tagesration eines
Individuums: 4 t).
Die marinen Cirripedier, die als Seepocken ganze Felsküsten überziehen können (vgl. ▶ Abb. 10.24 b, S. 480),
setzen sich als Larve mit der Region der 1. Antenne fest
und bilden ein mit Kalkplatten versteiftes Carapaxgehäuse, aus dem die 6 spaltbeinartigen Thorakalextremitäten
(Rankenfüße) als Filtrierapparat herausragen. Bei Trockenfallen des Habitats (bei Ebbe) können die Rankenfüße in
den Carapax zurückgezogen werden. Darwin hat sich mit
Morphologie und Systematik der Cirripedier eingehend
beschäftigt (S. 529). Marine Parasiten, deren Körper bis
zur Krebsunkenntlichkeit umgestaltet ist und in dieser
Hinsicht die spektakulärsten Modifikationen aller Metazoen erfahren hat, finden sich in mehreren Linien bei den
Copepoden (Fischparasiten), Amphipoden und in besonders extremer Form bei den Cirripediern (Wurzelkrebse:
Sacculina in Krabben, ▶ Abb. 10.29 a auf S. 486).
Die einzigen zum Landleben übergegangenen Krebse
gehören zu den Höheren Krebsen, den Malacostracen
(z. B. Birgus latro, Palmendieb). Semiterrestrisch am Strand
leben die Krabben(Brachyura, ▶ Abb. 9.8 auf S. 416), deren
stark reduziertes Pleon auf die Unterseite des Cephalothorax umgeklappt ist. Die erfolgreichsten Landkrebse stellen
jedoch die Isopoden (Asseln). Ihren Namen verdanken sie
den als Laufbeine ausgebildeten Peraeopoden, die sich
(ohne Exo- und Epipodit) untereinander alle gleichen. Bei
den Landasseln (Oniscoidea, z. B. Porcellio) sind die Exopoditen der Pleopoden zu besonderen Luftatmungsorganen umgebildet, indem sich dünnhäutige dorsale Bereiche
der Pleopodenexopoditen in eine Integumenttasche verlagert haben, wo sie wegen ihrer Luftfüllung als „weiße
Körperchen“ erscheinen. Mit wenigen Formen (Hemilepistus) leben Landasseln sogar in Wüstenregionen. In diesen
Fällen sind die Atemöffnungen verschließbar.
12
und die in einen zweiklappigen Carapax eingeschlossenen Cladoceren) oder bewohnen wie die Ostracoden den
Gewässergrund. An Individuenzahl sollen die Copepoden,
ökologisch oft als die „Insekten des Meeres“ apostrophiert, sogar die Landinsekten übertreffen. Von den mikroskopisch kleinen Ostracoden, deren Körper auf 5 – 7
extremitätentragende Segmente reduziert ist und seitlich
von einem zweischaligen, oft verkalkten Carapax vollständig bedeckt wird, kennt man zahlreiche Formen, die
627
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12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
Abb. 12.98 Vorderansicht des Stomatopoden Odontodactylus scyllarus. Die mit
mächtigen Raubbeinen (2. Thoracopoden)
ausgestatteten Stomatopoden sind blitzschnell zuschlagende Räuber, die vorbei
schwimmende Polychaeten, Mollusken,
Crustaceen und Fische erbeuten. Wie der
hier gezeigte Odontodactylus leben sie vor
allem im Litoral warmer Meere. Dort verteidigen sie ihre Wohnhöhlen mit ausgeprägten Kampfverhaltensweisen, bei
denen sie – ebenso wie beim Paarungsverhalten – reich gestaltete farbige Ornamente
zur Schau stellen: auf der „Schuppe“ (=
Exopodit der 2. Antenne, Sc) und den beiden distalen Gliedern der Raubbeine (Propodus, Pr; Dactylus, Da). An1,2 = 1., und 2.
Antenne, erstere mit 3 Geißeln, Ko = gestielte Komplexaugen (mit je einem Mittelband aus 6 Ommatidienreihen am Augenäquator; s. Detailvergrößerung). (Aufnahme: J. Marshall, University of Queensland,
Australien)
Nauplius
I
Metanauplius
Labrum
Naupliusauge
I
II
II
III
III
Abb. 12.99 Nauplius- und MetanaupliusLarve eines Decapoden (Trachypenaeus)
(nach Pearson). I, II, III bezeichnen die larvalen Extremitätenpaare (Schwimmbeine).
Extremitätenanlagen
einiger der auf das
3. Extremitätenpaar
folgenden Segmente
a
Kiemen
6. Thoracopod
Pleon
Gnathopoden
1. Antenne
b
7. Thoracopod
8. Thoracopod
2. Antenne
1. Antenne
Komplexauge
628
2. Antenne
Abb. 12.100 Spektakuläre Gestalten: Segment- und Extremitätenmodifikationen
bei freilebenden Crustaceen (nach Lincoln;
Meisenheimer).
a Der marine Gespenstkrebs Caprella (Amphipoda) klammert sich mit seinen 3 letzten
Thoracopoden an Pflanzen fest und lässt
den aufrecht stehenden Vorderkörper im
Wasser pendeln. Mit den Gnathopoden (2.
und 3. Thoracopoden) fängt er vorbeischwimmende Kleinkrebse und Polychaeten. Von den reduzierten 4. und 5. Thoracopoden sind nur die Epipoditen als Kiemen
erhalten.
b Am Kopf des Männchens von Dendrocephalus (Anostraca) sitzt an der Basis der
2. Antennen ein monströser Stirnfortsatz,
der beim Ergreifen des Weibchens während
der Copula eine Rolle spielt.
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12 Vielfalt der Organismen
12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
weise im lockeren Erdreich – aus Diplosegmenten besteht: Jeweils 2 Beinpaare und 2 Sternite, 2 Paar Ganglien,
2 Paar Stigmen und 2 Paar Herzschlauch-Ostien sind
einem Tergit zugeordnet.
