tite lth e m a e s say Begabte Sonderlinge In manchen Berufen sind milde Formen von Autismus durchaus von Vorteil, glaubt der kanadische Neurowissenschaftler Laurent Mottron. In seinem Forschungsteam arbeiten gleich mehrere vom Asperger-Syndrom Betroffene. Von L au r e nt Mottro n Au f ei n en B lic k Defizit oder Begabung? 1 Autismus ist eine erblich bedingte Hirnentwicklungs­ störung, die in vielen Er­scheinungsformen auftritt. 2 Weniger stark Be­ troffene zeigen mitunter hohe Intelli­ genz, wenn sie nicht­ sprachliche IQ-Tests absolvieren. 3 Im passenden Um­ feld können solche »hochfunktionalen Autisten« auch beruflich erfolgreich sein – etwa in der Forschung. Lesen Si e au c h : Von Beginn an anders Autismusforscher Fritz Poustka im Gespräch (S. 32) 36 »A utismus ist eine verhee- betreut werden müssen. Die meisten gehen kei- rende Störung«, so oder ner geregelten Arbeit nach, manche können so- ähnlich beginnen die gar überhaupt nicht sprechen. Die Betroffenen meis­ten Forschungsan- kämpfen damit, in einer Welt zurechtzukom- träge und Medienberichte men, die nicht ihren Prioritäten und Interessen zum Thema. Meine Autisten sind anders. »Mei- entspricht. ne« Autisten, das sind vier Forschungsassistenten, Doch in der richtigen Umgebung kommen drei Studenten und ein Postdoc, die in unserem Autisten mit einer milderen Ausprägung des Labor die neuronalen Ursache des Autismus Syndroms (siehe »Kurz erklärt«, S. 39) erstaun- ­ergründen. Diese acht Betroffenen in meinem lich gut zurecht. Beispielsweise in der Forschung. Team haben nicht die Aufgabe, persönliche Ein- Während der letzten Jahre habe ich mit der Autis­ drücke zum Besten zu geben oder stu­pide irgend- tin Michelle Dawson eng zusammengearbeitet. welche Daten in eine Software ein­zugeben. Mit Von ihrer Intelligenz und ihrer Hartnäckigkeit ihren intellektuellen und charak­terlichen Eigen- profitiert unser Team enorm. arten bereichern sie unsere Arbeit – und zwar nicht trotz, sondern wegen ihres Autismus. Beeindruckender Lerneifer Jeder kennt die spektakulären Berichte über Ich traf Michelle zum ersten Mal bei einem ge- Inselbegabte. So genannte Savants können sich meinsamen Fernsehinterview. Als ihr Arbeitge- etwa bei einem Rundflug im Helikopter ganze ber von ihrer Diagnose erfuhr, bekam sie Pro- Landschaften detailgenau einprägen oder Bü- bleme auf dem Postamt, in dem sie damals be- cher auswendig lernen. Keiner meiner Mitar­ schäftigt war. Daraufhin las sie sich alles greifbare beiter ist ein Savant. Es sind »ganz gewöhnliche« Wissen über die rechtliche Situation von Ange- Autisten, die dennoch so manchen Nichtautisten stellten mit Behinderungen an. Beeindruckt von bei einer Reihe von Aufgaben überlegen sind. ihrem Lerneifer lud ich sie ein, in meinem Labor Als Arzt weiß ich nur zu gut, dass Autismus zu assistieren. Bei der Durchsicht von Manus­ häufig eine schwere Behinderung darstellt. Diese kripten machte sie wertvolle Anmerkungen, die erblich bedingte Hirnentwicklungsstörung er- mir zeigten, dass sie sämtliche Literaturangaben schwert viele Alltagsaktivitäten oder macht sie durchgearbeitet hatte. Je mehr sie las, desto sogar völlig unmöglich. Acht von zehn Men- mehr lernte sie über das Thema. Vor nunmehr elf schen mit dieser Diagnose sind in ihrer Kommu- Jahren bot ich ihr eine Forschungsstelle an. Seit- nikation und im sozialen Umgang so einge- dem haben wir zusammen mehr als ein Dutzend schränkt (siehe »Rätselhafter Boom der Diagno- Fachartikel und Buchkapitel verfasst. sen«, S. 39), dass sie auch als Erwachsene noch Michelle regt uns dazu an, traditionelle An- von ihren Eltern abhängig sind oder von anderen sichten und