Helga Hackenberg · Stefan Empter (Hrsg.) Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen Helga Hackenberg Stefan Empter (Hrsg.) Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17759-5 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Helga Hackenberg und Stefan Empter Social Entrepreneurship und Social Business: Phänomen, Potentiale, Prototypen Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft Tine Stein Global Social Entrepreneurship – Komplement oder Konkurrenz zu Global Governance? . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 André Habisch Gesellschaftliches Unternehmertum – Blinder Fleck wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Gemeinwohltheorien . . . . . . . . . . . 49 Markus Beckmann Social Entrepreneurship – Altes Phänomen, neues Paradigma moderner Gesellschaften oder Vorbote eines Kapitalismus 2.0? . . . . . . . . . . . 67 Rolf G. Heinze, Katrin Schneiders und Stephan Grohs Social Entrepreneurship im deutschen Wohlfahrtsstaat – Hybride Organisationen zwischen Markt, Staat und Gemeinschaft . . . . . . . . . 86 6 Inhaltsverzeichnis II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten Birger P. Priddat Organisationstheoretische Einschätzungen – Warum Social Entrepreneurship so attraktiv für junge High Potentials ist . . 105 Felix Oldenburg Wie Social Entrepreneurs wirken – Beobachtungen zum Sozialunternehmertum in Deutschland . . . . . . . . . . . . . 119 Peter Spiegel Social Impact Business – Soziale und ökologische Probleme unternehmerisch lösen . . . . . . . . . . . . . . 133 Gunter Pauli und Markus Haastert Die Versöhnung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem – Internationale Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Katharina Sommerrock Sozialunternehmerische Geschäftsmodelle – Anreizstrategien zur Versorgung mit öffentlichen Gütern . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit Hans-Joachim Gergs Ende des Sozialmanagements und Aufstieg des Social Entrepreneurship? Führung sozialer Unternehmen im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Gerhard Wegner Sozialraumunternehmerinnen und -unternehmer – Neues Denken in der Gemeinwesenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Inhaltsverzeichnis 7 Daniel Dölle Potentiale von Social Entrepreneurship für die Kinder- und Jugendhilfe . . . 203 Anne Köppelmann Unternehmerisch denken und handeln in der Sozialen Arbeit – Von der Idee zum Businessplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Stefan Knüppel und Christian Groß Mikrofinanzierung in der Entwicklungszusammenarbeit – Bildungsunternehmertum am Beispiel der Opportunity Microschools . . . . . 235 IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen Anne-Kathrin Kuhlemann Sozialwirtschaft vs. Marktwirtschaft – Unterschiede, die Finanziers berücksichtigen müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Ann-Kristin Achleitner, Wolfgang Spiess-Knafl und Sarah Volk Finanzierung von Social Enterprises – Neue Herausforderungen für die Finanzmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Michael Alberg-Seberich und Anna Wolf Venture Philanthropy – Wenn zwei Welten sich treffen . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Stephan Breidenbach Sozialbörsen zur Finanzierung von Social Businesses – Das Modell der NExT SSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 8 V. Inhaltsverzeichnis Verbreitung, Transparenz und Kommunikation sozialunternehmerischer Aktivitäten Valerie Hackl Social Entrepreneurship multiplizieren und skalieren – Wege und Beispiele von Social Franchising . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Barbara Roder, Ann-Kristin Achleitner und Alexander Bassen Ein Reporting Standard für Social Entrepreneurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Björn Schmitz und Volker Then Legitimation durch Narration – Bindungskräfte durch das Erzählen von Geschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Holger Sievert Sozialunternehmertum kommunizieren – Eine scheinbar unlösbare Aufgabe und wie sie dennoch gelingen kann . . . . 351 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Verzeichnis der Web-Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Vorwort Für die Gesellschaft unternehmen und Verantwortung übernehmen: Die Idee zu diesem Buch entstand nach mehreren persönlichen Begegnungen mit dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus in den Jahren 2007/2008, reifte vor dem Hintergrund langjährigen Zusammenwirkens mit Stifterpersönlichkeiten, gesellschaftlichen UnternehmerInnen und sozial engagierten BürgerInnen wie auch in zahllosen Gesprächen mit Experten aus der Wissenschaft und vor allem aus der Praxis. Die dabei immer wirkmächtige Zeitgebundenheit von flüchtigen oder auch schlagkräftigen Ideen – und das Wissen der Herausgeber darum – verstehen sich von selbst. Gesellschaft und Unternehmertum verstehen heißt nicht nur, die komplexen Verflechtungen und Interdependenzen, Prinzipien und Regeln – die „Grammatik“ – einer globalisierten Marktwirtschaft zu begreifen. Vielmehr gilt es – entgegen gängiger Stereotypen von der Unausweichlichkeit eines Turbokapitalismus – ebenso zu erkennen, welche Bedeutung Gestaltungswille, Unternehmergeist oder unternehmerisches Handeln engagierter BürgerInnen für die Bewältigung sozialer oder ökologischer Herausforderungen und den Zusammenhalt einer Gesellschaft konkret besitzen. Erfolgreiche Konzepte und Leistungen von Social Entrepreneurship und Social Businesses, welche einer karitativen oder staatlichen Lösung gesellschaftlicher Probleme einen im bestverstandenen Sinne marktwirtschaftlichen Denk- und Handlungsansatz an die Seite stellen, finden jedoch bislang in Ausbildung und Unterricht an Schulen, Hochschulen und in der praktischen beruflichen Weiterbildung in Deutschland noch verhaltene Resonanz. So sehr Social Entrepreneurship und Social Business als Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements und als soziale Innovationen in der Praxis Konjunktur erfahren haben, so zaghaft erst schlägt sich die gesellschaftliche Debatte über ihren Stellenwert in der deutschsprachigen Literatur (jenseits der ‚Bewegungsliteratur‘), in Forschung und Lehre nieder. Anliegen dieses Bandes ist es daher, das Neue an dem keineswegs neuen Phänomen von gesellschaftlichem Unternehmertum zu ergründen, die Kernideen von Social Entrepreneurship und Social Business mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen, Potentialen und auch Grenzen in die gesellschaftspolitische Debatte einzuordnen, konzeptionell zu schärfen und anhand ausgewählter Beispiele zu konkretisieren – dies nicht allein, um neue Forschungsfelder aufzuzeigen, sondern um insbesondere Lehrenden und Studierenden, Praktikern 10 Vorwort und Interessierten weiterführende Handlungsimpulse sowie ganz praktische Handreichungen zu geben. Wir haben für unser Vorhaben im Vorfeld viel Zuspruch erfahren. Bestärkt und ermutigt hat uns insbesondere die spontane Bereitschaft der 31 beteiligten Autorinnen und Autoren, daran mitzuwirken und ihre Einschätzungen, Erfahrungen und Erkenntnisse beizusteuern. Sie haben mit ihren Beiträgen die wahrlich interdisziplinären Grundlagen für diesen Band gelegt – das Spektrum reicht von der praktischen Theologie über die Soziologie bis zur Finanzwirtschaft, vom Blick der Leitung und Führung gemeinnütziger Organisationen bis zur Beraterperspektive im Profit- oder Non-Profit-Bereich, vom