Manuskript

Werbung
1
Manuskript
radioWissen
Das Immunsystem – Die Polizei des Körpers
AUTORIN:
Kathrin Hasselbeck
REDAKTION: Gerda Kuhn
SPRECHERIN/SPRECHER: WORT- und GERÄUSCHCOLLAGE:
Die Haut – Blutzellen – Lymphknoten – Geräusch: Niesen – Bakterien – Geräusch:
Herzklopfen – Schwellung – Antikörper – Geräusch: Husten – Viren
SPRECHERIN
Unser Körper ist schutzbedürftig.
Rund um die Uhr, Tag für Tag, steht er unter Beschuss.
Im Feindkontakt mit Bakterien, Viren, Pilzen – mit Krankheitserregern.
SPRECHER
Eine Bedrohung, gegen die er systematisch vorzugehen weiß: durch intelligente
Abwehrkräfte, die Eindringlingen eine Antwort entgegensetzen – eine Immunantwort.
SPRECHERIN
Meistens bekommen wir von alldem gar nichts mit. Aber manchmal erwischt es uns,
wir fühlen uns krank. Das liegt daran, dass mit der Immunantwort ein Abwehrprozess
beginnt, der unseren gesamten Körper beansprucht. Das Immunsystem läuft auf
Hochtouren, und das empfinden wir als unangenehm.
O-Ton Ralph Mocikat
„Es ist ein Organsystem, es gibt mehrere Organe, die für die Immunantwort wichtig
sind, das sind die Lymphknoten, das ist die Milz, primär werden Immunzellen wie alle
Zellen des Blutes ja im Knochenmark produziert – also das ist ein System von
verschiedenen Organen, die da eng zusammenarbeiten …“
SPRECHERIN
Ralph Mocikat arbeitet im Institut für molekulare Immunologie am Helmholtz-Zentrum
in München und ist Professor für Immunologie an der Ludwig-Maximilians-Universität.
Er erforscht das menschliche Immunsystem. Denn je genauer wir verstehen, wie
unsere körpereigene Abwehr funktioniert, umso gezielter können Therapien die
entsprechenden Mechanismen nutzen und Krankheiten verhindern oder sogar heilen.
O-Ton Ralph Mocikat
„Also ich glaub, man weiß schon ne ganze Menge, und das Interessante ist ja, dass
man dieses ganze Wissen erst innerhalb sehr kurzer Zeit gewonnen hat. Das hat sich
wirklich alles erst so im Laufe der letzten zwanzig Jahre entwickelt. Es ist ein
unerhörter Wissenszuwachs gewesen, nichtsdestoweniger glaube ich, dass man das
Meiste immer noch nicht weiß.“
SPRECHERIN
Was man weiß, ist, dass der Schutz unseres Körpers aufgebaut ist wie eine Festung.
Bevor sozusagen die "Streitkräfte" im Inneren zum Einsatz kommen, müssen die
Angreifer äußere Barrikaden überwinden. Solche physischen Hindernisse sind zum
Beispiel Nasenhaare oder Augenlider oder Reaktionen des Körpers wie Niesen oder
Husten. Das größte Barrikade-Organ ist die Haut. Wie ein Mantel umhüllt sie uns und
verhindert, dass Keime von außen ins Blut eindringen können.
2
SPRECHER
Zusätzlich ist unsere Haut von einem chemischen Säureschutzmantel überzogen. In
dessem pH-Wert fühlen sich bestimmte Bakterien wohl, die sich auf unserer Haut
tummeln – als Hautflora. Diese Hautflora sorgt dafür, dass sich schädliche Keime nicht
vermehren können. Somit bildet schon unsere Haut einen physikalisch-chemischen
Schutz nach außen.
COLLAGE
pH-neutral – probiotisch – Geräusch: Biss in Apfel – gesunde Ernährung –
SPRECHERIN
Der Weg der Nahrung durch unseren Körper entspricht einer inneren Logik: Wir
nehmen Lebensmittel mit dem Mund auf - und damit auch Bakterien, die über Magen
und Darm unseren Körper durchwandern. Auf diese Weise verfügt unser
Verdauungssystem über seinen eigenen Schutz vor Erregern. Rund einhundert
Billionen Bakterien bilden einen Schutzfilm, um Keime abzuhalten: als Mundflora und
als Darmflora. Auf einer "Zwischenstation" sorgt zudem die Magensäure dafür, dass
die meisten Erreger keine Chance haben.