12.9.4 Myriapoda (Tausendfüßer)
c
Chilopoda (Hundertfüßer), mit 15 bis mehr als 100
laufbeintragenden Segmenten, bis 25 cm lang: Lithobius
(Steinläufer); Scolopendra (Riesenläufer, ▶ Abb. 12.73
auf S. 613); Scutigera (Spinnenassel).
Symphyla (Zwergfüßer), mit 12 Beinpaaren, max. 8 mm
lang, blind, pigmentlos.
Pauropoda (Wenigfüßer), mit 9 – 11 Beinpaaren, aber
weniger Tergiten, max. 2 mm lang, blind.
Diplopoda (Doppelfüßer, Tausendfüßer i. e.S.), mit
meist mehr als 100 Beinpaaren an Doppel-(Diplo-)segmenten, max. 30 cm lang: Julus (Schnurfüßer); Polyxenus
(Pinselfüßer); Glomeris (Saftkugler).
Pauropoda und Diplopoda bilden als Dignatha ein Monophylum. Auch Symphyla, Pauropoda und Diplopoda
können als Monophylum gelten (Progoneata). Dagegen
ist die Monophylie der Myriapoda insgesamt umstritten,
da eindeutige Synapomorphien von Chilopoden und
Progoneaten (Symphyla, Pauropoda und Diplopoda)
fehlen.
12.9.5 Insecta (= Hexapoda,
Insekten)
Formenübersicht
Fast gleichzeitig mit den Cheliceraten (den Skorpionen)
sind im oberen Silur die Tausendfüßer an Land gegangen.
Mit ihrem langgestreckten, weitgehend homonom gegliederten Rumpfund der großen Zahl von Beinpaaren
(bei den Chilopoden maximal 190) stellen sie vielgestaltige, agile Bodenarthropoden. Entweder leben sie räuberisch wie die nachtaktiven Chilopoden, die neben kräftigen Mandibeln, 1. und 2. Maxillen ein Paar zu Giftklauen
umgebildete Kieferfüße (Maxillipedien) besitzen, oder sie
ernähren sich vegetarisch von der Bodenspreu. Letzteres
gilt für die übrigen drei Gruppen, die wegen der Vorverlegung der Geschlechtsöffnungen (Gonoporen) vom Körperhinterende ins 2. oder 4. Rumpfsegment als Progoneaten zusammengefasst werden. Ihre nach Artenzahl und
-vielfalt dominanten Vertreter sind die Diplopoden,
deren Rumpf – wohl in Anpassung der Fortbewegungs-
Diplura
Ectognatha
Dicondylia
Pterygota
Insecta
Archaeognatha
Zygentoma
Kann man die Krebse mit Fug und Recht als die Arthropoden des Meeres beizeichnen, sind die Insekten zusammen mit den Myriapoden die Arthropoden des Landes.
Relativ wenige Formen leben – v. a. als Larvenstadien –
im Süßwasser; den offenen Ozean meiden sie völlig.
Der terrestrischen Lebensweise der Insekten und Myriapoden entspricht die Ausbildung besonderer At-
„Apterygota“
Protura
Vgl. ▶ Abb. 12.101.
Collembola (Springschwänze), ▶ Abb. 12.102),
1 – 2 mm lang, Abdomen auf 6 Segmente reduziert, mit
Sprungapparat: Tomocerus, auf Waldboden; Podura,
uferlebend; Isotoma (Gletscherfloh).
Protura (Beintaster; ▶ Abb. 12.102), 0,5 – 2 mm lang,
mit Gliedmaßenrudimenten am 1. – 3. Abdominalsegment, antennen- und augenlos.
Diplura (Doppelschwänze, ▶ Abb. 12.102), 3 – 5 mm
lang, mit Styli an Abdominalsegmenten, augenlos:
Campodea (▶ Abb. 12.73 auf S. 613, ▶ Abb. 12.104 a).
Archaeognatha (Borstenschwänze), 0,5 – 1 cm lang,
Mandibeln mit 1 Gelenkkopf (monocondyl), Cerci und
Terminalfilum bilden Sprungapparat: Machilis (Felsenspringer); Petrobius (Küstenspringer).
Zygentoma (Fischchen), Mandibeln wie bei Pterygoten
mit 2 Gelenkkörpern (dicondyl), Reduktion der Komplexaugen auf wenige Ommatidien: Lepisma (Silberfischchen).
Pterygota (geflügelte Insekten, ▶ Abb. 12.103,
▶ Abb. 12.110), mit Flügelpaaren an Meso- und Metathorax. Siehe ▶ Tab. 12.1 auf S. 637.
Ellipura
Collembola
c
12
Abb. 12.101 Großsystematik der Insekten. Das Kladogramm verdeutlicht die Paraphylie der primär flügellosen (apterygoten) Insekten (grün). Die aufgeführten höherrangigen Monophyla sind durch folgende Synapomorphien gekennzeichnet. Ellipura: Organreduktionen, z. B. Antennen
maximal 4gliedrig, Cerci fehlend. Dicondylia: Mandibeln mit 2 Gelenkhöckern (Condyli). Ectognatha: Geißelantenne aus Scapus, Pedicellus und Flagellum (Geißel),
s. ▶ Abb. 12.105 (S. 632). Die namensgebende freie Stellung von Mandibeln und
Maxillen an der Kopfkapsel (Ectognatha =
Freikiefler) gehört zum Grundmuster der
Insekten, ist also eine Plesiomorphie.
629
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Formenübersicht
12 Vielfalt der Organismen
Kopf
Antenne
Thorax
Stigma
Abdomen
Abb. 12.102 Primär flügellose Insekten
(„Apterygota“). A1,5,8 = 1., 5. und 8. Abdominalsegment.
