Neuraltherapie-Regulationsmedizin Grundregulation – Parainflammation – Extrazelluläre Matrix Neue Erkenntnisse über die Natur des Störfeldes und die Bedeutung der Neuraltherapie Gerasimos Papathanasiou "…wenn man einen lebenden Organismus auseinander nimmt, indem man seine verschiedene Teile isoliert, tut man das nur zur Erleichterung der experimentellen Analyse und keineswegs, um sie getrennt zu verstehen. In der Tat, will man einer physiologischen Eigenschaft ihren Wert und ihre wirkliche Bedeutung zumessen, muss man sie immer auf das Ganze beziehen und darf endgültige Schlussfolgerungen nur im Zusammenhang mit ihren Wirkungen auf das Ganze ziehen…" Claude Bernard (1865) Prinzipien der Regulation Ein lebender Organismus ist ein evolutives, selbstreproduzierendes, energetisch offenes und zweckbestimmtes System, das aus einer Vielzahl untereinander und mit der Umwelt interagierender Subsysteme besteht (1,2). Dieses System mit allen Subsystemen hat hauptsächlich zwei Ziele: Adaptation an innere und äußere Reize und Überleben. Alle adaptationsfähigen Systeme weisen drei essentielle Eigenschaften auf: 1. Reizbarkeit: Das System ist dynamisch. Es reagiert auf Reize durch Entfernung aus seinem Gleichgewichtszustand, um den Reiz zu bewältigen, und erlangt seinen Gleichgewichtszustand wieder, wenn die Reizeinwirkung sistiert. 2. Vernetzungsfähigkeit: Durch sie entstehen Reaktionsmuster und Regelkreise. 3. Plastizität: Lebende Systeme können sich bei Veränderungen in ihrer Mikro- oder Makroumgebung meistens nicht-linear mitverändern. In der Systemtheorie sind Übergänge als "State or Phase Shifts" bekannt. Ein gutes Beispiel für einen "Phase Shift" in Bezug auf die sensorische Verarbeitung ist die Entwicklung von Allodynie nach verlängerter nozizeptiver Reizung. Eine ganz wichtige Eigenschaft nicht-linearer Systeme ist die Tatsache, dass minimale Reize oft viel größere Veränderungen hervorrufen als starke Reize (vgl. ZweitschlagphänoGanzheitsmedizin Heft 3, Jahrgang 24, September 2011 men in der Neuraltherapie) (3). Adaptationsfähige Systeme weisen die Fähigkeit zu Emergenz auf. Es handelt sich dabei um die spontane Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen auf der Makroebene eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht auf Merkmale zurückführen, die seine Teile isoliert aufweisen. Das Ganze ist stets mehr als die Summe seiner Einzelteile. Andere wichtige Kennzeichen solcher Systeme sind die Selbstorganisation und die Selbstregulation. Als Selbstorganisation wird in der Systemtheorie hauptsächlich eine Form der Systementwicklung bezeichnet, in der die formgebenden, gestaltenden und beschränkenden Einflüsse von den Elementen des sich organisierenden Systems selbst ausgehen (4). Selbstorganisation in biologischen Systemen ist ein Prozess, bei dem das Aktivitätsmuster eines Systems aus den Interaktionen seiner einzelnen Komponenten resultiert. Die Gesetze, die diese Interaktionen bestimmen, entstehen nur durch Austausch von lokaler Information ohne Bezug auf das gesamte Aktivitätsmuster (5). Ein bekanntes Beispiel aus der Biologie ist das sogenannte Schwarmverhalten von Vögeln oder Fischen. Andere Beispiele sind die Proteinfaltung (jener Prozess, durch den Proteine ihre dreidimensionale Struktur erhalten) oder die Formierung einer Doppellipidschicht zu einer biologischen Membran. 