SPRECHER
Die Zusammensetzung der Darmbakterien ist bei jedem Menschen individuell –
abhängig davon, wie alt er ist, in welchem Umfeld er lebt – und vor allem, wie er sich
ernährt.
ZITATORIN
"Und das können Sie tun!" –Tipps für ein gesundes Immunsystem, Teil 1: Ernährung.
Zu viel Fett und Zucker schaden der Darmflora! Dafür regen Ballaststoffe die
Verdauung an und halten den Darm fit. Wer viel Obst und Gemüse isst, hat viele
weiße Blutkörperchen – wichtig für die Immunabwehr. Kurz: Der Speiseplan sollte
gesund und abwechslungsreich sein!
SPRECHERIN
Unser Körper hat aber noch mehr Verteidigungs-Strategien zu bieten: Kern des
Immunsystems ist eine aktive Abwehr aus Immunzellen – zum Teil angeboren, zum
Teil erworben.
SPRECHER
Von Geburt an ist der Mensch mit einer sogenannten unspezifischen Abwehr
ausgestattet – einem Basisschutz gegen alltägliche Erreger, der vor allem schnell
verfügbar ist.
COLLAGE
Alarm-Geräusche/Sirenen
Megaphon-Stimme: „Achtung, Achtung! Fremder Eindringling registriert! Alle Systeme
auf Auto-Reaktion!“
SPRECHERIN
Sofort werden die ersten Schritte der Immunantwort eingeleitet: Das angeborene
System kann bereits unterscheiden, ob es sich bei den Erregern um Viren, Bakterien,
Pilze oder Parasiten handelt. Zu den ersten Notfallhelfern an Ort und Stelle gehören
die Granulozyten – das sind weiße Blutkörperchen, die die Blutbahn verlassen können
und eine Entzündung an der Stelle auslösen, wo Gewebe geschädigt ist.
SPRECHER
Damit die Infektion so schnell wie möglich unter Kontrolle gebracht wird, markieren
Proteine die Erreger, sodass andere Immunzellen diese schneller finden. Dadurch
werden andere Proteine herangeführt, die die Erreger zerstören.
3
Neben diesem sogenannten Komplementsystem aus Proteinplasma gehören auch
körpereigene Abwehrzellen zur ersten Immunantwort des Körpers. Der Immunologe
Ralph Mocikat:
O-Ton Ralph Mocikat
„Z. B. die Fresszellen des Immunsystems. Das sind Zellen, die können fremde
Strukturen, also z. B. Bakterien, erkennen aufgrund verschiedener
Oberflächenstrukturen, die diese Bakterien tragen. Und das ist das Signal für sie, die
dann zu verspeisen und unschädlich zu machen.“
SPRECHER
Neben den Fresszellen sorgen auch die Natürlichen Killerzellen, kurz NK-Zellen, für die
Vernichtung feindlicher Eindringlinge. Um zu erkennen, ob eine Zelle Freund oder
Feind ist, verwenden auch die NK-Zellen eine Art „erkennungsdienstliche“ Methode.
Wie bei einer Ausweiskontrolle prüfen sie die Zellen auf eine bestimmte
Oberflächenstruktur, das MHC-Molekül. Fehlt dieses, weiß die Killerzelle, dass es sich
um körperfremdes Material handelt und schlägt zu. Das funktioniert auch, wenn Viren
körpereigene Zellen befallen haben und als Wirt nutzen.
ZITATORIN
"Und das können Sie tun!" –Tipps für ein gesundes Immunsystem, Teil 2: Bewegung.
Wer sich trainiert, trainiert auch seine Killerzellen. Menschen, die sich regelmäßig
bewegen, haben wesentlich aktivere NK-Zellen. Schon nach einer halben Stunde
mäßiger sportlicher Betätigung ist die Zahl der NK-Zellen im Blut angestiegen – die
Immunabwehr wird also für den Ernstfall vorbereitet und ist entsprechend schneller
einsatzbereit. Also: Auf die Plätze – fertig – Los!
