seriös - Die PVS

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Ethik contra Monetik
GKV heißt nicht automatisch „seriös“ und medizinisch
unbedenklich
Im GKV-Bereich steht eine neue Gebührenordnung ins Haus – der EBM 2000 plus – und schon
entbrennt auch im Selbstzahlermarkt die erneute Diskussion um die Seriosität von IGeLAngeboten. Für Außenstehende erscheint dies zunächst unverständlich. Denn vordergründig
hat ein neuer Gebührenrahmen für die Abrechnung im gedeckelten GKV-System nichts mit
dem Selbstzahlerbereich zu tun. Insider im Medizinmarkt beobachten aber schon seit langem,
dass mit zunehmendem „Marktdruck“ im GKV-Bereich die Ethikfrage wieder an Aktualität
gewinnt. Denn gerade diejenigen Ärzte, die ihren Patienten bislang keine
Selbstzahlerangebote unterbreiten, rechtfertigen dieses Verhalten damit, dass sie per se alle
Selbstzahlerleistungen für unethisch, weil unnötig, überflüssig, wissenschaftlich unbegründet
oder schädlich abqualifizieren.
Bei Praxen, die schon seit langem erfolgreich IGeL-Leistungen anbieten, stoßen diese
moralischen Verurteilungen verständlicherweise auf Unverständnis und Entrüstung. Denn mit
der „Ethik-Keule“, die zuletzt auch der Präsident der Bundesärztekammer publikumswirksam
mitgeschwungen hat, werden hier seriös arbeitende Ärztinnen und Ärzte pauschal als
„Abzocker“ abqualifiziert. Unberücksichtigt bleibt bei dieser Argumentation die Tatsache, dass
auch in der Kassenmedizin viele medizinische Leistungen erbracht und abgerechnet werden,
die keineswegs sinnvoll und notwendig sind. Die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit
dieser Leistungen wird hier aber fast nie gestellt, da mit der Aufnahme einer Leistung in den
GKV-Katalog gleichzeitig implizit die „ethische Adelung“ im Sinne des Gesundheits-TÜV des
„GKV-geprüft“ erfolgt. Dabei ist eigentlich ganz klar, dass über die ethische Vertretbarkeit
sprich die Sinnhaftigkeit und den Nutzen einer bestimmten Diagnostik und Therapie nicht die
Tatsache entscheidet, ob eine Krankenkasse oder der Patient selbst diese Leistung bezahlt.
Systemfalle „kostenfreie Kassenleistung“
Das Sachleistungsprinzip im GKV-Bereich hat Patienten über Jahrzehnte dazu verleitet,
medizinische Leistung als praktisch „kostenfrei“ wahrzunehmen. Der behandelnde Arzt sieht
sich deshalb mit einer Patientenerwartung konfrontiert, die oft im Gegensatz zu der ihm
auferlegten Beschränkung auf das Ausreichende, Wirtschaftliche und Notwendige im Sinne
der Versichertengemeinschaft steht. Die fehlende Transparenz mündet so in eine erhebliche
Verunsicherung bei allen Beteiligten: Trotz stetig sinkender betriebswirtschaftlicher
Refinanzierungsmöglichkeiten stehen Ärzte weiter unter einem hohen Erwartungs- und
Anspruchsdruck von Patienten, die in der Menge absolut unzureichend über die Grenzen GKVversicherter Diagnostik und Therapie informiert sind.
Gerade der neue EBM wird manchen Praxisinhaber hier aber endgültig zum Umdenken
zwingen. Bedingt durch die Einführung von Komplexziffern und Leistungspauschalen und die
gleichzeitige Mengenbegrenzung durch Regelleistungsvolumina und Zeitprofile dürfte es zu
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Leistungskontingentierungen in den Praxen kommen. Denn Ärzte, die ihren Patienten weiterhin
die gewohnten Diagnostik- und Therapiemaßnahmen ohne Rücksicht auf die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen anbieten (bei Erbringung von fakultativen Leistungen droht
Unwirtschaftlichkeit), werden diesen Medizinkomfort aus eigener Tasche für ihre Patienten
subventionieren – eine Form von Altruismus, die sich wohl nur die wenigsten Praxen leisten
können. Das heißt, dass diejenigen, die bis jetzt der Selbstzahlermedizin ablehnend
gegenüberstanden, den Einstieg in dieses – inzwischen bereits von anderen gut besetzte –
Marktsegment wagen müssen.