5 Neuraltherapie-Regulationsmedizin Wie schon erwähnt ist der lebende Organismus ein offenes System, das Energie, Information und Materie mit der Umgebung austauscht. Dabei muss er sich an Änderungen des äußeren und inneren Milieus adaptieren können, um zu überleben. Daher muss jeder Lebensvorgang als Regulationsleistung betrachtet werden (6). Jeder Organismus besitzt eine angeborene Fähigkeit zur Selbstregulation. Es ist nicht einfach, diesen Begriff zu definieren. Man könnte ihn als Summe aller Vorgänge bezeichnen, die eine optimale Anpassung an die wechselnden inneren und äußeren Bedingungen gewährleisten. Eine weitere Vertiefung auf das Thema Regulation besonders auf kybernetischer Ebene würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Es sollte aber an dieser Stelle festgehalten werden, dass das Regelkreismodell immer noch zur grundsätzlichen Beschreibung der Regulationsmechanismen dient. Sehr wichtig ist dabei, dass das Grundregulationssystem (die Matrix) diejenige biologische Größe darstellt, die aus offenen Reflexbögen geschlossene Regelkreise macht (7). Das Grundregulationssystem ist die funktionelle Einheit von Endstrombahn, Grundsubstanz (extrazelluläre Matrix, ECM), vegetativem Nervensystem, endokrinem System und Immunsystem (8). Es umgibt die ausdifferenzierten Zellen aller Organe und Gewebe. Schon aus dieser Definition ist die Hervorhebung der drei wichtigsten Systeme für die Regulation sichtbar: das (vegetative) Nervensystem, das endokrine System und das Immunsystem. Die Vernetzungsfähigkeit dieser Systeme ist von grundlegender Bedeutung für die Regulation. Vernetzung des Nervensystems und des Immunsystems Alle lymphatischen Organe und das Knochenmark werden vom vegetativen Nervensystem in- Abb.1: Das Gehirn hat drei wichtige afferente Hauptwege, um mit dem Immunsystem in der Peripherie zu kommunizieren: A zeigt den Weg über das autonome Nervensystem. Alle lymphatischen Organe einschließlich des Knochenmarks besitzen eine autonome Innervation (49,50,51). Fast alle lymphatischen Zellen tragen auf ihrer Zellmembran adrenerge Rezeptoren (49,52,53). B entspricht der bekannten Achse Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde. Cortisol unterdrückt sowohl die zelluläre als auch die humorale Immunantwort (54). Noradrenalin (NE) und Adrenalin (Epi) aus dem Nebennierenmark wirken auch auf die Immunzellen. C beschreibt die Kommunikation der Peripherie mit dem ZNS über die Freisetzung der proinflammatorischen Zytokine, die die Bluthinschranke an bestimmten Stellen passieren können. Modifiziert nach (32) 6 Ganzheitsmedizin Heft 3, Jahrgang 24, September 2011 Neuraltherapie-Regulationsmedizin nerviert (9,10,11,12,13). Demzufolge haben alle Ereignisse (Stressoren), die das autonome Nervensystem aktivieren, gleichzeitig einen Effekt auf das Immunsystem. Wenn das sympathische Nervensystem aktiviert wird, setzen die terminalen sympathischen Axone Noradrenalin, Neuropeptid Y (NPY) und Dopamin frei, wobei NPY und Dopamin neuromodulatorische Funktionen haben (9). Lymphozyten, Makrophagen und andere Immunzellen des Grundregulationssystems besitzen entsprechende Rezeptoren und reagieren auf die freigesetzten Substanzen (9,11,13). Das ZNS hat zwei wichtige efferente Hauptwege, um mit dem Immunsystem in der Peripherie zu kommunizieren [A und B in Abb.1]: Einerseits das autonome Nervensystem (sympathische und parasympathische efferente Fasern), andererseits die Achse Hypothalamus – Hypophyse – Nebennierenrinde. Es gibt aber auch Afferenzen, die das ZNS über die immunologische Situation in der Peripherie informieren. Die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine durch periphere Immunzellen (Matrix) liefert das kritische Signal für die Kommunikation mit dem ZNS (14,15,16). [C in Abb.1]. Vernetzung des Nervensystems mit dem endokrinen System Über das vegetative Nervensystem und über die Regulation glandotroper Hormone der Hypophyse mittels hypothalamischer Mediatoren (Liberine und Statine) steuert der Hypothalamus periphere Hormone und gewährleistet damit, dass die hormonregulierten Funktionen peripherer Organe dem jeweiligen Bedarf angepasst werden (17). Beide Systeme wirken vor allem bei der Bewältigung von Stress-Signalen eng zusammen. Drei Mechanismen sind dabei von Bedeutung: a) die Ausschüttung von Noradrenalin und Adrenalin als systemische Hormone durch das Nebennierenmark (in der englischen Literatur auch bekannt als sympathetic adrenomedullary axis), b) die Aktivierung der Hypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-Achse mit der Ausschüttung von Mineralokortikoiden und Glukocortikoiden c) die Aktivierung der sympathischen Komponente des VNS (18). Ganzheitsmedizin Heft 3, Jahrgang 24, September 2011 Vernetzung des Immunsystems mit dem endokrinen System Das Immunsystem befindet sich ubiquitär im Organismus und an seiner Aktivität sind zahlreiche verschiedene Organe und Zellen beteiligt. Das endokrine System benutzt als Transportweg die systemische Zirkulation, um seine Wirkungen in vollem Umfang zu entfalten. Daher existieren zwischen beiden Systemen viele Schnittstellen. Diese Verhältnisse sind am Beispiel der Stressreaktion am besten zu beschreiben: Stress-induzierte Freisetzung von Adrenalin und Noradrenalin hat eine Aktivierung der ß-2 Adrenorezeptoren auf der Oberfläche von mononukleären Phagozyten (19,20) und dendritischen Zellen(21) zur Folge. Dabei spielt CorticotropinReleasing-Hormon (CRH) eine wichtige Rolle in der Vernetzung des Immunsystems und des Hormonsystems. CRH ist ein Peptidhormon, das im Nucleus paraventricularis im Hypothalamus gebildet wird. Es bewirkt einerseits die Aktivierung der Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrindenachse durch die Sekretion von ACTH, und andererseits die Aktivierung zentraler noradrenerger Strukturen wie z.B. den Locus Coeruleus (18,22). Auch die peripher gebildete CRH (23) hat eine wichtige immunmodulatorische Wirkung. Die Wirkung von Endocannabinoiden auf das Immunsystem stellt eine weitere Vernetzungsmöglichkeit zwischen dem Immunsystem und dem Endokrinsystem dar (24,25). Das Zytokinnetzwerk bildet eine eigene wichtige Möglichkeit der Kommunikation zwischen den beiden Systemen. Zytokine sind kleine Proteine, die von verschiedenen Zellen freigesetzt werden und entweder autokrin durch Bindung an geeignete Rezeptoren auf dieselbe Zelle oder parakrin auf Nachbarzellen wirken. Einige haben auch Fernwirkungen (26). Rezeptoren für Zytokine finden sich auf allen Ebenen der Hypothalamus-HypophysenNebennierenrindenachse (27). IL-6, eines der wichtigsten entzündungsfördernden Zytokine, das von verschiedenen Zellen des Immunsystems als auch von Fibroblasten und Epithelzellen gebildet wird, kann den Hypothalamus über die systemische Zirkulation erreichen (28). IL-1, ein anderes wichtiges proinflammatorisches Zytokin, das die Rekrutierung 7 Neuraltherapie-Regulationsmedizin neutrophiler Granulozyten einleitet, kann den Locus Coeruleus und damit das noradrenerge System für die Stressreaktion aktivieren (29). Negative Rückkoppelungsprozesse begrenzen die überschießende proinflammatorische Zytokinaktivität. Bei einem Anstieg der proinflammatorischen Zytokine in der Peripherie aktiviert sich die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse mit darauffolgender Produktion von Glukocortikoiden. Dieser induzierte Anstieg der Glukocortikoide wirkt über die Beeinflussung der Produktion von Zytokinen auf immunologische Zellen, was die Existenz eines durch Zytokine vermittelten immunregulatorischen Regelkreises mit der HHN-Achse nahelegt (30). Vernetzung durch eine gemeinsame biochemische Sprache Es gibt beachtliche Evidenz dafür, dass ein System von gemeinsamen Liganden und Rezeptoren eine Intra- und Interkommunikation zwischen dem Nerven-, Hormon- und Immunsystem bildet (31,32,33,34). Dadurch entwickelt sich eine gemeinsame Sprache zwischen diesen drei Hauptsäulen der Regulation, die die Bewältigung aller anfallenden Stressoren auf verschiedenen Ebenen ermöglicht. Die wichtigsten Elemente dieser Sprache sind Peptide, Hormone, Neurotransmitter, Endocannabinoide und Zytokine. Dabei ist zu beachten, dass viele dieser Substanzen eine Pleiotropie aufweisen: ihre Wirkungen können sowohl inhibitorisch als auch exzitatorisch sein. Welchen Effekt sie aktuell verursachen, entscheidet sich durch die Eigenschaften und Zustände der Mikroumgebung des Geschehens und