SPRECHERIN
Der angeborene Teil des menschlichen Immunsystems besteht zum einen aus
löslichen Proteinen, die die Erreger markieren und zerlegen – und zum anderen aus
verschiedenen Zellen, die direkt im Körper vorhanden und einsatzbereit sind, wie z. B.
Entzündungszellen, Fresszellen oder NK-Zellen. Die schnelle Notfallhilfe ist ein
Aufgabenbereich der angeborenen, unspezifischen Immunabwehr. Ein anderer ist die
Schulung der Zellen, die zum erworbenen Teil des Immunsystems – auch adaptives
Immunsystem genannt – gehören.
O-Ton Ralph Mocikat
„Diese Fresszellen fressen die Eindringlinge nicht nur auf, sondern sie zerlegen sie
dann in ihrem Zellinneren und bringen dann Bruchstücke von diesen Erregern wieder
an ihre Oberfläche, und dadurch werden dann die Immunzellen erzogen, die dann
ganz spezifisch diese Bruchstücke erkennen können.“
COLLAGE
Bakterium – Virus – Parasit – Pilz – bekannt – unbekannt – T-Zellen – B-Zellen –
Helferzellen – Killerzellen
SPRECHERIN
Sämtliche Zellen sowohl des angeborenen als auch des erworbenen Immunsystems
gehören zu den weißen Blutkörperchen, den Leukozyten. Um miteinander zu
kommunizieren, nutzen sie das Lymphsystem, das sich parallel zum Blutkreislauf im
ganzen Körper verzweigt und mit diesem verbunden ist. Die Lymphgefäße verlaufen in
Bahnen und treffen sich in Schnittstellen, den Lymphknoten. Auch Organe wie Milz
oder Mandeln gehören zum Lymphsystem.
Verschiedene Zellen schütten Botenstoffe aus, um Immunzellen an die entsprechende
Stelle zu locken – dahin, wo der Erreger eingedrungen ist.
4
SPRECHER
Die Abwehrzellen tauschen untereinander Informationen aus. Dabei spielen bestimmte
Merkmale auf der Oberfläche des Erregers eine große Rolle: die Antigene. Die
Fresszellen präsentieren den sogenannten T-Zellen das Antigen. Nach dem SchlüsselSchloss-Prinzip prüfen die T-Zellen, ob ihr Rezeptor, den sie an der Oberfläche tragen
– quasi das Schloss –, zu genau diesem Antigen – dem Schlüssel – passt. Ist das der
Fall, beginnt diese T-Zelle sich zu teilen.
O-Ton Ralph Mocikat
„Es entsteht ein Klon von T-Zellen, die alle dieselbe Spezifität tragen, die alle die
Eigenschaft haben, ein bestimmtes Antigen ganz spezifisch zu erkennen. Und wenn
dann eine solche T-Zelle aktiviert ist und dann auf eine Zelle trifft, z. B. auf eine
virusinfizierte Zelle, die diese Virus-Moleküle auch an ihrer Oberfläche hat, dann wird
das Signal gegeben für den Tötungsmechanismus, dann wird sie diese Zelle töten.“
SPRECHER
Man spricht hier von den T-Killerzellen. Unterstützt werden diese Immunzellen von
den T-Helferzellen, die sich ebenfalls nach dem Ziel-Antigen ausrichten. Das T steht
übrigens für Thymus, ein Organ des Lymphsystems, das sich hinter dem Brustbein
befindet und in dem die T-Lymphozyten reifen.