Denkansätze zum Autismus zu hinGuG 3_2013 VII Photo / Jessica Dimmock terfragen – nicht zuletzt die Vorstellung, Autis- draußen. Das ist auffällig, ermöglicht es den be- mus stelle zwangsläufig ein Problem dar, das ge- treffenden Kindern aber, ohne Sprache zu kom- löst werden müsse. Autismus ist definiert durch munizieren. eine Reihe von Negativsymptomen wie Sprach- Selbst Forscher sind den Betroffenen gegen- störungen, soziale Einschränkungen oder Stereo- über oft voreingenommen. Sie interpretieren type im Verhalten. Mögliche Vorteile gehören Abweichungen in der Hirnaktivität von Autisten ­jedoch nicht zu den Diagnosekriterien. Die meis­ meist als Defizit oder legen ein verändertes Kor- ten Hilfs- und Therapieprogramme zielen da- texvolumen kurzerhand als Nachteil aus – egal, rauf ab, autistisches Verhalten abzustellen, und ob die Großhirnrinde nun dicker oder dünner schreiben etwa Kindern einen ganz bestimmten ausfällt als erwartet. Und wenn die Testkandi­ Entwicklungsverlauf vor. Die Art und Weise, wie daten bei bestimmten Aufgaben besser ab- Autisten ticken, hat darin keinen Platz. schneiden als Kontrollprobanden, gilt dies als Bei selbstschädigendem Verhalten, wenn Kinder etwa mit dem Kopf gegen die Wand schlagen, überschießende Kompensation Mängel. Zweifellos arbeiten die Gehirne von Autisten nehmen sich Autisten aber lediglich ungewöhn- anders. Insbesondere die Zentren für verbale lich, nicht unbedingt problematisch. Typisch ist Kommunikation sind bei ihnen deutlich schwä- zum Beispiel, dass sie andere um etwas bitten, cher erregbar. Betrachten Nichtautisten bei- indem sie deren Hand bewegen. Ein Kind legt spielsweise das Bild einer Säge, aktiviert das im etwa die Hand der Mutter auf den Kühlschrank, Gehirn sowohl Regionen der visuellen als auch wenn es zu essen bekommen will, oder auf die der sprachlichen Verarbeitung. Bei Autisten feu- Türklinke, um zu signalisieren: Ich will nach ern die für das Sehen zuständigen Netzwerke je- Die Autistin Michelle Dawson forscht im Team von Laurent Mottron (links) an der Université de Montréal, Kanada. bestehender ist ein Eingreifen fraglos erforderlich. Häufig be- www.gehirn-und-geist.de Kollegin mit dem gewissen Etwas 37 tite lth e ma e s say »Ich bin davon überzeugt, dass viele Autisten unter geeigneten Umständen bereit und fähig wären, wertvolle Bei­träge für die ­Gesellschaft zu leisten« Laurent Mottron Was in den Gehirnen von Autisten anders ist W as dem Autismus neuro- unterschwelliges Imitieren und dem Frontalhirn die normale nal zu Grunde liegt, ist Verstehen fremder Absichten Reizverarbeitung behindern. immer noch ungeklärt. Forscher ermögliche – so die Theorie. Laut dem dritten Modell reagie- diskutieren drei Erklärungsmo- Spiegelneurone im menschli- ren autistische Gehirne hoch- delle. Nach dem einen handelt chen Gehirn zu untersuchen, sensibel auf Außenreize und es sich beim Autismus um eine ist allerdings schwierig. schirmen sich davon ab. Wie das Störung des Spiegelneuronen- Der zweite Ansatz besagt, systems. Diese in den 1990er dass extrem starke Verknüp- Jahren bei Affen entdeckten fungen (»Hyperkonnektivität«) Nervenzellen simulieren beob­ etwa zwischen der Emotionen achtete Handlungen, was verarbeitenden Amygdala und niert, ist bislang offen. (Markram, K., Markram, H.: The Intense World Theory. A Unifying Theory of Neurobiology of Autism. In: Frontiers in Human Neuroscience 4, 224, 2010) doch deutlich stärker als jene, die für Sprache zu- ich selbst war lange der Meinung, verbale Tests ständig sind. seien das beste Maß für Intelligenz. Doch das er- Diese Spezialisierung der Hirnfunktion kann scheint mir heute sehr