A8
A1
Cercus
Diplura
Mandibel
1. Maxille
Stylus
Coxalbläschen
Abdominalextremität
Tibia
Tarsus
A1
Mandibel
Genitalporus
1. Maxille
Protura
Coxa
Abdominalextremität
Tibiotarsus
Trochanter
Femur
A5
A1
Komplexauge
Collembola
Antenne
Furca
Retinaculum
Mandibel
1. Maxille
Ventraltubus
Tibiotarsus
Kopf
Thorax
Abdomen
Vorderflügel
Speicheldrüse
Komplexauge
Ocellen
VorderGehirn darm
Antenne
Hinterflügel
Malpighi-Gefäße
Herz Enddarm
Cercus
Abb. 12.103 Organisationsschema der
pterygoten Insekten. Die klare Gliederung
in 3 Körperbereiche (Tagmata) – Kopf,
Thorax und Abdomen – liefert die deutlichste Autapomorphie der Insekten. Zu
Gehirn und Kopfstruktur s. ▶ Abb. 6.29
(S. 348), zum Verdauungstrakt
s. ▶ Abb. 4.10 a (S. 255).
Labrum
Mandibel
1. Maxille
2. Maxille
Coxa
Trochanter
Femur
Suboesophagealganglion
Tibia
Mitteldarm
Tarsus
mungsorgane, der Tracheen (S. 264). Diese röhrenförmigen Einstülpungen des Integuments haben zur Bezeichnung „Tracheaten“ geführt. Den gleichnamigen Organen
der Arachniden (S. 619) und Onychophoren (S. 615) sind
sie allerdings nicht homolog. Sie beginnen mit verengten
Außenöffnungen (Stigmen), die bei Insekten noch mit
630
akzessorische
Drüsen
Genitalporus
Samentasche
Ovarium
Bauchmark
einem Verschlussmechanismus versehen sind, und werden als ektodermale Bildungen von einer dünnhäutigen,
nicht sklerotisierten Cuticula (Intima) ausgekleidet. Diese
Intima wird bei jeder Häutung erneuert. Die Stigmen liegen bei den Insekten an den beiden hinteren Thorakalsegmenten und in einer wechselnden Anzahl von Abdo-
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Tarsus
Tibia
12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
a
b
Gehirn
Suboesophagealganglion
Stigmata
Stigma
Tracheenhauptstrang
Tracheenhauptstrang
Luftsack
Cercus
Cercus
Abb. 12.104 Tracheensystem der Tracheaten (nach Grassi, Marten; Weber).
a Primär flügelloses (apterygotes) und b pterygotes Insekt. Tracheensystem blau.
minalsegmenten. Sie führen über einen kurzen Kanal in
zwei oder mehrere längsverlaufende Hauptstränge
(▶ Abb. 4.21 a auf S. 267, ▶ Abb. 12.104 a), die bei guten
Fliegern vielfach zu mächtigen Luftsäcken ausgeweitet
sind (▶ Abb. 12.104 b). Bei kleinen, flügellosen Formen
können die durchgehenden Längsstränge fehlen (z. B. bei
Archaeognathen), alle Tracheen über ein einziges Stigmenpaar nach außen münden (z. B. bei Symphylen)
oder sogar weitgehend bis vollständig reduziert sein
(bei Pauropoden, Proturen und Collembolen).
Drei weitere konstitutive Merkmale der Tracheaten liefert die Kopf-Architektur:
● Wie den Myriapoden fehlt auch den Insekten das
2. Antennenpaar der Krebse (Name Antennata = Monantennata). Das entsprechende, zwischen Antennen
und Mandibeln gelegene Segment bleibt jedoch als Interkalarsegment erhalten. Ihm ist der hintere Hirnabschnitt (Tritocerebrum) zugeordnet. Die sensorischen
Bahnen von Augen und Antennen (▶ Abb. 12.105) projizieren ins Proto- bzw. Deuterocerebrum. Die Ganglien
der auf das Interkalarsegment folgenden 3 Segmente
(Mandibelsegment und 2 Maxillensegmente) verschmelzen zum Unterschlundganglion (Suboesophagealganglion, ▶ Abb. 6.29 a auf S. 348).
● Unter den Mundwerkzeugen besitzen die Mandibeln
keine Taster (Palpi ) (vgl. Krebse, ▶ Abb. 12.93 und
▶ Abb. 12.97), bestehen also nur noch aus den zu
mächtigen Kauladen ausgebildeten Hüftgliedern der
●
ursprünglichen Extremitäten (▶ Abb. 12.106). Die
1. Maxillen tragen noch Taster. Die 2. Maxillen vereinigen sich meistens zu einer plattenförmigen Unterlippe (Labium), die den Mundvorraum nach hinten abschließt. Während die Mundwerkzeuge ursprünglich –
und noch bei den meisten Myriapoden – zangenartig
gegeneinander arbeiten, werden sie bei den Insekten
vielgestaltig zu stechenden, saugenden oder leckenden
Organen umgebildet (▶ Abb. 12.107).
Antennen-, Interkalar-, Mandibel- und Maxillensegmente bilden bei den Tracheaten eine einheitliche
Kopfkapsel, die Augen und Antennen trägt
(▶ Abb. 12.105) und in die im Gegensatz zu den übrigen Arthropoden nie Segmente mit Laufbeinen einbezogen werden. Leistenartige Cuticulareinstülpungen
bilden als Muskelansatzstellen ein inneres Kopfskelett
(Tentorium).
12
Charakteristisch für Insekten ist innerhalb der Tracheaten
die Rumpfgliederung. Während der Rumpf bei den Myriapoden aus nahezu homonomen Segmenten mit gleichartigen Extremitätenpaaren besteht, ist er bei den Insekten stets heteronom in Thorax (Brust) und Abdomen
(Hinterleib) gegliedert. Der Thorax enthält 3 mit je
einem Laufbeinpaar ausgestattete Segmente, das Abdomen 11 Segmente ohne lokomotorische Extremitäten.
Als Rudimente bzw. Umbildungen von Abdominalextremitäten können Styli (bei Dipluren und Archaeognathen),
631
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Stigma
12 Vielfalt der Organismen
primär flügellose Insekten
Diplura
Collembola
Archaeognatha
Zygentoma
Pterygota
Flagellum
Abb. 12.105 Antennen und Lichtsinnesorgane am Kopf der Insekten (nach P. Ax). Die Komplexaugen (Lateralaugen) sind orange, die
Medianaugen (Ocellen) rot gekennzeichnet. Zum Grundmuster der Euarthropoden gehören 2 Lateral- und 4 Medianaugen – ein
Zustand, wie er in der Abbildung von den Collembolen repräsentiert wird. Die Komplexaugen bestehen bei den Collembolen nur aus
maximal 8 Ommatidien. Bei den Archaeognathen, Zygentomen und Pterygoten sind die beiden vorderen Medianaugen zum mittleren
Ocellus verschmolzen.