COLLAGE
Angriff – Verteidigung – Waffe – Antikörper – Antigen – gut – böse
SPRECHERIN
Ebenfalls Lymphozyten und Teil der intelligenten – weil spezifisch auf einen Erreger
ausgerichteten – Immunabwehr sind die B-Zellen. Sie produzieren Antikörper, die
ganz spezifisch zu einem Antigen passen. Eine beachtenswerte Leistung, findet der
Immunologe Ralph Mocikat:
O-Ton Ralph Mocikat
„Man muss davon ausgehen, dass für jedes Antigen, das denkbar ist, eine spezifische
Antikörper-Antwort bereitgestellt werden muss. Und das ist natürlich eine Unmenge
von verschiedenen Antigenen – und deswegen eine Unmenge von Spezifitäten, die die
B-Zellen bereitstellen müssen. Das bewegt sich in der Größenordnung 10 hoch 8 bis
10 hoch 10.“
SPRECHERIN
Also hundert Millionen bis über eine Milliarde verschiedene mögliche Ausformungen
von B-Zellen! Genau wie die T-Zellen, suchen die B-Zellen nach dem passenden
Rezeptor zu einem Antigen. Dann können mit der Teilung die Antikörper vermehrt und
sogar ins Blut ausgeschüttet werden. Dort bewegen sie sich dann frei und können die
Moleküle, auf die sie spezifisch passen, auffinden und markieren oder außer Kraft
setzen.
ZITATORIN
"Und das können Sie tun!" –Tipps für ein gesundes Immunsystem, Teil 3: Sauna.
Ein- bis zweimal in der Woche kräftig schwitzen – und vor allem danach eiskalt
abduschen; wer seinen Körper diesen Strapazen aussetzt, tut ihm Gutes. Durch die
Temperaturschwankung weiten sich die Blutzellen – und ziehen sich wieder
zusammen. So kommen Immunzellen in Bewegung und reichern beispielsweise
Schleimhäute an, also Körperregionen, an denen Erreger zuerst angreifen. Also: ab in
den Schwitzkasten!
SPRECHER
Für das Antigen entstehen langlebige Gedächtniszellen. Sollte derselbe Erreger erneut
eindringen, kann die spezifische Immunantwort schneller und stärker einsetzen. Klar:
5
Der Gegner ist nun bekannt, die passenden Waffen gegen ihn liegen bereit – beste
Voraussetzungen für eine schnelle und effektive Gegen-Attacke.
SPRECHERIN
Wer zum Beispiel einmal die Windpocken hatte, ist anschließend immun gegen das
Virus, das diese Krankheit auslöst: das Varizella-Zoster-Virus. Das wissen auch viele
Eltern: Da die meisten Erwachsenen selbst in ihrer Kindheit Windpocken hatten,
können sie sich nicht noch einmal anstecken, wenn ihre Kinder infiziert sind.
COLLAGE
Spritze – Impfstoff – Autsch! – Tröpfcheninfektion – Impfpass – Freund – Feind –
Geräusch: Niesen – Heuschnupfen – Geräusch: Naseputzen
SPRECHERIN
Die wichtigste Fähigkeit des menschlichen Immunsystems besteht darin, dass es
zwischen körpereigenen und körperfremden Eiweißmolekülen und Zellen
unterscheiden kann. Besonders bei den T- und B-Zellen, die so vielseitig und flexibel
reagieren können, muss gewährleistet sein, dass sie nicht das eigene Gewebe
angreifen. Deshalb gibt es schon beim Reifen der T-Zellen im Thymus-Organ eine
strenge Auslese.
SPRECHERIN
Dennoch kommt es in so einem komplexen System auch zu Fehlern: Wenn der Körper
auf seine eigenen Bestandteile abwehrend reagiert, spricht man von einer
Autoimmunerkrankung. Einige dieser Krankheiten haben bekannte Namen:
Rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose, Diabetes Typ-1. Allen gemeinsam ist, dass
Immunzellen gegen körpereigene Stoffe vorgehen. Beim Diabetes Typ-1
beispielsweise zerstören sie die körpereigenen Betazellen der Bauchspeicheldrüse, die
das lebenswichtige Hormon Insulin herstellen.
SPRECHER
Wie und warum es zu Autoimmunerkrankungen kommt, können Forscher noch nicht
erklären. Vermutlich spielt aber die genetische Vorbelastung eine Rolle. Bei der
Therapie solcher Krankheiten geht es darum, die Immunantwort möglichst zu
unterdrücken. Mit dieser Herausforderung werden Ärzte auch nach einer
Organtransplantation konfrontiert. Der Immunologe Ralph Mocikat:
O-Ton Ralph Mocikat
„Die Patienten werden ja dauerhaft mit immunsuppressiven Medikamenten behandelt,
damit das fremde Organ nicht abgestoßen wird. Und die Patienten haben natürlich
dann Probleme mit der Abwehr von Infektionen z. B.“
SPRECHERIN
Auch bei Allergien aktiviert der Körper fälschlicherweise eine Immunantwort. Proteine
werden als Antigene erkannt, obwohl sie keine sind. Gemäß dem natürlichen Ablauf
einer Immunreaktion werden spezifische T- und B-Zellen sowie Antikörper gebildet.