fragwürdig. aber durchaus auch eine Leistungssteigerung be- Die intellektuellen Einbußen von Autisten er- deuten. Laut verschiedener Studien bewältigen scheinen häufig gravierend – doch liegt das wo- Autisten Wahrnehmungsaufgaben wie etwa das möglich auch daran, dass wir sie immer noch zu Erkennen eines Musters in einer verwirrenden oft mit ungeeigneten Maßstäben messen. Bei Umgebung mitunter besser als Durchschnitts­ einem Hörbehinderten würden wir, ohne zu zö- probanden. Auch beim Hören (etwa bei der Un- gern, jene Teile eines Intelligenztests ausschlie- terscheidung von Tonhöhen), beim Entdecken ßen, die sich nicht mittels Zeichensprache erläu- regelmäßiger Strukturen und beim geistigen tern lassen. Warum sollten wir nicht das Gleiche ­Umbau komplexer dreidimensionaler Formen für Autisten tun? übertreffen manche hochfunktionelle Autisten Autismus und Gewalt auf zellulärer Ebene funktio- Gesunde. Sie erzielen sogar höhere Werte im Ra- Faire Intelligenztests erforderlich ven-Matrizentest, einem klassischen Intelligenz- Nur etwa jeder zehnte von ihnen leidet zugleich test, bei dem die Teilnehmer fortlaufende visu- an einer neurologischen Erkrankung, die sich auf Seit dem Amoklauf eines angeblich am AspergerSyndrom erkrankten 20-Jährigen im US-ame­ rikanischen Newtown wird in der Öffentlichkeit die Gewaltbereitschaft von Autisten hitzig diskutiert. Anhaltspunkte für eine erhöhte Kriminali­ tätsneigung unter Autis­ ten gibt es jedoch nicht. Vielmehr sind sie selbst häufig Opfer von Mob­ bing und Gewalt. elle Mus­ter vervollständigen. In einem Expe­ die Intelligenz auswirkt, wie etwa das »fragile X- riment meiner Arbeitsgruppe benötigten die Syndrom«, das das Risiko einer geistigen Behin- untersuchten Autisten für diesen Test im Schnitt derung erhöht. Autismus geht also nicht zwangs- 40 Prozent weniger Zeit als andere Teilnehmer. läufig mit intellektuellen Einbußen einher. Um Mehr Informationen beim Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus: www.autismus.de 38 Vor einigen Jahren verglichen meine Kollegen die tatsächliche Behinderung zu ermessen, soll­ und ich die Leistungen von Autisten, Nicht­ ten Wissenschaftler nur solche Tests verwenden, autisten und Kindern in zwei verschiedenen die ohne verbale Erklärungen auskommen. ­Arten von Intelligenztests: nonverbale wie den Natürlich wirkt sich Autismus auch auf an­dere Raven-Matrizentest sowie Verfahren, die münd- Funktionen wie Kommunikation, Sozialverhalten liche ­Anweisungen und Antworten erfordern. und motorische Fähigkeiten aus. Das will ich kei- Nichtautisten schnitten in beiden Testvarianten neswegs abtun. Aber die meisten Arbeitgeber etwa gleich gut ab. Wer in dem einen Test 50 Pro- wissen gar nicht, über welche Fähigkeiten Autis­ zent der Teilnehmer hinter sich ließ, erreichte ten verfügen können. Ich bin davon überzeugt, auch im anderen ungefähr dieses Niveau. Au- dass viele Betroffene unter geeigneten Umstän- tisten erzielten im nonverbalen Test dagegen viel den bereit und fähig wären, wertvolle Beiträge bessere Resultate: Sie lagen bis zu 90 Prozent­ für die Gesellschaft zu leisten. Das Problem be- ränge höher als in der verbalen Variante. Auch steht freilich darin, den richtigen Job zu finden. GuG 3_2013 In der Forschung könnten viele Autisten durchaus eine sinnvolle Beschäftigung finden. alle furchtbar ähnlich – Michelle aber kann sie KU RZ E R KL Ä RT spielend auseinanderhalten. Der Begriff Autismus wurde 1911 von dem Schweizer Psychiater Eugen Bleuler (1857 – 1939) geprägt. Er be­ schrieb damit soziale Zurückgezogenheit als Kennzeichen der Schizo­ phrenie. Inzwischen gilt es als eigenständiges Krankheitsbild. Experten