Augen: Die Hauptaugen der Cheliceraten entsprechen im oben genannten Grundmuster den beiden hinteren Medianaugen; die
Komplexaugen sind bei den Cheliceraten zu lateralen Linsenaugen „zerfallen“. Bei den Krebsen bildet das unpaare Naupliusauge ein
Verschmelzungsprodukt aller 4 Medianaugen. Es tritt bei Larven, aber in einigen Gruppen (z. B. Copepoden) auch im Adultstadium auf.
Antennen: Gliederantennen (grün) werden in allen Gliedern von Muskeln durchzogen. Bei den Geißelantennen (blau) ist nur der Scapus
über Muskeln mit dem Kopf verbunden. Der Pedicellus enthält das mechanorezeptorische Johnston-Organ, das den Gliederantennen
fehlt. Das mehrgliedrige Flagellum (die Geißel) zeigt bei den einzelnen Pterygoten-Gruppen mannigfache Modifikationen.
a
b
Sehnen
c
Gelenkgrube
Chelicere
Sehne
Gelenkhöcker
Schneidekante
Gelenkhöcker
Antenne
Mandibel
Abb. 12.106 Funktionsmorphologie der Insektenmandibel (nach Bristowe, Kaestner; Weber).
a Dreidimensionales Schema einer typischen Mandibel (Ansicht der rechten Mandibel von oben/innen). Grün: Sehnen der Ab- und
Adduktormuskeln.
b Mandibeln der Nashornkäferlarve (Oryctes nasicornis). Vorderansicht.
c Zum Vergleich sind die Wirkungsbereiche der Cheliceren bei orthognathen Spinnen (z. B. Vogelspinne; blau in Seitenansicht) und
labidognathen Spinnen (z. B. Netzspinnen; rot in Frontalansicht) dargestellt. Die Labidognathen-Cheliceren arbeiten wie die Insektenmandibeln in einer Ebene quer zur Körperlängsachse, die Orthognathen-Cheliceren dagegen in der Körperlängsachse. Erstere können
daher für den gleichen Wirkungsbereich (Doppelpfeile) kleiner dimensioniert sein als letztere.
Cerci (z. B. ▶ Abb. 12.104), der Sprungapparat der Collembolen (▶ Abb. 12.102) und Teile des äußeren Geschlechtsapparats gelten. Vergleichend anatomisch ist
der Hinterleib der Insekten als sekundäres Abdomen zu
bezeichnen (S. 625).
Der genetische Mechanismus, der die Bildung der Extremitäten am Abdomen unterdrückt, ließ sich bei Drosophila aufklären. Während der Embryogenese wird das
für die Extremitätenbildung zuständige Gen Dll (distal
less) von den Ubx/abd-A-Proteinen an seiner Expression
gehemmt. Während im Thorax die Expression von Dll
und Ubx/abd-A zeitlich nicht überlappen, fallen sie im
Abdomen zusammen. Bei Onychophoren und Myriapo-
632
den wirken die Ubx/abd-A-Genprodukte dagegen nicht
unterdrückend auf Dll. Die Repressorwirkung muss also
zu Beginn der Evolution der Insekten entstanden sein.
Jedes Thorakalsegment (Pro-, Meso- und Metathorax)
trägt ein Paar Extremitäten (Name: Hexapoda). Obwohl
embryonal jegliche Andeutungen von Spaltbeinanlagen
fehlen, werden die einästigen Laufbeine der Tracheaten
vergleichend morphologisch vielfach mit den Endopoditen der Spaltbeine homologisiert (S. 626). Griffelförmige Styli, die bei den Archaeognathen und Dipluren
sowohl
an
rudimentären
Abdominalextremitäten
(▶ Abb. 12.102) als auch an der 2. und 3. Thorakalextremität auftreten, lassen sich als Reste von Exopoditen deu-
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Pedicellus
Scapus
ten. Bei Insekten gliedern sich die Laufbeine stets in Hüftglied (Coxa), Schenkelring (Trochanter), Schenkel (Femur), Schiene (Tibia) und den – primär fünfgliedrigen –
Fuß (Tarsus) mit Endklauen. (Bei den ebenfalls einästigen
Laufbeinen der Arachniden schwankt die Zahl der Beinglieder gruppenspezifisch.)
Damit sich die Beine wirkungsvoll bewegen können,
müssen sie an die Muskulatur des Thorax angeschlossen
werden und gegen ein starres Widerlager wirken. Die
starke Sklerotisierung (S. 613) der Thorakalsegmente –
Muskelinsertionsstelle und Widerlager der Beinbewegung zugleich – erfüllt beide Bedingungen, erfolgt jedoch
nicht gleichmäßig über die gesamte Segmentcuticula. Die
mächtigen segmentalen Längsmuskeln inserieren direkt
an den Intersegmentalfurchen, die stark sklerotisierte,
nach innen vorspringende Zapfen (Antecosten) bilden
(▶ Abb. 12.108 a). Um trotzdem die Beweglichkeit des
Rumpfes zu erhalten, werden vor oder hinter den Antecosten, d. h. im davor oder dahinter liegenden Segment,
membranöse Gelenkhäute ausgebildet. Die äußerlich
sichtbaren Segmentgrenzen eines Insekts entsprechen
also einer sekundären Segmentierung, während die
wahren Segmentgrenzen durch die Antecosten markiert
werden. Die Segmentringe sind im dorsalen (Tergum)
und ventralen Bereich (Sternum) stark sklerotisiert, also
als Sklerite (Tergit bzw. Sternit) ausgebildet, besitzen jedoch weichhäutige Seitenwände (Pleuren). Nur an den
Bein- und Flügelgelenken werden in den Pleuralmembranen zur Versteifung des Bewegungsapparates Sklerite
(Pleurite) angelegt (▶ Abb. 12.108 b und c).