im Zusammenhang mit der Wirkung aller anderer Faktoren (cross talking). Einen Einblick in die Komplexität dieser Zusammenhänge bietet die Abb. 2. Hier wird an erster Stelle die Vernetzungsfähigkeit der drei wichtigsten Systeme für die Regulation dargestellt. Die gemeinsame Sprache zwischen dem Nerven-, Hormonund Immunsystem wird im Zentrum der Abbildung gezeigt. Die lokale Zirkulation, die Diffusion und die Zellmigration sind wichtige Wege der lokalen Informationsübertragung. Die systemische Zirkulation und die Aktivität des autonomen Nervensystems stellen Möglichkeiten der systemischen Informationsübertragung dar. Dadurch wird eine reziproke Kommunikation zwischen den regulatorischen Systemen gesichert, die eine koordinierte Antwort auf jede allostatische Belastung gewährleistet. Der Hintergrund dieser Abbildung zeigt die extrazelluläre Matrix (ECM). Die Bedeutung der ECM Die ECM stellt die periphere Integrationsebene des Nerven-, Hormon- und Immunsystems dar. Da in der ECM die vegetativen Nervenfasern blind enden und diese jeweils Teile von Spinalnerven sind, ist die ECM viszeroafferent und -efferent an das ZNS angeschlossen! Gleichzeitig ist sie über die Kapillaren mit dem Endokrinium verbunden (35). Hier spielt sich auch die Mehrzahl aller immunologischen Vorgänge ab, und hier kommt die gemeinsame Abb. 2: Erläuterungen im Text. Modifiziert nach (55) 8 Ganzheitsmedizin Heft 3, Jahrgang 24, September 2011 Neuraltherapie-Regulationsmedizin Sprache zum Ausdruck: Das Zytokinnetzwerk koordiniert die rasche lokale Rückkopplung zwischen Zellen und vegetativen Axonen. Es spielt die wichtigste Rolle in der latenten Entzündungsbereitschaft der ECM. Das bedeutet, dass sich die ECM in einer permanenten, kontrollierten proinflammatorischen Situation als Voraussetzung für einen situationsgerechten Gewebsumbau befindet (35). Der Gewebsumbau kommt in vielen Situationen wie z.B. bei Traumen, Infektionen, Wundheilungsprozessen, aber auch als Bestandteil von Stressreaktionen vor. Es scheint daher logisch zu sein, dass das Phänomen Entzündung eine zentrale Rolle sowohl in der Physiologie als auch in der Pathophysiologie spielt. Inflammation Die Entzündung ist eine adaptive Reaktion des Organismus zur Wiederherstellung der Homöostase im Falle einer Verletzung oder Infektion. Solche Ereignisse triggern eine Anflutung von Plasma und Leukozyten zum Ort der Läsion. Bestimmte Rezeptoren wie TLR (Toll like receptors) oder NOD (nucleotide binding oligomerization domain protein like receptors), die sich auf Zelloberflächen von Zellen der angeborenen Immunität befinden, initiieren den Prozess. Dabei spielen die ortsständigen Makrophagen und Mastzellen die wichtigste Rolle (36). Sie sezernieren Mediatoren wie z.B. Zytokine, Chemokine, vasoaktive Amine, Eikosanoide usw. Dadurch werden zuerst die neutrophilen Granulozyten angelockt (Chemotaxis). Nach Andocken am Endothel der postkapillären Gefäße über Selektine durchqueren sie dieses (Diapedese), phagozytieren den Erreger oder schädigen ihn durch Enzyme wie z.B. Lysozym, oder Oxidantien wie Wasserstoffperoxid, Sauerstoffradikale und andere potente Substanzen. Dabei bildet sich das entzündliche Exsudat mit den bekannten Kardinalzeichen der Entzündung: Rubor, Tumor, Kalor, Dolor. Eine erfolgreich abgelaufene entzündliche Reaktion eliminiert die pathogenen Mikroorganismen und geht in eine Finalisierungs- und Repair-Phase über. Wenn eine akute inflammatorische Reaktion z. B. an der Eliminierung der pathogenen MikroorganisGanzheitsmedizin Heft 3, Jahrgang 24, September 2011 men scheitert, dann entwickelt sich eine chronische Entzündung. Dabei spielen die Makrophagen, und im Falle einer Infektion die T-Zellen die wichtigste Rolle. Andere Möglichkeiten für die Entwicklung einer chronischen Entzündung stellen autoimmunologische und Fremdkörperreaktionen dar. Letztere ist auch bedeutsam für die Neuraltherapie (Störfeldcharakter des Fremdkörpers). Die homöostatischen Kontrollmechanismen des Organismus versuchen immer, die Stabilität verschiedener lebensnotwendiger Parameter des inneren Milieus (z.B. Sauerstoff- oder GlukoseKonzentration, pH-Wert) um einen gegebenen "Set Point" mit sehr geringer Variationsbreite konstant zu erhalten (37). Andererseits wissen wir, dass in letzter Zeit der Begriff Homöostase durch den Begriff Allostase wesentlich erweitert und ergänzt wurde. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass bei der Allostase die Gewinnung von Stabilität durch Aktivierung von physiologischen Mechanismen mit passageren Veränderungen von Sollwerten (Set-Points) verbunden ist (38). Ähnlich ist es bei Entzündungsprozessen. Unphysiologische Bedingungen bewirken bei einigen Parametern eine Abweichung von der Norm, um dann eine akute Stressreaktion (akute Entzündung – provisorische Adaptierung an die neuen Verhältnisse) oder eine verlängerte adaptive Reaktion mit Veränderungen von Set-Points (chronische Entzündung – Allostase und Übergang in die allostatische Situation) hervorzurufen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Eine vorübergehende Reduktion der Insulin-Sensitivität der Skelettmuskeln während einer akuten Entzündung kann für den Organismus vorteilhaft sein, weil mehr Energie (Glukose) für Leukoyzten und andere beteiligte Zellen bereitgestellt wird. Wenn aber diese Situation lange Zeit persistiert, kann sie zu einem Typ2-Diabetes führen. Typ2-Diabetes stellt in diesem Fall die allostatische Belastung des Organismus dar (39). Allgemein gesprochen kommt es immer dann zu einer Entzündungsreaktion, wenn eine Gewebsdysfunktion auftritt. Im Fall einer reinen Dysfunktion ist der Grad der inflammatorischen Reaktion sehr gering, verglichen mit der Reaktion auf eine Infektion 9 Neuraltherapie-Regulationsmedizin oder ein Trauma. Inflammatorische Reaktionen auf Gewebsdysfunktionen entstehen sehr häufig, laufen jedoch subklinisch ab und werden im Vergleich zu einer klassischen inflammatorischen Reaktion kaum wahrgenommen. Art und Ausmaß der Gewebsalteration entscheiden darüber, ob die Entzündung durch laborübliche Biomarker entdeckt wird. Die auftretenden Gewebsveränderungen können von gewebsspezifischen milden Funktionsstörungen bis zum massiven Trauma reichen. Entsprechend kann auch die Stärke der inflammatorischen Reaktion variieren. Sehr milde Stressoren, unabhängig davon, ob infektiös, allergisch, toxisch, mechanisch, chemisch, thermisch, galvanisch, elektromagnetisch oder emotional, werden durch die Aktivität von ortsständigen Zellen bewältigt. Die wichtigste Rolle spielen dabei Makrophagen und Mastzellen. Stärkere Stressoren bzw. ein größeres Maß an Funktionsstörung führen zur Rekrutierung von neutrophilen Granulozyten und zu einer Anreicherung von Plasmaproteinen. In diesem Fall beginnt eine klassische inflammatorische Reaktion. Die Signale, die bei Gewebe-Stress oder Gewebsdysfunktion auftreten, sind im Vergleich zu jenen bei Verletzung oder Infektion nicht vollständig bekannt (40). Parainflammation und das Wesen des Störfeldes Zellen können sich in einem von vier möglichen Zuständen befinden: basaler, gestresster, apoptotischer oder nekrotischer Zustand. Eine Zelle befindet sich im basalen Zustand, wenn alle homöostatischen Parameter, die ein stabiles inneres Milieu gewährleisten, stimmen. Jede Veränderung einer dieser Parameter induziert eine Stressreaktion, oft verbunden mit einer Form inflammatorischer Reaktion, die einen Adaptationsversuch an die neuen Bedingungen darstellt. Die Zellzustände weisen keine fließenden Übergänge auf. Eine Zelle kann sich immer nur entweder in einem oder einem anderen Zustand befinden. Hier gilt das Alles-oder-Nichts-Prinzip. Im Gegensatz dazu sind die Übergänge bei den entsprechenden Gewebszuständen stufenlos. Gewebe können durchaus nekrotische Zellen enthalten, die sich neben gesunden Zellen oder Zellen in einem