sprechen heute von der Autismusspektrum­ störung (ASS), denn Art und Schwere der Beein­ trächtigung können sich von Fall zu Fall stark unterscheiden. Das nach dem öster­ reichischen Arzt Hans Asperger (1906 – 1980) benannte Asperger-Syndrom ist eine milde Form von Autismus, die sich durch Schwächen im sozialen Umgang sowie stereotypes Verhalten auszeichnet, bei gleich­ zeitig meist normaler Intelligenz. Die bislang eigenständige Diagnose soll zukünftig jedoch aufgegeben werden. Hauptkriterium des hochfunktionalen Autismus ist eine durch­ schnittliche bis erhöhte Intelligenz trotz verzö­ gerten Spracherwerbs. Die autistischen Symptome sind dabei ähnlich wie beim Asperger-Syn­ drom, weshalb eine Abgrenzung schwierig ist. Treten autistische Züge erst nach dem dritten Lebensjahr oder nur eingeschränkt zu Tage, spricht man auch von atypischem Autismus. Offiziell firmieren Sonderformen des Autismus als »tief greifende Entwicklungs­ störung – nicht näher bezeichnet«. In dieser Kategorie war in den letzten Jahren der größte Anstieg der Fallzahlen zu verzeichnen (Grafik links). Sie sind oft an mathematisch beschreibbaren In- Da Fakten für Asperger-Autisten absoluten formationen, an Strukturen und Mustern inte- Vorrang haben, lassen sie sich kaum von Neben- ressiert – den Grundlagen für wissenschaftliches sächlichkeiten ablenken. Sie ziehen es vor, im Denken. Durch ihr hohes Konzentrationsvermö- Verborgenen zu arbeiten, und würden ihre Ideen gen können sie sich autodidaktisch Themen er- bedenkenlos im Internet verbreiten, statt sie in arbeiten. renommierten Journalen zu veröffentlichen. Ihr Michelle Dawson hat keinen wissenschaftli- sonderbares Verhalten bereitet vor allem im zwi- chen Abschluss und eignete sich über die Jahre schenmenschlichen Umgang Schwierigkeiten, dennoch genug Wissen an, um heute selbststän- was sie für den Verkauf oder Kundenservice nicht dig Studien durchzuführen. Autisten wie sie fal- geeignet erscheinen lässt. Idealerweise brauchen len auch oft nicht so leicht auf die Trugschlüsse autistische Menschen eine Art Vermittler, der sie der Erinnerung herein. Das kann in der Wissen- in Situationen unterstützt, die sie ängstigen: schaft äußerst hilfreich sein. Für mich sind zum etwa plötzliche Planänderungen oder Kritik. Beispiel die verschiedenen Methoden zur Unter- Der enge Kontakt mit Michelle Dawson und suchung der Gesichtserkennung bei Autismus anderen Betroffenen hat mich gelehrt, dass Au- Rätselhafter Boom der Diagnosen M ediziner und Psycholo- 0,64 Prozent der 5- bis 17-Jäh- eine Tendenz, mangelnde ­Ein- gen haben sich auf drei rigen, darunter viermal mehr fühlung oder »kauziges« Ver- wesentliche Kriterien geeinigt, Jungen als Mädchen. Umwelt- halten von Menschen zu patho- die erfüllt sein müssen, damit gifte oder auch Impfstoffe logisieren (siehe Interview eine Störung aus dem Autis- werden zwar als mögliche S. 40). Doch nicht jeder Eigen- musspektrum vorliegt: Starke, Verursacher diskutiert, verläss- brötler leidet an Autismus. Die durchgängige Einschränkungen liche Belege für diese Annahme bislang als Asperger-Syndrom in der Kommunikation und im gibt es jedoch nicht. bekannte, mildere Ausprägung sozialen Umgang, eng be- Vielmehr ist wohl die wach- wird in der neuen, fünften grenzte Vorlieben und Interes- sende Aufmerksamkeit und Aus­gabe des DSM (»Diagnos­ sen sowie stereotype Verhal- Toleranz gegenüber der Störung tical and Statistical Manual«) tensweisen. Diese Kennzeichen für die steigenden Fallzahlen im »Autismusspektrum« subsu- müssen schon von früher verantwortlich. Hinzu kommt miert (siehe auch rechts). Kindheit an vorliegen, da die In den letzten Jahren