internationalen Wirtschaftsrecht bis zur konkreten Sozialarbeit in Deutschland. Die Aktualität des Bandes und die Dynamik im Feld lassen sich auch am work in progress ablesen: So wurde beispielsweise die Forderung vieler AutorInnen nach einheitlichen Standards während des Entstehens dieses Bandes mit einem ersten Reporting Standard eingelöst – in einem der Beiträge wird über aktuellste Zwischenergebnisse berichtet. Allen Beteiligten gebührt unser großer Dank – für ihre inhaltlichen Beiträge, aber auch für ihre Bereitschaft, dem ambitionierten Zeitdiktat der beiden Herausgeber zu folgen und deren Ratschläge und Interventionen zu jeder Zeit konstruktiv anzunehmen. Unser Dank gilt ferner Frank Engelhardt und Dr. Cori Mackrodt vom VS-Verlag in Wiesbaden, die frühzeitig die Potentiale des Themas gesehen und die Veröffentlichung mit großem Interesse begleitet und unterstützt haben. Unser Buchprojekt zum jetzigen Zeitpunkt erst ermöglicht haben die Kolleginnen und Kollegen der Evangelischen Hochschule Berlin durch die Gewährung der notwendigen Zeit sowie die beiden Vorsitzenden der Stiftung Wirtschaft Verstehen in Essen durch die Übernahme der Druckvorbereitungskosten – auch ihnen schulden wir tiefen Dank. Last but not least möchten wir ganz besonders Dr. Anja Gottburgsen danken, die uns durch ihr sorgfältiges Lektorat zu jedem Zeitpunkt die Sicherheit für mustergültige Druckvorlagen gegeben hat. Alle Fehler und Unzulänglichkeiten verbleiben gleichwohl allein in unserer Verantwortung. Berlin und Gütersloh, im Dezember 2010 Helga Hackenberg und Stefan Empter Social Entrepreneurship und Social Business: Phänomen, Potentiale, Prototypen – Ein Überblick Helga Hackenberg und Stefan Empter „Die Bemühung soziale Verantwortung zu reintegrieren in lebensweltliche Kontexte, soziale Kompetenz als Bildungsaufgabe zu begreifen, bedeutet weder einen Rückfall in deregulierte private Zuständigkeiten noch einen Abbau sozialstaatlicher Hilfeleistungen. Es bedeutet aber, dass die Systemwelt die Lebenswelt nicht weiter kolonisiert, sondern dass beide Wirklichkeiten sich lebendig aufeinander beziehen und so ihre Gemeinwohlverpflichtung erfüllen.“ Theodor Strohm Gesellschaftliche Unternehmerinnen und Unternehmer haben eine gesellschaftspolitische Mission: Sie suchen und finden innovative Lösungen für existierende soziale oder ökologische Probleme und wollen mit ihren Ideen und deren Verbreitung auf lokaler, nationaler oder globaler Ebene wirken. Ihre Mission ist es, „to make a difference“, aus der Mitte der Gesellschaft heraus mit unternehmerischer Kreativität und den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ‚sozialen Mehrwert‘ zu schaffen. Und genau darin liegt der Unterschied zu klassischen Unternehmern: Sie wollen gesellschaftlichen Nutzen maximieren, nicht den eigenen finanziellen Vorteil oder Gewinn. Dort, wo öffentliche Institutionen, wohlfahrtsstaatliche oder Nicht-Regierungs-Organisationen Schwierigkeiten haben, sind sie mit kreativen Denkansätzen, Know-how und Kosteneffizienz zur Stelle. Gesellschaftliches Unternehmertum scheint in Deutschland im Kommen und gewinnt an Dynamik, ist unter Begrifflichkeiten wie social entrepreneurship oder social business in vieler Munde – nicht erst, aber verstärkt seit der jährlichen Präsentation von sog. „Ashoka-Fellows“, der Verleihung des Friedensnobelpreises 2006 an den bengalischen Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus für sein Engagement bei der Gestaltung und Vergabe von Mikrokrediten an die Ärmsten der Armen, seinem ersten Deutschlandbesuch und dem ersten Vision Summit 2007 in Berlin, der Gründung des Berliner GENISIS Institute for Social Business H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 12 Hackenberg/Empter: Ein Überblick and Impact Strategies im Jahr 2008, der Einrichtung der ersten deutschen Professur für Social Entrepreneurship an der Leuphana Universität Lüneburg 2009, dem Forscherverbund der Stiftung Mercator „Innovatives Soziales Handeln – Social Entrepreneurship“ (2009-2012) an acht deutschen Universitäten und Forschungsinstituten, dem Anfang 2010 gegründeten Magazin für Social Business und gesellschaftliche Innovation „enorm – Wirtschaft für den Menschen“ oder der Errichtung des ersten deutschen Lehrstuhls für Social Business an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden im Herbst 2010. Was verbirgt sich hinter dem Phänomen gesellschaftlichen Unternehmertums, social entrepreneurship oder social business? Ist es ein Königsweg zur Bewältigung sozialer, ökologischer oder Globalisierungs-Probleme, ein neues gesellschaftspolitisches Paradigma in Zeiten von Vertrauenskrise und Infragestellung herkömmlicher Wirtschafts- und Wohlfahrtsmodelle, gar Vorbote eines Post-Krisen-Kapitalismus 2.0 mit Prototypen und Potentialen, lediglich ein vorübergehender Hype oder eine gesellschaftliche Bewegung in Bewegung? Anders, als es den Anschein erweckt, hat konkretes unternehmerisches Handeln für die Gesellschaft in Deutschland bereits eine sehr lange Tradition: Berühmte, dem Gemeinwohl verpflichtete, mit aller Energie die Lebensumstände der Menschen zum Besseren wenden wollende Sozialreformer wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen oder Wilhelm Merton wirkten im 19. Jahrhundert als soziale Innovatoren, ebenso wie zahllose Stifter, Unternehmerpersönlichkeiten und ungenannte engagierte BürgerInnen im 20. Jahrhundert. Einige dieser social entrepreneurs werden in den Beiträgen dieses Buches benannt und ihre Leistungen beschrieben – die meisten jedoch nicht, und viele wollen auch gar nicht als gesellschaftliche Unternehmer bezeichnet werden, verstehen sich nicht als solche. Oft gibt erst die externe Sicht den Ausschlag für Qualität, Quantität und v.a. die Zuschreibung „gesellschaftliches Unternehmertum“. Während das Phänomen gesellschaftlichen Unternehmertums nichts Neues ist, sind es die Strategien des boomenden social entrepreneurship-Sektors schon. Zwar ist die Zielsetzung eine andere, aber Auftritt, Marketing und Vorgehensweise der neuen social entrepreneurship-Organisationen tragen bisweilen Charakterzüge von new economy-Unternehmen. Und stets nährt sich auch der latente Verdacht eines Hypes à la „New Economy“: Wieselworte wie „Soziale Verantwortung“, „Nachhaltigkeit“ oder „Change“ sind schnell in Anschlag gebracht, die tatsächlichen Wirkungen oder Veränderungen aber schwer einzuschätzen – denn diese sind ja nicht monetär unmittelbar bewertbare Größen. Kurzum: Es fehlt noch an methodischem Rüstzeug, um den ‚sozialen Mehrwert‘, den gesellschaftliche Unternehmungen stiften, wirklich messen und be- Hackenberg/Empter: Ein Überblick 13 werten zu können. Konzepte wie „Social Return on Investment“ (SROI) klingen vielversprechend, stehen aber in ihrer Entwicklung noch am Anfang. Gleichwohl sind sie dringend erforderlich, um Transparenz zu schaffen und die qualitativ spürbaren Erfolge von social entrepreneurship und social business auch quantitativ zu belegen. Viele Autorinnen und Autoren dieses Bandes weisen auf die aktuelle Vielfalt der begrifflichen Konzepte von social entrepreneurship und social business in Literatur und alltagsprachlicher Praxis hin, einheitliche oder gar exakte Definitionen fehlen bislang. Einerseits erschwert zwar die hieraus resultierende Begriffs- und Definitionsvielfalt den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, zugleich scheint sie noch notwendig, um der Interdisziplinarität