Von nun an wird der Körper jedes Mal, wenn er mit dem entsprechenden Stoff in
Berührung kommt, allergisch darauf reagieren.
ZITATORIN
"Und das können Sie tun!" –Tipps für ein gesundes Immunsystem, Teil 4:
Entspannung.
Ja, auch die seelische Verfassung wirkt sich auf die Abwehrkräfte des Körpers aus. Bei
Dauerstress werden Hormone ausgeschüttet, die das Immunsystem beeinträchtigen.
Viele Studien haben erwiesen, dass gestresste oder depressive Menschen anfälliger für
Erkältungskrankheiten sind als entspannte oder glückliche. Deshalb: Achten Sie auch
auf Ruhe und positive Erlebnisse!
6
SPRECHERIN
Ralph Mocikat und seine Kollegen erforschen die Mechanismen des Immunsystems vor
allem im Hinblick auf maligne, also bösartige Tumoren.
COLLAGE
Tumor – Gewebe – gutartig – bösartig – Leukämie – Lymphdrüsen
SPRECHER
Tumoren sind schnell wachsendes, aber eben schädliches Zellgewebe, das von der
„Körperpolizei“, den Immunzellen, nicht unbedingt erkannt wird.
O-Ton Ralph Mocikat
„Das ist insofern was anderes, als ein Erreger etwas Körperfremdes ist, der kommt
von außen und kann deswegen vom Immunsystem schnell erkannt werden, während
eine Tumorzelle körpereigen ist und deswegen vom Immunsystem ignoriert wird. Auf
der anderen Seite, bei Tumorerkrankungen ist es durchaus möglich, dass
Immunantworten zustande kommen; man findet durchaus im Patienten dann auch TLymphozyten, die Tumorzellen erkennen können, aber die werden immer wieder
stillgelegt. Das ist das Thema, mit dem wir uns hier im Institut beschäftigen. Nämlich,
ob und wie eine Immunantwort zustande kommen kann gegen maligne Tumoren.
Warum Tumoren es immer wieder schaffen, sich einer Immunantwort, wenn sie denn
in Gang kommt, zu entziehen, und wie man therapeutisch diese Mechanismen nutzen
kann, um hier dem Patienten zu helfen.“
SPRECHERIN
Ziel der Forscher am Münchner Helmholtz-Zentrum für Immunologie ist es, das
Immunsystem dabei zu unterstützen, eine wirksame Immunantwort auf bösartige
Tumoren im Blut oder im Lymphsystem zu entwickeln. Ein Ansatz betrifft die
sogenannten dendritischen Zellen. Sie gehören zu den Immunzellen des angeborenen
Immunsystems, die am schnellsten bei der Schadstelle eintreffen.
O-Ton Ralph Mocikat
„Da gibt es jetzt z. B. Ansätze, dass man Patienten behandelt mit solchen
dendritischen Zellen, die im Labor hergestellt werden und die mit Antigenen, die von
dem jeweiligen Tumor exprimiert werden, beladen werden. Und wenn man diese
dendritischen Zellen dann in den Patienten transferiert, dann hofft man, dass dadurch
T-Zellen gegen diese Antigene stimuliert werden.“
SPRECHERIN
Um zu prüfen, wie Immunzellen – und welche von ihnen – etwas gegen einen Tumor
ausrichten können, züchten die Wissenschaftler im Helmholtz-Zentrum Tumorzellen in
einer Nährlösung. Ralph Mocikat holt einen Glasbehälter in Form einer flachen Flasche
aus dem Brutschrank, wo er bei 37° C, also Körpertemperatur, lagert, und legt ihn
unters Mikroskop.