stieg die Zahl der Autismusdiagnosen in den westlichen Indus­trie­ ländern deutlich (siehe Grafik). War in den USA Anfang der 1990er Jahren noch weniger als eines von 1000 Kindern betroffen, so lag die Quote 2008 bei 1 zu 88 – Tendenz steigend. Epidemiologen bezifferten die Verbreitung in Europa 2011 mit www.gehirn-und-geist.de 12 10 8 6 4 2 0 1984 1988 1992 1996 Jahr 2000 2004 2008 Gehirn und Geist, nach: Hughes, V.: Complex Disorder. In: Nature 491, S. S2–S3, 2012 Dafürhalten erblich bedingt ist. autistische Kinder in den USA ( je 1000) Störung nach allgemeinem 39 titelth e ma e s say Stan dpu n kt »Hochfunktionaler Autismus ist eine Modediagnose« D ie Kinder- und Jugend­ allem das Kriterium der durch- falsch therapiert wird. Da psychologin Inge Kamp- gängigen, seit früher Kindheit Autismus als nicht heilbar gilt, Becker von der Universität an bestehenden Beeinträch­ werden die Anforderungen Marburg warnt davor, das tigungen wurde immer mehr möglicherweise herabgesetzt Etikett »Autismus« allzu frei- aufgeweicht. Die Diagnose und das Kind nicht optimal giebig zu verteilen. Es handle »hochfunktioneller Autismus« gefördert. sich um eine erblich bedingte ist auf dem besten Weg, eine Was raten Sie stattdessen? Hirnentwicklungsstörung. Modediagnose zu werden, wie Erstens: Natürlich gibt es Besonders auf Kinder, die nur das beim Burnout schon der autistische Störungen. Sie sind in sich gekehrt oder sonst wie Fall ist. Viele Menschen verbin- gravierend, aber zum Glück eigen erscheinen, treffe die den mit Autismus eine hohe relativ selten. Man sollte Diagnose oft nicht zu. Sie als Intelligenz, wie es in Holly- genau hinschauen, was hinter krank zu etikettieren, fördere woodfilmen oder auch im mangelnder Kommunikation eine Schonhaltung, die ihrer Internet dargestellt wird. Das oder stereotypem Verhalten weiteren Entwicklung schade. gibt der Störung ein positives steckt, und eine spezifische erfordert großes Engagement INGE KAMP-BECKER ist promovierte Psychologin und leitet die Autismus-Ambulanz an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marburg. Image, entspricht jedoch Behandlung einleiten. Zwei- von allen Seiten. Das unter- Frau Dr. Kamp-Becker, warum keineswegs der Realität. tens braucht eine Therapie Zeit scheidet Autismus vom Burn- steigen die Autismuszahlen Warum ist das bedenklich? und die aktive Mitarbeit von out: Bei Letzterem kommt der seit Jahren an? Macht es nicht erst die Dia- allen Beteiligten. Autistische Betroffene nach einer ent­ Die Zunahme betrifft in erster gnose möglich, therapeutische Störungen lassen sich zwar sprechenden Auszeit und Neu­­- Linie die Gruppe der »nicht Hilfe zu bekommen? nicht abstellen. Mit intensiven, adjustierung wieder ins Lot. näher bezeichneten« autisti- Das ist richtig, aber eine spe- verhaltenstherapeutischen Autismus hat man – wenn schen Störungen – darunter zifische Behandlung setzt eine Methoden kann man die man ihn hat – ein Leben lang. fallen solche, die nicht alle korrekte Diagnose voraus. Lebensqualität der Betroffenen Kennzeichen der Störung in Sonst kann das dazu führen, und ihrer Familien jedoch Die Fragen stellte GuG-­ vollem Umfang erfüllen. Vor dass der Betreffende ganz deutlich verbessern. Dies Redaktionsleiter Steve Ayan. Quellen Dawson, M. et al.: The Level and Nature of Autistic Intelligence. In: Psychological Science 18, S. 657 – 662, 2007 Perreault, A. et al.: Increased Sensitivity to Mirror Symmetry in Autism. In: PLoS One 6, e19519, 2011 Weitere Literaturhinweise im Internet: www.gehirnund-geist.de/artikel/1180950 40 tisten in vielen Fällen eher ein geeignetes Um- len. Solche Programme müssten zunächst nach