der Zugänge und der Vielfalt des Phänomens in der gesellschaftlichen Wirklichkeit Rechnung zu tragen (wie auch Valerie Hackl in ihrem Beitrag beschreibt). Denn der Verzicht auf vorschnelle begriffliche oder konzeptionelle Einengungen korrespondiert nachgerade mit dem möglichen Potential, das es zu heben gilt. „Ein social entrepreneur richtet sein Handeln voll und ganz an der Schaffung sozialen Mehrwerts aus, ist stets auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und verfolgt die Umsetzung neuer Konzepte hartnäckig, etabliert einen Prozess der kontinuierlichen Innovation und des Lernens, handelt mutig und lässt sich nicht durch fehlende Ressourcen von der Umsetzung seiner Idee abhalten und hat ein stark ausgeprägtes Gefühl der Verantwortung für die Gesellschaft und für die gesellschaftlichen Folgen seines Handelns“ – in Anlehnung an J. Gregory Dees sollen in diesem Band bewusst multiple Perspektiven zum Phänomen gesellschaftlichen Unternehmertums eröffnet und nutzbar gemacht werden – seien es verschiedene theoretische Zugänge, wissenschaftliche und praktische Erkenntnisse, ausgewählte Anwendungsgebiete wie auch sektorenspezifische Ausprägungen. Um bei dem breiten Spektrum gerade auch konkrete Handlungsorientierungen zu geben, werden die Autorenbeiträge durch [herausgeberische] Querverweise aufeinander bezogen und es wird – soweit vertretbar – durch [herausgeberische] Ersetzungen eine überbegriffliche Konsistenz dort hergestellt, wo es zum Verständnis der Phänomene hilfreich erscheint. So werden die Begriffe wie ‚Gesellschaftliches Unternehmertum‘, social entrepreneurship, ‚Sozialunternehmen‘, social enterprises, social business, social entrepreneurs oder ‚Sozialunternehmer‘ – sofern im breiteren Sinne verwendet und verstanden als social entrepreneurship organization – in Abstimmung mit den Autorinnen und Autoren überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet. Der vorliegende Band gliedert sich in fünf Kapitel: Gesellschaftstheoretische, historische und empirische Einordnungen werden in Kapitel I vorgenom- 14 Hackenberg/Empter: Ein Überblick men. Darauf aufbauend veranschaulichen die Beiträge in Kapitel II die Potentiale gesellschaftlichen Unternehmertums in der Verknüpfung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem und zeigen auf, mit welchen Hebeln gesellschaftliche Veränderungen gestaltet werden können. In Kapitel III wird für die Bereiche der Sozialen Arbeit und der Entwicklungszusammenarbeit ausgelotet und konkretisiert, welche weiteren Felder mithilfe von social business entrepreneurshipAnsätzen wie bearbeitet werden können. Da Finanzierungsfragen die zentrale Stellgröße auch für die Nachhaltigkeit von gesellschaftlichem Unternehmertum darstellen, stehen sie im Fokus von Kapitel IV. Mit Finanzierung und gesellschaftlicher Durchdringung aufs engste verknüpft sind Aspekte der Bewertungsstandards und Kommunikation, Verbreitung und damit auch gesellschaftlicher Legitimation – diese werden in Kapitel V behandelt. In allen Beiträgen werden die jeweiligen Schwerpunkte und thematischen Einflugschneisen anhand von Beispielen illustriert – größtenteils mit InternetAdressen, welche zusätzlich in einem Weblink-Verzeichnis im Anhang aufgelistet sind. Mehrfachnennungen und Redundanzen in verschiedenen Beiträgen oder Kapiteln sind dabei durchaus gewollt, um so der Leserschaft die Möglichkeit zu eröffnen, für das eigene Tun oder Unternehmen zu lernen und bei der konkreten Umsetzung Untiefen möglichst umschiffen zu können. Insofern verstehen die Herausgeber das vorliegende Buch eher als Leitfaden denn als klassischen Sammelband. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft Ausgehend vom Begriff des „Weltbürgers“, dem ebenso wie beim normativen Begriff des „Bürgers“ Tugendpflichten zukommen, nimmt Tine Stein in ihrem Beitrag „Global Social Entrepreneurship – Komplement oder Konkurrenz zu Global Governance?“ eine politiktheoretische Einordnung gesellschaftlichen Unternehmertums vor. Um Phänomen und Bedeutung transnational aktiver BürgerInnen und ihres Engagements für die Menschheit als Gemeinschaft für die sich entwickelnde internationale politische Ordnung konzeptionell zu erfassen, entfaltet sie eine Typologie global-zivilgesellschaftlichen Engagements, die sich auch auf den nationalstaatlichen Kontext beziehen lässt. Im Rückgriff auf den Schumpeter‘schen „Unternehmer“ charakterisiert sie public entrepreneurs (Ostrom), policy entrepreneurs (Kingdon) wie auch social entrepreneurs (Martin/ Osberg; Dees): Letztere identifizieren ein bislang vernachlässigtes gesellschaftliches Problem, entwickeln ein Lösungsangebot, welches für die Betroffenen Hackenberg/Empter: Ein Überblick 15 oder die Gesellschaft insgesamt einen ‚sozialen Mehrwert‘ verspricht, und setzen dieses mit den ihnen zur Verfügung stehenden Fähigkeiten (Ideenpotenzial, Kreativität, Risikobereitschaft, Wissen und Engagement) und Handlungsressourcen um. Sie wollen damit einen besseren Zustand erreichen. Da diese weltbürgerlich aktiven Individuen unabhängig von Marktzwängen und politischen Zwängen schnell und innovativ handeln können, haben sie – wenngleich nicht demokratisch legitimiert – vielleicht sogar direktere Chancen auf Verbesserung der Situation als dies in politisch-institutionellen Strukturen möglich ist. So verstanden kommt dem Idealtypus der social entrepreneurs (Handlungsressource Innovationsfähigkeit) – gegenüber dem Idealtypus der Philanthropen (Handlungsressource Vermögen) wie auch dem Idealtypus der civil entrepreneurs oder celebrities mit ihrer Mobilisierungs- und Integrationsfunktion (Handlungsressource Berühmtheit) – bei der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse eine zentrale Pilot- und Schrittmacherfunktion zu. Ein solches Verständnis liegt auch dem Beitrag „Gesellschaftliches Unternehmertum – Blinder Fleck wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Gemeinwohltheorien“ von André Habisch zugrunde, der die Frage nach dem Neuen gesellschaftlichen Unternehmertums gegenüber älteren Formen sozialen Engagements fokussiert. Gesellschaftliche UnternehmerInnen können und wollen (sozial-)staatliches Handeln nicht breitflächig ersetzen. Als ‚Pfadfinder‘ innovativer Lösungsmodelle im gemeinnützigen Bereich können sie nur dann nachhaltig strukturverändernd wirken, wenn sie ihre Innovationsimpulse wiederum in die Praxis der Versorgung mit öffentlichen Gütern einbringen. Nur der (Sozial-) Staat kann sozialunternehmerische Innovationen institutionalisieren und „auf Dauerbetrieb“ umstellen. Habisch zeichnet in seiner wirtschafts- und sozialethischen Analyse anhand der Industrialisierung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts nach, wie Strukturen und Systeme der Arbeits- und Sozialordnung immer wieder im unternehmerischen Handeln einzelner Personen vorbereitet wurden. Zwar werden auch heute Politik und internationale Institutionen ihre zentrale Rolle behalten, doch wird die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Handelns und das Wirken von social entrepreneurs als Innovationsmotoren für die Bereitstellung (lokaler wie globaler) öffentlicher Güter aber auch von Sinnangeboten zunehmen – mithin entfaltet social entrepreneurship in Zeiten posttraditioneller und pluralistischer Gesellschaften eine wichtige Orientierungsfunktion. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt Markus Beckmann in seiner Analyse zu den Neuerungen und Kontinuitäten in der aktuellen Diskussion über social entrepreneurship und social business. Sein Beitrag „Social Entrepreneurship – Altes Phänomen, neues Paradigma moderner Gesellschaften oder Vorbote 16 Hackenberg/Empter: Ein Überblick eines Kapitalismus 2.0“ nimmt differenziert Stellung zu der verbreiteten und nicht zuletzt auch durch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise geschürten Erwartung, dass social entrepreneurship und social business Vorboten einer neuen, sozial motivierten Art des Wirtschaftens darstellen, welche die herkömmliche Logik des Kapitalismus verändern oder sogar ablösen könnte. Zur Frage, ob und inwieweit sozial motivierte Unternehmen bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme gewinnorientierten Unternehmen systematisch überlegen sind, argumentiert er, dass beide Arten des Wirtschaftens aus gesellschaftlicher Sicht alternative Mittel darstellen, welche sich je nach Kontext als jeweils unterschiedlich leistungsfähig erweisen: Wo geeignete institutionelle Rahmenbedingungen vorliegen, erweisen sich gewinnorientierte Unternehmen als leistungsfähiger, um gesellschaftliche Bedürfnisse effizient zu befriedigen. Wo eine solche Rahmenordnung jedoch fehlt, können SEOs institutionelles Versagen zielgerichtet kompensieren und wichtige gesellschaftliche Anliegen aufgreifen. Hieraus leitet Beckmann Stellenwert und Rolle sozialunternehmerischen Handelns für die Zukunft des Kapitalismus ab: Das Potential von social business entrepreneurship liegt nicht darin, systemische Problemlösungen, welche staatliches Handeln und marktliches Gewinnstreben in den Dienst gesellschaftlicher Anliegen nehmen, zu ersetzen, sondern darin, diesen systemischen Lösungen durch innovatives sozialunternehmerisches Handeln langfristig den Weg zu bereiten. Insofern kommt SEOs die Rolle von Transformationsagenten zu: Sie tragen entscheidend zur Weiterentwicklung des Kapitalismus bei, und zwar gerade dann, wenn sie die Systemlogik moderner Marktwirtschaften für die Lösung gesellschaftlicher Probleme nicht langfristig ‚außer Kraft‘, sondern vielmehr ‚in Kraft‘ setzen. Rolf G. Heinze, Katrin Schneiders und Stephan Grohs untersuchen in ihrem Beitrag „Social Entrepreneurship im deutschen Wohlfahrtsstaat – Hybride Organisationen zwischen Markt, Staat und Gemeinschaft“ die Bedeutung gesellschaftlichen Unternehmertums im etablierten deutschen System der Wohlfahrtsproduktion. Die Frage, ob SEOs als Lückenbüßer oder Innovationsinkubatoren im sozialen Dienstleistungssektor fungieren, erfordert neben der Theoriebildung sowohl begriffliche Differenzierungen als auch empirische Überprüfung: So müssen die organisationssoziologisch gesehen ‚hybriden Sozialunternehmen‘ – also an verschiedenen Rationalitäten (Markt/Gewinn, Gemeinwohl, Staat) orientierten – klar von ‚sozialen Unternehmen‘ (mit arbeitsmarktpolitischer und z.T. sozialpädagogischer Motivation) unterschieden werden. Am Beispiel der Bereiche Altenpflege und Kinder-/Jugendhilfe kann gezeigt werden, inwiefern zwar der Sektor sozialer Dienstleistungen vom Typus der hybriden Hackenberg/Empter: Ein Überblick 17 SEOs geprägt ist, jedoch belegen die empirischen Daten auch deutlich die Stabilität und Pfadabhängigkeit des bisherigen Wohlfahrtsmusters – Heinze/Schneiders/Grohs warnen also vor Euphorie. Mit ihrer Analyse der spezifischen Produktionsbedingungen des sozialen Dienstleistungssektors in Deutschland veranschaulichen sie vielmehr erneut, dass eine Übertragung des angelsächsisch geprägten social entrepreneurship-Ansatzes auf die Realität des deutschen Wohlfahrtsstaates nur sehr bedingt und dann passgenau zugeschnitten möglich ist, da Begrifflichkeiten und Konzepte an das jeweilige wohlfahrtsstaatliche Regime angepasst und die jeweiligen institutionellen Kontexte einzubeziehen sind. Gesellschaftspolitische Veränderungen bewirken und gestalten Birger P. Priddat skizziert in seinem Beitrag „Organisationstheoretische Einschätzungen – Warum Social Entrepreneurship so attraktiv für junge High Potentials ist“ eine Theorie sozialer Wertschöpfung und pointiert den Unterschied zwischen hybriden SEOs und Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) auf der einen und klassischen Wohlfahrtsverbänden und Vereinen auf der anderen Seite: ihren jungen, dynamischen Charakter („jugendkulturelle Atmosphäre“). Für ihn ist social entrepreneurship mehr als eine Modeerscheinung, vielmehr ein Versuch, soziale Dienstleitungen effektiver als der klassische Bereich der Wohlfahrtspflege anzubieten. Analog zu sozialen Bewegungen – als remakes solidarischen Kollektivverhaltens – nehmen sie gesellschaftliche Impulse auf, formieren diese aber anders: als unternehmerische Organisation, als Beweis für die Selbständigkeit mit entsprechenden Formen der Finanzierung. Das social movement-Moment zeigt sich in permanenter Aufbruchstimmung im Bereich der SEOs wie NGOs – sie leben von ihren überwiegend jungen Akteuren, sind medienorientiert und attrahieren insbesondere junge high potentials. So sind zwar SEOs in erster Linie auf social services ausgerichtet, bei genauerer Betrachtung liegt ihre weitere Funktion aber gerade darin, junge high potentials zu qualifizieren und in eine eigene Form sozialer Transformation zu bringen. Denn indem man als Mitglied einer SEO auf unternehmerische Kompetenz und nicht lediglich auf Praktika oder soziales Engagement verweisen kann, ist dies möglicherweise auch Karriere fördernd für spätere Berufswege. Abschließend diskutiert Priddat daher die Frage, ob also SEOs – neben all dem, was sie sonst leisten – nicht auch eine neue Form der Elitenqualifikation darstellen. Felix Oldenburg berichtet in „Wie Social Entrepreneurs wirken – Beobachtungen zum Sozialunternehmertum in Deutschland“ von seinen Erfahrungen 18 Hackenberg/Empter: Ein Überblick aus der Beratung und Förderung von SEOs in Deutschland. Gemessen am ‚Archetyp‘ des social entrepreneurs als Gründer neuartiger Sozialeinrichtungen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen in Entwicklungs- oder Transformationsländern stoßen SozialunternehmerInnen in Deutschland auf ein ausdifferenziertes und kaum wettbewerblich organisiertes Sozialsystem, in dem Wachstum und Expansion unternehmerischer Innovationen über die lokale Ebene hinaus sofort an konkurrierende Geltungsansprüche anderer Player im Sozialsystem bzw. der öffentlichen Hand selbst stoßen. Mit Blick auf Innovations-Strategien kategorisiert er unter Verweis auf viele Praxisbeispiele die Bandbreite empirischer Geschäftsmodelle (Kooperationsplattformen, Multiplikatorenprojekte, Qualifizierungsprogramme, Mikrofinanzierung, Anteilseignergesellschaften und Marktkatalysatoren). Hinsichtlich der Expansions-Strategie verdeutlicht er die Unterschiede zwischen Wirtschafts- und Sozialunternehmen: Während erstere Wertschöpfung möglichst internalisieren, suchen letztere mithilfe unterschiedlichster Wachstums- und Skalierungsstrategien (Zentrale, Filialen, social franchises, Netzwerke, open sourcing) die maximale Externalisierung ihrer Wertschöpfung. Hinsichtlich der Impact-Strategie von SEOs typisiert Oldenburg verschiedene Ansätze der direkten und indirekten Systemveränderung: Marktveränderungen, Wandel formaler Normen, Auflösung von Sektorengrenzen, Integration neuer Marktteilnehmer oder Multiplikation von Engagement. Bei aller Heterogenität und Vielfalt der SEO-Landschaft in Deutschland sieht er den zentralen Wirkungsmechanismus darin, dass