gestressten Zustand befinden und gemeinsam eine mehr oder weniger ausgeprägte Funktionsstörung verursachen. Unter Einwirkung von milden Stressoren werden die Gewebe funktionsgestört und gestresst. Wenn die allostatischen Faktoren (Stressoren) an Stärke oder Dauer zunehmen, dann werden ortsständige Makrophagen und Mastzellen Abb. 3: Der Zustand eines Gewebes kann vom basal oder gestresst-dysfunktionell bis zu einem Zustand nach Verletzung oder Infektion reichen (apoptotisch, nekrotisch). Entsprechend dem jeweiligen Zustand ändert sich die Aktivität ortsansässiger Makrophagen und (in einigen Geweben) auch bestimmter Leukoyzten. Grüne Pfeile = Signale, die den aktuellen Gewebszustand an die Makrophagen melden, rote Pfeile = Signale, die den Makrophagen als Gewebskontrolle dienen. Die Parainflammation ist als ein Zustand zu beschreiben, der sich zwischen dem basalen homöostatischen Zustand und der klassischen Entzündungsreaktion befindet. Modifiziert nach (40) 10 Ganzheitsmedizin Heft 3, Jahrgang 24, September 2011 Neuraltherapie-Regulationsmedizin aktiviert, manchmal wird auch eine geringfügige Rekrutierung von neutrophilen Granulozyten initiiert. Dieser Zustand, der sich zwischen dem basalen homöostatischen Zustand und der klassischen Entzündungsreaktion befindet, heißt Parainflammation oder low grade inflammation (40). Die Parainflammation hat sich zu einem wichtigen Begriff in der Medizin entwickelt. In der Tat haben viele in der heutigen Gesellschaft häufig auftretenden Erkrankungen wie Adipositas, Typ2Diabetes, Atherosklerose, Asthma oder Mb. Alzheimer mit parainflammatorischen Zuständen zu tun (41-46). Dies soll die Abbildung 3 verdeutlichen. In einem früheren Artikel (39) haben wir versucht, die Natur des Störfeldes als eine "chronische Entzündung und Entzündungsreaktion, die den Organismus in eine allostatische Situation versetzt und immer mit einer allostatischen Belastung verbunden ist", zu beschreiben. Heute können wir diese Definition verfeinern, wenn wir unter dem Begriff Entzündung Parainflammation verstehen. Das stimmt mit der klinischen Beobachtung überein, dass das Störfeld von oligosymptomatischem oder asymptomatischem Charakter ist. Die Parainflammation (oder low grade inflammation) ist der gemeinsame Nenner aller Störfelder unabhängig von der Art der Stressoren, die einen bestimmten Gewebsabschnitt zum Störfeld gemacht haben. Monozyten, neutrophile Granulozyten und Mastzellen unterdrückt werden. Mit anderen Worten zeigt sich hier die Möglichkeit der Lokalanästhetika, die gemeinsame Sprache zwischen Immunsystem, Nervensystem und Endokrinsystem zugunsten der Homöostase zu modifizieren. Literatur 1. Wiener, N.: Kybernetik-Regelung und Nachrichtenübermittlung im Lebewesen und in der Maschine. Düsseldorf, Econ, 1963 2. v. Bertalanffy, L.: Perspectives of General System Theory. New York, Braziller, 1975 3. 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Lokalanästhetika greifen an verschiedenen Stellen der inflammatorischen Kaskade wie z.B. bei Adhäsion, Aktivierung, Priming und Phagozytose ein (47,48). Abbildung 4 zeigt, welche Entzündungsmediatoren durch die lokalanästhetische Wirkung auf Abb. 4: Modifiziert nach (47). Erläuterungen im Text. Neuraltherapie-Regulationsmedizin sytem. In: Weinschenk, S. (Hrsg.): Handbuch der Neuraltherapie. Elsevier GmbH, 2010 9. Elenkov, I.J. et al.: The sympathetic nerve: An integrative interface between two supersystems: the brain and the immune system. Pharmacol Rev 52:595-638, 2000 10. Mignini, F. et al.: Autonomic innervation of immune organs and neuroimmune modulation. Auton Autacoid Pharmacol 23:1-25, 2003 11. Steinman, L.: Elaborate interactions between the immune and the nervous systems. Nat. Immunol. 5:575-581, 2004 12. Vizi, E.S. et al.: Nonsynaptic noradrenaline release in neuroimmune responses. Acta Biol. Hung 53:229-244, 2002 13. 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