Die meisten Insekten, die seit dem unteren Karbon,
seit 330 Mio. Jahren bekannten Pterygoten, tragen am
Meso- und Metathorax Flügel. Nahm man ursprünglich
an, die Flügel seien aus dorsolateralen Epidermisduplikaturen (Paranota) zwischen Pleuren und Tergen ohne
jeglichen Bezug zu den Beinen entstanden, machen jüngere entwicklungsbiologische Befunde gerade diesen
Bezug wahrscheinlich. So werden die Gene pdm (= pou
domain protein) und apterus, die bei Insekten an der
Flügelentwicklung beteiligt sind, auch in den Epipoditen
(Kiemen) der Spaltbeine von Crustaceen exprimiert;
ebenso in den Buchkiemen der Schwimmbeine von Limulus und in den sich von ihnen ableitenden Fächerlungen der Spinnen, ja sogar in den Anlagen der Spinnwarzen (▶ Abb. 12.109). Alle diese Organe dürften daher
aus kiementragenden Epipoditen der Beine ursprünglich
wasserlebender Arthropoden hervorgegangen sein. Dem
entspricht auch, dass die Flügel der Insekten von Seitenästen der Beintracheen versorgt werden und einige
Muskelpaare bifunktionell beim Laufen und Fliegen (jeweils als Agonisten oder Antagonisten) tätig sind.
Die
beiden
Flügelpaare,
die
bei
Libellen
(▶ Abb. 12.110) sogar unabhängig voneinander schlagen
können, werden bei höher entwickelten Fliegern in Richtung auf einheitlich schlagende Flächen umgestaltet: Entweder kommt es zur Verkopplung der Flügel einer Körperseite durch Haftverbindungen (bei Hymenopteren
und Lepidopteren), zur Umbildung des hinteren Flügel-
paares zu Schwingkölbchen (= Halteren, bei Dipteren,
▶ Abb. 9.45 auf S. 455), zum Verlust des vorderen Flügelpaares (bei Strepsipteren) oder – wie bei Käfern – zur
Umbildung der Vorderflügel zu Deckplatten (= Elytren).
Alle nicht-pterygoten Insekten sind primär flügellos
(apterygot; ▶ Abb. 12.102 auf S. 630). Aber auch innerhalb der Pterygoten treten sekundär flügellose Formen
auf (z. B. Federlinge, Läuse, Wanzen, Flöhe, Ameisenarbeiterinnen). Doch da es sich bei der primären Flügellosigkeit um ein plesiomorphes Merkmal handelt, sind die
„Apterygoten“ als Paraphylum zu betrachten. Unter
ihnen bilden die Collembolen, denen auch das bisher
älteste fossil nachweisbare Insekt (Rhyniella, unteres Devon) entstammt, mit heute über 7000 Arten und weltweiter Verbreitung die weitaus größte Gruppe. Individuenmäßig können sie mit 1 – 5 Tieren pro cm2 als die häufigsten Insekten gelten. Als Bodenbewohner der Laubund Moosschicht sind sie ebenso wie die Diplopoden
unter den Tausendfüßern wesentlich an der Zersetzung
pflanzlichen Materials beteiligt. Ihr auf 6 Segmente reduziertes Abdomen trägt einen wirkungsvollen Sprungapparat, der den nur 1 – 2 mm langen Tieren Sprünge von bis
zu 50 cm Weite ermöglicht. Dabei wird die Sprunggabel
(Furca), die in Ruhe nach vorn geklappt und am Retinaculum eingehakt ist, nach hinten geschnellt.
Während der postembryonalen Entwicklung durchlaufen die pterygoten Insekten mehrere Larvenstadien,
die jedoch im Gegensatz zur anameren Entwicklung vieler Krebse (S. 626) und apterygoten Insekten stets schon
die endgültige Segmentzahl enthalten. Indem die Larven
andere und nährstoffreichere Lebensräume besiedeln als
die fortpflanzungsfähigen Tiere (Imagines, Sing. Imago)
und auch eine viel längere Lebensdauer als diese besitzen
können (S. 473), bilden sie eigentliche Wachstums- und
Ernährungsstadien, die sich oft auch morphologisch stark
von den Imagines unterscheiden. Die Imagines, die sich
über eine Metamorphose aus den Larven entwickeln
(▶ Abb. 3.22 auf S. 182, ▶ Abb. 5.8 auf S. 306), dienen dagegen der Vermehrung und Verbreitung. Manchmal nehmen sie – wie bei einigen Schmetterlingen und Fliegen –
gar keine Nahrung mehr auf. Die Möglichkeit, dass sich
Insekten als Larven und Imagines getrennt spezialisieren
und sich damit ein größeres Umweltspektrum erschließen können, mag wesentlich dazu beigetragen haben,
dass sie an Artenzahl alle anderen Tiergruppen übertreffen. In jüngster Zeit hat man sogar noch eine neue Großgruppe („Ordnung“ Mantophasmatodea, Plus 12.3, S. 638)
entdeckt. ▶ Tab. 12.1 führt die artenreichen Gruppen
(> 1000 Arten) der Pterygoten auf, ohne damit eine systematische Gliederung geben zu wollen. Im Gegensatz zu
den pterygoten Insekten mit hemimetaboler Entwicklung
bilden die Holometabola ein Monophylum.