Der Arzt als Berater
Dieser Paradigmenwechsel im ärztlichen Selbstverständnis – das Akzeptieren der Rolle des
Arztes als Berater und nicht mehr als Verordner – wird dabei manchem mehr als schwer
fallen. Zumal auch viele Patienten nach Jahren der Bevormundung und des „Verwöhnens auf
hohem Niveau“ eine eigenverantwortliche Entscheidung gar nicht treffen wollen und erst
lernen müssen, dass nicht der Arzt und die Krankenkasse, sondern sie selbst für ihre
Gesundheit verantwortlich sind. Der freiberuflich tätige Arzt und Unternehmer wird aber in
Zukunft an einer solchen veränderten Weichenstellung nicht vorbei kommen; denn angesichts
marktwirtschaftlicher Kosten und sozialisierter Einnahmen im Gesundheitswesen bleibt als
Ausweg nur die Erschließung neuer Einnahmequellen im verantwortungsbewussten und
partnerschaftlichen Dialog mit dem Patienten oder der Einstieg in die kostengünstigen,
zwangskollektivierten staatlichen Versorgungsmodelle (MVZ).
Die Strategie, Patienten für sinnvolle Selbstzahlerleistungen zu sensibilisieren und
Privatpatienten durch einen verbesserten Service dauerhaft an die Praxis zu binden, ist
unternehmerisch sinnvoll und vollkommen berechtigt, so lange der Grundsatz gewahrt ist: Der
Patient kann sich frei – also ohne Druck und Kaufzwang – entscheiden, nachdem ihm vom
Arzt die Vor- und Nachteile einer bestimmten Diagnostik- oder Therapiealternative vorgestellt
und erläutert wurden.
Kommunikative Strategien
Gerade an dieser kommunikativen Strategie hapert es jedoch noch in vielen Praxen – ebenso
wie an den notwendigen organisatorischen Gegebenheiten. Um Patienten zu überzeugen,
bedarf es einer Beratung ohne Zeitdruck und Hektik. Zudem sollten klare Therapiekonzepte
existieren – unter Einbeziehung von GKV- erstattungsfähigen Leistungen und
Behandlungsalternativen auf Selbstzahlerbasis. Solche Konzepte sollten sich am Grundsatz
der bestmöglichen Behandlungsmethode für den Patienten orientieren und nicht von
vornherein die Preisschere („das will der Patient sowieso nicht zahlen“) im Kopf
berücksichtigen. Dies setzt ein echtes Engagement des Arztes und wirkliches Interesse für
die Probleme des Patienten voraus, das über das Angebot von Standardlösungen hinausgeht.
Denn nur wenn der Patient einen persönlichen Mehrwert erlebt, wird er sich für eine Leistung
interessieren und auch bereit sein, aus eigener Tasche die eventuellen Mehrkosten zu tragen.
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Hinzu kommt, dass sich auch in den Ablauforganisationen vieler Praxen der Servicegedanke
noch nicht genügend abbildet. Patientenströme werden zu wenig kanalisiert und im Interesse
der Praxis nach betriebswirtschaftlichen Vorgaben gesteuert - mit der Konsequenz, dass
Patienten einfach „anfallartig“ abgearbeitet werden statt z.B. mit speziellen
Sprechzeitenangeboten auf unterschiedliche Behandlungs- und Betreuungswünsche von
Patienten zu reagieren. Eine Privat- oder Selbstzahlersprechstunde wird von vielen
Praxisteams mit dem Argument abgelehnt, dass man keine Zwei-Klassenmedizin betreiben
wolle und die Patienten ohnehin nicht bereit dazu sind, sich auf solche Terminangebote
einzulassen. Wenn Behandlungsabläufe und die notwendigen Zeitkontingente jedoch nicht
geplant sind, sondern sich die Terminorganisation täglich quasi neu auf Grund der anfallenden
Problemstellungen erfindet, muss es nicht wundern, wenn eine Praxis sich mit der
Implementierung von Selbstzahlerleistungen schwer tut. Denn ein geplanter Ablauf ist die
wichtigste Voraussetzung für den IGeL-Erfolg, da der Patient über Termintreue, ein bewusst
gestaltetes Behandlungs- und Betreuungserlebnis (ein Arzt mit Zeit, aber ohne Wartezeit,
wenig Hektik, freundliche, service-orientierte Mitarbeiterinnen) von der Qualität und
Preiswürdigkeit der angebotenen Leistung überzeugt wird.
Nur Praxen, die dieses neue Serviceverständnis akzeptieren und Krankheitsbehandlung und
Gesundheitsvorsorge als Dienstleistung mit hohem Niveau erbringen, werden auf Dauer in
einem immer stärker auf Konzentration und Großzentren hinarbeitenden Gesundheitsmarkt
erfolgreich bestehen können. Denn der Vorteil der „kleinen Einheit“ ist und bleibt die
persönliche Bindung und das Vertrauen, dass der Patient seinem Arzt entgegenbringt, so
dass er sich medizinisch und menschlich in der Praxis gut aufgehoben fühlt. Gerade hier
werden Einzel- und kleinere Gemeinschaftspraxen auch weiterhin ihre Nische haben, aber nur
dann, wenn sie den Patienten durch eine gute Medizin verbunden mit einer persönlichen
Betreuung, die auch sinnvolle Selbstzahlerangebote einschließt, überzeugen und binden
können.
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