je mehr Menschen sich selbst zu Sozialunternehmertum inspiriert fühlen und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen statt auf den Staat oder Dritte zu verweisen, desto mehr steigen die Selbstheilungskräfte und die Resilienz gegenüber gesellschaftlichen Schieflagen. Die Verortung sozialer Anliegen und deren Problemlösung in der Zuständigkeit des Staates oder im zivilgesellschaftlichen Engagement – aber eben nicht in der Verantwortung der Wirtschaft – dominiert auch nach Peter Spiegel noch immer das Bewusstsein unserer Gesellschaft. Diese Vorstellung wird durch drei konzeptionelle Impulse gesellschaftlichen Unternehmertums – die Wirtschaft und Soziales in Einklang bringen – grundsätzlich infrage gestellt. Sie werden in seinem Beitrag „Social Impact Business – Soziale und ökologische Probleme unternehmerisch lösen“ differenziert erläutert und abgrenzt: Das social entrepreneurship-Konzept von Bill Drayton, der spezifische social business-Ansatz der Sozialunternehmer-Ikone Muhammad Yunus sowie das social impact-Konzept von Coimbatore K. Prahalad. Während Yunus unter social businesses ausschließlich Unternehmen verstanden wissen will, deren alleiniger Gründungs- und Unternehmenszweck die Lösung eines drängenden gesell- Hackenberg/Empter: Ein Überblick 19 schaftlichen Problems ist und deren Gewinne vollständig reinvestiert werden, steht bei social impact businesses zwar auch die Ausrichtung auf soziale Wirkungen und sozialen Mehrwert im Vordergrund, dies aber unabhängig von einer Null- oder moderaten Gewinnausschüttung. In social (impact) business sieht Spiegel enorme Entwicklungspotentiale für die globale Gesellschaft und Wirtschaft, insbesondere auf den Handlungsfeldern „Kleinkredite“ in und „Innovationen“ für Entwicklungsländer, aber auch im „Sozialbereich“ der (Post-)Industrieländer und beschreibt diese am Beispiel ausgewählter SEOs. Die großen globalen Herausforderungen der Zukunft sind auch Ausgangspunkt des Beitrages „Die Versöhnung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem – Internationale Fallbeispiele“ von Gunter Pauli und Markus Haastert: Während auf der einen Seite das natürliche Gleichgewicht der Ökosysteme empfindlich beschädigt wird, wodurch die Lebensgrundlage der Menschen insbesondere in den armen Regionen der Erde bedroht ist, hat auf der anderen Seite die traditionelle Wirtschaft mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise seine Vorbildfunktion eingebüßt und Vertrauen verloren. Um jedoch wirkliche Nachhaltigkeit zu erreichen, müssen Ökonomie, Ökologie und Soziales wieder in Einklang gebracht werden. Diesen Dreiklang auch wirtschaftlich erfolgreich umzusetzen, ist – ähnlich den sog. cradle to cradle-Konzepten im Produktionsdesign und engineering – Leitidee der von der „Zero Emissions Research Initiative“ (ZERI) entwickelten „Blue Economy“-Methode. Ihre praktische Anwendung wie auch die damit verbundene Rolle und Bedeutung von social entrepreneurship wird anhand zweier Projekte systematisch durchdekliniert. Wie SEOs die sozialen und ökologischen Herausforderungen moderner Gesellschaften adressieren, beschäftigt auch Katharina Sommerrock in ihrem Beitrag „Sozialunternehmerische Geschäftsmodelle – Anreizstrategien zur Versorgung mit öffentlichen Gütern“. Aus der Perspektive der Theorie der öffentlichen Güter und der Ressourcenabhängigkeitstheorie identifiziert sie SEOs als Katalysatoren für die Bereitstellung von public goods und die je spezifischen Anreizstrukturen und -strategien als das wesentliche Element, um deren Stakeholder bzw. Zielgruppen zur Mitwirkung zu motivieren. Dabei differenziert sie drei Typen von Geschäftsmodellen sozialer Wertschöpfung: „Soziale Wertschöpfung mit der Zielgruppe“, „Soziale Wertschöpfung für die Zielgruppe“ und „Hybride soziale Wertschöpfung“. Anhand konkreter SEO-Beispiele illustriert Sommerrock sowohl die zentrale Katalysatoren-Funktion von SozialunternehmerInnen als auch das Zusammenspiel zwischen Anreizen und Beiträgen der Mitwirkenden zum jeweiligen öffentlichen Gut. 20 Hackenberg/Empter: Ein Überblick Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit Die große ökonomische Bedeutung des sozialen Sektors wie auch die Krise der öffentlichen Finanzen haben bereits in den 1980er Jahren zu einem erheblichen Legitimitätsdruck im gesamten sozialen Bereich geführt. Auf die damit popularisierten Schlagworte (und Vorwürfe) wie ‚Ökonomisierung‘ oder ‚Vermarktwirtschaftlichung‘ reagierten viele soziale Organisationen mit der Adaption von Managementmethoden aus dem Bereich gewinnorientierter Unternehmen. Dies führte zu einem Aufschwung des sogenannten Sozialmanagements. Diese Entwicklung hält Hans-Joachim Gergs in seinem Beitrag „Ende des Sozialmanagements und Aufstieg des Social Entrepreneurship? Führung sozialer Unternehmen im 21. Jahrhundert“ für bedenklich, geraten doch die klassischen Managementmethoden des Profit-Sektors mittlerweile selbst stark in die Kritik. Die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen einer modernen und globalisierten Gesellschaft lassen sich aus Sicht von Gergs nicht mehr mit den ‚technizistischen‘ Managementmethoden des 20. Jahrhunderts bewältigen. So erfordern Selbsterneuerung und Innovation im sozialen Sektor nicht ein Mehr an Sozialmanagement, sondern unternehmerisches Denken und Handeln und innovative Formen der Unternehmensführung. Diese werden sich nur bedingt in ProfitUnternehmen entwickeln, sondern verstärkt in den von Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmern gegründeten neuen SEOs. Analog der Argumentation von Beckmann wirken diese als Katalysatoren bzw. Transformationsagenten auch bei der Erneuerung des Managements von traditionellen, gewinnorientierten Unternehmen. Das durchaus spannungsreiche Verhältnis zwischen klassischer Gemeinwesenarbeit und gesellschaftlichem Unternehmertum diskutiert Gerhard Wegner in seinem Beitrag „Sozialraumunternehmerinnen und -unternehmer – Neues Denken in der Gemeinwesenarbeit“. Zum einen zeigt er Parallelen und Überlappungen in den Tätigkeitsfeldern von SozialarbeiterInnen und SozialunternehmerInnen auf – so gibt es auch in der Sozialarbeit die sozialraum-bezogenen Charismatiker, die ganz ähnlich wie Unternehmer verdeckte Ressourcen im Gemeinwesen aktivieren und durch neue Kombinationen von Gelegenheiten zu einer Steigerung der Lebensqualität im Stadtteil beitragen. Zum anderen aber wollen sich diese Personen in der Regel gerade nicht – wie Priddat für die jungen high potentials herausdestilliert – als social entrepreneurs verstehen oder gar als „Unternehmer“ identifiziert werden und lehnen eine entsprechende Bezeichnung sogar ausdrücklich ab. Dieses Phänomen beruht auch darauf, dass von den grundlegenden Handlungslogiken her sich trotz aller Überlappungen Hackenberg/Empter: Ein Überblick 21 deutliche Distanzen ergeben – dies umso mehr, wenn es um eine Steuerung von gemeinwesenbezogenen Projekten mittels Kennzahlen und um geldbezogene Organisationsimperative geht. Wie allerdings eine neue Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche Deutschland über Gemeinwesendiakonie deutlich macht, scheinen diese Differenzen nicht unüberwindbar: Faktisch sind die Grenzen fließend und in der konkreten Betätigung verstehen sich GemeinwesenarbeiterInnen und SozialunternehmerInnen als aufeinander angewiesen. Analog zu Gergs Analyse des Sozialsektors haben sich auch die sozialpolitischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland verändert: Wirtschaftlichkeit, Leistungsfähigkeit und Wettbewerb treten stärker in den Vordergrund und gehören zum Arbeitsalltag, was innerhalb der Profession je nach Maßstab und Perspektive als Chance oder Risiko bewertet wird. Daniel Dölles Beitrag „Potentiale von Social Entrepreneurship für die Kinder- und Jugendhilfe“ nimmt den Gedanken der unternehmerischen Herangehensweise an soziale Probleme aus Sicht der professionellen Sozialarbeit/Sozialpädagogik in den Blick, diskutiert, welche innovativen Impulse social entrepreneurship zur Bewältigung aktueller Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland geben kann, und entwirft einen Bauplan für eine interdisziplinär aufgestellte Organisation. In der Diskussion der zentralen Handlungsfelder „Berufliches Selbstverständnis“ und „Ressourcenerschließung“ kommt Dölle zu folgenden Einschätzungen: Sozialunternehmerisches Denken und Handeln verbindet den Dienstleistungscharakter der Hilfen mit (sozial)politischem Gestaltungswillen – weil es mehr bietet, darf es nicht mit dem pauschalen Vorwurf der ‚Ökonomisierung‘ der Sozialen Arbeit gleichgesetzt werden. Die visionäre und reformorientierte Grundhaltung von social entrepreneurship eignet sich als handlungsleitende Maxime im Sinne eines politisch motivierten beruflichen Selbstverständnisses von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. In Anwendung innovativer Instrumente, Methoden und Kooperationen stimulieren SEOs den Wettbewerb um die besten Ideen zugunsten ihrer Zielgruppe und der Außenwahrnehmung von Sozialer Arbeit. Damit trägt social entrepreneurship – in Ergänzung zum bestehenden System – sowohl als Impulsgeber zu einer Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten und zu einer weiteren Professionalisierung der Kinder- und Jugendhilfe als auch zu einer weiteren Stärkung der berufsethischen Prinzipien bei. Auch wenn Existenzgründungen, der Schritt in die Selbständigkeit, also sozialunternehmerisches Handeln in der Praxis der Sozialen Arbeit bisher einen seltenen Weg darstellt, zeigt auch Anne Köppelmann mit ihrem Beitrag „Unter- 22 Hackenberg/Empter: Ein Überblick nehmerisch denken und handeln in der Sozialen Arbeit – Von der Idee zum Businessplan“, dass social entrepreneurship beim dringenden Bedarf an neuen Leistungserbringerstrukturen und Finanzierungswegen als Impulsgeber fungieren kann, allerdings bedarf es dazu – analog zu den Ausführungen von Dölle – einer interdisziplinären Offenheit und eines regen Fachaustausches der Professionen: Zwar sollte unternehmerisches Denken und Handeln weiterhin kritisch hinterfragt, jedoch mit Blick auf die Zukunft der eigenen Profession und die Chancen neuer Berufsbilder offen diskutiert werden. Um innovative Strategien im Rahmen einer Existenzgründung im sozialen Sektor umzusetzen, kann ein Businessplan als hilfreiches Strukturierungs- und Planungsinstrument genutzt werden, wie Köppelmann am Beispiel der SEO Eltern-AG nachzeichnet. Ihren Beitrag „Mikrofinanzierung in der Entwicklungszusammenarbeit – Bildungsunternehmertum am Beispiel der Opportunity Microschools“ beginnen Stephan Knüppel und Christian Groß mit einer kritischen Analyse traditioneller Entwicklungsarbeit. So weisen sie nach, dass die Bemühungen westlicher Entwicklungspolitik insbesondere in Afrika in den vergangenen Jahrzehnten wenig Erfolg verzeichneten und zunehmend infrage gestellt werden. Demgegenüber stellt der von Opportunity International verfolgte Ansatz der sozialen Mikrofinanzierung einen alternativen und v.a. wirkungsmächtigeren Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit dar: Sie verschafft den Ärmsten der Armen in Entwicklungsländern einen Zugang zu Finanzdienstleistungen, damit sich diese mit Hilfe von eigenen Kleinunternehmen selbst aus der Armut befreien können. Knüppel/Gross sehen darin einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit und konturieren den microfinance-Ansatz am Beispiel kleinkreditfinanzierter Mikroschulen in Ghana – einem 2008 von Opportunity International gestarteten neuartigen Projekt gegen die dortige Bildungsmisere. Im Rahmen dessen werden Kredite an lokale Bildungsunternehmer (edupreneurs) vergeben, die wiederum Privatschulen für Arme (microschools) gründen oder bestehende Schulen ausbauen und auf diese Weise Kindern aus armen Familien erstmals die Chance auf Bildung und Teilhabe ermöglichen. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen Nicht nur Mikrofinanzdienstleistungen, sondern jede Investmententscheidung zugunsten von SEOs folgt einer völlig anderen Logik als Investitionen in klassische, gewinnorientierte Unternehmen. Wie Anne-Kathrin Kuhlemann in ihrem Beitrag „Sozialwirtschaft vs. Marktwirtschaft – Unterschiede, die Finanziers Hackenberg/Empter: Ein Überblick 23 berücksichtigen müssen“ gegenüberstellt, muss die Zielsetzung von sozialen Investoren über eine finanzielle Gewinnmaximierung hinausgehen und die „soziale Rendite“ im systemischen (also auch makroökonomischen) Sinn hinzurechnen. Ähnlich gelagerte Wertevorstellungen sind zudem den Sozialunternehmern und Sozialunternehmerinnen, die nach externen Kapitalgebern suchen, ausgesprochen wichtig. Wiederum häufig obliegt es den Investoren selbst, die Messung von Erfolg und die konsequente Anpassung der strategischen Herangehensweise an die Unternehmensziele von den SEOs einzufordern. Investoren müssen sich daher klar werden, was es bedeutet, in eine noch junge Branche mit Pioniergeist zu investieren: Es mangelt häufig noch an Skalierungserfahrung und dem proof-of-concept von sozialen Geschäftsideen. Finanzierungsinstrumente müssen erst noch an die Neuartigkeit solcher Geschäftsmodelle angepasst werden. Letztlich benötigen SEOs Investoren, die sich als Partner verstehen. Wen dieser hohe Aufwand und der lange Weg hin zu einem vollwertigen Markt nicht schreckt, der wird nach Kuhlemann möglicherweise auf andere Art belohnt, als es traditionelle Investments bieten: Freundschaften, Menschlichkeit und eine leidenschaftliche Überzeugung der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns sind Elemente, die diese junge Branche prägen. Systematisch analysiert werden die Besonderheiten der Finanzierungsstrukturen im Beitrag „Finanzierung von Social Enterprises – Neue Herausforderungen für die Finanzmärkte“ von Ann-Kristin Achleitner, Wolfgang Spiess-Knafl und Sarah Volk. Auf der einen Seite stehen SEOs aufgrund ihrer sozialen Ausrichtung einige Finanzierungsmöglichkeiten nur eingeschränkt zur Verfügung. Auf der anderen Seite eröffnet gerade diese aber auch den Zugang zu zusätzlichen Finanzierungsquellen und Finanzierungsinstrumenten, die wiederum klassischen Unternehmen fehlen. Achleitner/Spiess-Knafl/Volk beschreiben sämtliche infrage kommenden Finanzierungsquellen und Finanzierungsinstrumente wie auch deren Implikationen für Sozialunternehmen und beleuchten abschließend die besonderen Herausforderungen bei der SEO-Finanzierung. Mit ihrem Beitrag „Venture Philanthropy – Wenn zwei Welten sich treffen“ vertiefen Michael Alberg-Seberich und Anna Wolf einen dieser neuen Ansätze zur Förderung von gemeinnützigen Organisationen und SEOs – die venture philanthropy: Diese verfolgt einen hybriden Ansatz, verortet sich in der Mitte zwischen gewinnorientiertem Privatsektor und klassischer Spende und umfasst nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch ein maßgeschneidertes capacity building. Bislang fördern