O-Ton Ralph Mocikat
„Das sind jetzt Tumorzellen, ja, die wachsen unendlich. Ja, was machen wir mit den
Zellen? Die brauchen wir, um z. B. zu untersuchen, ob Antikörper in der Lage sind, die
Zellen zu zerstören. Wir nehmen die Zellen aus der Flasche raus, bringen sie dann
zusammen mit Antikörpern. Unter sterilen Bedingungen wird der Antikörper
dazugetropft, wir können noch andere Zellen, dendritische Zellen, dazugeben, die wir
auch im Labor herstellen können. Und dann wird nachgeschaut, unter welchen
Bedingungen kann der Antikörper die Zellen töten. Z. B, wir geben T-Zellen dazu und
schauen dann nach, unter welcher Kombination funktioniert das am besten? Oder wir
machen‘s nicht mit Antikörpern, wir können nachschauen, ob T-Lymphozyten, die wir
ebenfalls hier im Brutschrank spezifisch gegen Antigene stimulieren können, dann in
der Lage sind, die Tumorzellen tot zu machen.“
7
SPRECHER
Neben der Therapie mit Immunzellen arbeiten Ralph Mocikat und seine
Forschergruppe an einem weiteren Ansatz, um den Körper bei der Tumorbekämpfung
zu unterstützen: Stichwort Antikörper.
O-Ton Ralph Mocikat
„Wir arbeiten da zusammen mit einer Firma, die sogenannte bi-spezifische Antikörper
herstellt. Das sind übrigens die ersten Antikörper, bi-spezifischen Antikörper, die die
klinische Zulassung bekommen haben, die also in der Klinik schon angewandt werden.
Diese Antikörper zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwei Bindungsarme haben. Mit
dem einen Bindungsarm erkennen sie ne Tumorzelle, und mit dem anderen
Bindungsarm erkennen sie einen T-Lymphozyten. Und dadurch soll dann der TLymphozyt spezifisch an die Tumorzelle herangeführt werden und dazu gebracht
werden, die Tumorzelle dann zu zerstören.
Und der Vorteil von diesen Antikörpern, über die wir hier arbeiten, ist dann der, dass
dadurch auch noch ein immunologisches Gedächtnis erzeugt wird. Denn der Antikörper
hat ne weitere Eigenschaft: Er führt Fresszellen heran, die dann die TumorBruchstücke auffressen, und dann wiederum dem Immunsystem präsentieren. Und
damit entsteht eine erworbene Immunantwort, die von T-Lymphozyten vermittelt
wird.“
SPRECHERIN
Das Ergebnis solcher Forschungsarbeiten könnten einmal Impfstoffe gegen Leukämie
oder Lymphdrüsenkrebs sein. Allerdings gibt es bis dahin noch einige Rätsel zu lösen –
sowohl in der Tumorforschung als auch in der Immunologie. Ralph Mocikat weiß, dass
er immer nur kleinste Schritte vorankommt.
O-Ton Ralph Mocikat
„In Tiermodellen funktioniert das alles relativ gut. Im Menschen ist die Sache natürlich
ein wenig schwieriger, weil das System komplizierter ist, weil der Patient
möglicherweise schon sehr lange mit den Tumorzellen herumläuft, ehe er eine
Therapie beginnt – und in dieser Zeit kann der Tumor sich mit dem Immunsystem
arrangieren. Man spricht davon, dass bei Tumorerkrankungen eine Immunsuppression
vorliegt – die Antwort wird abgeschaltet.“
SPRECHERIN
Dennoch gibt es Hoffnung. Schließlich konnte bereits ein Impfstoff gegen das
Humane-Pappiloma-Virus entwickelt werden, der auch einer Erkrankung an
Gebärmutterhalskrebs vorbeugt.
SPRECHER
Das Immunsystem schützt uns vor Krankheitserregern und weiß sich auch auf immer
neue Herausforderungen flexibel einzustellen. Und gerade da, wo es übers Ziel
hinausschießt und Probleme bereitet, eröffnen sich für die Forscher Möglichkeiten,
dieses System besser zu verstehen und irgendwann gegen viele Krankheiten
einzusetzen, gegen die wir zur Zeit vielleicht noch machtlos sind.
ENDE
Herunterladen