Bei der Hemimetabolie (▶ Abb. 12.111) zeigen die Larven oft noch auffällige Ähnlichkeiten mit apterygoten Insekten. Mit jeder Häutung ähneln sie der Imago mehr
und mehr. Dagegen zeigen die Larven der Insekten mit
„vollständiger“ Metamorphose (Holometabolie) z. B. als
Raupen oder Maden keinerlei Ähnlichkeit mit den Imagi-
12
633
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12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
12 Vielfalt der Organismen
Beißend-kauend (z. B. Schaben, Heuschrecken)
Leckend-saugend (z. B. Bienen)
Ocellen
Ocellen
Komplexauge
Komplexauge
Antenne
Clypeus
Labrum
Cardo
Stipes
Submentum
Mentum
Labrum
Cardo
Submentum
Stipes
Palpus maxillaris
Mentum
Galea
Paraglossa
Galea
Palpus
labialis
Mandibel
Lacinia
Palpus
maxillaris
Paraglossa (Außenlade)
Palpus labialis
Glossa
Glossa (Innenlade)
Saugend (Schmetterlinge)
Stechend-saugend
(Stechmücken)
(Wanzen)
Ocelle
Palpus maxillaris
Antenne
Palpus labialis
Antenne
Labrum
Clypeus
Komplexauge
Komplexauge
Palpus
maxillaris
Komplexauge
Labium
Ocellen
Mandibel
Stipes
Labrum
Lacinia
Labrum
Galea
Palpus
maxillaris
Hypopharynx
Labium
Mandibel
Labium
Lacinia
Hypopharynx
Palpus labialis
Labrum
laterale Wand der Galea
Saugrohr
Innenraum
der Galea
mediane Wand der Galea
634
Labrum
Saugrohr
Mandibel
Mandibel
Lacinia
Labium
Labium
Lacinia
Hypopharynx
Speichelrohr
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Mandibel
Hypopharynx
Antenne
Clypeus
12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
◀ Abb. 12.107 Typen von Mundwerkzeugen bei Insekten (nach Kühn; Pfurtscheller; Kaestner; Weber; Ulrich; Eastham). Mandibeln rot,
a
primäre
Gelenkhaut
I
sekundäre
II
Segmentierung
III
Antecosta
Longitudinalmuskulatur
b
Abb. 12.108 Gliederung des Thorakalskeletts bei Insekten (nach Snodgrass;
Fuller; Seifert).
a Längsschnitt durch die dorsale Thoraxregion.
b Seitenansicht eines Thoraxsegments.
c Prothorax einer Steinfliege (Plecoptera).
I, II, III = Pro-, Meso- und Metathorax.
c
Tergit
Gelenkhaut
Stigma
Coxa
Tergit
Pleurum
Pleurum
Pleuriten
Pleuriten
Sternit
Sternit
Crustacea
Epipoditen (Kiemen)
Flügel
Insecta
aquatischer Vorfahre
der Arthropoden
Xiphosura
Buchkiemen
Coxopodit
Basipodit
Epipodit
Exopodit
Endopodit
Arachnida
Spinnwarzen
Tracheen
Fächerlungen
Abb. 12.109 Hypothese zur Evolution der
Insektenflügel (nach Averof, Cohen; Damen, Saridaki). Für vier Arthropodengruppen sind rot jene Körperstrukturen angegeben, in denen embryonal die aus den Flügelanlagen von Drosophila bekannten Gene
pdm und apterus exprimiert werden. Blau
gekennzeichnet sind (von oben nach unten)
die Endopoditen der Krebse sowie die Laufbeine der Insekten, des Schwertschwanzes
Limulus und der Spinnen.
Einschaltbild: Mehrästige Extremität eines
ursprünglichen aquatischen Arthropoden
(vgl. ▶ Abb. 12.96, S. 626). Wenn der
Coxopodit dieser Extremität in die Seitenwand (das Pleurum) eines Thorakalsegments inkorporiert wird, kommt der ursprüngliche Epipodit in die dorsolaterale
Flügelposition zu liegen.
12
635
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1. Maxillen grün, 2. Maxillen (Labium) orange.
Der beißend-kauende Typ bildet die ursprüngliche Form: das Labrum (Oberlippe) überdeckt als unpaare Hautfalte die Mandibeln. Die
noch stark gegliederten 1. Maxillen bestehen aus zwei Grundgliedern (Cardo, Stipes), einem Taster (Palpus maxillaris) sowie einer
Innen- und Außenlade. Die innere (Lacinia) dient als Kaulade, die äußere (Galea) ist mit Geschmackssinnesorganen besetzt. Die
2. Maxillen sind mit ihren Grundgliedern (Submentum, Mentum) median zu einem einheitlichen Labium (Unterlippe) verwachsen,
dessen paarige Anlage noch durch die Taster (Palpi labiales) sowie die Glossa und Paraglossa angedeutet wird. Vom Mundhöhlenboden
erhebt sich ein unpaarer zungenförmiger Fortsatz, der Hypopharynx.
Beim leckend-saugenden Typ bilden die verschmolzenen Glossae eine lange, ringförmige Zunge. Die Labialtaster und die Außenlade
der 1. Maxille umhüllen als flachgekrümmte Scheide die Zunge, sodass ein Saugrohr entsteht.
Beim saugenden Typ der Lepidopteren sind die Mandibeln zurückgebildet. Vom Labium bleiben nur die Taster erhalten. Die rinnenförmigen Außenladen der 1. Maxillen (Galeae) legen sich zu einem einrollbaren Saugrohr zusammen.
Beim stechend-saugenden Typ der Mücken (Culicidae) und Wanzen (Heteroptera) bildet das Labium eine vom Labrum bedeckte Rinne,
in der die Stechborsten (Mandibeln und Kauladen der 1. Maxillen) gleiten. Als Saugrohr dient bei Mücken eine tiefe, vom Hypopharynx
abgeschlossene Rinne an der Unterseite des Labrums, bei Wanzen ein von den Stechborsten gebildeter Kanal. Durch einen zweiten,
darunterliegenden Stechborstenkanal (Speichelrohr) fließt ein Speicheldrüsensekret, das die Blutgerinnung hemmt, in die angestochene Wunde. Bei den Mücken birgt der Hypopharynx den Speichelkanal.
Die Querschnittsbilder (unten) zeigen die Mundwerkzeuge in natürlicher Lage.