nur wenige Stifter oder Institutionen in Deutschland und Kontinentaleuropa nach diesem Ansatz. Da nur die Praxis zeigen kann, ob venture philanthropy auch halten kann, was sie verspricht, dis- 24 Hackenberg/Empter: Ein Überblick kutieren Alberg-Seberich/Wolf die Förderinstrumente und Verfahren anhand von konkreten Förderbeispielen (insbesondere der „Private Equity Foundation“ und des „Social Venture Funds“) und zeigen, dass venture philanthropy häufig eine geeignete Förderform gerade für die Wachstumsphase von SEOs darstellt, aber auch noch zahlreiche Herausforderungen birgt. Fundraising stellt schon für den traditionellen non profit-Sektor eine große Herausforderung dar: Teilweise müssen mehr als die Hälfte der Ressourcen für die Spenden-Akquise aufgewendet werden. Mindestens genauso schwierig ist die Beschaffung von Risiko- und Wachstumskapital für Sozialunternehmen, denn das Spezifikum von SEOs, dass sie eben zuvorderst soziale Zielsetzungen verfolgen, muss sich erst noch in den Köpfen von Investoren durchsetzen. Traditionelle Finanzierungsformen können die Finanzierungslücken nicht füllen, mit welchen sich viele SEOs konfrontiert sehen. Sozialbörsen können hierfür Lösungen bieten, wie Stephan Breidenbach am Beispiel des Konzeptes der „New Ethical eXchange and Technologies Social Stock Exchange“ (NExT SSE) in seinem Beitrag „Sozialbörsen zur Finanzierung von Social Businesses – Das Modell der NExT SSE“ aufzeigt. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation sozialunternehmerischer Aktivitäten Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmern geht es um gesellschaftliche Veränderung, um impact und damit auch um die gesellschaftliche Verbreitung ihrer Ideen und Konzepte. In den letzten Jahren hat sich mit social franchising eine Organisationsform zur Multiplikation von SEO-Aktivitäten herausgebildet: Durch Adaption kommerzieller Franchiseprinzipien können bewährte soziale oder ökologische Initiativen einer größeren Zahl von Nutznießern oder Zielgruppen zugänglich gemacht und damit Skaleneffekte generiert werden. Obwohl sich social franchising immer größeren Interesses erfreut, sind seine genaue Bedeutung und Funktionsweise bisweilen unklar. Valerie Hackl geht es deshalb in ihrem Beitrag „Social Entrepreneurship multiplizieren und skalieren – Wege und Beispiele von Social Franchising“ darum, das Konzept social franchising hinsichtlich seiner Besonderheiten gegenüber kommerziellem franchising genauer zu definieren und anhand von Praxisbeispielen zu illustrieren, von alternativen Replizierungsformen abzugrenzen wie auch konkrete Handlungsimplikationen für SEOs abzuleiten. Hackenberg/Empter: Ein Überblick 25 In dem Maße, wie mit social (business) entrepreneurship innovative marktorientierte Ansätze zur Bewältigung sozialer und ökologischer Probleme zu Anwendung kommen, aber auch gesellschaftliche Legitimation erworben und finanzielle Mittel eingeworben werden müssen, werden SEOs zunehmend mit der Wirkung ihrer Aktivitäten, mit der Darstellung von Investitionsrisiken wie auch mit einer professionellen Dokumentation ihrer Arbeit konfrontiert. Allerdings fehlte in diesem Bereich bislang ein einheitlicher Standard. Barbara Roder, Ann-Kristin Achleitner und Alexander Bassen skizzieren in ihrem Beitrag „Ein Reporting Standard für Social Entrepreneurs“ die spezifischen Anforderungen an ein solches social reporting und stellen ihren in einem Forschungsverbund jüngst entwickelten und getesteten Reporting Standard vor. Auch wenn die Etablierung einer professionellen Unternehmensberichterstattung und Wirkungsmessung im SEO-Bereich noch in den Kinderschuhen steckt, so zeigt der neue Reporting Standard bereits positive Implikationen für zentrale Handlungsfelder – wie Internes Monitoring, Außendarstellung, Investorensuche oder Rechenschaftslegung – von Sozialunternehmen auf. Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer stellen sich gesellschaftlichen Legitimationsanforderungen jedoch nicht allein durch reporting und Rechenschaftslegung, welche im Zusammenhang mit accountability und Transparenz vor allem die Wirkungsmessung betreffen. Sie erschließen sich darüber hinaus „emotionale“ Legitimität über die Narration ihrer Unternehmensgeschichte bzw. ihrer Problembearbeitung. Dass diesem Legitimitätsaspekt und den Spezifika narrativer Legitimation in der Debatte um social entrepreneurship bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, wollen Björn Schmitz und Volker Then in ihrem Beitrag „Legitimation durch Narration – Bindungskräfte durch das Erzählen von Geschichten“ entgegenwirken. Sie analysieren Konzept und Prozesse emotionaler Legitimitätsströme und verwenden den capability approach als einen Referenzpunkt, über den Solidarität und Bindungskräfte erzeugt sowie Ressourcen mobilisiert werden können. Der abschließende Beitrag „Sozialunternehmertum kommunizieren – eine scheinbar unlösbare Aufgabe und wie sie dennoch gelingen kann“ von Holger Sievert beschäftigt sich auf verschiedenen Ebenen mit Fragen der sozialunternehmerischen Kommunikation: Konzeptionell beschreibt er die grundsätzlichen Schwierigkeiten von Public Relations im SEO-Sektor, wobei neben Sieverts eigenen Erfahrungen auch Beiträge des vorliegenden Bandes einbezogen werden. Konkret gibt er drei aufeinander aufbauende Empfehlungen, wie Kommunikation für SEOs erfolgreich gestaltet werden kann – diese werden anhand empirischer Fallbeispiele illustriert. Prospektiv zeigt er mögliche Perspektiven 26 Hackenberg/Empter: Ein Überblick sozialunternehmerischer Kommunikation auf, wobei einem institutionalisierten Bezugsgruppenmanagement zentrale Bedeutung zukommt. Sievert endet mit drei kurzen Empfehlungen, die auch mit wenig Vorwissen umgesetzt werden können: Sozialunternehmerische Kommunikation sollte problembewusst, professionell und persönlich sein. Ausblick Dieser Band lebt von Beispielen. Bei einigen Beiträgen liegt der Fokus auf internationalen oder globalen Anwendungen, bei anderen in Deutschland. Dies gibt Anlass zur Hoffnung, dass durch gesellschaftliches Unternehmertum auch die festgefahrenen Strukturen im deutschen Wohlfahrtsstaat erweitert und damit erneuert werden – vor allem in den Köpfen. Der bisweilen kritisierte Hype um Gründerpersönlichkeiten kann – und dies ist vielleicht die größte Hoffnung der Herausgeber – auch in und für Deutschland die Chance bieten, eine Lücke zu füllen, nämlich die vielfach in Wirtschaft und Gesellschaft vermissten Vorbilder zu generieren. Gesellschaftliche Verantwortungsübernahme durch eine neue Generation von UnternehmerPersönlichkeiten hin zu einem konsequenter werte-orientierten Wirtschaften muss auch ein Gegengewicht darstellen, um nicht aus den Kredithaien von gestern die Mikrofinanziers von morgen werden zu lassen. Insgesamt verdeutlichen die quer durch die Beiträge genutzten Metaphern „Kinderschuhe“ oder „Geburtswehen“, dass es sich um ein junges Feld handelt, dessen Wachsen und Gedeihen begleitet werden will, gemessen werden sollte und dessen Kraft sich erst beim Heranwachsen zeigen wird. In diesem Sinn versteht sich der Band als Einstieg und Grundlage. Weitere Präzisierungen und Vertiefungen – sowohl für die Weiterentwicklung des Forschungsfeldes aber auch für die praktische Arbeit – sind einer bereits angedachten Veröffentlichungs-Reihe vorbehalten. I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft Global Social Entrepreneurship – Komplement oder Konkurrenz zu Global Governance? Tine Stein 1 Einleitung Als Präsidentschaftskandidat hatte sich Barack Obama im Sommer 2008 in Berlin einem begeisterten Publikum vorgestellt: „Tonight, I speak to you not as a candidate for President, but as a citizen – a proud citizen of the United States, and a fellow citizen of the world.