feld brauchen als eine Therapie. Sollten wir Au- denselben Standards getestet werden wie andere tismus weniger als Krankheit betrachten, son- Therapien! dern mehr als Variante menschlichen Verhalten? Wir sollten zudem nicht nur die mit Autismus Ich denke, ja. Er lässt sich nicht einfach auf einen verbundenen Defizite erforschen, sondern auch »Fehler der Natur« reduzieren, der korrigiert mögliche Stärken in den Blick nehmen. Was letzt- werden muss. lich für fast alle psychischen Störungen gilt, lässt Um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen, müssen Forscher zahlreiche Untersuchungen durchführen, unter anderem rando­ misierte, kontrollierte Wirksamkeitsstudien. Für Verhaltenstrainings bei Autisten ist das trotz der sich besonders vom Autismus sagen: In jeder ­Andersartigkeit liegt auch eine Chance. Ÿ © Nature Publishing Group www.nature.com Nature 479, S. 33 – 35, 2. November 2011 hohen Kos­ten (pro Jahr und Person bis zu 50 000 Euro) nicht der Fall. Umso bedenklicher ist es, wenn Länder wie Frankreich sogar Zwangsmaßnahmen verordnen, durch die Autisten ein »normales« Lern- und Sozialverhalten erwerben sol- Laurent Mottron ist Professor für Psychiatrie und kognitive Neurowissenschaften an der Université de Montréal (Kanada). Außerdem leitet er das AutismusForschungsprogramm am dortigen Hôpital Rivièredes-Prairies. GuG 3_2013 ALLES ÜBER IHRE GR AUEN ZELLEN. AUF IHREM BILDSCHIRM . MIT DEM GEHIRN UND GEIST- NG NG CHU U FO RS RS C H H I R N H I R N FO Kopf m e d aus NG I N TI TI N G IN I N PA B RA RA I N PA B VO N MIR IA M B ER G ABO ER Autis mus GEHI RN UN D GE IST 3/ 20 13 st Kun DIGITAL n, fictio cience wie S lingt n K ei ? t n rin anke ersetz Auto r Ged g« üb nsere ft de intin en. U in Pa er Kra »Bra d Farb mit d n un Beim llein e a t. n tä rm li le r ma e in Fo on Rea Bilde ström te sch Hirn er heu mm ist ab rt. rogra robie uterp sp p u m a Co chnik ie Te hat d pie · rthera DES Stotte IAN MER DES / FLOR GEIST ing · IAN MER Paint · Brain hose FOTO Psyc und IRN UND / FLOR GEIST GEHIRN EITE: S DIES FOTO DOPPELS ER DOP UND PELSEITE : GEH e eist.d -und-g n · Ve rges .de örse -geist n-und gehir www. Onlin e-Par tnerb 013 GuG 3_2 ehr gibt Wan auch n die Stör ung ein T alent sein kann .D E 013 GuG 3_2 sen · ALLE Wahn ehirn www.g ND -G EI ST Mit Dr. E Kolumne von von Hckart irsch PA R hause T n (S. Hilft N E R W 13) fürs L das Inte A H L eben rnet, zu fin die Lie b den? BRA (S. 22e IN P ) Kunst A per G IN T IN G edan GED kenk Ä raft (S Wie C H T N IS . 4 6) wir a bsich tlich verge ssen (S.58 ) RN -U tion. 46 nzentra ist Ko / GE HI wird, ALLE pl Ele Stelle haut m tigen f die Kopf ogram Gel au en, das Pr ­ ge ag auftr – eher un eitun­ n er starte iche Vorb unde. st nl wöh r eine Mal in gen fü im »Bra delt be Doch g« verwan en­ rv Paintinmputer Ne ktro­ Ele Co der e per EG) (E lse, di impu alografie den, in er ph enze eichnet w m vo t aufgez Alles, was rlang . Bilder r dafür ve tion. tra tle ns en nz Kü ist Ko wird, ER S DIES s! und lo h­ e auf r ric Kapp den an de ren, ktro atzie EIN AUFE NEUE S AUT I CHT Waru Diag m es imm I SMU nose S er m n D5 75 25 Nr. 3 /2 01 3 / € 7,9 0 / 15 ,4 0 sF r. 46 Ein Jahres-Digital-Abo von Gehirn und Geist kostet € 50,– (ermäßigt € 40,–). Jahresabonnenten (Privatnutzer) können nicht nur die aktuelle Ausgabe direkt als PDF abrufen, sondern haben auch Zugriff auf das komplette Onlineheftarchiv! www.gehirn-und-geist.de/digitalabo Tel.: 06221 9126-743 Fax: 06221 9126-751 E-Mail: [email protected] Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH Slevogtstraße 3 – 5 | 69126 Heidelberg www.gehirn-und-geist.de W ISSENS CH A F T AUS ER S T ER 41 HAND