Abb. 12.110 Mesozoische Libelle (Cordulagompus), untere
Kreide, Brasilien. Wie die Eintagsfliegen (Ephemeroptera) sind
die seit dem Karbon bekannten Libellen (Odonata) „starrflügelig“, können ihre Flügel also nicht flach über dem Abdomen
zusammenlegen. Odonata und Ephemeroptera werden daher
oft als Palaeoptera allen übrigen pterygoten Insekten – den
Neoptera – gegenübergestellt. Maßstabsmarke: 1 cm (Bild:
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt/Main,
Foto: Tränkner).
nes, von denen sie durch ein Puppenstadium getrennt
sind (▶ Abb. 5.8, S. 306). Larveneigene Merkmale treten
aber auch bei hemimetabolen Insekten auf; z. B. können
sekundär wasserlebende Larven (etwa bei Eintagsfliegen)
am Abdomen Tracheenkiemen tragen – dünnwandige,
von Tracheen durchzogene Hautduplikaturen, die aus Extremitätenanlagen hervorgegangen sind.
Mit ihrer ungemeinen Formenfülle und ihrem hohen
Organisationsgrad sind die Insekten die wahren Herrscher dieser Welt: „the little things that run the world“,
wie der Harvard-Biologe Edward O. Wilson sie einmal
nannte. Ihre erste große Formenradiation erlebten sie
im Karbon, als sie herbivor von Gymnospermen – den
damals dominierenden Pflanzen – lebten und damit die
Larvenstadien
frühes,
flügelloses
engen Interaktionen zwischen Pflanzen und Insekten
etablierten. Ihre zweite große Radiation erfolgte während
der Kreidezeit in Koevolution mit den Angiospermen
(Blütenpflanzen), für die sie als Bestäuber wirkten und
mit einer Vielfalt raffinierter Anpassungen bis heute wirken. Ermöglicht wurde die überragende Rolle, die Insekten als Konkurrenten aller übrigen terrestrischen Organismen einschließlich des Menschen spielen, durch die
hohen integrativen Leistungen ihres Zentralnervensystems (▶ Abb. 6.29 auf S. 348; S. 415, S. 422, S. 429) und
ihr vielseitiges Verhaltensrepertoire, das sich vor allem
bei staatenbildenden Insekten mit ihrer Kastenbildung
und Arbeitsteilung (S. 445) in komplexen Kommunikationssystemen (S. 446 und S. 447) und ausgeprägtem Lernverhalten (S. 427, S. 429) äußert.
Auch als Parasiten oder Krankheitsüberträger (Vektoren) sind Insekten für den Menschen sowie für Haus- und
Wildtiere von großer Bedeutung (▶ Abb. 12.112). Anopheles-Mücken übertragen die Malaria-Erreger (Plasmodium, ▶ Abb. 12.10 auf S. 569), Filariosen (S. 643) und einige tropische Virusinfektionen (Dengue-Fieber, Gelbfieber; letzteres hauptsächlich durch die nahverwandte
Aedes aegypti); Sandmücken (Phlebotomus) sind Überträger der Leishmaniosen (S. 567). Die Tsetse-Fliegen (Glossina) übertragen die von Trypanosoma-Arten erzeugte
Schlafkrankheit sowie die Nagana-Seuche bei Rindern
(S. 567). Die süd- und mittelamerikanischen Dasselfliegen
(Dermatobia) legen ihre Eier, die nach wenigen Tagen
schlüpfbereit sind, an stechende Insekten. Gelangt der
Transportwirt auf ein Säugetier, schlüpfen die Larven
und bohren sich in die Haut ein, wo sie Hautgeschwülste
(Dasselbeulen) erzeugen. Als Überträger von Typhus,
Ruhr, Cholera, Milzbrand und Amöbenruhr (S. 575) sind
Stubenfliegen (Musca domestica) nachgewiesen.
Bei den Flöhen (Siphonaptera) übertragen Rattenflöhe
(Xenopsylla cheopis) die Pestbakterien auf Menschen, wo
sie durch Menschenflöhe (Pulex irritans) weiter verbreitet
werden können. Der Hundefloh (Ctenocephalides canis)
Imago
späteres, mit
Flügelscheiden
Vorderflügel
Flügelscheiden
Hinterflügel
Cercus
636
Abb. 12.111 Hemimetabolie bei Steinfliegen (Plecoptera). Die am Boden von Fließgewässern lebenden Larven sind den Imagines recht ähnlich. Ihre Lebensdauer kann
mehrere Jahre betragen und bis zu 25 Häutungen einschließen. Die Plecopteren vereinen viele Merkmale, die man ursprünglichen Neopteren zuschreibt (s. Legende zur
vorhergehenden Abbildung).
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12 Vielfalt der Organismen
12.9 Arthropoda (Gliederfüßer)
Tab. 12.1 Pterygota. Die artenreichen Gruppen – die klassischen „Ordnungen“ – der pterygoten Insekten
Insektengruppen
Artenzahl
Insektengruppen mit hemimetaboler Entwicklung
mit wasserlebenden Larven
Ephemeroptera
Eintagsfliegen
2 500
Odonata
Libellen
5 600
Plecoptera
Steinfliegen
3 000
●
mit landlebenden Larven
Dermaptera
Ohrwürmer
2 000
Mantodea
Fangschrecken
2 300
„Blattoptera“
Schaben
4 000
Isoptera
Termiten
3 000
Ensifera
Langfühlerschrecken
9 500
Tettigonioidea
Laubheuschrecken
Grylloidea
Grillen
Caelifera
Kurzfühlerschrecken
11 000
Acridoidea
Feldheuschrecken
Phasmatodea
Gespenstheuschrecken
3 000
Psocoptera
Staubläuse
4 000
Phthiraptera
Tierläuse
5 000
„Mallophaga“
Haarlinge, Federlinge
Anoplura
Läuse
Thysanoptera
Fransenflügler
5 500
„Homoptera“1
Gleichflügler
59 000
Auchenorrhyncha
Zikaden
Sternorrhyncha
Pflanzenläuse
Heteroptera1
Wanzen
40 500
Insektengruppen mit holometaboler Entwicklung
Neuroptera
Netzflügler: Florfliegen, Schmetterlingshafte, Ameisenlöwen
6 000
Coleoptera
Käfer
360 000
Hymenoptera
Hautflügler
132 000
„Symphyta“
Pflanzenwespen
„Terebrantes“
Lege-(Schlupf-)wespen
Aculeata
Stachelwespen: Grabwespen, Faltenwespen, Ameisen,
Bienen
Trichoptera
Köcherfliegen
10 500
Lepidoptera
Schmetterlinge
150 000
Diptera
Zweiflügler
134 000
Siphonaptera
Flöhe
2 200
1
12
„Homoptera“ und Heteroptera bilden das Monophylum Hemiptera (Schnabelkerfe).