“ Und nachdem er die gegenwärtigen globalen Herausforderungen bezeichnet hatte, wie Klimawandel, transnationalen Terrorismus und globale Armut, zog er daraus den Schluss, dass „the burdens of global citizenship continue to bind us together“ (Obama 2008). Diese Analyse teilen heute nicht nur Politikerinnen und Politiker, die in Ämtern als Beauftragte handeln, sondern auch Menschen, die außerhalb der Institutionen der Staatenwelt auf eigene Initiative politisch handeln. Auf die globale Bühne ist ein verhältnismäßig neuer Akteurstypus getreten, der in den normativen und empirisch-analytischen politikwissenschaftlichen Analysen von global governance bislang noch wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Es geht um transnational politisch und sozial aktive Individuen, die für ihre „fellow human beings“ in anderen Teilen der Welt engagiert sind. Mit ihren Tätigkeiten wollen sie einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel bewirken zugunsten der Überwindung sozialer Ungleichheit, der weltweiten Geltung der Menschenrechte und des Schutzes globaler Gemeinschaftsgüter (global goods). Einige versuchen dies durch klassisches Lobbying, indem sie wie die advokatorisch tätigen Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) öffentlichen Druck auf international relevante Entscheidungsträger ausüben, wie etwa Bono und Bob Geldorf mit ihrer Kampagne Live 8 im Kontext der G-8-Treffen oder Mia Farrow mit ihrem Engagement für ein Eingreifen der Staatengemeinschaft in Darfour, um so den Prozess der politischen Normsetzung und Normdurchsetzung auf internationaler Ebene zu beeinflussen. Andere versuchen, ohne Umweg über die zur kollektiven Regelsetzung zuständigen politischen Institutionen, einen direkten Effekt zu erzielen, indem sie etwa Institutionen der Gesundheitsversorgung oder Bildungseinrichtungen bereitstellen oder aber sozial wirksame H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 30 I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft Handlungsnormen direkt zu ändern suchen. Muhammad Yunus bspw. hat mit seiner Idee und Umsetzung der Mikrokredite einen strukturellen gesellschaftlichen Wandel ausgelöst, und für dieses Modell wirbt er mit Erfolg in den globalen Foren: So hat die Weltbank mittlerweile ihr eigenes Mikrofinanzprogramm aufgelegt. Ganz besondere individuelle Akteure stellen Bill und Melinda Gates dar, die den größten Teil ihres Vermögens in ihre private Stiftung eingebracht haben. Nachdem sich ihnen Warren Buffet angeschlossen hat – überraschenderweise dies mit dem größten Teil seines Vermögens –, ist die Gates Foundation mit großem Abstand die Nummer 1 in der Philanthropie-Szene. Diese hat jüngst mit The Giving Pledge (www.givingpledge.org) noch einen neuen Aufschwung genommen, als 40 Milliardärinnen und Milliardäre erklärten, mindestens die Hälfte ihres Vermögens zu spenden. Bemerkenswerterweise sind 2,5 der 3 Milliarden Dollar, die die Gates Foundation in 2009 ausgegeben hat, der Entwicklungshilfe und Gesundheitsversorgung in Afrika und Asien gewidmet, insbesondere der Bekämpfung von Seuchen, allen voran AIDS, Malaria und anderer Krankheiten, die in der entwickelten Welt bislang nicht die erforderliche Aufmerksamkeit erhalten hatten (Gates Foundation 2009). Damit ist die Gates Foundation längst zu einem global player geworden, deren Etat mit dem der Weltgesundheitsorganisation und dem Entwicklungshilfeetat kleinerer Staaten konkurrieren kann. Doch es gibt nicht nur die Superreichen und die Prominenten, die sich jenseits der Grenzen der nationalen Bürgerschaft engagieren, sondern auch zahllose unbekannte Aktivistinnen und Aktivisten, die ihre Zeit, ihr Wissen und/oder auch ihr Geld für ihre „fellow citizens of the world“ einsetzen. In Bezug auf dieses Phänomen sind politiktheoretisch vor allem drei Fragen von Interesse: Inwiefern kann erstens das Handeln dieser individuellen Akteure als ein politisches Handeln im Sinne von weltbürgerlichem Handeln verstanden werden? Kann in diesem Zusammenhang überhaupt das Konzept von Bürgerschaft sinnvoll auf die globale Ebene übertragen werden, der es doch bekanntlich an den Kennzeichen von Staatlichkeit mangelt? Zweitens ist von Interesse, welchen Mosaikstein das weltbürgerliche Handeln zu der sich entwickelnden politischen Ordnung jenseits des Nationalstaats hinzufügt. Wird hier jenseits staatlicher Strukturen und internationaler Kooperationen ein bürgerschaftlicher und politischer Beitrag in der globalen Zivilgesellschaft geleistet, der auf Veränderungen von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abzielt und einen sozialen Wandel auslöst – obwohl es doch nicht in klassischer Weise zu einer Form des „Regierens“ im Stein: Global Social Entrepreneurship und Global Governance 2 31 Sinne einer kollektiven Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten kommt? Dabei ist auch von Belang, ob individuelle Akteure als ein komplementäre Ergänzung oder eine Konkurrenz zu den Institutionen der Staatenwelt gelten können. Drittens stellt sich wie für alle Akteure mit besonderem Einflusspotential auch für diese neben dem positiven Potential die Frage der Legitimität ihres Handelns. Transnational handelnde Individuen als Kosmopoliten und die globale politische Ordnung Kosmopolitismus wird in den zeitgenössischen Debatten in einem moralphilosophischen und explizit auch in einem politischen Sinne verwendet. Moralphilosophisch wird unter diesem begrifflichen Schirm die Begründbarkeit von Pflichten der Menschen untereinander in Relation zu ihren diversen Gruppenzugehörigkeiten diskutiert. Politisch wird über die Möglichkeit einer globalen politischen Ordnung nachgedacht, die menschenrechtlichen und demokratischen Standards entspricht (Kleingeld/Brown 2006; Held 2005). In Bezug auf individuelle Akteure als analytische Kategorie wird in moralphilosophischer Hinsicht zumeist erörtert, ob es Solidaritätspflichten zwischen Menschen unabhängig von ihrer jeweiligen Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat gibt und wie sich diese begründen lassen (Singer 2002; O’Neill 2000): Sind diese Pflichten aus einem reziproken Recht auf die Erfüllung elementarer Existenzvoraussetzungen abzuleiten? Handelt es sich bei diesen Pflichten um negative oder positive Pflichten (Caney 2007; Pogge 2008: 132ff)? Aus dieser wichtigen moralphilosophischen Diskussion wird hier die Annahme übernommen, dass sich ausgehend vom Prinzip der Gleichheit der Menschen und der Idee der Menschheit als einer Gemeinschaft solche Pflichten begründen lassen. Die moralphilosophische Dimension ist jedoch für die analytische Erfassung realer Phänomene und deren Verortung in der politisch verfassten Weltgesellschaft zu abstrakt, wenn sie nicht verbunden wird mit einem zweiten zeitgenössischen Diskussionsstrang, nämlich dem politiktheoretischen Konzept von citizenship (Leydet 2006), welches grundsätzlich drei Dimensionen unterscheidet: In der rechtlichen Dimension bezeichnet Bürgerschaft einen formalen Status der Zugehörigkeit zu einem staatlichen Verband, der sowohl (justiziable) Rechte verleiht, als auch Rechtspflichten abverlangt;