637
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●
12 Vielfalt der Organismen
Plus 12.3
Mantophasmatodea: die Entdeckung der „Gladiatoren“
dient als Zwischenwirt des Bandwurms Dipylidium canium. Eine abweichende Lebensweise zeigen Sandflöhe (Sarcopsylla penetrans), bei denen die Männchen nach Art gewöhnlicher Flöhe an Menschen parasitieren, die am Boden
lauernden Weibchen dagegen in die Haut eindringen und
erbsengroße Entzündungsherde verursachen.
Die Läuse (Anoplura) befallen als blutsaugende Dauerparasiten Säugetiere, wo sie sich mit ihren Klammerbeinen im Haarkleid einnisten und ihre Eier (Nissen) mithilfe eines Sekrets an die Haare des Wirts kitten. Nach
molekularbiologischen Analysen scheint sich die Kleiderlaus (Pediculus humanus humanus) vor ca. 10 000 Jahren von der Körper- oder Kopflaus (Pediculus humanus
capitis) abgespalten zu haben. Das könnte der Zeitpunkt
gewesen sein, zu dem der Mensch in größerem Ausmaß
Kleidung zu tragen begann. Während Kleider- und Kopflaus heute meistens als Unterarten geführt werden, bildet
die vorwiegend an Scham-, aber auch Achselhaaren lebende Filz- oder Schamlaus (Phthirus pubis) eine eigene
Art, die am nächsten mit den Filzläusen des Gorillas
(Phthirus gorillae) verwandt ist. Sie wird nur bei engstem
Kontakt – meistens beim Geschlechtsakt – übertragen.
(Für den Gattungsnamen ist auch die Schreibweise Pthirus gebräuchlich; doch leitet er sich von griech. phtheir =
Laus ab.) Am gefährlichsten sind für den Menschen die
Kleiderläuse, da sie als Überträger des Fleckfiebers (Erreger: Bakterium Rickettsia prowazeki) und des Rückfallfie-
638
auf Jagd, pirschen sich an andere Insekten (z. B. Schaben)
heran und fangen sie mit ihren Vorder- und Mittelbeinen.
Wie die Bernsteinfunde zeigen, haben sie sich seit dem
frühen Tertiär kaum verändert. Doch wo die auf das südliche Afrika beschränkten Tiere phylogenetisch genau einzuordnen sind, lässt sich auch nach ersten DNA-Analysen
noch nicht mit Sicherheit sagen.
Adultes Männchen von Karoophasma botterkloofensis vom
Botterkloof-Pass im westlichen Südafrika. (Bild: M. Picker,
Kapstadt, Südafrika)
bers (Erreger: Baktrium Borrelia recurrentis) fungieren.
Bei Napoleons Russlandfeldzug sollen mehr als doppelt
so viele Soldaten an Fleckfieber gestorben als auf den
Schlachtfeldern umgekommen sein.
Unter den Wanzen (Heteropteren) zählen die flügellosen Bettwanzen (Cimex lectularius; in den Tropen C.
rotundatus) zu den Blutsaugern. Gefährlicher für den
Menschen sind in Süd- und Mittelamerika die Raubwanzen Rhodnius und Triatoma, die den Erreger des ChagasFiebers – eine Trypanosomenkrankheit – übertragen
(S. 567).
12.10 Nematoda
(Fadenwürmer)
Formenübersicht
c
Vgl. ▶ Abb. 12.43 (S. 592 – 593).
Frei lebend, z. T. saprozoisch: Rhabditis (S. 244); Caenorhabditis (S. 183); Turbatrix (= Anguillula, Essigälchen);
Pristionchus (▶ Abb. 12.117). Parasitisch (S. 642): Enterobius; Ascaris (▶ Abb. 12.113, ▶ Abb. 12.115); Ancylostoma; Dracunculus; Wuchereria; Trichuris; Trichinella.
Größte Art: Placentonema gigantissima, 8 m lang,
Durchmesser 8 – 9 mm, in der Plazenta des Pottwals.
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Die Überraschung war groß, als Oliver Zompro 1999 im
Rahmen seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut in
Plön (Schleswig-Holstein) ein in Bernstein eingeschlossenes Insekt in Händen hielt. Vergeblich versuchte er, das
45 Mio. Jahre alte Tier einer der bekannten Großgruppen
(„Ordnungen“) der Insekten zuzuordnen. Zwei Jahre später
stieß er in der entomologischen Sammlung des Natural
History Museums in London auf ein ähnlich merkwürdiges
Insekt, das 1950 in Tansania gesammelt worden war: teils
Heuschrecke (Caelifera: wegen der kräftigen, langen Hinterbeine), teils Gottesanbeterin (Mantodea: wegen der auffälligen Stacheln an den Vorderbeinen), teils Stabheuschrecke (Phasmatodea: wegen des langgestreckten Körpers),
schienen die flügellosen Tiere einer Insektengruppe anzugehören, die der Wissenschaft bisher entgangen war. Genaue anatomische Analysen, die vor allem Klaus-Dieter
Klass vom Museum für Tierkunde in Dresden durchführte,
bestätigten den Verdacht: Mantophasmatodea nennt man
heute die neue „Ordnung“. Wegen des helmartigen Panzers, den die Larven tragen, spricht man auch von „Gladiatoren“ .
Auf einer Expedition, die eigens der Suche nach ihnen galt,
wurden sie schließlich im Brandbergmassiv Namibias auch
lebend gesichtet. Tagsüber sitzen sie im Schatten von
Grasbüscheln und Felsüberhängen, doch nachts gehen sie
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